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Full text of "F.W. Hackländer's Werke"

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THE GIFT OF 


Prof, Fred B. Wahr 


nn 0 I ODE TUN 








23 
HE 
JEE- 


F. W. Hacländer’s Werke. 





XXL Sand. 





Bat 
2 


Werte 


Erfte Gefammt - Ausgabe. 


Einundzwanzigfter Band. 


— — 


Stuttgart. - 
Verlag von Adolph Krabbe 
1860, 


Sänelprefientrud der 3. ®. Sprandel'fgen Offen In Stuttgart. 


Der Augenblick des Glücks. 


Erfter Theil, 





OR Due B. Wohn 
S-23-1428 


Erftes Kapitel 


beginnt langweilig. 


Hat der geneigte und vielgeliebte Lefer ſchon früher erfahren, was 
Rangeweile it? Es follte und freuen, wenn dem fo wäre, aber außer» 
‚ordentlich ſchmerzen, wenn er die Bekanntſchaft diefes fünften Elements 
wie jemand die Langeweile genannt, erft durch und machen follte, Wenn 
aber auch der geneigte Xefer weiß, was Langeweile ift, fo hat er fich 
doch vielleicht noch mie die Mühe gegeben, Diefelbe gründfich zu flubiren 
und in ihren Einzelnheiten Tennen zu fernen. D eö gibt unendlich, 
viele Abarten von Kangeweile! So haben wir die gewöhnliche Haus- 
badene Langeweile, bei der man alt und dick werben fan; wir haben 
eine file und finnige Langeweile nach großen Diner zum Beifpiel, 
die und wohlthut und angenehm zur Siefta Hinüberführt, — wir haben 
eine ungedulbige Zangeweile, wenn wir zwiſchen vier kahlen Brands 
mauern auf jemanden warten muſſen — wir haben eine beängftigende 
Langeweile, wenn und das Krgntengimmer nicht losläßt, wenn draußen 
alles blüht und duftet, nnd wenn wir, wie der Bär in feinem Käfig, 
täglich vierhundertmal den Teppich von rechts nad) links und dann wieder 
von links nach vechts mit unfern Schritten meſſen; — wir haben eine 
töbtfiche Langeweile, eine ingeimmige, die mit den gefährlichften Symp- 
tomen auftritt und fh vom frampfhaften Händeballen bis zu allerlei 
Schrecllichem fteigern Tann, die furdtbare Langeweile nämlich, die und 


8 Erftes Kapitel 


eine dicke, gemüthliche, bekannte Dame verurſacht, welcher wir auf der 
Straße begegnen, die und aufhält, und mit ihrem fetten, ſtrahlenden @efkhte 
anfächelt, gerade an der Ede, wo wenige Schritte vor und die unbelannte 
Dame verſchwand, der wir durch die Halbe Stadt folgten. — De ftehen 
wir, angefeſſelt voll Kummer und Wuth. — Es gibt eine ſanfte Ranges 
weile, wenn du in der Ede des Wagens Iehnft, Halb ſchlummernd in den 
weichen Kiffen, eine Langeweile, Die mit Teichten Fäden Hinübergreift in das 
Reich der Träume, eine füße Langeweile, eine Langeweile, welche fo geneigt 
iſt, dir ſchone Bilder laͤngſt entſchwundener Tage lebendig vor Die Seele 
zu zaubern. — Es gibt eine einfache, zweifache, dreifache und vielfache 
Rangeweile. Du kanuſt dich mit einem Dupend langweiliger Geſellen aufs 
Gründlihfte langweilen. Du kannſt dich zu Dreien langweilen aber außer 
ordentlich kannſt du Dich zu Zweien langweilen, und eine ſolche Langer 
weile zu Zweien Tann unter Umftänden die ſchreclichſte werden. — 
Jemand, der es wifien konnte, hat mir gefagt, es fei das Schreitlichfte, 
wenn ein verliebte Paar ſchon vor der Hochzeit anfange, ſich gegen 
fettig zu langweilen; wenn er vom Wetter fpricht und fie das gewiſſe 
frige Maul macht, wobei ſich die Nafe bedeutend aufbläht und wodurch 
man das Gähnen zu verbergen fucht. 

Bern wir und aber auch erlaubt haben, bie vorliegende Geſchichte 

“ mit Langewelle oder Langweilig zu beginnen, fo ſei e8 doch fern von uns, 
gleich das erfte Kapitel gerade mit der fehreilichften Species dieſer Lange 
fam töbtenden Macht, einem Iangweiligen Liebespaare — ein ſolches mag 
vielleicht fpäter wohl noch vorfommen, — anzufangen. Da ſich aber 
ein Erzähler der Wahrheit befleigigen foll, und da er die traurige Noths 
wenbigfeit einfieht, daß die Geſchichte, Die er ſchreiben will, der Situa⸗ 
tion gemäß langweilig anfangen muß, fo fann er nichts thun, als mit 
traurigem Herzen eben langweilig zu beginnen. 

Ja, geneigter Leſer, es iſt das fehr traurig für einen geroifienhaften | 
Erzähfer, denn du Haft feine Idee davon, wie wohl es einem Schrift 
ſtellergemuth thut, wenn er felbft fo — mit gezogenem Säbel, auf | 
courbettirendem Roß, mit flatternder Feder und fprigender Dinte fein 





beginnt langweilig. 9 


Gef jäft vor das Publikum führen und fagen kann: Gier find wir beibe, 
die Geſchichte und id! 

„Es war,” fo fönnten wir alödann vieleicht anfangen, „an einem 
trüben Sommerabend, der Himmel, der eine heile Nacht verfprach, Hatte 
fich mit grauen Schleiern überzogen; e8 wetterfeudtete nicht nur fern 
am Horizonte, fondern auch auf dem Gefichte des jungen Freiherrn 
Kalb von Kalbafel, der u. ſ. w. u. f. w.“ — Stand er nun am 
Fenſter feines Schlofies oder lehnte er an einer dicken Buche, wir wife 
fen, daß es auf feinem Gefichte ebenfalls wetterfeychtete, und daß feine 
ſchoͤne Phyfiognomie der Beweglichkeit fähig und and im Stande war, 
fremde Eindrüce wiederzufptegeln. 

Wohlthuend iſt es auch, wenn es und erlaubt ift, fagen zu dürfen : 
„Dem Morgen entgegen, der fich rofig ausbreitete über Berg und Thal, 
rollte ein eleganter Reifewagen, und der junge, ſchoͤne, blondgelockte 
Mann in demfelben blies die Wolken feiner Achten Havanna mit einem 
unendlichen Behagen vor fih hin, die grauen fräufelnden Wolken, die 
hoͤher und Höher auffteigend jegt vom erften Strahl der Sonne gettofs 
fen und vergofdet wurden.“ 

„Kreuz Taufend Schock Millionen Donnerwetter!“ rief der Lieu⸗ 
tenant von Sperberbadh, als er Morgens in der Frühe erwachte und 
zu feinem großen Schrecken entdeckte, daß er den Ausmarfch des Regie 
ments verfchlafen. — Das ir aud ein [höner Anfang. 

Richt minder: 

„Mama,“ ſprach Louiſe. 

„Mein Kind?“ meinte die Mutter. 

„Ich fah ihn wieder nicht im Theater.” 

Die Mutter unterbrücte einen leichten Seufzer. 

Auch nicht auf der Promenade.“ 

„Du haft nicht recht gefehen.“ 
„Die Blicke der Liebe find ſcharf, Mama,“ 

„Gott weiß ed, mein armes Kind.“ 

Auch ritt er nicht vorbei,“ 


10 Erftes Kapitel 


„Gute Louiſe!“ 
„D, meine Mutter!“ 

Dann feufsten Beide aus tiefem Herzen und das Zimmer wäre 
mit einer unheimlichen Stille erfüllt geweſen, Hätten fid nicht in die 
ſem Augenblide vor dem Haufe die Töne einer Straßenorgel verneh- 
men laſſen, fäftig, laut und feierlich: -* 


Noch ift Polen nicht verloren. — — — — 


Ein zwelfachet Troft für das wunde Gemüt von Mutter und Tochter 

— — Das alles, wenigftens etwas Achnliches, geneigter Lefer, 
Hätten wir zu Anfang diefer wahrhaftigen Geſchichte auch fagen können. 
Aber es fei ferne von ums, dich auf folche Art beftehen zu wollen und 
unpafiend zu beginnen. 

Dir führen dich der Wahrheit gemäß in ein großes, elegantes 
Gemach, man könnte ed einen Meinen Saal nennen, reich deforirt, 
reich möblirt. Die Wände find mit hellen glänzenden Seidentapeten 
bedeckt und zeigen ſchwere, trogige goldene Bilderrahmen mit prachtvollen 
Landſchaften, Schlacht- und Seeftücden. Die Lambrifen find von feinen 
eingelegten Holzarten und laufen rings“ umher bis zu einem riefenhaften 
Marmorkamin, in dem aber fein Feuer brannte, und über welchem ein 
ungeheurer Spiegel ſich dis hoch an den vergofdeten Fried erftredt, der 
unter dem Plafond dahinfäuft. Diefer Plafond ift reich gemalt und 
in feiner Mitte Hängt ein ſchwerer Broncelüftre mit unzähligen aufge 
ftesften Wachöferzen; der parquetirte Fußboden ift fpiegelblant und das 
Ameubfement, wie wir ſchon vorhin bemerften, wenn auch reich, doch 
ſehr einfach: es befteht aus einem Dupend Stühlen, welche an den 
Bänden umberftehen, und einem großen Tifche in der Mitte des Ge 
machs. — Richtig, dort in den beiden Senftervertiefungen, welche die 
difen Mauern des Schlofjes bilden, ftehen noch zwei Fauteuils, und 
vor einem derfelben ein kleines Tiſchchen mit Papier und Schreibzeng. 

Bir find im Schlofe des Regenten im Parterreſtockwerke; die 
Fenſter unſeres Gemaches gehen auf einen umfchloffenen Hof, und bie 


beginnt langweilig. 11 


Ruhe und Stille, welche dort, ſowie in den hohen Corridors und auf 
den breiten Treppen herrſcht, lagert beängftigend vor Thür und Fenſter; 
fie laͤßt fih nur ungern ftören und unterbrechen, und wenn man von 
fernher Tritte eines menſchlichen Fußes vernimmt oder jemanden huſten 
hört, fo grolft die Stille darüber und Afft diefe Töne mit lautem 
Ccho nad. 

In dem weiten Gemache befinden fi} zwei junge Männer, von 
denen der Eine, ein Ordonnanzoffigier aus dem Leibdragonerregiment 
des Regenten, mit feftgehaltenem Säbel an den Fenſtern auf und ab 
fpagiert, während der Andere im goldgeſtickten Zrad der Rammerherren 
daffelbe auf der Seite des Kamine thut. Beide find vielleicht wenig 
über zwanzig Jahre alt, und wenn fid der Gine fo gut wie der Ans 
dere entſehlich zu langweilen ſcheint, fo äußert ſich das doch bei jedem 
auf verſchiedene Art. 

Der Kammerhert von Wenden, ein Mann von mittlerer Größe 
mit Anlage zur Beleibtheit, hatte blondes Haar, das er glatt an den 
Kopf geftrichen trug, und welches fo zum forgfältig glatt rafirten Kinn und 
Bange ſehr gut paßte, ja, feinem Kopfe mit der ſpihen Nafe, dem feinen 
zufammengezogenen Munde und den lebhaften Augen etwas Schlaues, 
faſt Lanerndes gab, weldes aber durch ein wirklich liebenswürdiges 
Lacheln gemildert wurde, das fein Gefiht, mit außerordentlich, feinem 
und weißem Zeint, häufig erhellt. Gr fpazierte in dem Gemache auf 
und ab, den Hut unter dem Arm, die Hände auf dem Rüden vereinigt. 
Dabei ging er aber volfommen ruhig und gleihmäßig, ja mit faft 
behaglichen, tänzelnden Schritten, ohne alle Zeichen von Ungeduld, als 
Habe er fich zur Aufgabe gemacht, das Zimmer in jeder Viertefftunde 
fo und fo oft zu durchſchreiten. 

Der Andere, Drdonnanzoſfizier Herr von Fernow, war größer ald 
fein Gefährte, dabei ſchlank, und wenn er ebenfalls auf und ab fehritt, 
fo that er dies mit allen möglichen Zeichen der Ungeduld. Er hatte 
ein ausdrucksvolles Geficht, deffen Farbe faft zu dumfel gewefen, wenn 
wicht das ſchwarze glänzende Haar fo vortrefflich dazu gepaßt hätte, 


22 Erſtes Kapitel 


Die Angen waren fe und Iebhaft, und den Schnurrbart trug er wohl 
deßhalb fo außerordentlich ſtark empor gedreht, um feinen Heinen Mund 
zu eigen, fo wie die ſchneeweißen wohl geformten Zähne, . 

Wie wir ſchon bemerkt, ging er ebenfalls, und zwar an der Seite 
der Senfter, auf und ab; doch war das fein gleihförmiges Dahin- 
fhreiten. Jept that er ein paar Haftige Schritte, dann wandte er fein 
Sefiht, einen Augenblick ftehen bleibend, nad) dem Hofe zu, betrachtete 
bierauf feinen Gefährten, warf den Kopf heftig von einer auf bie ans 
dere Seite, biß fih zuweilen auf die Lippen, und ſtrich den Schnurr⸗ 
bart in die Höhe, zuweilen fummte oder pfiff er auch feife die Melodie 
irgend eines beliebigen Liedes, aber immer nur ein paar Takte, die mit 
einem faut auögeftoßenen A⸗a⸗a⸗ah! ſchloſſen, und an welche gewöhnlich 
die Bemerkung angehängt war: „So ein Sonntag Nachmittag hier in 
dem verwünfchten Schlofie ift doch von einer bodenlofen Langeweile!“ 

Der Kammerherr lächelte dazu fanft in fich hinein und fagte viels 
leicht: „Ja, ja, ich habe auch ſchon Amuſanteres erlebt.” 

Wenn ich nur dein Temperament hätte,“ fuhr Herr von Fernow 
nad) einer Paufe fort, wobei er fo plöglich ftehen blieb, daß die Scheide 
feines Säbels mit den Schnallen feines Ledergehängs zufammenffirrte, 
„wahrhaftig ich wüßte nit, was ich an ſolchen Dienfttagen, wie der 
heutige, darum gäbe.“ 

„Aud) an andern fönnte dir ein bischen mehr Ruhe nicht ſchaden,“ 
meinte Here von Wenden; „du bit ein guter Kerl, aber das focht und 
fiedet und fprudelt immer, und um in meinem ücengleichniß fortzus 
fahren, Läuft e8 zuweilen über, nicht gerade zur Annehmlichteit deiner 
Umgebung.” 

„A⸗a⸗a⸗ah!“ machte der Orbonnangoffizier, und dabei dehnte er 
fi) wie einer, der eben ans dem Schlafe erwacht. 

„Du mußt die angewöhnen,“ fuhr der Kammerherr fort, „Über die 
Rangemweile Herr zu werden, du biſt nun einmal bei Hof, und wenn 
du bier auf diefem glatten Boden was werden willft, fo darf man dir 
feine Langeweile anmerken, und wenn du einmal vier Wochen lang 





beginnt langweilig. 13 


wie heute im Dienft wäreſt, eine Beſchäftigung, die allerdings ihre 
Tangweiligen Seiten hat...“ 

„So lehre mich Die Langeweile verjagen!“ rief der Andere unge 
dufdigs „entweder verftehft du in der That dieſe Kunſt, oder du biſt 
ein ausgemachter Heuchler; denn ſchon feit fat einer Stunde Täufft du 
jegt auf und ab, auf dem Geficht inneres Vergnügen, ja mit einem 
Wohlbehagen, das mid; zur Verzweiflung bringen ann. — — Gibt 
es in der That etwas Langweiligeres, ald der Heutige Sonntag-Nade 
mittag? Liegt daB Schloß nicht fo ill, wie ein ausgeſtorbenes Mor 
Mer? Dort in dem verfluhten Hofe laßt ſich feine Menfchenfeele fehen, 
ja, td} verfichere dich die Kahen fürchten vor Langeweile zu Frepiren, 
deshalb bleiben fle auf ihren Dächern und feine wagt fih herunter. — 
— Sage mir, womit verbringft du deine Zeit?“ 

„Ich denfe über dies oder jenes nach,“ antwortete der Kammer» 
herr; „und dabet verliere ich mich in Reflexionen und Kombinationen, 
daß mir die Zeit fo ziemlich leidilch vergeht.” 

Der Adjutant Hatte in feinem Spaziergange innegehalten und fich 
mit allen Zeichen der Ungeduld in einen der Fauteuils geworfen, und 
befchäftigte fih, Indem er mit den Fingern auf den wor ihm Tiegenden 
Papieren trommelte, 

„So theile mir denn um's Himmelswillen etwas von deinen Ges 
danken mit,“ rief er nach einer Weile; „wenn fie nämlich für mich ge» 
nießbar find. Wahrhaftig du biſt beneidenswerth um dad Talent, dich 
fo allein unterhalten zu Tönnen.“ 

Und dabet profitite id; denn in ſolchen Stunden faſſe ich oftmals 
die beften Entf&lüffe, und wenn, id} gerade dergleichen nicht vorhabe, fo 
unterhafte ich mich mit meinen Phantaſien, baue Luftfhföffer und beraths 
[lage mit mir ſelbſt, was, wenn diefer oder jener Fall eintreten würde, 
wohl am beften zu thun fei.” 

„3a, das muß wahr fein,“ fagte der Andere mit einem tiefen 
Seufger. „Du bift ein umſichtiger Menſch, du wirft e8 weit bringen, 
Run, eind mußt du mir verſprechen: wenn du einmal Minifter des 


14 Erſtes Kapitel 


Haufes bift, fo laß mir irgend einen Iumpigen Orden zukommen; 
denn wenn ich feinen Freund habe, der ſich meiner fpertell annimmt, 
fo komme ich doch nicht zu einer Auszeichnung. Ich habe eben kein Gtüd.“ 

Der Kammerherr lächelte ſtill in fich Hinein, ftreichelte fanft feine 
Nafe und blies alsdann ein Stäubchen fort, das fi auf der Gold⸗ 
ffiderei feines Aermelaufſchlages angefept Hatte. Darauf fagte er: 

„Rein Glüd haben, das ift fo eine Redensart, die man hundert 
fältig und meiftens mit großem Unrecht ausſpricht.“ 

„Nun, du willſt doch nicht fagen, daß ih vom Glück begünftigt 
bin, ih, Fernow, deſſen Vater vor wenigen Jahren noch allmächtiger 
Minifter an biefem Hofe war?“ 

„Fernow,“ fuhr der Kammerherr kopfnickend fort, „ein Cavalier 
in der fhönen Bedeutung des Wortes, jung — liebenswürdig — ohne 
dir Komplimente machen zu wollen,“ ſetzte er laͤchelnd mit einem Sei 
tenblick Hinzu; „denn du kannſt auch unausſtehlich fein. — Dabei ein 
tüchtiger Offizier —.“ 

„Meinetwegen alles das!“ rief der Andere ungeduldig dazwijchen; 
„der jet fihon eine halbe Ewigkeit dient und eö taum zum Ordonnang 
offigier gebracht hat, während jüngere Kameraden ſchon längft wirkliche 
Adjutanten find. Hol’ der Teufel ein ſolches Gfüd!“ 

„Wenn du nicht gleich immer oben hinaus wärjt,“ entgegnete Herr 
von Wenden mit großer Ruhe, „jo würde ich dir mit außerorbentfichem 
Vergnügen meine Theorien von der Geſtaltung“des Glückes mittheilen, 
aber ich fürchte dir iſt das langweilig.“ 

„Wenn das iſt,“ fagte Herr von Fernow, „fo wirkt es vielleicht 
homdopathiſch, und wir fhlagen die Langeweile mit der Langeweile,“ 

„Ich danke für die gütige Bemerkung.“ 

„Ohne Rancune; ich bitte dich, laß mic; deine Anfihten hören.“ 

Der Kammerherr war in der Nähe bes Kamins ftehen geblieben, 
Hatte feinen Hut auf das Gefims deflelben gelegt und ſich mit dem 
Rüden daran gelehnt. | 

„Du fagteft vorhin,“ beganu er; „Ich habe fein Blüd,““ „und, 


beginnt Tangweilig. 15 


wie ſchon bemerkt, ift das eine Aeußerung, bie man hundertfältig hört, 
die aber vollfommen unrichtig iſt. So gut es allerdings bevorzugte 
Menfchen gibt, denen das Glüd fo zu fagen im Schlafe kommt . . .“ 

„3a, denen die gebratenen Tauben ind Maul fliegen.“ 

„Ganz richtig, die felbft, wenn fie ftürgen, wie die Kahe immer 
auf ihre Füße fallen und, auögfeitend, die Treppe hinauftollen; ebenfo 
gibt es auch ſolche, die das Schiefal beftändig gegen den Strich zu 
tämmen ſcheint, die fid) alles mühfam erringen müflen, denen nichts 
gelingt ohne große Mühe und Arbeit, kurz, die, wie du zu fagen bes 
liebſt, fein Glüd Haben.“ 

„Ich kenne einen ſolchen,“ fagte Fernow finfter, „und das wirft 
du mir zugeben. Kommt einmal eine Gelegenheit, ſich auszupeichnen, 
fo bin ich verhindert, dabei zu fein. Iſt irgendwo in einem Regiment 
ein guted Avancement, fo fanmft du hundert gegen eins wetten, daß ed 
nicht das meinige iſt. Haben wir Beſuch von fürftlichen Perfonen, jo 
Tann ich nicht dazu Tommandirt werden, weil ich gerade Dienft beim 
Alergmäbigften Habe. CEbenſo ift e8 mit Reifen an fremde Höfe; ich 
weiß wohl, man hat nichts gegen mich, aber das Schickſal will, dag 
ich immer übergangen werde. Andere befommen Orden und jehen die 
Welt, ich bekomme gar nichts und darf mir dagegen die Wände des 
Stallhofes dort, und meiftens dann betrachten, wenn irgendwo fonft 
draußen was Angenehmes los iſt. Heute ift der Hof nach Eſchenburg, 
amd id) Hatte mich darauf gefreut, ich verfihere dir, ich hätte auf mei» 
nem Rappen gar nicht ſchlecht ausgefehen, — ach! und es hätte mid) 
gerade jept glüdfich gemacht, gut auszuſehen!“ fuhr er mit einem 
Seufger fort. „Was gefhleht? Seine Hoheit, der Regent findet es 
angemeffen, daß ihn die verjährte Wunde fehmerzt, und ih — muß, 
hol’ mid; der Teufel zu Haufe bleiben.“ 

„Und ich ?“ fragte laͤchelnd der Rammerberr.- 

„Allerdings, du and. Aber dir macht es fein Vergnügen, mit 
irgend einer alten Hofdame im Wagen zu ſihen. D! id fage dir,” 
fuhr er ergeimmt fort, „wenn ich daran denke, daß ich jept buche 


a 


16 Erſtes Kapitel 


duftige Grün reiten Lönnte, vieleicht an ihrer Seite, denn auch für die 
junge Herzogin und ihre Damen find Pferde hinausbeftelt, fo mödht 
ich gradezu bed Teufeld werden!“ 

Bet diefen Worten fprang er in die Höhe und eilte ſporenklirrend 
und fäbefraffeind mit heftigen Schritten auf und ab, daß es in dem 
weiten Gemach auf allen Seiten widerhallte. Nachdem er fo einige 
mafe bei dem Kammerheren, der ihm Tächelnd zufchaute, vorbeigerast 
war, blieb er wieder plöplich vor ihm ftehen, ſtreckte ihm beide Hände 
entgegen und fagte mit einem Bittern Lächeln: 

„Und dann willſt du mir noch verbieten, daß ich von mir als 
von jemandem ſpreche, der gar fein Glüd hat?“ 

„Allerbingd,“ entgegnete der Andere hartnäͤckig, „von bir und von 
jedem andern glaube ich das Gegentheil. Das Gluͤck iſt da; ed um 
ſchwebt jeden Menſchen ...“ 

„Wo, wo?“ rief Herr von Fernow mit komiſchem Zorne; „ich 
will Tag und Nacht mit beiden Händen um mich faſſen, um ed endlich 
einmal zu ergreifen.“ 

„Das wäre vielleicht fo ein Mittel,“ meinte lächelnd Herr von 
Benden; „aber glaube mir, meine Thevrie ift richtig; das Glac um 
ſchwebt, umtanzt, umgaufelt und, den Einen freilich mehr, den Andern 
weniger, und wenn ich dir von deiner Bemerkung, indem du von Lew 
ten fprachft, die fein Gluck haben, etwas zugeben will, fo ift es das, 
daß Tetder die meiften Menfchen fo unglüdlich find, den rediten Augen ⸗ 
blick zu verpaffen, wo fie zulangen müßten.“ 

„Run, das kommt am Ende auf Eins heraus,“ fagte kopfſchuttelnd 
der Ordonnanzoffizier, worauf er, nad) einem Blicke in den Spiegel, 
einige Verſchonerungsverſuche bei ſich anftellte, den Schnurrbart in die 
‚Höhe drehte und feiner ohnedies langen und ſchlanken Taille noch dar 
durch nachhalf, daß er Schärpe und Säbelkuppel, fo viel als irgend 
möglich war, auf die Hüften hinabdrückte. 

An dem Kammerheren war unfehlbar ein Profeffor zu Grunde 
gegangen, denn er Iehnte, um feine Theorie weiter auszuführen, fo; 





beginut langweilig. 17 


behagfich am Kamine, wie jener am Katheder und bficte fo aufmerffam 
in das faft leere Gemad hinein, als habe er ein Auditorium von 
vielleicht Hundert Perfonen vor fi. Auch hob er feine Hände empor 
umd legte den Beigefinger der rechten bebeutfam an den Daumen der 
linten, um die Beweisgrände für feine Theorie vermittelft der fünf 
Finger numerixen zu Tonnen. 

„Alfo wir waren beim Bugreifen,* fagte er. 

Nur nicht blbde! Das tft allerdings bei Hofe eine wichtige 
Regel.“ 

„Die Beit, wo und Fortuna fädelt, und fie lächelt jedem Men» 
fen, würde ich mir alſo erlauben, den Augenblid des @lüdes zu 
menmen; denn leider verweilt es gemwöhnfich nicht lange bei und, es 
huſcht vechts, links, oben, unten bei und vorbei. Deshalb im richtigen 
Moment zugreifen!” . 

„3a, zugreifey!“ wiederholte lachend der Ordonnangoffigier, indem 
er mit der Rechten in der Luft eine Bewegung machte, als wollte 
er eine Fliege fangen. „Fang' einer die unſichtbare Göttin!“ 

„Alerding® Wil es das Mißgefestd,“ fuhr der docirende Kammer» 
dere ruhig fort, „dag man, um in meinem Vortrage zu Punkt zwei zu 
tommen, daneben tappt;“ — bei diefen Worten hatten fih beide Zeiger 
finger feiner Hände vereinigt — „und es iſt wahrhaftig oft gerader 
als ob es Menfchen gäbe, die ein Talent dazu hätten, dem Glück auf 
die gefchittefte Art auszuweichen. Es erſcheint dir links ...“ 

„Und ich wende mich rechts,“ ſagte Herr von Fernow. 

„Richtig. Es erſcheint dir rechts ...“ 
und ich greife nad) linke, o, wir keunen das!“ 
vvWBvollkommen richtig. — Es ſtellt ſich dir gerade in den Weg, 
und, weiß der fiehe Himmel, in demfelben Augenbfid fält 6 dir ein, 
dich umgudrehen, aurüdzutreten, und fo dem @lüde, das mit ausge 
Sreiteten Armen auf deinem Pfade fteht, den Nüden zugumenden. Ja, 


legt ſich dir vor die Süße; aber, anftatt es aufzuheben, wähnft bu 
baalanders Werte. XXI. 2 


18 Erſtes Kapitel 
N 


einen tiefen Graben zu fehen und fchreiteft mit einem ungehenren 
Schritte darüber hinweg.“ 

„Das iſt feider Gottes nicht gang unrichtig!“ rief der Andere; 
„doch ift deine Theorie offenbar darauf eingerichtet, die Leute verrückt 
zu machen. Geh’ mir mit deinem Philofophiren; es ift mir ein viel 
behaglicheres Gefühl zu wiſſen: Ich habe einmal fein Glück, als zu 
glauben, es gauffe um mich her, unfihtbar, unerreihbar, wobei ich 
mir jeden Augenblick den Vorwurf machen muß: Hätteft du ſtatt rechts 
— links gegriffen, Hätteft du dies gethan oder jenes unterlafien, fo 
würbeft du jept das Gluck in deiner Hand Haben. Ah! Das iſt ein 
unerträglicher Gedanfe und könnte einen Menfchen wirbefig machen.“ 

Der Kammerherr war eben im Begriff mit dem Zeigefinger der 
Rechten auf den Mittelfinger der Linken Überzugehen, als ſich eine der 
Flũgelthuren geräufhlos, fast gefpenfterhaft, von felbft zu Öffnen fchten, 
fo daß ſich erft, ala beide Flügel weit offen ftanden, der dienſtthuende 
Kanımerbiener zeigte, ein großer, gutgewachfener Mann, auf dem Ger 
fit ein ewiges Lächeln, mit fanft gefpigtem Munde, und Augen, die, 
fo fange er fih im Dienfte befand, in Glück und Freude zu ſchwim— 
men ſchienen. Er blickte nach der Uhr, melde über der Thür ange- 
bracht war, und fagte unter einem fanften Kächeln: 

„Seine Hoheit, der Regent, machen fo eben einen kleinen Bang 
in den Park, werden au vor der Tafel nicht zurucktehren, was ich 
mir hlemit erlaube anzuzeigen, und die ganz gehorfame Bemerfung 
hinzuzufügen, daß es vielleicht für die Herrfchaften angenehmer wäre, 
jetzt ſchon in den Speffefaal zu treten, als hier im Hinterzimmer vere 
geblic zu warten.“ 

Indem er dad fagte, machte er eine demüthige, lang andauernde, 
tiefe Berbeugung, wobet er fi fhüchtern die Hände rieb, damit eine 
ſcheinbare Verlegenheit affertirend. 

„Das iſt ein guter Rath, Herr Kindermann,“ ſprach der Ordon⸗ 
nanzoffizier, Indem er feinen Federhut ergriff; „vom Speiſeſaal Hat 
man doc eine Ausfiht auf den Schloßplag, man flieht Some und 


beginnt Tangwetlig. 19 


Menſchen, grüne Bäume und die fernen Berge, am denen Eſchen⸗ 
Burg legt.“ . 

Das lehtere fagte er Tetfe und mit einem gelinden Seufzer. 

„Es iſt doc fabelhaft,“ lachte der Kammerherr, „wie dich ein 
einigermaßen ernſtes Gefpräch ennuyirt! Und ich verfihere dir, du 
hätteft etwas aus meinem Vortrage Iernen können.” 

„Daos will ich aud noch thun, gewiß und wahrhaftig,“ fagte der 
Ordonnanʒoffizier; „aber jept komm’ aus dieſem ſtillen, trübfeligen 
Zimmer in den Speifefaal, da werde ich viel empfänglidher fein für 
die tiefen Gedanten, die du mir fo großmüthig prelögiäft.“ 

Lachelnd, aber doch adjfelzudend nahm der Kammerherr feinen 
Hut von dem Kamingefims, und der Kammerdiener Kindermann, der 
zuerſt verſtohlen eine Prife genommen und ſich dann, wie felbft er- 
ſchrocken über dies große Vergehen, eiffertig die Nafe gewifcht, ging 
mit fehr erhobenem Kopfe auf die Ausgangsthär zu, öffnete diefelbe 
weit und machte eine tiefe Berbeugung, als die Herren in das Veſti— 
bule hinaustraten. 

‚Hier faß auf einem Banquet in der Ede ein einfamer Lafai, der, 
niedergedrüct von Stille und Langeweile, fanft entihfummert war, 
jegt aber, beim Hören der herannahenden Schritte, fo eiffertig aufs 
forang und ein fo grinfendes Geſicht machte, als habe er ſich aufs 
Lebhafteſte mit den intereffanteften Dingen ber Welt unterhalten, und 
als fei ed ihm gar nidht eingefallen, das Auge zum Schlaf zu fchließen. 
Als ihm aber bie beiden Herren Hinter fich gelaſſen hatten, gähnte er 
ſtark, dehnte und reckte fi, und brummte mißmuthig in fi hinein: 

„Nicht einen Augenblick Ruhe Hat man in dem Schloß!“ 

Darauf fanf er wieder auf das Banquet zurüd und feßte unter 
tiefen, ſchnarchenden Tönen feine Betrachtungen von vorhin fort. 

Am Ende des Veſtibules trafen die beiden Herren auf einen ein- 
zelnen Eavalleriepoften, der ebenfalls ſchläftig aufe und abfpazierte und 
nicht einmal mit der gemöhntichen Energie feinen Säbel anzog. 

| * 68 lag aber auch eine wahrhaft drüdende Ruhe auf dem Schloſſe; 


20 Erſtes Kapitel 


die Stille und die Langeweile tönten ordentlich. Im den weiten Gän- 
gen und auf den breiten Treppen entdeckte man felten ein fcbendes 
Befen, und wo fi in weiter Entfernung vielleicht ein Diener, eine 
Kape, oder vor den Fenſtern ein Bogel bfiden fieß, da ruhte der 
enftere jedenfalls mit aufgeftägtem Kopf an der Fenfterbant, die Rape 
lag fehlafend in einem Heinen Flecichen Sonnenfchein, und der fonft 
fo muntere Bogel faß draußen auf dem zadigen Gefims fill, fait un 
beweglich, mit gefenftem Kopfe, als finde felbit er es hier unerträglich 
Tangweilig. Die einzige Spur von Xeben ließ hie und da die Katze 
bemerken, denn zuweilen öffnete fie träge ihr blinzelndes Auge und 
ſchmachtete, vielleicht mit unterſchiedlichen Gedanken an eine fette Beute, 
mac} dem Vogel Hin. Wenn aber auch beide nicht durch die Blasfcheibe | 
getrennt geweſen wären, hätte die Kape wahrſcheinlich doc nicht ihre 
Siefta unterbrochen, um einen Sprung nad) der fiheren Beute zu thun. 
Sie dehnte fi ſchnurtend und fehlen dann wieder in feiten Schlaf 
zu fallen. 

Benn aud die Teppicjitreifen in den Corridors den Klang der 
Schritte der Beiden bämpften, fo tönten doch der klirrende Säbel des 
Einen und das gelinde Huften des Andern fo laut und nachhaltig, 
daß es in der That erſchreclend war. Aus biefem Gorridor traten fie 
in weite Säfe, wo von ben Wänden aus ſchweren Goldrahmen nade 
geduntelte, faft ſchwarze Landſchaften herabblidten, wo in den Ecken 
uralte, ernſthafte Bafen ftanden, und wo es ebenfalls fo ftil und 
feierlich war, daß das Lächeln einer marmornen Venus in diefer Um— 
gebung völlig unnatürlich erihten. 

Endlich erreichten die Beiden Gänge und Zimmer auf der welt 
lichen Seite des Schloffes gelegen, wo e8 ſchon ungleich freundficher 
und behaglicher ausfah; hier Drang zu dem großen Feuſtern die Nach- 
mittagsfonne herein, vergoldete und belebte Alles und munterte ſelbſt 
den ſchweren Staub in den Zimmern zur Luſtigkeit auf; denn, wo ein 
dünner Sonnenftrahl fehtef zu einer Definung hereinfiel, da tanzten 
Millionen von Staubatomen vergnügt durch einander, Hier hingen 


beginnt Tangweilig. 21 


auch in einer Iangen Gallerie die Ahnen des Herrfcherhaufes, und die 
glänzenden Streiflichter machten fih ein Vergnügen daraus, die alten, 
ernften Herren auf eigenthümfiche Art zu karrikiren. Dort brannte ein 
heller Fleck auf den dunfeln Wangen des Kriegemannd, hier war ein 
Geficht zur Hälfte ſcharf beleuhtet und fhlen dadurd) auf einer Seite 
zu lächeln. Dort fah man nur einen glänzenden Kopf, wie in bunte 
lem Beiwerk fchwebend, und tn einer Ede gegenüber bemerfte man 
einen hellen, funkelnden Harnifh. Das Haupt aber lag fo im Schats 
tem, daß der alte, ehrwundige Fürft, völlig kopflos erfchien. 

Die beiden dienftthnenden Herren näherten fid) jept der Thür des 
Speifefaals, welche fih, trop ihrer geraͤuſchloſen Schritte, und wie 
von felbft ihnen öffnete. Doc; muß der geneigte Leſer nicht an gau- 
berei glauben; wie anderswo überall, befinden fi aud bier in den 
Thüren Schlüffellöcdher, welche von den betreffenden Lakalen aufs Ems 
figſte benußt werden, um die Annäherung irgend einer wichtigen Pers 
fon zu erfpähen. Es ift das namentlich, in bedeutfamen Augenbliden 
wie ein gut eingerichteter Telegraphendienft; an beiden Seiten bes bes 
treffenden Saafes wird mit Thürfpalt und Schlüffelloch gearbeitet; 
ein leifer, bezeichnender Hufen, oder irgend eine Handbewegung untere 
richtet die im Saale Befindfichen von der Ankunft diefer und jener 
Berfon, und wenn diefe num felbft durch die weitgeöffnete Thüre eins 
tritt, fo ſtehen ein gut geſchulter Kammerdiener und brauchbare Ras 
Taten ſcheinber unbefangen, und wie von den Ankommenden völlig 
überrafht, in den verfchiedenen Eden. 


2 Zweites Kapitel. 


Zweites Kapitel. 
Ein kleiner Papierfreifen. 


Der Speifefaal, ein großes, einfach nur mit Gold und Weiß de 
Torirted Gemach, ag an dem großen’ Plage, der ſich vor dem Schloſſe 
außbreitete, und von feinen hohen Senftern hatte man, da das Schloß 
auf einer Meinen Anhöhe lag, eine weite Ausficht auf die Stabt, ſowie 
auf die Gegend rings umher bis zu den malerifch geformten Bergen, 
die den Horizot begrenzten. Herr von Fernow trat fogfeih an einet 
der Fenfter und ſchmachtete, wie fih der Kammerherr auszudräden 
beliebte, nach dem Gebirgäzuge bin, ohne vor der Hand dem vegen 
Treiben auf dem Schloßplag und in den angrenzenden Strafen, dem 
Gewühle von Menfchen und Equipagen irgend eine Anfmerffamkeit zu 
widmen. Im Saafe waren Tafeldecker, Kammerdiener und Lafaien 
befchäftigt, der reichen Tafel Die lehte Vollendung zu geben. Der große 
vergofbete Aufſatz, der bei bedeutenden Diners erfchien, wurde mit fris 
ſchen Blumenbouquets bedeckt, und ald das geichehen war, bot bie 
Tafel mit ihren Maſſen funkefnden Silber und glänzenden Kryſtall 
Batterien, auf den ſchneeweißen Damaft geftellt, einen wahrhaft veichen 
und erfreulichen Anbfi dar. 

Herr von Wenden war zu dem Orbonnanoffigier getreten und 
fagte ihm: „Mir iſt das Durcheinanderlaufen der Dienerfhaft, über 
Haupt die Zurüftung zur Tafel unangenehm; und da du, theuerfte 
junger Mann, auch Gavallerieoffizier, die Berge vom Nebenfanle aut 
ebenfo gut betrachten kannſt, fo laß und dorthin, mein Geliehter, ziehn. 
Es ift da in. der That behaglicher, und auch unfer Plag, wenn fi 
fpäter der Hof verfammelt.“ 

„Ich weiß wohl,“ entgegnete lächelnd der Orbonnanzoffigier, „weh | 
halb dir um den Saal da nebenan zu thun ift; du willſt mir wahr | 
ſcheinlich deine Theorie vom Augenblide des Gtüds noch näher ent 





Ein Heiner Bapierftreifen. 28 


wicleln. Wenn ich nicht Irre, fo wurden wir am dritten Punkt unter- 
brochen.“ 

Der Kammerherr zog ſcheinbar ernſthaft feine Augenbrauen in 
die Höhe, ſpihte den Mund und erwiederte: 

„Du bift in der That ein undankbares Gefchöpfs ſei doch empfäng- 
lich für gute Kehren. Dank’ ed mir, wenn ich dir die Angen öffne.“ 

„Damit ich mich, wenn ich deinem Rathe folge, wie eine Wetters 
fahne bald rechts, bald links drehe, bald hierher, bald dorthin greife, 
um dad Glüd zu erhafchen?“ fagte Herr von Fernow; „aber meinet- 
wegen komm', du Haft Recht, wir befinden uns da nebenan viel bes 
Haglicher.* 

Damit fhob er feinen Arm unter den des Kanımerherrn, und 
Beide wandten ſich zum Weggehen. Bel diefer Bewegung glitten ein 
paar der Lafaien wie auf Schlittihuhen gegen die großen Flügelthüren 
des Nebenzimmers; biefe öffneten ſich geräufchlos vor ihnen und ſchloſſen 
fi) ebenfo wieder. Das Gemach in welhem fie fih num befanden, 
war in der That ein reicher und herrlicher Salon; die Wände waren 
mit grauem Seidenzeng bezogen, auf welchem Meifterwerfe der Malerei 
hingen; in den zwei Ecken gegenüber dem Fenſter fanden zwiſchen 
grünen Pflanzen und buftenden Bluthen Heine herrliche Marmorſta⸗ 
tuen, und vor dem Kamine aus weißem carrarifhen Marmor befand 
fi eine Art Meiner nieblicher fpanifcher Wand, das Geftell von Palis 
ander und die Felder ebenfalls aus ſchwerem grünen Seidenzeuge, 
auf welde Flächen eine kunſtreiche Hand zierliche Arabesten geftidt 
hatte. Auf dem Boden breitete fih ein dider Smyrnateppich aus, in 
den der Fuß des darauf Wandelnden ordentlich, einſant. — Das 
Amenbfement beftand ebenfalls aus dem gleichen Holz wie die ſpaniſche 
Band, und hier fah man Tifhe, Etageren mit koſtbar eingebundenen 
Büchern und Albums, Sefjel und Fauteuils der verſchiedenſten Größe 
und Geſtalt. In Allem aber, was ſich hier befand, herrſchte ein jo 
feiner und zarter Gefchmad, ein fo finniged Arrangement, daß unver 
tennbar der Geift und die Hand einer Dame hier thätig fein mußten. 


24 weites Kapitel 


Und fo war eb and. Dieſes Gemach verband den Speiſeſoal 
mit dem Appartement der Pringeffin Efife, der Schwägerin de Birg« 
lich verſtorbenen regierenden Herzogs. Die verwittwete Herzogix bes 
wohnte den füblichen Flagel des Schlofles, und im Parterreftod, wo 
unfere Geſchichte beginnt, waren die Gemaͤcher des Regenten, der, ein 
Onkel des verftorbenen Herzogs, im jegigen Angenblide das Haupt 
der Familie und ber Herrfcher des Randes war. Bir fagen: tm jete 
gen Augenblide; denn die verwittwete Herzogin befand fidh in interefe 
fanten Umftänden und die wichtige Frage war, ob bie arme, unglüc- 
liche Frau einem Prinzen oder einer Pringeffin das Leben geben 
würde; im erften Fall war ein rechtmäßiger Thronerbe da, im andern 
dagegen wurde der Regent dem falifchen Geſetz zufolge, vegierender 
Herzog des Landes. 

Daß unter diefen Berhättnifien der Hof in zwei große Parteien 
geſpalten war, ja, daß dieſe erbittert und feindlich einander gegenüber 
fanden, brauchen wir eigentlich eben fo wentg zu fagen, als mit welch” 
namenlofer Spannung Land und Hof ber Riederkunft der verwitt ⸗ 
weten Herzogin entgegen ſah. 

Während der Ordonnanzoffigier au's Fenſter trat, um jept and 
dem Gewühl auf dem Schloßpfaß einen Blick zu ſchenken, bfieb der 
Kammerherr an der gefchloffenen Thür ftehen, ſtemmte beide Arme in 
die Seiten und fagte, bedeutfam mit dem Kopfe nickend: . 

„So oft ich diefes Zimmer in der jegigen ſchweren Zeit betrete, 
fehe ih immer Ihre Durchlancht, die Pringeffin Elife vor mir, wie fie 
aufe und abwandelt und in ihrem Meinen, aber ehr gefcheuten Kopfe 
Blane und Entwürfe ansbrütet. Es ift ein Jammer, da fie eine 
Dame und fein Mann ift, ich fage dir, Selig, das iſt Jammerſchade. 
An ihr hätten wir einen ganz prachtvollen Herzog.“ 

„3a, ja, das wär dir fchon erwünfcht,“ entgegnete der Ordonnange 
offigter, „und dann brauchteft du nicht mehr Tange nach dem Glück zu 
greifen. Die Pringeffin will dir außerordentlich wohl,“ . 

„Richt außerordentlich; — doch Tennt fie meine Anhänglichkeit.“ 


Ein Meiner Papierftreifen. 235 


„Das ift aud eine von den böfen Gefchichten an diefem Hofe. 
Man weiß in der That nicht, zu wem man haften foll. IR man dort 
zu freundfih, macht man ſich hier mißfiebig, oder umgefehrt. Weißt 
du and,“ fuhr Herr von Fernow fort, indem er ſich raſch herum⸗ 
wandte, „was ich davon habe, dag ich ala Ordonnanzoffizier im Bors 
zimmer Seiner Hoheit ftehen darf?“ 

„Run, was wirft du davon haben?“ 

„Davon habe ih, dag mich Ihre Durchlaucht, die Prinzeffin 
Eliſe, nicht allzu freundiich behandelt. — Run, das wechfelt, und ließe 
fich am Ende noch ertragen; aber glaubft du wohl, Eduard, daß Das 
and auf mein Verhaͤltniß zur —“ der Rammerberr fah fragend und 
mit einem eigenthümlichen Lächeln in die Höhe, — „Nun ja, Ber 
haͤltniß follte ich eigentfich nicht ſagen; ich meine, daß diefe Ungnade 
auf meine Liebe zu Fräulein von Ripperda bedeutend influirt. — 
Schuttle nicht deinen blonden Kopf; — alle Teufel! ich weiß, was 
ich fühle und ſehe. — Nicht wahr, der Oberftjägermeifter wurde eigens 
zur Partie nach Eſchenburg eingeladen, obgleich er nichts dabei vers 
Ioren hätte. Ich Habe eigentlich nicht nöthig ed Dir zu fagen, umfiche 
tiger Kammerherr, Wenn man einen armen Orbonnangoffizier prote⸗ 
giren will, fo braudt man nur nad dem Frühſtück ungefähr fo zu 
foregen: Sie werden doch auch mit und reiten? — Hätte das die 
Pringeffin Eliſe gefagt, fo wäre id} vor den Megenten hingetreten und 
Hätte ihm zu verftehen gegeben, ich fei zur Partie befohlen worden.“ 

„Daran iſt was Wahres; doch warft du vielleicht gegen die Prin- 
zeffin nicht liebenswürdig genug; oder haft dem Sberftjägermeifter 
boudirt, oder gar zu füße Augen gegen Fräulein von Ripperda ges 
macht. Das war vielleicht ein Augenbfid des Glucks, den du vers 
fäumt.“ 

„Hol' did der Teufel mit deinen Augenblicken des Glücks!“ ents 
gegnete unmuthig ber Offizier, „wenn es fo ſchwer ift, daſſelbe zu 
faſſen — fo werde ich e8 niemals erlangen,“ feßte er ſeufzend Hinzu. 

Der Kammerherr wadelte mit dem Kopfe hin und her, wie eine 


2% Bweites Kapitel, 


indiſche Pagode. „Hm, hm,“ machte er; „ja, ja, freilich, freitich. Ich 
fage dir, Felix, in den merkwürdigen Berhäftnifien, in denen wir und 
‚grade befinden, Tönnte das Glüd wohl geneigt fein, ſich diefem oder 
jenem völlig zudringlich zu nähern. Man muß nur Hug fein und 
feine Fehltritte tun.“ 

„Bas die Klugheit anbelangt, — da ſteh' ich Dir allerdings nach. 

„D, du verftehft ja auch deinen Vortheil.“ 

„Nicht befonders. Soll id dir wiederholen, was id meinem 
Stande, meinen Jahren nach fein könnte, und was ich bin?“ 

Der Andere zudte mit den Achfeln. 

„Allerdings,“ fagte er nach einer Paufe; „aber warum,“ feßte er 
mit Teifer Stimme hinzu, „biſt du nicht ſchon längſt meinem 
Bine gefolgt und Haft deine volle Ergebeneit der Herzogin zu Füßen 
gelegt?“ 

„Bor allen Dingen bin ich Soldat und Dffizier,“ antwortete Herr 
von Fernow verdrieflih, „und ald folder kann ich nur Einen Herm 
anerkennen.“ 

„Gott bewahre und auch vor zweien!“ 

„Seine Hoheit, den Regenten, meinen Zürften und General. — 
Wenn du aber deßhalb glaubft,“ fuhr der Offizier fort, indem er auf ! 
etwas verächtliche Art den Kopf zurüdwarf, „ich miſche mid aus dies 
fem Grunde in eure Intriguen, und fel zu dieſem Zweite bereit, für 
eine ober die andere Partei zu arbeiten, fo irrft du Dich ganz gewaltig. 
Ich thue meinen Dienft und laſſe au mic kommen, was kommt.“ 

„Benn ich als Freund zu dir fprechen darf, fo wählft du auf 
diefe Art die gefährlichfte Stellung. Das Getreibe an einem Hofe 
gleicht einem Mühfwerte, Willſt du nicht zerrieben werden, fo mußt 
du felbft mitrelben. Um über den Parteien zu eben, dazu find wir 
zu unbedeutend; der Plag zwiſchen den Parteien iſt, wie gefagt, zu 
gefaͤhrlich; alfo mäffen wir und ſelbſt für eine Partei entfheiden.“ 

„In deinen Worten liegt ein Körnchen Wahrheit; aber wozu fol 
ich mich entfheiden? Wie ich Dir ſchou gefagt, bin ich der Offigier des 


Ein Heiner Papierſtreifen. 27 


Regenten, und was bie allerdings mächtige Partei der Prinzeffin an⸗ 
belangt, fo —“. 

nBietet fie dir nichts Lodendes?“ fragte der Kammerherr mit 
einem lauernden Blicke. 

„O davon ſchweige mir!“ rief heftig der junge Offizier, um ſie 
zu gewinnen, fönnte ich mic am aflerwenigften dazu entfchließen, ein 
Parteimann zu werden. Wenn auch die Liebe gern im Berborgenen 
wãchſt und blüht, fo haft fie doch alle Winkelzüge, nach meiner Anſicht 
nämlich. Ich werde nun noch eine kurze Beit geduldig abwarten und 
dann ſchon erfahren, wie die Freundlichteit, mit der Fräulein von Rip 
perda meine Meinen Bewerbungen aufnahm, gemeint war. Spricht ihr 
Herz nicht für mich, nun gut, was kaun id) thun? — Ich muß ver- 
geilen. — — Etwas Anderes wär’ ed freilich,” ſetzte er lebhafter Hinzu; 
„wenn man von Seiten Ihrer Durchlaucht, wie ich fat fürchte, gegen 
mid) in diefer Angelegenheit zu wirfen befchlöffe. — I man mir fonft 
nicht gnaͤdig gefinnt, was thut's? Ich diene fo lang ich kaun, und — 
gehe dann auf meine Güter.“ 

„Auf deine Güter?“ feagte der Kammerherr mit einem eigenthüms 
lichen Lächeln. 

Kennſt du denn nicht mein Landhaus auf Bergeshöh' mit den 
fruchtbaren Zändereien und prachtvollen Waldungen, die ich rings um- 
ber, fo weit dad Auge reicht — überfehen kann? — Will man aber, 
am ernftlich zu reden, Gott weiß zu welchem Zwecke, das junge Mäd- 
hen beftimmen oder überreden, fi) von mir abzuwenden, — dann 
freilich — damı ...“ 

„Daun wärft du vielleicht doch im Stande, did) einer Partei an 
zuſchließen,“ fagte der Kammerherr, und wenn auch in diefem Augen- 
blicte dad und befannte freundliche Lächeln feine Rippen umfpielte, fo 
warfen doc) feine Augen einen-fo lauernden Blick herüber, der jedem 
andern, welcher minder unbefangen gewefen als der junge Offizier, aufe 
gefallen wäre. 

„In dem Falle freilich,” entgegnete feſt und beftimmt Here von 


28 Zweites Kapitel, 


Fernow. „Ich fehe dein Lächeln umd weiß, was es fagen will. Aber 
glaube mir, thenerfter Rammerherr, habe ich einmal Partei ergriffen, 
fo Hafte ich feſt dazu, fiege mit ihr oder gehe mit ihr zu Grunde.“ 

Rach diefen Worten warf er den Säbel in den Arm und- ging 
einmal im Zimmer auf und ab. Als er wieder zu feinem Gefährten 
kam, fahte er leicht deffen Arm, nöthigte ihm fo, den Spaziergang mit 
ihm zu wiederhofen und fagte während des Auf- und Abfchreitens in 
feinem gewöhnlichen freundlichen Tone: 

⸗Siehſt du, es taugt nicht einmal, über Parteiangelegenheiten zu 
reden. Da hätte bald unfer Geſpräͤch eine unverhoffte, ernfte Wendung 
genommen. Xaß mid; lieber noch einiges Hören von deinen Anflchten 
über das Glüd, das ift amufanter und man lernt vielleicht etwas 
dabei,“ 

Während Beide fo dahinſchritten, Tamen fie am einem Meinen 
Tiſchchen vorbei, das mitten im- Zimmer fand und auf welchem fih 
in einer reichen Vaſe ein überaus prachtvolles Bouquet von frifchen, 
lebenden Blumen zeigte. So oft fie bei dem Tiſchchen voräberfamen, 
neigte ſich Herr von Fernow darüber Hin, um etwas don dem föftfichen 
Dufte einzuatämen. 

„Bas Hilft e8 mir, wenn ich dir auch meine Theorien vom Augen 
blicke des Glücs wiederhole? Du bift ein Ungläubiger, dem in dieſem 
Punkte nicht zu helfen iſt.“ 

„Möchte mich aber gar zu gern belehren laſſen,“ entgegnete Herr 
von Fernow lachend; „ich verfichere dich, Eduard, du Haft einen mäch⸗ 
tigen Drang in mir erwedt, das umherſchwebende Glüd zu erhaſchen. 
Ich werde jeht raſtlos um mic, ſchauen und ſelbſt im allergewöhnfide 
ften Gedränge meine zehn Finger immer zum unverhofften Händedruf 
varat halten, ich werde den Worten alter Staatsräthe und noch älterer 
Hofdamen Taufchen, ich werde Gräfinnen aus dem vorigen Jahrhundert 
zum Tanz auffordern, ich werde — —“ 

„Du wirſt über mich fpotten,“ fagte der Kammerherr mit feinem 
unvergleichfichen Lächeln, „und doc habe ich Recht. Thue, wie du ger 


Ein Meiner Papierſtreifen. 29 


ſagt; ein wirbiger Staatsrath, dem du vielleicht durch deine liebens- 
würdige Unterhaltung eine Viertelitunde tödtlicher Langeweile verjagft, 
tann dic als einen der gebildetiten und geiftreichften Gavaliere dem 
Kriegöminifter empfehlen; eine alte Gräfin, der du in ihren vorgerüdten 
Jahren nod das Vergnügen eines Walzers verſchaffſt, kann mit dem 
Regenten, Gott weiß wie, zufammenhängen und ihm eines Tages fagen, 
es fei eine wahre Schande, daß man dic) noch nicht zum Major habe 
avanciren laſſen. — In der That, was du im Scherz fagteft, glaube 
ich im Ernſt. Die Hauptfache ift: nur den richtigen Augenblick nicht 
verpaßt, und du haft das Gfüd in deiner Hand. Es naht und oft in 
gar fonderbaren Verkleidungen; ich habe einen Freund, der viel auf 
meine Theorien hielt und der feine Gelegenheit vorübergehen Tief, das 
Glũck zu erfafien. Eines Tages fieht er vor irgend einer Kirche eine 
alte, fchäbige Landkutfche in ftrömendem Negen ftehen, und bemerkt 
eine Heine Damenhand, die. ih) unter dem Leder hervor vergeblich bes 
müßt, den Schlag zu Öffnen. Er eilt Hinzu, reißt die Wagenthür auf, 
eine junge Dame fteigt aus, er begleitet fie unter feinem Regenſchirm 
bis in die Kirche und nachher wieder an ihre alte Kaleſche. Siehft 
du, Felix, in dem Augenbfid, da er den Schlag öffnete, hatte er das 
Süd erfaßt. Das Mädchen war eine immenfe reiche Erbin und iſt 
jegt feine Frau.“ 

„Das ift allerdings ein ſchoͤnes und lehrreiches Beiſpiel.“ 

„O, ich weiß noch viel interefantere, wahrhaft erſchreckende. In 
dem töniglichen Schloffe zu €. ftand gegen das Ende eines Balles ein 
junger Rammerjunfer, der fehr viel getanzt hatte und müde war, ande 
ruhend in einer enftervertiefung. Es wäre gern nach Haufe gefahren, 
eigene Cquipage hatte er feine, und ich fann dir auch wohl geftehen, 
daß es ihn einigermaßen in Berlegenheit gebracht hätte, fih eine 
Voiture de remise anzufhaffen, ja es wäre ihm das im damaligen 
Augenblide faft unmöglich; geweſen. Da die Fenfternifche, in der er 
Rand, fehr tief, auch Niemand von Bedeutung in der Nähe war, fo 
Öffnete er behutſam eine bewegliche Scheibe in dem großen Fenfterflügel 


30 Bweites Kapitel. 


und ſtreckte die Hand hinaus, um ſich zu überzeugen, ob es noch regne. 
Allerdings fühlte er auch ſchwere Tropfen auf feine Hand fallen, als 
er aber diefe eben wieber hereinziehen wollte, fühlte er noch etwas ganz 
anderes; ein Stückchen falten Metalls berührte feine Finger und als 
er diefe ſchloß, hielt er einen Schlüffel, an den mit einem einen ſei⸗ 
denen Bande ein Papier gebunden war. — Wie gefällt dir das?“ 

Bet diefen Worten bfieb der Kammerherr ftehen, ſchmunzelte vers 
gnũgt und ſtieß mit dem ausgeſtreckten Zeigefinger den jungen Offizier 
leicht auf die Bruſt. 

„Richt fo übel,“ fagte diefer. 

„Bas du in dem Zalle gethan Hätteft, weiß ich nicht⸗ fuhr Herr 
von Wenden fort; „der Kammerjunker, der ein entfchloffener junger 
Mann war, bedachte fih nur eine Sekunde zog den Schlüffel fachte 
am ſich, Löfte die Schnur nnd bemerkte uoch, wie diefe aladann lang⸗ 
fam in die Höhe gezogen wurde.“ 

„Ein Augenblid des Glüdes!“ meinte lachend der Ordonnanze 
offizier. 

„Ein colofjaler Augenblick! Was auf dem Papier, das den Schlüffel 
umgab, eigentlich ftand, Hat man nicht recht erfahren; genug der Kam ⸗ 
merjunfer wurde in furzer Zeit Kammerherr, fam in die dipfomatifche 
Garriere, heirathete nicht fange darauf eine vornehme, wenn auch etwas 
ältere Dame und iſt jegt Gott weiß wo, Gefandter. Verſtehſt du die 
Moral melner Geſchichte ?“ 

„O, ich verſtehe die Moral vollkommen und werde jetzt nach Ber 
endigung jedes Hofballs, oder wo es nur ſonſt paſſend erſcheint, meine 
Hand zu irgend einem Fenſter hinausſtrecken.“ 

Er hatte das mit einem leichten Anflug von Ironie gefagt, den 
der Andere wohl verftand, und als fie gerade bei dem Meinen Tifche 
hen waren, auf dem ber koſtbare Blumenftrauß ſtand, blieb der Kam⸗ 
merherr ftehen, ſchuttelte Teiht den Kopf und fagte: 

„Trotz aller meiner fhönen Lehren bift du unverbeſſerlich.“ 

„Rein, nein, In der That!“ antwortete der Orbonnangoffigier, „du 





Ein kleiner Papierftreifen. 3 


thuſt mir Unrecht. Ich fange an, deinen Theorien zu glauben. Nur 
Haft du mir ja früher ſchon zugegeben, daß @lüd dazu gehört, das 
Süd zu erfaffen. Ich gfaube, ich önnte meine Hände ausſtrecken nach 
den Bagenthären aller fchäbigen Landkutſchen, zum Fenſter hinaus, fo 
oft ich wollte, mir würde nichts in die Hand fallen.“ 

„Bis der richtige Augenblick des Glucs erſcheint,“ entgegnete der 
KRammerherr mit aufgehobener Hand. „If der aber gefommen, fo ger 
nügt dem Glüd der allerunfhuldigfte Gegenftand, um bir, wenn auch 
verborgen, entgegenzutreten. Ich geftehe bir, es liegt was Aengftliches, 
etwas geifterhaft Unheimfiches in dem Glauben an meine Theorie; 
aber ich halte ihm feſt und unerfchätterlih und hege die volltommenfte 
Meberzengung, daß ich, wenn einmaf der richtige Augenblick gefommen 
ift, das Gluck erfaflen werde, ſei es bei gimer alten Landkutſche, fei ed, 
daß ich meine Hand zum Fenſter hinausſtrecke, fei ed, indem ich mit 
meinen Fingern, wie ich jegt thue, in diefes Blumenbouquet faſſe. — 
— Bie gefagt, iſt der rechte Moment gefommen, fo ift dort mein 
Städt verborgen, und — — — — ich — halte — es.“ — — — 

Der Ordonnanzoffizler hatte feinen Gefährten laͤchelnd augeſchaut, 
als diefer in einer wahren Extafe den eben erwähnten Sap ſprach bis 
zu den lehten Worten. Als er aber dad: „Ich halte es“ mit fo 
plögfich verändertem Tone fagte, kaum vernehmlich, da konnte Fernow 
nicht umhin, jenem verwundert in das Gefiht zu biiden, dem die 
ohnedies blaſſen Wangen des SKammerheren wurden faſt erſchrecdend 
bleich, als er die Hand in das Blumenbouquet hineindrüdte, und dar⸗ 
auf flammte eine tiefe Röthe bis zu feinen Augen empor. 

Zum Teufel, was gibt es denn?“ fragte bei dieſem Anblick Herr 
von Fernow, „Haft du did; beim Ausüben deiner Theorie an einem 
Dorn gerigt, ober was ift gefchehen?“ 

Herr von Wenden hatte unterdeffen die Hand aus dem Bouquet 
wieder hervorgezogen und fagte, indem er mühfam lächelte: „Ber weiß, 
ob ich nicht im Stande bin, diefe meine Theorie an mir felbft zu 
beweifen!" 


32 Zweites Kapitel. 


„So haft du das Glüd erfaßt?“ rief lachend der Offizier. 

„Ber weiß? Bor der Hand nur ein Meines Papier, forgfäftig 
zufammengeroft, und nicht ohne Abfiht am Stiele einer Rofe ver 
borgen.“ 

„Bah! eim Papier! Ich fürchte, du wirt mir deinen Beweis 
ſchuldig bleiben. Das ift wahrfheintich ganz abfihtslos da hinein 
getommen.“ 

„Bei Hofe geſchieht dergleichen nie abſichtslos.“ entgegnete der 
Kammerherr, indem er ſich bemühte, den Streifen aufzuwickeln. „Sehen 
wir erfi, ob etwas darauf geſchrieben iſt.“ 

„Natürlich. Das iſt die Hauptſache. — „Run?“ 

— — — — Keine Silbe.“ — „Das ift ein fhönes Glück“ 

Das Bapier, ein Meiner kaum fingerlanger und ebenfo breiter 
Streifen, war in der That unbefchrieben. Herr von Fernow und viel 
leicht mandjer Andere hätte ihn für eine Phantafie des Gärtuerd ge 
haften und unbeachtet auf die Seite geworfen; der umfichtige Kam⸗ 
merhere aber gab das vermeintliche Glück nicht fo leicht aus der 
Hand. Gr drehte den Papierfreifen nad) allen Seiten, betrachtete feine 
Ränder, ob ſich dort nicht vieleicht Cinſchnitte befänden, die etwas zu 
bedeuten hätten, und als fid gar nichts dergleichen zeigte, hielt er ihn 
zum Iepten Verſuch ausgefpannt gegen das Tageslicht. 

„Run,“ du findeft nichts?“ fragte der Ordonnangoffigier, und da 
er in diefem Angenblid an dem Zenfter ftand, fo betrachtete er von 
feiner Seite den Meinen Papierftreifen ebenfo genau. Hätte er feine 
Augen nicht fo feit darauf gerichtet gehabt, fo würde er vielleicht bes 
merkt haben, wie über die Büge feines Gefährten etwas wie ein helles 
Licht fuhr, etwas, wie ein Blig, wie eiu ‚freudiger Glanz, das aber 
ebenfo ſchnell verfhwand, wie es gelommen und nur eine, wenn auch 
affestirte Gfeic;güftigfeit auf den Zügen zurüdtieß. 

„Bie gefagt, nicht die Spur,” fagte der Kammerherr nad) einem 
augenblidlihen Stilfehweigen: „e® ift in der That möglich, daß ich 
mich geist Habe.“ 


Ein Heiner Papierftreifen. 33 


„Im dem Papier?“ 

„Ich glaube wahrhaftig, du Hatteft Recht. Irgend eine Spielerei 
des Gärtnerd.“ 

Darauf nahm er das Papier Ieiht zwiſchen die Finger und rollte 
es forgfältiger wieder zufammen ald — die Spielerei eines Bärtner- 
burſchen vielleicht verdient Hätte. Das mochte aud der Drbonnanz- 
offigter denfen; doch hielt er ed mit einem Male für befier, er wußte 
ſelbſt nicht warum, diefem Gedanken feine Worte zu leihen, fondern 
warf nur feicht hin: 

„Und willſt du es wieder an feinem früheren Play zwifchen die 
Blumen verbergen?” 

„Barum nicht?“ fagte der Kammerherr mit einem leichten Achfels 
zuclen, „entweder iſt es, wie ſchon gefagt, die Spielerei irgend eines 
Garinerburſchen oder ed iſt vieleicht duch ein unſchuldiges Zeichen für 
jemand anders, das und durchaus nichts angeht, Man muß Nie 
mandem feine Freude verderben.“ 

„3a, man muß Riemandem feine Freude verderben,“ wiederholte 
Herr von Fernow, und dabei fah er lächelnd und anfcheinend ganz 
gletchgäftig zu, wie der Kammerherr aufs Sorgfältigfte das zuſammen- 
gerollte Papier wieder an den früheren Pla brachte. 

Mochte nun der Drdonnanzoffizier feinen Freund als einen fchlauen, 
bereihnenden und verſchwiegenen Meuſchen fennen, oder Hatte er doch 
etwas von dem leuchtenden Blick bemerkt, der den Augen des Kanımers 
bern entftvahlte, als diefer den Papierftreifen gegen das Licht hielt, 
oder, was auch wahrſcheinlich ift, war ihm die Sorgfalt, mit welder 
Herr von Wenden dad — ganz gewöhnliche Stüdchen Papier wieder 
an feinen Pla brachte, verdächtig vorgefonmen: genug, er ftüßte ſich 
mit der Hand auf das Tiſchchen, fein Gefiht nahm einen ernften, 
nachdenfenden Ausdruck an, aber nur eine Sekunde Tang, — dann 
fang er zwei Takte eines befannten Liedes leiſe vor fih Hin, ſtrich den 
ſchwarzen Bart leicht zu beiden Seiten Hinaus und fagte mit einem 
ſcheinbar freundlichen, aber fehr forſchenden Blick auf fine Gefährten: 

Hadiänders Berke, XXL. 


34 Zweites Kapitel. 


„Du bift gewöhnlich ein fo umfihtiger Menſch, Eduard; aber 
entweder du verfchmeigft mir deine Gedanfen oder du haft in der That 
nicht daran gedacht, daß das Papieren doch vielleicht eiwas bedeuten 
önnte, was zu erfahren, wenn es auch fein großes Glüd für uns 
wäre, und doch einen guten Spaß machen könnte.“ 

Der Kammerherr zog feine Augenbrauen in die Höhe umd neigte, 
wie abwehrend feinen Kopf auf die rechte Seite, wie Jemand, der einen 
Vorſchlag unbedingt verwerfen will. 

„Rein, nein,“ meinte er alödann; „wenn irgendwo ein Spaß da 
mit bezweckt ift, was geht Dad und an? Man muß Niemandem feine 
Freude verderben. Anh,“ ſehte er nach einer Panfe hinzu, „möchte 
ich in der That wiſſen, wie wir erfahren joflten, wer mit dem Papiers 
ftreifen gemeint tft?“ 

Dies letztere ſprach er mit einem ſeltſam Iduernden Blicke. 

‚Herr von Fernow hatte diefen wohl bemerkt; doch mochte es in 
feiner Abficht liegen, ganz unverhohfen feine Gedanken auszuſprechen, 
denn er entgegnete, ohne irgend welche Bewegung auf feinem offenen 
und ehrlichen Geſichte: 


„Run, wenn dir das nicht einfällt, jo laß dir dein Leprgeid au | 


ruckbeahlen, welches dich deine Garriöre bei Hof gefoftet.“ 

„3ö) weiß in der That nicht,“ — ſprach der Kammerherr; doch 
ging fein lauernder Blick in einen faft ängſtlichen über. 

„Run, fo einfach, wie mir je im Leben etwas vorgefommen! 
Dort in dem Blumenbouquet fterft das fragliche Papierchen, welches, 
wie du gefagt, weder Schrift, noch Zeichen enthält.“ 

„Weder Schrift, noch Zeichen.” 

„Gut. Aber e8 kann an und für ſich ein Zeichen fein, ein Zeichen, 
das Giner dort verftet hat, damit ein Anderer es finde. Menn der 
es aber finden will, muß er es fuchen. Alfo haben wir Beide nichts 
Ginfacheres zu thun, als Achtung zu geben, wer fih mit dem Blu 


menbouquet auf eine auffaflende Art befchäftig, — enfin, wer dat | 


Papierchen an-fid nimmt,“ 





Ein kleiner Papierftreifen. 35 


„Bei Gott! da haft du Recht!" rief der Kammerhert mit erfüns 
ſteltem Erſtaunen; doch big er fid gleich darauf in die Rippen, und 
ed war ihm offenbar unangenehm, daß der Andere einen Gedanken 
ausſprach, den er ſchon fange gefaßt. 

Im diefem Augenblicke trat der dienftthuende Kammerherr aus ben 
innern Gemächern der Herzogin und meldete dem Herrn von Wenden, 
daß die Wagen Ihrer Hoheit fo eben am der Hintern Seite des 
Schloffes angefahren fein. Diefer zug feine Uhr hervor und warf 
einen Blid darauf. 

„Halb feche,“ ſagte er; „eine halbe Stunde Toilette; wir werden 
um ſechs Uhr fpeifen.“ ” 


Drittes Kapitel. 
Diner bei Hofe. 


Das herzogliche Schloß, welches noch vor Kurzem wie träumend 
in ber feierlichen Stille eines Sonntags-Nahmittags dalag, hatte fih 
feit der Anfahrt der Wagen der Pringeffin, die von Eſchenburg zurüds 
kehrten, außerordentlich belebt. Mit ihrem Gintritt und dem ihres 
zahfreichen Gefolges ſchien die jchläfrige Langeweile, welche bisher in 
den Gorridoren und Sälen herrſchte, mit einem Male verfhwunden. 
Die Lataien in den Vorzimmern fagen nicht mehr träumend auf den 
Banquets, fondern gingen mit erhobenen Kopfe aufmerfjam umher, 
Reichen fich ihre Haarfrijuren zurecht, zupften an ihren weißen Halt» 
binden und waren ganz andere Menfchen geworden. Der Vogel vor 
dem Zenfter war davon geflogen, die ſchlummernde Katze hatte das 
Beite gefucht, und der Dragoner im Veſtibule vor den Zimmern 
Seiner Hoheit ſchritt fo energifch auf und ab, daß Säbel und Sporen 
tlirrien. Im vordern Schloßhofe fuhr ein Wagen nach dem andern 





36 . Drittes Kapitel. 


an, auf den Treppen hörte man feife Schritte, auch klitrende Sporen, 
einen vefpectvollen Huften und Das halbunterdrůckte Lachen verſchiedener 
Hoffräufen. Neben dem Salon, in melden fi) der bemertenswertha 
Biumenftrauß befand, war von dem Kammerbiener geräuſchlos noch 
ein weitered Gemach, gegen das Appartement der Herzogin zu, gedff⸗ 
net worden, und diefe beiden Zimmer fülten fi) nach und nach mit 
denen, welche heute das außerordentliche Gfüd hatten, zur Tafel gelas 
den zu fein. 

Da fah man zahlreiche und fchöne Damen, deren weißer Teint 
noch beſonders hervorgehoben wurde durch die ſchwarzen Kleider, welche 
die Trauer um ben verſtorbenen Herzog vorfhrieb; wenige der Jüng⸗ 
Ren hatten ed gewagt in ihrem Haar oder an ihrem Schmude freunds 
fichere Nuancen anzubringen und die einfachen Trauerkleider irgendwie 
auszufhmüden. Was aber die älteren Damen anbetraf oder Die An 
gehörigen des Hofes, fo fah man an ihnen nur Schwarz und Weiß: 
ja, einige alte Hofdamen, die in den langen Jahren ihrer Dienftzeit 
fon mande Trauer mitgemadht Hatten und in diefem, fowie in vielen 
andern Fällen mehr zu thun pflegten als der ftrengfte Oberfthofmeifter 
vorfägreiben Tonnte, ließen nicht die Spur von Glanz und Weiß fehen, 
feIÖR ihre Augen Hatten eine melandefifhe gelbe Farbe, ihre Win 
pern waren beftändig niedergeſchlagen, der Mund feit verſchloſſen, und 
ie Augen befhatb. fein Zafeentudh, weil eines von fÄmasger Barbe 
feider noch nie dageweſen war. — Mit vieler Indiseretion verficherten 
Dagegen ein paar nafeweife Kammerjunfer, die alte Oberſthofmeiſterin 
bedlene ſich bei dergleichen Veranlaſſungen ſogar eines Trauercorſetts. — 
Bei den Herren ſah man die allgemeine Trauer nur an den fehwarzen 
Hanbfäuhen und einem leichten dlor um ben Arm, denn ber ſchwam 
rat erleidet ja feine Veränderung und ift beftändig cher ein Gr 
wand der Trauer als der Freude zu nennen. Wohlthuend waren bie 
zahlreichen glänzenden Uniformen gzwiſchen ben vielen ſchwarzgekleideten 
‚Herren und Damen. . 

Wenige Minuten vor ſechs Uhr öffnete fich die Thür, welche zu 


| 





Diner bei Hofe 37 


den inneren Gemächern der Prinzeffin führte, und als diefe heraustrat, 
hinter ihr Se. Hoheit der Regent, verflummten bie flüfternd geführten 
Geſpraͤche und man hörte nichts, als das Rauſchen der Damenkleider 
bei der allgemeinen tiefen Verbeugung, "die nun erfolgte, fowie das 
leichte Klirren der Sporen, wenn ſich die Abfäge der Offiziere vor» 
ſchriftsmahig zufanmenfanden. 

Die Prinzeffin Elife war eine ganz eigenthümliche Erſchelnung. 
Bei einer Prinzeffin it das Alter nicht gut zu verfchweigen; der offiziell 
Indiöcrete gothaiſche genealogifche Kalender ſorgt fhen dafür, dag und 
die Geburtötage fänmtlicher höchſten und allerhöchften Damen nicht 
verborgen bleiben; er entdeckt und alfo auch, daß die Pringeffin Eliſe 
ſechsundzwanzig Jahre alt war. Ihre Geftalt mußte man Mein nens 
nen. Sie war zierlich gewachſen, hatte eine tadellofe Taille und eine 
veigende Art, ihren Kopf auf den Schultern’ zu tragen. Diefer Kopf 
befaß volle blonde Haare, die leicht und grazids coffirt waren und 
zeigte ein Gefiht, von dem man tm erften Augenblicke nicht wußte, 
fühfte man fi von ihm angezogen oder abgeſtoßen. Die Prinzeffin 
war feine Schönheit; fie hatte nicht einmal regelmäßige Züge, aber 
die Augen glängten voll Geift, und unter der Meinen, fait ſtumpfen 
Nafe fah man einen Mund, der wie zum Lachen erfchaffen fehlen, und 
wenn er lachte, Meine, aber biendend weiße Zähne zeigte. 

Hatte man ſich aber an das Geſicht der Prinzeffin einmal ger 
wöhnt, fo fand man es anziehend und reizend, namentlich durch die 
Zartheit der einzelnen Partien, beſonders aber duch die Fülle. von 
Geift und — Bosheit, die aus den dunfelblauen Augen leuchtete. 
Und diefer Ausdrud der Bosheit, — wohlverftanden im guten Sinne, 
man fönute alfo fagen, der Schelmerei — verrieth das Junere der 
Dame. Dabei hinkte fie einwenig, umd grade diefer Fehler war ed, 
der ihrer ganzen Figur etwas außerordentlich Pikantes verlieh, denn 
fie wußte das durch ein eigenthumliches Hins und Herwiegen ihres 
Meinen Körpers fo geſchict zu verbergen, fie wandte fh im Geſpräch 
fo raſch bald rechts, bald links, und dabei ſchoßen ihre Augen fo 


38 “ Drittes Kapitel. 


durchdringende Strahfen nach allen Seiten, daß man von der ganzen 
Erſcheinung überrafht, ja geblendet war. 

Im Vertrauen fagten ſich die älteren Herren des Hofes, daß die 
Pringeffin ein lebbafter, allerliebſter, Heiner Kobold fei; daf niemand 
fo feidenfchaftlih und mit fo vielem Gefchid intriguire , wie fie, und 
daß es ihre größte Luft jei, Land und Lente, um und eines gewöhn« 
lichen Ausdruds zu bedienen, hintereinander zu bringen. Jüngere Min» 
mer, die vielleicht au tief im dies glänzende Auge geblidt, oder bie 
ſich von dem Geijt der Pringeffin mächtig angegogen fühlten, verſicher⸗ 
ten fenfgend, fie fei, wie der Meine boshafte Gott Amor, der feine 
Pfeile nach allen Richtungen Hin verfhiege, um ſich hernadh über 
das Uebel, dad er angerichtet, luſtig zu machen. 

Dabei war fie frei von jeder Biererei, und troß des Fehlers an 
ihrem Fuß veritand es feine der übrigen Damen, fid) jo ungezwungen 
und elegant, wie fie, in dem größten Salon zu beivegen. Für Alles, 
was in ihrer Anmwefenheit geſchah oder geſprochen wurde, ſchien fie ſich 
wenig zu interefiren, und doch entging nichts ihrer Aufmerkfamfeit, 
wobei fie es aber verftand, den erniteiten Geſprächen eine ſcherzhafte 
Wendung zu geben und fo die Unbefangenen glauben zu machen, fie 
fei gar nicht im Stande, ſich für wichtige Dinge ernftfich zu intereffie 
ven. Aber, wie eben gefagt, nur die Umbefangenen waren dieſer An⸗ 
fiht. Wer den Hof genauer fannte, wußte, daß die Prinzeffin Elife, 
fo fange ihr Schwager, der verftörbene Herzog lebte, das eigentliche 
Haupt der Regierung. war. Daher hatte fie es aud bitter empfunden, 
als nun der Onkel des hochfeligen Herrn, dem Zamifienftatut gemäß, 
die Zügel der Regierung ergriff, und fräftig feinen geraden Weg ging, 
ohne fih durch die Intriguen der Pringefiin beirren zu laſſen. Schlau, 


wie fie war, hatte fie auch augenblicklich ihre ganze Handlungsweiſe 


geändert, ftellte fih mit dem Regenten jcheinbar auf einen fehr guten 
Fuß, Müpfte aber unter der Sand nad) allen Richtungen ihre geheimen 
Fäden am, um fih eine mächtige Partei des Hofes geneigt und dienſt ⸗ 
bar zu erhalten. Wohl niemand fah der Entbindung ihrer Schwefter 


Diner bei Hofe 39 


mit fo peinlicher Spannung entgegen, wie jie. Ward diefer ein Sohn, 
ein Thronerbe gefchentt, fo hieß es nur ruhig eine Reihe von Jahren 
abwarten, um dann aufs Neue die Zügel der Regierung zu ergreifen, 
was der Pringeffin um fo leichter wurde, als die verwittwete Herzogin, 
obgleich die ältere Schweſter, eine ruhige, ftille und lenkbare Frau war. 
Obgleich es die Pringeffin liebte, mit den geiſtreichen, jowie auch 
mit den eleganteften Männern des Hofes im fortwährenden ſcherzhaften 
Meinen Kriege zu leben, einem Kriege, der aber für beide Theile leicht 
gefährlich werden konnte; obgleich fie fih in jeder Beziehung mit der 
größten Freiheit bewegte und, von Haufe aus ungeheuer reich, fo zu 
fagen ihre, eigene Hofhaltung Hatte, obgleich fie viel in felbitgemählten 
Kreifen lebte und fih ihre Meinen Gefellibaften und Partien ganz nach 
Gutdünfen und mit größter Freiheit zufammenitellte, fo wußte doc die 
ſchlimmſte aller ſchlimmen Zungen bei Hof in der angedeuteten Richtung 
über das Leben der Prinzeffin nicht das geringfte Nachtheilige auszuſagen. 
Hinter der Prinzeffin trat ber ‘Regent in den Saal, ein großer, 
eher ſtatker als jchlanfer Mann, zwiſchen vierzig und fünfgig Jahre 
alt, mit einem offenen, Zutrauen erwedenden Geſichte, dem bie ges 
wölbte Stirn mit den dunkeln Augenbrauen, darunter der lebhafte 
Blick des Auges, vor Allenı aber ein gewifler, nicht unliebenswürbiger 
Fe um den Mund einen ſtarken Ausdrud von Entſchloſſenheit und 
ft gaben. Hätte ih Das ehemals dunkle Haar nicht hie und da 
mit einem leichten, grauen Schimmer bededt, fo würde man den Res 
genten für jünger gehalten haben als er in der That war. Gr ſprach 
ehr bedächtig und mit Nachdruck, und ebenfo waren alle feine Bewer 
gungen, feßtere übrigens mehr aus Zwang und Angewöhnung, was 
daher kant, dap ihn — er hatte längere Zeit in fremden Kriegädiene 
sten geitanden — der Stich eines Lanzenreiters ziemlich ſchwer an der 
Hüfte verwundet hatte, wovon, wenn aud feine Lähmung, doch fo 
viel zurüdgebfieben war, daß der Regent fid) langſam wenden, übers 
Haupt vorſichtig bewegen mußte, um feine Schmerzen zu empfinden. 
Unter den Damen der Pringefiin befand ſich ein noch ziemlich 


40 Drittes Kapitel, 


junges Mädchen, ebenfalls ſchwarz gekleidet, welches ihre Gebieterin im 
Allem, was das Aeußere anbelangte, jo total überragte, dag man 
nicht begriff, wie Ihre Durchlaucht ſich gerade dieſes zur beftändigen 
Begleiterin und zur Vertranten erwählt habe, — Fräulein Helene von 
Ripperda. Sie war in der That auffallend fhön und dabei von einer 
wohlthuenden Schönheit. Ihre Augen ſprachen verftändig, ja geift⸗ 
reich, und wenn fie auch zuweilen Blicke hinausſenden fonnte, die 
Zeugniß gaben von der Wärme ihres Herzens, fo glänzen doch meis 
ſtens ihre Augen ruhig und angenehm. Ihr Teint war trop der 
dunkeln Haare von einer außerordentlichen Friſche und Weiße, und 
was vielleicht ein überaus ftrenger Beurtheiler an diefem Geſichte hätte 
tadeln fönnen, waren etwas ſtarke Lippen, die aber dabei von den 
edelſten Formen in roſiger Friſche der Jugend blühten. Der Wuchs 
diefes Mädchens war das Schönfte, was man fehen konnte, und felbft 
von den andern Damen fo anerfannt, day fie bei allen Vergleichun ⸗ 
gen eine Ausnahme war, Wie oft konnte man in vertrauten Gefprä 
hen hören, wenn von einer Taille, einer Büfte, von einem Arme die 
Rede war: — Ja freilich, Helche, fie darf man da nicht nennen; fie 
macht freilich eine Ausnahme, 

Nachdem ſich das kuixende und verbeugende Heer der Hofleute 
endlich beruhigt hatte, um in dem allgemeinen Sturm und Drang feine 
tiefe Ergebenheit an den Tag zu legen, vielleicht aud eine eingefne 
alte Hofdame, ſich vom Blick Ihrer Durchlaucht getroffen glaubend, 
nochmals ehrerbietig tn fih zufammenfant, oder aus der Ferne die 
ganz unterthänige Verbeugung eines langſt vergefienen Kammerherrn 
wetterfeuchtete, während der Regent langfam im Kreife umherging, Dies 
fem eine Artigkeit fagte, jenem ein minder freundliches Wort, hier ein 
äußerft gnädiges Kopfniden hatte, vielleicht fogar eine wohlwollende 
Handbewegung, dort dagegen einen tiefen Vñcling mit fehr fteifem und 
förmlichen Kopfuiden beantwortete, gleich Daneben wieder ganz herab« 
laſſend, ganz feutfelig, ganz gefprächig war, und wenige Schritte davon 
einen Ängftlih und erwartungsvoll fi vorbrängenden Großen oder 





Diner bei Hofe. 4 


Kleinen ded Hofes um feinen Preis zu fehen fehlen, ihn wie weſen⸗ 
Tofe Luft behandefte, durch die man unbefümmert dahinfchreitt, — 
während fo der Regent, ohne große Mühe, Vergnügte und Traurige, 
Entzüdte und Unglädliche machte, mit Einem Worte feinen Cercle hielt, 
Heß ſich die Bringeffiu Eliſe mit einer etwas affectirten Müdigkeit auf 
einen Meinen Fauteuil nieder, der in der Nähe eines der Fenfter ftand, 
und rief Fräulein von Ripperda zu fih. Dieſe beugte ſich auf ihre 
Gebieterin herab und flügte dabei ihre Rechte auf den Fauteuil, worauf 
die Prinzeffin unter dem Ausdruck unverfennbaren Wohlwollens mit 
ihrer Hand über den fhönen vollen Arm des jungen Mädchens herun- 
terfuhr, und. diefe dann auf den Fingern ihrer Hofdame ruhen ließ · 
Zu gleicher Zeit neigte fie den Kopf fehr ftark rüdwärts und winkte 
mit den Augen einem Herrn in ſchwarzem Frade, der hinter dem Re— 
genten eingetreten war. 

Diefer Herr war wenige Jahre jünger ald Seine Hoheit, ſah aber 
ungfeich Alter aus und hatte in feinen Bewegungen etwas forcirt Ger 
lentiges, eine Manter ſich zu bewegen, durch welche ſich Manche bemü- 
ben, eine beginnende Hinfälligkeit des Körpers zu verdeclen. Sein Ger 
ficht war geiſtreich und nicht unfhön, doch lag ein gewiffer Ausbruc 
der Abfpannung um Augen und Mund, und dabei fpielte um den 
fegteren ein meiftens höchft fatales Lächeln, ein Rächeln, von dem man 
fagen konnte, wie jener alte Oberft zu feinen Reitern: wenn ich lache, 
fo Tacht der Teufel aus mir! 

Der Gerufene — es war ber Oberfljägermeifter, Baron Rigoll — 
wand fi, indem er die freundlichſten Blicke an feine Umgebung ſpen⸗ 
dete und fie auf diefe Art bat, gefälligft Plag zu machen, wie ein Aal 
durch die Gruppen ber Hofherten, Offiziere und Damen und glitfchte 
mit einem wahren Schlitſchuhſchritt neben den Fauteuil Ihrer Durch- 
laucht, der Pringeffin, Das junge Mädchen, welches an der anderen 
Seite ftand, Hob im diefem Augenblick ihren Kopf in die Höhe und 
während fie feheinbar gfeichgättig zum Fenſter Hinaushficte, that fie 
einen tiefen Athemzug. Gin fehr aufmerffamer Beobachter mußte in 


42 Drittes Kapitel, 


diefem Augenblicke bemerken, daß eine ganz leichte Röthe auf ihren 
Wangen erfhien, daß fie die vollen Lippen zufammenprefte und daß 
fie eine Sekunde fang feltfam mit ihren Augen zwinferte; und dieſer 
fehr anfmerffame Beobachter, der das in der That bemerkte, ftand nicht 
weit von dem ſchonen Fräulein, durch den fehweren Vorhang des Fen— 
ſters gefhügt, aber fo aufgeitellt, daß ihm nicht das Geringfte von ber 
Gruppe um den Fautenif entging. 

„Es war doch heute eine ſuperbe Partie,“ fagte die Prinzeffin; 
in der That reizend und erfriichend; und für die. Heinen Ueberraſchun⸗ 
gen in Ihrem Departement, dem Walde, bin id; Ihnen zu ganz befons 
derem Danfe verpflichtet.” 

Der Operftjägermeliter verbeugte fich tief und als er den Kopf 
wieder erhob, warf er einen Blick auf Helene von Ripperda, welche von 
der Prinzefjin durch einen leichten Drud auf die Hand vermocht wor« 
den war, den Kopf herumzuwenden. 

„Daß Eure Durchlaucht mit dem heutigen Tage zufrieden war,“ 
ſprach der Baron Rigoll, „it eine Gnade, welche mic, ganz glücklich 
madt. Ja, Eure Durchlaucht,“ fuhr er in erregterem Tone fort: „ed 
war ein entzüdender Tag, und wenn ich hoffen darf, für mic von den 
herrlichſten und glüdlichften Folgen.“ 

Ans den Augen der Pringeffin leuchtete die unverfennbarfte Bos- 
heit, als fie bei diefen Worten zuerft einen Blick auf das herrliche junge 
Mädchen warf und dann die in Ehrfurcht gefrümmte Geftalt ded Spres 
chers betrachtete. 

„Fräulein Helene,“ fuhr diefer fort, hielt aber unter feinem fata⸗ 
len Lächeln inne, als ihn ein fefter Blid aus den großen Augen der 
jungen Dame traf. Doc nahm Ihre Durchlaucht feine Rede auf und 
fagte mit teifent, aber beſtimmtem Tone, wozu indefien ihr liebenswür⸗ 
diges Lächeln nicht gang gut paßte: „Helene weiß, wie ſehr ih mid) 
mit ihrem Glüde befchäftige. Sie weiß, daß ich wie eine Schwefter 
für ihre Zufunft beforgt bin umd weiß ebenfo, wie umfichtig und prür 
fend ich zu handeln pflege.“ 





Diner’ bei Hofe. 43 


Gewiß, Eure Durchlaucht,“ erwiderte das junge Mädchen und 
beugte ſich abermals und fo tief auf die Prinzeſſin herab, daß weder 
der Oberftjägermeifter noch der Beobachter hinter dem Vorhange in 
diefem Angenblide ihr Gefiht zu fehen im Stande war. 

Herr von Fernow war übrigens bei dem Cerele, den der Regent 
hielt, ſowie bei der Fleinen Scene am Fauteuil der Prinzeſſin aus uns 
befannten Gründen nicht der einzige ſcharfe Beobachter, wogegen er 
der Einzige war, der die Miene des Baron Rigoll verftanden, ſowie 
die Worte der Herzogin gehört. Er mußte alle feine Ruhe zufammens 
nehmen; er mußte ſich zehnmal in's Gedächtniß zurüctufen, wo er fih 
befände und dafs; vieleicht manches Augenpaar, welches früher won feis 
nen Bewerbungen um Helene etwas gefehen, jeßt ebenſo aufmerkſam 
auf ihm ruhe, wie feine Blide auf der Gruppe an dem Meinen Fauteuil. 

Obgleich Herr von Wenden auſcheinend auf die unbefaugenite Art 
von der Welt bald mit diefem, bald mit jenem ſprach, fich auch ſoviel 
als thunlich zwiſchen den Herren und Damen bewegte, fo hingen doch 
feine Blide fait beftändig an dem großen Blumenſtrauße, den er in 
Gedanken raſtlos umfreiöte, wie die Biene, die jo eben zu dem offenen 
Zeniter hereingefunmt war. 

Schon oft hatte ſich diefer oder jener, namentlich aber viele Da- 
men, dem Bouquet genähert, nnd wenn jemand ſich etwas auffallend 
tief darauf hin beugte, jo ſchlug dem Kammerherru das Herz fchneller, 
meiftens aber alsdann mit dem Gefühl des Unmuthes; denn ed waren 
bis jept lauter unbedeutende Leute gewefen, welche den geheimnißvollen 
Blumenſtrauß bewundert. Ginmal freilich war der Regent, der nahe 
am dem Tijchhen ftand, mit der Hand über die Blumen hinweg ger 
fahren, als wolle er ſich etwas von ihrem fühen. Dufte zufächeln; — 
der Regent, — nein, der hatte nichts mit dem Papierftreifen zu thun; 
fein Gefiht war im diefem Augenbfide jo ruhig wie immer umd er 
ging ohne alle Bewegung von dem Tiſche Hinweg nach der Fenſter- 
niſche, um da ein paar Worte mit einigen älteren Herten zu fprechen. 

Die Pringeffin warf einen Blick auf die Uhr über dem Kamin 


4 Drittes Kapitel. 


und fagte zum Oberftjägermeifter, der eben im Begriff war, ſich ehrer⸗ 
bietig zurüdugtehen: i 

„Gleich Sechs, wenn id nicht irre. D, es iſt mir angenehm, 
daß es zum Diner geht; ich habe von unferm Ausfluge einen ganz 
tüchtigen Appetit mitgebracht,“ 

Ehe aber Baron Rigoll im Stande war, hierauf etwas zu erwir 
dern, was übrigens die Pringeffin auch gar nicht zu erwarten fehlen, 
warf fie den Kopf auf die andere Seite und fagte zu Fräulein von 
Ripperda: 

„Sehen Sie, Helene, dort das wunderbare Bouquet auf dem klei⸗ 
nen Tifhchen? Wirklich alerliebft arrangirt. Wunderihöne Blumen!“ 

„In der That, Eure Durchlaucht, wunderbar [hön,“ antwortete 
das junge Mädchen. — „Bagnifique!" meinte der Oberftjägermeifter. 
— Und „belicids! föfttich! füperb!“ erſchallte es aus dem Munde eined 
halben Dupend Damen, welche ſich durch die ziemlich faut gefprode: 
nen Worte der Prinzeffin berechtigt glaubten, ſich etwas davon zu nuhe 
zu machen und ihre Grgebenheit dadurch zu bezeugen, daß fie ebenfalls 
ihren Enthuſiasmus für das Blumenbouquet duch einen Ausruf an 
den Tag legten. Auch drängten ſich mehrere vor, um die bewunderten 
Blumen in der Nähe zu fehen, fie nochmals ganz außerordentlich präch- 
tig zu finden, wozu ſich auch einige Herren mit fortreigen ließen, um 
fo der Pringeffin in wahren Sinne des Wortes — durch die Blumen 
au: huldigen 

Herr von Wenden war in Verzweiflung. Man umdrängte den 
Meinen Tiſch fo gewaltig, daß es gar nicht zu vermundern geivefen 
wäre, wenn fi) in diefem Augenblide ein paar Zinger des Papiers 
freifens unbemerkt bemaͤchtigt hätten, Gr erhob ſich auf den Zehen, 
ging felbft einige Schritte näher, konnte aber nicht von diefer Seite 
‚an das Tiſchchen gelangen, da ihm der Regent im Wege fland, den 
zu umgehen gegen allen Anftand gewefen wäre, 

„3a, es iſt ſeht fhön arrangirt,“ wiederholte die Prinzeffin nah 
einer Meinen Paufe, wobei fie ihren Fächer aufraufchen ließ und leicht 


Diner bei Hofe. 45 


gegen fich fächelte. — „OD, meine Tiebe Helene,“ fuhr fie dann in fehr 
nachläffigem Tone fort; „feten Ste fo freundlich und ſchauen in dem 
Bouquet nach, ob Sie nicht eine Theerofe finden. Ich liebe den Ges 
ruch der Theerofen außerordentlich.“ 

„Eine Theeroſe!“ ſprach der Kammerherr zu ſich felber mit anger 
haltenem Athem. 

Fräulein von Ripperda war zu dem Tiſchchen getreten; ihre fei⸗ 
nen Finger fuchten behutfam zwifchen den Blumen; dann wandte fie 
ihren Kopf gegen den Meinen Fauteuil und fagte: „Ia, Euer Durd- 
Taucht, bier in der Mitte ſteckt eine fehr ſchoͤne Theerofe; ſoll ich fie 
herausziehen ? 

„Benn es ohne Schaden für das ſchöne Bouquet geſchehen kann,“ 
entgegnete die Prinzeffin, anfdeinend mit der größten Theilnahmlofige 
feit un wobei fie ein animirtes Gefpräd mit dem Oberftjägermeifter, 
das fie ſo eben begonnen, unterbrach. 

Daß hr feifer Wunfch Befehl war, verfteht fih von ſelbſt, und 
wenn aud das ganze Bouquet darüber zu Grunde gegangen wäre, fo 
würde doc; jeder der Anweſenden die Nofe mit einem wahren Enthu⸗ 
flasmus hervorgezogen und überbracht haben. 

Helenens zarte Hand that übrigens den andern Blumen feinen 
Schaden; als fie die Rofe hervorzog, hatte fie dem Fautenil der Prin- 
zeffin den Rücken zugefehrt und ehe fie ſich wieder herumwandte, fuh⸗ 
ren ihre leuchtenden Blicke eine Sekunde über den Kreis der Herren, 
die fowohl das Bouquet als die Roſe und das ſchöne Mädchen mit 
außerordentlichem Intereſſe betrachteten. 

Herr von Fernow, der noch immer halbverdedt Hinter dem Fen⸗ 
ſtervorhange ſtand, Hätte viel darum gegeben, mit feinen Augen den 
Blicken Helenens begegnen zu dürfen. Er hätte es gewiß gefühlt, wenn 
diefe Blicke auch nur den taufendften Theil einer Sekunde bei ihm ver- 
weilt Hätten. — Ah! diefe fügen, beißen Blicke! Wie fih der Berfin- 
ende an einen Strohhalm anflammert, fo war es ihm ein Troſt, ſich 
fagen zu konnen: Hätte Helene dich gefehen, vieleicht würde fie dir 


46 Drittes Kapitel. 


duch ein Zuden in ihren Augenwimpern gefagt haben, daß ihr die 
Scene fo eben am Fauteuil fehredlich gerefen. 

Unterdeffen Hatte Fräulein von Ripperda der Prinzeffin die Rofe 
überbracht, welche ziemlich gleihgüftig daran roch und zu dem Oberf 
jägermeifter gewendet ſprach „Wenn id) mich nicht fehr täufche, fo it 
das Amour offensöe.“ \ 

Der gewandte Hofmann verbeugte ſich mit einem augenfcheinfichen 
Entzüden und fagte: „Euer Durchlaucht haben auch in der Botanif | 
einen fihern Blick, der Sie nie täuſcht; es ift in der That Amoar 
offensee. Nicht wahr, eine fchöne Rofe, Fräulein von Ripperda?“ 
wandte er fh an die junge Dame. | 

„Amour offensde!“ fagte auch diefe; doch flogen ihre Blicke über 
die Rofe hinweg, abermals durch das Zimmer. 

„Amour offensde!“ murmelten die zunächſt ſtehenden Hofdamen 
entzügft; „Amour offensse!“ pflanzte fid von Mund zu Mund fort; 
fämmttiche Rammerherren fprachen es aus mit dem Ausdruck des um 
verfennbarjten Gritaunens über die Kenntniffe der Herzogin. — „Amonr 
offensde!“ jagten ein paar alte, bürre Staatsräthe in vierſtöckigen 
weißen Halsbinden, und — „Amour offensdel“ wieberhofte ſchmerz⸗ 
lich der junge Ordonnanzoffizier mit einem tiefen Seufzer. — 

— „Amour offensdel“ — — | 

Es war ein Glüd, daß in diefem Augenbli die Uhr. über dem 
Kamin heil und vernehmlich ſechsmal anfehlug; ſonſt wäre wahrfcheine 
fi die Amour offensee zu einen allgemeinen Gefprächsthema gewor⸗ 
den von fehr gefährlichen Folgen. 

— Sechs Uhr. — Die Flügelthüren öffneten ſich fehneller als 
gewöhnlich, und der erſte Kammerdiener des Regenten machte gegen 
Seine Königliche Hoheit eine tiefe Verbeugung, worauf biefer eine 
freundfiche Handbewegung gegen die Pringeffin machte, die fih auch 
lfobald erhob und gefolgt von ihren Damen dem Speifefaal zuſchritt. 
Dabei blieb fie aber wohl ein dupendmal, wenn auch nur auf einen 
ganz kurzen Moment, ftehen, ſchaute wach Diefem und Jenem, fragte 


Diner bei Hofe. . 47 


Dies und Das, und wandte fid dabei fo geſchickt um ſich felbft, daß 
der aufmerffamfte Beobachter kaum des Fehlers an ihrem Zube gewahr 
worden wäre. Der Regent, ſcheinbar in angelegentlichem Gefpräd mit 
dem Minifter des Haufes, ließ fait die ganze Geſellſchaft vorangehen 
ehe aud er in den Speijejaal trat. An der Thüre fand, ihn erwar ⸗ 
tend, noch immer Herr Kindermann, der erſte Kammerdiener, den Ger- 
30g mit einer tiefen Berbeugung vorüberlaſſend. Während aber der 
Regent durch die Ihüre ſchritt, fagte er zu feinem getrenen Diener 
zwei Worte, die diefer durch ein ganz leichtes Kopfniden beantwortete. 

Das Hofdiner nahm feinen Anfang und Verlauf wie alle ders 
gleichen Vergnügungen. Wenn auch die Menue vortrefflih war, ſo 
ſtillten doch die-meiften den Meinen Hunger, den man zu Hofe mits 
zubringen pflegt, größtentheifs durch die Ehre, an der herzeglichen Tafel 
foeifen zu dürfen. Ginen allzu großen Mppetit zur Hoftafel mitzu- 
bringen ift unanjtändig und gefährlich, lehteres, da man nicht weiß, 
welche Tiſchnachbarn oder Nahbarinnen man hat, Wirft Einen das 
Schietfal zwilchen zwei gerade nicht ehfuftige, aber fehr rehfelige Damen, 
fo thut man am beiten, die meiften Schüfjeln vorübergehen zu laſſen; 
denn was nüßt es, Das Beſte auf dem Teller zu Haben, wenn man 
nur faſt verftohlener Weile dazu kommen fann, einen Biſſen zu ger 
miegen? Du Bit gerade im Begriff, die erfle Gabel zum Munde zu 
führen, als deine Nachbarin zur Linken eine zarte Wißbegierde an 
den Tag legt und zu erfahren wünjcht, vb du geftern im Theater 
geweſen. 

„Allerdings, gnädige Frau.“ 

„Gin deliciöſes Stud! — Wie ich mid amüſirt habe!“ 

Natürlicher Weiſe findeſt du durch eine ſtumme Neigung des 
Kopfes das Stück eben jo delicids und Haft dic eben fo vortrefflich 
amüfirt; denn würdet du wagen zu widerfprechen, fo time die Gabel 
mit einem fehr fhönen Biſſen nimmermehr an ihren Beſtimmungsort. 
Leider findet fi) die Nachbarin zur U veranlaßt, anderer Meinung 
zu ſein. 


4“ Drittes Kapitel. 


„®ie, ma chöre Baronne!“ zuft fie aus und dabei lehnt fe 
fich fo ſtark vorn über, um ihre Nachbarin befier zu fehen, Daß, wenn 
id) jegt meinen rechten Arm gebrauchen wollte, e8 gerade ausſähe, al 
wollte ih ihr die Ausfiht verfperren. Hand, "Babel und Biſſen bleiben 
alfo auf halbem Wege ſtehen. — „Ich finde das Städ ein Horzem, 
Sie werden mir verzeihen, ma chöre Baronne, id} bitte Sie!“ Da 
mit wendet fie ſich zu mir: „Wollen Site eine Aufführung, wie die | 
des jungen Grafen, — fein Vater iſt allerdings nur ein Banquier — 
ſelbſt in der Komödie rechtfertigen? — Wollen Sie das? — Können 
Sie das?“ — 

„D Gott! ich möchte wohl, aber ich kann ja nicht.“ 

„Er verläßt am Tage der Verlobung feine Braut, ein Mädden 
von fehe guter Familie, um mit einer früheren Liaifon davon zu 
gehen!“ 

„Aber ex Hat doch einige Gründe dafür gehabt, wage id) zu fagen. 
— Ih weiß wohl, ich habe mit diefer Bemerkung Del ind Feuer ger 
goſſen, will aber nur die jeht aufpraffelnde Cutgegnung benupen, um 
endlich meine lang gehegte und gewiß verzeihliche Abficht zu erreichen; 
aber ich habe falſch gerechnet. Während meine Nachbarin mir aller 
dings in eifriger Rede die Horreurs des Stücks auseinanderſeht, hat 
fie die Bosheit, ihre rechte Hand auf meinen rechten Arm zu Iegen: | 
„Enfin,“ fagt fie endlichz „ich begreife nicht, wie unfere fonft fo ums 
fihtige Jutendanz folhe Stüde uur aufführen laſſen mag.” 

Die umfihtige Intendanz figt und gerade gegenüber und da fie 
an dergleichen Reden gewöhnt üft, fo lächelt fie ftill vergnägt in fih | 
hinein ; ja, der gute Bordeaug, den fie fo eben getrunten, hat ihr Hen 
milde geftimmt und während fie die Selbftverleugnung fo weit treibt, 
das Stüd in einigen Theilen allerdings ein wenig ſtark zu finden, 
werfichert ſie dagegen, daß der Dindon aux truffes, mit dem fie fih 
gerade befhäftigt, entfcjieden Die feinfte Schüffel fet. 

Nun weiß aber der geneigte Leſer hoffentlich aus Erfahrung, daß 
ein Dindon aux trußes warm gefpeiöt werden muß, und ebenfo gut, 





Diner bei Hofe. 49 


daß ein Biffen, der fünf Minuten fang zwiſchen Himmel und Erde 
ſchwebt, ertaltet. Da die Hand meiner Nachbarin von meinem Arme 
nicht weichen will, fo made ich eö, wie irgend ein Held in einer ber 
llebigen Schlacht, defien rechter Arm fo eben gelähmt wurde: aud ich 
nehme ruhig meine Waffe in die linke Hand; doch faum glaube ih, fie 
glücklich zum Munde führen zu fönnen, ald meine Nachbarin zur Linken, 
die in höͤchſter Iudignation ſtille gefhwiegen, und ed vielleicht auch 
unter ihrer Würde Hält, das angegriffene Schaufpiel zu entſchuldigen, 
jept mit affectirter @leichgüftigkeit ihr Glas vor mic hinſchiebt und 
um ein wenig Waffer bittet. 

Wäre id in diefem Augenblid ein Araber der Wülte, fo würde 
ich vielleicht. fprechen: „Berflucht fei das Ei, aus welchem diefer Din 
don gefehlüpft, verflucht das naſeweiſe Schwein, das dieſe Trüffeln aus 
dem Grunde gewühlt, verflucht der Autor, der das fraglihe Stüd ges 
ſchrieben und vor allen Dingen verflucht fein — —.“ Da ich aber 
ein glattraſirtes Kinn habe, eine weiße Halsbinde trage und auf ger 
ſellſchaftliche Bildung Anfpruch mache, aud in diefem Augenbfide Höre, 
wie rings umher bie Teller gewechfelt werden, fo lege id} feufgend 
meine Gabel nieder, 


ſtill mich freuend, bis es wieder 
Morgen würde fein. 


Cbenſo unangenehm, ja noch gefährlicher iſt es, bei dergleichen 
Diners in der Nähe Hoher und höchiter Herrfchaften placirt zu werden. 
Alsdann haft du das Schickſal des jungen Naſchers, der überrafht zu 
werden fürdtet. Du wirſſt deinen unglüclichen Biffen nur verftohlen 
in den Mund, du wagſt nicht zu kauen, du fhlingft nur, wie ein 
Kettenhund, oder wie eine Kropfgans; du fegeft dich der Gefahr aus, 
an einem Knochenfplitter zu Grunde zu gehen, nur um den Augeublick 
nicht zu verpafien, wo did ein allerhöchfter Blick trifft, oder wo du 
fo glucklich fein mußt, eine allerhöcjfte Frage umgehend zu Fe 

Hadländers Berte. XXI. 


48 >: _ 
r garttet 

* 2 an 1a es mun in der That beſſet 
iy gu gehen. Die Qualen deö 
9 us nen a Fer; en Gungriger Menfi, der 
um Ping a amerantwortfißhe und eitfinnige 
a" Dr ie Fafel gebracht wird, — ein folcer 
Zei a * ge mal grob werden, und ein grober Gaft 
fe —5— m uherondentfih, Schrecticher von dem 
— — d enerationen ſchaudernd ſyrechen afben, ala 

— ⏑⏑ forte nimmer zu fanen.“ 
amd 7 "ga Hofmänner hatten denn auch fowohl Here von 
rn Wenden ihren Appetit Durd; ein fpätes und 
germom 9 ‚4 gedämpft, heute wohl unndthiger Weiſe; denn Beider 
forie® wenn er auch noch fo ſtark gewefen wäre, würde von ber 
Hungel, Amelt abforbirt worden fein, mit welcher ber Kammerherr die 
Fe —* der Ordonnanzoffizier aber Fräulein von Ripperda 


—— Prinzeſſin Hatte die Roſe neben fich auf den Tiſch gefegt, doch 
(ep as Mharfe Auge deb Gern von Menden wohl, dap der Papiers 
reifen von dem Zweige verſchwunden war, Was dieſer Papierftreifen 
entgteft, konnte fie fügtich noch nicht gelefen Haben; fle Hatte noch keine 
Gelegenheit gehabt, ihn, wie der Kammerherr gethan, gegen das Licht 
u haften; denn nur fo konnte man die paar Worte herausfinden, die 
mit einer feinen Nadel in das Papier geriſſen waren, 





Amour offenase. 51 


Biertes Kapitel. 


Amour offensde. 


Hinter dem Stuhle Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin Eliſe fand 
der erfte Kammerbiener des Regenten, Herr Kindermann, der neben 
andern bedeutenden Gaben auch die befaß, feine Augen aufs Allerſelt-⸗ 
famfte bewegen zu Fönnen; während er nämlich mit dem einen weder 
den Regenten noch die Prinzeffin außer Sicht ließ, bemerkte er mit 
dem andern genau, was an der ganzen Tafel vorging. So war es 
denn auch von biefem würdigen Beamten nicht unbemerft geblieben, 
daß fowohl Herr von Fernow als Here von Wenden faft jede Schäfiel 
unberügrt vorübergehen ließen; ebenfo, daß der Leptere wahrhaft aufe 
fallend und in gefpannter Erwartung nad) Ihrer Durchlaucht hinblickte, 
ferner, daß der junge Orbonnanzoffizier mit zufammengebifienen Lippen 
und finfterem Blick daſaß, zuweilen wie aus tiefen Träumereien er⸗ 
wachend Fräulein von Ripperda anftarrte oder nichts weniger als 
fteundſchaftlich nad; dem Oberftjägermeifter hinüberfah. 

Here Kindermann trug faſt immer ein gleichmäßiges und liebe ⸗ 
volles Lächeln zur Schau; es mochte Tag oder Nacht fein, Sommer 
oder Winter, es mochte regnen oder.ſchueien: er lächelte; und fein Ges 
ht Hatte fih fo daran gewöhnt, daß es ihm bei traurigen Beranfafe 
füngen die größte Mühe machte, die Augenbrauen in die Höhe zu 
diehen und die Unterfippe vorſchriftsmaßig herabhängen zu Iaffen. Jeyt 
ſtrich er ſich fanft durch fein ſtark ergrautes Haar und lächelte; jeht 
zupfte er leicht an feiner Halsbinde und lächelte, Mit fanftem Lächeln 
bot er der Pringeffin einen Teller friſch aufgefhnittener Ananas und 
dann präfentirte ex eben fo gleihmäthig Täcelnd Ihrer Durchlaucht 
das verlangte Glas Waſſer. Wir glauben gewiß annehmen zu kön⸗ 
nen, daß Herr Kindermann auch lächelnd in den Armen des Schlafes 

| Tag, und daß, wenn ihn einft deſſen ernfterer Bruder abrufen wird, 
| 


L 


50 Drittes Kapitel. 


Aus diefen angeführten Gründen tft es num in ber That beffer, 
zu einem ſolchen Diner nicht Hungrig zu gehen.“ Die Qualen des 
Tantalus zu erdulden, iſt nicht angenehm; ein hungriger Menfch, der 
fo mit anfehen muß, wie er auf unverantwortfiche und leichtſtunige 
Art um die füßen Freuden der Tafel gebracht wird, — ein folder 
Ungfüdficher könnte vielleicht einmal grob werden, und ein grober Gaft 
am einer Hoftafel wäre etwas fo außerordentlich Schreckliches, von dem 
noch zehn Kammerherrengenerattonen ſchaudernd fprechen würden, alt 
von etwas, „was der Menfch begehren follte nimmer zu ſchauen.“ 

Als gut gefhulte Hofmänner Hatten denn auch fowohl Here von 
Sernow ald Herr von Wenden ihren Appetit durch ein fpäte® und 
ſolides Frühftüd gedämpft, heute wohl unnöthiger Weiſe; denn Beider 
‚Hunger, und wenn er auch noch fo ſtark gewefen wäre, würde von ber 
Anfmerffamfeit abforbirt worden fein, mit welcher der Kammerherr die 
Pringeffin Eliſe, der "Ordonnangoffizier aber Fräulein von Ripperda 
betrachtete, 

Die Pringeffin hatte die Roſe neben fih auf den Tiſch gelegt, doch 
ſah das ſcharfe Auge des Herrn von Wenden wohl, daß der Papiers 
fireifen von dem Zweige verfhwunden war. Was diefer Papierftreifen 
enthielt, konnte fie füglich noch nicht gelefen haben; fie Hatte noch feine 
Gelegenheit gehabt, ihn, wie der Kammerherr gethan, gegen das Kicht 
au halten; denn nur fo konnte man die paar Worte herausfinden, die 
mit einer feinen Nadel in das Papier geriffen waren. 





Amour offensse. 51 


Biertes Kapitel. 


Amour offensde. 


Hinter dem Stuhle Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin Eliſe fand 
der erſte Rammerbiener des Regenten, Here Kindermann, ber neben 
andern bedeutenden Gaben auch die befaß, feine Augen aufs Allerfelts 
famfte bewegen zu fönnen; während er nämlich mit dem einen weder 
den Regenten noch die Pringeffin außer Sicht ließ, bemerkte er mit 
dem andern genau, was am ber ganzen Tafel vorging. So mar es 
denn auch von diefem würdigen Beamten nicht unbemerkt geblieben, 
dag fowohl Here von Fernow als Herr von Wenden faſt jede Schüſſel 
unberührt vorhbergehen ließen; ebenfo, daß der Reptere wahrhaft aufe 
fallend und in gefpannter Erwartung nach Ihrer Durchlaucht hinblickte, 
ferner, daß der junge Ordonnangoffigter mit zufammengebifienen Lippen 
und finfterem Blick daſaß, zuweilen wie ans tiefen Träumereien ers 
wachend Zräufein von Ripperda anflarrte oder nichts weniger als 
freundſchaftlich nach dem Oberftjägermeifter Hinüberfah. 

Herr Kindermann trug fat immer ein gleichmäßige und liebes 
volles Lächeln zur Schauz es mochte Tag oder Nacht fein, Sommer 
oder Winter, ed mochte regnen oder.ſchneien: er lächelte; und fein Ges 
fiht Hatte ſich fo daran gewöhnt, daß e& ihm bei traurigen Beranfafe 
fungen die größte Mühe machte, die Augenbrauen in die Höhe zu 
dlchen und bie Unterfippe vorfehriftsmäßig herabhängen zu laſſen. Jeht 
ſtrich er ſich fanft durch fein ſtark ergrautes Haar und lächelte; jept 
zupfte er leicht am feiner Halsbinde und lächelte. Mit fanftem Lächeln 
bot er der Pringeffin einen Teller friſch aufgefhnittener Ananas und 
dann präfentirte er eben fo gleichmuthig laͤchelnd Ihrer Durchlaucht 
das verlangte Glas Waſſer. Wir glauben gewiß annehmen zu Ein» 
nen, dag Herr Kindermann auch laͤchelnd in den Armen des Schlafes 
Tag, und daß, wenn ihn einft deſſen ernfterer Bruder abrufen wird, 


52 Biertes Kapitel. 


Herr Kindermann mit dem freundlichſten Lächeln diefe Welt verlafien 
werde. 

Nach einiger Zeit kam der große Moment, wo der Regent gelinde 
huſtend zu Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin hinüberfah, wie fie leicht 
mit dem Kopfe nickte und fich darauf erhob, bei welcher Veraulaſſung 
‚Herr Kindermann lächelnd den Seffel entfernte. Ein paar Sekunden, 
hierauf hörte man nichts ald Stuhfrüden, Räufpern, Huften, dazwifchen 
ein halblautes Wort, Säbel- und Sporengeklirt. Die Prinzeffin begab 
fi in das Zimmer zurüd, wo der koloſſale Blumenſtrauß ftand, und 
in welchem, gleich wie im Nebenfaale, der Kaffee fervirt wurde, Sept, 
nach der Tafel, wurde fein fo fürmlicher Gercle gehalten, wie vorher, 
fondern die Gruppen vertheilten fi zwang» und harmlos. Junge 
KRammerherren und Offiziere fuchten fih den Hofdamen zu nähern, man 
hörte fogar mitunter ein lautes Wort und ein leijed Laden, ja, man 
ſah alte Excellenzen — von den wenigen Auserwählten, die bei der 
Hoftafel das Privilegium haben, wenig zu ſprechen und viel zu eſſen, 
— irgend einer Tangjährigen Damenbefanntihaft ſchmunzelnd die Cour 
machen. 

Solch eine alte Excellenz macht ihre Gour auf ganz eigenthüm⸗ 
liche Weije. Der fehr fteife und hohe Uniformskragen hindert fie, den 
Kopf nach rechts oder links zu drehen, weshalb fie nur ihren Augen 
geftattet, diefe Bewegungen zu machen; ebenfo ift es ihr aus dem an» 
geführten Grunde unmöglich, dad Haupt zu fenfen, wenn fie mit irgend 
einer Dame fprechen will, wodurd; denn ein ganz feltiames, man fönnte 
ſagen, faunenartiges Schielen nach unten entfteht. Dazu kommt noch 
ein fehr gefättigtes Lächeln um ihren Mund, und alles das zuſammen 
gibt dfters den Worten fold einer alten Excellenz eine ganz andere 
Deutung, als fie woht felbft beabfihtigte, hinein zu legen. 

„Wunſche wohl gefpetöt zu haben, meine Gnädige. — Ein ganz 
Harmantes Diner!“ 

Außerordentlich gut, Erxcellenz. Ich babe mid; vortrefflich untere 


Amout offensöe. 53 


„3a, unterhalten, vortrefflich; aber abgefehen davon, man fpeiöt 
in der That ganz delicids.“ 

„Und Excellenz lieben ein gutes Diner.“ 

SIG Tengne das nicht, guädige Frau; man wird alt, und alles 
das, was und fonft Freude machte, fehrumpft zufanmen, ich möchte 
fagen, vereinigt ſich im Gedanken an ein gutes Diner. — In früheren 
Zeiten, meine Gnädige, da war es anders...” 

„3a, in früheren Zeiten, da war es anders!“ feufgt die fehr alte 
Hofdame und ‚hat ein Recht dazu, einen tiefen Seufzer auszuftoßen, 
denn fie, die früher mit einem einzigen Athemzuge fämmtliche Offigtere 
eines Gavallerie-Regiments in Aufregung zu feßen vermochte, Tann jegt 
nicht einmal mehr die Brüffeler Epigen ihres Kleides in Bewegung 
bringen. 

„Ganz anders,” meint die Excellenz umd ſchielt bedeutend. „Ja, 
dazumal, als wir noch auf dem großen Mastenball anno 94 die Gas 
votte zufammentanzten, — —!“ 

„O, Gpeellenz, nichts von dem Balle!“ entgegnet die Hofdame, 
indem fie ihren Faͤcher ausbreitet, um hinter den reifödigen Damen 
anf demfelben, mit auffallend niedrigem DMieder und fonft noch allerlei, 
Schutz zu ſuchen. 

„Da zeigen Sie mir gerade ihr Portrait von dazumal,“ ſagt die 
boöhafte Excellenz, indem fie mit ihrem därren Finger auf eine der 
Ziguren weist, die auf dem Fächer abgebildet find. — Ah! vergangene 
Zeiten! Der Abend umd feine Folgen waren fchön !“ 

Der Fächer rauſcht zufammen, und indem ſich die alte Dame 
feheinbar erzürnt wegwendet, erhält die Excellenz mit jenem einen leiſen 
Klays auf den fehlotterigen Aermel, begleitet von einem Blicke, welcher 
hätte zünden ünnen, wenn unter dem alten Hofkleide überhaupt noch 
Awas Zündbares geweſen wäre. 

Die Prinzeffin hatte fih einen Augenblick in ihre Appartements 
zurüdgegogen und während diefer Zeit wahrſcheinlich den Meinen Zettel 
gelefen, den fie bei der Amour offensde gefunden. Herr von Wenden 


54 Biertes Kapitel, 


Hatte fie mit den Augen verfolgt, bis die Thür fich Hinter ihr ſchloß, 
und ald fie wieder heraustrat, war er bemüßt, den erften ihrer Blicke 
aufzufangen, um zu fehen, ob etwas darin zu leſen fei. Das Geficht 
der Pringeffin aber war wie vorher heiter und ihre Augen glänzten 
mit ihrem gewöhnlichen fchelmifchen Ausdruck. Sie trat zu dem Res 
‚genten, der in einer Fenſtervertiefung ftand, Tegte ſchmeichelnd ihre Meine 
Hand auf feinen Arm, und dabei war ed unverkennbar, daß der Her» 
zog mit außerordentlichem Wohlwollen und fehr freundlich auf die 
niedliche Couſine herabſah. Ste trug ihm lebhaft ein Anliegen vor, 
er aber ſchien dagegen verfchiedene Einwendungen zu machen; zuweilen fchüt- 
telte er leicht den Kopf, zog erflaunt die Augbrauen in bie Höhe, 
erhob auch mitunter wie warnend und drohend den Zeigefinger. Dabei 
aber lachte die Pringeffin laut und fröhlich; alles, was er fagte, ſchien 
fie mit Scherzreden zu beantworten, und als fie endlich auf recht ko⸗ 
miſche und unwiderſtehliche Art zu ſchmollen anfing, lachte er feinerfeits 
herzlich, und man hörte ihn deutlich fagen: 

„Was will ic machen? Das ift eigentlich dein Departement. 
Ich an deiner Stelle würde nicht fo raſch zu Werke gehen.“ 

Während diefer Unterredbung und vorher fhon hatte fih der junge 
Ordonnanzoffigter dem Fräulein von Ripperda genähert, aber gegen feine 
fonftige Gewohnpelt mit großer Aengffichteit. Aufs Tieffte bewegt 
von dem, was er bei der Tafel gefehen und gehört, hätte er das junge 
Mädchen fo unendlich viel zu fragen gehabt, aber lauter Sachen, bie 
fih Hier nicht erörtern Tiegen. Sein Herz hätte überfliegen mögen von 
leidenſchaftlichen, ja bittern Worten, er hätte ihr fo viel zu fagen ges 
habt, daß er ihr nichts zu fügen wußte. 

Ihr ſchlen e8 Übrigens nicht beffer gu gehen. Sie, die fich fonft fo 
gern mit ihm unterhaften hatte, die den lebhaften, geiſtreichen und elegan⸗ 
ten Offigter beftändig dadurch außzeichnete, daß fie ihm gern erlaubte, in 
ihrer Nähe zu weilen, daß fie bet allgemeinen Spagierritten feine Ges 
ſellſchaft zu lieben fehten, daß fie häufiger mit ihm, als mit anderen 
tanzte, ja, daß fie ihm zuweilen einen finnenden Blick nachſandte, 


Amour offensde. 5 


wenn er ſich nach einem etwas animixten Geſpräch fo froh, fo heiter, 
ja offenbar glüdfich verließ, — fie trat ihm Heute nicht nur nicht ent 
gegen, fondern fchien ihn zu meiden und fuchte eine ältere Kollegin in 
angelegentlichem Gefpräh zurüdzuhalten, als fi Herr von Fernow 
näherte. 

So ftanden Beide einander gegenüber, und während Fräulein von 
Nipperda zum erftenmal fand, daß ihr Blumenbonquet wahrhaft ber 
täubend buftete, fehlen ihn Die fonft nicht zu enge Säbelkuppel zu 
drüdten, und Beide boften ganz ſchwer und mühfan Athem. 

„Ste machten Heute eine hübſche Partie, mein gnädiges Fräulein,“ 
fagte er nach einer Paufe;- „ich habe alle beneidet, die den fhönen 
Herbfttag im Freien zubringen konnten.“ 

„Ah! Ste waren nicht dabei,“ emviderte dad Frauleinʒ und daß 
ihre Worte halb wie eine Frage Mangen, verlehzte ihn tiefer, als alles 
Mebrige. 

Mit ihrem Glüde befchäftigt, Hat fie es nicht einmal gefehen, daß 
du nicht dabei warft! dachte er und verbeugte ſich trübe Lächelnd, ins 
dem er fagte: „Mid hielt mein Dienft Hier zurüc; doch — jept bes 
daure ich es nicht mehr, zurüdgeblieben zu fein.“ 

mAber es hätte auch für Sie ein ſchöner Nachmittag fein fönnen,“ 
fagte fie und ſchlug die Augen nieder, gewiß nur, um ihr Armband 
au betrachten. 

„Für mich nit; — aber für Sie war er fhön.“ 

Ber weiß?“ 

„D! ſehr fhön und folgenreich.“ 

et diefen Worten zuckte ein fehmerzliher Schatten über Ihr Ge⸗ 
ſicht, und fie blickte ihm feſt in die Augen, während fie ihre vollen 
Rippen zufammenpreßte. 

„3a, ſchön und folgenreich,“ wiederholte er; „und hätte ed da 
für mid ein Glück fein können, in Ihrer Nähe fein zu dürfen?“ 

Das fagte er mit.feifer, aber heftig erregter Stimme; er war fo 
bewegt, fo außer fh, daß er vielleicht noch Anderes gefprochen hätte, -— 


56 Biertes Kapitel. 


Anderes, wad, von fremden Ohren gehört, vielleicht mit allerlei merd« 
würdigen Dergierungen weiter erzählt werden wäre. Und fo war e& 
denn gut, daß diefes Gefprädh plöplich abgebrochen wurde. Die Prin- 
zeffin trat nämtich, fich feicht Hin und her wiegend, einen Schritt vor 
die Fenſterniſche und rief Helene mit lauter Stimme zu fi. 

Der junge Offizier drückte feine Hand feft auf's Herz und machte 
eine tiefe Verbeugung, ald das fhöne Mädchen von ihm ſchied. Seine 
Augen folgten ihr aber umd fo bemerkte er denn, daß die Herzogin 
einige leiſe Worte zu Helenen ſprach, und daß diefe fie darauf flehent- 
lich um etwas zu bitten fehien. Doch fehättelte Ihre Durchlaucht 
heiter den Kopf und fagte ziemfich laut: 

„Es ift fonderbar, daß man euch junge Mädchen zu Allem zwin ⸗- 
gen muß, ſelbſt zu eurem Glüd.“ 

„Aber ich beſchwöre Eure Durchlaucht!“ entgegnete Zränlein von 
Ripperda mit leiſer Stimme; „nur heute nicht, nur jet nicht!” 

Doc; war alles das vergeblich. Der Regent war auf einen Wink 
feiner Goufine näher getreten, und als die Meine Prinzeffin Fräulein 
von Ripperda feit bei der Hand ergriff und fie einen Schritt vor, 
gegen den Herzog, führte, verbeugte fih Seine Hoheit leicht und anmu⸗ 
tbig und fagte mit einer tiefen, Nangvollen Stimme: 

„Ih gratulire von Herzen, mein Fräulein. Ste hätten feine 
beffere Wahl treffen können.“ Dann wandte er ſich zur Seite, reichte 
dem Oberftjägermeifter, der entzüct und händereibend näher trat, die 
Hand und jegte hinzu: „In der That, Baron Rigoll dieſe Verbin. 
dumg freut mid) außerordentlich und ic hoffe, Sie werden glüdtid 
fein.“ 

Benn ein Funke in einen lockeren Strohhaufen fällt, jo ann die 
Flamme ſich nicht ſchneller verbreiten und nicht gefhwinder emporlo⸗ 
dern, als ſich bei Hofe, bei ſolcher Veranlaſſung die Gratulation, von 
Allerhochſtem Munde proclamirt, durch beide Säle fortpflanzte und 
verbreitete. 

— „Man gratuliert!“ rief dicht in der Nähe eine alte Hofdame, 


Amour offensse. 57 


der man in ihrem ganzen Leben nie gratulirt Hatte, faft mit einem 
lauten Aufſchrei. 

„Man gratulirt!“ ſagte eine alte Ercellenz, und — 

„Dan gratnlirt!“ tönte es von allen Seiten. 

„Wem denn, um Gottes Willen?“ 

„Sränlein von Ripperda.” 

„Gang unerhört! — und — ? —“ 

„Nm, mit Seiner Excellenz dem Herrn Oberftjägermeifter. Das 
war doch voranszufehen;“ jagte Jemand, der ſich gern das Anfehen 
gab, als fei feinem Scharfblid noch nie etwas entgangen. 

Daß es hierauf ein unglaubliche Gedränge um die Fenſterniſche 
gab, Tann man fich leicht denken. Wer möchte gern der Lepte fein, 
um zu einer Verlobung zu gratuliren, Die jo offenbar von den aller 
Hödften Herrſchaften gutgeheißen und protegirt wurde! Es war rings 
im Kreife ein Lächeln, ein Sprechen, ein Trippeln und Scharren, daß 
man faum die einzelnen Ausrufungen ber uneigennüßigen Freude, 
als: Superb! — Delicids! — Wunderbar paſſend! — Ganz aufer« 
ordentlich jhön! — u. ſ. w., vernehmen fonnte. — Nur Helene von 
Ripperda, eine der Hauptperfonen diejes Iuftigen Drama’s, äußerte ihre 
Freude auf eigenthümliche Art. Ihr Geficht war mit einer furchtbaren 
Blaͤſſe bederft, ihre Lippen bebten und ihre Augen flarrten über dem 
gratultrenden Haufen hinaus, wie weit, weit in unabfehbare Fernen. 

Die Brinzeffin fehlen das von dem jungen Mädchen begreiffich zu 
finden; denn fe lachte mit den Umſtehenden, biicte wie entzückt auf 
das Geficht ihrer lieben Freundin und wußte in deren Namen faft alle 
Gratufationen mit einigen paflenden Worten zu erwidern. 

Der Einzige, der die Hefe Bläffe des jungen Mädchens zu verſtehen 
fhien und fie mit inniger Theilnahme betrachtete, war übrigens Se. 
tonigl. Hoheit, der Regent. Gr wußte vielleicht, was in ihrem Herzen 
vorging; er berechnete vielleicht oder fah es in ihren ſeltſamen Blicken, 
daß die Kraft deſſelben nicht (ange mehr anhalten würde. In feiner 
wirklich chevafereöten Manier näherte es fih dem Fräulein und bot 


58 Biertes Kapitel, 


ihr feinen Arm, indem er nicht ohne einen Ielfen Anflug von Ironte 
ſagte: 

„Man freut ſich zu fehr über Ihr Gluck. Ich muß wahrhaftig 
in's Mittel treten, um Sie vor den Gratulationen zu reiten, die im 
Stande find, Sie zu erbräden.“ 

Es war ein Bit inniger Dankbarkeit, mit dem das arme Maͤd⸗ 
hen ihre Hand auf den Arın des Regenten legte; dann machte fie 
rings umher eine gragiöfe Verbeugung und athmete tief auf, als der 
Herzog fie in das Nebenzimmer geleitete bis zur Thür, welde in die 
Gemãcher der Pringeffin führte, und fie dort freundlich entließ. 

Herr von Wenden war Einer von den Wenigen, die fih bei 
der allgemeinen Gratulation begnägt Hatten, von ihrem Plage aus 
ein freundlich grinfendes Gefiht zu zeigen; dabei hatte er ſich aber 
bemüßt, fid der Prinzeffin, fo fehr es ihm möglich war, zu nähern, 
und er hatte hinter den Fenftervorhängen fo gut mandvrirt, daß er 
nun Ihrer Durchlaucht, ald diefe, um den fortwährenden Gratulatios 
nen zu entgehen, ſich abermals gegen das Fenſter wandte, ganz nahe 
gegenüber ſtand. 

Da er Einer von den Gerngefehenen war, auch bie Pringeffin 
feinen in der That ſcharfen Berftand anerkannte, fo zeigte fie in ihren 
Mienen, daß es ihr nicht unlieb war, gerade ihn Hier zu treffen. Sie 
ſchmiegie fih in die Eife der tiefen Senfternifche und winfte dem Kam⸗ 
merherm mit den Augen, ihr zu folgen. Es fprang ein reiht boshefter 
Big ans ihren Blicken, ald fie mit einer bezeichnenden Bewegung nach 
den innern Zimmern zu fagte: 

„Was meinen Ste wohl? Wie viel Procent unferer Gratulanten 
haben anders gefprochen, ala ihre Herzen dachten ?“ 

„Recht viele, Euer Durchlaucht,“ erwiderte der Kammerherr, „und 
auch ich muß mich ihnen anſchließen. Auch ich gratulire, aber ich gra- 
tulire nur dem Baron Rigoll, der fein Glüd in fo gute Hände legte.“ 

„AH was!“ verfegte die Prinzeffin, indem fie die Oberlippe höh⸗ 
niſch aufwarf; „an deſſen Glüd Habe ich wahrhaftig wenig gedacht.“ 


Amour offonsde. »9 


„Alfo an das bed Fräuleins von Ripperda?“ entgegnete ber Kam- 
merherr mit einer eigenthümlichen Betonung. 

„Binden Sie die Partie nicht vortrefflich ?“ 

„So vortrefflich, das Ganze fo gelungen, daß ic; mich glädtich 
fhägen würde, wenn Eure Durchlaucht einmal die Gnade haben woll- 
ten, aud mein Glüd in Allerhöchſt Ihre Hand zu nehmen.“ 

Die Pringeffin warf dem Spreder einen forfhenden Bid zu, 
doch nur eine Setunde lang; dann ſchaute fie durch die Scheiben ins 
Freie und entgegnete: 

„Scherz bei Seite; Baron Rigoll verdient, dag man fi für ihn 
intereffirt. Er ift mir außerordentlich attachirt.“ 

Wenn das die Eigenfchaft ift, die dazu gehört, um von Eurer 
Durchlaucht protegirt zu werben,“ antwortete Herr von Wenden mit 
einer tiefen Berbeugung, aber in fehr beftimmtem Zone, „fo würde Ih 
mid; gewiß dazu eignen, dieſes Glüd zu genießen.“ 

„Ich danke Ihnen für Ihre Aeußerung,“ fagte huldvoll, aber 
etwas zerftreut die Pringeffin. „Leider befinden wir uns in Berhält- 
niffen, wo man ber zuverläffigen Leute bedarf." Als fie das gefagt, 
richtete fi) der Kammerherr in die Höhe und dabei beugte er fi} vorne 
über, um das, was er jegt fagte, recht nahe vor den Ohren der Prin⸗ 

. zeffin hören zu laſſen. 

„Sollten Euer Durchlaucht,“ ſprach er, „je in den Fall kommen, 
meine unterthänigften und ganz ergebenen Dienfte benugen zu wollen, 
fo fönnte das in einem Augenblick fein, wo Sie möglicher Weife zu 
fich ſelber fpredhen würden: „„Noch einen ganz zuverläffigen Mann, 
der Zutritt Hat.“ * Dieſe Worte aber, Die der Kammerherr mit ent» 
fhledener Betonung ſprach, waren diefelben, Die duch) feine Nadelftiche 
auögedrüdt, auf dem zufammertgeroliten Papierftreifen geftanden. 

Bel Anhörung derfelben zuckte Die Pringeffin einen Augenblick zu 
fammen, doch faßte fie ſich augenblicklich wieder, warf einen fhnellen 
Blick in dem Salon umher und fagte alsdann zu dem Kammerherrn 
mit jenem verbindlichen, aber doch gleihgüftigen Lächeln, mit jenem 


60 Biertes Kapitel. 


Lacheln, das man bei Hofe fo genau kennt, womit flarte Seelen eben- 

ſowohl die Worte: Glauben Sie in der That, daf ed morgen regnen 

wird? oder auch: Laſſen Sie fi) vor meinen Augen nicht mehr fehen, 

Ste find ein Richtswürdiger! zu begleiten pflegen, mit diefem felben 

Xächeln, wobei fie wie zerftreut an die Dede biidte und eine Teichte 

Neigung mit dem Kopfe machte, fagte die Prinzeffin zu dem Kams 
. merberen : 

„Ih werde Sie um neun hr bei mir empfangen.“ 

Die anſcheinend fehr unbedeutende Unterfaltung ſchien von Went⸗ 
gen im Salon eigentlich bemerkt, von Riemandem gewürdigt worden 
zu fein; nur der Negent hatte einen Augenblid vorher, ehe Herr von 
Wenden ſich zurdzog, einen Blick auf die Wanduhr über dem Kamin . 
umd dann anf die Prinzeffin geworfen, wahrfcheinfich weil es ihm Zeit 
dünfte, den Gercle abzubrechen und fich zurückzuziehen. 

Daß Herr von Fernow, der unbeweglich neben der Eingangsthür 
fand, wenn aud äußerlich fehr aufrecht und ruhig, innerlich aber zus 
fammengefchmettert von dem, was zwiſchen Helene und dem Baron 
Rigoll vorgefallen, ebenfalls. die Prinzeffin, ſowie auch feinen Freund 
nicht ans den Augen ließ, {ft begreiflih, wenn wir hinzufügen, daß 
er ja ebenfalls gefehen, wie ſich Ihre Durchlaucht zugleich mit der 
Amour offensde jenes geheimnigvolle Papierftreif—hen geben ließ, und 
weit er bemerkt, wie eifrig der Kammerherr gefucht hatte, ſich der Prin- 
zeffin nähern zu dürfen. Als diefer num von der eben gehabten Un— 
terredung zurüdtrat und den Freunde darauf jein Geſicht zumandte, 
war diefes fo ftrahfend und von Freude beglänzt, daß es felbit ihm, 
dem gewandten Hofmanne nicht im Augenblid möglich war, die Spus 
ren biefer Freude umd diefes Glüctes alfogleich vollftändig zu verwiſchen, 
und es blieb davon noch fo viel um den läcjelnden Mund und die 
Hlüdfeligen Augen Liegen, daß der Ordonnanzoffizier fragen konnte: 

„Mir ſcheint, du Haft mit deiner Unterhaltung reuſſitt.“ 

„Reuffirt?“ erwiderte der Andere mit affectirtem Erſtaunen: „ic 
müßte nicht in was! Daß es mic freut, wenn Ihre Durchlaucht, 


Amour offensde. 61 


eine der geiftreichften und Tiebenswürdigften Damen der ganzen Welt, 
mit mir gnädig fpricht, wirft du, denfe ich, vollfommen begreiflich finden.“ 

„Ich würde allerdings,“ entgegnete Herr von Fernow, „nur an eine 
gnãdige Unterhaltung denken; doc will mir deine Theorie nicht aus dem 
Kopfe; ich weiß nicht weßhalb; aber ih fange an, an diefelbe zu 
glauben und möchte fait überzeugt fein, daß das heutige Diner nicht 
nur für did ein Augenbli des Gluckes war, fondern daf du denfelben 
auch richtig erfaßt Haft.” 

„Du fannft dein Spotten nicht laſſen,“ verfepte der Kammerherr, 
„wirſt aber vielleicht doch noch finden, daß meine Theorie eine gang 
richtige if." 

Es war aber noch eine dritte Perfon vorhanden, welche das Ges 
ſpraͤch zwiſchen der Prinzeffin und dem Kammerherrn nicht nur mit 
angefeben, fondern vielleicht auch belauſcht Hatte. Dies war der dienfte 
thuende Kammerdiener des Regenten, Herr Kindermann, mit dem ewi⸗ 
gen Lächeln. Die Prinzeffin ftand in der Fenſterniſche, zunaͤchſt der 
Thür, welche Herr Kindermann, als die Herrfhaften den Speiſeſaal 
verfafien, fanft fächelnd hinter ihnen zudrüdte, — ſchloß, fönnten wir 
nicht fagen, denn er ließ eine unbedeutende Spalte offen, für Auge 
und Ohr brauchbar, weldhe er denn auch, angenehm lächelnd, abwech- 
felnd mit dieſen beiden Sinnebwertzeugen benüßte. Darauf richtete er 

ſich ſchmunzelnd im die Höhe, fuhr lächelnd durch's Haar, zupfte lächelnd 
an feiner Halabinde und öffnete ein paar Augenblide fpäter beide Flü⸗ 
gelthüren.“ 

Ihre Durchlaucht hatte nämlich dem verfanmelten Hofitaate das 
befannte Entlafjungscompliment gemacht; dann verbengte man fid ringe» 
umber, krümmte den Rüden in alle Winkel, man Mnigte durch alle 
Grade, Säbel und Sporen klirrten abermals wie beim Empfang, die 
feidenen Kleider rauſchten und die Geſellſchaft ftob nach allen Richtun⸗ 
gen auseinander. Viele der Herren und Damen behielten ihr anges 
nehmes ſtereotypes Lächeln bei bis auf die Treppe des Schlofies; da 
aber zogen · ſich manche Augenbrauen zufammen, mander Hut wurde 


62 Fauftes Kapitel, 


verdrießlich aufgefeßt, mancher Saͤbel etwas Heftig in den liuken Arm 
genommen, und ber Befehl mancher Dame an ihren Bedienten, wähs 
rend fie in ihren Wagen flieg: — „Nach Haufe!“ war von einem " 
tiefen mißmuthigen Seufger begleitet, 


Fünftes Kapitel, 
Im Aabinet des Regenten. ‚ 


Der Dienft des Ordonnanzoffigiers war nach der Tafel für Heute 
beendigt. Morgen kam ein anderer Gfüdficher, der im Vorzimmer auf 
und ab fpazieren ging, der Belannte mit einem freundfichen Gruße 
empfing und Fremde mit einer gemeflenen Verbeugung entließ. 

Da Herr von Fernow in dem Borzimmer ein Meines Buch liegen 
gelafien Hatte, fo fehritt er vom Speijefaal aus abermals durch ben 
Tangen Eoreidor nach jenem Zimmer, Das Schloß lag jept ebenfo 
FÜ wie in den Nachmittagsſtunden, machte aber trogdem nicht denfel- 
ben fchläfrigen und Iangweiligen Eindruck. Auf den Treppen und 
Gängen brannten Lampen und ihr Schein zeichnete überall oft felt« 
fame Lichts und Schattenbilder, Der einfache Dragonerpoften im Bes 
ſtibule war für die Nacht zu einem Doppelpoften geworden und die 
Rataien, die fih ebenfalls hier befanden, fagen nicht mehr [hläfrig auf 
den Banquets, fondern unterhielten fich leiſe plaudernd und waren of⸗ 
fenbar in befferer Laune als Heute Nachmittag; denn die Zeit ihres 
täglichen Dienftes war bald verflofien und dann kam aud für fie die 
Stunde , wo fie zu Haufe in ihrer Gefcheldenen Wohnung den goldbe⸗ 
treten Ro ablegen durften, wo fle den Ihrigen von den ermüdenden 
Hertlichteiten des Hofes erzähfen und mit Vergnügen zufchauen konn⸗ 


Im Kabinet des Regenten. 63 


ten, wie fuftige Kinder ihre ſaͤmmtlichen Taſchen unterſuchten und fo 
gläctich waren, ein Stüdhen eroberten Kuchen zu finden. 

Das Adjutantenzimmer war erleuchtet und felbft hier fand es der 
Ordonnanzoffizier nicht mehr fo langweilig als an dem vergangenen 
Sonntag-Rachmittage, wo draußen der Helle Sonnenſchein bfigte und 
Hier tiefe Schatten Tagen. Jeht war dad ja umgefehrt. Die fladern- 
den Lampen erhellten freundlich das weite Gemach, flrahften in den 
Spiegeln wieder und glänzten auf die Goldrahmen und auf die blauke 
Spige der Leibdragonerftandarte, die hier aufgeftellt war. Draußen 
in dem Hofe dagegen brütete die finftere Nacht; doch war ſelbſt jener 
nicht fo einförmig wie Heute Nachmittag im Heilen Tageslicht. Man 
ſah Stallleute mit Laternen bei geöffneten Remifen mit den Wagen 
befchäftigt, die bei der heutigen Spazierfahrt gedient. 

‚Here von Fernow warf ſich in den Meinen Fauteil am Zenfter 
und blickte mit finftern Gedanken auf das Treiben dorten. — Auch 
ihr Wagen war gewiß dabei. Bielleicht war fie an der Seite des 
Oberſtjagermeiſters niedergeſeſſen, vielleicht hatte er während des Fah⸗ 
end ihre Hand berührt, wenigftens ihr leid, ihren Mantel ftreifen 
dürfen, und wenn Fernow das dachte, fo knirſchte er mit den Zähnen 
und ballte die Fauſt, um gleich darauf ſchrecklich über fich ſelbſt zu 
lachen. 

„Er hat ja das Recht, ihre Hand zu berühren,“ ſprach er bebend 
zu fich felber; „er hat ja das Recht, Pünftig beftändig in ihrer Nähe 
zu fein; er hat ja alles Mecht über fie, fie wird ja in Kurzem fein 
Weib fein, — die Seinige, ganz die Seinige! Und ich wäre fo na 
menlos glüdlich geweſen, wenn id} nur zuweilen einmal ftill und vers 
guügt Hätte in ihrer Nähe fein dürfen, den Blick ihres Auges fehen 
und vielleicht — in Augenbliden des Glucks,“ — das fagte er in 
Erinnerung an das heutige Geſpraͤch mit grimmigem Lachen — „ihre 
Hand hätte berühren dürfen. — Verfluchtes Schiefal, das dem Einen 
Alles, Alles gibt, um dem Andern Alles, Alles zu nehmen.“ 

Gr barg feinen Kopf in beiden Händen und brauchte ſich nicht zw 


64 Fünfte Kapitel, 


ſchämen, daß er plöͤßlich fo unendlich weich geſtimmt wurde, wie ihm 
dies feit feinen Knabenjahren nicht mehr begegnete. Er war ja allein 
in dem weiten Gemach, und wenn die fpiegelnden Lichtftrahlen auch 
anf einen fonderbaren Glanz in feinen Augen fielen, fo verriethen fie 
nicht? davon; ihnen war es ja gleichgültig, ob fie einem Glücklichen 
oder einem traurigen leuchteten. Dazu pidlte die Uhr einförmig, und 
draußen hörte man die beiden Dragoner langſam aufe und abfchreiten, 
alles Saden, die den jungen Dffizier in immer tieferes Nachdenken 
wiegten. Bei dem, was er verloren, war es begreiflich, daß er mit 
einem bitteren Gefühl an die Theorie feines Freundes dachte, an einen 
Augenblid des Glüds, welchen nach derfelben Jeder in feinem Leben 
einmal babe, den aber nur wenige Auserwählte zu erfaflen vermör 
gen — — — 

„Es ift das eigentlich ein gräßficher Gedanke,“ ſprach er zu fih 
felber, indem er Haftig von dem Fauteuil auffprang; „zu denken , das 
Süd umſchwebe Einen, man brauche die Hand nur darnach auszu⸗ 
reden, aber man wiffe weder den Augenblid, wo es uns nahe iſt, 
noch nad) welcher Seite’ wir fafien müflen, um ed zu erlangen. Wenn 
ich mir,“ fuhr er nach einer Paufe fort, „ein Sprihwort aus ber 
Kinderzeit vergegenwärtige, daß auf Regen Sonnenfhein folge, und 
daran glauben würde, fo müßte ja der Augenblit des Glüdes nahe 
fein, wenn man vom tiefften Unglück berührt würde, — — Unglüde 
licher als ich Heute geworden bin, Tann ich wohl nimmer werben. 
Barum folte mir nicht vieleicht in diefem Augenblid das Gfüd die 
Gunft erzeigen, mir nahe zu treten? Aber wo es erfaflen? — wo? 
wor — 

Bei diefen Worten war er heftig aufe und abgegangen und hatte 
die fegteren Tauter geſprochen, als gerade nothwendig war; er erfchradt 
auch faft über den Ton der eigenen Stimme, als die Wände ded Weir 
ten Gemachs von feinem Wo widerhallten, Gr hätte lägen können 
über ſich felber und feine Träume zerrannen fo in Luft, daß er ſich 
erinnerte, er habe bier durchaus nichts mehr zu thum, ala fein Buch 


Im Kabinet des Regenten. " 65 


zu nehmen und dann nach Haufe zu gehen. — — Da Hörte er mit 
einemmale im Nebenzimmer den Klang einer Glocke, die ziemlich ſtark 
angefhlagen wurde. Ihm war biefer Ton wohl befannt, er kam ans 
dem Kabinet des Regenten. 

Der Ordonnangoffigier eilte gegen die Thür bes Veſtibuleb, um 
dort einen der Lakaien oder Kammerdiener zu rufen. Als er aber 
ſchon Die Hand auf den Drüder gelegt Hatte, blleber plobiich ftehen 
und es war, ald fpräde eine Stimme in ihm: Das ift der Augenblick 
des Glide! — Obgleidh er diefen Gedanfen abweiſen wollte, fo trat 
ex doc) wieber in das Zimmer zurück, überlegte ein paar Sehunden 
und wenn er auch gleich daranf hinaus in das Veftibule zu gehen im 
Begriff war, fo zog es ihn doch nach der anderen Thür, die er faft 
willenlos öffnete und trat in ein Gemach, welches zu den Zimmern 
Seiner Hoheit führte. 

„Borwärtö!" ſprach er Lächelnd zu fh; „was kann ein überflüſſi- 
ger Dienfteifer ſchaden? Du haft dem Ruf der Glocke gehört, es ift 
Niemand in der Nähe; alfo vorwärts!" 

Benige Augenblicke nachher öffnete er die nächſte Thür und fand 
in dem Sabinet des Regenten. Es war das ein Meines, freundliches 
Gemach, dicke Teppiche bedeckten den Boden, im Kamin Ioberte des 
noch kühlen Frühlingsabends wegen ein behagliches Feuer und vor 
diefem ftand ein Meiner Tiſch, beftrahft von einer ftarfen Garcellampe, 
die an Broncefetten von der Dede herabhing und an diefen auf und 
ab gefhoben werden konnte. Diefe Lampe war bededt mit einem weis 
ten grünen Schirme, weldjer dad ganze Licht auf den Tiſch niederwarf 
und das übrige Zimmer in einer fanften Dämmerung ließ. Diefe war 
aud wohl Schuld daran, daß der Regent, der auf einem Sefiel neben 
dem Tifhe faß, den Eintretenden nicht ſogleich erkannte und in dem 
Glauben, es fel Herr Kindermann, ohne aufzublicken fagte: 

„Sehen Sie nach ob Graf Schuler im Schloſſe it; id möchte 
ihn einen Augenblic fprechen.“ 

Hadiänderb Werke. XXL 5 


66 Fünftes Kapitel. 


Graf Schuler aber war der erfle Adjutant des Regenten. 

Als der Ordonnangoffigier fi) ummwandte, um dieſem Befehle 
Folge zu feiften und als dabei fein Sabel leiſe Mircte, blidte der Re 
gent in die Höhe und fagte raſch: „Ah! Sie find es, Sie waren noch 
im Borzimmer 

„Zu befehlen, Cuer Hoheit,“ erwiderte Herr von Zernow; „ich 
ſuchte draußen etwas, das ich vergefien, vernahm, daß Jemand gerufen 
wurde, und da feiner von der Dienerfchaft in der Nähe war, erlaubte 
ich mir, einzutreten.“ 

„So, ſo,“ fagte der Herzog und dabei faßte er den Fuß der 
Lampe und ſchob fie fo hoch empor, daß das volle Licht auf den jun. 
gen Offizier fiel. Diefer land ruhig erwartend an der Thür und 
blicte mit feinen Maren, ehrlichen Mugen nad) dem Regenten hin. 

„So, fo,“ wiederholte diefer und ſchien dabei Über etwas nachzu⸗ 
denfen, wobei er mit den Fingern auf dem Tiſch trommelte. — — „, 
wollte meinen eriten Adjutanten rufen laſſen,“ ſprach er nach einer Pauſe, 
indem er lächelud aufblickte, „und num erſcheint ungerufen mein Tepter.“ 

„Drdonnangoffigier, Euer Hoheit,“ fagte Herr von Fernow nicht 
ohne Abficht. 

„Ganz richtig, Ordonnanzoffigter;“ entgegnete der Regent freund» 
lich; „aber was nicht ift, fann werden. — 8 ift vielleicht auch fo 
gut,” jegte er nach einem abermafigen Nachdenfen hinzu. 

„Iqh würde mid) außerordentlich glacklich fChägen, von Eurer Ho» 
heit zu einem Dienfte befohlen zu werden.“ 

Der Regent hatte fih bei diefen Worten des jungen Offigierd von 
feinem Stuhle erhoben und, indem er um einen Schritt näher trat, 
wobei er ſich mit einem Arme auf den Kamin ftügte, fagte er: 

„Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligfeit; aber es gibt Dienfte, 
die man eigentlich nicht befehlen will.“ 

„Bern Eure Hoheit mir die Anleitung zu einem ſolchen Dienfte 
geben wollten, fo ftehe id; mit meinem Leben dafür ein, daß derſelbe 
auſs Punttlichſte ausgeführt werden ſoll.“ 


Im Kabinet. des Regenten, 67 


Der Regent betrachtete den jungen Mann, der mit fo feſtem und 
beftimmtem Tone zu ihm ſprach, mit augenſcheinlichem Wohlgefallen, 
wobet feine Blide von dem fdhönen, rufigen Gefichte leicht über deffen 
ganze fräftige Geftaft Hinabglitten. 

„Bie tommt es,“ ſprach er nach einer Paufe, „daß Sie noch 
nicht unter die wirklichen Adjutanten eingereiht wurden? Sie find 
Nittmeifter im. Gardebragoner-Regiment, und wie ich mid, beftändig 
gehört zu Haben erinnere, von mufterhafter Aufführung im Dienfte. Ste 
ziehen es wahrfcheinlih vor, im Regimente fort zu dienen? — — 
Richt?“ 

„3% würde mich glüdtich ſchaten, beftändig um die Perfon Eurer 
Hoheit fein zu dürfen.“ 

„So? — das begreife ich nicht recht. Weiß der Kriegsminiſter 
darum?" 

„Ex tennt meinen Wunſch ganz genau, Euer Hoheit.” 

„Barum flug er Ste aladann nicht zu einem meiner Adjutans 
ten vor?“ 

Der junge Ordonnangoffigier lächelte bei diefer Frage eigenthüms 
lich; dann fagte er mit feiner gewöhnlichen Offenheit: „Eure Hoheit 
werben mir verzeihen, wenn ich diefe Frage einfach mit der Bemerkung 
beantworte, daß ich Fernow heiße.“ 

„Richtig,“ nickte der Regent; „ha! wahrlich! Ja, jept befinne ich 
mich, Ihr Vater ftand mit dem Kriegeminifter nicht auf dem aller 
beften Fuße.“ 

„Auf dem allerfhlechteften, Eure Hoheit.” 

„So if. — — Ber Tann allen biefen Fäden folgen? Es ift 
aber doc ein Glüd, wenn man zuweilen bineingreift.” 

Eure Hoheit haben bie Macht, Dies zu than,“ fagte Herr von Fernow 
fee eruſt; „ir Andern aber müffen gevulßig aufehen, wenn and 
unfer Lebensglück unter fo manden Fäden, die angefnüpft werben, 
feidet.“ 

Als das der junge Ordonnangoffigier fagte, richtete fich der Megent 


68 Fanftes Kapitel. 


and feiner ruhigen Stellung am Kamin in die Höhe und blickte dem 
Svrecher forfgend in die Angen: „Das Mingt ja ganz elegiſch! Ei, ei! 
jeßt beſinne ich mich auf manderlei. Sie haben heute einen ſchlechten 
Tag gehabt.” 

„3a, Eure Hoheit,“ entgegnete Herr von Fernow mit großer 
Offenheit. . 

„Man ſprach mir von Ihrer Leidenſchaft für die ſchdne Ripperda. 
Ia, mein lieber Fernow, das find Fäden, um bei unferer Anfpielung 
gu bleiben, die ich nicht angefnüpft habe und in welche hineinzufahren 
meine Hand nicht mächtig genug iſt.“ 

„Leider, Eure Hoheit!" 

„Da hätten Sie fi mit der Pringeffin beffer ftellen follen,” fuhr 
der Regent fächelnd fort; doc wurde er gleich darauf fehr ernſt und 
fagte: „Berzeihen Sie mir meine Heiterkeit; ich will Ihnen damit 
gewiß nicht wehe thun. Glauben Ste mir, id; fühle vollfommen, wie 
hart umd fehmerzlich der Vorfall heute nach der Tafel für Ste ge 
wefen if.“ 

. Dabei reichte der Regent dem jungen Offizier die Hand, ber fie 
tief gerührt ergeiff und faft am feine Lippen geführt Hätte; doch Hin 
derte dies der Furſt durch eine raſche Bewegung, Die er gegen den 
Kamin machte, um auf die Standuhr zu fehen. 

„Schon Halb acht!” rief er aus; darauf fhüttelte er mit dem 
KRopfe, legte die Hände auf den Rüden, ging bis ams Ende des Ger 
machs, und ald er wieder zurüdgelehrt war, trat er dicht vor dem 
jungen Offizier Hin, legte die Hand auf feine Schulter und fagte nad 
einem langen und feften Blick: „Wir wollen den Grafen Schuler 
nicht intommodiren; vielleicht fönnen Ste mir einen Dienft erzeigen?" 

„Ich werde mich glüpklich fhäpen.“ 

„68 it fein Dienit gewöhnlicher Art,“ fuhr ber Regent eruft, 
fat finfter fort; „wenn Ste wollen, ein belicater Dienft, und indem , 
ich Ionen denfelben übertrage, beweife ich Ihnen kein gewöhnlichen 
Vertrauen,” 


Im Kabinet des Regenten 69 
„Eure Hoheit beweifen es gewiß feinem Unmwürdigen.“ 


Nach diefen Worten wandte fih der Regent um, ging mehrmals - 


in dem kleinen Gemache auf und ab und nahm dann feine erfte Stels 
fung am Kamine wieder ein. 

„Ich brauche Ihnen,“ ſprach er, „ald einem jungen Mann, der mit 
offenem Ohr und offenem Auge an unferm Hofe erſcheint, wohl feine 
Andeutungen zu geben über die Spaltungen au demfelben ſeit dem 
Tode meines Bruders. — Sollte id Ihnen die erft geben müflen,“ 
fegte er mit einem eigenthümlichen Lächeln Hinzu, „dann freilich würde 
es Ihnen ſchwer werden, mir im vorliegenden Falle zu dienen.“ 

„Eure Hoheit werden mir die Bemerkung verzeihen, daß ich diefe 
Spaltungen fehr genau kenne, da ich ja felbft ſchwer und ſchmerzlich 
darunter zu leiden habe.“ 

„Sie wifien,“ fagte der Regent, „daß der fo plöpfiche und uners 
wartete Tod meines Neffen den Thron erledigte, daß er jtarb, ohne 
feinen Nachfolger gefehen zu haben. Rah dem Haugefep übernahm 
ic) Die Regentfchaft und werde fie bis nach erfolgter Niederkunft der 
verwittweten Herzogin behalten. Gewährt der Himmel dem Kande 
einen Pringen, fo würde ih nach dem Pamilienftatut die Regentfhaft 
bis zur Großjährigfeit des neuen Herrfchers führen, erhalten wir aber 
eine Prinzeſſin, fo fält der Thron nach dem Familienſtatut, das die 
Cognaten ausfchliegt, an den naͤchſten Agnaten des verftorbenen Her» 
3098, und der bin ih — fein Ontel.“ 

Der junge Ordonnangoffigier machte eine tiefe Berbeugung. 

„Wie wir und Alle in den Willen des Schidfals fügen müflen, 
fo würde dad meine arme Nichte, die verwittwete Herzogin, in jedem 
Falle mit voller Ergebung thun und würde ihrem Kinde die gleich 
gärttiche Mutter fein, fei es ein Prinz, ſel es eine Prinzeffin. Es wird 
fie vieleicht vorübergehend betrüben, daß die Krone dieſes Landes nicht 
bei ihren directen Nachfommen bleibt; aber fie wird ſich darin zu für 
‚gen wiffen und bie Vorſehung nicht anflagen, bie es fo gewollt.“ 

Nachdem der Regent fo geſprochen, machte er abermals einen 


70 Fünftes Kapitel. 


raſchen Gang durch das Zimmer, ſtellte fich Hierauf näßer zu dem 
jungen Dann und fchaute ihn feſt an, während er das Folgende fpradh: 

„Die Prinzeffin Glife dagegen dentt anders. — Sie möchte ſelbſt 
gern eine-Art Heine Vorſehung fein und dem Schidfal nachheifen wo 
es nicht galant genug wäre, einer fhönen Dame das zu erfüllen, was 
diefe fi in den Kopf gefept hat. — Ich weiß nicht, ob Sie mid 
verftehen.“ ” 

„Ich glaube, Euer Hoheit zu verftehen.” 

„Run gut, — Benn ic) jept fortrede, junger Mann,“ fagte der 
Zürft plögfich mit einem falten, faft drohenden Tone, „fo beweife ich 
Ihnen ein Vertrauen, deffen Mißbrauch von den bebenflichften Folgen 
fein fönnte, nicht fowohl für mid, als — für Ste, — Es gibt 
Menſchen mit dem beften Willen,“ fuhr er gleich darauf im leichtem 
Tone und mit einer gefälligen Handbewegung fort, als er fah, daß 
ihm Herr von Fernow etwas antworten wollte; „Menfchen, die mit 
dem beften Willen doch nicht tm Stande find, — ein Geheimniß zu 
bewahren. Wenn Sie zu diefen gehören, mein lieber Fernow, fo ber 
endigen wir die Unterredung, und ich bitte, mir den Grafen Schuler 
zu rufen.“ 

„Wenn ich es aber vorzöge, felbft zu bleiben, Euer Hoheit?" ent 
gegnete der junge Mann, indem er eine ieichte Berbeugung machte und 
dabei die rechte Hand wie bethenernd auf die Bruft legte. Zugleich aber 
ſchaute er dem Negenten fo offen und ehrlich und mit fo feſtem Blick 
in das Geſicht, daß dieſer mit einem lächelnden Kopfniden antwortete: 

„So nehmen Ste meine Worte von vorhin als eine leichte Ver⸗ 
warnung, die fih ein älterer Mann einem jüngeren gegenüber wohl 
erlauben darf. — Hören Sie mi: Wie ich Ihnen ſchon andeutete 
und wie Sie aud felbit wohl wiffen, iſt die Pringeffin Elife eine 
andere Natur, ald ihre Schwefter, Mit unfchägbaren Eigenſchaften 
des Geiftes und auch des Herzens verbindet fie eine Luft zur Intrigue, 
die mich ſchon bittere Augenblide gekoſtet hat. Statt einer Sache, die 
man nicht woraus berechnen kann, ihren Lauf zu laſſen, intereffirt fie 


In 


Im Kabinet des Regenten. 7ı 


fich ſchon Heim Anfange fo lebhaft für das Ende, damit bie nämlich 
fein möge, wie fie es wünſcht, daß fie alle möglichen Mittel aufbietet, 
ſelbſt das Schickſal in die Bahnen zu lenken, die fie demfelben in ihrer 
Raune vorzeichnen möchte. Man önnte fagen: die Laune eines Weibes! 
und achſelzuckend vorübergehen; aber die Gombinationen der Pringeffin, 
wenn auch auf falſchem Wege, find dabei fo geiftreih, daß man fie 
überwachen muß, um irgend ein Unglüd oder wenigftens eine unfäg- 
liche Gonfuflon zu vermeiden. Sie fommt mir zuweilen vor, wie einer 
jener alten Alchymiſten, die mit großen Kenntniſſen ausgerüftet, Alles 
daran ſehen, den Stein der Weifen zu ſuchen, den fie freifich nie fane 
den, dagegen aber etwas anderes, irgend ein Fluidum oder ein Pulver 
aufammenftellten, deſſen verheerende Wirkungen ihnen unbelannt waren 
und wodurch fie eben ihr eigenes Haus über ihren eigenen Köpfen 
sufammenftärzten. — Die Prinzeffin fann den Gedanfen nicht ertras 
gen, daß die verwittwete ‘Herzogin dem Rande möglicher Weife eine 
BPrinzeffin fehenten fönnte. — Ich begreife wohl, daß fie einen Thron- 
folger wünfcht, indem fie aladann der Hoffnung lebt, bei der. fünftigen 
Regentfchaft ein bedeutendes Wort mitſprechen zu dürfen.“ Das fagte 
der Herzog mit einem farfaftifchen Lächeln. 

„Bir andern Menſchenkinder,“ fuhr er fort, „müflen uns unter 
den Willen des Schickſals beugen, ein unruhiger Geift, wie der ber 
Pringeffin aber glaubt, wie ich Ihnen ſchon vorher andeutete, daß es 
Mittel und Wege gebe, felbft das unabänderliche Gefhid ihrem Willen 
unterthan zu machen. Sie hat fi vorgenommen, es foll ein Prinz 
zur Welt tommen, und fie wäre im Stande, ſich mit Lenten einzur 
iaſſen, die ihr begreiffich machten, man fönnte ihren Willen auch in 
dieſem Punkte durchſetzen. — Ich weiß nicht, ob Ste mich verftehen.“ 

„Ich fürdhte faſt, Guer Hoheit,“ antwortete Herr von Fernow. 

„Gott foll mid, bewahren,“ fuhr der Herzog mit großem Grufte 
fort, „daß ich die Pringeffin, die bei ihrem Maren Berftand ein fehr 
edles Herz hat, für fähig hielte, je was derartiges gegen ihre eigene 
Familie zu unternehmen, aber leider fiebt fie nun einmal, mit dem 


72 Fünftes Kapitel, 


Feuer zu fpielen; und wenn man ihr eine Jutrigue zeigt, deren Ge⸗ 
fingen faft unmoglich ift, fo fpornt fie das gerade an, bie erften eins 
feitenden Fäden zu fmüpfen, um ſich ſelbſt umd Andern fagen zu 
tdnnen: „„Seht Ihr, fo fönnte es gehen." Sie wird aber gleich 
darauf das ganze Gewebe zerreißen mit dem Bufage: „Aber ich will 
nicht.“! — Es iſt das ihre Manie. — Glauben Ste mir, lieber 
Fernow,“ fagte der Regent zutrauficher, „daß aus demfelben Grunde 
die Verbindung der fchönen Ripperda mit dem Baron Rigoll ange 
bahnt worden ift. Hätte man ihr nicht gefagt: Das ift ja unmöglich, 
eine ſolche Verbindung fann nie zu Stande kommen, es iſt völlig wis 
derfinnig, das Fräulein jung, unabhängig, rei und [hör — “ 

„3a, ſehr ſchön,“ feufzte der Offizier. 

„Der Oberftjägermeifter von Allem das Gegentheil; liegt darin 
Berftand? Ich finde feinen.“ . 

„Das weiß Gott.” 

„Hätte fh wicht alle Welt dagegen erflärt, fo würde fi Die 
Prinzeffin diefer fatalen Sache nicht mit ihrer unwiderſtehlichen Reis 
denfchaft angenommen haben. — Ja, recht fatal,” fepte er in fehr 
gütigem Tone Hinzu; „und mir jept doppelt unangenehm, da ich einen 
Heinen Blick in Ihr Herz gethan, mein lieber Fernow. Ob da noch 
etwas zu machen iſt, darüber ann ich nicht urtheilen; da ich nicht 
weiß, wie genau Sie die junge Dame kennen. Rechnen Sie aber in 
jedem Berhättnifje auf meine Hülfe, foweit ich helfen kann.“ 

Der junge Offizier wollte mit beredten Worten feinen Dank auss 
ſprechen / doch unterbrach ihn der Regent ſchon bei dem erſten Sape, 

. indem er fortfuhr: 

„SKommen wir zu Ende, Daß ed viele dergleichen Sachen gibt, 
wo id) die Herzogin nicht contretarriren kann und mag, brauche ich 
Ionen nicht zu fagen. Sie foll meinetwegen die einfeitenden Schritte 
zu einem Verſuche thun, dieſes Schloß mit Allem, was drinnen ift, 
mitten in die Stadt zu verfegen, und ich will ruhig zuſchauen und 
dabei laͤcheln; dagegen iſt es meine Pflicht, Fäden zu zerreißen, welche 


Im Kabtnet des Regenten. 13 


die Prinzeffin unbefonnen zum Gelingen einer Sade anfnüpft, au 
deren Ausgang fie ſelbſt nicht glaubt, ein Ausgang, der fie felbft er- 
ſchrecken, ja empören würde, wo fie fi aber von gewiſſenloſen Men. 
ſchen rathen läßt, die nur begweden, fie zu, compromittien.’ 

„Wenn ich mic erlauben darf, zu fragen,“ ſprach Herr von Fer⸗ 
now, „fo wifien Euer Hoheit um die angefnüpften Füden?“ 

„Bolltommen.“ 

„Und fennen die Rathgeber?“ 

„Gewiß. — Baron Rigofl ift einer von denen, für die ed, wenn 
man ihren Worten glanben will, Teine Schwierigkeiten gibt. Und dem 
etwas in den Weg zu legen,“ fehte der Megent lächelnd hinzu, „würde 
Ihnen wohl gerade nicht unangenehm fein. Bei alledem gehört ed mit 
gu der Art, wie die Prinzeffin ihre Geſchafte beforgt, daß fie Ihre für 
genannten guten Freunde, die mit ihr an demfelben Werke arbeiten, von 
einander fern zu halten weiß, fo daf der Eine nie Har fehen fann, was 
der Andere neben ihm thut. Einer ihrer fhlinmften Rathgeber ift Jemand, 
der weder im Schlofie wohnt, noch Zutritt in demfelben hat, den die 
Prinzeſſin nie oder hoͤchſt felten fieht, und der feine Botſchaften auf die 
eigenthumlichſte Weife in ihre Apartements einzufchmuggeln verſteht. — 
Auch darin findet die Pringeffin einen eigenen Reiz, ein Zeichen zu er» 
fpähen, irgend öffentlich eine Botſchaft zu vernehmen, worin fid) ein Sap 
befindet, der für fie eine ganz andere Bedeutung hat. — Du Lieber Gott! 
ich Habe ihr felber oft den Gefallen erzeigt und in der Art mit ihr 
sorrefpondirt. — Doch das ift vorbei,“ 

Die legten Worte fprach der Regent in faſt trübem Tone, während 
ex fich mit der Hand über die Augen ſtrich. 

‚Herr von Fernow hatte diefe Bewegung faum bemerkt, denn ald der 
Regent von den geheimnißvollen Botfchaften fprach, die von außen in das 
Schloß gelangten, fiel ihm mit einem Male die Gefchichte mit dem. 
Bouquet vor der Tafel ein. 

rüber,“ fuhr der Regent fort, „habe ich mich wie gefagt wenig 
um dergleichen geheimnißvolle Winfe oder Worte bekümmert; der vor⸗ 


74 Fünftes Kapitel, 


Hegenbe Fall dagegen bedingt das anders, und ich muß wiffen, was hin 
und her correfpondirt wird. — Heute vor der Tafel —“ 

„Ag!“ ftieß der junge Offfsier in fo ausbrudsvollem Tone hervor, 
daß ihn ber Regent fragend anfah und ihu, ald er ehrerbietig ſchweigen 
wollte, durch eine Handbewegung zum Sprechen aufforderte. 

„Heute vor der Tafel,“ fuhr demgemäß Herr von Fernow fort, 
„sahen wir im Vorzimmer Ihrer Durchlaucht ein prachtvolles Blumen- 
bouquet.” 

„Bie?“ fragte der Regent, 

„Baron Wenden und ih. Wir waren beide im Dienft.“ 

„Ganz rihtig, Baron Wenden,“ 

„Bir führten ein eigenthümliches Gefpräch und im Verlauf deſſelben 
faßte Wenden mit der Hand in das Blumenbonquet und war überrafcht, 
in demfelben verborgen einen Papierftreifen zu finden.“ 

„Er war wirklich überrafht?“ 

„Gewiß, Eure Hoheit, Er hatte feine Ahnung davon.“ 

„Es ift möglich. Fahren Sie fort, Unfere Bemerkungen treffen id.“ 

„Wenden entrollte den Kleinen Papierftreifen und verficherte mir, er 
ſahe feine Zeichen daran. Ich glaubte ihm, doch als er hierauf das 
Papier gegen das Xicht hielt, ſah ich, wie feine Gefichtäzüge für einen 
Augenblick Höchft überrafht erſchlenen.“ 

„Rotürlih, Das Papier war durchſtochen und diefe Stiche hatten 
eine Bedeutung. — Weiter? Ich will dod hören, was Sie ferner ge 
fehen.“ 

„Nach der Tafel,“ fuhr der junge Mann in einem trüben Tone 
fort, „wurde jene Verlobung verfündigt. . .“ 

„Und das benahm Ihnen alle Luſt zu weiteren Nachforſchungen?“ 
fagte lachelnd der Regent. 

„Es war beinahe fo, ich geftehe es Euer Hoheit.“ 

„Run, dann will ich Ihnen den Verlauf erzählen; Baron Wenden 
wandte ſich an die Pringeffins — es tft das ein junger Mann, der ſchnell 
feinen Weg machen möchte, — er verficherte fle feiner unbedingten Er⸗ 


Im Rabinet des Regenten. 75 


gebenheit, und bie Pringeffin befahl ihm, er ſolle fih heute Abend um 
neun Uhr in ihrem Kabinet einfinden.“ 

„Aber, Eure Hoheit,“ entgegnete erſtaunt der junge Offizier, „fanden 
weiter von jener Fenſterniſche entfernt, als ich; und ich vernahm nicht das 
mindefte von dem fehr feife geführten Geſpräch.“ 

„Das ift wohl möglich,“ antwortete der Regent; „aber Sie Fönnen 
mir glauben, daß es fih fo verhält und Sie werden Gelegenheit haben, 
fich felbft davon zu überzeugen. Es ift mir nämlich alles daran gelegen, 
daß Die Unterredung dieſes Abends nicht flattfinde; ich will nicht, daß 
die Pringeffin ihre, gelinde gefagt, komiſchen Anfchläge und augenblick- 
lichen Eingebungen noch anderen Ohren preisgebe, fich weiter compro« 
mittire, Der Dienft, den Sie mir leiften fönnen, befteht alfo in Fol-⸗ 
gendem: Sie begeben fih um halb neun zu Kindermann, der wird Sie 
in einen Saal führen, den der Baron auf feinem Wege zu paſſiren hat. 
Dort halten Sie ihn im Geſpräche auf; begreiflicher Weiſe wird er fehr 
eifig fein und Ihnen nicht Rede ftehen wollen. Da Sie ihn aber genau 
kennen, fo gefingt es Ihnen vielleiht, ihn pinwegzuführen; meinetiwegen 
Tonnen Sie ja etwas davon fallen laſſen, Ste hätten aus guter Hand 
erfahren, ich, der Regent ſehe es nicht gern, wenn das Schloß um die 
angegebene Stunde, ohne daß irgend eine Gefellihaft befohfen fei, auf 
geheimnißvolle Art beſucht werde. Vielleicht komme ich fonftwie Ihrer 
Unterredung zu Hüffe; nügt aber das alles nichts, fo find Sie in Ihrem 
Dienft, Sie verhaften den Baron Wenden mit der größten Ruhe und 
bringen ihn mach Haufe; auf alle Fälle Hat er Ihnen dort fein Ehren 
wort zu geben, daf er fo ange in feiner Wohnung bfeibt, bis es mir 
befiebt anders zu verfügen. Morgen werden Ste mir über das Ganze 
Bericht erftatten. Sollte fich dagegen etwas Außergewöhnliches ereignen, 
fo bin ich ſchon Heute Abend für Sie zu ſprechen.“ 

‚Herr von Fernow verbeugte fich ehrerbietig vor dem Regenten, dankte 
ihm in einigen Worten für fein Zutrauen, und als fih der Fürſt darauf 
mit einem freundfichen Kopfniden und einer leichten Handbewegung vers 
abſchiedet, verließ er das Kabinet, ging durch den Vorſaal bei den Dras 


76 Fünftes Kapttel, 


‚gonern im Veſtibule vorbei, ließ fih von den Bedienten erftaunt anfchauen, 
die nicht begreifen konnten, was er um biefe Zeit hier zu machen habe, 
und trat dann an der Nebentreppe ind Freie. 

Draußen war eö indeffen fehr dunkel geworden, obgleich ſich der 
Himmel Mar und ſchͤn wie am vergangenen Tage auch jept noch über 
der Erde wölbte, mit Myrladen von Sternen, die in vielerlei Farben 
funtelten und bfigten und durch die eigenthümfiche Stellung zu einander 
jene Figuren zeigten, die wir Sternbilder nennen. 

Der Ordonnangoffigier ging durch das Schloß und trat auf Die große 
Terraſſe vor dem Hauptportal, wo er die nächtliche Stabt mit ihrem Duft 
und Rebel, mit ihren langen, jegt weiß leuchtenden Straßenfinien, mit 
ihren blihenden Lichtern hie und da, mit Wagengerafel, entfernter Muſit, 
mit {rem unaufpörlichen Summen und Saufen vor ſich liegen ſah. 
Er Hatte feinen Mantel umgenommen, eine Cigarte angezündet und wenn, 
er, den füßen Dampf einziehend, auf diefelbe blickte, und den Meinen 
feuchtenden Punkt immer größer werden fah, fo war er im Stande, 
feine Gedanken zu concentriren und eigenthümlichen Träumereien nach- 
zuhaͤngen. Was hatte er am heutigen Tage alles erfahren! Wie war 
fein Herz verwundet worden! Wie hatte er zum erſtenmale fo wild und 
ſturmiſch gefühlt,- daß er jenes herrliche Mädchen liebe, innig Tiebe, ja, 
mit aller Kraft feiner Seele liebe, — — hoffnungslos Liebe! Und darauf 
der Abend! Das, was ihm tm Kabinet des Regenten begegnet war! 
Hatte er nicht vielleicht das Glüd ergriffen, ald er jenem Rufe der 
Klingel folgte? O ja, es mußte fo fein, die Theorie des Baron Wenden 
war richtig, ed gab einen Augenblid des Gfüds, dann aber auch, da es 
Hein Richt ohne Schatten gibt, ebenfo gut einen Angenblid des Unglüds, 


Im Kabinet des Rammerdieners. 77 


Sechstes Kapitel. 
Im Kabinet des Kammerdieners. 


Zräumereien und Cigarre waren zu Ende, als die Schloßuhr acht 
ſchlug und eine Menge gefhwägiger Glocken in der Stadt dieſes wid. 
tige Ereigniß lautklingend und fröhlich verfündeten, als erzählten fir 
eine große Merkoürbigfeit. 

Der junge Orbonnanzoffizier fchritt nach der hintern Seite des 
Schloſſes zu, mit einem tiefen Seufzer an ben Himmel blickend, wobei 
er den Namen „Helene“ mehrmals und innig ausſprach. Daß in dies 
ſem Augenblick ein bligender Stern über einen Theil der dunkeln Wöl- 
hung droben niederfuhr, nahm er als eine gute Vorbedeutung; denn 
man fagt ja, die Sternſchnuppe verheiße die Erfüllung eines Wunfches, 
an den man beim Eblicken derfelben dachte; was aber Herr von Fer⸗ 
now dachte, ald er gen Himmel blickend den Namen Helene ausſprach, 
brauchen wir weder unfern geneigten Leſern und noch viel weniger 
unfern geneigten Referinnen zu erflären. 

Der gewöhnliche Aufenthaltsort des erften Rammerbieners Kinder 
mann war ein kleines Zimmer in der Nähe des herzoglichen Kabinets, 
und dahin begab fi gemäß dem erhaltenen Befehle der DOrdonnang 
offizier und klopfte leiſe an die Thür. Innen rief man: Herein! und 
diefes Herein Mang fo angenehm und freundlich, daß man in diefem 
Herein ordentlich das lachelnde Geficht des Herrn Kindermann fah. 

Der würdige alte Herr befand fih au in dem Meinen Gemache, 
Täcjelte dem Gintretenden freundfich entgegen und machte beim Anblick 
des Dffigiers mit folder Umſtaͤndlichteit feine Anftalten, um aus dem 
bequemen Lehnftuhle aufguftehen, daß Herr von Fernow nichts Eiligeres 
zu thun Hatte, als den alten Herrn zu Bitten, ja ihm zu befehfen, 
figen zu bleiben. 

„In der That, man wird müde," fagte Here Kindermann, und 


78 Sechstes Kapitel. 


dabei dämpfte er fein Lächeln ein wenig, um eö gleich darauf wieder 
um fo heller aufftrahlen zu laffen, als er hinzuſetzte: „Daher thut e& 
einem alten Manne nach vollbrachtem Tagewerk fo wohl, in filler 
Beſchaulichteit ein wenig ausruhen zu Eönnen. Wenn ich aber fipen 
bleiben fol, gnädiger Herr, fo müllen Sie mir die außerordentliche 
Chre erzeigen, ſich ebenfalls am Kaminfeuer ein wenig niederzulaffen; 
im andern Falle zwingen Sie mich aufzuftehen, meinen Frad anzu⸗ 
ziehen und in der mir zufommenden Haltung neben Ihnen aufrecht zu 
verharren.“ 

Herr Kindermann hatte nämlich fein Dienſtkleid ausgezogen und 
ſteckte mit der weißen Halsbinde, mit dem lächelnden Gefihte, den 
wohlfrifirten Haaren und untadelhaften Schuhen und Strümpfen in 
einer feinen weißen Piquöjade, die aber augenfcheinlich zu lang und 
zu weit für ihn war, was wohl daher kommen mochte, daß die Per- 
fönfichteit des Regenten größer und breiter war, als bie feine® Kammer» 
dienerd. Auch faß Herr Kindermann nicht trocken vor dem hell lodernden 
und fanft wärmenden Kamine. Auf dem Gefimfe deffelben ſtand eine 
zierliche Beine ſilberne Punſchbowle, aus welcher es ganz allerliebſt 
duftete. 

Da der Orbonnanzoffizier einmal ſaß, fo mußte er fi aus dem 
Getränfe der Bowle ein Meines Glas auffüllen laſſen, woran er aud 
zur geößen Zufriedenheit des Rammerbienerd nippte. — Dieſer ſah 
anf bie Uhr und fagte: 

„Bir haben volltommen Zeitz noch eine gute halbe Stunde, und 
au dann werden Sie, in dem großen Saale dort oben noch lange 
genug warten müſſen. So ift es denn doch offenbar beſſer, wir wars 
ten bier unten, ala da oben. Zu lange dürfen wir und dagegen auch 
nicht aufgalten, denn man weiß nie, was paffiten fann. Unter uns 
gefagt, Herr von Fernow, mich freut es außerordentlich, daß Sie ger 
vade im Vorzimmer waren und zufällig in's Kabinet Seiner Hoheit 
traten. Das find Augenblide, die zu viel Gutem führen Tönnen.“ 

„Augenblicke des Glücks,“ fagte lachend der Dffizier. 


Im Kabinet des Kammerdieners. 79 


Gewiß, Augenblide des Glüds,“ fuhr Herr Kindermann wohl 
gefällig Tächelnd fort; „aber in der That es freut mich gerade für Sie. 
Ich habe den Papa fehr wohl gefannt; Seine Excellenz waren ein 
harmanter und liebenswürdiger Herr, und umgänglich, Herr von Fer⸗ 
now, fehr umgänglich. Ich kann Ste verfihern, Seine Egrellenz traten 
nie in dies Meine Vorzimmer, ohne zu mir zu fpredhen: Herr Kinder 
mann, wie geht's Ihnen? oder: Herr Kindermann, wie haben wir ges 
ſchlafen? Und ich verfichere Sie, das Wir war ein Act der Vertrau⸗ 
uichteit, den ich wohl zu würdigen verfland. Unter dem Wir meinte 
Ihr Papa auch noch was anderes. Cbenſo, wenn er fragte: Herr 
Kindermann, was haben wir heute für Wetter? Damit meinte er 
nicht, ob es draußen regnete oder ob die Sonne fhlen, fondern er 
wollte wiflen, ob fonftwo der Himmel Mar oder ftürmifch fei. Und 
dabei fann ich Sie verfihern, daß ich Seiner Extellenz in dieſem 
Punkte immer die beften Andeutungen gab. Gewiß, Seiner Excellenz, 
Ihrem Heren Papa, habe ich nie falſch berichtet.” 

„Und font fam es Ihnen nicht darauf an, Herr Kindermann, 
vielleicht hie und da ein falſcher Wetterprophet zu fein?" 

Herr Kindermann hatte fein Glas ergriffen, fehielte, ehe er es 
zum Munde führte, mit einem umausfpredjlichen Lächeln nad; dem 
Lichte Hin, nahm einen tüctigen Zug und antwortete: 

„Es gibt ein altes Sprichwort: Wie man in den Wald Hinein- 
ſchreit, fo hallt es heraus; und ich kann Sie verſichern, Herr von 
Fernow, es gibt an jedem Hofe unbedachtjame Leute, die einen Kams 
iwmerbiener des regierenden Heren mur wie ein Ding betrachten, wie 
eine Sadje, gut genug, um anzumelden und die Thür zu Öffnen. Und 
das iſt doch eine fehr unrichtige Auffaflung unferer Stellung.“ 

„Allerdings eine unverantwortliche Auffaffung.” 

„Freilich fge ich weder im Staatsrathe, noch habe ih Stimme 
im Miniftertum,“ fuhr Here Kinderman feife ſchmunzelnd fort; „dage⸗ 
gen aber,” ſehte er mit großem Selbftgefühl hinzu, während er Leicht 
feine weiße Halsbinde rich: „Dagegen bin ich ed, der Seine Hofeit in 


4 


© Schötes Kapitel. 


unbewachten Augenbliden fieht, der Hochſtdemſelben die Halsbiude 
Mmüpft, ihm den Säbel umſchnallt, umd der ihm vor allen Dingen 
Parfum auf das Sadtuch träufelt. — Sie fehen mic erftaunt an, 
‚Herr von Pernow; aber ich bin gegen Sie ungeheuer offenherzig, 
fon dem Andenten an den Papa zu Liebe; und ich verfichere Sie, 
die drei foeben genannten Berrichtungen, mamentlich die Ießtere, find 
für mid von ber -größten Wichtigkeit. Verftehen wir und recht. Es 
iſt da irgend Etwas 108, worüber ich gar zu gern die Meinung Seiner 
Hoheit hören möchte. Rum ift es mir aber um Alles in ber Welt 
nicht erlaubt, den Herm geradezu anzureden. Ich Müpfe alfo die 
Halsbinde ein wenig fefter, ald gewöhnlich; Seine Hobeit fagt vielleicht 
gar nichts darauf, fondern macht mir ein Beiden, fie Ioderer zu 
Mnüpfen. Das ift alddann fhlimm. Seine Hoheit bemerkt aber auch 
vielleicht: „Kindermann, wir find Heute aber and, verdammt unge 
fett.” Das if} ſchon ermuthigender, und ich feufze dagegen und 
ſpreche: Ia, es ift wahr, Euer Hoheit, wir find zumeilen recht unge 
ſchiat. — IR das heraus, fo wette ih Zehn gegen Eins, der Herzog 
fängt an zu lachen und fagt 3. B.: „„Nun, Kindermann, das Bir 
bitte ich mir aus“ — — Sehen Sie, Herr von Fernow, dann habe 
id) gewonnen Spiel. Es iſt dann gerade fo, als wenn man eine 
Mühe aufzieht. Zuerft dreht ſich das Rad widerſtrebend, iſt ed aber 
einmal im Gange, fo fünnen Sie mir glauben, dag Kindermann fein 
Korn zu mahlen verfteht, wie irgend ein Anderer.“ 

„Das {ft wirklich ganz erſtaunlich,“ fagte lachend der Ordonnange 
offizier; „und ich werde mir von Ihren Andeutungen Einiges zu 
Nupe machen.“ 

‚Herr Kindermann hatte abermals einen tüchtigen Schluck feines 
vortrefflihen Ananaspunfches zu fih genommen und fuhr dann fort: 

„oftmals aber nügt mir weder Halsbinde noch Säbel. Was den 
lehteren anbelangt, ſo wähle id} nämlich in gemiffen Fällen einen, der 
Seiner Hoheit nicht convenirt. Heißt es nun kurz und barſch: Einen 
andern! fo wird gang einfach das Taſchentuch mit Esbouquet beträus 


Im Kabinet des Kammerdieners. 81 


felt. Seine Hoheit ziehen nämlich Cau de Cologne vor. Das iſt 
jedoch mein Iefteß verzweifeftes Mittel und wird in der That nur bet 
großen Angelegenheiten angewandt. Sie willen felbft, Herr von 
Fernow, daß nichts fo fehr die Erinnerung an Etwas auf's Lebhafteſte 
zurückruft, als der Duft irgend einer Pflanze, eines Parfums. Wir 
haben das ja alle erfahren. Riechen wir im Frühjahr das erfte Heu, 
fo überfällt und ordentlich wehmüthig der Gedanke an die Yugendzeit, 
wo wir die Schule ſchwänzten, um im Freien herumzulanfen. — Run 
überfommt aber den Regenten eine ganz eigenthümliche Erinnerung, — 
das Nähere gehört nicht hiehet — wenn Höchſtdieſelben Esbouquet 
riechen. Das ftimmt Seine Hoheit weich und macht ihn nachdenklich; 
ja er kann ſich dabei fo in feine Phantajien vertiefen, daß ich nur 
etwas Taut zu huſten brauche, um gefragt zu werden: „Was haben 
Sie gefagt, Kindermann?” Und wenn man gefragt wird, fo darf man 
antworten. — Aber Sie trinfen gar nicht von dieſem wirklich koſtba⸗ 
ten Punfhe, Herr von Fernow! Thun Sie das ja! Die Nahtluft 
ÄR FÜht, and droben in ben Gäten fe am Dife Zeit gar nit de- 
haglich·· 

Bei dieſen anfınunternben Worten hatte der Kammerdiener fein 
Glas zroifchen beide Hände genommen, drehte es bin und her und er- 
freute ſich fanft Lächelnd am den Meinen Ringeln, die fih in der gofd- 
gelben Fluſfigkeit zeigten; auch roch er daran, che er abermals trank. 

„Es freut mich in der That, Herr Kindermann,“ unterbrach der 
DOrdonnangoffizier die Stille, „daß Ste fi) meines Vaters auf fo ans 
genehme Art erinnern, es geht nicht allen Leuten fo.” 

„Weiß wohl, weiß wohl,“ entgegnete der Kammerdiener; „Sie 
müßten fange Major fein und Abjutant, und deßhalb iſt es gerade 
gut, daß Sie Heute Abend Seine Hoheit Im Vertrauen gefprochen. 
Bir werden fon darauf zurückkommen. — Apropos,” fuhr er nad 
einer Heinen Paufe fort: „etwas Anderes In Ihren Angelegenheiten 
Hätte id) mir nicht fo finfhweigend gefallen faffen.“” 

Hadiänders Berte. XXI. 6 


8 Sechstes Kapitel. 


‚Und das iſt?“ fragte eifrig und aufmerffam der Andere; denn 
er ahnte fon, was fommen würde, 

„Nun, die Verlobung, die wir heute gefeiert haben. Ah! das It 
ja ein Scandal, und ich werde mic der Sache ganz befonderd ans 
nehmen.“ 

„Wenn dad was helfen nnte, würde ih Ihnen zu großem Dante 
verpflichtet fein.“ 

„Bas helfen könnte? — Es iſt freilich ſchon fpät! der Karren 
iſt ſchon ziemlich verfahren.“ 

‚Mnd Ihre wichtige Hülfe vielleicht fhon unnüg; denn wer kann 

wifien, ob das Fräulein nicht mit der Partie einverflanden it?" 
. „Den Teufel aucht das fann ich willen,“ rief Herr Kindermann, 
und es hatte faft den Auſchein, als wolle fein Gefiht für einen Augen« 
blick eenft werden; doch überwand er Diefe Abnormität, und feine Augen 
ſtrahlten fort und fort in ihrem angenehmen Lächeln, während er 
fagte: „Das Fräulein ift untröſtlich, und es hat fhan ganz abfonder- 
liche Scenen gegeben. Da hätten Sie energifcher auftreten oder ſich 
dem aften Kindermann anvertrauen follen; der hat ſchon manden 
guten Rath gegeben, das kann ich Sie verfihern.“ 

„Davon bin ich feft überzeugt,“ erwiderte Herr von Fernow; „und 
wenn ich noch jegt und recht dringend darum bäte?“ 

Der Kammerdiener fhüttelte feinen Kopf und gab nad) einer 
Pauſe zur Antwort: 

„Borderhand muß man den Faden laufen laſſen, aber die Augen 
offen behalten, und wo ſich Etwas zeigt, was und nügen fann, nicht 
bföde fein und zugreifen. Wenn Sie mic Ihres Vertrauens werth 
halten,“ — dabei wurde das Lächeln des Herm Kindermann felerlicher, 
und er hob feine Nafe fehr hoc) in die Höhes — „fo haben Sie die 
Freundlichkeit, mic auf dem Laufenden: zu erhalten über das, was Sie 
in Ihrer Angelegenheit hören und fehen.“ 

„Das will ih mit den größten Vergnügen thun und bin ente 
züdt,“ fagte der junge Mann nicht ohne einen Anflug von Schmeis 


Im Kabinet des Kammerdieners. 83 


chelei. „bie für mid, jehr wichtige Sache in fo guten Händen zu wifien. 
Nehmen Sie im Voraus meinen beften Dank, und ſeien Sie von 
meiner beftändigen Erfenntlichfeit überzeugt.“ 

Indem er das fagte, Hatte er einen Blick auf die Uhr geworfen 
und fi) erhoben, ald er bemerkte, daß der Zeiger auf halb neun wies. 
Herr Kindermann folgte ruhig und bedachtfam feinem Beifpiele, und 
nachdem er mit einer wahrhaften Feierlichteit den Tepten Reit des 
Punfches vertilgt, entgegnete er: 

„Wie ich Ihnen ſchon früher bemerkt, Herr von Fernow, bin ich 
ed dem Andenten Ihres Vaters fhuldig, für Sie mein Moͤglichſtes zu 
than. Ich kann Sie verfichern, Kindermann vergipt nie eine freunde 
liche Behandlung. Sept will ich aber ein bischen Toilette machen, 
und dann gehen wir.“ 

Zu diefem Zweck z0g ſich der Kammerdiener hinter einen grauen 
Borhang zurüd, wo fein Bett fand, und als er wieder zum Vorſcheiu 
tam, war er flatt der weißen Piqusjade mit einem fo langen grauen 
Rode bekleidet, daß man von feinen weißen Strümpfen nicht das Ges 
riugſte mehr fah und nur die Spipen der Schuhe hervorblickten. 

Darauf gingen Beide miteinander fort, 

Statt aber den gewöhnlichen Weg über die Stiegen und bie 
breiten Corridors zu nehmen, gingen fie hinter dem Appartement des 
Regenten durch eine Thüre, die Herr Kindermann öffnete und forge 
fältig wieder verſchloß, dann eine Wendeltreppe hinauf und famen oben 
in einen ſchmalen Gang, der durch das ganze Schloß lief, dabei weder 
Fenſter noch fonftige Deffnungen Hatte und durch Rampen erhellt wurde, 
die unaufpörlih Tag und Nacht brannten. Diefem Gange folgten fie 
eine weite Strede, dann dffnete der Kammerdiener auf der rechten 
Seite abermals eine Heine Thür und Beide betraten einen Durchgang, 
durch welchen fie in den und wohlbelannten großen Saal gelangten, 
wo die Familienbilder an den Wänden hingen und der unmittelbar 
neben dem Speiſeſaal ſich befand. Diefer weite Bilderſaal lag fill, 
faR unheimlich da, denn obgleich auf zwei Conſolen vor den gewalti⸗ 


4 Sechstes Kapitel, 


gen Spiegeln am untern und oberen Ende Carcellampen brannten, fo 
waren diefe dod nicht im Stande, die tiefe Dunkelheit in dem Saale 
gänzlich zu verdrängen; wenn fie auch an den beiden Enden eine 
Meine Helle um fich verbreiteten, fo blleb doch in der Mitte des 
Saales eine ſolche Dämmerung, daß Jemand, der ſich dort befand, von 
Weitem unfennbar war und nur wie ein Schatten ausſah. 

‚Herr Kindermann führte den Ordonnanzoffizier zu einer der " 
Senfternifchen, welche tief in die Mauern gehend und mit ſchweren 
reiten Borhängen garnirt, noch dunkler waren. „Hier iſt Ihr Pla,“ 
fagte er, „und da ich die Sache genau überlegt Habe, fo ift es beſſer, 
wenn Sie die Verhaftung des Barons ald dad letzte und äußerſte 
Mittel betrachten.“ 

Der Ordonnanzoffizier blickte den Sprecher mit den Ausdruck des 
höchften Erſtaunens an, was aber dieſer begreiflicher Weiſe nicht des 
merken konnte; doch ſprach Herr von Fernow lachend: „Mir fcheint, 
‚Herr Kinderniann, Sie haben Heute Abend fehr ſtark Esbouquet aufs 
geträufelt,“ 

„Dad war nicht nöthig,“ entgegnete der Andere mit dem ruhigſten 
Tone von der Welt; „da mich Seine konigliche Hoheit bei dieſer Ans 
gelegenheit brauchen, fo Hat es Höchftderfelben beliebt, mich von der 
Sachlage in Kenntniß zu fepen.“ 

„Bas id} begreiffich finde,“ verſehte ſchuell einfenfend der Orbon- 
nanzoffizier, 

„Dort links iſt der Speifefaal, wie Sie wiſſen,“ erflärte Herr 
Kindermann; „und der Baron wird von rechts kommen, — Glauben 
Ste mir,“ fuhr er nach einem augenblicklichen Stillſchweigen fort, „Sie 
haben Ihr Glück in der Hand. Es iſt eine deficate Sache und je 
feiner Ste fie behandeln, defto dankbarer wird Seine Hoheit fein. Wie 
ih Ihnen ſchon zu bemerken mir erlaubte, ich mag die Verhaftungen 
nit. Warten Sie damit fo lange als möglid, und geratfen Sie 
in eine Verlegenheit, fo bin vielleicht ich im Stande, Ihnen darand zu 
helfen. — Jetzt alten Sie gute Wache, Sie haben noch volle zwanzig 


Im Kabinet des Kammerdieners. 85 


Minuten und damit genugfgm Zeit zur Weberlegung.” Bet biefen 
Worten machte er eine Berbeugung, glitt dann wie ein Schatten in die 
Dunkelheit zurüd und verfhwand auch geräufhlos wie ein folder. 

Den im Saale Harrenden bewegten ſeltſame Gedanken, ald er 
jept in dem Hafbdunfel auf und ab ſchritt. Es fam ihm gerade vor, 
ala wenn er ſich vor dem Feinde befände und mit der gefpannteften 
Aufmerkfamkeit auf jedes Geräuſch hören müſſe, das auch im weiter 
Ferne vernehmbar würde. Gr hatte feinen Säbel feft an ſich gebrüdt 
und machte fo langſame Schritte, daß ihm zwifchen jedem derſelben faſt 
eine Secunde Zeit blieb und er fo, während des Auf: und Abwandelns 
jedes Nahen des Erwarteten hören konnte. 

Bad war in der Zeit, feit er Heute vor ber Tafel diefen Saal 
betreten, bis jegt nicht Alles von ihm erlebt worden! Sft. glaubte er, 
in dieſen wenigen Stunden feien Monate verfloffen, traurige Monate, 
in denen er fih allmälig an den Verluſt Helenens gewöhnt hatte. 
Baren es vielleicht die Worte des Regenten, er möge auch in biefer 
Sache auf ihn rechnen, welhe ihm neue Hoffnung gaben, oder glaubte 
er fonft an ein glückliches Ohngefähr, das den Baron Rigoll von ſei⸗ 
nem Ziele zurüdwerfen würde, oder hatte er fih beruhigt und als ein 
vernünftiger Menfe) ſich gefagt: „Wie fannft du von Fräulein von Rips 
perda verlangen, daß fie warten wird, bis es dir einmal beliebt, dich 
anders auszuſprechen, als durch eine Aufmerffamfeiten und allenfalls 
durch füße Augen — und wenn du dich auögefprochen hätteft, wer 
weiß, welche Antwort dir das flolge Mädchen gegeben? — O Gott, 
ja.“ ſeufzte er, „wie ſchͤn und wie ſtolz!“ Es war ein Gläd, dag 
er fo tnnig und viel am Helene dachte, denn fo bfieb ihm mur wenig 
Zeit übrig für die bittern Empfindungen, die in der That in ihm anfs 
Regen, wenn er fi) entfann, daß er im Begriffe fel, einen guten 
Freund, wie Baron Wenden, fo mir nichts dir nichts in Haft zu nehmen. 
— Berfluchter Auftrag! — Und.fo graufam des armen Wenden Theorie 
vom Augenblid des Glucs und Ungluds zur Wahrheit zu machen! 

Here von Fernow befand fi unter biefen Gedanken und unter 


86 Sechsſtes Kapitel, 


dem Einbrud der Situation in einer größern Aufregung als er felbft 
wußte. Zumeilen feufzte er tief auf und fühlte dann wohl, wie fein 
‚Herz lauter und ſchneller ala gewöhnlich fhlug. Jept brücte ihn feine 
Schärpe, jet genirte ihm der Helm, jegt machte er ein paar fehnellere 
Schritte, um gleich darauf horchend ftehen zu bleiben. 

Die Schloßuhr ſchlug drei Viertel auf Neun. 

Halt! jept hörte er etwas, Ja, er täufchte fih nicht; es waren 
Schritte, die ſich näherten, — er lauſchte aufmerffamer. Aber diefe 
Schritte Mangen nicht von da, woher er den Baron erwartete, fondern 
fie ſchienen vom Speifefanl zu fommen. Vielleicht Jemand , dachte‘ er, 
der drüben noch zu thun Hatte, und fi num nad Haufe oder in fein 
Simmer begibt. Treten wir einen Augenblick in bie Fenſterniſche Hinter 
den Vorhang! — Ehe aber der junge Offizier dies ausführte, blickte er 
zuerſt ſcharf nach der Thür des Speifefaald, um fid zu vergewifjern, 
wer von dorther erſcheine. Jeht öffnete ſich ein Flügel ber Thür lange 
fam, es erſchien ein Lakai, der ein Licht trug, und Hinter ihm eine 
Dame, die in den großen Saal trat, 

„Sept danke ich Ihnen,“ fagte diefe, und obgleich fie diefe Worte 
im gewöhnfichen leiſen Tone ſprach, To halten fie doch in dem weiten 
Saale wieder. 

Herr von Fernow bebte zufammen, ald er den Ton diefer Stimme 
vernahm. 

„Ich finde meinen Weg ganz gut allein,“ fuhr die Dame“ fort, 
und dann ging fle mit ziemlich raſchen Schritten vorwärts. Der Lakai 
hob feinen Leuchter einen Augenblick in die Höhe und das Richt blitzte 
feltfam durch die Dunkelheit. Dann zog er fi} durch den Speiſeſaal 
zuräd und machte die Thür hinter fh zu. 

„Sie ift es!“ ſprach Herr von Fernow zu ſich felber: „einen Ente 
ſchluß! Einen ſchnellen Entſchluß! Halte ich mic) verſteckt, oder trete ich 
Hervor? Selbſt auf die Gefahr Hin, das Fräufein zu erfereden! — 
Sa, ich trete vor, der Augenblid tft günftig, — vielleicht abermals ein 
Angenbfid des Glucks! —“ 





Ein Augenblid des Gläds, 87 


Siebentes Kapitel. 
Ein Angenblik des Glücs. 


Damit trat Herr von Fernow vor, fein Säbel Mirrte auf dem 
Fußbeden und bie junge Dame blieb wenige Schritte von ihm ent« 
fernt, ſichtlich erftaunt, ja erſchreckt, ftehen. Sie machte fogar eine 
Meine Bewegung, um zurüdzutreten, doch traf in dieſem Augenblick der 
Ton der Stimme des jungen Offiziers ihr Ohr, der ihr fagte: 

„Furchten Ste nichts, mein Fräulein, cs ift ein Bekannter, der 
vor Ihnen ftcht, — Fernow.“ 

„Faſt hätten Sie mich erfchredt, Herr von Fernow,“ gab das 
Fräufein mit ehvas unfiherer Stimme zur Antwort; „freilich find wir 
auf befreundetem Grunde, aber diefe weiten Säle haben doch, Abends 
eiwas Unheimtides!“ 

Bei diefen Worten nahm fie ihren Bang wieder auf und hatte 
mit wenigen Schritten den Ort erreicht, wo der junge Offizier ſtand. 
Sie wandte ıhren Kopf etwas gegen ihn, neigte ihm leicht und fagte: 
„Guten "Abend, Herr von Fernow,“ ald fie vorübergehen wollte. 

Abends ift das Herz empfänglicher für ein inniges Wort, namente 
lich nad) einer Meinen Gmotion. Der junge Offizier holte in diefem 
Augenblick mühfem Athem. Die Hand, die anf feinem Säbelgriffe 
Ing, bebte faſt; er redete ſich ein, geſehen zu haben, daß Helene lang ⸗ 
fam gegen ihn zu kam und dafı fie zögerte, vorüberzugehen; er glaubte, 
ihre Bewegung mit dem Kopfe gegen ihn fei herzlicher geweſen, als 
fonft; er meinte, ihre Stimme habe gegittert, als fie ſprach: „Guten 
Abend, Herr von Fernow.“ — — 

„Mein Fräulein,“ ſagte er und trat einen Schritt vor. „Ser 
von Fernow,“ entgegnete fie; und dabei hemmte fie ihre Schritte, ja, 
fie blieb ftehen und wandte ſich gegen ihn. 

„Es ift kühn von mir,“ brachte er mühfam, mit faſt tonfofer 
Stimme hervor, „Daß ich wage, Ihren Weg zu unterbrechen und Sie 


88 Siebentes Kapitel. 


anzureden, und obendrein anzureben in einem Augenblid, wo ich mich 
im großer Aufregung befinde. Ja, mein Fräulein, — — fein Sie 
gnädig, feien Sie gütig gegen mic und verzeihen Sie es diefer Aufs 
regung, daß id mic) unterftehe, mit Ihnen zwei Worte zu fprehen.“ 

Er Hatte das mit fo bewegter, faft zitteruder Stimme gefprohen, 
daß das junge Mädchen offenbar daraus entnehmen mußte, er befinde 
fih in einer ganz befonderen Gemüthaftimmung, und wahrſcheinlich 
eben beöwegen geneigt war, ihm freundficher als fonft vielleicht ges 
ſchehen wäre, zu antworten. „Ich fehe gerade fein Unglück darin,“ 
ſagte fie, „daß Sie zwei Worte mit mir reden wollen. Freilich,“ fuhr 
fie fort, indem fie um fich ſchaute, „iſt der Augenblick nicht ganz gut 
gewaͤhlt. 

„Aber wenn man feine Wahl Hat,” entgeguete er haſtig, „ſo nimmt 
man, was der Augenblid bietet.“ 

„Sie haben hier auf mich gewartet?" fragte fie. 

‚Mein, mein Zräufein, um ehrlich mit Ihnen zu reden. Ich würde 
das nicht gewagt haben. Mein Dienft Hält mich nod im Schloffe, ir 
diefem Saale. Da fah id Sie tommen, und hielt es für die höchſte 
Gunft des Glüdd, wenn Sie mir wenige Minuten gönnen wollten.“ 

Als er dies fagte, mit feifer, wehmüthiger Stimme, langen feine 
Worte fo weich und fehmerzlich in dem Herzen des jungen Mädchens 
wieder, daß fie unwillkürlich ihre Lippen auf einander preßte und ein 
paar Serunden vorübergehen ließ, ehe fie antwortete: „Sie wollen das 
durch gut machen, was Sie während des ganzen Tages verfäumt. 
Sie hatten ſich von unferer Landpartie zurüdigegogen — —“ 

„Ich war im Dienft, mein Fräulein,” fagte er. 

„Und nach der Tafel,“ fuhr fie gögernd fort, „waren Sie ber 
Einzige, den ich nicht in meiner Nähe ſah.“ 

„Aber ich habe Sie gefehen, Fräulein Helene,“ entgegnet er raſch, 
faſt heftig, „und dankte Gott, daß ich weit genug entfernt fland, um 
mic Ihnen nicht nähern zu müſſen.“ 

„Sie mißgönnten mir mein Glück,“ fagte fie mit einem Tone, 





Ein Augenblid des Glüds. 89 


der Jedem hätte auffallen müſſen, mit einem Tone, ber dem jungen 
Mann in dad Herz ſchnitt. 

„Ich würde Ihnen fein Glück der Erde mißgönnen, nicht das 
größte; aber ja, Sie haben Recht, ich mißgdnne Ihnen ein Glück, das 
mich — fo unfäglih unglüclich macht.“ 

„Alſo find unfere Begriffe von Glüd fo fehr verſchieden 1 

Verſchieden und doch ganz diefelben, wenn id; den Empfindungen 
meines Herzens glauben darf. Aber die Ihrigen, Kräufein Helene, find 
fteilich gang anders.” · 

„3a, meine Begriffe von Glüd find ganz anders, Herr vom 
Fernow,“ fagte die junge Dame mit Teifer Stimme, „ganz anders als 
das Glüd, das fi mir darbietet.“ 

„So würden Sie aljo unglüdlic fein?“ fragte er haſtiger. 

„Und wenn dem fo wäre? Sehen Sie für mic; eine Möglich« 
teit, glücklich zu werden? — — Doc wozu biefes feltfume Ges 
ſprãch ?“ fegte fie raſch Hinzu, „diefe quafvollen Reben, die mich nicht 
erfreuen und auch Sie nicht glüctich machen können.“ 

„Und doch, Fräulein Helene, bei Gott im Himmel, Ihre Iepten 
Worte haben mich glüdlicher gemacht, als ich es nach dieſem fürchte 
baren Abend zu hoffen wagte. D! erfchreten Ste nicht über meine 
Reden, Helene; ed iſt vielleicht der Augenblick meines Glucks, den ich 
ergreife und fefthakte, während ich fo ſpreche. Dabei hatte er ihre Hand 
erfaßt, führte diefelbe an feinen Mund und drüdte feine Lippen darauf. 

„Um Gotteöwillen, Herr von Fernow, feine Thorheiten!” fagte 
ängflich das junge Mädchen, doch machte fie nur einen ſchwachen Ber» 
ſuch, ihm ihre Hand zu entziehen. 

mSHelene, laſſen Sie mid, meinetwegen Thorheiten begehen, wenn 
es mir dadurch gelingt, meinem Gfüde näher zu kommen. Ja, Helene, 
ich kann und will ed nicht ertragen, daß jene Berbindung gefchloffen wird.” 

„Und Sie wollen das hindern?" fragte fie bewegt. 

„Sie und ih, wenn Sie mir vertrauen.“ 

„And worauf fol fh mein Vertrauen gründen?“ 


90 Siebentes Kapitel. 


„Auf meine grenzenloſe Liebe zu Ihnen. Ja, Helene, ich liebe 
Sie unfäglih, ich liebe Sie, wie nur Jemand auf dieſer Erde ein 
Mädchen lieben kann, — ja, uud ic fühle an dem Beben Ihrer 
Hand, dag auch Sie mir gut find. Wenn es fo ift, fo ſprechen Sie 
ein einzige® Wort; wenn Ihr Herz fehneller fchlägt bei dem Gedanken, 
daß ich Sie liebe, fo laſſen Sie mich's durch ein Wort errathen. Wer 
will und auseinander reißen, wer will und trennen, wenn wir Beide 
mit unferer Liebe einig find?" 

Obgleich er died mit gedämpfter Stimme ſprach, fo Mang doch 
aus feinen Worten eine ſolche Leidenfhaft hervor, eine folhe Gfuth 
und Innigfeit, daß das junge Mädchen zitternd zurüdweichen wollte; 
doch — er hatte ja mit ihrer Hand den Augenbliet des Gtüde erfaßt; 
er hielt diefe Hand feft in der feinigen, er zog fie abermals an feinen 
Mund und drücte fie dann fanft am feine heißen Augen. Buerft bebte 
die Meine Hand nur, ja, fie fuchte ſich fanft loozumachen ans der feinigen, 
dann aber wurde fle fügfamer, ihre Finger gaben dem Druckee der feis 
nigen nad) und fehmiegten ſich endlich mit einem feifen, Teifen Druck 
in dieſe. - 
„Der Augenblick des Güde!“ jauchzte es in ihm, und wie es num 
in diefem feligen Augenblide weiter zuging, find wir nicht im Stande, 
ganz genam anzugeben; dod; war es wirflich für Beide ein Augenblick 
des Glüds: ihre Ticbenden Herzen hatten fih gefunden, und darauf 
bedurfte es feines bedeutenden Schritted mehr, daß ſich das glühende 
Mädchen von feiner Leidenſchafilichteit beraufchen Tieß und ſich erft er- 
fehredt ermunterte, als fie einen heißen Kuß auf ihren Lippen fühlte. 

Da wollte fie ſich fosreißen und eilig fliehen, — aber es war zu 
foätz er fegte feinen Arm um fie, nicht um fie aufs Neue an ſich zu 
ziehen, fondern um fie in dem dunfeln Berfted der Fenſterniſche zurücte 
zuhalten, — — denn er hörte deutlich den Schall von Tritten, die 
ſich von rechts und ziemlich eilig näherten. 

„Bleiben Sie ruhig, Helene, um Gottes willen bleiben Sie ruhig,“ 
fagte der junge Offigier mit eindringliher Stimme; „Sie können nicht 


Ein Angenblid des Glücks. 9 


mehr entfliehen; dort kommt Jemand und if. im diefem Saale, che 
Sie die andere Thür erreicht haben. Man würde Ihre Geftalt er 
fennen, man würde Sie verfolgen, man würde Nachforſchungen ans 
ftellen und Alles wäre verloren, wenn die Welt ſchon jept etwas von 
unferem Glüd erführe.“ 

„Aber hier?" fragte das geängftigte Mädchen bebend, „mar wird 
mid, erkennen, mein Name, mein Ruf ift verloren.” 

„Muth, Helene, Muth!“ 

„O, Muth habe ich,“ entgegnete Fräulein von Ripperda, und als 
fie den erſten Gindruc der Ueberraſchung wiedergefämpft, richtete fie ſich 
ſtolz empor, ſchaute mit ihren glänzenden Augen nach dem Gingang 
des Saales und antwortete dem jungen Offizier: „Ich gebe mich ganz 
in Ihre Hände, thun Sie, was Ihnen gut dünkt.“ 

Im diefem Augenblide wurden beide Slügelthüren auf der rechten 
Seite des Saales geöffnet und zwei Herren traten ein, ihnen voraus ein 
Ratai mit Lichtern. Diefe beiden Herren, in eifrigem Gefpräd begriffen, 
waren Baron Wenden und der Oberftjägermeifter, Baron Rigoll. 

Herr von Fernow hatte die Hand des jungen Mädchens ergriffen, 
hate fie dicht an daß Fenfter geführt und fäfterte, nachdem er einen 
leichten Kuß auf ihre Stirn gedrädt: 

„Bleiben Sie ruhig ftehen. Sollte man auch durch die Vorhänge 
die Umriffe Ihrer Geftalt fehen, man wird Ihre Perfon nicht erkennen, 
noch viel weniger eine unbefcheidene Frage wagen, dafür ſtehe ich.“ 

Nachdem er dies gefagt, trat er aus der Niſche in den Saal, und 
befand fih nun fo nahe bei dem voranfdreitenden Lakai, daß dieſer 
in der Hervortretenden Geftaft einen Offigier erfannte, den Leuchter hoch 
emporhieft und darauf ſich umblickend ftehen blieb. - 

„Vorwärts! was glibt's denn da?“ rief der Oberftjägermeifter dem 
Bedienten zu. 

Statt aller Antwort ging der Lakal auf die Seite und ſtreckte 
den Leuchter vor. 

„Ei der taufend, Fernow!“ fagte der Baron Wenden in einem 


92 Siebeutes Kapitel. 


fehr teodenen Tone; „was treibft du dich um dieſe Zeit wie ein Ge 
frenft in den finftern Salen des Schloffes umher?“ 

mDiefelbe Frage könnte ich an dich than, mein Lieber Wenden.“ 

„Richt ganz mit dem gleichen Rechtes denn tie du fiehft, find 
wir zu Zweien, und die Gefpenfter und Nachtwardler pflegen ſelten 
paarweiſe zu erſcheinen.“ 

„Und wenn ich num an dich gedacht hätte, mein lieber Freund,“ 
erwiderte Herr von Fernow mit einem eigenthämlichen Lächeln; „wenn 
ich mich mit die Hefhäftigt, während ich Hier aufe und abfpazierte?“ 

„Du fiehft, daß Seine Egrelleng mir die Ehre erweist, mich zw 
begleiten. fo, mon chör, gute Naht!“ 

‚Herr von Fernow machte Indep durchaus feine Bewegung die beis 
den Herren vorüber und ihred Weges gehen zu laſſen. 

„Es thäte mir in der That leid, wenn ich Seine Excellenz aufs 
Halten folltes es Tiegt das durchaus nicht in meiner Abfiht. Aber 
Scherz bei Seite, ih habe in der That etwas Wichtiges mit dir zu 
ſprechen, lieber Wenden, und würde es ald eine große Gefälligfeit er» 
kennen, wenn du mir eine Meine Viertelftunde dazu bewilligen wollteft. 
Seine Egrellenz“ — damit wandte er fi an ben Oberftjägermeifter — 
„wird gewiß nichts dagegen zu erinnern Haben und di mir einen 
Augenblick überlaffen.“ 

Baron Rigoll hatte ſchon einigemale Zeichen der Ungeduld von 
fich gegeben; er war heftiger Natur, auch ald ziemlich ruckſichtslos bes 
fannt, und fo war es von ihm noch außerordentlich Höflich, als er 
fagte: „Aber, Herr von Fernow, Sie müßten doch begreifen, daß Bas 
von Wenden und ich nicht hier zum Zeitvertreib fpazieren gehen. Wir 
find in der That beſchaftigi. Welcher Art unfer Gefhäft, iſt Ihnen 
vielleicht gleichgültig, aber es gibt Beſchäftigungen, wo ein Gavalier 
zu delikat ift, den Weg eined anderen zu kreuzen. Und Sie find ald 
ſehr delikat bekannt, Herr von Fernow.“ 

„Indem ich Eurer Extellenz für das Compliment ergebenft danke,“ 
ſprach der Offigter, „liefere ich den Beweis, daß ed mir nicht unrechte 


Ein Augenblick des Elüds. J 9 


mäßig gefpendet wurde, und ich verfihere Eurer Excellenz, daß es mir 

nicht einfällt, Ihren Pfad zu kreuzen, daß ich aber mit meinem Freunde 

Benden ein paar Worte fprehen muß.“ . 

„Run, ich werde die Höflichkeit gegen Sie auf's Aeußerſte treiben,“ 

‚ entgegnete der Oberftjägermeifter mit eifigem Tone, „id, werde ein paar 

Schritte vorausgehen,. damit Sie Zeit finden, Ihrem Freunde die fo 
nothwendigen Worte zu fagen.“ 

Der Offigter machte eine tiefe Verbeugung und ließ Seine Excel⸗ 
lenz vorübergehen. Dann fagte er zu dem Andern mit leiſer, aber 
eindringlicher Stimme: „Bei unferer alten Freundſchaft, Wenden, thue 
mir einen Gefallen, — erzeige mir einen Dienft, um den ich dich 
dringend Bitte. Verlaſſe das Schloß mit mir und begfeite mid in 
meine Wohnung, ich habe dir etwas fehr Wichtiges mitzutheilen.“. 

Der Kammerherr fah feinen Freund mit dem Ausdrud des höc- 
fen Erſtaunens an; „Fernow, ich glaube, du biſt — — fehr aufe 
geregt.“ 

„Ja, ich bin fehr aufgeregt.“ 

Lieber Freund, daB begreife ich; aber das iſt eine Sache, an der 
nt zu ändern iſt. Ich weiß aus der beſten Quelle, daß du bir 
keine Vorwürfe zu machen brauchft, du habeſt etwas verfäumt; wahrs 
haftig nicht. Ich fage dir, Fräufein von Ripperda if endantirt vom 
dem Oberftjägermeifter; fie ſchließt dieſe Verbindung gang mit freiem 
Villen. Keine Spur von Ueberredung! Das it freilich nicht ange» 
nehm für Dich; doch kommſt du mit diefem Gedanfen leichter über dei⸗ 
wen Schmerz hinweg. Morgen, wenn bu willſt, ſtehe ich ganz zu dei⸗ 
men Dienften, — Du fiehſt, Seine Excellenz wartet auf mid.“ 

Der Ordonnanzoffizier fah wohl, daß der Kammerherr mit guten 
Borten nicht zurh zu Halten war. Doch zögerte er von dem Iepten 
Gewaltmittel Gebrauch zu machen. Cine Paufe des Schweigens trat 
ein. Da rafchelte etwas hinter dem Fenftervorhange. Die dort Bers 
fette Hatte eine Bewegung gemacht, eined ihrer ſchweren Armbänder 
hatte ſich gelöst. Es dutſchte mit einem eigenthumlichen Geräufhe an 


"94 Siebentes Kapitel. 


dem glatten Stoff ihres Kleides Herab. Der Verſuch des Fräuleins, 
das Entfallende zu erhafchen, verrieth ſich deutlich. „Was war das?” 
fragte überrafcht der Baron Wenden, „Ja, was war das?“ wieder- 
holte feheinbar ebenfo überrafcht der Offizier. 

„D Felix! o Felix!“ lachte ihm der Kammerhere fuftig neckend 
zu. — „Du biſt ein unverbeſſerlicher Sünder und doch dabei fo uns ‘ 
ſchuldig wie ein neugebornes Kind. Das muß Baron Rigofl ere 
fahren.“ ° 

„Ich bitte dringend, Halte Ruhe.“ 

„Nein! Judiscret kann ich nicht fein, da ich michte weiß. Aber 
die Geſchichte muß heraus.” Damit eilte er, von Fernow gefolgt, 
gegen den Oberftjägermeifter, und rief lachend: „Sehen Euer Excellenz 
diefen verfchmigten Gefellen. Er hält Jemand hier verſteckt! Und 
nicht ſchlecht, es war ein ſeidenes Kleid, das rauſchte.“ 

„Kin feidenes Reid!" ſprach freundlich grinfend der Operftjäger 
meifter. „Aber Baron, jegt fommen Sie, es iſt die höchfte Zeit.“ 

Der junge Offizier befand ſich in der peinlichften Situation. Es 
mußte ein Entfejfuß gefaßt und zur Verhaftung des Rammerkern ger 
fritten werden. Herr von Fernow nahm feinen Säbel feſt in die 
Linke, drüdte den Helm auf dem Kopfe zurecht und wollte vortreten, 
die fo befannte unangenehme Beſchwörungsformel auszufprehen, als 
ſich gerade vor den drei Herren die Flügelthüren des Speiſeſaals öff- 
neten, und hinter einem hochgehaltenen zweiarmigen Leuchter das ewig 
lachelnde Gefiht des Herm Kindermann ſichtbat wurde, der, ald er 
hier die eigenthümtiche Gefelfchaft beifammen fand, vergnügt mit den 
Augen zwinkerte umd feinen Mund fpipte wie ein Karpfen. Dem 
Ordonnanzoffizier war diefe Erſcheinung wahrhaft tröftlic, er trat einen 
Schritt zuräd, um ihn vorbei zu faffen. Herr Kindermann grüßte auf's 
Verbindlichſte Seine Egrellenz, den Kammerheren, fowie aud den Herm 
von Fernow, jeden einzeln nach den verſchiedenen Abftufungen je nad, 
ihrem Range, dann fagte er, ald er eben durch die Gruppe dahingfitt, 
mit einem leife liöpelnden Tone: „Seine Hoheit haben fih zum Thee 


Ein Augenblid des Glücks. 9% 


bei Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin Eliſe anfagen laſſen. Seine Ho- 
heit werden um neun Uhr dort fein.“ 

Damit wendete er fih erhobenen Hauptes links gegen die Meine 
Thür, welche auf die geheimen Gänge und Treppen führte, und ver⸗ 
ſchwand dort. 

„Berflucht!“" fprad der Oberftjägermeiiter mehr zu ſich jelber, als 
zu einem der Anderen. — „Das iſt fehr unangenehm,“ wandte fi 
der Kammerherr mit leiſer Stimme gegen Baron Rigoll, „Was thun 
wir?" — „Zahren wir nach Haufe, das iſt offenbar das Klügſte.“ — 
„Zu mir?“ fragte Baron Wenden. — „Ich habe nichts Anderes vor,” 
verfeßte der Oberftjägermeifter. 

„And du, Fernow?“ 

„Wenn ein Pag für mid) bleibt, fo begfeite ich dich." 

„So wollen wir gehen, wenn es Eurer Excellenz gefällig ift.“ 

Bas follte der Ordönnangoffizier tun? Blieb er zurüd, um das 
Fräulein aus ihrem Verſteck durch den Saal zu geleiten, fo war er 
von der befannten Wißbegierde des Oberftjägermeifters überzeugt, der» 
felbe werde ſich irgendwo placiren, um die Unbekannte zu belaufen. 
Den Baron Rigoll durfte er alfo nicht aus den Augen verlieren, wenn 
er auch dem Kammerheren nicht auf Befehl des Regenten hätte folgen 
mũſſen. Wie ſchlug ihm jedoch das Herz vor Beſorgniß und wieder 
vor Entzüden, als fie fi) der mittleren Fenfternifche näherten! Wie 
eilte er, vorbei zu kommen, als der Baron Wenden zum Oberftjägers 
meifter kicherte und leiſe fagte: „Hier war ed. D, ich täuſche mich 
nicht feicht in fo etwas.“ 

Endlich Hatten fie indefien das Ende des Saaled erreiht, und als 
ſich die Thür hinter ihnen ſchloß, athmete der junge Offieter fange und 
tief auf. Seine Gedanken blieben hinter ihm, und ungefehen von den 
Andern drüdte er feine rechte Hand auf fein heftig fchlagendes Herz. 
Unten vor dem Hauptportale wartete der Wagen der Extellenz. Die 
drei behalfen fi) fo gut wie möglich in dem Goups und erreichten 
nach einer kurzen Fahrt die Wohnung des Baron Wenden, ein efegans 


96 Stebentes Kapitel, 


tes Gargon-Appartement mit allen dazu gehörigen erdenklichen Bequem⸗ 
lichkeiten und Thorheiten, mit Bildern, Waffen, Statuetten, Fauteuils, 
Sefieln und den phantafiereichften Ruheplägen, mit blühenden Blumen 
und verblichenen Stidereien. — Eine Partie Whiſt ward in Vorſchlag 
gebracht. 

Das Spiel begann, und da ed von drei guten Spielern gefpielt 
wurde, fo war es ein volllommenes Whiſt. Man hörte nur das Fallen 
der Karten und das Anfagen der Tric und Honneurs, mit der ein- 
zigen Unterbrechung, daß man eine Taſſe Thee nahm oder eine Eigarre 
anbrannte. Baron Rigoll mollte eben feinen Pla gegenüber dem 
Strohmann nehmen, ald der Kammerdiener des Hausherrn eintrat und 
eine Biſitenkarte überbrachte, die eben draußen ein Herr für Seine 
Eprellenz abgegeben. Der Oberftjägermeiiter warf einen Blia auf bier 
felbe und ſchien überrafcht, faft erſchreckt. Er erhob fi augenblicklich 
von feinem Stuhle und fragte: „Wo ift der Fremde?" — „Er wars 
tet draußen im Vorzimmer,“ antwortete der Bediente. 

Seine Egrellenz reichte dem Kammerherrn die Karte mit einem 
vieffagenden Blide über. den Tifh und fprah: „Sie werden mir er 
fauben, daß ich den Herrn bei Ihnen empfange. Ein genauer Befann- 
ter von mir, Graf Hohenberg,“ fügte er gegen den Offizier gewendet 
Hinzu. Nach diefen Worten war er hinausgeellt und kehrte gleich dar⸗ 

» auf mit dem Angemeldeten zurück, worauf bie gewöhnliche Vorſtellung 
ſtattfand. J 

Der Angekommene war ein Mann vielleicht an den Vierzigen, mit 
einem klugen, aber etwas verlebten Geſicht. Seine Figur war ſchlank 
und efegantz er trug einen militäriſchen Schnurrbart, und feine Hals 
tung erſchien entſchloſſen und aufrecht. Er grüßte ungeswungen, bat 
mm Entfulbigung, daß er die Herren ſidre und feßte Hinzu, er bes 
daure das um fo mehr, da er ſich nur erlaubt Habe, die Wohnung des 
Baron Wenden aufzufuchen, um den Oberftjägermeifter von bier zu 
entführen. 

Baron Rigofl, der gewöhnlich feine großen Umftände machte, Hielt 





Ein Augenblick des Glüde. 97 


ſich dem Fremden gegenfiber außerorbentlich verbindlich, faft ehrerbietig. 
Auch er entſchuldigte ſich flüchtig und entfernte ſich alsddann mit dem 
Grafen. 

‚Herr von Fernow war nicht betrübt darüber, daß das Spiel aufs 
Hörte, er lehnte ſich in feinen Fautenil zur, blies die Raudwolten 
feiner Havanna vor ſich in die Höhe und überlegte, ob er jegt feinen 
unangenehmen Auftrag anf Umwegen mittheilen oder mit der Thür " 
ind Haus fallen folle. Der Kammerherr blickte in tiefe Gebanten ver» 
funten in die Richter auf dem Tiſch. — „Rannteft du den Herrn, der 
eben da war?" — fragte endfich der Offizier. — „Ich habe von ihm 
gehört,“ verfepte Wenden. — „Woher?“ — „Ich glaube aus S.“ — 
„Und wird fänger bleiben?“ — „Ie nach Umftänden.” 

„Saft du noch Luft,“ fagte Herr von Fernow nad) einem kurzen 
Stillſchweigen, „mich über eine nicht unwichtige Sache anzuhören?" 
„Eigentlich bin {ch müde,” verfegte der Kammerherr gähnend. 

„Nach der Tafel hatte ich eine zufällige Audienz beim Regenten.“ 

„Wie ging das zu?" fragte der Kammerherr, und nachdem ihm 
der Offizier die Veranlaffung erzählt Hatte, auf welche er das Kabinet 
betreten: „Bas wollte er?“ 

„Davon fpäter. Zunächſt plauderte er mit mir, fragte mich um 
meine Berhäftniffe; und ich erlaubte mir, ihn darüber aufzuflären, weß ⸗ 
Halb ich im Avancement zurüd und noch nicht unter die wirklichen 
Adjutanten eingereiht fei.“ 

„Und das nahm er freundlich auf?" — „Aufs Freundlich 

„Siehft du, der Augenbfid des Gtüds!" 

„Das habe ich mir auch gedacht. Dann aber fam die Rede auf 
— bi." 

„Alle Teufel! auf mid?“ verfeßte der Kammerherr, vom wohl⸗ 
wollenden und gefäfligen Zuhören ſchnell zur gefpannteften Aufmert 
famfeit übergehend. — „Auf mich? Da bin ich doch begierig.“ — 

„Ich war es ebenfalls, mein Lieber Wenden. Aber nimm mir’s 
nicht übel, ich wollte fieber, er hätte nicht von dir sehroen. “ 

Halläuders Werte. XXI. 


98 Siebentes Kapitel. 


„Du bringft mich in eine fehöne Anfregung!” rief erfchroden der 
Kammerherr. „Xreib’ mit fo was feine Späße! Sei ehrlich und füge 
die Wahrheit. Sprach er nur fo im Allgemeinen über mid oder ging 
er in Details ein?” 

„Ziemlich in Details.“ 

„Sei verſtändig, Fernow,“ fuhr der Baron wirklich beunruhigt 
fort, indem er mit der Hand über feine Stirne ſtrich: „Du biſt doch 
fein Kind und weißt, daß aller Scherz feine Grenzen hat, Run, id 
will es dir verzeihen, wenn du einen ſchlechten Wiß gemacht Haft.“ 

Ich habe aber feinen ſchlechten Wiß gemacht.“ 

„Dann ſprich in Gottes Namen,“ bat kleinlaut der Kammerhert, 
wobei er in fliller Reſignation in feinen Fauteuil zurüdfant und die 
Cigarre neben fi auf den Spieltifch legte. 

„Seine fönigliche Hoheit gab mir einen Auftrag an dich.“ 

„Den du mir ald Freund audrichten fol?“ 

„Nicht fo ganz. Vielmehr als Ordonnanzoffigter.” 

„D0—oh! Das konnte mich völig überrafhen. Aber fprih 
nur, ſprich, ich bin auf Alles gefaßt, obgleich ich Teine Ahnung habe, 
was Seine Hoheit an mir auszufeßen belieben.“ 

„Denke an den Meinen Papierftreifen.” 

„Run?“ vief der Baron, indem er emporfuhr und feinen Freund 
wie athemlos anftarrte, 

„An deine Unterredung mit der Prinzeffin Elife. — Seine Hoheit 
ſcheint das mißliebig Gemerkt zu haben; aus welhem Grunde? davon 
habe ich freilich feine Idee; du weißt das vielleicht befier ala ich.“ 

„Ich weiß gar nichts!" rief Heftig der Kammerherr. „Aber num 
deinen Auftrag! Deinen Auftrag!" 





„Es wird mir ſchwer, ihn auszurichten. Seine Hoheit, obgleih | 


nicht ungnädig für dich gefinnt, läßt dich erfuchen, ein paar Tage zu 
Haufe zu bleiben — du fannft ein Unwohlſein vorfhügen — und wicht 
eher wieder im Schloffe zu erfheinen, bis der Regent Dich Dazu auffordert.“ 

„Eine Ungnade! Cine Ungnade!” jammerte auffpringend der 


Ein Angenblid des Glüds. 9 


Kammerherr. „Wer hat mir das gethan?“ Und verſchwunden auf 
einmal war die claffifche Nuhe, die er fo gerne zur Schau trug; vers 

ſchwunden das füße und gleihförmige Lächeln feines Mundes, ja, fein 
ganzes Gefiht, das fonft wie der Spiegel eines ftillen aber tiefen 
Waſſers ausfah, arbeitete jegt nad) allen Richtungen; die Wogen feiner 
Gedanken ſchienen über ihre Ufer fhlagen zu wollen, 

„Alterire dich nicht fo eutſetzlich,“ fprach begütigend der Ordons 
nanzoffizier, indem er ebenfalls aufftand. „Das tft für einen oder 
zwei Tage. Du fennft meine Freundſchaft für dich. Ich glaube, daß 
ich mir ſelbſt erlauben darf, den Regenten morgen, übermorgen an dich 
zu erinnern,“ 

„So body ftehft du in Gunſt?“ fragte Baron Wenden. 

„Es wäre möglich,“ entgegnete Herr von Fernow. 

„In der That, dann Haft du gut zugegriffen,” rief Baron Wens 
den in gerade nicht freundſchaftlichem Tone. „Aber thu mir die Liebe 
und laß mich jept allein. Ich bin zu aufgeregt, zu außer mir, ſelbſt 
für deine Gefellfchaft.” 

„Gin Pilofoph wie du!“ fagte der Andere. „Was kümmert dic, 
eine vorüberziehende Wolke am Hofhimmel! Hat ſich doch deine Theorie 
glängend bewährt." 

„Zum Teufel mit meiner Theorie! Sie hat mich in's Geſicht 
gefchlagen, diefe Theorie. Ich glaubte den Augenblid des Glüdes zu 
erfaſſen — ed war ber Augenblick des Unglüds. — Gute Rat!" 

„Gute Nacht denn. Ich werde morgen nach dir ſehen!“ Damit 
trennten fid die Freunde, und während der Eine von finfteren Ges 
danten bewegt, haſtig im Zimmer auf und ab ſchritt, trat der Andere 
gfüdtich, felig vor das Haus, und ala er an den Maren Nachthimmel 
hinaufblickte, dachte er an den feifen Drud ihrer Hand, der lauter zu 
feinem Hergen geſprochen, als taufend Worte ed vermocht, und fprach 
mit einem innigen, herzlichen Gedanken an fie: „Das war der Augen 
blick des Glüde!“ 


100 Achtes Kapitel, 


Achtes Kapitel. 
Ein photographiſches Atelier. 


Benn ich mir erfaube, dem geneigten Leſer zu fagen, daß ein Bild 
aus Licht und Schatten befteht, fowie, daß unfer Reben aus Contraſten 
zufammengefegt ift, fo wird er um fo eher und bereitwilliger glauben, 
al3 ich Im hiermit feine neue Wahrheit verfündige, er daffelbe viel- 
mehr täglich und ftündfich ſchon ſelbſt erfahren hat. Daß fih bie 
Gontrafte berühren, und ebenfo gut wie vom Erhabenen zum Rächer 
lichen, fo aud von Glanz, Pracht und Herrlichkeit zu Armuth und 
Elend oft nur ein Meiner Schritt iſt, das haben wir ebenfalls Alle 
fattfam erfahren, und wird mir mum ferner auch der geneigte Leſer 
aufs Wort glauben, wenn id) ihm verfichere, daß das Haus mit der 
Wohnung des Baron Wenden, fo elegant und voruehm es fih auch 
von der Borderfeite präfentirte, dod hinten an eine finftere, ftille Gaſſe 
fie, welche es gleihfam vom Verkehr wohlpabender und vornehmer 
Leute förmlich abfperrte. Ja, dieſes Haus mit einer trogigen unver- 
fhämten Breite und Höhe nahm der armen Gaſſe einen guten Theil 
der fo nothwendigen Lebensbedingungen: Luft, Licht und Sonne. Das 
her mochte es denn auch wohl fommen, daß fih die alten Häufer mit 
ihren hohen Giebeln kummervoll vorwärts geneigt hatten, als wollten 
fie fo viel wie möglich in die Straße hineinragen, um an dem blöchen 
Sonnenlicht, das in gewiſſen Stunden far wie fpottend am den grauen 
Mauern dahinfuhr, nach beften Kräften Theil zu nehmen, 

Bollten wir den verſchiedenen Wohnungen in diefer Gaſſe einen 
Beſuch machen, fo würden wir fo viel Stoff finden, daf die Bearbeis 
tung deſſelben am Ende langweilig werden könnte; auch wirde es ſich 
nicht mit dem Titel unferer wahrhaftigen Geſchichte vereinigen laſſen 
in den meiften diefer Häufer zu verweilen; denn da würden wir von 
Augenbliden des Glüds ſeht wenig erfahren, wohl aber von Stunden, 
fangen Jahren, ja ganzen Menſchenaltern des Unglücks. 


Ein photographiſches Atelier 101 


Eines diefer alten Häufer aber, das größte in feiner Art, das 
flattfichfte gehört in den Vereich diefer Geſchichte, und muß fid der 
geneigte Leſer ſchon unferer Leitung anvertrauen, um mit uns fünf 
der ziemlich dunkeln, holperigen und ächzenden Treppen hinaufzuklet- 
tern. Barum wir gerade im obern Stockwerk anfangen, wollen wir 
nicht verſchweigen. Wir befinden uns hier oben im untern Theil des 
Dadzgiebelß, der nach Norden zeigt, Haben, was den unteren Etagen 
völlig abgeht, eine ziemliche Ausfiht auf die umberfiegende Stadt, 
d. 5. anf einige Tauſend Dachfeiten und doppelt und dreifach fo viele 
Schornfteine. Da es Vormittags gegen zehn Uhr ift, fo find die zahle 
reichen Kinder, die das Haus beherbergt, in der Schufe oder ſonſtwo 
bei der Arbeit beſchaͤftigt, weßhalb das große Haus ziemlich ruhig das 
liegt. Unten feilt freifich ein Schloffer, im erften Stod Flopfen Schuhe 
madjer, wir Hören auch Im zweiten Stod eine ſcheltende Weiberftimme, 
aber alles das verhallt in dem großen Bau, und wenn wir noch eine 
Treppe höher fleigen in den vierten Stod, fo vernehmen wir wenig 
mehr von der Feile, dem federflopfenden Hammer und dem feheltenden 
Beide. Dagegen Hingt eine helle und frifche Mädchenftimme an unfer 
Ohr, und wenn fie fingt: 


Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll fein, 
Hangen und bangen in ſchwebender Bein 
Himmelhoch jauchzend, — zum Tode betrübt, 
Gtüdtic allein iſt die Seele die liebt. 


fo fagt uns die ungefünftelte, Herzliche Art, mit der fie ihr Lied vor- 
trägt, daß ihr Herz weiß, was fie fingt, daß ihr Gerz zuweilen ſchneller 
ſchlagt, und daß fle glüdlich in ihrer Liebe if. An der Thür, hinter 
welcher die Mädchenftimme ertönt, leſen wir auf einem Stück Papier, 
das dort angefiebt ift: „Wittwe Weiher beforgt alle Arten Stroh— 
flechtereien.“ 

Die Stimme Mingt fo friſch und jugendlich, daß wir gern bins 
eintreten möchten, und einen Strohhut zu beftellen oder ein Gigartens 


102 Ahtes Kapitel 


Etui zu kaufenz doch treibt und der Gang diefer wahrhaftigen Ger 
ſchichte noch eine Treppe höher hinauf, und wenn wir nun in dem 
fünften Stock angelangt find, flehen wir vor einer andern Thür mit 
der Aufſchrift: „Photographifhe Anſtalt von Heinrich Böhler.“ 

‚Hter, wie im Palafte des Fürften, Haben wir die Macht, unge 
hindert und ungefehen einzutreten. Wir fommen in ein geräumiges 
Zimmer, deffen fchiefe Dede an der einen Seite anzeigt, daß fie in 
das Dad, Hineinragt. Bor und haben wir ein großes Zenfter, an 
deſſen Einfaffung und Scheiben wir deutlich erfehen, daß daſſelhe erft 
in jüngfter Zeit zum Gebrauche des photographifchen Apparats einge 
fegt wurde. Die andern Zenfter im Haufe mit ihren Meinen ftaubigen 
Glasſcheiben haben ſich auch bedeutend über den unverfhämten Ein- 
dringling geärgert, denn je heller und goldener der letzte Strahl der 
Abendfonne diefen in feiner Höhe vergoldet, um fo mürrifher und un 
gufriedener biiden alle andern Senfteröffnungen alsdann auf die däms 
merige Straße. 

Das Gemach hat weiße Kalfwände und iſt fehr beſcheiden möb- 
lirt. Gegenüber dem großen Fenſter fteht der Ofen, neben diefem ein 
breiter tannener Tiſch, und ein paar eben ſolche Stühle, fowie ein 
ähnlicher Kaften vollenden die Einrichtung. Neben dem Fenfter befindet 
Aid) dagegen eine Heine Ge eleganter, faft reicher Auaftattung. Da 
iſt ein erhöhter Fußboden mit einem Stückchen Teppich von fpanifchen 
Wänden umgeben, die mit alten feidenen Vorhängen maleriſch drapirt 
find, Auch fehen wir Hier einen geſchnitzten Eichenholzſtuhl, ein rundes 
Tiſchchen mit gedrehtem Fuß und auf demfelben eine große Vaſe mit 
Blumen. Bor diefer Ede fteht der photographifche Apparat auf einem 
Stativ, jegt bedet mit einem dunkeln Tuche, welches das geheimniß ⸗ 
volle Glasauge verhält, mit dem die gefpenfterhafte Maſchine ihr 
Opfer anftiert, um es alsdann in erfehredender und oft auch in erfchreds 
licher Achnlichkeit wieder zu geben. Ja, fle ift verhält wie in der 
Menggerie der Käfig des Bafllisten oder Die große Schlange mit den 
bejamernden Augen; denn dem photographiſchen Apparat iſt vielleicht 


Ein photographiſches Atelier. 108 


esen fo wenig zu trauen, und wenn er unbebeeft daftände, wer bürgt 
dafür, dag ihm nicht auf einmal einfiele, Gegenftände aus dem Zimmer 
ober der Nachbarſchaft in ſich aufzunehmen und auf feine Weile zu 
Bearbeiten, die ſich nicht immer für die Deffentlichkeit eignen. An den 
Bänden hingen, theils in Rahmen, theils mit Meinen Nägeln aufge 
heftet, photographiſche Arbeiten, von denen einige fehr gelungen ger 
nannt werden fonnten; andere aber, namentlich folche, wo fi mehrere 
Perfonen auf einem Blatte befanden, waren in den Stellungen ver« 
fehlt, und es zeigten die Figuren, wie bei vielen Arbeiten der Art, 
das feltfame Bemühen ſich fo unnatürlich wie immer möglich zu halten 
und fo krampfhaft auszufehen, fo ſchmerzlich zu lächeln und den Bes 
ſchauer fo ſtier anzubfiden, daß man nicht umhin ann, an plöpfih 
ausbrechenden Wahnflun, an Schlagfläffe oder dergleichen zu denken. 

Künftterifh fhön aufgefaßt war Dagegen das Portrait eines juns 
gen Mädchens, welches ſeibſt von der gefpenflerhaften Maſchine mit 
Xiebe wieder gegeben worden zu fein ſchien. Dies Blatt, mehrmals 
vernieffältigt, war ohne alle Retouche und gab tropdem ein fehr liebe 
liches Bild, dad von einer wunderbaren Aehnlichteit fein mußte. Das 
junge Mädchen, obgleich im einfachen Hauskleide, zeigte eine prachtvolle 
Geftalt; fie Hatte den Kopf etwas erhoben und ſchien mit ihren hellen 
‘Haren Augen in die Höhe zu bliden. Es war als lauſchte fie etwas 
Angenehmem, fo war der Ausdruf ihres Gefihts und das brüdten 
die feicht geöffneten feinen Lippen aus. Ihr rundes Geflht war ums 
„geben von reichem, kunſtlos und doch ungemein kokett aufgeſtecktem 
Haar. Sie lleß die zuſammen gelegten Hände herabhangen und hielt 
zwiſchen den Fingern etwas, das wie ein Bouquet ausſchaute; bet 
näherem Betrachten aber fah man, daß es eine kunſtreich gearbeitete 
Strohfehleife war. Einmal befand ſich diefes Portrait an der Wand 
in einem ſchonen aus Holz gefhnigten Rahmen; und wo dieſer am 
Nagel Bing, da bemerfte man einen Strauß vertrockneter Felde und 
Waldblumen mit zierlichen Gräfern, die fo über das Portrait herein, 
nicten, daß man glauben konnte, die Maren Augen des Mädhens 


104 Achtes Kapitel, 


blictten nad) ihnen, und wenn man ſich dieſer Phantafie hingab, D 
tonnte man auch ben zufriedenen glüdfichen Ausbruf ihres Geſiches 
verftehen, in dem die Erinnerung einer glüdfeligen Stunde lag. 

Im Zimmer befinden fih drei Perfonen, an dem Tannentifd, fiht 
eine alte, einfach, aber reinlich gefleivete Fran mit einem guten Ges 
fichte, auf dem fi Zufriedenheit und Wohlwollen abfpiegen. Ran 
fieht ihr an, daß fie gern lacht und daß die Meinfte Veranlaffung im 
Stande ift, fie in eine heitere Stimmung zu verfegen. Der Befiper 
der photographifchen Anftalt, Herr Heinrich Böhler, befindet ſich eben 
falls an dem Zifche, und daß er der Sohn feiner Mutter ift, fehen 
wir an der außerordentlichen Achnlichkeit zwifchen Beiden. 

Er iſt ein kräftig gewachſener fchlanfer junger Mann von vielleicht 
feheundzwanzig Jahren, mit einem habſchen offenen und ehrlichen Ge⸗ 
ſichte, hellblondem lockigem Haar, auf weldes er etwas zu halten 
ſcheint, denn es iſt forgfältig gefcheitelt, und die überall natürlich em⸗ 
porſteigenden krauſen Loden find mit Sorgfalt um Stirn und Schläfe 
geordnet, 

Die dritte Perſon figt am einem befonderen Tifche in der Nähe 
des Fenſters, ebenfalls ein junger Mann von gleichem Alter wie der 
Photograph, aber von der Natur fehr ftiefmütterlich behandelt. Sein 
Geſicht iſt gelb und Hager, von ſchwarzen, gerade herabhängenden 
‚Haaren befchattet, feine Figur Mein und dürftig, und was hei anderen 
gerade gewachfenen Menfchen wie eine gemwölbte Bruft ausfieht, erfcheint 
bei ihm als Höder, der fo weit vortritt und fo hoc Hinaufragt, daß 
er faſt fein ſpihes Kinn darauf fügen Munte, Obendrein if feine 
Tinte Schulter Höher als feine rechte, und da er diefen Mangel durch 
eine gezwungene Haltung zu verdecken fucht, fo gibt ihm das etwas 
Geziertes, welches widerwärtiger erſcheiut, ſelbſt als fein Früppelhafter 
Körperbau. Der Meine Mann iſt Maler, retouchirt die Photographieen, 
wo es verlangt wird, und malt deu jungen Damen auf den Daguer⸗ 
teotypen vothe, ſchwindſüchtige Baden. Da er den Kopf felbft bei der 
Arbeit immer etwas auf die Finke Seite geneigt trägt, fo mag es wohl 


Ein photographifhes Atelier. 105 


daher Tommen, daß er fi angewöhnt Hat, mit feinen Augen Alles 
von unten herauf zu betrachten, wodurch fein Geſicht einen Iauernden 
Ausdrud erhielt, Leider aber find wir gesungen hinzuzuſetzen, daß 
dieſes lauernde, unftäte Aufbliden in feinem Charakter begründet und 
anfänglich wohl aus dem Miftrauen entftanden war, das ihn gegen 
alle gerade gewachfenen und von der Natur beffer behandelten Menſchen 
erfüllte. BVielleicht hatte er auch als Kind von Luft, Glüc und Liebe 
geträumt; vielleicht hatte er ſich fogar fpäter, feiner verfümmerten Ges 
ſtalt noch nicht recht bewußt oder im verzweifelten Wagniß einem ges 
liebten Weſen genähert und war durch ein fonderbares Lächeln aus 
allen feinen Himmeln geftürzt worden, tief hinab in die Finſterniß 
eines zerftörten Gemüthes, wo ihm aladann Zähneknirſchen und krampf⸗ 
haftes Zufammenballen der Hände Linderung und Labſal war. Lehr 
teres, dad frampfhafte Schliegen der Hände, Hatte er beibehalten, und 
wenn er ſprach, fo zudten feine Finger auf und zu und er hob fie 
meiftend gegen fein Gefiht, als follten fie ihn in feinen Reden unter- 
lügen. Vielleicht war es auch Eitelfeit, daß er fo that, denn die 
Natur, die ihm fonft alles verfagt, Hat ihm eine wunderfchöne, fein» 
geformte weiße Hand verliehen. — Herr Krimpf, der Meine Maler, 
faß da und zeichnete; die alte Frau Böhler ſtrickte an ihrem Strumpfe, 
und der Photograph Hatte eine Gfastafel vor fi, in den Pugrahmen 
eingefpannt, die er mit einem feinen Tuch polirte und zuweilen an 
hauchte, um zu, fehen, wo irgend noch ein fettiges Theilchen fipen ge⸗ 
blieben war. Wir müffen hierbei erwähnen, daß Herr Böhler bie 
Rappen, womit er dad Glas pußte, auf eine eigenthümliche Art hielt, 
mas baher kam, weil er ſich durch einen unglüctichen Zufall den Beiges 
und Mittelfinger vor nicht langer Zeit ſchwer verlegt Hatte, 

„Heute ſcheint wieder einmal Niemand zu kommen,“ fagte er, in- 
dem er die afte Frau anblickte; „doch will ich nicht darüber Magen, 
denn wenn ed bei una wie im Bäckerladen ginge, fo würbe ih ja am 
Ende noch ein reicher Mann werden, und daran benfe ich doch wahr 
haftig nicht,” 


106 Achtes Kapitel, 


„Es iſt noch früh,“ ſprach Frau Böhler, „die Reute kommen ja 
meiſtens um die Mittagaftunde, da ſoll das Licht am beften fein, wie 
du immer fagft.“ 

Herr Krimpf am Fenſter wandte feinen Kopf noch mehr auf die 
liuke Seite, ald wolle er feine Arbeit auch in einiger Entfernung bes 
traten; dann fieß er fich nach einer Meinen Weile vernehmen: „Die 
Goncurrenz thut's, die große Concurrenz. Auf dem Marktplap, in der 
Hinten» fowie in der Rofenftraße Haben ſich feit einigen Tagen nene 
Bhotographen niedergelaſſen. Der am Markt Hat ein prachtvolles Ates 
Hier gebaut, ganz von Glas und Eifen.“ 

„D, wir haben hier oben auch ein gutes Kicht,“ warf der Andere 
Hin; „ganz Norden und feine Mauern hinter und, die Refleg geben.“ 

„Dazu,“ fuhr Here Krimpf fort, „hat der am Markt einen ele⸗ 
ganten Salon eingerichtet, wo Damen und Herren warten fönnen, 
auch einen gewandten Bildhauer engagirt, der die [hönften Stellungen 
angibt." 

„Nun, einen Salon haben wir freilich nicht,“ entgegnete der Pho- 
tograph, „und mas den Bildhauer anbelangt, fo glaube ich, daß ſich 
Eure Stellungen damit meflen Eönnen. Ihr müßt doch geftchen, 
Krimpf, daß wir in der fepten Seit ganz fanios gelungene Sachen 
gemacht haben.“ 

„Sehr fhöne Sachen,“ befräftigte die alte Frau, und damit nahm 
fie die Nabel, welche fie gerade abgeftridt hatte, in die dechte Hand 
und zeigte auf das Portrait des jungen Mädchens. „Gibt es wohl 
was Beſſeres bei allen Photographen, ala das Bild der Rofa?“ 

‚Herr Böhler hielt, als die Mutter fo fprach, mit dem Reiben auf 
der Glasſcheibe inne und blickte ebenfalls freundlich Tächelnd zu dem 
Bilde des jungen Mädchens empor. „Ja, das ift fehr gelungen,“ ſprach 
er halblaut. 

‚Herr Krimpf hatte ebenfalls herübergefchielt, und ein Lächeln, von 
dem man nicht wußte, bedeutete e8 Schmerz oder Freude, zudte um 
feinen breiten Mund, zu dem ſich die Finger erhoben. „Das ift in 


Ein photographifches Atelier. 107 


der That fehr gelungen,“ fagte auch er, „und wenn man das äffentlich 
ausftellen fönnte, fo wäre das Portrait allein im Stande, uns eine 
Menge Kundſchaft Herbeizugiehen.” 

„Rein, nein, dad würde ich nie zugeben,“ fiel ihm der Photograph 
eifrig in's Wort, „felbft wenn ſich Roſa dazu entſchließen könnte.” 

„O, feid gang unbeſorgt,“ warf der Andere ſchnell ein, während 
er fih auf feine Malerei niederbüdte, „die wird fih nie dazu ent 
ſchließen, felbft wenn es den größten Vortheil brächte. Was befüm- 
mert fi) das hochmüthige Mädchen um Eure Kundſchaft, um Ener 
Fortlommen.“ 

Fran Boͤhler hatte bei diefen Worten den Kopf geſchüttelt, und 
zum erſten Mal nahm ihr Geficht einen ernften Ausdrud an. „Krimpf, 
Krimpf,“ fagte fie aladann, „das iſt ein Punkt, wo Ihr immer bös⸗ 
artig werdet und wovon Ihr doch wahrhaftig nichts verfteht.” 

„Sieht man nicht auch Prinzeffinnen und Gräfinnen an ben 
Schaufenftern auögeftellt?” 

„Daß ſich eine vörnehme Dame nichts daraus macht, von der 
Menge angegafft zu werden, begreife ich volltommen. Wenn fie im 
Theater und im Concert mit ihren Spipen und Brillanten fipen, fo 
müffen fie e8 auch leiden, daß Taufende von Angen fe fo lange -ans 
fhauen, als es ihnen beliebt. Aber mit einem jungen befeheidenen 
Mädchen, die von der ganzen Welt nichts will, iſt dad doch was ganz 
Anderes. Nehmt mir's nicht übel, Krimpf, wenn Ihr eine Schwefter . 
hättet —“ 

„Dber eine Geliebte,” fagte giftig der Maler. 

„So möchtet Ihr es auch nicht haben,“ fuhr Frau Böohler fort, 
ohne auf dieſe Worte zu achten, „daß fle Jedermann anftarrte und 
fragte: wer iſt denn das Mädchen? Wie heißt fie? Was thut fie? 
Bo wohnt fie?" 

„Nun, "was das anbelangt,” entgegnete der Maler nad einem 
Heinen Stinfhweigen, „fo ſtellt Mamſell Rofa ihr Licht aud nicht 
gerade unter den Scheffel und läßt ſich gehörig auf der Straße fehen.“ 


108 Achtes Kapitel. 


„Ja, wenn fie ausgehen muß oder mit ihrer Mutter im Schloßs 
garten ſpaziert,“ bemerkte der Photograph in etwas gereiztem Tone 
und rieb feine Glasfcheibe heftiger ald nothwendig gewefen wäre. 

„Der Effect ift derfelbe,“ fuhr Herr Krimpf Hartnädig fort. „Ic 
bin ihr ſchon oft begegnet und habe häufig gehört, wie der oder jener 
Lieutenant oder fonft ein junger Herumtreiber fragte: Wer ift denn 
das fchöne Mädchen? Wie heißt fie? Was thut fie? Wo wohnt fie?“ 

„Und wenn Einer wirklich auch fo was gefragt hat,“ erwiderte 
der Photograpk ärgerlich, „fo hat doch Rofa gewiß niemals Anlaß 
dazu gegeben. Könnt ihr das anders fagen?“ fuhr er nach einer 
Baufe fort, da der Maler fich achſelzudend über feine Arbeit nieder 
beugte; „hat fie je einen von Cuern Herumtreibern angefehen oder 
durch ihr Betragen heraudgefordert, daß er fih nad iht umſchaue und 
frage: Wer iſt fie? Wo wohnt fie?” 

‚Herr Krimpf betrachtete Die Arbeit, die vor ihm 19, fo anges 
Tegentfich, ald Habe er in der ganzen Welt für fonft gar nichts Sinn. 
Er nahm aufs Gleihmüthigfte einen anderen Pinfel und fuchte lange 
nad) einem fhönen Blau, um das Kleid der Dame, die er eben re⸗ 
toudjirte, zu lafiren, und erft als er fand, daß die gefuchte Farbe 
paffend war, nickte er befriedigt mit dem Kopfe und warf dann leicht hin: 

„Ich muß ſelbſt geftehen, daß Mamfell Rofa auf der Straße in 
der That Keinem eine Veranlaffung gibt, ſich um fie zu befiimmern 
oder {hr nachzugehen.“ 

‚Hätte er das „auf der Straße“ micht fo Hoch betont! Aber er 
that es und fo ſtark, daß felbft die alte Frau ihren Kopf fchüttelte 
und ihr Sohn nicht unterlaffen konnte zu entgegnen: „Krimpf, Ihr 
Habt fo ausdrucksvoll gefagt, Roſa gebe auf der Strafe feine Beran- 
Taffung, daß man ihr nachſehe und ſich um fie befümmere, fie betrage 
fich auf der Straße nicht auffallend! Alſo vielleiht fonftwo, wenn 
auch gerade nicht auf der Straße?“ 

‚Herr Krimpf zuckte abermals mit den Achfeln, fpigte feinen Mund 
und hielt den Nagel des Daumens feiner rechten Hand gegen das 


Ein photographiſches Atelier. 109 


Lit, um eine gemiſchte Farbe zu betrachten, Die er darauf gejept 
hatte, während er fagte: „Seht, Fieber Böhler, das iſt das alte Kapitel, 
Da brauch' ih nur ein unſchuldiges Wort zu fagen, daran Mammert 
Ihr Euch, fegt mir fo zu fagen die Piftole auf die Bruft, und wenn 
ih mir dann erlaube, irgend eine Bemerkung fallen zu lafien, fo heißt 
es, ich ſuche Streit und Unfrieden.” 

Die alte Frau winkte ihrem Sohne mit den Augen, das Geſpräch 
fallen zu laſſen, doc fehlen diefer es nicht bemerken zu wollen, und 
man ſah deutlich, daß er ſich in einer großen Aufregung befand, der. 
ex ſich vergeblich bemühte, Here zu werden. Sein Auge glängte, und 
eine flammende Röthe fag auf feinem Geſichte, während er die Rippen 
heftig zuſammenpreßte. 

„Ich wollte nämlich ſagen,“ fuhr Here Krimpf gleihmäthig 

„O, fagt lieber gar nichts,“ unterbrach ihn raſch die alte Frau. 
„Kann es Cuch denn eine Freude machen, meinen Sohn mit Sachen 
zu alteriven, von denen Ihr felbft am Beſten wißt, daß fie nur in 
Eurem Kopfe entflanden find?" 

Es war ein eigenthümfiches, faſt fühes Läͤcheln, mit dem der 
Maler jeht zu der alten Frau Hinüberfah. Es war ein Lächeln, wel⸗ 
ches fagen zu wollen ſchien: Gute, arglofe Seele, wie bedaure ich Dich 
aus dem Grunde meines ehrlichen Herzens! Dann zuckte feine rechte 
Hand nad dem Munde empor, und feine Finger berührten diefen 
leicht, ala wollte er ſich ſelbſt Stillſchweigen auferlegen, worauf der 
Pinſel auf dem Papier wieder gleihförmig feine Linien beſchrieb. 

„Rein, nein, er ſoll reden!“ fagte beftimmt der Photograph; „aber 
er foll mit geraden Worten reden. Krimpf, ich halte große Stüde 
auf Euch; nur in diefem Einen Punkte geht Ihr nicht ehrlich mit mir 
um. Ich weiß wohl, was Ihr wolt. Ihr könnt mir keine That⸗ 
ſachen Gerichten. Ihr Habt nur boſe Bemerkungen gegen das Mädchen, 
umd doc Könnt Ihr mir glauben, Krimpf, daß ih Eud in der That 
fogar dankbar wäre, — wenn —.“ Dad Lepte fagte er mit uns 


110 Actes Rapitel. 


ficherer, gepreßter Stimme, wie Jemand, der ſich vor feinen eigenen 
Worten fcheutz auch war er nicht im Stande, den Sag zu vollenden. 

„Laß dir doch feine Grillen in den Kopf feßen,“ ſprach die alte 
Franz „du weißt ja, was er dir fagen will. Gott der Gerechte! Und 
wenn fie bie und da auch einmal einen Bid hinüberwirft nad; dem 
Fenſter des großen Hauſes, was thut fo ein Blick? Habe ich in mei⸗ 
ner Jugend doch auch meine Augen nicht immer zugefchloffen, und bin 
doch eine Brave Hausftau geworden, das kann ich mir wohl nadıe 
fagen. — Ad was, fo ein Blid!“ 

„Es Liegt ein großer Unterfchied in der Art, wie man Blicke 
fendet,” meinte Herr Krimpf. 

„So wollt Ihr alfo fagen, daß Rofa da hinüber Blicke fendet, 
wie fie fi für ein junges Mädchen nicht ziemen?“ fragte Herr Böhler. 

„Die es fih für ein junges Mädchen nicht ziemt, will ich gerade 
nicht fagen, aber,“ feßte er langſam und bebächtig Hinzu, „wie es ſich 
vielleicht für ein junges Mädchen nicht ziemt, die ſchon einen Liebſten, 
fo zu fagen, einen Bräutigam hat, und wie es ſich für ein junges 
Mädchen aus unferem Stande einem Manne jenes Standes gegenüber 
gewiß nicht paßt.“ 

„Kempf,“ rief jetzt heftig der Photograph, „entweder, oder! Laßt 
Eure ſchlimmen Reden oder fagt mir gerade Heraus, was Ihr denkt 
und wißt.” 

„Boöheiten, nichts als Bosheiten,“ flüfterte feife die alte Frau. 

„Run?“ fuhr ihr Sohn gegen den Maler los, da biefer ſchwieg. 

„D, das ift fehr einfach,“ antwortete Krimpf, „und ich fage nie 
etwas, wozu ich nicht meine Gründe habe. — Es gibt gewiſſe Stuns 
den im Tage,“ fuhr er in fo gleichgäftigem Tone fort, als begönne er 
eine Geſchichte: Es war einmal ein König, der hatte eine fchöne 
Tochter, — „8 gibt gewiſſe Stunden, wo Mamfell Rofa ihr Fenſter 
öffnet und fid an demfelben fehen läßt. — Wißt Ihr, das Fenſter iſt 
gerade unter uns, alfo kann es Cuch nicht gelten. Da an's Feuſter 
flellt fie fich, doch ehe fie ſich Hinftellt, fingt fie vorher, und fie Hat 


Ein photographiſches Atelier. 1i1 


eine fhöne Stimme und kann fehr laut fingen. Habt Ihr fie vorhin 
fingen Hören®“ fragte er mit feinem fatalen, lauernden Lächeln. 

„Ja, ich habe fle gehört,“ fagte der Andere mit faſt tonlofer 
Stimme. 

‚Run alſo,“ ſprach Herr Krimpf mit dem ruhigften Tone von 
der Welt weiter, „dann wette ich hundert gegen eins, daß ſie ſich jept 
am Fenſter etwas zu ſchaffen macht.“ 

„Und wenn dem fo wäre,” mifchte ſich die alte Fran gereizt in's 
Geſpräch, „wollt Ihr dem jungen Mädchen verbieten an's Fenfter zu 
treten und frifche Luft zu ſchöpfen ?” 

„Ich? Ganz und gar nicht. Ich will ihr überhaupt nichts vers 
bieten. D, wenn Ihr nur einmal begreifen wolltet, wie ehrlich ich es 
mit Euch meine. Nicht wahr, wo ich Hier fipe, bin ich micht im 
Stande in die Nachbarſchaft zu fehen? Das werdet Ihr mir zugeben. 
Bas ih alfo jegt fagen will, kann ich nicht vorher gefehen Baben, 
Unferem Haufe gegenüber liegt, wie Ihr wißt, dad große Palais, das 
mit feiner Pracht und Herrlichkeit unfere arme dunkle Gaſſe fo zu 
fagen abfperrt und uns verhindern will, mit der vornehmen Welt, die 
dort wohnt, in gar zu nahe Berührung zu kommen. ber diefe vor⸗ 
nehme Welt,“ fuhr er boshaft fort, „kommt doch zuweilen gern mit 
und in Berührung. Alſo im erften Stod drüben ift ein Fenſter, gerade 
dem der Frau Witte Weiher gegenüber; der Geſang iſt verftummt, 
Rofa fleht am dieffeitigen Fenſter und am jenfeittgen befindet fih, oder 
meine Ahnung müßte mich trügen, ein junger Herr, wahrſcheinlich im 
rothſeidenen Schlafrock, da es noch früh if. Er blickt angeblich in 
unfere ſchlechte Gaſſe, vielleicht vermittelft feines Opernglafes, vielleicht 
auch nur fo, und treibt allerlei Meine Thorheiten. Er fegt die Finger 
an den Mund oder drüdt ein Blumenbouquet, das er neben fid hat, 
an die Lippen, fächelt fi vieleicht aud mit feinem Schnupftuche 
Kühlung zu — —“ 

Schon bei den erften Worten, die Herr Krimpf ſprach, wollte fih 
der Pholograph haſtig erheben, doch fegte ihm die alte Frau ihre Hand 


112 Achtes Kapitel. 


auf den Arm und ihr BR bat ihm, ruhig zu bleiben. Als aber der 
Maler in feiner boshaften Art alle die Einzeinheiten berichtete, da ließ 
es den Andern nicht fänger auf feinem Stuhle, er fprang in die Höhe, 
holte tief und heftig Athem und trat an eine Stelle des Zimmers, wo 
er das gegenüberfiegende Haus ind Auge faflen konnte. 

Herr Krimpf blickte nicht einmal zu ihm empor, vielmehr malte er 
ruhig an feinem Vilde und fagte nad) einer Paufe: „Gab’ ich Recht 
oder Unrecht?" 

Auch Frau Böhler war Hinter ihren Sohn getreten, und das 
fonft fo wohlwollende Gefiht der alten Frau Hatte fih finfter über⸗ 
zogen. Daß Jemand drüben am Fenſter war, darin hatte der Mafer 
allerdings Recht; und wenn der geneigte Kefer mit und hinüberfchauen 
will, fo bemerft er einen der Fenfterflügel im erſten Stock geöffnet; an 
demfelben fteht ein Fauteuil, und auf diefem ruht ein junger Mann 
in rothem Schlaftock, der den Arm auf die Brüftung geftüpt hat, den 
Kopf in die Hand gelegt, und zwar fo, daß der Zeigefinger derfelben 
am feinen Lippen ruht. Der junge Mann am Fenfter Hat fein blondes 
Haar glatt an den Kopf geftrihen, Kinn und Wangen find forgfäftig 
rafirt, den feinen Mund hat er lähelnd zufammen gezogen, und bie 
lebhaften Augen figiren fich ſcharf auf einen Punkt ihm gegenüber. 
Der junge Mann im Schlafrock ift unfer Bekannter, der Kammerherr 
von Wenden, der ſich in feinem Hausarreſt außerordentlich Tangweilt 
und fehr vergnügt zu fein ſcheint, in der Nachbarſchaft ein vorüber 
gehendes Amufement gefunden zu haben, 

Der Photograph fuhr mit der Hand heftig in fein lockiges Haar 
und preßte fie dann an feine Stirn; — der junge Dann gegenüber 
Tächelte freundlich herüber, nickte auch Teicht mit dem Kopfe, und jept 
kam auch das Blumenbouquet zum Borfhein, von dem der Maler ger 
ſprochen. — „Run?“ fragte diefer abermals. „Habe ich Mecht oder 
Unrecht?" 

„Seht, Krimpf,“ ſprach jept die alte Frau mit erzürntem Tone, 
„ich Tann nicht begreifen, wie es Euch ein Vergnügen machen Tann, 


Ein photographiſches Atelier 113 


meinen Sobn mit fo Tächerlichen Sachen zu quälen. Was Mmmert 
es bie arme Rofa, wenn da brüben wirklich ein junger Mann am 
Fenfter fteht und feine Thorheiten treibt? Ste wird nicht nach ihm 
ſchauen, wird in ihrer Küche befchäftigt fein oder mit Ihrer Stroßs 
fleihterei. Wie könnt Ihr Euch einbilden, daß fie jept gerade auch am 
Fenfter unter und ftehe? Kennt Ihr die alte Weiher fo fchleht? Die 
hat Augen wie ein Kalfe, und Mofa würde fhön ankommen.“ 

„Daß die alte Weiher Augen wie ein Falke hat, daran habe ih 
noch nie gezweifelt,“ verfegte der Maler mit einem geringihägenden 
Seitenblick; „doch nicht für ihre Tochter. Da tit fie, um in Gurem 
Gleichniß fortzufaßren, blind wie eine Eule, fonft müßte fle die Ger 
ſchichte ſchon Tange gemerkt haben. Schon lange!“ 

„Nein, dad ift nicht möglich,“ knirſchte der junge Photogravh. 
‚Rofa kann nicht am Fenſter fein und da hinüber fehen, das kann 
und wird fie mir nicht anthun. Es iſt eine Schande, daß ich nur 
einen folhen Gedanken Hatte. Bon Euch finde ich es begreiflich, 
Krimpf," fepte er In faft verächtfichem Tone Hinzu. 

„Diefe Bemerkung Tann mic gar nicht anfechten, ich bin meiner 
Sache gewiß,“ flüfterte der brave Krimpf vor fih hin. 

„Und ich will mic; überzeugen,“ fagte entichlofen Herr Böhler. 
„Das Fenſter der Schlaflammer ift offen. Wenn ich mich vorbeuge, 
tann ich hinabſchauen, und ich will es denn in Gottes Namen für 
diefeb Mal thun, um den Krimpf zum Stillſchweigen zu dringen. 
Bleibt hier, Mutter,“ fuhr er fort, als er, fi ummendend, ſah, Daß 
ihn die alte Frau begleiten wollte. 

„Aber ich follte eigentlich mitgehen,“ meinte der Maler, und dabet 
lachele ex auf gang eigentsämliche Art und kniff die Augen fo zufame 
men, daß nur noch ein paar Blipe herausſchoſſen; „id, follte eigente 
lich mitgehen, fonit tft die Partie vollfommen ungleich.“ 

Der Andere war aber ſchon in das Nebenzimmer getreten und 
hatte fi mit klopfendem Herzen dem Penfter genähert. Er wußte 

Hadtänder® Werte. XXI. 8 


114 Achtes Kapitel, 


nicht wie es kam, daß er nur mühſam Athem fchöpfen konnte, und 
daß das Blut wie im Fieber durch feinen Körper raste. — Jeht fand 
er am Zenfter. Ehe er aber hinabblickte, faßte er mit der Hand 
krampfhaft die Brüftung. 

D, warum mußte der Maler Recht haben! Warum fand Mofa 
jeßt gewiß und wahrhaftig am Fenſter! Warum lehnte fie ſich Heraus, 
daß er deutlich ihr volles, ſchones Haar fah, ihren Hals, ja die ſchlaute 
Taille und ihre Meine Hand, mit der fie leicht das Fenſterkteuz gefaßt 
hielt und fo auf dem erhobenen Arme ihren Kopf ruhen ließ. Er 
hätte hinauöfchreien können; er hätte wie ein Kind weinen mögen, denn 
er war zu feſt überzeugt gewefen, daß Krimpf verfeumdet habe. Kein 
Zweifel, es war Rofa felbft! Wenn er auch nur ihre Fingerfpigen 
gefehen hätte oder eine einzige Flechte ihres Haares, fo hätte er ger 
fühlt, daß fie ed ſei. Es ward ihm dunkel vor den Augen, und als 
er jegt feine Lippen feft aneinander preßte, fo fehwellte ihm der Athem 
fo Heftig die Bruft, daß fie zu zerfpringen drohte. Alfo doch! Er 
blickte auf das Mädchen hinab, und ed war ihm, als müffe er fie mit 
feinen Gebanten in das Zimmer zurüdziehen Tönnen. Dany fah er 
neben ihr vorbei in die ſchwindelnde Tiefe, und ed flimmerte feltfam 
vor feinen Blicken. Er wollte Rofa! rufen, aber er that es nicht. Er 
blickte auf das gegenüberliegende Haus und fah, wie fih der junge 
Mann am Fenſter unverwandt herüberbfidend laugſam erhob, wie er 
dabei die Hand leicht an feine Kippen legte, ja, wie er herüberwintte, 
Ad und wie ward dem Späher, als der nun fehen mußte, wie Rofa 
ebenfalls ihre Stellung änderte, wie fie die Hand und den Arm, auf 
denen fo eben ihr Kopf geruht, langſam herabfinten ließ, und wie fie, 
ehe fie das that, leicht mit ihren weißen Fingern über das fchwarze 
Haar herabfuhr. — Dann verſchwand fie vom Fenfter. Er aber oben 
prefte feine beiden Hände gewaltig gegen die Bruft und bfidte an den 
blauen Himmel empor, der ihm mit einem Male ftokduntel erfhien 
und an dem Blige hin und herfuhren, Blipe aus heiterer Luft, von 
denen er nicht wußte, woher fie famen, Er mußte in dad Wohnzimmer 


Ein photographiſches Atelier 115 


zuchef, das fühlte er wohl, aber er mußte lange mit ſich kämpfen, ehe 
fein Athem wieder ruhiger ging, ehe feine Augen den fonderbar ent 
feßlichen Ausdruck verloren Hatten, ehe fein Gang wieder gleichmäßig 
‚geworben, nicht mehr fo ſchwankend war, ald da er vom Fenſter weg⸗ 
trat. Ja, er verfuchte zu Lächeln, und es gelang ihm, ald er num wie⸗ 
der vor bie Beiden im Nebenzimmer trat, wo ihn die alte Frau bes 


kürzt anbfidte; denn, wie fie ihm fpäter fagte, habe er zum Erſchreclen 


blaß ausgeſehen. 

Herr Krimpf hob ebenfalls den Kopf in die Höhe, und auch er 
fächelte, als er in die entftellten Züge des Photographen blickte. Dar⸗ 
auf zudten feine Finger, wie vergnügt nad) feinem Kinn und als er 
fagte: „Nun?“ fag in diefem einzigen Worte ein Hohn, ein Triumph, 
der unaudfprehlic war. 

„Run?“ fragte auch die alte Frau. 

„Die Rofa war nicht am Fenſter,“ entgegnete der Andere fo ges 
laſſen als es ihm möglich war. Dabei bfidte er beforgt auf den 
Maler, der aber feinen Kopf fo tief über das Papier gebeugt hatte, 
daß man fein eigenthünfiches Grinfen nicht fehen konnte. — „Rein, 
fie war nicht am Fenſter,“ wiederholte er nach einer Paufe und einem 
tiefen Athemzuge. 

Ein paar Sekunden fang war es nun auch fo fill in dem Zimmer, 
daß das Piden der Schwarzwälder Uhr ein fat unerträgfiches Geräufch 
machte. Dann fagte Herr Krimpf: „Nun, wenn fie nicht am Fenfter 
war, fo ift es mir fieb und ich will recht gern Unrecht gehabt haben. 
Denn’ wäre fie am Fenfter gewefen,“ fepte er mit ſcharfer Betonung 
Hinzu, indem er den Kopf erhob, „fo hätte ich Recht behalten, und 
man müßte dann bie Roſa für ein unverantwortlich leichtſinniges 
Mädchen Halten, für ein Mädchen, das nicht werth it, def ein braver 
Mann, wie Ihr, fie liebt. — Darin ſtimmt Ihr mir bei, nicht wahr, 
Böhler?" 

„3a — darin,“ entgegnete der Photograph in einem Tone, dem 
man deutlich anhörte, wie mühfem und ſchmetzhaft er hervorgebracht 


116 Neuntes Kapitel. 


war. — Hierauf fehlen er aber nicht gemeigt, fid noch in weitere Er⸗ 
Örterungen einzulaſſen, fondern ging abermals in das Nebenzimmer, 
nicht um dort wiederholte Fenfterbeobachtungen zu machen, vielmehr 
feßte er fi fo entfernt wie möglich von demfelben in eine Ede der 
Kammer, barg dad Geficht in beiden Händen und blieb unbeweglich. 


Neuntes Kapitel, 


Chantons, buvons, traleralera. 


Herr Krimpf hatte eine Zeitlang emfig fortgemalt und ſchien 
and mit feiner Arbeit volltommen zufrieden zu fein. Er betrachtete 
die Photographie, die er retouchirte, bald von biefer, bald von jener 
Seite, und mwähreud er fo den Kopf bald rechts, bald links wandte, 
fummte er in fid hinein eine Iuftige Melodie, was felten genug vor 
kam. Bald jedod fehlen er mit feiner Arbeit für jept aufhören zu 
wollen, betrachtete das Portrait ein paarmal aus der Entfernung, 
legte e8 alsdann zwiſchen Siließpapier und fing an, feinen Pinfel mit 
großem Geräufche in einem vor ihm ftehenden Waflerglafe auszufpälen. 

Die alte Frau hatte ſich mit ihrem Steidftrumpf wieder an den 
Ziſch gefept, doch zeigte ihr Geficht fange nicht mehr ben helteren, 
wohlwollenden Ausdruck wie früher, bald blickte fie beforgt nach ber 
Kammerthüre, dann einigermaßen entrüftet auf den Maler, der feine 
Farben zufemmengelegt Hatte, einen befieren Rock anzog, der in der 
Ede Hing, und ſich zum Weggehen anſchickte. „Es ſcheint Diefen Bor 
mittag Niemand Tommen zu wollen,“ fagte er, „und da will ih einen 
Meinen Ausgang bejorgen. Gegen zwölf Uhr bin ich wieder da, wenn 
man mich vieleicht doch noch brauchen ſollte.“ Bei diefen Worten 


Chantons, burons, traleralers. 117 


hatte er den Rod bis unter das Kinn zugenöpft umd trat an das 
Fenfter, um einen Blick in die Nachbarſchaft zu werfen. 

„3a, ja,“ murmelte er vor fih, aber doch fo laut, daß ed bie 
Frau deutlich verftehen mußte, „biefe vornehmen Herren! Es ift mir 
begreiftich,, daß ihnen fo allerhand verfluchte Geſchichten durch den 
Kopf gehen, da fie doch auf der Herrgottömelt den ganzen Tag fo gut 
wie gar nichts zu thun haben. Möchte das aud) 'mal mitmachen.” 

‚Hiebei verfuchte er, feinen Halöfragen aufzurichten, was ihm aber 
nur an der einen Seite gelang; an der anderen drüdte ihn der herab⸗ 
Bängende Kopf hartnädig wieder gegen die Schulter. „Aber das 
Bunt Ihr mir glauben, Fran Böhler,” fuhr er nach einer Paufe fort, 
„ed iſt mir gerade, ald hätte mir Jemand was geſchenkt, daß die Roſa 
nicht am Fenſter war, Es wäre auf meine Ehre arg gewefen; denn 
der da drüben iſt ein verrufener Patron, darauf fönnt Ihr Euch vers 
laſſen, und wenn der einmal anbändelt, dann hört er nicht wieder auf, 
bis er die Schleife feft zugezogen Hat. Jeht behut Euch Gott, Fran 
Böhler, ich komme bald wieder.“ — Gr hatte feinen Hut aufgefept 
und warf einen Blick in den Spiegel, fo verſtohlen und ſcheu, daß man 
wohl merkte, er fürchtete dort etwas fehr Unangenehmes zu erbliden, 
Dann lief ex mit einer wahrhaft komiſchen Behendigkeit zur Thür 
hinaus, 

Als ex fort war, lich die afte Frau ihre Hände mit dem Stride 
zeug in den Schooß ſinken, ſchüttelte den Kopf und fagte in einem 
betrübten Tone: „Wie der Heinrid, verflört ausfah! Bielleicht war fie 
wirtlich am Fenſter, vielleicht hat der Krimpf Recht, aber das wäre 
doch gar zu entfepfich! Nein, nein, fo tft die Mofa nicht. Und wenn 
fie wirtlich am Fenſter war, bah! fo hätte das noch nichts zu bedeuten, 
Sp ein junges Mädchen iſt ein wenig vorwigig und nafeweis, aber 
ſchllum iſt die Rofa nicht, gewiß nicht; davon muß auch der Heinrich 
überzeugt fein.“ 

Haſtig warf fle ihr Stridgeng auf den Tifh und eifte in das 
Rebenzimmer, als wollte fie ihren Sohn fragen, ob er denn wirklich 


118 Reuntes Kavitel, 


etwas Schlimmes von Rofa glauben könne, felbft wenn fie am Feuſter 
geweien wäre. — Der Photograph faß noch immer in feiner Ede. 
Die Hände hielt er freilich nicht mehr vor das Geficht, fondern gefal- 
tet auf feinen Muten; doch Hlidte er fo ſtarr duch das Fenſter an 
den Himmel empor, daß die Mutter bei feinem Anblid ordentlich er 
ſchrack und es kaum wagte, leicht mit den Zingern feine Schulter zu 
berühren. 

Er fuhr wie aus tiefen Träumereien empor, und als er die alte 
Frau neben ſich ſtehen fah, fagte er mit erzwungenem Räceln: „Ich 
bin doch recht thöricht, da ſihe ich hier in tiefen Gedanken, als wenn 
Gott weiß was geſchehen wäre, und ed iſt doch im Grunde gar 
nihte.“ 

„Rein, es iſt gewiß nichts, Heinrich, wahrhaftig nichts,“ entgeguete 
die alte Frau, „das kannſt du mir glauben. Mad’ dir doc feine fo 
trüben Gedanten.” 

Er fah mit einem unendlich troftlofen Blick zu feiner Mutter 
empor, dann fagte er: „Aber fie war am Renfter.“ 

Ich Hab’ e& dir angefehen.“ 

„Dann bat es mir der Krimpf gewiß auch angefehen, und was 
er zu mir fprach, war aus fauter Bosheit.“ 

„Du weißt doch,“ antwortete Lopffchüttelnd die alte Frau, „wie 
der immer gereizt if und wie es ihm ein Vergnügen macht, andere 
Menfchen mit feinen ſchwarzen Gedanken zu quälen.“ 

„Aber fie war am Fenſter.“ 

„Run ja, laß fie. Dan muß ihr das auf eine gute Art fagen. 
Ich verfichere dich, Heinrich, id) bin deinem Vater immer eine brave 
amd getrene Frau gewefen, aber ala ich noch ein junges Blut war —“ 

„Da haft du auch fo am Fenſter geftanden?" fragte haſtig der 
junge Mann und ſchaute zu der Mutter empor, als hoffe er Troft in 
ihren Blicken zu finden. 

„Barum denn nicht?“ fuhr dieſe mit ihrem tröftenden Lächeln 
fort, „Ich weiß mic noch wie hente zu erinnern, es war während 


Chantons, buvons, traleralera. 119 


der Kriegszeit, da mußten wir armen Mädchen überhaupt viel aus« 
ſtehen; Tag und Naht feine Ruhe vor dem wilden Gezeng; nun, das 
mals war ich achtzehn Jahre alt und fo übel auch gerade nicht. Sie 
gafften mich an, wie ed die jungen Leute von jeher gethan haben und 
auch richt faflen werben, fo fange die Welt ſteht und fo lange ed noch 
junge Mädchen gibt. Und gegenüber lag ein fehr Hübfcher frangöflfcher 
Kapitain im Quartier. Das war ein Tolllopf, welcher der ganzen 
Nachbarſchaft Beſuche machte, Bei und fam er aber nicht weiter, als 
bis an die Küchenthär.“ 

„Siehſt du, Mutter, das war fehr brav von bir.” 

„Das ob verdien’ ich nicht — ich hätte gern mal mit ihm ger 
plaudert. Aber um wieder auf mein Kapitel zu fommen, fo ſtand ih 
auch zuweilen am enfter und hörte zu, wenn er feine Iuftigen Lieder 
fang. Da war eins, das ſchloß immer mit den Worten: Chantons, 
buvons, traleralera, und das hatte ich mir feider gemerkt, Leider, 
fag’ ich, denn eines Tags, ald wir am Gffen faßen, fpielte die Mufit 
dies Lied gerade unter unfern Fenſtern vorbei, und ih — ich werde 
das all’ mein Lebtage nicht vergeffen, wir Hatten gerabe Kloͤße und ich 
einen auf dem Löffel, mit dem id) eben zum Munde fahren wollte — 
finge fo, ohne viel zu denken, die Melodie mit: Chantons, buvons, 
traleralera. Aber dad Traferalera war von mir noch nicht audger 
fungen, fo erhielt ich von meiner Mutter eine fo ungeheure Maulſchelle, 
daß ich nicht wußte, wie mir geſchah. Der Köffel und Alles lag am 
Boden, und ich felber duckte mich in Erwartung einer zweiten Obrfeige 
So boſ' Hatte ih die Mutter in meinem ganzen Leben nicht gefehen 
als fie num audrief: warte du, ich will dich betraleraleraen.“ 

„D die Großmutter war eine rechtſchaffene Frau," ſeufzte der 
Photograph, worauf rau Böhler entgegnete: „Laß das nur gut fein, 
die afte Weiher iſt auch nicht lints. Aber jept komm' mit hinüber; 
laß dein Grübeln, das fann wahrhaftig zu nichts führen. Man muß 
mit der Rofa reden.” 

„Mein, das darf man nicht thun,“ ſprach faft erſchrocen der junge 


120 Neuntes Kapitel, | 


Mann, indem er auffprangs „das darf um Gotteswillen nicht gefchegen. 
Iſt an der Sache wirklich etwas Unrechtes, und man warnt fie fo 
wird ſie's verheimfichen, und dann wird es noch viel ſchlimmer. Stein, 
nein, Mutter, ich will erft die volitändigen Beweife und dann nad 
Umjtänden handeln.“ — Die alte Frau ſah ihren Sohn fragend an. — 
„Dann will id zu ihrem Herzen fprechen, und wenn es, wie ich zu 
Gott hoffe, nur eine kindiſche Eitelkeit tt, die fie antreibt, die Blide 
jened — Herm zu erwiedern, fo werde ich ihr vorftellen, was daraus 
entitehen Tann, umd hoffe fie zu überzeugen. Kann ich dis Letztere 
aber nicht, Mutter, fo habe ich am Ende nicht viel verlorm.“ 

Damit waren Beide in das Wohnzimmer zurüdgegangen ; der 
Photograph legte das gepupte Glas bei Seite und madye ſich mit den 
Schalen zu ſchaffen, worin er feine Silber und Notronbäder hatte, 
Draußen fehlen die Sonne fo prachtvoll, und das Licht war fo gläns 
gend, daß es ordentlich fehade war, daß gerade in dieſem gänftigen 
Augenblicke fo gar feine Menfchenfeele kommen wollte, um fih photos 
graphiten zu laſſen. Das meinte auch Frau Böhler, und der Sohn 
pflichtete ihr achſelzuckend bei. 

„Ich weiß nit, wie ed kommt," fagte er, „daß es bei mir nie 
einen rechten Zug nehmen will. Ich will gerade nicht Magen und 
eben fo wenig meine Werke felbft loben; aber bei dem Arbeiten, die 
ich made, könnte ich doch ſchon ein Biechen mehr zu thun haben. — 
I) Habe eben fein Gfüd,“ 

Frau Vöhler hob den Kopf in die Höhe, umd als fie bemerkte, 
wie ihr Sohn bei diefen Worten die beiden verftümmelten Finger feiner 
echten Hand anfah, fo ſchwieg fie ſeufzend ſtill. 

„Gewiß und wahrhaftig kein Glüd,“ fuhr er fort. „Wie fauer 
habe ich es mir werben fafien, mit welcher Liebe habe id; gearbeitet, 
ehe ich's in der Holzſchneidekunſt zu etwas gebracht, und da ich eben 
anfing, hübfche Arbeiten zu machen, paffirt mir das Unglüd, woran 
ich mein ganzes Leben werbe leiden müſſen. Darauf fange id an au 
photographiren, mache auch ordentliche und hübfche Portraits, werde 


Ohantons, buvons, traleralers. 121 


von meinen Befannten empfohlen; aber was hilft mir das Alles! 
Pfufcher Haben den Zulauf, bei mir will nichts recht In den Bug 
tommen. Ich habe feine Protection, oder befler gefagt, fein Glück.“ 

„Es iſt nicht zu leugnen,“ entegnete Frau Böhler, „daß du bis⸗ 
her mit vielen Widerwärtigfeiten zu kämpfen hatteft,“ 

„Mit vielem, vielem Unglüd!" 

„Über das kann ſich mit einem Male ändern, und ich habe es 
Thon oft erfebt, daß Leute, die fange vom Schicfal verfolgt wurden, 
auf einmal an einen Punkt kamen, wo eben das Schickſal wie müde 
und matt von ihnen abfieß.“ 

„Darauf habe ich lange gehofft,” fagte bitter der junge Mann, 
„immer geglaubt, auch für mich müſſe endlich einmal fo ein Augenblick 
des Glüdes eintreten; und dag meine Wünfche nicht unbeſcheiden find, 
das weißt du am beften, Mutter. Wie zufrieden war ich mit meiner 
Arbeit, ja, trog des langfamen Ganges der Gefchäfte, ich könnte wohl 
fügen faft glücklich, je — ja, faſt glülih, bis vor einer halben 
Stunde, wo Alles mit mir zuſammenbrach.“ — Die alte Frau blickte 
topfſchutielnd in bie Höhe, ohne eine Antwort zu geben. 

„Und es {ft fo traurig,“ fuhr der Photograph fort, „daß in der 
Belt eine Widerwärtigfeit, ein Unglüd das andere nach fih zieht." — 
— Er hatte bei diefen Worten einen Abdrud der Photographie jenes 
ſchoͤnen jungen Mädchens, von dem wir vorhin ſprachen, aus ber 
Schale genommen und lange betrachtet. „Wie fann ich es der Rofa 
eigentlich übel nehmen, daß es ihr Iangwellig wird zu warten, bis mir 
einmal das Glüd fo lächelt, daß ich auch fie glüdtich. machen kann. — 
Habe ich eigentlich dad Recht, von ihr zu verlangen, daß fie warten 
und immer warten fol? Und wie lange wird das Warten dauern! 
O glaube mir, Mutter, wir Beide können at werden, che für mich 
der Augenblid des Glüds eintritt!” 

„Die fannft du fo verzagt ſprechen!“ entgegnete die alte Kranz 
„das Hab’ ich noch mie von dir gehört. Du, fonft immer voll der 
fhönften Hoffnungen, du, der alle Wiberwärtigteiten, — je, ih muß 


122 Reuntes Kapitel, “ 


dir dad Kompliment machen — mit einer flaunenswerthen Kraft und 
Geduld aushielteft; der mir in jeder Beziehung eine fo feſte Stüpe 
war, zu dem ich wahrhaft beruhigt auffah und von dem ich mir oft 
fagte: Heinrich ift ja da, dein Sohn! Im feiner Hand muß noch 
Alles gut und ſchon werden.” 

„So Haft du freilich gedacht, und ich dachte faft ebenfo von mir 
feloh. Haft du auch bis jept je gefehen, daß ih den Muth finfen 
Heß; haben mich die Widerwärtigfeiten, bie uns betroffen, im Geringften 
gebeugt? Aber das von vorbin," fepte er leiſe Hinzu, „das Hat mid 
in's Herz getroffen, Und wenn das Herz verlegt wird, fo iſt and 
der Muth dahin.“ 

Die alte Frau wiegte unmuthig mit dem Kopfe hin und ber, 
während fie. fagte: „Schlag’ dir doch dieſe Grillen aus dem Siun. 
Du wirft fehen, das Märt ih les zum Guten auf, und ebenfo, was 
dein Gefhäft anbelangt. If doch aller Anfang ſchwer. Aber ich habe 
ein ahnungsvolles Gemüth, dein Schieffal wendet fih einmal plögfich.” 

„3a, nachdem ich fo viel Herzeleid durchgemacht,“ ſprach büfter 
der Photograph, „daß mich das Glück nicht mehr freut, wenn es end- 
lich bei mir einkehrt.“ 

„Ach was — ich weiß noch, wie deine Großmutter felig, die es 
auch nicht leiden konnte, wenn man immer von Unglüd ſprach, und 
von Leuten, die fletd vom Unglück verfolgt würden, — wie deine Groß⸗ 
mutter zu fagen pflegte. Glüd Hat jeder Menfch, fagte fie, nur muß 
er es zu faſſen wiffen. Aber freilich gibt es Menfchen, die, wenn das 
Gluck an ihre Thüre Mopft, nicht einmal „Herein!“ rufen.“ 

In diefem Augenblick klopfte es leiſe und befcheiden an die Thür 
des photographiſchen Ateliers. 

Dieſes Klopfen kam fo apropos, daß fowohl die alte Frau wie 
ihr Sohn fi betroffen anblickten und feines das eben erwähnte Wort 
ausſprach, fo daß draußen zum zweiten Male geflopft wurde. Jetzt 
tief jedod) der Photograph: „Herein!" Die Thur öffnete ſich und auf 
der Schwelle erſchien ein herrſchaftlichet Lakai in einfacher, aber eler 


Chantons, buvons, traleralera. 128 


ganter Livree, der den Kopf zur Thür hereinſteckte und mit Teifer 
Stimme fragte: „Hier wohnt doch der Photograph, defien Name unten 
an der Hausthär fteht?“ 

„Allerdings, der Photograph Heinrich Böhler.“ 

„Und iſt zu Haufe?" — „Ich bin es jelber.“ 

„Ah!“ verſetzte der Lakai und zuckte mit feinem Kopfe, wie zu 
einer leichten Begrüßung, vorwärts, wobei er die Schultern, diefer Ber 
wegung anpaffend, in die Höhe hob. „So habe ich denn zu fragen, 
ob Sie Zeit hätten, augenblicklich ein Portrait zu machen.“ 

„Bolltommen Zeit und fehr gutes Licht," entgegnete der Photos 
graph, wobei er einen Blick auf feine Mutter warf, die in tiefen Ge 
danken da faß und wahrſcheinlich an feine Großmutter dachte, an den 
Augenblid des Glüls, an das Klopfen und Hereinrufen. 

„So werden wir fogleich kommen," fagte der Lakai, langte mit 
zwei Fingern an feinen Hut und verfchwand geräufchlos, aber eilig 
die Treppen hinab. 

Während der junge Mann ſich darau machte, ein paar ſeiner 
größten Glasplatten zu präpariren, rücte Frau Böhler ihre Haube zus 
echt und wifchte mit der Schürze eilig über den tanuenen Tiſch, fowie 
über die Stühle an den Wänden, obgleich dort nirgends ein Stäubchen 
fichtbar war. „Ich weiß, du lachſt mid, immer aus, wenn ich von 
Ahnungen fpredje,” redete fie dabel. „Aber diesmal Hab’ ich recht. Es 
iſt was ganz Apartes, vielleicht Jemand vom Hof. D du mein lieber 
Gott, wenn es dir heute nur recht gelingt!" 

Jept hörte man Schritte auf der Treppe, dann wurde die Ihre 
geöffnet und der Lakai erfchlen, indem er dieſelbe, außen ſtehen bleibend, 
ſoweit wie möglid) zurückwarf und dann mit einer tiefen Berbeugung 
zwei Herren vorbeigehen ließ, die nun in dad Zimmer traten. 

Der erfte, vielleicht ein Mann an den Vierzigen, hatte eine hohe, 
ſchlanke uud elegante Figur; er trug einen dunkeln Paletot, im Knopf- 
loch ein rothes Bändchen, lederfarbene, untadelpafte Handſchuhe, und 
feine Haltung war entjchloffen und aufrecht, wie bie eines Militärs, 


124 Reuntes Kapitel, 


Sein Geficht mit Mugen Augen war intereffant; man hätte es ſchoͤn 
nennen fönnen, wenn in den Zügen nicht ein matter, ja verlebter Aude 
drug vorgeherrfcht hätte. Er nahm feinen Hut ab, grüßte herablaſſend 
die alte Frau und den jungen Mann, welch’ Kepterer eine tiefe Ver⸗ 
beugung machte, und fagte dann zu dem Anderen, der ihm folgte: 

„Baron, das ging hoch hinauf.“ 

„Richt ohne Urfache, gnädiger Herr,” verfepte dieſer mit leiſer 
Stimme; „der Mann hier ſoll gute Arbeiten machen, ohne daß er ges 
rade einen beſonders großen Zulauf hat.” 

Der, welcher alſo ſprach, hatte ein ganz anderes Wefen als der, 
welcher zuerft eingetreten war, war viel Meiner und fah ungleich älter 
aus. Gr war fait in Das Zimmer herein getängelt und bewies ſich in 
allen feinen Bewegungen außerordentlich gelenkig; doch hatten biefe 
Bewegungen etwas Forcirtes, und es war, ald wende er ſich bald rechts 
amd bald fints, um eine gewiſſe Steiſheit und Hinfälligteit feines 
Körpers zu verbedden. Sein Geficht Hatte einen ungemein Mugen Auds 
drud, dabei aber ein fatales Lächeln, ein Lächeln, bei dem man fih 
unwillturlich fügen mußte, ed fei nicht ehrlich gemeint, 

Aber ed wäre unrecht von und, dem wahrhaftigen Erzähler, ges 
handelt, wenn wir mit dem geneigten Leſer Verſteckens fptelen wollten. 
Daher wollen wir es feiner Verfchwiegenheit anvertrauen, wenn er es 
nicht vielleicht ſchon errathen Hat, daß der zuletzt Eingetretene Baron 
Rigoll war. Was jedod den Andern anbelangte, den wir mır auf 
einen Augenblid in der Wohnung ded Baron Wenden gefehen, fo find 
wir mit dem beften Willen felöft nicht im Stande, etwas Näheres über 
diefen Herrn anzugeben. 

„Bir wünfchen alfo ein Portrait,” fagte der Baron, nachdem er 
in der Gefchwindigfeit an der einen Wand des Zimmers herunterges 
fahren war und die dort aufgeſtellten Photographien betrachtet hattes 
„ein Portrait, gut, aber fehr einfach. — Ah!“ unterbrach er fich felber, 
„Aft das ein fhdner Kopf!“ Gr fland gerade an dem Bilbniß jened 
Jungen Mädchens, über welches die verborrten Feldblamen herabhingen. 


Chantons, buvons, traleralera. 125 


In der That ſuperbe, magnifit! Wollen Eure — — wollen Ste, 
gmädiger Herr, fich das nicht einen Augenblick betrachten? in ganz 
wunderbares Gefhöpf! — Das egiftirt. doc irgendwo?“ wandte er 
fich fragend an den Photographen. 

„O ja, ed exiſtirt,“ erwiderte diefer mit einer tiefen Reigung des 
Kopfes. 

„Das tft wirklich ein fhöned Mädchen,“ ſprach der andere Her, 
„und gut ausgeführt. Cine hübſche nette Arbeit. Ich glaube, wir 
find an die rechte Quelle gekommen.“ 

„Das glaub’ ich and," entgegnete Baron Rigoll mit feinem felte 
famen Lächeln; „und es follte mic, freuen, wenn wir reuſſtren.“ 

„So wollen wir denn fogleid beginnen,“ meinte der Andere, in» 
dem er ſich an den jungen Mann wandte. 

Diefer hatte ſchon den Stuhl zwiſchen den fpantfchen Wänden zite 
recht gerüdt, und bat den großen fchlanfen Herrn, Plap zu nehmen; 
ehe fich derfelbe aber ſetzte, wünfchte er, daß man alles Belwerk, Tiſch, 
Bafe, Blumen und Vorhänge weglaſſe, indem er wiederholte, es folle 
ein ganz einfaches Portrait werden. 

Die Haftung, welche der Fremde Hierauf von ſelbſt annahm, war 
fo gut gewählt und paſſend, daß weder der Photograph, noch Herr 
Krimpf es Hätte beffer arrangiren Fönnen. 

Nun wurde bie gefpeniterhafte Mafchine von dem dunkeln Tuche 
befreit und geftellt. Der Photograph ſchaute einen Augenblick hinein, 
richtete das Objectiv, dann ſchob er die Gafette mit dem präparirten 
Glaſe ein, bat den Fremden, ruhig zu ſihen und nahm den Deckel vom 
dem Glaſe. 

Eine Sekundenuhr hatte fih ber gute Herr Böhler noch nicht ans 
ſchaffen können, deßhalb zähfte er von Eins bis Zwölf, wie er ed bis 
jegt gewohnt war, gleidhförmig vor fih hin, und ebenſo that die alte 
Fran, weldhe in der größten Spannung in der Ecke des Zimmers ftand. 
Dabei konnen wir nicht verfhweigen, daß diefe, in ihrem ahnunges 
vollen Gemüthe den Augenbli für außerordentlich wichtig anfehend, 





4 


126 Neuntes Kapitel. 


Heine Gebetfäße mit einfließen ließ, wobel fie, da es noch feine beſon⸗ 
deren Heiligen für die Photographen gibt, verfhiedene, Die ihr gerade 
einfiefen, beſtens erfuchte, das gegenwärtige Portrait ihrem Sohn zu 
Nup und Frommen gelingen zu laſſen. Das Liht war günftig, der 
fremde Herr faß wie eine Mauer, und nach Verlauf der zwölften Se— 
kunde machte Herr Vöhfer eine tiefe Berbeugung, wobei „er mit der 
Hand den Schließdecel des Glaſes gegen den Sipenden ſchwenkte, was 
bei den Photographen ungefähr ebenfo viel fagen will, wie bei den 
Soldaten das befannte: Rührt euch! 

Hierauf begab ſich der Photograph mit der gefchloffenen Käpfel 
in die dunfle Kammer, um das Portrait hervorzurufen und zu figiren. 
Es fehlen außerordentlich gelungen, und nachdem die Glasplatte mit 
Waſſer abgefpült war, brachte er fie den beiden Herren zur Anficht. 
Allerdings war das Portrait ſcharf und gut gefommen, nur wunderte 
ſich der fremde Herr, ja er erſchrak faft einigermaßen darüber, daß er 
auf dem negativen Bilde natürlicher Weiſe mit ſchneeweißem Haar, 
eben ſolchem Bart, dagegen mit faft ſchwarzem Geſicht, einem fehr bes 
jahrten Mohren nicht unähnlich, erſchienen. 

„Unfer photographifcher Freund dorten,“ fagte er, nachdem er fein 
Portrait eine Zeit fang betrachtet, „erflärt das Bild für gelungen; 
alfo iſt das Licht volltommen günftig, wehhalb Sie ſich jept ebenfalls 
hinfegen müffen, befter Baron; ich verlange das ala einen Beweis der 
Freundſchaft, und werde Ihr Bild gern mit mir nehmen.“ 

„Es wäre mir wahrhaftig im Schlafe nicht eingefallen,“ entgeg- 
mete der Andere, „mich photographiren zu faflen; aber nad der 
fehmeichelhaften Aufforderung von Ihnen, gnädiger Herr, fanı ich nicht 
umhin, mid) preiögugeben. Eigentlich ſcheue ich die ganze Photogra- 

vhiez es ift etwas Unheimliches dabei, und ich kann es mir nicht ane 
ders denken, als daß fih doch etwas von dem Darzuſtellenden ſelber 
auf der Glastafel niederfchfägt.” 

„Notürlicher Weife, ich habe es auch nie anders angefehen,“ ſprach 
ber ſchlanke Herr, „und eben deshalb wird Ihr Portrait, yon dem wir 


Chantons, bnvons, traleralera. 197 


einen doppelten Abdrud machen werden, an gewiſſen Orten auferors 
dentlich willtommen fein.“ Inzwiſchen hatte ſich Baron Rigoll auf 
den verhängnißvollen Stuhl gefept, nahm aber nicht die leichte und 
graziöfe Stellung an, wie fein Vorgänger. Der Photograph mußte 
fänger nachrichten, ihm Arme und Hände zurecht rüden, namentlich 
aber feinen Blick figiren, damit derfelbe nicht gar zu gefchraubt und 
unnatürlich käme. — Uebrigens gingen die zwölf Sekunden ebenfalls 
ohne Anftand vorüber, das Bild wurde hervorgerufen und genügend 
befunden. 

„Gott fei Dank!“ fagte der Baron, ald er_von feinem Sige auf 
fprang, „dad wäre gefchehen. Jept find wir wohl fertig?“ wandte er 
fi an den Photographen, 

Diefer machte feine tiefe Verbeugung, dann fragte er, wie viele 
Abdrüde er herrichten ſolle. — Der große ſchlanke Herr warf dem 
Andern einen bebeutfamen Blick zu, worauf fi Baron Rigoll beftrebte, 
eine ernſte und würdevolle Haltung anzunehmen, Auch Tieß er von 
feinem beweglichen Wefen ab und ftellte ſich dicht vor den Photogras 
phen hin. - 

„Ber wir find, wird Ste nicht-intereffiren, aber ich bitte Sie 
auch dringend,“ ſprach er in ſcharfem Tone, — „jedwede Nachforſchung 
darnach zu unterlaffen. Bon jedem der beiden Portraits werden zwei 
Abdrüde gemacht, dann "wird die Glastafel vernichtet. Haben Sie 
mic, verftanden? — Wohl. — Diefe Abdrüde werde ic Hofen (affen. 
Vielleicht übermorgen, wenn Sie aladann fertig find.“ 

‚Herr Böhler machte ein Zeichen der Zuftimmung. 

„Alfo übermorgen bitte ich fie demfelden Vedienten, der vorhin 
da war, wohl verpadt und verfiegelt zu übergeben, ihm auch ben Preis 
zu beftimmen und ſich darin durchaus nicht zu geniren. Befolgen Sie 
unfere Wünfhe pünktlich, fo wird es Ihr Schaden nicht fein, und 
‚werben wir in einiger Zeit Veranlaffung finden, Ihrer Arbeiten, wenn 
fie es verdienen, Lobend zu erwähnen und Ihnen fo vielleicht eine gute 
Aundſchaft zuguwenden, — Noch Eins, ehe wir ‚gehen, Eine Dame 


128 Reuntes Kapitel. 


meiner Bekanntſchaft iſt geneigt, fi bei Ihnen photographiren zu laſſen. 
nur wunſcht fie eine Ihrer Arbeiten zu fehen. Könnten Sie mir wohl 
gu dieſem Sie einen Abbrud des Bildniffed jenes jungen Mäddiens 
dort überlafien? Ich erlaube mir Ihnen zu bemerken,“ fuhr der 
Baron fort, ala er fah, daß ihn der junge Mann mißtrauiſch ans 
ſchaute, ohne eine Antwort zu geben, „daß damit in feiner Weife Mife 
brauch getrieben werden foll; ja, id glaube Ihnen verſprechen zu 
Können, daß das Original des Bildes es nie erfahren wird, daß diefe 
Photographie irgendwo gezeigt worden iſt; denn die Dame, bei ber 
dies geſchehen fol,“ ſehte er Lächelnd Hinzu, „bewegt fih in einer gang 
anderen Schichte der Geſellſchaft.“ 

Diefe Forderung fam Herrn Böhler fehr ungelegen. Es wider 
firebte ihm, einen Abdruck von dem Bilde Roſa's aus der Hand zu 
geben, namentlich an Leute, von denen er nicht wußte, wer fle waren 
und was fie möglicher Weife für Abfihten mit der Photographie haben 
konnten. Daß Giferfucht dabei im Spiele war, verftand fih von 
ſelbſt. — Ahnte vielleicht der Baron den Grund der ſchweigenden 
Beigerung? Wohl möglich, denn er lächelte gegen den Photographen 
auf eine verbindliche Art, wobet aber jener und befannte ſcheue, faſt 
falfhe Bug wieder um feine Lippen erfhten; dann war er klug genug, 
fi) mit der freimdlichften Miene gegen die alte Fran umguwenden, 
wie um beren Hilfe nachzufuchen, die ihm auch bereitwilligft zu Thell 
wurde. 

„Ich Tann gar nicht begreifen, Heinrich,“ fagte Frau Böhler, 
„warum du dem Herrn eine dieſer Photographien verweigerſt. Du 
Yannft das gegen Rofa wohl verantworten und wenn du es nicht willſt, 
fo nehme ich's auf mid. Sei fein Kind,“ fepte fie leiſe Hinzu, „auf 
ſolche Art machſt du dir feine Kundſchaft.“ 

Der Photograph ging noch unentſchloſſen nach der Ecke des Zins 
mers, wo fi die große Mappe befand, in ber er feine fertigen Arr 
beiten aufzubewahren pflegte. Als er dabel an dem Fenſter vorübers 
tam und einen Blick hinauswarf auf das gegenüberliegende Haus, wo 





Chantons, buvons, traleralera. 129 


noch immer das Fenfter geöffnet war und wo nod immer der Meine 
Fauteuil ftand, da durchzuckte es ihn auf's Neue fhmerzlih. Er prefte 
die Lippen auf einander, ballte feine rechte Hand krampfhaft zuſammen 
und war num mit einem Male entfchlofien, das Bild herzugeben. 
Während er die Mappe öffttete, um einen Abdruck hervorzunehmen, 
hatte Baron Rigoll feine Brieftafche heransgezogen und eine Zehn⸗ 
thalernote auf den Tiſch gelegt. Der Photograph Hatte es nicht ber 
merkt, wohl aber Frau Böhler, die fih mit einem tiefen Knix dafür 
bebantte, 

Die Photographie wurde eingerollt, dem Fremden übergeben, und 
darauf verließen beide Herren in derfelben Art, wie fie gefommen, das 
Zimmer. Als ſich die Thür Hinter ihnen ſchloß, drüdte der junge 
Mann beide Hände vor dad Gefiht, Er hätte weinen können, denn 
es war ihm gerade zu Muth, als hätte er mit dem Bilde Roſa's ein 
Stüd von feinem Herzen hinweggegeben. 

Frau Böhler trat leiſe auf ihn zu, legte ihm die Hand auf bie 
Schulter und fagte: - „Sei nicht wie ein Kind, Heinrich; denke daran, 
wa8 id) dir vorhin gefagt, und fei meiner Anficht, daß vielleicht in 
deinem Leben eine Aenderung eingetreten iſt. Ich weiß nicht, mir 
tommt der Beſuch diefer beiden Herren fo bedeutungsvoll vor, und ich 
möchte darauf [hwören, daß derfelbe große Folgen hat.“ 

„Ich fürchte auch, er hat große Folgen,“ ſprach der Photograph, 
„und da ich das glaube, fo mache ich mir jegt bie bitterften Vorwürfe, 
das Bild Roſa's weggegeben zu Haben. Ach, ich fhat es nur, weil id 
an dad dachte, was ic heute Morgen gefehen. Jetzt aber, wo ich ihr 
ebenfalls ein Unrecht zugefügt, möchte ih hinab zu ihr, möchte ihr 
Alles fagen und fie um Verzeihung bitten.“ 

Die alte Frau dachte einen Augenblick nad, dann fehüttelte fie 
mit dem Kopfe und entgegnete: „Das iſt num einmal dein weiches 
Gemüt. Wenn es dir zur Beruhigung dient, zu Rofa hinabzugehen 
und ihr zu fagen, du habeſt dich, um vielleicht eine ei Kundſchaft 

Hadiänders Werte. XXL. 
% 


130 _ Neuntes Kapitel. 


zu erhalten, veranlaßt gefehen, ihr Portrait Jemandem zum Auſchauen 
zu geben, fo tft das Mädchen ug genug, dir es nicht übel zu nehmen.“ 

„Ich wollte, fie wäre nicht Hug genug und nähme es mir übel,“ 
ſeufzte der junge Mann. „Doc; wie das Schidfat will!“ 

Das Schiefel will dir wohl, davon hin id) überzeugt,“ fagte 
eifrig die Mutter. „Der Meine Herr mit den lebhaften Bewegungen 
und den freundlichen Mienen wird dich empfehlen, wo er kann. Auch 
der Andere vielleicht, doch waren feine Worte fo feierlich und abge 
mefien. Er ſchien fih fo um nichts anzunehmen. Daß aber Beide 
vornehme und reiche Herren find, darauf fannft du Dich verfaffen. — 
Du Haft noch gar nicht einmal gefehen, was man dir für das Por 
trait Roſa's zurückgelaſſen. Da ſieh, zehn Thaler.“ 

Der junge Mann erſchrack faft, als ihm die Mutter die Bank 
note hinhielt. Es war ihm ehmerzlich, ja e& berüßrte ihn faſt un 
heimlich, daß er ihr Bild verkauft haben folle. Daran hatte er nicht 
gedacht; er war ber Anficht gewefen, der Fremde habe e8 umfonft von 
Ähm angenommen, ex werde ed wahrſcheiniich fogar zurüdfhiden. Cr 
ſchob die Zehnthalernote von fi, worauf die alte Frau fie in ihrem 
Schrank verfhloß. 

„So werde ich denn einen Augenblick zu Rofa binuntergehen,” 
ſprach der Photograph nad einem Stillſchweigen, während deſſen er 
in tiefen Gedanken zum Fenſter hinausgeſchaut Hatte, Er wandte fih 
gegen die Lhlir, blleb aber auf der Schwelle fiehen. 

„Mir iſt nur eb,“ ſprach er. dort, „daß der Krimpf nicht da 
war. Meinft du nicht auch, Mutter?" 

„Im Gegentheil, ich wollte, er wäre da gewefen; der kenut die 
halbe Stadt und hätte uns vielleicht auf der Stelle fagen können, wen 
du eigentlich die Ehre gehabt, zu photographiren.“ 

Die Ihüre ſchloß fih und die afte Frau fepte ſich wieder an 
ihren Tiſchz doch ließ fie das Strickzeug in ihrem Schooße ruhen und 
baute die herrlichſten Luftfchlöffer. Ste zog in eine Hauptſtraße, fie 
wußte ſchon in welhes Haus. Hinten erhob fih ein fabelpaftes 


Chantons, buvons, traleralera. 131 


Atelier aus Glas und Eifen, und vornehme Damen und Herren dräng« 
ten ſich zu der Ehre, von Herrn Böhler photographirt zu werden, ſelbſt 
Grafinnen und Pringeffinnen; ja eines Tages fuhr eine vergofdete 
Equipage vor, — die Thüre wurde aufgeriffen — der Regent Aller- 
hoͤchſtſelbſt. Gott, der Gerechte! Frau Böhler, von ihren eigenen 
Iräumereien erſchreckt, waͤre faft von dem Stuhl in die Höhe gefpruns 
gen, ja fie fuhr mit der Hand an ihre Schürgbänder, um dies für 
einen Empfang fo unpafiende Kleidungsſtück zu befeitigen. 

Indeſſen flieg der Sohn langſam Stufe um Stufe die Treppe 
hinab, Teife, bebächtig, faſt ſchleichend. Früher war er In zwei Sprüns 
gen unten gewefen, hatte geräufchvoll die Thüre geöffnet und fich ger 
freut, wenn Rofa zuweilen erſchrocken auffuhr. Glücklich, fie nur zu 
fehen, Hatte er fodann ihr liebes Geſicht betrachtet, ala ſel es ihm frend 
geworden, und es war ihm nie in die Gedanken gelommen, Acht dare 
auf zu geben, ob und wo fie faß oder fland. Heute war das leider 
ganz anders, Er- dachte an das gegemüberfiegende Haus und fein 
Athem ging ſchwer, fein Herz ſchlug heftiger, wenn er fürchtete, daß 
fie vieleicht wieder am enfter ftehen würde, ja, daß fie in dem Augen» 
blick, da er in's Zimmer, träte, wieder mit der Hand über ihr ſchönes 
ſchwarzes Haar fahren lonne. 

Jept war er unten angelangt, drüdte leicht die Ihre auf und 
trat in das Zimmer, — Sie ftand nicht am Fenfter, fie faß an ihrem 
gewöhnlichen Platze, an der rechten Seite des Gemachs, wo fie immer 
faß, vor ihrem Arbeitstiſchchen, das mit den feinen Strohhafmen bes 
deckt war, woraus fie ihre kunftreichen Sachen flocht. Früher war es 
ihm nie eingefallen, darüber nachzudenken, warum fie immer gerade 
auf biefer Stelle fige, und er Hatte durchaus nichts befonderes darin 
gefehen. Heute aber fuhr es ihm plöpfich durch den Sinn: Wer 
weiß, ob fle nicht von ihrem Stuhle in das gegenüberliegende Fenfter 
blickt? Früher war er unbefangen auf fie zugeeilt, hatte ihr Die Hand 
gegeben umd, fröhfich plaudernd, ihren Arbeiten zugefehen. Heute blieb 
er ſchuchtern am der Thüre ftehen und wagte nicht, fih iht zu nähern, 





132 Neuntes Kapitel, 


aus Furcht, zu ſchnell zu erfahren, daß fein Verdacht gegründet fel, 
Dabei ſchiug ihm das Herz fo heftig, als fei er ſelbſt im Begriff etwas 
unrechtes zu begehen, B 

Das junge Mädchen, das Original der Photographie, war in der 
That ein frifches, reizendes Geſchopf. Eine Fülle von Lebensluſt lachte 
aus ihren Haren braunen Augen, und die feinen rothen Rippen fehier" 
nen nie etwas anderes gekannt zu haben ald Scherz und fröhliche 
Worte, Dabei war ihr Wuchs der untadelhaftefte, den man fehen 
Tonnte. Während die ſchlanke, unerfünftelte Taille fo fein war, wie 
fie nur die Natur in ganz gut gelaunten Augenbliden hervorbringt, 
gingen ihre Schultern fo prachtvoll breit auseinander, und war ihre 
Bruſt fo wunderbar gewölbt, daß man befürchten mußte, fie fprenge 
bei jedem Athemzuge das dünne Kleidchen. Roſa war volllommen von 
dem Heinen Fuße an bis zur Mein geformten Hand, und dabet waren 
alle ihre Bewegungen fo unbewußt leicht und grazids, daß jede Stel- 
Tung, die fie annahm, felbft dem ungenügfamften Künftler zum ſchön⸗ 
ſten Modell Hätte dienen fönnen. 

An das Alles hatte der junge Mann ſchon fo oft mit Entzüden 
gedacht und ſich glücklich gepriefen, wenn fie fo vor ihm fland, den 
Kopf etwas erhoben, die Lippen fanft geöffnet, mit den herabgeſenkten 
fangen Augenwimpern ihre glänzenden fchelmifhen Blicke dämpfend, 
oder wenn fie irgend eine Bewegung machte, einen Fuß vorfeßte, den 
Oberkörper zurüdbog und fi) mit dem Arme aufitüßte. Das war 
Alles, ala ob es das fchönfte Werk eines großen Bildhauers geweſen. 
Und dies herrfiche Mädchen war fein! Gr war der Glückliche, den fie 
Heßte! — DO Gott, wenn nur nicht das gegenüberliegende Haus mit 
feinem verhängnißvollen Fenſter gemefen wäre! 

‚Daß die alte rau Weiher diefe ſchone Tochter Hatte, war ein 
merfwärdiged Spiel der Natur; denn man fonnte fich feinen größeren 
Gegenſatz denken, und wenn man auch; mit der größten Schmeichelei 
ihre ſechzig Jahre in achtzehn verwandelt hätte, fo fonnte doch die 
regſte Phantafle nichts erfinnen, was ihr eine Aehnlichkeit mit der 





Chantons, buvons, traleralera. 133 


Tochter gegeben hätte. Frau Weiher war ein kleines magered Weib⸗ 
fein mit einer fehr hervorſtehenden Nafe und den edigften Betvegungen. 
So lange Zeit ald wir brauchten, um biefe Schilderung von Mut⸗ 
ter und Tochter nieberzufchreiben, blieb der Photograph freilich nicht 
an der Thüre ſtehen, aber doch Tange genug, daß ihm Rofa mit vols 
® em Recht zurufen fonnte: „Uber, Heinrich, bir muß was paffirt fein! 
Bas Gutes oder was Schlimmes? Ich fürchte faſt das Letztere, denn 
ſonſt waärſt du wie fonft in's Zimmer hereingeflogen, und wir wußten 
bereits, was dir auf dem Herzen liegt.“ 

Ste hatte bei dieſen Worten ihre Hände mit ber Arbeit in den 
Schooß finfen laſſen und fih in ihren Stuhl zurücdgelehnt. Konnte 
fie daß gegenüberfiegende Fenſter fehen oder nicht? Diefe Frage flieg 
dem jungen Mann auf, und trieb fein Blut fiedendheig empor. Wenn 
fie das Fenfter ſehen konnte, war es entfepfich; denn während fie fo 
mit ihm ſprach, blickte fie ihn nur ein einziges Mal flüchtig am, dann 
fhweiften ihre Augen hinüber, und fie fah faft gedantenvoll aus. 

Früher hatte er nie daran gedacht, ihre fügen Augen auf ſolche 
Beife zu beobachten. Er hätte jedoch Gott weiß was darum gegeben, 
jept hinter ihrem Stuhfe zu eben. Wie ein vorfichtiger General 
wollte er ſuchen, langfam dorthin zu mandveriren, und er hätte boch, 
wie fonft, mit ein paar Schritten an ihre Seite treten dürfen. So 
befangen tft der Menſch in gewiſſen dummen Augenbfiden! 

„3a, ed muß ihm was paffirt fein,“ meinte jet aud Kran Weiher 
mit ihrer ſchnarrenden Stimme, „nun, Heinrich, werden wir es erfah⸗ 
ven, ober ift es ein Geheimniß ? 

„O, es ift ein Geheimniß,“ fagte das Mädchen mit einem lieb⸗ 
lichen Lächeln, und dabei blickte fie abermals dorthin, wo vieleicht das 
verfluchte Fenſter zu jehen war. 

„So was Befonberes iſt mir nicht widerfahren,“ ſprach der Pho⸗ 
tograph mit einem tiefen Athemguge. „Es waren nur eben ein yaar 
‚Herren droben, bie ihre Portraitd machen ließen. Sie thaten geheim» 


m 


134 Reuntes Kapitel. 


nißvoll, verſchwiegen ihre Namen, und bie Mutter meinte, es fei was 
recht Vornehmes getvefe 

„Ei,“ ſprach Roſa, „und wie ſahen die Herren ungefähr aus?“ 

Bel diefer Frage fam es dem jungen Manne vor, als erröthe fie 
ein Mein wenig. Daß fie wieder nad dem Fenſter blidte, das war 
nicht zu leugnen. ” 

Er entwarf mun eine genaue Schilderung der beiden Fremden, 
und ald er das gethan, fuhr er ernſter fort: „Etwas Anderes iſt 
noch dabei, was ich dir mittheilen muß, Rofa, da e8 eigentlich dich 
betrifft.” 

Yept rotheten fich in der That die friſchen Wangen des jungen 
Nädcens, fie warf noch einen ſchnellen Blick an das Fenfter Hin, dann 
nahm fie ihre Arbeit eifrig wieder auf, während fie fagte: 

„Bas mic, betrifft? Das finde ich doch fonderbar. Was gehen 
mich denn die vornehmen Herren an?“ 

„In der That Hoffe ih, daß fie dich nichts angehen,“ erwiderte 
etwas unbedachtfam der junge Mann. „Es ift auch in der That nichts 
fo beſonders Auffallendes. Der eine der Herren fah dein Portrait und 
wunſchte einen Abdruck davon, um ihn einer Dame zeigen zu könuen, 
die Luſt habe, ſich bel mir photographiren zu laſſen.“ Während er das 
in größter Spannung fagte, hatte er fih mit Heinen Schritten ihrem 
Tiſche genähert und Hoffte aus tiefftem Herzen, fie würde ſich verdriehe 
lich und erzämt zu ihm wenden, fie würde ihm fagen, das gefalle ihr 
durchaus nicht, fie verbitte fih das für die Zukunft, fie habe nicht 
Kuft, ſich von fremden Menfchen angaffen zu laſſen. O Gott! wie lieb 
wäre e8 mir geweſen, wenn fie darüber einen Meinen Zant mit ihm 
angefangen Hätte. Aber fie fing feinen Zank mit ihm an. Sie that 
gar nicht einmal überrafht, ja, gerechter Himmel! fie lächelte ſtill in 
fich Hinein und entgegnete mit dem ruhigften Tone von der Welt: 
„Hoffentlich gefällt mein Bild der fremden Dame, und bringt — dir 
eine gute Kundfchaft.” “ 

„Aber ich habe es höchſt ungern weggegeben,“ ſagte er zitterud 


Chantons, buvons, traleralera. 135 


vor Aufregung, „und wenn bie fremden Herren, ja fogar die Mutter, 
mich nicht fo geplagt hätten, würde ich e8 nimmermehr gethan haben.’ 

„Das begreif id) nicht," erwiberte dab junge Mädchen, „du Haft 
es ja mehrmals.“ 

„Ich möcht es aber allein haben,“ fuhr er mit tonfofer Stimme 
fort, und es war ihm gerade, als müffe er an dem Sape erflidenz 
denn er ſtand jept Hinter dem Stuhle Roſa's und blidte deutlich in 
das weit offenftehenbe Fenſter gegenüber mit dem verfluchten Fautenite 
Dahin alfo zielten ihre Blice. Dorthin fhaute fie fogar in Momen- 
ten, wo fie mit ihm ſprach. Das war entfeplih! Herr Heinrich Boh⸗ 
fer war ein ruhiger und behaglicher Menſch, aber aud einem folden 
Tonnen Sachen vorkommen, wo fi fein ganzes Naturell verkehrt. Er 
aber bezwang fi, wenn aud mühſam, und blieb anſcheinend ruhig 
hinter ihrem Stuhle. Daß er tobtenbleic war, fah weder das junge 
Mädchen, noch die Mutter, bie mit dem Kochofen zu thun Hatte, worin 
das beſcheidene Mittageffen der Meinen Familie dampfte. 

Wiulſt du vieleicht Heute mitefjen?“ fragte Rofa nach einer Mei» 
nen Panfe. 

„Ich danke dir, id; habe feinen fonderlichen Appetit,“ antwortete 
der Photograph. 

„Mir fheint in der That,” fuhr das junge Mädchen freundlich 
fort, indem fle ihren Kopf zurückbog, um den Mann anzufehen, „ed 
hat dich verftimmt, daß du mein Portrait weggegeben. Sei dodh.nicht 
fo tindifh. Wenn es mid, aud) einestheils freut, daß bir die Photos 
graphie fo koſtbar ift, fo könnte es mich doch faft verbrießen, daß du 
etwas darin findeft, fie Jemandem gegeben zu haben.“ 

Als fie das gefagt und ihren Kopf wieder wegwandte, hemerfte 
er, feitwärts hinlauſchend, wie ihre Augen eine Sehmde an dem gegens 
Überfiegenden Fenſter hafteten, ehe fle wieder auf die Arbeit miederfanten. 

„Bir haben heute Ihr Leibgericht, Heinrich, eine fehr gute Kloße- 
fuppe. Sie ift in der That vortrefflich, und ich rathe Ihnen mitzus 
halten,“ 


136 Neuntes Kapitel. 


Bei dem Worte lößefuppe dachte der Photograph an feine felige 
Großmama, und ihm fiel die Erzählung von dem Chantons, buvons, 
traleralera mit allen Folgen ein. Frau Witwe Weiher führte auch 
eine recht gewanbte Hand, und er hatte Rofa in früheren Zeiten oft 
bedanert, wenn eind ihrer Heinen Ohren mit den dürren Fingern der 
Mama in Berührung gelommen war. Sept aber hatte er im Imuer 
ſten der Seele den frevelhaften Wunſch, diefe zehn Finger möchten als 
das Schwert des Damokles über dem Haupte Roſa's ſchweben, eigene 
lich nicht um dreinzuſchlagen, fondern nur um ihr die fchönen Augen 
suzuhaften, jedesmal, fo oft fie einen fo fchlimmen Gebrauch davon 
machen wolle. 

— — Doch fah er recht? Au dem bewußten Zenfter erſchien 
ein Herr, und wenn ihn nicht Alles trog, einer von den beiden, bie er 
vorhin photographirt. Es war ber Meine, Tebhafte Herr, eben jener, 
dem er das Bildniß Roſa's gegeben. Und dieſes Bildniß! NRoflte er 
es nicht fo eben auseinander, ja beim Teufel, das that er, und zeigte 
8 einem Andern, und diefer Andere war niemand als die impertinente 
Geftalt, die vorhin im rothen Schlafro in dem Fauteuil gelegen. 
Hof euch beide der — — Und Rofa? Sie Mnüpfte eifrig an ihrer 
Strohmafche. Ha! er mußte fehen, wie ihre Mienen waren, wenn fie 
Hinüberbfictte, deßhalb trat er leiſe wieder einen Schritt feitwärts. — 
Endlich fhaute fie auf, und daß fie erſchrack, daran konnte Niemand 
zweifeln, der fie anblidte, Ste ließ die Hände mit der Arbeit in den 
Schooß fallen und ihr Geficht überzog fih mit einer tiefen Rdthe. 
Ihr Erſchreclen war aber auch begreiflich, denn der im rothen Schlafs 
rock drüben hatte die Photographie erfaßt, und betrachtete, nein, vers 
ſchlang fie mit feinen Biden und. al’ den lächerlichen Zeichen eines 
hoͤchſt affektirten Enthuflasmus! 

In diefen Augenblicke war e& fehr natürlich und verftand ſich von 
ſelbſt, daß der Photograph die Frage that: 

„Was haft du denn, Rofa? Warum erfhridft du fo mit einem 
Male? Ad!“ fuhr er mit dem Ausdruck des höchſten Erflaunens fort, 


Chantons, buvons, traleralera. 137 


einem Erſtaunen, das übrigens ebenfo affeftirt war, wie drüben der 
Enthuſiasmus, „was ift denn da drüben fo Sonderbares ?" 

Ich, erfhroden?“ fagte das junge Mädchen mühjam läcelnd, 
„ja, da fann'man wohl erſchrecken, wenn man fid in den Finger fticht, 
wie ich fo eben. — Aber du fiehft feltfam aus. Was bedeuten deine 
Blicke? Und was willſt du mit deinem „Dadrüben“?“ 

‚Heftig verfepte er: „Das ift Doch fo Mar wie der Tag.” 

BR?“ fragte fie troßig.. 

„Siehft du dort drüben ein Fenfter, daB offen ſteht? — „Wels 
Het" — „Beides! Das ift ſchon gefragt. Rum dab, wo fich jept 
die Heiden Herren befinden, Die fiehft du dod? Dder foll id dir 
vielleicht auch noch fagen, welche Herren?“ 

Sie zuckte mit den Achſeln, wie junge Mädchen das zu thun pfle» 
‚gen, ſobald fie Unrecht haben, und wodurch fie das Gefühl gekränkter 
Unſchuld ausdrüden wollen. 

‚Du braucht dich wahrhaftig nicht im den Finger geſtochen zu 
Haben, um zu erſchrecken,“ fuhr Herr Böhler in fehr beſtimmtem Tone 
fort, „obendrein, wenn id} bir fage, daß der Keine der beiden Herren 
dem YAndern grade dein Portrait zeigt." 

Dögleich Frau Weiher eifrig mit ihrer Alößefuppe befchäftigt war, 
fo wurde fie doch aufmerffam bei dem Tauten Gefpräc der Beiden und 
fragte: „Was gibt's denn?“ 

„Ich begreife den Heineid) wahrhaftig nicht,“ erwiderte Rofa ber 
leidigt. „Den? dir nur, er macht mir Augen und führt Reden, bie 
ich gar nicht verftche.“ 

„Die fie nicht verſtehen will,“ verfeßte der Photograph, „Die ihr 
aber wohl noch verftänblich werben follen, und recht verftändlich, fürdte 
id. Blicken Sie ſelbſt hinab,“ fuhr ex gegen Frau Weiher gewendet 
fort, „dem einen der Herren hab’ ich vorhin das Bild Roſa's abtreten 
möüffen, und num bringt ex es dem Andern, der da gegenüber wohnt. 
Iſt das nicht, um fi die Haare auszureißen ? 

„Das finde ich nicht,“ entgegnete bie alte Fran in fehr ruhigem 


138 Reuntes Kapitel. 


Zone, „das Hat nichts auf fih. Der da drüben iſt oft genug am | 
Fenſter; er Tann ſich Rofa in Perfon genau genug anfehen. Was 
wird er ſich groß für ihre Photographie interefficen ?” 

„So, Frau Weiher, Sie finden nichts darin? Ich aber fehr viel, 
Sie wiffen, wie ich mit Rofa ftehe, und fo fann es mir nicht gleiche 
gültig fein, wenn ihr Portrait und noch weniger, wenn fie felber von 
fremden Herren angegafft wird.“ 

„Daran tft noch Niemand geftorben,“ fagte die alte Frau gleiche 
gültig, und ſchickte fi an, mit dem Rührlöffel ihre Klößefuppe zu vers 
fügen. „Wie kanu man ſich nur mit ſolchen Kleinigkeiten abgeben?“ 

„Er will mich nur ärgern;“ bemerkte das junge Mädchen, indem 
fie ihren Kopf erzürnt empor warf. „Was find das für Anflagen! 
Am Ende werde ich dich noch um Erlaubniß zu fragen Haben, ob ih 
zum Senfter hinausſehen darf oder nicht.” 

Der Photograph ſirich id) mit der Hand über die heiße Stirn. 
BVielleicht wäre es beffer gewefen, wenn er nichts gefagt hätte. Biel 
leicht war es wirklich zufällig geſchehen, daß fle vorhin am Feuſter 
ſtand, und er bildete fi nur ein, fie habe ein Zeichen Hinber gegeben. 
Vielleicht Hatte fie fih wirklich in den Zinger geſtochen, vielleicht wußte 
fie in der That nichts von dem gegenüberliegenben Fenfter. Unmdge« 
lich! So blind war er auch nicht, Und wenn er Recht Hatte, wenn 
fie fich ſchuldig fühlte, und es dann wagte, fo mit ihm zu fprechen, fo 
war ed ihm wohl zu verzeihen, wenn in ihm die Vermuthung aufe 
ſtieg, alles, alles verloren zu Haben. Aber das Hätte er nicht ertra= 
gen. Nein, das fonnte er nicht ertragen. Er liebte fie leidenſchaftlich. 
Sie war fein Alles. Sie füllte fein ganzes Denfen aus. Er konnte 
fih nicht die Stadt, worin er lebte, nicht Die Spaziergänge, wo er fie 
gefehen, nicht die Kirche, die er Sonntags beſuchte, nicht das Haus, | 
wo er wohnte, ohne Rofa denten. Wie fie nicht mehr fein war, fo 
war die ganze Welt öde, ausgeſtorben und leer für ihn. O Gott! 

Drüben hatten ſich die Herren vom Penfter zurldgegogen, da 
heißt, fie fpagierten im Zimmer auf und ab, und fo oft der im tothe 


Chantons, buvons, traleralera. 139 


Schlafrock dabei zum Vorſchein kam, warf er einen Blick herüber. 
Freilich ſchaute Rofa gerade jegt nicht zum Fenſter hinaus, fie Hatte 
fich abgewandt und fehlen eifrig mit ihrer Stroharbeit befchäftigt. 

„Rein,“ fagte die alte Weiher zu dem jungen Manne, „Streit 
möüffen Sie wegen fo etwas mit meiner Tochter nicht anfangen, das 
iſt ja compfet Tächerlich; fie hängt fo fehr an Ihnen, daß es eigentlich 
gar zu arg iſt. Das wiffen Sie auch.“ 

„Rein, das weiß er nicht, oder er will es nicht willen,“ fiel 
Rofa ein. 

„Streit anfangen tft nicht gut,“ fuhr die Mutter fort, „gerade 
dadurch fommt man auf ambere Gedanfen. Wenn es wirklich wahr 
wäre, daß Rofa hie und da zum Fenſter hinausſchaute, und daß fie 
dabei zufällig Iemand fähe — wäre denn das fo eine fchlimme Ges 
Thichtet" 

„Rein, das wäre in der That keine fo ſchlimme Geſchichte,“ er⸗ 
widerte traurig der junge Mann, dem die fehr richtige Idee kam, es 
wäre Müger gewefen, die Sache mit Rofa allein zu verhandeln. „Nur 
jegt Hätte ich e8 follen bfeiben laſſen,“ ſprach er zu ſich felber, „bes 
greiflicherweife hilft die Mutter ihrer Tochter und laͤßt nun Aeuße⸗ 
rungen fallen, die biefe nur beſtärken müſſen!“ — OD er fühlte ſich 
recht unglüdtlich! 

Unterdeffen war es Mittag geworden, die Mhthurmnären thaten 
ihre zwölf Schläge, und gleich darauf hörte man entfernt die Milttär- 
mufit, mit welcher die Wachparade aufzog. Sie fpielte einen luſtigen 
Marſch, und da fie näher und näher fam, fo hörte man mit jedem 
Augenblick die Heitern länge deutlicher und immer deutlicher. Nicht 
ohne Abfiht und mit einem bittern Blick auf Herrn Böhler warf das 
junge Madchen heftig ihre Arbeit auf den Tiſch, ſtrich fi ihr Haar 
zurecht, und trat — an's Fenfter. Ja fie trat an's Fenſter und es 
war ihm gerade, als faſſe irgend etwas fein Herz und brüde es ohne 
Erbarmen zufammen. Ste trat an’ Fenſter, und in demfelben Augen» 
blick erſchien auch das Gegenüber an dem feinigen, natürlich nur in 


140 Neuntes Kapitel. 


der gleichen Abſicht wie Rofa, um die Milttärmufit befier hören zu 
tdnnen. Schon wollte fih der junge Mann entfernen, ald ihm ein« 
fiel, noch einen Verſuch zu machen, der ihm zu einer Ueberzeugung ver⸗ 
helfen follte. Er näherte ſich Rofa: „Laß es gut fein, fehreibe es meis 
ner innigen Liebe zu, wenn ich ein Bischen fonderbar gewefen bin,“ 
dabei legte er fanft feine Haud um ihre Schulter. Das hatte fie früs 
her oft und gern gelitten, ja fie hatte in foldhen Lieben Augenbliden 
ihren Kopf fo auf die Seite geneigt, daß ihre Wange feine Hand bes 
rührte. — Heute aber trat fie bei der erften Bewegung dazu von ihm 
weg, und nachdem fie rafch einen verlegenen Blick auf ihr Gegenüber 
geworfen, fagte fie: „Laß! — am offenen Fenſter!“ 

„So! — am offenen Fenſter! · wiederholte er zurückweichend mit 
leiſer Stimme mehrmals und häufiger als er es vielleicht ſelbſt wußte, 
fo daß die alte Weiher von ihrem Kochofen Her darauf erwiderte: „Ja, 
Rofa hat Recht. Man muß fi am offenen Feuſter doch ein Bischen 
geniren. Es ift von wegen der Nachbarſchaft.“ 

„Richtig, von wegen der Nachbarſchaft,“ beftätigte der unglückliche 
Photograph und ging dabei, ohne umzubliden, zur Thüre hinaus. 
Auf der Treppe ſprach er zu fich felber, mit jeder Stufe abwechſelnd: 
— am offenen Fenfter! und von wegen der Rachbarfchaft! Als er 
jedes ſechsmal wiederholt, Hatte er feine Stubenthär erreicht, 

Roſa war noch ·einen Augenblid am Fenſter ftehen geblieben, doch 
hatte fie mehr in's Zimmer hineingehorcht, als nach dem Fenſter gegens 
über geblickt, fo ſehr fih auch das Gegenüber Mühe gab, die Aufe 
merffamteit des jungen Mädchens auf fi zu ziehen. Sie hörte, wie 
Heinrich ganz ſtill die Thüre ſchloß, fie hörte, wie er langfam die 
Treppe hinauf ging, wie er oben in feinem Zimmer anfam, und dann 
war eö ihr gerade, als vernähme fie durch die dünne Dede einen 
Schrei ded Schmerzes. Vielleicht konnte fie fich auch getäufcht haben, 
und der Schrei tönte aus ihrem eigenen Herzen herauf. Aber ehuas 
tief Schmerzlihes war dabei, das fühlte fie an ihrer heftig Hopfenden 
Bruſt, das fühlte fie an ihren bebenden Lippen, das fühlte fie an ihren 


Chantons, buvons, traleralera. 141 


zuckenden Augenlidern, an den heißen Thränen, die in ſchweren Tropfen 
über ihre Wangen herabrollten. 

Aber fie Hatte ja eine Mutter, um fie zu tröften, und das that 
Frau Wittwe Weiher auch, nachdem fie ihre Suppe vom Feuer gefept, 
und den Nührlöffel weggelegt. „Was find das für Sachen,“ meinte 
diefe. „So wirft du dich nicht behandeln laſſen, Hoff’ ih. Glaubt 
der Here Böhler, bei ihm allein wäre Hell und Glüd diefer Welt? 
Ein Mäddien wie du, kann fi) umſchauen nad; einer Partie und 
braucht nicht auf einen Photographen zu warten, der nichts zu thun 
bat. Set ruhig, Rofa, es tft noch nicht aller Zage Abend, und es hat 
gar nichts auf fih, wenn bu dich bie und da und fogar häufig am 
Benfter fehen fäfleft. Das Glüd kann dort eben fo gut hereiukommen, 
wie zur Thür, und ic; weiß wahrhaftig nicht, ob es nicht für dich ein 
Gluck zu nennen wäre, wenn der da oben von dir abließe. Warum 
fol auch Unfereins nicht das Recht haben, Höher hinaus zu wollen?“ 
fuhr fie fort, als Roſa feine Antwort gab, fondern fich ruhig an ihr 
Ziſchchen fegte, jept vom Fenfter abgewendet, „Da drüben, der Herr 
Baron von Wenden iſt ein junger Mann, unverheirathet, reich, und es 
wäre doch wahrhaftig nicht das erfte Mal, daß ein armeb, aber fo 
ſchones Mädchen wie du, eine gnädige Fran gewor! 

Kurze Zeit darauf fpeisten beide Familien ihr Sefheibenes Ri 
tag&brod, und bei beiden gab es traurige Gefichter. Während unten 
Fran Witte Weiher in ihren Verſuchen fortfuhr, die Tochter für ihre 
Anfihten zu gewinnen, bemühte fih oben Herr Krimpf, feinen Come 
vagnon aufzuheitern, doch wollte dies Beiden nicht gelingen. Das 
junge Mädchen war tief betrübt, ohne ſelbſt genau zu wiſſen, warum. 
Der Photograph aber, in tiefe Gedanken verfunfen, dachte an offene 
Fenfter und am gentrende Nachbarſchaften. Rur einmal änderte ſich 
der Gang feiner Ideen, als er nämlich hörte, wie die Milttärmufit 
wieder von dannen zog. Da ging ihm die Erzählung der Mutter 
wieder durch den Sinn, er dachte an feine vortreffliche und energifche 


142 Zehntes Kapitel, 


Großmama, und in ihm erklaug immer und immer fort der Refraiw 
jenes franzöffchen Xiedes: Chantons, buvons, traleralera. 


Zehntes Kapitel. 





Ein Diner und zwei Freunde. 


Der Zimmerarreft des Kammerherrn von Wenden hatte ſchon ein 
paar Tage gedauert. Eigentlich war es fein Arreſt zu nennen, wenige 
ſtens konnte er von der Welt nicht fo genannt werden, denn Se, Ho— 
heit der Regent, taktvoll wie immer, hatte am Tag nad jenem dent 
würdigen Abend bei der Tafel fehr laut umd deutlich gefagt: „Wie ih 
Höre, {R Baron Wenden erfranft. Dod; Hat mir der Leibarzt gefagt, 
das Unmohlfein fei nicht von Bedeutung und ein paar Tage forgfäl 
tiger Pflege und Ruhe Fönnten da ſchon viel ausrichten.“ Dieſem 
Auöfpruche gemäß, war alfo der arme Wenden feidend und feiner von 
ganzen Hofe ätte den Muth gehabt, über die Angelegenheit in einer 
anderen Richtung zu ſprechen. Ebenfalls nach diefem Ausſpruch Sei— 
ner Hoheit fuhr der Leibarzt pünktlich gegen zehn Uhr am Haufe des 
Baron Wenden vor, trat zu ihm in's Zimmer, fühlte feinen Puls, 
verſchrieb ihm eine Limonade oder Braufepulver und ging lachelnd 
wieder fort, nicht ohne einen feife gemurmelten Segenswunſch des ver- 
meintlichen Kranken, der aber ungefähr lautete, ald wenn ein gefunber 
Menſch fagt: Hol euch alle miteinander der Teufel! 

Daß täglich zwiſchen zwei und drei Uhr einer ber Lakalen vom 
Dienfte ſich bei dem Bedienten des Kammerherrn einfand, um fich im 
Aerhöchften Auftrage nach defien Befinden zu erkundigen, verftand fich 
von felbft, und, auf diefen Rapport geftügt, unterließ der Regent nie, 





Ein Diner und zwei Freunde 143 


den Freunden des Kammerheren die troftreichen Worte zu fagen, bie 
Beflerung mache beftändige, wenn auch Sangfame Fortfchritte. 

Daß fich der Kammerherr zu Haufe bedeutend langweilte, brauchen 
wir eigentlich dem geneigten Leſer nicht zu fagen. Seine ganze Phis 
loſophie Hatte ihn verlaſſen, und er fchritt in feinem Zimmer ingrimmig 
auf und ab, wie der gefangene Bär in der Menagerie. Gr fam ſich 
vor wie ein gefefiefter Adler, obgleich er in Wahrheit mit dem weißen 
glatten Gefichte, den anliegenden Haaren, dem rothen zugefpigten Munde, 
den großen, etwas hervorftehenden Augen und dem watfchelnden Gange 
feiner ziemlich corpufenten Figur viel mehr Aehnlichkeit mit einem ger 
fangenen Gänferich hatte. Am erften Tage feines unfreimilligen Zu⸗ 
haufebfeibens Tag er den ganzen Tag auf feinem Ruhebette, hatte die 
Vorhänge herabgelafien ımd las: „Der lehte Tag eines Berurtheilten" 
von Bictor Hugo. Dann Hatte er Briefe gefchrieben an Freunde und 
Verwandte, an die er feit langen Jahren nicht gedacht. Dazwiſchen 
aber, und das war feine Hauptbefhäftigung, vertiefte er ſich in Grüs 
belelen und dachte und dachte, bis ihm der Kopf brannte, über die 
Urſache feines Zimmerarreftes. So unangenehm ihm diefer an und 
für fih war, fo gab es doch Momente, wo er ſich vor den Spiegel 
ſtellte, die rechte Hand unter feinem rothen Schlafro auf der Bruft 
verbarg und ſich felbft mit einem triumphirenden Lächeln anfchaute, 
„Man fürchtet dich,“ ſprach er zu fd felber, „du Haft dem Regenten 
imponitt, und daß dies geſchehen, ift ſchon einige Tage Zimmerarreft 
werth. Wir werden uns revandhiren.” 

Daß das Lefen des Meinen Zettels umd feine Unterrebung mit der 
Bringeffin mit feinem Arrefte in Verbindung ftand, war wohl möglich. 
Aber wie konnte der Regent fo plögfic; davon erfahren haben? Sollte 
vielleicht Fernow? . . . Bah! Fernow, ein guter Kerl, weder gemacht, 
er > Iutrigue zu fpinnen noch zu entdeden! Auch Hatte derfelbe ja 
cc feine Ahnung davon, daß überhaupt etwas auf dem Papierftreifen 
zu lefen war. Ja, diefer Papierftreifen, auch er hatte dem guten Kams 
merheren ſchon manche Stunde des Nachdenkens geloſtet. Was follten 


14 Zehntes Kapitel, 


die Worte: „noch einen gang zuverläffigen Mann, der Zutritt hat,” 
eigentlich bedeuten? Gr war da in ein Nep hineingerathen, das ſich 
um feine Füße gelegt hatte, und ihm felbit, der doch damit etwas 
Tüchtiges zu fangen gehofft, beinahe zu Falle gebracht Hätte. Daß es 
fh um die Ausführung irgend eines Planes handle, zu dem noch ein 
zuverläffiger Mann gefucht würde, der Zutritt bei Hof habe, war fo 
Mar, daß es jedes Kind begreifen konnte. Damit aber ftand der Baron 
am ber Grenze feines Wiſſens. Daß ihm die Pringeffin an jenem 
Abend bei der bewilligten Audienz Eonfidenzen gemacht haben würde, 
daran war nicht zu zweifeln. Aber warum, — fie mußte doch von 
feinem Zimmerarreft durch den Baron Rigoll erfahren haben! — aber 
warum ſprach fie nichts über die bewußte Angelegenheit? Barum war 
Rigoll ftumm wie ein Grab und ſpielte den Unbefangenen in einer 
wahrhaft befeidigenden Weiſe? 

D, der Augenblick des Güde, dem er fo nahe gewefen, er war 
ihm unter den Händen entfhlüpft, und wenn er träumerifh aufwärts 
blickte, fo fah er es trugeriſch in alle Weiten binausflattern, ſchillernd, 
glängend, ftrahlend: Aemter, Orden, Binden! — — — — 

Wenn er fo in finitern, -faft verzweifelten Gedanken auf und ab 
fritt, wollte ihn der Glaube an feine Theorie vom Yugenbfid des 
Gtüds verlafen; und doc hatte ſich diefelbe an Fernow glänzend ers 
wiefen. Hatte diefer Kerl in den wenigen Tagen feit jenem verfluchten 
Abend nicht ein ganz unverfchämtes Glüd gehabt? War er nicht in- 
zwiſchen Major und wirklicher Adjutant des Regenten geworden? Ja, 
man flüfterte ſich mit ernftem Kopfiütteln zu, er fei der allmächtige 
Vertraute und Günftling des Pürften, der Regent Habe ihm fein Herz 
gefchenkt, „er nenne ihn feinen Sohn, er führe feine Siegel und feine 
Alba fein nicht mehr.” 

So viel war gewiß, daß der gewaltige Herr Kindermann ben 
neuen Major mit unbegreiflicher Zuvorkommenheit behandelte. Er 
hatte nicht nur fein freundlichites Lächeln, fondern auch immer irgend 
ein geheimnißvolles Wort für ihn, Wodurch Fernow fo plöplich in 


Ein Diner und zwei Freunde 145 


Gunſt geftiegen, das konnte fih bei Hofe Niemand erklären. Die einen 
glaubten, der Regent habe fic erinnert, welch' ein verbienftooller Dann 
fein Vater, der felige Minifter gewefen; gutmüthige Leute, denen die 
Ehre und der gute Name ihrer Nebenmenfchen Heilig war, fpipten ihr 
breites Maul, zogen die Augenbrauen hoch empor und bemühten fidh, 
ſchlau auszuſehen, wenn fie flüfternd fagten: „Es war uns ſchon Tange 
nicht unbekannt, wie angefehen der junge Fernow in allerhöchften 
Kreifen ift, ein fhöner junger Mann, vortrefflicher Reiter, immenfer 
Tänzer — hm! Hm!“ Afternde Hofdamen, die anfingen, ſich mit 
Schmerz daran zu erinnern, daß die Heirath die eigentliche und richtige 
Beftimmung des Mädchens ift und daß weder Spirden noch Bälle das 
‚Herz auf die Dauer zu erwärmen vermögen, die, felbft vom reinften 
Adel, mit mindeftend fechögehn todten Ahnen hinter fih, darauf ver- 
sichten mußten, diefe ehrwürdige Kette um ein Glied zu vermehren, die 
es für eine Mesalliance anfahen, wenn der Baron ein Fräulein von, 
ober der Graf eine Baronin heiratheie, fie waren der Duelle von der 
Gunft des Heren von Fernow am nächften gefommen. Wer war Herr 
von Fernow? Sein Urgroßvater hieß noch ſchlechtweg Monſieur Zer- 
now, und felbft der Vater deö feligen Minifters, der doch in den Zreis 
herrnſtand erhoben worden war, hatte ein Mädchen geheitathet, deren 
Adel fehr zweifelhaft, wenigftens fehr jung war. Wird es der Enkel 
beffer machen? Im Gegentheil. Ach! jegt wußten fie ganz genau, 
woher diefes plögfiche Anancement. Herr Kindermann hatte eine einzige 
Tochter, die follte aus dem Vorzimmer in den Salon verpflanzt 
Werben, 

Daß bei diefer Idee ein rampfhaftes Lachen die Herzen mehrerer 
Hofdamen erfhütterte, ift felbftredend, und daß ſich gegen dies Ereigniß 
wenigftens ein Dugend Todfeindinnen zu inniger Freundſchaft, zu 
Schutz und Trug verbanden, können wir der Wahrheit gemäß ver- 
fihern. 
"Ueber alle diefe Sachen, Reden und Bermuthungen hatten den 
Hadländere Werke. XXL 10 


146 Zehntes Kapitel. 


Kammerheren feine Freunde begreiflicherweife au fait gehalten; und 
daß er darin etwas zum Nachdenken hatte, zerſtreute hie nnd da feine 
Langeweile. Gleich darauf aber kam diefelbe wieder riefengroß, er- 
drüdend, und er eilte alddann durch feine Zimmer, die Hände auf den 
Rüden gelegt, tief feufgend, faft der Verzweiflung nahe. 

In einem diefer Momente war er an das Fenſter feines hinteren 
Zimmers getreten und hatte melancholiſch in die finftere Gaſſe hinaus ⸗ 
geſchaut, die ſich Hier feinen Bliden öffnete, rüber hatte er dfters 
am gegenüberliegenden Haufe ein friſches Maͤdchengeficht bemerkt, das 
häufig am Fenſter lag und verftohfen zu ihm herabbfidte, wen er 
einige auffallende Bewegungen gemacht. In der Langeweile greift mar 
nah Alem, und fo befhloß denn aud der Kammerhert von Wenden, 
jenes Hand und Fenfter in fürmlichen Belagerungszuftand zu verfegen. 
Rofa war dieſer Mühe ſchon werth, das mußte er fih am erften Mors 
gen geftehen, ala er die äußerfte Parallele eröffnet und eine Demontirs 
batterie aufgeführt hatte, beftehend aus einem koloſſalen Opernglas, vers 
mittelſt deffen er die Nachbarin auf zwei Schritte heranzog. Ei der 
Tauſend! mo hatte er bis jept feine Augen gehabt? War das ein 
praͤchtiges Geſchopf! Und gelehrig, bildſam. Dies Kompliment glaubte 
er ihr fhon nach einigen-Stunden machen zu müflen. Wenn fie auch 
anfänglich nur flüchtig und ſchüchtern Herüberfchante, fo gemwöhnte fie 
ſich dod bald an feine Bfide; ja, fie fonnte lächeln, wenn er in einer 
melancholiſchen Attitude am Penfter fand, fie konnte lachen und ihren 
Kopf aufwerfen, wenn er einen Beilchenftrauß, von welchen Blumen er 
während feines Zimmerarreftes eine unglaubliche Anzahl confumirte, 
ſchmachtend an die Lippen brachte. Wie fie hieß und wer fle war, 
wußte er am Abend des erflen Tages; am Morgen des zweiten 
fchenkte er feinen fammtlichen Bekannten Meine zierliche Cigarrenetuis 
aus Stroh geflochten, fo daß einige auf die Bermuthung famen, er 
habe vielleicht einen alten Florentiner Onkel beerbt, der ein Lager in 
Stroharbeiten gehalten. 

Benn er auf die vorhin erwähnte Art wohl zufrieden war mit 


Ein Diner und zwei Freunde, 147 


feinen Vorarbeiten zur Belagerung der fhönen Rofa, fo hatte er das 
gegen in der That einige Furcht, ihr zu tief in die braunen Augen zu 
fehen. Der Kammerherr von Wenden hatte ein empfindfames Herz, 
"er glaubte, daß es nichts Lächerlicheres in der Welt gäbe, als eine une 
erwiderte Liebe, und hatte fi nach feinen Erfahrungen zumellen fagen 
müffen, daß diefe fhönen VBürgermädchen mitunter den Teufel im Leibe 
Haben. Ein merhokrdiges Zufammentreffen war ed, daß ihm am vier⸗ 
ten Tage feines Arreftes Baron Rigoll bei einem Beſuche die wunder» 
bare Photographie der fhönen Nachbarin zeigte. Cr fühlte mit 
Schreden, daß er faft eiferfüchtig geworden wäre. Doch als ihm die 
Extellenz hoch und theuer verfiherte, fie habe das Portrait in der uns 
ſchuldigſten Abfiht erworben, um e8 einer Dame vorzulegen, da hatte 
ex ſich beruhigt. Daß er aber in der That umrubig geweſen, das 
wollte ihm durchaus nicht gefallen, befonderd da er an einem eigentlich 
feltfamen Umftande deutlich fah, welchen Eindrud er auf das Herz 
des jungen Mädchens gemacht, Er ftand am Fenſter, oder vielmehr 
er lehnte maleriſch Hingegoffen an einem Flügel defielben, Es war 
um die Mittagsftunde, und er betrachtete nicht nur die Photographie, 
fondern er verglich fie Punft um Punkt mit dem ſchönen Original, 
das ebenfalls drüben fichtbar war. Dann gab er fie dem Baron zuräd 
mit der deutlich anögedrädten Pantomime: Nimm Hin einen großen 
Theil meines Herzens, 


„Ach, wenn du wärft mein eigen, 
Wie Lieb foltt/t du mir fein!” 


Dazu warf er einen in Wahrheit zerfchmetternden Blick auf das 
unglüdtiche junge Mädchen. Und fiehe da, fie fühlte in der That 
innig mit ihm, fie zudte zufammen, fle wandte den Kopf in’s Zimmer 
nur in der Abficht, um fich zu vergewiffern, daß Niemand ihre Emo⸗ 
tlon fähe, dann — der Kammerbgrr hatte fein Opernglas angefeßt — 
fühlten fih ihre Augen mit Thränen, ja fie trat weinend in's Zimmer 
zurũck — ein göttfiches Gefhöpf! — Das war aber eben der Moment, 


148 Behntes Kapitel. 


wo Here Heinrich Böhler fich ſchmerzlich verlegt in fein höheres Stod 
wert zurüdog. 

An dem gleichen denfwürdigen Tage hatte der Kammerherr von 
Benden einige feiner Bekannten zu einem Diner, ausbrüdfich auf 
Krankenfuppe, Gerftenfchleim und Apfelcompot, eingeladen. Gegen Halb 
fünf Uhr Hatte er eine gewählte Toilette gemacht, ſich in feinen Fauteuil 
an dem bewußten Fenſter gefegt, um vermittelft weißer Halsbinde und 
Ordensband eine neue Demontirbatterie gegen die fchöne Nachbarin zu 
eröffnen. Der Tiebenswürbige Feind ließ fid übrigens nicht häufig 
fehen, nur einmal fam Rofa an's Fenſter, dagegen aber, als er tn 
biefem Augenblice, wie betheuernd feine Hand auf's Herz legte, ſchlen 
fle tief ergriffen zu fein, feufzte fichtlich und verſchwand nad) einem 
Tangen Blice. 

Der Kammerbiener meldete den Major Fernow, weßhalb ſich 
Baron Wenden in feinen Meinen Salon zurückbegab, um ihn freundlich 
zu empfangen. Fernow kam ihm Tächelnd entgegen ung reichte ihm 
die Hand, indem er fagte: „Es geht dir.gut, nicht wahr? Seine Hor 
heit, mit dem ich die Ehre Hatte, ausreiten zu bürfen, fagte mir aus 
drucklich, du müßteft auf deine Wiederherftellung Bedacht nehmen, das 
mit du nächfter Tage wieder ausgehen könneſt.“ 

„Das fagte er wirklich?" erwiderte der Kammerherr. „Run, ich 
Hin in der That Seiner Hoheit für die fortgefepten Aufmerkfamfeiten 
um mic den größten Dank ſchuldig. Das wirft du ihm fagen, und 
bitte ich dich, da du doch einmal das Allerhöchfte Ohr Haft, Hinzugus 
fügen, ich werde alles Mögliche thun, um mich fünftig vor dergleichen 
Heinen Krankheiten zu bewahren.” 

„Soll ic ihm das wirklich fagen 7" 

„Du wirft mic fehr damit verbinden, Tieber Freund. Doch da 
fänt mir eben ein, daß ich vielleicht zu viel verfpreche. Weiß ich denn 
den Grund meiner Krankheit? — Weißt du ihn etwa?" 

Der Major zudte mit den Adfeln. 

„Der Teufel wird ihn wahrſcheinlich willen, — ich habe keine 


Ein Diner und zwei Freunde, 149 


Ahnung davon,“ fuhr der Kammerherr fort, indem er verdrießlich am 
feiner weißen Halsbinde zupfte, „und das tft gerade das Schlimme, dag 
ich feine Idee davon Habe, vor was ich mid in Acht nehmen muß, 
um für die Zukunft vor einer folhen — Schulkrankheit bewahrt zu 
bleiben. — Ja dur magft lächeln, wie du willft, Das Ganze ift eine 
verdrießfiche Gefchichte, und, Spaß bei Seite, fei fo gut und gib mir 
einen Anhaltspunkt, gib mir eine Idee, was ich thun umd laſſen fol, um 
Tünftig in den Augen des Regenten nicht wieder unwohl zu erfcheinen,“ 

„Du, ein Philofoph, ein Denker;“ entgegnete fuftig Herr von 
Fernow. „Wie kann ich, der nur fo mit der ganzen Heerde läuft, dir 
einen Rath geben!" 

Der Kammerherr warf unruhig den Kopf auf die rechte Seite, 
dann ſprach er: „Sei ein bischen ehrlich, Fernow. Ich verfichere Dich, 
meine Krankheit ift mir väthfelhaft. Wenn ich im gewöhnlichen Reben 
weiß, daß ich weder Auftern noch Trüffeln vertragen fan, fo eſſe ich 
nicht das Cine, nicht das Andere. Wenn mir der Champagıer Bes 
ſchwerden macht, fo trinke id) feinen, wenn mir die Zugiuft ſchadet. 
fo ziehe ih mich warm an — aber was ich thun fol, um in den 
Augen des Regenten nicht frank zu werden, davon habe ich, aufmeine 
Ehre, feinen Begrifl.” 

‚Herr von Fernow ſtrich feinen ſchwarzen Bart und bfidte, ohne 
du antworten, an die Dede empor. 

„Nochmals, Fernow, fei ehrlich,“ fuhr Here von Wenden fort, 
‚Sage, was du mir fagen fannft. Di weißt, daß ich wohl im Stande 
bin, Andeutungen, wenn fie aud mit wenigen Worten gegeben find, 
zu verftehen.” 

„Bas ic fan, will ich gern thun,“ antwortete der Major. „Laß 
und einmal fehen, was könnte vieleicht auf deinen Fall pafien?“ 

Er legte die Hand an die Stirn und fehlen in tiefes’ Nahdenfen 
zu verfinten. „Ia, ja, das wäre möglich,“ fagte er nach einer Paufe, 
„Weißt du, Lieber Wenden, ed gibt Leute, die den Geruch von Blumen 
nicht ertragen önnen, — denen er die Nerven angreift,“ 


150 Behntes Kapitel, 


„Ah! ich verftehes — alſo doch! Namentlich find mir vielleicht 
ſolche Blumen gefährlich, in denen Papierftreifen verborgen find. Meinſt 
du nicht au?“ 

„Ob irgend ein Papierftreifen etwas dazu beiträgt, wage ich in 
der That nicht zu entſcheiden. Aber du wirft mich verſtehen.“ 

„Bielleicht gibt es auch noch andere Dinge, die deiner Gefundpeit 
nicht zutraglich find." — — 

„So, noch andere Dinge?" 

„Ich meine nur fo. Ich felbft, der ich recht gefund bin, habe 
doch zumellen erfahren, daß die weiten Säle des Schloſſes, befonders 
fpät des Abends, eine feuchte, widrige Luft enthalten, die Einem, der 
dazu geeignet iſt, die Lunge angreifen kann.” 

„And da werden vor Aleın die Sale fehr gefahrlich fein,“ ergriff 
der überrafhte Kammerherr die Andentung, „die zum Appartement 
Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin Eliſe führen.“ 

„Ob die gerade mehr oder minder Krauffeitöftoff zu gewiſſen 
Stunden enthalten, wage ich nicht zu entſcheiden; genug — ” 

„Der Beweis iſt geliefert,“ fiel ihm der Kammerherr unmuthig 
ins Wort. — „Fernow, Fernow, du bift in den wenigen Tagen ein 
‚ganz geriebener Patron geworben ! 

„Das wird dich doch nicht wundern,“ verfegte der Major, „mache 
dem ein Denfer wie dur fih die Mühe gab, mir einen fangen Sonntag 
Nachmittag feine koſtbaren Theorien auseinander zu ſetzen.“ 

Der Kammerdiener meldete Seine Exeellenz, den Oberftjägermeifter, 
Herrn Baron von Rigoll, und diefe Excellenz hüpfte freundlich durch 
das Borzimmer, bfieb aber unter der Eingangsthür zum Salon in 
einer affeftirten Haltung ſtehen. Das Heißt, Rigoll heuchelte den Aus- 

druck der Beftürzung und Beſorgniß. Er warf den Oberkörper zurüd 
und breitete beide Arme aus, indem er rief: „IA das Ernft oder 
Scherz, befter Freund? Sie Haben mid auf Kranfenfuppe eingeladen, 
auf Gerſtenſchleim, was weiß ich; auf Apfelcompot, Horreur! Ich 
hoffe nicht, daß es Ihnen Ernſt damit war, fonft müßte ih in ber 





Ein Diner und zwei Freunde, 151 


That bedauern, Hichergefommen zu fein. Ich habe Ihretwegen ſehr 
früßgeitig Fräulein von Ripperda, meine Braut verlaffen, — Teufel 
auch! In einem folhen Falle muß man wiffen warum !" 

„Berubigen Sich Euer Excellenz nur,“ lachte der Kammerherr, 
offenbar geſchmeichelt durch den guädigen Spaß. „Wenn ih auch bitten 
muß, mit der Küche eines Kranken Nachſicht zu haben, fo wird ſich 
doch wohl aud) noch etwas für einen gefunden Appetit finden,“ 

Seine Egeellenz hatte ein Meines Paletchen in der Hand; es ſah 
ungefähr aus wie ein Buch in groß Drtan, welches er dem Kammerdiener 
übergab und aufs Sorgfältigfte auempfahl. Dann erft fchien er den 
Major zu bemerken, der, die Hände mit dem Hut auf dem Rüden, 
mit gefpreisten Beinen, feinem eigenthümlichen Weſen zuſchaute. „Ah, 
Herr von Fernow,“ fagte Baron Rigoll, und das bekannte unanger 
nehme Rächeln wetterleuchtete auf feinem Geficht. 

„Ich hatte ſchon die Ehre, Euer Ereellenz mein Compliment zu 
machen,“ entgegnete der Major,. „und erlaube mir nun, mid nach 
Iprem Befinden zu erkundigen.” 

Vortrefflich, danke ſchoͤn. Außerordentlid gut. Es mup mir ja 
auögezeichnet gehen. Darüber wird feiner der Herren im Zweifel fein.“ 

„Benigftens find Euer Excellenz beneidenswerth,“ entgegnete Here 
von Feruow mit der größten Ruhe von der Welt, 

Der Kammerdiener meldete noch brei Freunde des Hausherrn und 
ebenfalls genaue Bekannte der Auweſenden. Man trat ein, man reichte 
ſich die Hände, man ftühpte die Hüte auf irgend ein Fautenil oder 
einen Divan, man fand das Ansfehen des Kammerherrn für einen 
Kranken unbegreiflih gut, man ſprach über das Wetter, man erzähfte 
von einem Ritt, von einer Sotrde, man warf einen verftohlenen Blick 
in den Spiegel, man war zufrieden mit ſich felber, und als nun der 
Kammerdiener eintrat und mit feifer Stimme anfündigte, daß fervirt 
fet, ging man in's Speifezimmer, ſehte ſich um den vorttefflich arran« 
girten Tiſch umd das Diner nahm feinen Anfang, verlief zwifchen Lachen 
uud Scherzeu, unter vortrefffichen Schüffeln, ausgezeichnetem Sauterne, 


152 Zehntes Kapitel, 


Bordeaug und Aheinwein, und endete, wie gewöhnlich mit einem 
FrudtrAuffag von Gefrorenem, mit Champagner und Tolayer. 

Obgleich das Frühjahr ſchon angebrochen war, Tonnte man doch 
Abends im Zimmer noch ein leichtes Feuer ertragen, und bie ganze 
Tiſchgeſellſchaft fand es außerordentlich comfortabel, als fie der Kam⸗ 
merherr in fein Heined Arbeitslokal führte, wo ein Kaminfeuer loderte, 
um welches ſechs niebrige Heine Fauteuils ftanden, die fo leicht auf 
ihren Rollfüßen liefen, daß fie der geringften Bewegung nad) rechts 
‚oder links nachgaben und fo die Gonverfation außerordentlich erleichterten. 

Der behagliche Aufenthalt, dad muntere Geſpräch, welches ſich bei 
dem Dufte des Kaffees und dem Raud der Eigarren entwidelte, Hielt 
die Gefellfhaft Tänger als font beifammen. Bu vorgerüdter Stunde 
erſt trennten ſich die Gäſte, mit Ausnahme der Egeellenz von ihrem 
Wirthe. 

Als der Kammerherr ans dem Vorzimmer, wohin er feine Freunde 
begfeitet, zurückkehrte, fand er den Oberftjägermeifter mit einem Buch 
in der Hand an dem Tiſche ftchend; wenn er aber auch dieſes aufges 
ſchlagen vor fidh hielt, fo fah er doch nicht Hinein, vielmehr ſtattten 
feine Blicke, wie in tiefen Gedanken, weit darüber hinaus. Auch war 
von feinem Gefichte der Ausdrud der heitern, farkaftifhen Laune, den 
er während des Diners und auch nachher fo forgfältig bewahrt, gänze 
lich verfhwunden; auf feiner Stirn lag eine Wolke trüber Sorge, er 
hatte die Lippen zufammengefniffen und das faft unvertilgbare Lächeln 
feiner Mundwinkel fah tropig und Höhnend aus. 

Er warf das Buch auf den Tiſch, als er die Schritte des Zurüds 
Tonımenden Hörte, wandte fi gegen den Kammerhertn und fagte: „So 
wären wir endlich allein.” Dann fepte er in einem beinahe heftigen 
Tone hinzu: „Baron, ich bewundre Sie. Mit Ihrer Gewandtheit fan 
es Ihnen nicht fehlen, eine große Garriöre zu machen.“ 

Herr von Wenden fah ihn einigermaßen erftaunt an und fo war 
auch der Ton feiner Stimme, als er entgegnete: „Ich begreife in der 
That Cuer CExcellenz nicht beſonders. Sie find fo freundlich, von 


Ein Diner und zwei Freunde, 153 


meiner Gewandtheit zu ſprechen, —. ich bitte Ste um Gotteötsillen, 
fehen Sie denn nicht, wohin mic meine Gewandtheit gebracht? Zu 
einem Arreftanten auf Chrenwort.“ 

„Das tft ja gerade, was Sie Hug gemacht!“ rief der Oberftjägers 
meifter, indem er heftig aufe und abging, „Sie haben fi von der 
Sirene nicht verfoden laffen. Ste warf Ihnen die gofdene Angel bin; 
Sie haben nur ein bischen darnach gefchnappt, aber das Schiefal in 
Geſtalt Ihres Freundes Fernow hat Sie vor dem Anbeißen bewahrt.“ 

„Ich verftehe Euer Egeellenz in der That nicht,“ 

„Es iſt aber nicht feier, mich zu verſtehen. Wie ſchon bemerft, — 
Sie waren klug genug, fih hier in die Einfamkeit zurüczugichen, und 
And fo dem Nepe entgangen, welches man im Begriff fand, über Site 
zu werfen. Ich dagegen zapple darin wie eine gefangene Fliege.“ 
Seine Extellenz machte in der That bei dieſer Bemerkung ähnliche 
krankhafte Bewegungen, wie man fie wohl bei einem gefangenen un» 
gluctlichen Geſchopf der eben erwähnten Art ficht. 

„Darf ich Sie wohl bitten, mir durch Ihren Kammerdiener das 
BPatetchen erbringen zu laſſen, das ich ihm vorhin übergeben?" fagte 
die Excellenz und fuhr alsdann fort, nachdem Herr von Wenden achfels 
zuckend die Klingel gezogen und ihn mit unverfennbarem Erftaunen, 
faſt mit Schreden anftarrte: „Glauben Sie mir, lieber Freund, drüben 
im Schloſſe find alle zehntauſend Teufel 108.” 

Der Kammerherr deutete pantomimifd an, indem er bie Augen 
weit aufriß und feine Hände von ſich abſtreckte: Ste fehen meine 
uebertaſchung. 

„Ich verſichere Sie, Lieber Wenden, es war der klügſte Streich 
Ihres Lebens, fih in Zimmerarreft fegen zu laſſen. Hätte ich das vor 
acht Tagen nur auch gethan! D über die intriguanten Weiber! Ste 
wiſſen, weßhalb ich an die Prinzeffin gefefielt bin. Meine Verlobung 
mit Fräulein von Ripperda iſt ausgeſprochen, ich intereſſire mich leb⸗ 
haft für das fchöne Mädchen; es wird mic, auch glücklich machen, fie 
zu heirathen, und ih will und kann nicht anders, Denn wenn ich 


154 Zehntes Kapitel. 


ſelbſt jegt zurücträte, fo würde ſich doch die ganze Welt hohnlachend 
über den fhönen Korb freuen, den der ältere Baron Rigoll von dem 
jüngeren Fräulein von Ripperda erhalten.“ Hiebel fandte er einen 
Blick in den Spiegel, und da er mit feinen Betrachtungen nicht fehr 
äufeleden zu fein fhien, fo warf er ſich unmuthig in einen Fauteuil. 
Der Kammerbiener hatte unterdefien das bewußte Paketchen gebracht, 
Seine Egeellenz riß haſtig Papier und Bindfaden ab und reichte von 
qwei Portraits, die darin waren, eines dem Kammerheren, ohne es 
anzufehen. 

„Eine Photographie von Ihnen? Bortrefflih gemacht!“ fagte 
Herr von Wenden. — „Ah! id; gab Ihnen das falſche!“ rief der 
Oberftjägermeifter. „Nehmen Sie dies da, Kennen Sie die Perfon?” 

Der Kammerherr betrachtete lange und aufmerkfam das Bildnif. 
Dann bededte er die Augen mit der Hand und dachte nad, „Geſehen 
habe ich diefen Kopf,“ ſprach er nach einer Paufe, „aber ich weiß nicht, 
ob die Perfon felber, oder ebenfalls nur ein Bildniß von ihr.” 

Vielleicht beides; erinnern Sie fi.“ 

‚Herr von Wenden fah den Oberftjägermeifter mit einem eigen- 
thumlichen Blic an, doch bemerkte man wohl an feinen Augen, daß er 
in feinem Gebädtniffe wühlte, „Ja, ja,” ſprach er aladann, „das 
Geſicht ift mir befannt. Ich meine, ich hätte es kürzlich geſehen.“ 

Seine Excellenz nickte mit dem Kopfe. 

„Wenn ich aber diefem Kopfe in meinen Gedanken ein Tuch gebe, 
wie es die Beduinen auf ihren Ritten in der Wüfte zu tragen pflegen, 
und mir flatt des Pafetots einen Burnus dene — — — — Alle 
Teufel! ja, ich hab's.“ Bei diefen Worten eifte er an feinen Bücher 
ſchrank, öffnete ihn Haftig, zog ein fehr elegant gebundenes Buch her⸗ 
vor und hielt das Portrait in demfelben dem Oberftjägermeifter vor die 
Augen. — Diefer nidte abermals und fehr verdrieglich mit dem Kopfe, 

„Herzog Alfred von D..,“ rief der Kammerherr im Tone der 
hoͤchſten Ueberraſchung, „und er tft Hier im der Reſidenz, ich ſah ihn 
Bürzlich in — wo war es doch — in irgend einer Geſellſchaft.“ 





Ein Diner und zwei Freunde, 155 


„O, in der beften von der Welt. Der Herzog war — bier in 
diefem Zimmer, auf demfelben Fauteuil, wo ich jet zu fipen Die Ehre habe,“ 

„Graf Hohenberg?" — „Graf Hohenberg.“ — Einen Augenblick 
fahen fich die Beiden forſchend an. Ihre Gedanken konnten ſich uns 
möglich vereinigen. Auf dem Gefihte des Kammerherrn bemerkte man 
deutlich, daß er in Vermuthungen umbertappe, in den Bliden der Er⸗ 
cellenz dagegen Tag eine unheimliche Ruhe, die verrieth, er wiſſe voll 
kommen, um was es fih Handle, und er fehweige vieleicht nur aus 
Schonung, um den Andern nicht zu plögfich zu erfchreden. 

„Aber um Gotteswillen, Cxcellenz, was hat es zu bedeuten, daß 
fich der Herzog fo incognito bei uns aufpält? Denn daß man bei 
‚Hofe von feiner Anmefenheit nichts weiß, Liegt auf fladher Hand. — 
Sie lächeln fo fonderbar. Wüßte man doc etwas davon, und hätte 
Urſache, e8 zu verheimfichen ?“ 

„Daß Perfonen vom Hofe um dieſes in der That geflßeiche Ge · 
heimniß wiſſen, beweiſen wir Beide. Wir gehören ja auch zum Hof.“ 

„Ich muß recht ſehr bitten, Excellenz. Ich erfahre fo eben die 
erften Andeutungen darüber.” 

„Beil Ste fih ſchlauer Weiſe auf die Kranfenlifte ſehen ließen.“ 

„Das alfo hängt mit jenem Papierftreifen zufammen?“ fragte 
der Kammerherr in höcfter Spannung. — „So iſt es.“ — „Alſo, 
um da zu irgend etwas mitzuhelfen, irgend welche Inftructionen zu 
empfangen, ſollte ih an jenem verhängnißvollen Abend die bewußte 
Audienz haben?" 

„Die Ste durch Ihren Freund, Herrn von Fernow, vereiteln 
ließen. O, Sie haben das ſchlau angefangen, bewundernswürbig fein.“ 

„Aber ich verfichere, daß es mir ein wahres Glüd wäre, ber 
durchlauchtigen Prinzeffin Efife mich und meine Dienfte unbedingt und 

" umbefehränft anbieten zu Fönnen.” 

„Und das fagen Sie mir?” rief der Oberftjägermeifter, „mir, 
den Sie in dieſem Augendlic faft darfiber in Verzweiflung fehen, daf 
ich mich, verzeihen Ste mir den Ausbrud, der Pringeffin mit Leib und 


156 Sehntes Kapitel. 


Seele übergeben habe?" Ex war bei diefen Worten in bie Höhe ger 
fprungen und geiff mit feinen Fingern zwiſchen die Halsbinde, wie 
Jemand, dem es zu warn wird. 

Obgleich ſich der Kammerhert bemühte, ein recht geſcheidtes Ges 
ficht zu machen, fo mußte er fich doch geftehen, daf es der Situation 
angemeffener gewefen wäre, veht dumm auszuſehen; deun er verftand 
durchaus nichts von den Berlegenhetten des Oberftjägermeifters, wenn 
fich auch unzäplige Vermuthungen in feinem Kopfe kreuzten. 

Seine Crcellenz hatte ſich wie ermattet in den Fautenil zurüdges 
lehnt; fie faltete ihre Finger zufammen und ließ die Daumen beider 
Hände um einander herumfpagieren. „Da ich feſt auf Sie vertraue,“ 
fagte Rigoll nad einer Paufe, „und da ich eine Hilfe vielleicht noth ⸗ 
wendig brauche, fo will ich Ihnen die ganze Geſchichte mittheilen. 
Aber, lieber Wenden, es tft eine Sache, die, auf unrechte Art am uns 
rechten Orte Hinterbracht, gang eigenthümliche Folgen Haben Tann.“ 

„Für Ste, Egeellenz?" — „Ja. Eigentlich für Jeden, der damit 
au thun hat,“ 

„Da könnte ſich alfo meine Krankheit in's Unendliche verlängern, 
ja am Ende gar zu einem qhroniſchen Uebel werden,“ 

„Machen Sie feinen Scherz. Gerade Ihre fo außerordentlich & 
propos eingetretene Krankheit überzeugt mich, mit welcher Gewandtheit 
Sie unfere Sache behandeln werden, Wenn man ſich in die Intriguen 
einer Dame, wie die Prinzeſſin Elife, einläßt, fo fpielt man va banque.“ 

„Spielen wir,“ fagte entfchloffen der Kammerherr. „Wie ih an 
Ener Excellenz gefehen habe, ift Ihnen ſchon vor Beendigung des 
Spiels ein wunderbarer Treffer zugefallen. Vielleicht bin auch ich fo 
glüdtich,“ 

Der Oberftjägermeifter unterbräcte einen Teichten Seufzer. „Daß 
der Herzog alfo hier iſt, wiflen Sie. Ich Habe ihn früher fehr gut 
gelannt, daher ſuchte man auch gerade mid aus zu der Höchft gefähr- 
lichen Commiſſion.“ 

„And was will er?" fragte faſt ungeduldig der Kammerhert. 


Ein Diner und zwei Freunde, 157 


„Bas er will? Run, nichts mehr und nichts weniger, als — 
die Prinzeffin Eliſe Heiraten.“ 

„Donner und Better!” fagte Herr von Wenden, und trat einen 
Schritt zuräd. 

„Und das habe ich einfäbeln mäfjen,“ fuhr die Ggeelleng fort, 
indem fie ſich leicht mit der Hand über die Stirn ſtrich. „Habe bie 
nothwendigen Correſpondenzen beforgt und habe den Herzog einges 
Inden, hierher zu kommen.” 

„Mod dad Alles hinter dem Rüden Seiner Hoheit des Regenten ? 
fragte der. Andere in einem fonderbar gebehnten Tone. 

„Diefe tage, mon chör,“ antwortete ungebulbig ber Oberfts 
jägermeifter, „beweiöt mir, wie wenig Sie die Pringeffin Tennen. Hat 
es ihr jemals Spaß gemacht, irgend eine Sache gerade und offen zu 
betreiben? Ich wüßte mich derart nichts zu erinnern, und fie felbft 
vieleicht auch nicht. — Stellen Sie fih num in meine Lage. Der 
Herzog, dem die Idee, die Prinzeffin im Geheimen fennen zu Iernen, 
recht ſchon und romantiſch vorkam, tft bier, die heilloſe Angelegenheit 
aber will nicht den Meinften Schritt vorwärts thun.“ 

„Und aus welchem Grunde nicht?“ 

„Befter Wenden, nehmen Ste mir's nicht übel, Sie fragen wie 
ein unfchuldiges Kind, aber nicht wie ein Kammerherr, der ſchon fo 
und fo viele Jahre an diefem Hofe gelebt. Warum? — Weil die 
Pringeffin uun einmal die Idee hat, die Sache nicht vorwärtd zu treiben, 
fondern fie aufs Langfamfte oder vielmehr gar nicht gehen zu laſſen.“ 

„Und ſieht fie den Herzog häufig?“ 

„Ihn Häufig fehen? Sie Hat ihn noch gar nicht gefehen, feit er 
hier if. Ste will fein Portrait, er ſoll das ihrige haben, und dann 
wird fie ſich vielleicht entfchließen, ifm auf Gott weiß welche verzwickte 
und geheimnißvolle Urt zu begegnen. Da haben Ste bie Geſchichte 
meiner Leiden. Zwiſchen biefen beiden Feuern fige ih, und kann es 
mir da ein vernünftiger Menfc übel nehmen, wenn ich mich zuweilen 
in einer völligen Berzweiflung befinde? — Aber das habe ih mir 


158 Behntes Kapitel 


felerlich gelobt,“ fuhr er fort, indem er abermals aufftand, „geht dieſe 
Sade nur einmal gluͤcklich vorüber, fo weiß id, was ich thue. Dann 
heirathe ich in aller Stille, reife auf längere Zeit fort und fehe zu, 
wie fid) die Sachen hier abwickeln.“ 

O Euer Cxtellenz haben eine beneidenswerthe Zukunft,“ ſprach 
der Kammerherr träumerifch. 

„Aber ehe ich dazu gelange, noch einen entfeglichen Abgrund dicht 
vor meinen Füßen. Vielleicht einen jähen Sturz.” 

„Zu dem Euer Extellenz mich einzuladen bie Freundlichteit Haben,“ 
antwortete lachend Herr von Wenden. 

„Es iſt was Wahres in Ihren Worten,“ fagte der Oberftjäger- 
meifter nad) einer Panfe, während welcher er ſich mit übereinander ges 
ſchlagenen Armen in’s Zenfter geftellt Hatte. „Aber bei'm Teufel! nein, 
zwei Leute wie wir ftürgen nicht fo leicht. Ich wette, wir bauen und 
die fhönfte Brüde nach Gott weiß welchem glücklichen Gefilde. 

„Eine Brüde des Glücks,“ erwiderte nachdenfend der Kammerherr, 
„wenn nur der rechte Augenblick nicht verpaßt ift! — Und wünfcht 
die Prinzeffin,“ fegte er nad) einem momentanen Stillſchweigen hinzu, 
„daß ich um die Geſchichte wiffen fol?“ 

„Ber Tann daran zweifeln?“ verſehte die Excellenz nicht ohne 
eine Meine Verwirrung. „Sie ftehen in Ihrer Gunft, die Pringeffin 
hätte Ihnen an jenem Abend Alles anvertraut; — kann ich auf Sie 
rechnen ? 

Der Kammerherr hatte einen Gang durch das Zimmer gemacht, 
er kämpfte mit ſich felber. Er kannte den Oberftjägermeifter, und weil 
er ihn kaunte, fam ihm die ganze Sache verdächtig vor. Zu einer 
Angelegenheit, bei der etwas zu gewinnen war, hätte die Excellenz nicht 
wohl einen Zweiten eingeladen; auch erinnerte er ſich jenes Abends, 
als er dem Baron Rigoll im Schloffe begegnete und es fih fand, daß 
fie den gleichen Weg zu den Gemädjern der Prinzeſſin Hatten, wie ihm 
der Oberftjägermeifter in der erften Ieberrafchung ein nichts weniger 
als freundliches Geſicht machte, — Daß aber Herr von Wenden jept 


Ein Diner und zwei Freunde. 159 


mit einer Antwort zögerte, fehlen dem Baron Rigoll durchaus nicht 
zu gefallen. Er wandte fich unmuthig gegen ihn und fagte in einem 
etwas ſcharfen Tone: 

„Ei, befter Baron, wie nehme ich Ihr Stillſchweigen? Sie ließen 
mich mein Geheimniß ruhig erzählen, und jet, da Sie es willen, 
zögern Ste auf eine für mich faft beängftigende Art.“ 

„Sie follen fi) in mir nicht verrechnet Haben,“ antwortete Herr 
von Wenden entſchloſſen. „Sagen Sie der Pringeffin in Gottes Ras 
men, ich fel ganz zu ihren Dienften, und laſſen Ste mic wiffen, was 
ich thun fol.“ 

Der Oberftjägermeifter fehlen freier aufzuathmen. Er reichte dem 
Andern bie Hand und erwiderte: „Ich danke Ihnen Herzlich und werde 
Ihre Bereitwilligfeit beftens anzubringen wiffen. Sept werden Sie 
aber vor allen Dingen gefund, laſſen Sie fi) morgen bei der Prin- 
zeffin melden; fie wird von unferer Angelegenheit beginnen, und dann 
tragen Ste mit Ihrer ganzen Ueberredungskunſt dazu bei, daß fie uns 
endfid einmal eine vernänftige Antwort gibt, die wir dem Herzog 
mittheifen Können.“ 

„Daran ſoll's nicht fehlen. Sobald id ausgehen kann,“ feßte er 
mit Beziehung hinzu, „und mich die Pringeffin annimmt, werde ich 
mein Mögficies tum.“ 

„Gott fei Dant, ich fehe endlich ein wenig Licht in dieſer Finfter- 
niß,“ fagte der Oberfljägermeifter nach einem tiefen Athemzuge. „Seien 
Sie zufrieden, daß Sie jept ruhig in Ihrer Wohnung bleiben konnen. 
Ich habe noch eine Verhandlung mit dem Herzoge und fürchte, ich bes 
komme pilante Redensarten zu hören. Alſo auf Wiederſehen morgen,“ 
— er reichte ihm die Hand, „zu Schup md Trug!" 

„Mind auf gutes Gelingen,“ amtwortete Here von Wenden, und 
darauf tremmten fie fi. 

Der Oberfljägermeifter warf fih in feinen Wagen, und als er- 
nad) Haufe rollte, dachte er begreiflicherweife an die eben gehabte Uns 


160 Eitftes Kapitel 


tertedung und ſprach zu fich ſelbſt: „Self was helfen mag! Ich glaube 
einen guten Bligableiter gefunden zu haben.“ 

Der Kammerherr droben blidte durch dad Fenſter auf die Straße, 
und ald er die Equipage Seiner Egrelleng um die Ede verfhwinden 
ſah, rieb er ſich die Hände und meinte: „Ich glaube, biefe Mittheis 
Tung könnte in der That im Stande fein, mein Unwohlſein plöplic 
aufhören zu machen. ort mit biefen Intriguen! Sie find mir fchlecht 
betommen. Ich werde nach Befund ber Umftände bei dem Regenten 
ſchriftlich um eine Audienz nachſuchen.“ 


Eilftes Kapitel. 
Rentıtkäfer. 


Als der Major von Fernow das Haus feines Gaſtfreundes ver- 
Meß, fand er, daß es ein angenehmer Abend ſei. Daß ed ein wenig 
NHL war, achtete er nicht; erwärmten ihm doch die freundlichen Bilder 
umd Gedanlen, die ihn zahflos umſchwebten und deren Mittelpunkt ims 
mer fie war. Wie fühlte er ſich fo glüdlich, mit dem geliebten Mäd» 
hen ein Geheimmiß zu haben, ein fo entzüdende® Geheimnis! Ger 
fehen hatte er fle felten feit jenem Abend, ſich mit ihr unterhalten fo 
gut wie gar nicht, es müßte denn eine Unterhaltung zu nennen fein, 
wenn er fie nach der Tafel fragte: „Sie befuchen heute die Oper?“ 
und fie antwortete: „Ich glaube wohl, daß ich dort fein werde.” Das 
gegen aber war ein fo vollſtändiger Telegraphens und Zeichendienft ” 
wiſchen Beiden eingerichtet, daß die längften Depeſchen mit Lelchtige 
teit aufgegeben und ebenfo verflanden wurden. Die Liebe ift darin 
entſehlich erfinderifch, entſehlich für alle armen Hüter, mögen fie nun 
Egemänner, Eltern, Vormunder oder wie immer heißen. Hat doch 


. Leuchttaͤfer. 161 


zwiſchen zweien, die einander verſtehen, Alles feine Bedeutung! Ob 
fie den Fächer in die rechte oder linke Hand nimmt, ob fie über ihre 
Stirn flreift, oder über ihr Haar,. ob fie den Kopf auf den rechten 
oder linken Arm ftügt, ob fie gegen ihre Nachbarin lächelt oder ernft 
mit ihr fpricht. Und bei ihm ift es ganz der gleiche Fall. Ein Her» 
vorziehen des Sacktuchs, eins, zwei⸗ oder dreimal fehnell nach einander; 
ein Augenblick mit aufgeftügtem Arm, wie in tiefes Nachdenken ver- 
ſunken, dann ein plögfiches Auffahren, das Betrachten der Uhr, das 
Ausziehen eines Handſchuhs oder beider, — wer Tann alle dieſe Zeir 
hen einer Sprache nennen, die fo verſchiedenartig ift, von Jedem und 
Jeder neu erfunden, und mit fo außerordentliche Leichtigkeit erlernt 
wird. Es geſchleht das unbewußt, wir möchten fagen, inſtinktartig, 
und das junge Mädchen, welches einmal beginnt, mit ihrem Gegen» 
über zu telegraphiren, hat, ehe es das felbft weiß, ein ganzes Alpha 
bet bei einander, und wird durch feinen Ausdrud in Verlegenheit ger 
bracht. 

Wie ſich fein Schickſal, in Betreff des Fräuleins von Ripperda, 
entwideln würde, baran hatte Fernow eigentlich noch gar nicht ge— 
dacht. Er war in gewiſſen Beziehungen eine von den glüdfihen Na- 
turen, welche im Stande find, fich mit einer entzücenden Gegenwart 
zu unterhalten, und die es vermögen, die finfter blickende Zukunft voll« 
Rändig zu ignoriren. Was hätte ihm aber auch fein Nachgrübeln hel⸗ 
fen tönnen? Wie die Sachen ftanden, konnte ihm nur etwas gang 
Unverhofftes den Pfad ebuen, nur ein Wunder zum glüdlichen Ziele 
führen. Und darauf hoffte er ine Namen der Liebe und Treue. 

So ſchritt er durch die Straßen bei dem herzoglichen Schlofie 
vorüber und trat in die Gärten, welche daſſelbe von einer Seite ums 
gaben. — Hier Hatte der Frühling Bäume und Sträuder mit dem 
erſten faftigen Grün aufgepupt und die Blätter waren nod fo wenig 
entwickelt, daß ſich gerade Dadurch die einzelnen Partieen aufs Ziers 
lichſte nuancirten, Ein mächtiges Bauwerk ftand am Rande des Parke 

" Hadländers Berke. XXI. u “ 


162 Eilftes Kapitel. 


abhanges, von dem man eine entzüdende Ausficht über die Anlagen 
ringsumher hatte. Es war ein ehemaliges Baftion, zu den Befeftis 
gungen des früheren Schlofjes gehörig, das man ftehen ließ, gerade 
wegen der wunderbaren Ausſicht, Die man von der Plattform derfelben 
genoß. Man ging von dem oberen Gärten gerade hinauf und wenn 
man an den Rand dieſes Bollwerks trat, fo erblicte man in der Tiefe 
die unteren -Partieen des fhönen Parks, Oben ftanden riefenhafte 
Kaftanien, deren breite Kronen einen Schattengang um den Plap bil- 
deten, während die biden Stämme die Landfchaft ftellenweife einrahın- 
ten, und diefelbe noch malerifcher erfcheinen ließen. 

Obgleich die Sonne nicht mehr am Himmel ftand, fo war es 
doch noch fo Hell, dag man eine gute Strecke der Umgebung deutlich 
überbfiden Tonnte. Die feine glänzende Sichel des jungen Mondes 
ſchwebte im Oſten über einer fait ſchwarzen Föhrenpartie und gliperte 
anmuthig zwiſchen den fein gezadten Zweigen und Nadeln hindurch, 
gerade wie dad Diadem ber Nachtlönigin, die langſam herniederſchwebt, 
unı in dem aufdampfenden Abendnebel den Spielen ihres Tuftigen Hof» 
ſtaates zuzuſchauen. 

AUS der Major die Terraſſe betrat, glaubte er hier allein zu fein, 
wenigſtens bemerkte er Niemand, "md erft als er dicht vor der Brüs 
fung ftand, erblickte er in feiner Nähe einen Mann, der auf derjelben 
faß und den er bis jegt nicht bemerkte, da ihn einer der dicken Kaſta⸗ 
nienbäume verdeckt. — Da es nichts Seltenes war, hier Jemand ans 
zutreffen, fo befünmerte ſich auch Herr von Fernow nicht weiter darum, 
fondern lehnte ſich an einen der Bäume und blickte auf bie ſchatten⸗ 
haften Bufchpartieen zu feinen Füßen. Sein Nachbar auf der Brüs 
fung ſchien mit Interefje den Mond betrachtet zu haben, doch wandte 
er fein Gefiht dem neuen Ankömmlinge zu und begrüßte ihn durch 
böfliches Abnehmen des Hutes, ſowie durch den freundlichen Wunſch 
eined guten Abends. 

‚Herr von Fernow dankte und warf einen Bid auf den Dafipens 

‚ven. Es war ein anftändig geffeideter, junger Mann, mit hübſchen, 





Leuchtkäfer. 163 


einneßmenden Gefichtäzügen; er hatte den rechten Arm um das eiſerne 
Geländer gefhlungen, womit die Brüftung erhöht war, und da er ſei⸗ 
nerfeits num ebenfalls den Andern betrachtete, fo trafen ſich ihre Blicke 
und es war nichts Auffallendes darin, daß der junge Mann fagte: 
„Es iſt Dies ein fehöner Abend — vielleicht ein Vorbote des kommen» 
den Frühlings.” 

„In der That, ein angenehmer Abend,“ entgegnete der Major, 
und damit wäre die Unterhaltung wahrfheinlic abgebrochen gewefen, 
wenn nicht der Fremde gefehen hätte, daß der Andere feine ausgegans 
gene Cigarre mufterte und eben im Begriff war, dieſelbe über die 
Brüftung hinabzumerfen. 

„Bünfchen Sie vielleicht Feuer?" fragte er, und als der Major, 
durch die freundfiche Bereitwilligteit einigermaßen überrafht, darum 
bat, holte der Andere ein Meines Etui hervor und zündete ein Streich“ 
hoͤlzchen an, deſſen Flämmchen ſich bei dem ruhigen Abend kaum ber 
wegte. Herr von Fernow warf dad Hölghen, nachdem er es benupt, 
brennend über die Brüftung, und der Andere blickte ihm fich herab» 
beugend nad. 

„Es kam glimmend da unten an,” fagte er, „ed fah aus wie ein 
Xeuchtkäfer, und ich babe eine ungemeine Vorliebe für die Leuchte 
tafer.“ 

Dieſe Bemerkung machte den Major lächeln und er intereſſirte 
ſich für den gefälligen jungen Mann, der eine Vorliebe für Leuchtkäfer 
hatte. Auch ihm rief die Erinnerung an diefelben die Stunde eines 
warmen Matabends in's Gebähtnig, wo man nach der Tafel in den 
Gärten von Eſchenburg promenirte, und er ganz zufällig an der Seite 
des Fräulein von Ripperda einen Meinen Leuchtäfer erblidte, dem 
Beide zu gleicher Zeit aus dem Grafe aufheben wollten, wobei es denn 
tam, daß Hellenen's Tühles duftiges Haar feine heiße Wange freifte, 
und das ift eine der gefährlichften Berührungen, die es im Menfchen- 
teben gibt. Ihm war es, wie ein elektrifcher Funken in's Herz gefallen; 
es hatte ihn fo eigenthümfich berührt, daß er nachher Häufige, aber 


3 


164 Eilftes Kapitel. 


vergebliche Verſuche machte, wieder zu einer ähnlichen Berührung zu 
kommen. Leider fanden ſich nicht fo bald wieder Leuchtkäfer, und wenn 
er fpäter einen fah, fo war das fchöne Fräulein nicht in feiner Nähe. 

Bar es die Aeußerung des jungen Mannes über die Leuchtläfer 
oder die Gefälligkeit deffelben, ihm euer zu geben, was den Major 
veranlaßte, dem Fremden eine Gigarre anzubieten, genug, er that ed, 
und der Andere nahm fie zögernd an. Dabei war er von feinem Sitze 
anfgeftanden und hatte mit feinem Hut reſpeltvoll gedankt, 

Wenige Zeit darauf brannten beide Eigarren und Herr von Fer 
now, dem eö nicht merwünſcht war, feine mannigfaftigen Gedanten für 
den Augenblick verabfchieden zu fönnen, und ein wenig über gleichgüf- 
tige Dinge zu plaudern, ſehte ſich auf die Brüftung an die Seite feir 
nes neuen Bekannten. . 

Nun ift es nicht feicht, mit einem gänzlich fremden Menfchen ein 
Geſpräch anzufnüpfen, welches nicht ſchon den Keim des Todes in fich 
trägt, ehe es zum Leben gelangt. Verſuchsweiſe fagte deßhalb Herr von 
Fernow: „Alfo Sie Intereffiren ſich für die Leuchttäfer? Lieben viele 
feicht im Allgemeinen die Meine Thierwelt? Und find wohl, was man 
einen Infeltenfammler nennt?" 

„Mein, davor graut mir,“ antwortete der Andere, „Ich könnte um 
Alles in der Welt fo ein unfchuldiges Geſchopf nicht mit der Nadel 
durchſtoßen, wie fie e8 zu machen pflegen. Und dann hätte ja auch ein 
aufgefpießter Leuchttaͤfer durchaus feinen Sinn, Wenn er todt ift, hat | 
er Licht und Glanz verloren, und das tft eigentlich recht traurig.” 

„Ja, das iſt allerdings recht traurig,” pflichtete der Major bei, 
um das Gefpräc nicht einfchlafen zu laſſen. Aus demfelben Grunde | 
fragte er auch: „Weßhalb lieben Sie alfo die Leuchtkäfer? Ich hoffe | 
nicht, daß ich mit meiner Frage unbefheiden bin.“ 

Auf dem Gefichte des Andern zeigte fi ein trübes Lächeln und | 
er ſchwieg einen Augenblid, ehe er antwortete. „Wenn ich Ihnen das 
erzähle,“ fagte er, „fo werden Sie lachen; und es if auch vielleicht 
fhon oft vorgekommen.“ 


Leuchtkäfer. 165 


„Erzählen Sie, ich werde nicht lachen; wenn es aber in der That 
tacherlich wäre, und id) müßte alddann lachen, fo würden Sie e8 mir 
wohl auch nicht übel nehmen.“ 

„O gewiß nicht. — Kennen Sie den Kdnigsgarten 7" 

„SD ja, ih) kenne ihn.“ 

Aber Sie waren noch nie dort, wenn er ſchön beleuchtet ift und 
Abends die Mufit fpielt, kurz, bei einer italiäniſchen Nacht? Das if 
Tangweilig für die vornehmen Herren.“ 

„Ich bin kein vornehmer Herr.“ 

„Laſſen wir das meinetwegen gut fein. Ihre Cigarre iſt vortreffe 
id. Run alfo, in den Königegarten ging Ich früher Häufig, ich Hatte 
fo meine Intereffen dabei.” 

Ah! ich verftehet“ 

Natürlich, man ift jung, man ſucht, man findet. Genug, ich 
Hatte denn auch gefunden, ein fehr fchönes, junges und liebenswürdiges 
Mädchen. Es kommt das fehr häufig in der Welt vor, es wird Ihnen 
auch fchon paffirt fein, und ich erzähfe e® Ihnen nur, weil ed mit ben 
Keuchtkäfern zufammenhängt. Alfo wir hatten und gefunden, wie man 
fi fo findet. Wiffen Sie, eigentlich noch ganz ohne Abflht und 
Zweck. Wie fie gern nach mir fah und lieber mit mir tanzte, als mit 

„jedem Andern, fo war e8 auch bei mir der Fall. Weiter nichts. Da 
ſpazleren wir eined Abends vom Tifche ihrer und meiner Familie Bin 
weg, ich führe fie Durch den dumfeln Garten, und ba fehen wir auf 
einmal auf dem Boden zwifchen dem Grafe einen Leuhtkäfer glühen. — 
Bir büden und beide zu gleicher Zeit, um ihn zu fangen, und da 
freift fie mit ihrem fühlen Haar an mein heißes Geſicht. Es war 
das erſte Mal, daß wir uns fo nahe famen und e8 machte auf mich 
einen unbeſchreiblichen Eindrud. Bon da an war ich eine Zeit fang 
fehr glüctih. Sehen Ste,“ fuhr er nad einer Paufe fort, als fein 
Nachbar ſchwieg ; „das tft die ganze Geſchichte von den Leuchtkäfern. 
Und ſollten Sie das jept Tächerlich finden, fo mache ih mir am Ende 
nichts daraus, wenn Ste darüber lachen.” 


166 Eilftes Kapitel, 


Daß ber Major diefe Gefchichte nicht lacherlich fand, brauchen 
wir dem geneigten Lefer nicht zu fagen. Im Gegentheil, fie Hatte ihm 
fo außerordentlich überrafcht, daß er faſt ein gleiches Intereffe für den 
Grgäpter faßte. Es war ihm feltfam, fo zufälig mit Jemand zufams 
mengetroffen zu fein, der etwas Aehnliches erlebt, wie er,” und das 
Gleiche dabei gefühlt. Iept hätte er aber auch gern erfahren, wie ſich 
eine Liebe, gleich der feinigen beim Aublick eines Leuchtkäfers entftanz 
den, weiter enttwidelt, und um einen Verſuch zu machen, das Geſpräch 
über diefes Thema fortzuführen, fagte er: „Rum begreif ich freilich, 
weßhalb Sie ſich für die Leuchtfäfer intereffiren, und verftehe auch 
volltommen, daß es Ihnen ein höchſt angenehmes Gefühl macht, wenn 
Sie einen folhen glänzenden Punkt erbliden.“ 

„In der That, das hat mir lange ein großes Vergnügen gemacht,“ 
fuhr der Andere mit leiſer Stimme fort, „doch jeßt — —; aber das 
Tann Sie in der That nicht intereffiren !" 

* „Für ein paar einander gänzlich Fremde find wir da auf ein felt- 
fames Thema gerathen,“ fagte Herr von Fernow; „glauben Sie aber 
nit,“ fahr er in zutraulichem Tone fort, „daß id; unbefcheidener 
Beife Ihre Verhäftniffe erforfchen will, oder daß id; mir von Ihnen 
geben laſſe, ohne dafür etwas zurüdzuerftatten.“ 

Es war etwad in dem ganzen Benehmen des jungen Mannes, ja 
in dem Tone der Stimme, ſowie in der äußerft anftändigen Art, mit“ 
der er erzählte, was den Major zu ihm hinzog. „Wie ſchon bemerkt,“ 
fuhr der Ießtere fort, „es ift feine müßige Reugierde, die mich zu der 
Frage getrieben hat, denn aud mir iſt etwas ganz ähnliches paſſirt, 
ih habe die genauere Belanntfchaft eines fehr liebenswürdigen Mäd- 
Gens auf gleihe Art gemadıt.“ 

„Aber da waren die Verhäftniffe und ihre Folgen ganz anders, 
das Tann ich mir denken. Sie, mein Herr, gehören zu den Bevorzug- 
ten diefer Erde, Ihrer Liebe ftellte ſich nichts entgegen, Rang und nas 
mentlich Vermögen ließen alle Schwierigkeiten verfhwinden, und wenn 


Reudtläfer 167 


Sie jegt nicht fchon zum erfehnten, ſchoͤnen Ziele gefommen find, fo 
wird das doc in Kurzem gefchehen.“ 

„D, ich wollte, Sie hätten wahr prophezeit!" ſagte Herr von 
Fernow; „wie wollte id) biefer Stunde eingebenf fein und den glüd- 
Hchen Propheten gewiß nicht vergeffen.“ 

Das ſprach er fehr leife, faft wie zu fich felber, und der Andere 
ſchien auch tn der That diefe Worte nicht gehört, oder nicht verftanden 
zu haben, denn er fuhr fort: 

„Das ift Ihr glückliches 2008; während mich der Drud der Vers 
haͤltniſſe lange nicht auffommen ließ, und da dies endlich zu geſchehen 
ſcheint, andre Verhäftniffe mich wieder tief zu Boden drüden. Ja, 
Reichthum und Rang, ich Habe bisher nie daran gedacht, Andere darum 
zu beneiven; aber jeßt ehe id; Doch wohl ein, wie viel Teichter man 
mit ihrer Hülfe zu dem kommt, was wir Menfchen Glüd, ja Seligfeit 
nennen.” Er hatte bei biefen Worten feinen Arm auf das eiferne 
Geländer geftügt, den Kopf auf die Hand gelegt und blickte in das 
weiße, gligernde Stücken Mond, welches langſam zwiſchen den dunkeln 
Fähren niederfant, Nachdem er die Tepten Worte gefprochen, feufzte er 
tief und ſchmerzlich auf. ” 

Unten im Park begann eine Nachtigall wie fchüchtern ihr Liebed« 
Tied, und erft als die Sängerin gefühlt, daß Baum und Gras, Quell 
und Blüthe in tiefer, feierlicher Stille aufporchten, ſchlug fie ftärker und 
immer ftärfer, ſchmelzendet und immer ſchmelzender und jubelte endlich 
unter Lachen und Schluchzen ihr Lied Hinaus, ihr Lied ohne Worte, 
aber deutlich wie fein amderes redend von Liebesfeld und Liebedluſt, 
von Liebesſchmerz und von der Liebe hödjfter Seligkeit. 

Solch ein Wed dringt ans Herz, und wenn man das in ftiller 
Nacht hört, fo möchte man hinausjubeln fein Glück und hinausſchreien 
fein Leid an irgend einen Stern hin, an des Mondes bleiche Scheibe, 
an die duftende Blüthe, mie viel lieber an ein Menſchenherz, das benft 
und fühlt wie wir. 

Bewegt don dieſen Klängen fagte denn aud Herr von Fernow 


168 Eitftes Kapitel. 


zu dem unbefannten Rachbar, mit dem er faft willenlos Geheimniſſe 
tauſchte: 

„Bas Ste da reden von Rang und Vermögen, durch die Gtüd 
und Seligteit zu erfanfen wären, tft ebenfo unrichtig, als wenn Sie 
glauben, meiner Liebe Habe es genügt, daß ich wohl etwas von biefen 
Gütern befige. — — Vielleicht iſt es Ihnen tröftlich zu vernehmen, 
daß ich mich der Dame, die ich Tiebte, Tange Zeit faum nähern durfte 
und daß biefelbe jegt — die Braut eines Andern if.” 

„O!“ rief der junge Dann und fuhr aus feiner Stellung empor, 
„ſo find Ste alfo auch unglücklich? Das trifft fich eigenthümlich. 

„In der That feltfam,” entgegnete Herr von Fernow, und mußte 
Tächeln über diefes Zufammentreffen. Es entftand in dem Gefpräd 
eine Meine Paufe. Der junge Mann Iehnte ſich über die Brüſtung 
und fhaute in die Tiefe hinab, wo man jegt nur noch ſchwarze 
Schatten und faum fihtbar das Leuchten eined Wafferfpiegeld bemerkte. 

„Wie lieb ft es mir,“ fagte er endlich, „daß ich hier war, als, 
Sie, mein Herr, kamen. Mein Herz war fo'voll, o fo voll, daß es 
eine Wohlthat für mic tft, zu Jemand fprechen zu können, von dem 
ich überzeugt bin, daß er mich verfteht. Ich habe wohl Berwanbte, 
Freunde, aber die begreifen meine Verhältniſſe nicht, ihnen tft e8 viel 
feicht Tächerlich, was mein Innerftes zerreißt. Sie aber müffen mid 
verftehen; denn ich bin überzeugt, Ste kennen das, was man bie hohe 
Welt nennt. Sie find jung, vornehm, reich. Sie können mir Troft 
und Rath geben — nicht wahr, Sie find jung, vornehm und reich?“ 

Während er das fagte, hatte er feine Hände zufammen gelegt, und 
war dem Andern näher gerüdt, nur mit einer leichten Bewegung, aus 
welcher man aber fühlen fonnte, wie fehr es dem Sprecher darum zu 
thun war, daß feine Rede an das Herz des andern dringe. Ebenſo 
innig und anſchmiegend war der Ton feiner Stimme. b 

„Nach den gewöhnlichen Begriffen,“ beantwortete Herr von Fernow 
die Frage feines ſeltſamen Nachbars, „habe ich allerdings von den 
Eigenſchaften, die Sie eben nannten, und wenn mich diefelben befähi- 





Leuchtkäfer. 169 


gen, Ihnen einen Rath zu geben, ſo bin ich gern dazu bereit. Laſſen 
Sie mic, hören.“ 

„Bon biefen Eigenſchaften,“ ſprach der Andere nad} einer Paufe, 
„babe ich nur eine einzige. Ich bin jung. Aber ich befaß Muth und 
Kraft, um mir eine Laufbahn zu ſchaffen. Ich bin Künftler, war ein 
geſchictter umd geſuchter Holzſchneider, und kann das fagen, da ich 
voraus fhidte: Ich war es. Ein Unglädsfall laͤhmte mir die Fin» 
ger der rechten Hand, ich mußte mich nach einer anderen Befhäftigung 
umfehen und wählte die Photographie. Aller Anfang tft ſchwer, und 
wenn id} and; nicht viel zu thun Hatte, fo wurden doch meine Bilder 
gelobt, und ich konnte Hoffen, nach umd nach befannt gu werden. Das 
iſt eigentlich Nebenfache,” fuhr er nad) einem augenblicklichen Still» 
ſchweigen fort; „Rebenfachhe in der Angelegenheit, in welcher id} Ihren 
Roth zu Hören wünfchte; und doch gehört es wieder dazn, denn ich 
ernaͤhrte mit meinen photographiſchen Arbeiten nicht nur meine alte 
Mutter, fondern hoffte auch —“ 

„ah! id verſtehe,“ fagte Here von Zernow, der fehr aufmerkſam 
zuhdrte, „das Mädchen, welches Sie fiebten, hoffte ſehnlich auf Ber» 
größerung Ihrer Kundfdaft.” 

Ich glaube, dafs fle darauf hoffte,“ fuhr der Andere mit ſchmetz ⸗ 
licher Selbftüberwindung fort, „bis — nun ja,“ rief er faft Beftig, 
„bis fie fi eines Andern befann, und glauben mochte, fie fei zu gut 
und fhön, um bie Fran eines armen Photographen zu werden !“ 

„So nüpfte fie ein anderes Berhälmig an?“ 

„Ja,“ — antwortete der junge Mann nad einer Paufe, während 
welcher er mit fich ſelbſt zu kämpfen fehlen, ob er weiter ſprechen folle; 
‚ja, fie ift wenigftens im Begriff, eines anzufnüpfen, und das möchte 
ich hindern, wenn es irgend in meiner Macht fände.“ 

‚Herr von Fernow ſah ſich in einer eigenthümfichen Rage. Gr 
hatte es mit einem Verliebten, einem Giferfüchtigen zu thun, und 
wußte wohl, wie ſchwer es bei ſolchen tft, die richtige Anficht von ber 
betreffenden Sache zu erhalten. Daß der junge Mann unendlich litt, 


170 Eilftes Kapitel. 


daß es ihm ein Troft war, fih Jemand anvertranen zu können, das 
erfannte er daraus, daß er mit ihm, dem Fremden, über diefe Angele 
genheit ſprach. Es war wie eine Beichte, nach deren Ablegung er fein 
Gemüth erleichtert fühlen mußte. 

Wie fon bemerkt, Hatte der junge Mann zögernd des Verhält⸗ 
niſſes erwähnt. Als dies aber einmal gefchehen war, und als ihn der 
Andere mit fanften Worten aufforderte, ohne Ruchalt zu ſprechen, 
wenn ihm dies einen Troſt gewährte, fo erzählte ihn der Photograph 
feine ganze Liebet und Leidensgefchichte, wie glüdfich er gewefen fei 
in feiner Liebe bis plöplich fein Gehüffe, Herr Krimpf, ihn auf ge 
wife Vorgänge am Fenſter aufmerffam gemacht und wie er die An 
Hage beftätigt gefunden. 

„Und wer ift Her Arimpft fragte der Major. 

Die Schilderung, die der Photograph auf dieſe Frage von dem 
Weſen feines Gehülfen entwarf, war fo iebendig und treffend, daß 
der andere ihm vor fich zu fehen glaubte und daß ber Zuhörer, trog 
der Bemühungen des Erzählerd, den guten Eigenfchaften des Herm 
Krimpf Gereihtigfeit widerfahten zu Iaffen, doch auf ganz eigenthünz 
liche Vermuthungen gerieth. „Und wiffen Ste, wer der Herr im gegen- 
überltegenden Fenſter ift?" fragte Herr von Fernow. 

„Ein Kammerhert St, Hoheit des Regenten, ein Herr Baron von 
Wenden,“ antwortete der Photograph. 

„Alle Teufel!“ entfuhr e8 dem Major, indem er von feinem Sipe 
faft im die Höhe gefprungen wäre, Obgleich er figen blieb, fo entging 
doch die Betvegung, die er machte und der Airruf des Erftaunens dem 
Andern nicht. 

„Sie tennen ihn?“ fragte er beforgt. „Ste kennen ihn vielleicht 
fehr genau, und am Ende that ich Unrecht, darüber zu fprechen.“ 

„Und wenn ed mein Bruder wäre,“ entgegnete eruſt Herr von 
Zernow, „fo würde ih, nachdem Ste mir Ihr Geheimniß anvertraut, 
auf Ihrer Seite ftehen. Aber fein Sie unbeforgt, ich kenne Herm 
von Wenden gut, ich fenne ihn fogar recht genau, und bin daher wohl 


Leuchttkaͤfer. 171 


dar Stande, Ihnen einen Rath zu ertheilen. Nur muß ich In dieſem 
Falle bitten, ohne Rüdficht zu fprechen, und mir auch nicht die kiein⸗ 
Ren Umftände zu verſchweigen, die in den Iepten Tagen vorgefallen 
find,“ 
Das that der Photograph, aber was er zuerft erzählte, drehte ſich 
immer um benfelben Punkt, daß fie am Feuſter ftand und hinüber 
blickte, daß er das Gleiche that, und Zeichen gab. ALS aber der Er- 
zaͤhler darauf zu dem gelungenen Portrait kam, das er von dem Mäds 
hen gemacht, und daran nüpfend der beiden Herren erwähnte, die auf 
fo geheimnißvolle Art bei ihm erſchienen feien, da wurde die Aufmerk 
famteit des Majord, welche diefem bis jegt die Theilnahme für den 
jungen Mann eingeflößt, auf einmal ganz anderer Art. Er ſchaute 
vorſichtig umher, und beugte ſich dann gegen feinen Nachbar, um fein 
Wort von der leifen Schilderung zu verlieren, welche biefer ihm von 
den beiden Herren entwarf. Die Heine, lebendige Figur mit dem forcirt 
jugendlichen Wefen, mit dem ewigen, feltfamen Lächeln, mit dem wuns 
derfichen Gange und der zudenden Bewegung der Hände war fofort 
entdeckt: Baron Rigoll, wie er feibte und lebte. Die fernere Erzählung 
des Photographen, daß er fpäter die beiden Herren an dem gegenüber 
tiegenden Fenfter bemerkt, machte bie Entdedung zur Gewißheit. Aber 
wer konnte der andere Herr fein? Der Regent, nach der ehrerbietigen 
Art, wie er von dem Varon Rigoll behandelt ward? Unmäglic, jer 
doch! Was follte diefer davon haben, ſich im Geheimen photographiren 
zu laſſen? Das hatte feinen Sinn. Ber alfo konnte es fein? Das 
Einfachfte war auf alle Fälle, den Photographen nach Haufe zu ber 
gleiten, und fi eine Gopte der beiden Köpfe zeigen zu laſſen. Er 
nahm ſich vor, ihm fpäter diefen Vorſchlag zu machen, doch theils ger 
trieben von der wirklichen Theilnahme, welde er für den jungen Dann 
gefaßt, theils auch, um das große Interefie nicht zu verrathen, dad er 
an den beiden geheimmißvolfen Herren nahm, überlegte er einen Augens 
bfid, was in der Sache zu thun ſel. Baron Wenden war nicht uns 
gefäprlich; doch da ihm in allen Dingen Entſchloſſenhelt und Energie 


172 Eilftes Kapitel. 


fehlte, und er, ſtatt fein Biel durch ein gerades Darauflosgehen zu er⸗ 
ringen, ed liebte, feine Fäden langſam zu ziehen, wie die Spinne fein 
Opfer nad) umd nad) zu umgarnen, es zu ermatten, bis es zu fernerem 
Widerſtand unfähig in feine Nepe fiel, fo wurde der Kammerherr, 
wenn ed einmal nöthig war, einen feden Schritt zu thun, Teicht plump 
und täppifch. Darauf baute Herr von Fernow feinen Plan. 

„Es ift eine delikate Sache,“ ſprach er nad) längerem Nachfinnen, 
„und für einen Dritten ſchwer zu rathen. Sind oder waren Sie we 
nigftend von ber Liebe des Mädchens zu Ihnen überzeugt? 

„Ob ich es war!” antwortete der junge Mann. „Wie fie mir, 
fo war ich ihr Alles. Sie hatte feinen andern Gedanken ald für mich 
and ihr Glüd.“ 

‚And das Mädchen lebt bei ihrer Mutter?" — „Reider, leider!" 
— „Died Leider! beweist mir, daß ich richtig vermuthe. Das Mäd- 
hen ift fchön, die Mutter eitel; es fehmeichelt ihr, wenn ſich ein vor⸗ 
nehmer Herr, wie fie e& nennt, um ihre Tochter bewirbt.“ 

„So i 68," feufgte der Photograph. 

„Die Mutter protegtrt die Gefchichte mit dem Gegenüber, — ja 
die Sache ift nicht ohne Bedeutung.“ 

„O, ſie ift fehr ſchmerzlich. Ich kann es nicht ertragen und werde 
darüber zu Grunde gehen.“ 

„Geduld,“ antwortete Herr von Fernow mit ermunterndem Aus 
druck, „man geht nicht fogleich zu Grunde, wenn man den Kopf 
oben und die Augen offen behält. Wir müfjen fehen, wie zu Helfen iſt.“ 

„Wenn es ein guter Augenbfid gewefen wäre, daß ich Sie hier 
getroffen!“ fagte der Andere im herzlichften Tome. 

„Bielleiht ein Augenblid des Gfücs für uns Beide,“ verfehte 
fächelnd der Major, indem er an bie geheimnigvollen Photographien 
dachte. „Armer Wenden,“ ſprach er zu fich felber; „ich fürchte, dir 
nochmald in die Quere zu fommen; ed war unprophetifch von bir, 
mir deine Theorien fo zuverfihtlich auseinander zu fegen — doch zur 
Sade. Er wandte fi abermals an feinen Nadbar, „Bor allen 





Reuhttäfer. 173 


Dingen muß ich wifen, von welchem Charakter das junge Mädchen 
iſt. Verzelhen Sie mir die peinliche Frage: Halten Sie fie in der 
That für fähig, fih in ein Verhältniß einzulaſſen, das durch Zeit und 
Umftände gefährlich werden Könnte?“ 

„Wenn ich das zugäbe,“ entgegnete der junge Mann, „fo müßte 
ich ja der Anficht fein, fie liebe mich nicht mehr, und das kann und 
will ih nicht. Ich will und muß vieles von der Schuld, die fie viel 
leicht Hat, auf die Ginflüfterungen ihrer Mutter werfen. Ste wiſſen 
wohl felbft, was eine tägliche Umgebung vermag. Die Eitelteit, von 
einem vornehmen jungen Manne beachtet zu werden, mag aud das 
Ihrige dazu beigetragen haben. Rofa beredinete in ihrer Unſchuld 
nicht, was unter ſolchen Verhäftniffen ein Blid des Auges, ein Zeichen 
zu bedeuten hat. — Aber vielleicht hat fie jept ſchon den Abgrund zu 
ihren Füßen erkannt, und iſt ſchaudernd davor zurüd gewichen.“ 

„Das iſt möglich,“ fagte Herr von Fernow in ruhigem Tone, 
‚und dann wäre es am Ende unndthig, Ihnen in Ihrer Angelegenheit 
zu rathen.“ 

„Dennoch fürchte ich wieder, es iſt nicht unnöthig!“ rief der 
Andere, „Den ganzen Tag werfe id das Zür und Wider in meinem 
Kopfe herum.” 

„So beantworten Sie mir eine andere Frage, Hat dad junge 
Mädchen einen energifchen, feften Eharakter ? Iſt ihr Gemüth weich, 
hingebend, ober ſtolz und zurücditogend?“ 

„D eher das feptere, und das hat mich fo unfäglich zu ihr hin⸗ 
gezogen.” — „Sie ift noch fehr jung?“ — „Zwei und zwanzig Jahre.“ 
— „Sie ift alfo heiter, offen, febhaft, feiner von jenen ftillen Charak- 
teren, die nur um Alles in der Welt den Schein meiden mögen, die 
beftändig die Augen niederſchlagen, fo bald fie ſich bemerkt fehen, die 
dagegen feſt zu blicken wiflen, fo bald fie fi} unbeobachtet glauben?" 

Ob ſie heiter und offen und ehrlich ift! Aber etwas heftig, wenn 
man fie reizt, und fie kann leicht gereizt fein.“ 

„Bohlan denn, fo fein Sie Mug und fehen Sie vor der Hand 


174 Eilftes Kapitel. 


nicht was am dieffetigen oder jenfeitigen Fenſter vorfällt. Bekümmern 
Sie fi) gar nicht darum, ob der drüben irgend welche Schritte thut. 
Das zu erfahren ſei meine Sache.“ 

„O ich danke Ihnen.“ 

„Keinen Dant, bis wir zu einem guten Ende gefommen find. — 
Bie gefagt, halten Sie fi ganz ruhig. Sollte Gefahr vorhanden 
fein, fo werde ih Ste zu benachrichtigen wiflen. — Alſo Ihr Atelier 
iſt vis-a-vis dem Hinterhaufe?" 

„Heinrich Böhler im Aten Stod, Pfahlgafle No. 4.” 

„Ich werde mir's merken, und Ihnen vielleicht morgen einen Bes 
ſuch machen. Sollte ich das Zimmer verfehlen und ein Stockwerk 
tiefer anfangen, wo — Sie verftehen mich — fo darf Sie das nicht 
wundern. Ich babe vielleicht meine Gründe dabei. — „Apropos,“ 
fegte er nach einem augenblicklichen Stillſchweigen hinzu, „wenn id) Sie 
beſuche, Fönnten Sie mir einen Gefallen thun. Es wäre mir interefr 
fant, die Portraitd jener beiden Herren zu fehen, die fih vor einigen 
Tagen, wie Sie mir erzähften, bei Ihnen photographiren ließen.“ 

„Bas das anbelangt,” fagte faft erſchrocken der Photograph, „fo 
bin ich in der That troffos, Ihnen nicht dienen zu nnen. Sie 
werden mir beipflichten, daß ich Alles aufbieten muß, um den Wün- 
fen meiner Kundfchaft entgegen zu fommen, Nun hab’ ich aber den 
beiden Herren nicht nur verfprechen müflen, feine weiteren Gopien von 
den Bildern zu machen, fondern auch die Glasplatten nach dem erften 
guten Abzug augenblicklich abzufchleifen. Ich bin im der That uns 
glucklich, Ihnen den Heinen Dienft nicht Teiften zu fönnen. Aber da 
id) mein Wort gab, muß ich“ halten.“ 

Daß der Andere ärgerlich mit dem Fuße auftrat, und eine fehr 
unmutSige Geberde madhte, Tonnte der junge Mann nicht fehen, da es 
völlig dunkel geworden war; auch zudte Herr von Fernow ein paar 
Mal verdrleßlich mit den Achſeln, worauf er jedoch gelafien fagte: 
„Allerdings, fein Wort muß man halten. Auch ändert das its in 
unferer Angelegenheit. Sie haben mir Ihr Vertrauen geſchenkt, ich 


Leuchtkäfer. 176 


werde es nicht mißbrauchen. Hier nehmen Sie meine Karte, damit 
Sie auf alle Fälle wiffen, mit wem Ste es zu thun gehabt.“ 

Der Photograph ftredte feine Rechte darnach aus und als er mit 
der Karte zugleich den Finger des Unbekannten berürte, geiff er mit 
beiden Händen darnach und drüdte fie herzlich und innig, indem er 
fagte: „Wie danke ih Ihnen für die Freundlichkeit, die Sie mir ere 
zeigt. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es war ein unerffärliches Ges 
fühl, welches mich antrieb, mit Ihnen zu fprehen, als Sie auf die 
Terraffe traten. Ste hatten für mich fo viel Zutranen Erweckendes 
und es war gerade, als fpräde es in mir: Das tft ein Mann, der dir 
zu rathen umd zu Helfen vermag. Wahrhaftig,“ fuhr er mit Wärme 
fort, „wenn unfer Geſpräch ſich nicht auf fo überrafchende Art von 
felbft dahin gewandt Hätte, ich wäre im Stande gewefen, mich Ihnen 
geradezu zu entdecken.“ 

„Ich danke Ihnen für die gute Meinung,“ verſetzte der Major, 
„und glaube Ihnen verfihern zu fönnen, dag Ste an feinen Unrechten 
gefommen find. Aber gehen wir, es ift Nacht geworden.” 

Und fo war es in der That. Die Nahtigall war längft vers 
Rummt, der Mond war zwiſchen den ſchwarzen Fähren verſchwunden, 
der Himmel ſtrahlte nicht mehr im Widerglanz der untergehenden Sonne, 
fondern hatte ein tiefes glänzendes Blan’angenommen, auf dem mit 
jeder Sekunde mehr und mehr plotzlich auffenchtender Sterne hervor» 
ſprangen. Die Nacht fanf nieder und in ihrem Gefolge tiefes, feier⸗ 
liches Schweigen, nur von den Schritten der beiden Dahinwandelnden 
unterbrochen, 


Der Augenblick des Glücks. 


Bweiter Theil, 


Hadtänders Bere. XXL 12, 


Zwölftes Kapitel: 
Ein frenndfchaftliches Zonper. 


Am Hauptgitter, welches den Park von der Straße trennte, wen⸗ 
dete fich der Photograph mit nochmaligem Danke links der Stadt zu, 
während der Andere auf das Schloßgebäude zufchritt, und durch eine 
Heine, ihm befannte offene Thür in dad Innere trat. Es mochte acht 
Uhr fein, Gorridord und Treppen waren Hell beleuchtet, die Poften 
ſchritten gleihförmig aufund ab, und Herr von Fernow begegnete, wäh« 
rend er durch das Gebäude fehritt, Teinem Bekannten. Nur bie und 
da glitt ein Bedienter eiffertig vorher, Die Zubereitungen zum The 
oder Sonper für irgend eine Hofdame tragend, 

Aus dem Hauptportal trat der Major auf die große mit Drane 
genbäumen befegte Terraffe, von wo aus man die ganze Stabt über 
ſehen fonnte, und von wo aus man auch rüdwärts bfidend, die Zims 
mer der Pringeffin Eliſe fah und über denfelben bie Fenfter, welche zur 
Wohnung des Fräuleins von Ripperda gehörten. Xeptere waren matt, 
die erfteren heil beleuchtet. Herr von Fernow wandte fich mit einem 
langen, innigen Blick den letzteren zu und dachte feufgend: — „Wer 
da einen Vorwand hätte, um mich mur auf einen Augenblid eintreten 
laſſen zu dürfen, nur einen Augenblid, nur um fle zu fehen, wie fie 
vieleicht in irgend einem Fauteuil ruht, den Kopf verfiohlen auf die 


180 Zwölftes Kapitel 


Hand fügt, und an dies und das dent, — D, au bied und das! 
Wer ift wohl fo glüdfich, das Dies und Das zu fein?" — Es war 
Furt vor zu großem Glüd, daß er alfo dachte, und in dem andern 
Angenbtid, als er wohl fühlte, daß fein Herz heftiger ſchlug, wagte er 
fich zu geftehen, daß er wohl felbft das Dies und Das wäre, und 
daß ein Mädchen wie Helene, nachdem fie ihm einmal geftanden, fie 
Liebe ihn ein wenig, warm und innig an ihn denke. — Ja, er war 
glüdlich; denn, wie mußte der geliebt fein, dem dies ſtolze energiſche 
Mädchen, wenn auch mod fo flüchtig die Hand gebrüdt. Und das 
hatte fie gethan. Ja, an jenem Abend und geftern abermals, als er 
fie in den Wagen gehoben. Auf das hin fam Fernow die eigene Hand 
wie geweiht vor, und er betrachtete fie lange und aufmerfam und 
Hüßte die Stelle, wo ihre Finger gerußt. Zu gleicher Zeit hob er bie 
alfo gefüßte Hand empor und winkte damit ein Mal, zwei Mal, drei 
Mal zu den erleuchteten Fenſtern. Ob fie das fühlte? Wir glauben 
faſt; denn wir glauben an die Kraft jener allgemaltigen Liebe, die in 
einem geheimnißvollen Rapport fteht mit ihrem Gegenftande, die es 
fuhlt, ohne e8 zu fehen, wenn das Auge des Geliebten auf ihr ruht, 
‚oder wenn er in der gleichen Sekunde, wie fie, mit glühenden, hinges 
benden Gedanken ſich in den Anblid der glänzenden Mondſcheibe vers 
fentt, oder in das Flimmern irgend eines Sternes, den beide bei einer 
andern Gelegenheit gefunden, als fie neben einander ſtanden, ſich leiſe 
mit der Hand berührend, fo leicht und feife, da die Finger felbft es 
nicht merkten, und nur das Herz in lauten Schlägen davon ſprach. 
Dergleichen für Manchen wenig verftändliche Gebanfen beſchäf⸗ 
tigten ben jungen Offizier, als er hinter einer Reihe der mächtigen 
Drangenbäume, Häufig rüdwärts bfidend, der breiten Rampe zufchritt, 
die auf die Straße binabführte. Mit einem Male blieb er flehen, 
denn er vernahm vorfichtige Schritte und leiſes Sprechen. Er wußte 
nit warum er ftehen blieb, er hatte durchaus nicht die Abſicht zu 
lauſchen, ihm fam nur der Gedanke, es fei befier von den Heraufftei- 
genden bier unter ihren Fenſtern micht gefehen zu werden. Sie 


Ein freundſchaftliches Sonper, 181 


tauchten inbefien am Rande ber Terraffe auf: ein großer Mann in 
Ziorse, ein Heiner in gewöhnlicher Kleidung. 

„Vielleicht tft die Sache von gar feinem Belang,“ fagte der in 
Livroͤe mit gebämpfter Stimme, doch Hang jedes Wort dur die Stille 
der Nacht vernehmlich an das Ohr des Dffizierd; „aber ich bin dank⸗ 
bar für Eure Aufmerfamkeit, Die Livrde, die der Bediente anhatte, 
war alfo feine Hoflivree *" 

„Rein,“ ſprach der Andere, „es war Grün mit Gold.” 

„Hm, hm! Grün mit Gold,“ wiederhofte der Erſtere. „Und die 
Beiden thaten geheimnißvoll?“ 

„Sehr, fonft wäre es und am Ende gar nicht aufgefallen. Wenn 
man feine Abſicht dabei hat, fo befiehlt man nicht fo beftimmt, dag 
von einer Photographie nur Ein Abzug gemacht und die Glasplatte 
alsdann vernichtet werben fol.“ 

„Bas it das" dachte der Major und ſchenlte jept dem Gefpräch 
der Beiden feine gefpannte Aufmerkſamkeit. 

„Den Einen der Herren,“ fuhr der Meine Mann fort, „habe ich 
öfter gefehen. Es ift ein Herr bei Hofe; der Andere aber muß ein 
Fremder fein. Ich kenne ihn nicht.” 

„Aber warum bringt Ihr die Geſchichte erſt Heute?“ 

„Weil ich erft geftern Zeit fand, die beiden Bilder mit der Ma- 
ſchine nochmals zu copiren. Er hatte ja felbft die Glasplatten abge 
ſchliffen; aber wenn Ihr glaubt,“ ſetzte er in gleichgüftigem Tone hin 
zu, als der Andere ſchwieg, „die Sache Habe feine Bedeutung, fo lafien 
wir's bfeiben.“ 

„Ich glaube faum, daß fie viel nügen wird, denn ich habe eine 
Ahnung, was es fein ann. Wißt Ihr, Lieber Freund, wir draußen im 
Vorzimmer fehen mehr, ald man weiß, und ich glaube, Euch fagen zu 
tönnen, daß der Kammerbiener Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin die 
erften Abzüge der beiden Portraits, die Ihr da Habt, heute Morgen in 
Händen hatte,“ 

„Nur die allein?“ fragte lauernd der Andere, 


182 Zwoͤlftes Kapitel, 


— „Mein, e8 war aud noch ein Drittes dabei, das eines fchönen 
jungen Mädchens,“ 

„So ift e8 daſſelbe!“ rief der Meine Mann faſt unmuthig. „Run 
ich habe meine Schuldigkeit gethan.“ 

„Das Habt Ihr auch, lieber Freund;“ entgegnete der Lafai, im 
Tone eined Befhügers, „und der Herr Kammerbiener wird Euch dank⸗ 
bar dafür fein. Es iſt für und nothwendig, Alles zu erfahren, was 
auf den Hof Bezügliches draußen in der Stadt vorgeht. Ich will 
jept hinauf und es melden, bleibt unterdefien hier, bis ich zurüd- 
fomme.“ 

„Aber, laßt mich nicht zu lange warten.“ 

„Unbeſorgt, follte ich tm Augenblid nicht felbft abtommen können, 
ſo ſchicke ih Cuch Jemand, dem Ihr die Dinger ohne Weiteres übers 
‚geben konnt.“ 

Damit entfernte ſich der Lakal und der Andere blieb am der 
Rampe ſtehen. Wer anders konnte der Wartende fein, als Wöhler’s 
GeSülfe, fagte ih der Major. Wie Hatte ihn der Photograph doch 
genannt? Herr Krimpf glaubte er, und wenn er feine fharfen Augen 
anftrengte, um jene Figur zu betrachten, die ſich dort auf dem Rande 
der Terraffe ziemlich deutlich abzeichnete, jo war gar fein Zweifel, die 
zufammengefrümmte Meine Geftalt war genau dieſelbe, die ihm der 
Photograph beſchrieben Hatte] 

Die eiligen Schritte des Lakaien waren unter dem Hauptportale 
verfiungen, Hier mußte ein Entſchluß gefaßt werben. „I es Recht 
von mir,“ fragte fih der Offizter, „wenn ich den Verſuch mache, die 
Photographien in meine Hand zu befommen? Ja, nachdem die Art 
des Verſuchs wäre. Mit Beſtechung oder meinetwegen mit Gewalt? 
Aber, wenn id} mich als den barftellte, der fie abholen fol! — Die 
Wolle eines Bedienten übernehmen? Pfui Teufel, das wäre ordinatr! 
Eine Art von Betrug begehen? — Doch nein, es fönnte vielleicht 
nicht fo angefehen werben. Wenn ich jenem die Photographien abs 
nehme, fo bin ich am Ende im Rechte, denn Krimpf befigt fie wider⸗ 


Ein freundfhaftlihes Souper. 183 


rechtlich nach der eigenen Ausſage. Weberhaupt gelten in dem Kriege 
bier alle Mittel, — nur nicht die gemeinen, nein. Aber geſchehen 
muß etwas. Was geht vor? was iſt's, was Lakai und Kammer« 
diener der Prinzeffin bei Nacht und Nebel verhandeln? — Es iſt die 
Gegenpartel, es ift meine Schuldigfeit, der des Regenten die Stange 
du haften. Bielleicht machen wir eine wichtige Eutdeckung, vielleicht 
ift dies abermals — ein Augenblid des Glüds.“ 

Als der junge Offizier fein Selbftgefpräch beendigt hatte, ver- 
nahm er wieder fi nahende Schritte umd gleich darauf fehrte der 
Rafai zurüd, Jept galt es. Entweder Herr Krimpf übergab die Phor 
tographien, dann mußte man dem Lafaien in’d Schloß folgen und fie 
ihm mit Güte oder Gewalt abdringen. Doch war dies ein mipliches 
Unternehmen, vielleiht war die Sache von gar feiner Wichtigkeit, und 
dann konnte man in einen üblen Conflict mit der Pringeffin gerathen. 
— Achtung! Vielleicht ift das Glück günftig. 

Der Lakai hatte jegt den Rand der Rampe erreicht, wo ihm der 
Andere ſogleich entgegentam. „Run, wie ift’8,“ fragte diefer. 

Gerade fo, wie ich gedacht,“ antwortete der Kakaiz „ed find dies 
felben Photographien, die wir bereits fennen. Die Sache hat nichts 
auf fihs da fle aber verſchwiegen werden muß, fo tit es am beiten, 
die Photographien zu vernichten.” 

„Da habe ich mic alfo umfonft geplagt,“ entgegnete mürriid) 
Herr Krimpf. 

„Umſonſt nicht,“ fagte der Andere, „man thut bei Hofe nie etwas 
umfonft. Ich werde Euch morgen aufjuhen, und da wollen wir die 
Sache arrangiren, daß Ihr zufrieden fein werdet,“ 

„Morgen alſo,“ hörte man den Meinen Mann fagen, und der 
Ton, mit dem er das ſprach, Mang gerade wie der Ausdruck einer ges 
ſcheiterten Hoffnung. 

„Gewiß!“ betheuerte der Lafal, „und was die Photographien 
anbelangt — —“ 

„So werde ic} fle vernichten, darauf könnt Ihr Euch verlaſſen.“ 


184 Zwölftes Kapitel, 


Ware es nicht beffer, wenn daß Bier gleich auf der Stelle ger 
+ fchähet“ mahnte der Lafai, 

„Daß man morgen früh die Stüde davon fände!" verfepte 
Krimpf. „Nein, nein, id will das anderwärtd beforgen, Nur ver⸗ 
geßt mich morgen nicht.“ 

Keinenfalls!“ verfegte der Rafai, und man wünfchte fih „gute 
Nacht.“ 

Der Lafai ging in's Schloß zurück, und Herr von Fernow mußte 
warten, bis er unter dem Hauptportal verſchwunden fein würde, fo 
gern er auch fogleih dem Andern nachgeeilt wäre, Er mußte noch 
bazu ziemlich fange warten, denn ber verfluchte Latat fchien ein Liebe 
haber von Drangenblüthen zu fein. Er zupfte ein paar fehr hübſche 
ab, und dies gerade an dem Baume, hinter welchem ber Offizier ſtaud. 
Freilich Hatte diefer dabel den Vorteil, das Geficht des Undern genau 
zu fehen, was auch nichts ſchaden fonnte, um ihn in irgend einem 
Falle wieder zu erfennen. Es war das ein dummes, aufgeblafenes 
Geficht, und als der Lakai fo feinen dicken Kopf mit der langen Rafe 
und den großen Ohren zwiſchen die füpduftenden Blüthen ftedte, gab 
er ein Bild wie der Efel, der Rofen ftißt. So befand er fi ein 
paar Sekunden lang in fehr gefährlicher Nähe der zudenden Finger 
des jungen Majord. — Es iſt eigentlich ein Troſt zu nennen, daß 
der Menfch nie weiß, wie nahe ihn Gutes oder Böſes umſchwebt. 

Endlich war der Lakat im Schloffe verfhwunden und Herr von 
Fernow eifte an den Nand der Terrafle. — Die Rampe, die auf den 
Schloßhof führte, war lang, ebenfo diefer felbft. Niemand dort zu 
fehen. Bon dem großen Plage liefen vier Straßen aus. Mit feinem 
ſcharfen, geübten Blicke hatte der Major die Mündungen derſelben 
Überfhaut. Der Eingang zu drelen derfelben war feer, in ber vierten, 
gerade unter der Gaslampe fchob fih eine Geftalt dahin, — eine Heine 
Geſtalt, ja, er war ed. 

In wenigen Sägen fprang Herr von Fernow die Rampe hinab. 
Ber ihn über den Schloßplag hätte laufen fehen, müßte irgend ein 


Ein freundſchaftliches Souper. 185 


großes Ungfäd vermuthet haben, das im Schloſſe geſchehen wäre. 
Jept erreichte er die Straße, in welcher der muthmaßliche Herr Krimpf 
verſchwunden war. Ein Blick Hinein ließ fie ihm in ihrer bedentenben 
Zänge als ganz leer erfcheinen. Doc; nein, dort bewegte fih etwas auf 
dem Trottoir. Herr von Fernow hätte felbft lächeln mögen über bie 
außerordentliche Anftrengung, die er machte, um vorwärtd zu fommen, 
und babei hatte er ſich noch in Acht zu nehmen vor den Renten, die 
ſich der Nachtluft am den offenen Fenftern ihrer Häufer erfreuten. 

Ja, es war die Meine verwahrloste Geftalt, die er auf der Terrafie 
gefehen, 8 war Herr Krimpf, der glüdficherweife nicht fehr eilig mur 
noch wenige Häuferlängen entfernt vor ihm herging. 

Daß Herr von Fernow ſcharf nach ihm blickte, kann man fich 
leicht denken. Er fürdtete bei jeder auffallenden-Bewegung , die der 
Meine Mann mit den Armen machte, und dergleichen Bewegungen 
kamen Häufig vor, jept werde er in feine Taſche greifen, die Photor 
graphien Hervorziehen und fie zerreißen. In dem Kalle aber war der 
Dffizter entſchloſſen, fo fäuberlich ala möglich über ihn herzufallen, ihm 
die Blätter abzunehmen und ihn daranf fürſtlich zu belohnen, 

Aber Herr Krimpf zog die Blätter nicht aus der Taſche. Wohl 
ſchlenkerte er mit feinen Armen hin und her, wohl hob er fie zuweilen 
zuckend gegen fein Geſicht, aber dabei blieb es vorberhand. Noc eine 
Zeitlang ging er gerade aus, zuweilen einen Augenblick vor einem 
Xaben ftehen bleibend, zuweilen fogar fih halb umwendend, als wolle 
er einen andern Weg einfhlagen. — Sept bog er rechts in eine Sei« 
tengaffe und der Offizier beeilte fi, ihm nachzukommen, damit er ihm 
nicht in irgend ein Haus eutſchlüpfe. — 

Doch war diefe Befürchtung unnöthig. Here Krimpf ſchien weder 
die Abfiht zu haben, einen Beſuch zu machen, nod; überhaupt fehr 
eilig zu fein. Denn jept in ber fhmalen Gaſſe angekommen, ſchlen⸗ 
derte er dahin, wie Jemand, der feine Zeit auf irgend eine Weiſe 
tödten will. Ia, er blieb hie und da fo plöplich und Iange vor einer 
befeuchteten Boutique ftehen, daß der Andere alles anwenden mußte, 


186 BZwölftes Kapitel. 


um durch fein Zurudcbleiben fein Aufſehen zu erregen. Endlich aber 
hielt es der Major an der Zeit, einen Entfhluß zu faſſen. Herr 
Krimpf konnte noch flundenfang fo fort promeniren wollen, und das 
wäre denn doc gar zu langweilig gewefen. 

Schon vorher hatte der Major einiged an feiner Toilette geän- 
dert, das heißt, er hatte dem leichten Paletot, den er über dem rad 
trug, fo unordentlich als möglich zugekndpft, feine Handſchuhe ausge ⸗ 
zogen, und bie Friſur feines elegant gerollten Haares durch ein haſti⸗ 
ges Durchfahren mit der Hand fo viel ald möglich verdorben. 

Als nun der Meine Mann vor einem Birtualienhändfer , der beim 
Glanze einiger Gaslichter feine Waaren recht appetitlich auögelegt 
Hatte, flehen blieb und angelegentfich, wenn auch mit etwas düftern 
Blicken, die faftigen Schinken, die Würfe in allen Formen, Farben 
und Größen, fowie den zterlichen Schweinskopf betrachtete, auf dem 
eine angenehme, häusliche Scene aufs Schönfte mit allerlei Fett ins 
eruftirt war, ſchien es dem Andern der günftige Moment für die Aus⸗ 
führung feines Plans zu fein. Er trat fo dit an Herrn Krimpf 
heran, daß biefer ſich nothwendig umwenden mußte, und ald er dies 
that, füftete der Major den Hut und fagte mit angenehmer Stimme : 

Sie verzeihen wohl die Frage, if vieleicht mit dieſem Laden 
eine Reftauration verbunden, in der man einen guten Nachtimbiß zu 
fi nehmen kann?“ J 

Herr Krimpf blickte einigermaßen mürriſch auf den Prager, dann 
zeigte er mit der Hand auf das transparente Schild über der Haus 
thür, auf dem deutlich das Wort Reftauration- zu leſen war. 

„Verzelhen Sie, das habe ich nicht geſehen,“ ſprach der Andere 
verbindlich; „ſonſt Hätte ich Ste durch meine unnöthige Frage nicht 
aufgehalten.“ ” 

„D, aufgehalten haben Ste mich gerade nicht,“ antwortete ber 
eine Mann, „meine Befchäftigungen in diefer Stunde find nicht 
groß, ich fpagiere fo zu meinem Vergnügen herum,“ 

„Das ftellt mid) in der That zufrieden,” fagte der Andere, „und 


Ein freundfhaftlihes Souper. 187 


fo will ich denn verfuhen, was Küche und Keller in der Reftauration 
vermögen.“ Here Krimpf machte ein Geſicht als verfpüre er große 
Luſt zu einem ähnlichen Verſuche. 

„Ich will doch geſchwind fehen, welche Zeit es ift,“ fagte der 
Major. Damit Mnüpfte er feinen Paletot auf, zog die Uhr hervor, 
und fuhr fort: „Acht Uhr! noch gar nicht ſpät.“ Da er hiebei that, 
als braude er zum Auffnüpfen des Paletotd und zum Hervorziehen 
der Uhr beide Hände, fo erſchien es ganz natürlich, daß er feinen feinen 
Spazierftod auf die Brüftung des Hellerleuchteten Ladens legte. Daß er 
ibn vergaß, nachdem er bie Uhr mieer eingefäohen, hate and gerabe 
nichts Auffallendes und konnte Jedermann yaffiren. 

„Nochmals herzlichen Dank,“ fagte er alsdann und eilte fo ſchuell 
ex onnte, in das Haus hinein. 

Bir önnen nicht verfhweigen, daß Herr Krimpf in diefem Augens 
blick feufgend an feine Tafche griff und mit bewegten Lippen die Herr⸗ 
Tichtetten überfchaute, die hier vor ihm aufgeftapelt Tagen. Er war in 
der That nicht mit Geld verfehen, hatte auf den Lafaten gehofft, und 
dann die Abficht gehabt, hier In der ihm wohlbekaunten Reftauration 
ein gutes Souper zu machen. 

„Der Teufel hofe alle diefe Commiſſionen!“ brummte er vor ſich 
Hin, „Hätte ich nicht gedacht, man wolle mid) ordentlich, belohnen, fo 
wäre ih zu Frau Böhler gegangen und da hätte es mir an etwas 
Befcheidenem zum Nachteffen nicht gefehlt. S ift doch ein wahres 
Sprichwort, daß ein Sperling in der Hand beffer ift, ala eine Taube 
auf dem Dache.“ 

Indem er diefe Worte ſprach, zudte er verdrießlich mit den Hän— 
den nad} feinem @efihte, fo daß es von Weitem ausſah, als übe er, 
beim Anbli der Deltcateffen in dem Laden die Bewegung von Mefier 
und Gabel. Iept wollte er fich mit einem letzten Blick auf den prächs 
tigen Schinken entfernen und hatte fih ſchon halb abgemandt, da bes 
merkte er etwas Glängendes auf der Fenſterbank, griff Hin und hielt 
den Meinen Spazierſtock empor, den der Fremde dorthin gelegt. 


188 . Zwolftes Kapitel. 


Nun war Herr Krimpf in gewiſſer Beziehung ein ehrliche Ges 
müth, weßhalb er ſich beeilte, den Meinen Sto in das Haus zu tra 
gen, um ihn dem Gigenthümer einhändigen zu laſſen. Dieſer ſchien 
aber feinen Verluſt im Augenblick bemerkt zu haben, — er hatte, im 
Bertranen gefagt, Herm Krimpf durch die Glasthär befaufeht, — und 
tam ihm ſchon auf der Thurſchwelle entgegen. 

„Sie haben etwas Tiegen laſſen,“ fagte der Heine Mann. 

„Tanfend Dank für Ihre Aufmerffamfeit. Es wäre mir fatal 
geweſen, den Stock zu verlieren, nicht feines Werthes halber, fondern 
weil ich ihn von einer theuren Hand gefchenft erhielt, Ste verſtehen 
mich wohl, wodurch fo etwas unbezahlbar wird.“ 

„Es iſt nicht der Rede werth, dafür zu danken,“ meinte Herr 
Krimpf, „umd mir nur angenehm, daß er nicht von einem Vorüberge ⸗ 
henden mitgenommen wurde.” 

Der Andere ſchien den wieder erhaltenen Sto mit Entzüden zu 
betrachten. „Es liegt in der That für mid ein folder Werth darin, 
daß ich nicht weiß, wie ih Ihnen dankbar fein fol, Ja, Sie müſſen 
mir erlauben, Ihnen dafür erfenntlich zu fein.“ 

Herr Krimpf machte eine Bewegung, wie Jemand, der im Be 
griff iſt, mit einigem Befremden ein Geſchenk auszufchlagen. „O, ich 
bitte, mid) nicht mißguerftehen,“ fagte der Fremde im verbindlichften 
Tone. „Meine Erfenntlichteit follte darin beftehen, Ste zu erſuchen, 
ein Glas Wein von mir annehmen zu wollen. Es trinkt fid über 
haupt allein fehr ſchlecht, und ich muß geftehen, daß mir Wein nur in 
Geſellſchaft mundet.” 

Gegen diefe Höfliche Einfadung war nichts einzuwenden. Herr 
Krimpf brachte freilich anftandahafber noch einige Einwendungen vor, 
einige Aber — Ic Bitte — Es Lönnte zudringuͤch erfcheinen — doc, 
lleß er fid bereitwillig am Arme nehmen umd folgte darauf feinem 
freundlichen Wirthe in ein kleines Stübchen hinter dem allgemeinen 
Birthözimmer, welches ganz dazu gemacht fhien, um ein gutes Glas 
Wein in ſtiller Beſchaulichteit darin genießen zu können, — Beide 


Ein freundſchaftliches Souper. 189 


nahmen Pla, der Fremde ſchob Herrn Krimpf bie Speifelarte Kin, 
und bat es ſich als eine befondere Vergünftigung aus, daß er fich 
ganz nad) feinem Belieben ein Nachteſſen ausfuchen möchte, 

Da das Gasliht in dem Meinen Stübchen fehr Heil brannte, fo 
fanden die beiden fo unvermuthet Sufammengetroffenen volltommeh Ger 
legenheit, fi gegenfeitig zu betrachten. Während der Andere die 
Speifefarte flubirte, mufterte Here von Fernow fein Opfer, indem er 
fich behaglich in feinen Stuhl zurhlichnte und mit einer gewiſſen 
Befriedigung ausruhte. Hatte er doch vor der Hand erreicht, was er 
wollte. Sein Gegenüber, mit ben vielleicht Toftbaren Blättern in der 
Taſche, konnte ihm mun nicht mehr entwifchen, und im Gefühl des 
Beſthes Tächelte er in fih Hinein, wenn er am bie Jagd über bie 
Rampe, den Schloßplag und die Straßen dachte. 

Wenn wir fagen, Herr Krimpf ſtudirte die Speifefarte, fo müffen 
wir dem vorfichtigen und etwas mißtranifchen Charakter dieſes Herm 
Gerechtigkeit widerfahren laſſen, indem wir fagen, daß er dies nur mit 
dem rechten Auge that, daß aber das Linke, auf feine und ſchon bes 
fannte Art von unten heranf fauernd, wobei ihm die Haltung des 
Kopfes nach der linken Seite fehr zu Statten fam, fein Gegenüber 
zuweilen beſchaute. — Als er dies zum erften Male bei dem vollen 
Glanz des Gaslichtes gethan, blinzelten feine beiden Augen und bie 
eine Hand, die er frei Hatte, zudte auffallend gegen fein Geficht. 
Benn das Aeußere des Herm Krimpf auch von der Natnr verwaht- 
foßt war, fo hatte dagegen fein Geift eine außerordentliche Schärfe 
umb Lebhaftigkeit, und unterftäßt von einem ebenfo ſcharfen Blicke ward 
es ihm feicht, einmal empfangene Eindrüde feſtzuhalten. Da er Maler 
war, fo hatte er namentlich für Figuren und Phyflognomien ein außer» 
ordentliches Gedächtniß, und dies täufchte ihn micht, ald er bei ſich 
dachte, er Habe den Mann, der ihm gegenüber faß, ſchon gefehen, 
wenn auch in anderer Kleidung und Umgebung. So Herr Krimpf, 
während er anfcheinend gelaſſen auf der Speiſekarte las: Suppe, 
Beefſteals, Goteletted und vergleichen, Er war aber noch nicht bie 


190 Zwölftes Kapitel. 


zum Deffert gelommen, fo war er bereits fiher, daß er es mit einem 
Offigier zu thun Habe, mit einem vornehmen Offizier, den er vor 
Kurzem bei einer großen Parade in der Nähe des Negenten gefehen. 

Her Krimpf dachte gern, dachte ſchlau und verfländig, umd da 
feine" Gedanten ftet® mit Mißtrauen gegen feine Mitmenſchen gefpidt 
Waren, fo fing er an, nadzufinnen, ob die Begegnung mit feinem 
Gegenüber fo ganz zufällig fet, ob deſſen Frage nach einer Reftaura- 
tion, da dod dad Schild an dem Haufe dieſes Wort fo deutlich zeigte, 
daß Einem faft die Augen weh thaten, nicht ein Vorwand war, mit 
{hm zu fprechen; ſelbſt das Hinfegen des Spagierftodes war vielleicht 
nicht unabfihtlich gefhehen, und wenn er alles das zufammenhielt, 
wenn er überlegte, daß jener Offigier mit dem Hofe in genauer Ber 
rührung fand und daß er felbft eben in einer geheimen Miffion dort 
geweſen, fo fehlen es ihm nicht unmöglich, daß er zu irgend einem 
ihm 5i8 jept nod) unbekannten Zweit hieher in die Reflauration ges 
bracht ward. Herr Krimpf Tächelte ſtill und vergnügt in fich Hinein, 
als er diefe Betrachtungen anftellte, Er war ſich eines Mugen Ber 
flandes, einer guten Zunge bewußt, Waffen, mit deren Hülfe er es 
mit Jedem aufnehmen zu Können glaubte. 

‚Herr von Fernow hatte ebenfalls das Geſicht des Heinen Mannes 
ſtudin und fand die Schilderung, die ihm &Here Böhler entworfen, 
vortrefflich. Man konnte nicht leicht etwas Abftoßenderes und Unans 
genehmerers fehen. Dabei entging ihm das Lauern der Blice nicht, 
das faft höhnifhe Lächeln um den Mund. Gewiß, daß er e8 mit 
einem ſchlauen Gegner zu thun hatte, 

Sept war die Speifefarte ſtudirt. Herr Krimpf hatte befcheidene 
Wünfche, und der Andere Hütete fih wohl, ihm zu viel aufbringen zu 
wollen. Da fie aber natürlicher Weiße gemeinſchaftlich tranten, fo ließ 
‚Herr von Fernow nicht ohne Abfiht einen guten Vordeaug kommen, 
mit deffen Hüffe er hoffte, die Zunge feines Gaftes zu Iäfen. 

‚Herr Krimpf trank recht gern Wein, namentlich guten Wein, und 
wenn er auch anfänglich nur an dem Glaſe nippte, und mit der purs 


Ein freundfhaftlihes Souper. 191 


purnen Finferniß in demſelben Tiebäugelte, fo war doch der Duft des 
vortreffficen La Rofe zu verführerifäh, als daß e& lange dauerte, bie 
ex fein Glas ausgefchlärft hatte, das ihm bereitwillig wieder gefüllt 
wurde. Bei dem Gefchäfte des Austrinkens überlegte er und fagte zu 
fich felber: „Wenn der Here da drüben wirffid, etwas mit "dir vor 
bat, fo muß er wiffen, wer du biſt, was bu treibft, und wenn er dar⸗ 
auf anfpielt, fo haben wir und doppelt in Acht zu nehmen.“ * 

„Es iſt eigenthämfich,“ ſprach der Dffizler nad} einer Paufe, wobei 
er fih in den Stuhl zurücklehnte und aufmerffam die Gasflamme 
über dem Tiſche betrachtete, „wie zwei gänzlich fremde Leute durch Zus 
fäligfeiten zufammengeführt werden können. Und bod find Ste mir 
nicht gang fremd. Ich erinnere mih, Sie fhon irgendwo gefehen zu 
haben ; vieleicht ift ed Ihnen mit mir gerade fo ergangen.“ 

„Kann mic; wahrhaftig nicht erinnern,“ entgegnete Herr Krimpf 
mit der größten Unbefangenheit. „Ih muß wirklich nie das Glüd 
"gehabt haben, den Herm — verzeihen Ste mir, aber ich habe nicht 
die Ehre, Ihren Namen zu Tennen.” 

„Thnt nichts zur Sache. Indeſſen heiße ih Müller, Kaufmann 
Müller ; Reifender, bin ziemlich fremd hier in der Stadt,“ — Richtig, 
dachte der Meine Mann, der will mic aus irgend einem Grunde eins 
feifen. 

„Darf ih nun auch meinerfeits wiflen, mit wem ich das Bergnüs 
‚gen habe?" fragte Herr von Fernow nad, einer Paufe. 

„If eigentlich micht der Mühe wert, Gere Müller; aber wenn 
Ste mir erlauben, jo heiße ich Franz Joſeph Mater, ein unbedeuten- 
der Lithograph !" — Der Major Mriff die Rippen zufammen. „Arimpf 
verheimlicht feinen Namen,” ſprach er zu fidh ſelbſt. — „Habe faſt 
gar keine Belanntfchaften,“ fuhr der Andere fort, „Romme wenig aus 
dem Haufe. Hätte ich aber jemals das Gfüd gehabt, Herm Müller 
zu fehen, fo würde ich einen — verzeihen Sie mir — in ber That 
fo intereffanten Kopf ſchon ala Künftfer nie vergeffen haben.“ 

Eigentlich hätte Herr von Fernow fi) für dieſes Compliment bes 


A 


dauken müffen, er war auch im Begriffe, es zu thun, um nicht ans 
der Rolle zu fallen; doc begleitete Herr Krimpf feine lehte Rebe mit 
einem fo fonderbaren Lächeln und feine Augen Blipten über das Glas 
fo verrätherifeh herüber, daß der Major auf bie bee fam, der Meine 
Budelige kenne ihn am Ende ganz genau. 

Es war gut, daß in dieſem Augenblide das Rachteſſen gebracht 
wurde. Herr Krimpf ließ ſich wicht möthigen, griff tapfer zu und tranf 
andy mehr von dem Borbeaug, als er fih im Anfang vorgenommen 
haben mochte. Nachdem das Meine Souper zu Ende war, bot der 
fremde Herr feinem Gafte eine Gigarre an, welche Franz Joſeph Maier 
mit außerorbentlihem Danke annahm. Er hatte eine große Schwäche 
für gute Eigarren,, und wir möüfjen leider geftehen, daß er einen uns 
verhäftnigmäßigen Theil feines Einkommens in Raud aufgehen ließ. 
Borfihtig, wie er war, fah er genau auf das Hin, was ber Major 
aus feiner Eigarrendofe hervorzog, betrachtete fi die Art, wie er das 
that, die Hände, ferner das einfache elegante Etut und dann prüfend 
die Gigarre felbft, ehe er fie angündete. Kaum hatte er den erften Zug 
gethan und den Dampf, langſam genießend, wieder ausgefloßen, fo 
fagte er: „Herr Müller rauhen ein vortreffliches Kraut.“ Seine ges 
Heimen Gedanfen bei dieſen Worten aber waren: Ih habe mid 
nicht geirrt, dad iſt weder Herr Müller‘, noch ein reifender Kaufmann, 
das iſt jener Offizier vom Gefolge des Regenten, 

Der Major Hatte fein Glas audgetrunfen und ſchenkte fih und 
feinem Vis-ä-vis ein. „Alfo Sie find Lithograppt" fagte er nad 
einem augenbliffihen Stillſchweigen, „liefern auch Portraits? Das 
teifft fih gut. IH Habe einen Mleinen Auftrag in diefer Richtung, 
und wenn Sie mir Ihre Adreſſe geben wollen, fo werde ich mir er 
Lauben, Sie morgen zu befuchen.“ j 

„Eine Bifitenkarte befige ich mit,“ ſprach laͤchelud Herr Krimpf, 
„tann aber meine Adreffe auf ein Stücken Papier fchreiben, Der 
Speifegettel iſt überfläffig groß, einen Bleiftift Hab’ ich bei der Hand; 
das iſt gleich geſchehen.“ Er riß ein Stüd Papier herunter, ſchrieb | 


x 1 


102 Z3woͤlftes Kapitel. 


Ein freundfhaftlihes Souper. 193 


einige Worte darauf und übergab ben Zettel. Herr von Fernow las: 
„Mater, Lithograph, Roſengaſſe Nro. 88.” 

„Sie haben in Ihrem Geſchäft viel zu tun?“ fragte Fernow 
nach einer Heinen Paufe. 

„D ja,” erwiderte Herr Krimpf, „fo ziemlich, bald wenig, bald 
viel. Man fchlägt fih durch und Iebt von einem Tag zum andern, 
fo gut es gehen mag.“ 

„Und Hatten Sie Luft zu Ihrem Geſchäft, haben Ste es cuo eic · 
haberei ergriffen?" 

„Wie Sie mich da fehen,“ ſprach Herr Krimpf, und ein Schatten 
flog über feine Züge, „fo mußte id ein Gefchäft ergreifen, dem mein 
ſchwacher, Mrüppelhafter Körper nicht im Wege ftand. D, ich hätte 
wohl einen anderen Beruf gewählt. Ich würde auch lieber fein ges 
Meidet gehen, wie Ste, Herr Müller, in der Welt herumreiſen, über 
haupt Lieber ein reicher, vornehmer Herr fein.“ 

Nachdem er das gefagt, ſtürzte er ein Glas Borbeaug hinunter 
und feine Augen flammten. 

„Sie haben nicht Unrecht; in manden Beziehungen mag meln 
Leben angenehn fein,“ antwortete der Major, „doch verfichere ih Sie, 
ich Halte es durchaus nicht für ein übles Roos, ein Künſtler zu fein, 
ſchone Frauengeſtalten abzubilden, ihnen während des Arbeitens tn bie 
Augen zu blicken und nachher,“ — fügte er lächelnd hinzu. 

„And nachher,“ wiederhofte Here Krimpf und feine weißen Hände 
guten mißmuthig gegen fein Geficht, „und nachher — wenn man die 
fertige Arbeit überreicht, in ben Blicken leſen zu müijen: Es ift eigene 
thumlich, was der verwachfene Menfch für wohlgeſtaltete Sachen macht. 
Ja, Herr — — Müller,” fuhr er aufgeregt fort, „wenn ich wäre wie 
Sie, ein ſchlanker, fhöner Mann, wohlgefällig den Weibern, dann 
wäre ed auch für mich eine Luft, Künftfer zu fein. Dann fähe ih 
gern vor ihnen und blidte ihnen in die bligenden Augen, dann würde 

‚ vieleicht auch ich teiumphirend fagen: Und nachher —.“ Bel diefen 
Hadländers Werte. XXL. 18 


194 Zmwölftes Kapitel. 


Borten zudte er mit der rechten Hand empor, feine Finger wählten in 
dem fpärlichen ftruppigen Saar, der Glanz feiner Augen erloſch, und 
indem er bie dünnen Rippen auf einander biß, verſank er im tiefe 
Träumereien. 

Der Major blidte ihn forſchend an, dann erhob er fein Glas 
und fagte: „Berzeihen Sie, wenn id Ihnen, ohne es zu wollen, 
wehe gethan. Jedem iachelt das Reben auf die eine ober Die andere Art. 
Jeder Hat einen Augenblick, wo ihn das Glüc umſchwebt, wo er nur 
zugulangen braucht. Freilich find die Glhdegüiter verſchieden, aber auch 
Zhnen fchlägt gewiß einmal eine gute Stunde. Trinken wir darauf!" 

Die Beiden leerten ihre Gläfer, und als Herr Krimpf darauf in 
die Höhe blickte, brannte ein büfteres Feuer in feinen Meinen Augen, 
feine fonft fo alten Wangen waren heftig geröthet, und er fagte: „Ich 
danfe Ihnen für den Troft, Here Müller, aber was find Glüdsgäter? — 
Güter, die uns glüdtih machen. Glauben Sie mir, e8 liegt mir ver⸗ 
flucht wenig an Geld und Reichthum, ich Habe nur eins, wonad id 
ſtrebe, und das,” fegte er mit faſt tonlofer Stimme Hinzu, — „werde 
ich nie erreichen.” 

‚Herr von Zernow befand ſich mit einem Male auf der Höhe der 
Situation. Bas der Meine Häßliche Maler für das höchſte Glück des 
Xebens hielt, das war nicht fehmer zu errathen: Die Gunft eines reis 
genden Mädchens, welche ihm dieſes begreiflicher Weife verweigerte. 
Und weldes Mädchen? Pernow begann klarer und immer Marer zu 
fehen. Hatte der Photograph ihm nicht gefagt, woher die Anklage gegen 
Rofa gefommen? Gr irrte fih nicht, Here Krimpf felbft Tiebte jenes 
Mädchen, und es war die wüthende Giferfucht, die ihn antrieb, fie anzus 
Hagen, vielleicht zu verderben — und nachher — ja, fo mußte es fein. 

‚Herr Krimpf Hatte fih einen Augenbli von feinen Gefühlen fort⸗ 
reißen laſſen. Der Major war auf der rechten Fährte: Krimpf Tiebte 
Rofa. Aber biefer Ausdruck ift nicht der richtige, — er dachte an fie 
mit einer wilden glühenden Leidenſchaft, er hätte um ihre Gunft Alles 
bingegeben, — e8 wäre {hm eine Seligfeit gewefen, nad} einem kurzen 


Gin freundfiHaftlihes- Souper, 195 


gfüclichen Augenblide den Tod zu finden, aus ihren Armen hinweg, 
der ewigen Berdammniß zu verfallen. Darum allein hing er fih an 
den Photographen, defhalb Tieß er fi} von dem Kammerdiener der 
Prinzeffin zu allen möglichen Dienften gebrauchen. So unbedeutend 
dieſe waren, fo glaubte er fich doch dadurch dereinft an die Macht und 
den Glanz des Hofes klammern zu Eönnen, hoffend, ein glückliches Un— 
gefähr, vielleicht ein Wunder, reiße ihn in eine andere Bahn hinein, 
in eine Bahn, die es ihm möglich mache, vor jenes Mädchen hinzu— 
treten , freilich derfelbe Meine krüppelhafte, häßliche Menfch, aber nicht 
mehr der arme Maler, fondern Jemand, der fih durch die Kraft feines 
Geiſtes emporgebracht, und der es werth ift, daß man zu ihm aufblidt. 

18 die Flut feiner wilden Phantafie vorüber war und die Ebbe 
der Weberlegung eintrat, fielen feine Blicke wieder auf dem fremden 
Mann ihm gegenüber, der leicht mit den Fingern das Glas gefaßt 
hatte, ruhig au die Dede blickend tauchte und ſich um die ganze Welt nicht 
zu kümmern fehlen. Die Uhr der Gaftftube pickte vernehmfih und 
Herr Krimpf dachte, vielleicht Habe er fid doc geirrt, und das Zufams 
mentreffen mit feinem freundlichen Wirte fei ein zufälliges. Dann 
aber fam es ihm wieder in den Sinn, daß bei Hofe zwei Parteien 
feien, die des Regenten, und bie andere der Prinzeffin Elife. — Der 
Teßtern diente er, zur erfteren gehörte vielleicht fein Gegenüber. Konnte 
nicht fein Beſuch am Schloffe bemerkt worden fein? Als Krimpf an 
feine Portraits dachte, faßte ‘er mit der Hand an feine Bruſttaſche, 
worin er die Vlätfer aufbewahrt hatte, eine Bewegung, die dem Major 
nicht entging. 

Diefer hatte indeffen Zeit zur Ueberlegung gehabt. Obſchon es 
nicht fo leicht fhten, den Gegner zu überrumpeln, fo befchloß er, ihm 
doch, wenn auch nur mit einem GScheinangriffe, geradezu auf den Leib 
zu gehen. Er drehte mit der Hand feinen Iangen ſchwarzen Schnurr⸗ 
bart und fah den Meinen Maler fo Herausfordernd und lächelnd an, 
daß diefer ebenfalls nicht umhin konnte, ihn mit einem langen, freunds 
dien Blict zu betrachten. Da ſchlug das Lächeln des Majors in 


196 Zwölftes Kapitel, 


Lachen über und er fagte mit außerorbentficher Ruftigkeit: „Wir fptelen 
da eine hũbſche Komödie zufammen. Stoßen wir an und trinten wir 
unfer Glas auf — Ehrlichkeit und Wahrheit, mein lieber Herr — Krimpf. 

Der Meine Maler ſchrak auf, ald habe Ihn etwas geftochen. Er 

war in der That überraſcht. Denn er, ber ſich eingebifbet, fo fldher 
im Schatten feiner Niedrigfeit zu ſtehen, während auf den Andern bas 
volle Licht fiel, erkannte, dag gerade das Gegenthell der Fall war. 

„Haben wir alfo weiter feine Geheimniffe vor einander,“ ſagte 
Here von Fernow aufs Freundlichſte. „Sie find der Mitarbeiter des 
Photographen Heinrich Böhler, Maler Krimpf, aber wenn ich Offenheit 
von Ionen verlange, fo muß id) auch biefelbe für Sie Haben. So 
wenig alfo, wie Sie Herr Maier, heiße ih Müller. Ich bin Major 
Vernow, Adjutant des Regenten. Bleiben Sie auf Ihrem Plage und 
ohne Gomplimente. Für Heute bin id Herr Müller, deffen Spagierftod 
Sie retteten.“ 

„Ganz zufällig vettete, wie er gang zufällig auf die Fenſterbank 
gerathen war,“ fagte Herr Krimpf, und ein außergewöhnliche Zug von 
Shthlauheit flog über feine Züge. 

„Und diefem Zufalle verdanke ich das Glüd Ihrer angenehmen 
Geſellſchaft. Trinken wir darauf ein Glas.” 

Dies geſchah, und ald Herr Krimpf fein Glas nieberfepte, war es 
-intereffant, zu fehen, wie ihm das Vergnügen, feinen Gegner endlich 
zu fennen, aus dem Geſichte ftrahfte. Dahinter aber blickte aus feinen 
Zügen die Erwartung der Dinge, die jept fommen follten, und zugleich 
fah man an feinen feft zufammengefniffenen Lippen, fo wie an dem 
zufriedenen Laͤcheln feiner Augen, daß er mehr als je entfchlofien fet, 
ſich in feiner Weife fangen zu laſſen. „Da id alfo die Ehre habe, 
von Ihnen, gnädiger Herr, gelannt zu fein,“ ſprach er nad einer 
Pauſe, „fo bitte ich, mir zu fagen, womit id dienen fannz und das 
fol nach beften Kräften gefchehen.” 

„Sie find ein verfländiger Mann, Herr Krimpf,“ verfeßte ber 
Andere, „und da Sie nun einmal darauf zu beharten feheinen, ich 





Ein freundfhaftlihes Souper . 197 


‚Hätte meinen Stod abſichtlich Liegen laſſen, fo will id Ihnen zugeben, 
daß es mir allerdings um Ihre Gefellfchaft zu thun war! Ich will 
Ihnen ferner geftehen, daß ich mit Ihnen eine Angelegenheit befprechen 
möchte, bei der mir Ihre Hülfe von großem Nupen fein kann.“ — 
Endlich! dachte der Meine Maler. — „Dabei muß id aber Hinzus 
fügen,“ fuhr der Vorige fort, daß die Angelegenheit nicht die meinige 
iſt, daß ich im Auftrag eines Dritten handle, daß ich aber bevollmäch« 
tigt bin, Ihre Hülfe in jeder Hinſicht glänzend zu belohnen.“ 

Here Krimpf machte eine tiefe Neigung mit dem Haupte zum 
Zeichen, daß er volltommen verftanden habe; während er aber zu glei⸗ 
her Zeit nochmals mit der Hand leicht Über die Brufttafche fuhr und 
dabei fühlte, wie die Vlätter knitterten, blidte er einigermaßen beforgt 
im Zimmer umber, worin ſich die Beiden ganz allein befanden. 

„Ste arbeiten alſo,“ fing der Major wieder an, nachdem er dem 
Andern volltommen Zeit zur Neberlegung gelafien, „in der Pfahlgaffe, 
in einem Haufe mit vier Stockwerlen !" 

„Bei meinem Freunde Heinrich Böhler, der. ein photographiſches 
Atelier Hat.“ 

„Das Geſchaͤft des letzteren,“ entgegnete der Major mit großer 
Steihgüttigfeit, „it mir volfommen einerlei, überhaupt hängt das, 
was ich von Ihnen wünfde, nicht im Geringften mit Ihrer Kunft 
zufammen. Sie wohnen in einem Haufe, in dem ſich noch viele 
andere Leute befinden.“ 

„O ja, viele Haushaltungen,“ antwortete Herr Krimpf, der wieder 
anfing, irr zu werden, da fein Gegner ganz von der Fährte, an die 
er-gedacht, abzuwelchen fehlen. 

„Run alſo,“ ſprach der Major, „unfere Angelegenheit betrifft eine 
Sache, bei der ich mic; gänzlich Ihrer Discretion Überlaffen will und 
muß; doch glaube ich mich nicht in Ihnen zu täufchen. Sie wohnen, 
wie ſchon gefagt, im vierten Stoch, — unter Ihnen im dritten find 
die Zimmer einer Wittwe, die eine einzige und fehr fhöne Tochter Hat.“ 

„Ag!“ preßte der Meine Maler hervor, und diesmal war fein Era 


J 


198 Bwölftes Kapitel, 


ſtaunen fo wahr und ungefünftelt, daß es dem Andern notwendig 
auffallen mußte. „Sie find überrafcht, daß ich das weiß,“ fuhr Fernow 
fort, „aber das geht ganz einfah zu. Die Gaffe, in welcher Ihr 
Haus fteht, iſt durch ein großes Gebäude geſchloſſen.“ 

„Zu deflen erftem Stod," — fiel ihm Herr Krimpf mit großer 
Spannung In die Rede, „in defien erftem Stock — ein Zreund von 
Ihnen wohnt — Herr Baron von Wenden,” 

„Ich höre, Sie kennen den Namen, feinen mir alfo von der 
Sadje zu wiffen.” 

„O ja, ich glaube viel davon zu willen,” entgegnete der Meine 
Maler, indem er mühfam Athem holte, „fehr viel, unendlich viel.“ 
Dabei knirſchte er mit den Zähnen, 

„Es ift die Frage, ob wir, das heißt, mein Freund, fih auf Sie 
verlaſſen fönnte. Ich will damit fagen, ob Sie uns in diefer Anger 
legenheit behülflich fein wollen. Sie feinen mir ein Mann von 
Charakter, von Fäpigfeit, auch bin ich überzeugt, dag Sie, wenn Sie 
nicht geneigt find, meinen armen Freund zu unterftügen, dies Geſpräch 
als gar nicht ftattgefunden betrachten werden. Bitte, überlegen Sie 
fich das genau.“ 

Während hieranf der Major von feinem Wein nippte, goß Herr 
Krimpf ein volles Glas Hinunter und überlegte wirklich fange und 
eifrig. Ja, ihm war diefer Vorſchlag erwünfcht, er wollte in diefer 
Angelegenheit helfen, er wollte das Mädchen compromitticen, ja, ed 
kam ihm nicht darauf an, fie zu verderben; denn je tiefer fie hinabs 
ſank, defto näher fam fie ihm, ber ja and unten im Schlamme des 
Xebens watete, Freilich ballte er unter dem Tiſche die Hände, um 
gleich darauf zuckend damit nad) dem Munde zu fahren, bei dem Ger 
danfen, daß ein Anderer, ein Fremder, ein vornehmer Herr, fih dem | 
wunderbaren Mädchen nähern follte, fie zu feinem Spielzeng zu machen. | 
Bei diefer Borftellung ſchien fein Blut fiedend zu werden und es ver 
finfterte momentan feinen Bit, während er mühfem Atem holte. — 
Indeſſen, war für feine Leidenfhaft etwas zu hoffen, fo konnte es nur 


Ein frenndfhaftlihes Souper. 199 


auf diefem Wege fein. Was künmerte. es ihn, ob ein Anderer ihre 
Xiebe befaß, wenn er nur bdereinft feine zuckenden Finger um ihre 
ſchlanke Taille legen durfte! — Der Bein machte ihm vollends heiß. 
Die Beiden waren ſchon an der dritten Flaſche, und Herr von Fernow 
hatte mit der größten Vorſicht getrunken. 

„Bas meinen Sie, Herr Krimpf? Es ift mir recht, dag Sie fo 
forgfättig überlegen, denn vergefien Sie nicht, fo glänzend die Beloh— 
nung fein wird, die ich Ihnen für gute Dienfte verfpreche, fo würde 
es mir in der That leid für Sie thun, wenn Sie verfuchten, ein fal⸗ 
ſches Spiel mit uns zu treiben.“ 

"Bas ic) verſpreche, halte ich,“ fagte der Maler mit dumpfer 
Stimme, und nachdem er ein paar Sekunden fang die Augen mit 
feiner rechten Hand bedeckt, fuhr er eutſchloſſen fort: „Befehlen Sie 
über mich, ich bin der Ihrige; was foll ih thun?“ 

„Borderhand nicht viel; Ste werden meine Wohnung am Kaftells 
platze leicht erfragen Fünnen, dort bitte ih Sie, mic morgen um die 
Mittagaftunde zu beſuchen. Sie werden einen Brief erhalten, den Sie 
dem jungen Mädchen in die Hände fpielen. Es kaun Ihnen das nicht 
ſchwer werden, da Sie, wie ich mir bdenfen ‚Tann, Zutritt bei ihr 
haben,“ Here Krimpf nickte düfter mit dem Kopfe. „Begreiflicher 
Weiſe darf das junge Mädchen nicht wiſſen, daß der Brief durch Ihre 
Hände gegangen ift. Sie haben das geſchickt einzurichten, dag fie ihn 
findet, ohne zu vermuthen, wer ihn überbracht, — Die Antwort haben 
Sie dann ebenfalls an mid) zu beforgen.“ 

„Und glauben Sie, daß fie antworten wird ?“ fragte Herr Krimpf 
ſehr leiſe. 

„Bir hoffen es. Sie wird gebeten, dieſe Antwort an einen be— 
ſtimmten Ort zu legen, diefer Ort wird Ihnen mitgeteilt, und Sie 
haben dann nichts weiter zu thun, ala das Schreiben wegzunehmen 
und mir zu überbringen,“ 

„Rein, dad ift in der That nicht viel,“ entgegnete der Andere mit 
einem Lachen, das entfeßlich Hang. Und es war aud) in Wahrheit 


200 Zwoͤlftes Kapitel, 


nichts, ald die einfache Abgabe eines Briefes. Aber an dem Anfalte 
dieſes Briefes Hing das Lebensglüd eines armen unfhuldigen Mädchens, 
hing die Ruhe und Verzweiflung feines Freundes, an deſſen Tiſche er 
faß, der fein Brot met ihm theilte, 

„Das wollen Sie alfo mit beftem Willen für uns thua?“ fragte 
der Major. 

„Ich will ed," entgegnete Herr Krimpf, und zuckte mit der rechten 
Sand über den Tiſch hin, fle dem Major darreichend, der fle mit 
einigem Widerſtreben ergriff. 

Die Heine feine Hand des Malers war falt und doch feucht von 
Schweiß. — — 

„So wären wir mit umferem Gefhäft zu Ende,“ ſprach num ber 
Major mit einer ergwungenen Leichtigkeit, denn ihm grauste vor feinem 
Gegenüber, das es fo leicht zu nehmen fehlen, Freunde und Hausge⸗ 
noſſen zu verraten. „Trinfen wir nod) ein Glas, nehmen wir noch 
eine Cigarre.“ 

Beides that Herr Krimpf; ja, er fehlen jept mit dem Borbeaug 
das Andenken am die eben erlebte Viertelitunde hinabgeſchwemmt zu 
haben ; feine Augen verloren ihren büftern Ausdruck und er biidte far 
luſtig im Zimmer umher; feine Finger umfpannten zudend das Glas, 
welches augenblicklich wieder gefüllt worden war, ja feine gute Laune 
ſchien fo weit wiedergefehrt zu fein, daß er leiſe etwas vor ſich Hin 
ſummte, und zwar einen Refrain, den er in den Iepten Lagen fehr 
häufig von Herrn Heinrich Böhler vernommen: „Chantons, buvons, 
traleralera.‘“ 

Der Major hatte fih in feinen Stuhl zurüdgelehnt, wobei er 
den Rauch feiner Gigarre in zierlichen Ringeln von ſich blies. Er 
ſchlen fi) ganz behaglich zu fühlen, und nur Jemand, der ganz genau 
Auf ihm Achtung gegeben hätte, würde bemerkt haben, daß fich zuweilen 
feine Augen forfbend nad der Zimmeruhr richteten, deren Beiger 
langſam, aber unaufhaltſam fortrüdte. Iept dehnte er ſich gähnend 
und fügte. „So, fo, Sie find Photograpp, und follen ſehr fchöne 


Ein freundfhaftlihes Sonper. 201 


Arbeiten Tiefen. Ich Habe das von einem Freunde gehört, deſſen 
Portrait Sie vor einigen Tagen gemacht.“ 

‚Bon einem Ihrer Freunde, gnädiger Herr?" fragte zweifelnd ber 
eine Maler ; doch fogleich ſchien er fih zu befinuen und fagte: „Ah! 
die beiden Herren.“ R 

„Ja, es waren zwei meiner Bekannten. Sie hatten eine Webers 
raſchung vor und dieſe iſt volltommen gelungen. Wir haben viele 
Freude daran gehabt; — eigentlich war es eine Wette — und eben 
dehßhalb befahlen fie auch zu ſchweigen und augenblidlich die Glas 
platten zu vernichten.“ 

„Das geſchah auch,“ verfegte der Meine Maler, deſſen Blicke etwas 
ſtier geworden waren, Indem er fi) mit der Hand auf die Bruſttaſche 
patſchte. 

„Bas mir feld thut,“ fprad der Major, nachdem er gettunken 
und den langen Schnurrbart forgfältig abgetrodnet, „ich hätte gerne 
eine Copie gehabt, namentlich war eines der Portraits, das meines 
beſten Freundes, des Oberitjägermeifterd Baron Rigoll, ausgezeichnet 
gerathen. In der That ausgezeichnet.“ 

„Ja, der eine ber Herren waren Seine Excellenz,“ ſagte Herr 
Krimpf, indem er langſam feinen Rod auftnöpfte, „aber der Andere?" 
fügte er lauernd Hinzu. 

„Der Andere war ein Better des vorhin erwähnten Baron Bene 
den, der Ihnen gegenüber wohnt. Wie gefagt, eö iſt mir Leid, daß 
die Ofäfer vernichtet wurden, ich hätte eine Kopie theuer bezahlt. Aber 
da es nicht fein tann — müffen wir eine andere Gelegenheit erwarten.“ 

Obgleich der Major dies Alles mit einer wahrhaft bewunderungds 
würdigen Gfeihgüftigkeit fagte, fo hätte doch der überaus ſchlaue Heine 
Maler hei ganz unbefangenen Sinnen etwas Künftfiches und Gefuchtes 
darin bemerft. Danf dem La Rofe aber lächelte Herr Krimpf häufig, 
ohne afle Urfache, freute ſich Über den wunderbaren Abend, ben er 
verlebt, und fing an, eine außerordentliche Dankbarkeit, ja Hochachtung 
für fein Gegenüber zu fühlen, welches ihm dagegen wieder fo impo ⸗ 


202 Bwölftes Kapitel, 


nirte, daß es nur eined Blides aus den dunkeln bfigenden Augen bes 
durfte, um einen etwas zu lauten Gefang im Munde des Malers 
plöplich verftiummen zu machen. „Ein fehr liebenswürdiger Herr,” 
murmelte er halblaut, „Könnte ihm am Ende wohl die Iumpigen Pho- 
tographien an den Kopf werfen. Der Kammerdiener iſt ein geiziger 
Schuft und der Rafai ftiehft mir wieder, was der Rammerbiener bes 
zahlt. Was braucht man fh eigentlih mit dem Pad gemein zu 
machen, wenn einem die Herrſchaft felbft freundlich entgegen kommt. 
Und die Herr — [haft hat Rrrt — echt — ein Künftlerrr iſt auch fein 
Hund. — Und ed hat Jemand einmaf gefagt: Es foll der Kunſtlerrr 
mit dem König gehen, warum denn nicht auch mit fo einem Iumpigen 
Adjutanten des Arrregenten. Aber das {ft ein ganz immenfer Kernel! 
Und wenn es ihm Spaß macht, fo foll er die beiden Gfelaköpfe haben, 
— Ja, die Efelsföpfe nnd den Lakalen und Kammerbienerrr dazu, — 
— morrrrrrgen, hat der Hund gefagt: „Buvons, chantons, tralea- 
leral“ Und er wiederholte den Refrain viel zu oft und zu laut: 
„Juho! hot“ 

Der Major Hatte zu viel von dem Selbſtgeſpräch feines Gaſtes 
verftanden, ald daß er ihn im feiner ausbrechenden Luftigfeit hätte 
flören mögen; ja, er ftieß mit ihm am mub zwang fi in den Refrain 
einzuftimmen, 

„3a, Hererr Offizier, Ste find fo liebenswürdig, daß id; Ihnen 
eine ganze miferrrable Gefälligkeit erzeigen will, Wenn es Ihnen 
Spaß macht, die Köpfe Ihrer Freunde zu haben, fo Tann dem Manne 
geholfen werden, Krimpf ift nicht fo Dumm, als er ausfleht. Hier find noch 
zwei ganz verfluchte Copien.“ Damit hatte er dad Papier aus der Taſche 
herausgezogen, und da ſich feine zuckenden Finger eine Zeit lang vers 
geblich bemühten, die Siegel ordentlich zu loſen, fo zerriß er das Pas 
pier fo heftig in mehrere Fetzen, daß er die Photographien auf den 
Boden des Zimmers ſchleuderte. „Das wart geſchickt,“ fagte er, indem 

er den Blättern mit flieren Blicken nachſchaute. — „Da liegen die 


Ein freundfhaftlihes Souper. 203 


Efelstöpfe. Laſſen wir fie liegen, Herr General, es it auf Ehre nicht 
der Mühe werth. — Hſp! Hp!“ \ 

„3a, da haben Sie Recht,“ entgegnete Herr von Fernow; „es iſt 
nicht der Mühe werth, — laſſen wir fie, wo fie find,” 

„But gefagt, — Hfp! Hſp! wo fie find, Gſp! Da können fie 
ihren Rauſch ausfchlafen, Hfp! Hol’ fie der Teufel! Hſp! Hfp!" 

„Was das Rauſchausſchlafen anbelangt, mein Lieber Herr Krimpf,“ 
fagte num der Major mit einem feften Blick auf fein vis-A-vis, „ſo 
meine ich, es wäre auch für uns jeßt Zeit, daß wir unſere Betten 
aufſuchten.“ 

„Doch — nicht — um unſeren — Rrrrrauſch andzu — ſchlafen, 
Hfp?" erwiderte Herr Krimpf mit immer ſchwererer Zunge; „fo weit — 
find wire — noch fange nicht.“ 

„Das iſt bei Ihnen möglich, aber ich fpüre den Wein und bin 
ſchlafrig. 

Es war etwas wie Verachtung in dem Blicke, mit dem der kleine 
ſchwaͤchliche Maler, der fi nur mühfem von feinem Stuhle erhob, den 
träftigen Offizier anfah. „Nun ja,” fagte er nad einer Paufe, „wenn 
Sie meinen, Hfp! — daß es genug ift — fo wollen wir denn gehen, 
Ho! doch — habe ih — noch eine Bitte au Sie.” 

Bei diefen Worten hob er den Zeigefinger der rechten Hand in 
die Höhe, während er fich mit der linken an der Tifchpfatte feſthielt; — 
„wenn Sie wieder Spazierftöde — verlieren, fo laſſen Ste mich's 
ganz ergebenft wiſſen; ich bin dann immer Ihr gehorfamer Diener, 
um fie aufzuheben, Hfp!“ 

Mit ziemlich ordentlichen Schritten ging er darauf nach dem Res 
bentifche, wo fein Hut Tag, und Herr von Fernow hatte nur Angft, er 
möge auf die Photographien treten, die am Boden lagen; doch ſchwankte 
ex bei ihnen vorüber, machte feinem freundlichen Wirthe ein ſteifes 
Eompfiment und fhoß dann mit einer wunderbaren Schnelligkeit zur 
Thür hinaus. 

Der Major, beforgt um ihn, wollte doc) fehen, wie er fih auf 


eo 


204 Zwoͤlftes Kapitel, 


der Straße benchmen würde, und ging Ihm nad, bis zur Hausthür. 
Herr Krimpf war zur Rechten davongeeilt. Wenn er auch bie ganze 
Breite des Trottolrd in Anſpruch nahm, fo [hob er ſich doch ziemlich 
ſchnell von binnen und war offenbar in der beften Laune; denn man 
hörte ihn die Straße hinab mit lauter Stimme fingen : 

„Chantons, buvons, traleralera I" 

‚Herr von Fernow fehrte in das Zimgıer zurüd, vaffte die Photos 
graphien vom Boden auf und betrachtete fie. Ja, die eine ftellte 
den Baron Rigoll vor. Mit noch größerer Aufmerffamteit aber 
betrachtete er den fehr diftinguirten Kopf des andern Bildes. Wo 
hatte er dies Geſicht gefehen? Richtig, jeßt fiel es ihm plöglich ein, 
Es war der Herr, der an jenem Abend zu Baron Wenden kam, der 
ihm ald Graf Hohenberg vorgeftellt wurde, gegen den Baron Rigoll 
fich mit fo ausgezeichneter Artigfeit benahm. Das war ihm damals 
ſchon aufgefallen, — da lag ein Geheimniß verborgen. Ja, was er 
bier in feinen Händen hielt, mußte wichtig fein und es war gewiß der 
Mühe werth gewefen, ein paar Stunden an die Erlangung diefer 
Blätter zu wenden. „Ich weiß niht, eine unbeſtimmte Ahnung fagt 
mir, meine Anftrengungen feien in der That nicht verſchleudert worden. 
Es ift zehn Uhr, ſuchen wir Herrn ‚Kindermann zu ſprechen. Wenn 
das Sprichwort wahr ift, dag man dad Eifen ſchmieden fol, fo Tange 
es warm ift, fo muß man dagegen aud nicht ſäumen, das Glüd, 
wenn ed einmal erfcheint, feſtzuhalten.“ 

Er bezahlte feine Rechnung, wobet der Kellner auf eine eigen 
thümliche Art lächelnd das Geld eiuftrih. Dann trat der Major auf 
die Straße, tief einen ſchläfrig vorüberfaßrenden Fialer an, warf fih 
in den Wagen und befahl: „nach dem Schlofie !" 





Biederum im Rabinet des Megenten. 205 


Dreizehntes Kapitel, 
Wiederum im Anbinet des Kegenten. 


An demfelben Abend war einer der dienſtthuenden Lakaien Ihrer 
Durchlaucht der Prinzeſſin Eliſe zu einem der dienſtthuenden Lakalen 
Seiner Hoheit des Regenten hinabgeſtiegen. — Dieſes Hinabſteigen 
iſt wörtlich zu nehmen, denn ſonſt herrſchte das umgekehrte Verhäftnig 
und die dienſtthuenden Lakalen des Regenten fahen auf die dienſtthuen ⸗ 
den Sufalen der Pringeffin mit einer fouverainen Verachtung hinab, 
und nahmen in jeder Beziehung den Vortritt, welches bei gemeinfhafts 
lichen Diners fo weit ging, daß die Lakaien Ihrer Durchlaucht ſtets 
Die Sauce zu präfentiren hatten, nachdem die dienftthuenden Lakaien 
Geiner Hoheit des Regenten mit dem Braten vorangefchritten waren. 
Einer der Lakalen der Prinzeffin war alſo hinabgeftiegen und hatte 
dem dienſtthuenden Lakaien St. Hoheit, welcher in feinem Stuhle 
figen bfieb, während der andere vor ihm fland, alfo gemeldet: „Der 
Herr Kammerdiener Ihrer Durchlaucht der Pringeffin Iaffen dem Herm 
Kammerdiener Seiner Hoheit des Regenten ein gehorfames Gompliment 
machen, und da bie Herrfchaften hei Ihrer Hoheit der verwittweten 
Frau Herzogin fein werden, fo laſſen der Herr Kammerbiener aufra⸗ 
gen, ob es dem Herrn Ranımerdiener angenehm wäre, wenn erflerer den 
Iegteren Herrn auf ein Stündchen beſuche. Er habe fih eine Meine 
Erdbeerbowle angefegt und möchte ſich erlauben, dieſelbe gleichfalls bet 
dem Beſuch erfcheinen zu laſſen.“ Darauf Hatte Herr Kindermann 
ben Befuch huldreich arceptirt, und die beiden würdigen alten Herren 
faßen num in dem und wohl bekannten Kabinet vor dem Kamin, 

Der Kammerdiener der Prinzeſſin, Herr Steppler, mar fat 
von gleichem Alter, wie Herr Kindermann, doch wie dieſen ein ewiges 
freundliches Laͤcheln ſchmückte und verjüngte, fo herrſchte auf den Zür 
gen deb Andern beftändig ein finfterer Gruft; dabei ging er ziemlich 


206 Dreizehntes Kapitel 


gebüct, huſtete faft bei jedem Worte, meiftens aus ſchlechter Anger 
wohnheit und weil er es bei vortommenden Fällen für zweddienlich 
gehalten Hatte, eine Bruſtkrankheit zu affektiren. Er war ein altes 
Möbel bei Hofe, und Hatte ſchon bei der Mutter des höchſtſeligen 
Her gebient, die eine wunderfiche Dame war, und über welche ſich 
die beiden Veteranen gerade unterhielten. 

„Ja,“ fagte Herr Steppler, „fo etwas kommt dod heut zu Tage 
nicht mehr vor, daß man für den Schooßhund ein eigenes Schlaf 
zimmer Hält, eine Bonne zur Aufwartung und daß der Kammerbiener 
der Herrfchaft felbft, ih dazumal, allabendlich bei dem aften Mopfe die 
filberne Nachtlampe anzünden mußte. Und das Thier hatte Verſtand, 
wie ein Menſch, denn wenn das Licht nicht brannte oder andging, fo 
bellte es fo Tange, bis Jemand kam.“ 

„Es {ft ganz erſtaunlich,“ erwiderte Here Kindermann mit einem 
füßen Lächeln; „und doch wenn Ste mir's nicht übel nehmen, befter 
Freund, fo waren die Zeiten für den Regierenden damals viel befier. 
Erinnern Sie fi) noch der Tante des höchſtſeligen Herrn, die ſich nie 
im Geringften in irgend eine Angelegenheit mifchte, Die barmlofefte 
Dame der ganzen Welt, die ruhig febte, und ruhig leben ließ.“ — 

„Ja wohl, ja wohl, die zufrieden war, wenn fie vier Stunden 
des. Tages fpazieren fahren konnte, die Pferde im Iangfamften Schritt, 
wie vor einem Leichenwagen, und die ſich zur Unterhaltung jeden Tag 
ein Meines Körbchen mit Weideuruthen auf Zimmer bringen ließ, die 
fie gedufdig eine nach der andern auf dem Tiſch zerflopfte — —“ 

Belt, alter Freund,“ fagte Herr Kindermann, indem er fein 
Glas emporhob umd pfiffig laͤchelnd durch die goldgelbe Klüffigfeit 
nad feinem Collegen hinſchielte, „das waren andere Zeiten. Ich möchte 
wohl mal fehen,, wenn wir Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin Eliſe ein 
Körbchen Weidenruthen aufs Zimmer fepten, ob fie fie auch ‚auf dem 
Tiſche zerflopfte.“ 

„Davor foll und Gott bewahren — das hieße den Teufel an die 
Band malen,“ 





Biederum im Kabinet des Regenten. 207 


„3a, fie tft eine abfonderlich merfwürbige Dame,“ meinte Herr 
Kindermann, und that einen guten Schlud des angenehmen Getränkes. 
Nachdem er dies gefagt und fich die Lippen abgeleckt, lehnte er ſich in 
feinen weichen Seſſel zurüd und betrachtete mit einem außerordentlich 
pfiffigen DBlid den Herrn Steppler, der tief nadjfinnend eine große 
Erdbeere anftarrte, die in feinem Glaſe ſchwamm. „Lieber Freund,“ 

- fagte er alsdann nad) einer Meinen Weile, „was ich Ihnen ſchon erft 

bemerft, muß ich bier wiederholen, Es iſt Pfliht und Schuldigkeit 
eined guten Dienerd, auf die Herrſchaft nach beften Kräften einzu 
wirken. Wenn man geſcheidt ift, gelingt dies auch und man kann 
fie gewiffermaßen ziehen, daß es eine Freude iſt.“ 

„3a, da hat ſich was zu ziehen,“ brummte Here Steppler. „Das 
iſt wie ein Aal, wie ein SKreifel; das dreht ſich zehnmal, ehe ich -nur 
einmal weiß, wo rechts oder links ift.“ 

„Bugeftanden, daß es ſchwierig ift, mit der Hohen Dame droben 
umzugehen, uber im-Vertrauen gefagt, Ihr waret zu nachgiebig, Ihr 
hättet im vielen Sachen nicht mithelfen follen; ja, Ihr hättet manches 
Hintertreiben tönnen. — Den Teufel auch,“ fuhr Herr Kindermann 
nad) einem augenblicklichen Stillſchweigen fort, umd nachdem er im 
Spiegel fein freundliches Geficht beſchaut, „man muß zu Beiten auch 
etwas zu Hindern verſtehen. Wiflen Ste, ich fpreche ala Freund zu 
Ihnen, lieber Steppler, aber ihr macht da oben doch ganz fonderbare 
Geſchichten. Wie Tann man zum Beifpiel nun eine ſolche Heirath 
protegiren, wie die der alten Excellenz mit dem jungen fhönen 
Fräulein?" 

„Wie kann man fo was hindern, frag’ id Sie.” 

„Man kann viel dagegen thun, mein lieber Steppler. Man läßt 
bie und da ein Wort fallen, man meldet zu fpät oder gar nicht, man 
bedauert, daß die Herrſchaft verhindert if, Jemand anzunehmen — 
aber dazu gehört mehr als ein gewöhnficher Muth. Ich fage Ihnen, 
das iſt ein Mißgriff, der nicht Hätte paffiren follen.“ 

Obgleich Here Stepper ziemlich gebüdt faß, fo daß er feinen 


—_lı 


208 Dreizehntes Kapitel. 


Eoflegen nicht anfehen Tonnte, fo merkte man doch, wie er, ohne den 
Kopf zu bewegen, die Augen erhob, und aus den Winkeln derfelben 
nad Herm Kindermann hinũüberſchlelte. „Habt Ihr etwas Dagegen 
gethan?“ fragte er alsdann. 

„D lieber Freund,“ entgegnete Herr Kindermann mit dem Ause 
druck großen Selbitbewußtjeind, „wenn eine Sache einmal fo verfah- 
en ft, da fommt der befte Kutfcher nicht mehr heraus, und doch — — 
aber wie gefagt,“ unterbrach er ſich ſelbſt, „das war nur fo eine Idee 
von mir, und es iſt eigentlich unklug, überhaupt noch über dergleichen 
su forechen, denn ich weiß doch, daß Sie mir nicht um Die Ede 
trauen, mein lieber Steppfer.“ 

;+ Der Andere blidte abermals verftohlen in die Höhe, ohne etwas 
zu enigegnen. 

„Ich verfichere Ste, es ift Schade,” fuhr Herr Kindermann nah 
einer Paufe fort, „daß wir nicht beſſer zufammenhalten. Ich fage 
Ihnen, wir könnten bier das Steuer führen, daß es eine Freude wäre, 
ich mit meiner Lebhaftigfeit, wenn Sie mir erlauben, Ste mit Ihrer 
undezahlbaren Ruhe. Kommt her, alter Steppler, flogen wir zuſammen 
anz den Teufel auch, das follte doch endlich einmal aufhören, daß bie 
Herrfchaften, mit Reſpelt zu fagen, wie Hund und Kape zufammen 
leben. Haben Ste denn einen Begriff davon, wie es Ihre Durch- 
laucht da oben vermag, fo hämiſch gegen uns zu handeln, gegen einen 
Herrn, wie der Megent iR? Gott erhalte ihn hundert Jahre, ben - 
ritterlichen Herrn, den fhönen Dann, mit Eigenfhaften, daß ihn die 
ganze Welt liebt und achtet. Aber gerade die, an deren Achtung ihm 
befonderd gelegen iſt — — ja, Steppler, [hauen Sie mid nur an, — 
an deren Achtung ihm befonderd viel gelegen iſt, bereitet ihm mit 
Ihren Launen alles mögliche Herzeleid. Darin iſt doch werer Sinn 
noch Verſtand.“ 

„Das iſt gegenſeitig, Kindermann, gewiß gegenſeitig.“ 

„Nein, ihr macht es zu arg. Es muß da droben wieder etwas 
im Spiele fein; ich fann Sie verfihern, Steppler, der Herr tft in den 


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Biederum im Kabinet des Regenten. 209 


lehten Tagen fehr ſchlecht gelaunt, und id glaube, man kann ſich vor 
ihm in Acht nehmen. Er ift num einmal der Herr, und wenn wir 
ſelbſt, was ſich in den nächften Tagen entſcheiden fol, einen Thron 
erben erhalten, fo wird doch bie Regentfchaft achtzehn Jahre dauern, 
eine Zeit, deren Ende wir beide ſchwerlich erleben werden.“ 

„Bad wollen Sie damit fagen, Kindermann ?“ fragte der Andere, 
nachdem er eine Zeit lang nachgedacht. 

„Run, ich will damit fagen, daß der Herr die Macht noch Tange 
behäft, feinen Freunden wohl zu thun und feinen Feinden auf unan- 
genehme Urt zu vergelten.” 

„Aber ihr thut und fehr unrecht,“ ſprach num Herr Steppfer, 
wobet zum erſtenmale ein Lächeln über feine düftern Büge flog, „wenn 
ihr glaubt, wir oben haßten den Herrn, im Gegentheife, fann ic Sie 
verfihern. Freilich bemüht man fih, zuweilen feine Plane zu vereis 
teln, ihm entgegenzuwirken, aber, ich bin auch ein alter Prafticus, 
Kindermann, das gefchieht nicht nad) einem kalten, berechneten Syften, 
fondern das iſt die Aufwallung des Augenblids, iſt wie ein kindiſcher 
Trotz — verzeihen Str mir das Wort — eine faſt fieberhafte uner- 
Mörliche Neigung, Nein zu fagen, wern der Herr Ja fügt.” 

‚Herr Kindermann biicte in fein Glas und antwortete nicht. 

„Bon wirklicher Feindſchaft kann da feine Rede fein und von 
Haß noch viel weniger. Wenn man Jemand haft, verftehen Ste mich 
wohl, ohne Nebengedanken haft, jo nennt man feinen Namen nicht, fo 
blickt man nicht na ihm, fo tft man froh, wenn man weder etwas 
von {hm zu hören noch zu fehen befommt; und hauptſächlich, wenn 
man Jemand wirklich haßt, fo verſchließt man das in ſich und zeigt 
feine Feindſeligkeit nicht aller Welt.“ 

„Da iſt fchon was Wahres d’ran,“ meinte nachdenkend Herr Kin 
dermann, „ed wäre wirklich fhade, wenn zwei Herrſchaften, wie der 
Regent und die Prinzeffin, ihr Leben fo verbringen follten. Haben 
Sie nie gedacht, Steppfer,“ fagte er nach einer längeren Pauſe, welche 
er dadurch auögefüt, daß er den Reſt der Erdbeerbowle nachdenklich 

Hadländer Werke, XXI. 14 


210 Dreizehntes Kapitel, 


mit dem großen goldenen Löffel umgerührt, „— iſt es Ihnen nie eins 
gefallen, daß die Beiden ein prächtiges Paar abgeben würden?“ 

„Wer hätte nicht ſchon daran gedacht!" entgegnete der Andere, 
„und das iſt ein vortrefflicher Gedanke. Dann gäbe es doch einmal endlich 
Ruhe im Schloß! Man Fönnte feine Tage in ſtiller Beſchaulichteit 
befäfiegen, wenn die verdrießfihen Geſchichten hier einmal aufpörten. 
Aber, wie kommen Ste auf die Idee ?“ 

„Sie haben mich darauf gebracht,“ erwiderte Herr Kindermann 
mit großer Wichtigkeit. „Freilich habe ih ſchon manchmal über das 
Benehmen der Pringeffin fo meine Betrachtungen angeftellt, und dann 
beftätigt das, was Sie mir eben fagten von der fieberhaften Heftigfeit, 
mit der Ihre Dame zuweilen meinem Herm opponirt, meine Meinung; 
ebenfo, daß fie Häufig von ihm ſpricht, nach ihm bfict, ſich mit ihm 
befchäftigt.” 

„Das habe ich doch nicht geſagt?“ fragte erſchroden Herr Steppfer. 

„3a, Stepplet, Ste haben das gefagt, und Ihr guter Geift ſprach 
aus Ihnen. Sehen Ste, das ift eine großartige Idee, mit der ich 
mid) fange getragen und die gelingen muß, wenn zwei Männer wie 
wir fie in die Hand nehmen. Sie werden Ihre Stellung fo gut wie 
ic) begreifen, Anmelden und den Tifh und die Garderobe beforgen, 
tann Jeder; aber kräftig in's Leben eingreifen, dazu gehören ſichere 
Hände, und ich glaube, die haben wir, nicht wahr ? 

„3a, ich glaube fo,“ antwortete Here Steppler. Doc konnte er 
ſich einer feften Hand nur im bildlichen Sinne rühmen, in der Wirk 
lichteit dagegen zitterte das Glas in feiner Rechten einigermaßen, wenn 
er es zum Munde führte. „Freilich erſchrect mic, diefe Idee, Kinder» 
mann, aber wenn ich mich an Ihren Gedanken gemöhne, fo finde ich 
in der That nichts fo abſonderlich Vefremdendes darin, Seine Hoheit 
der Regent aber " 

„Das fei meine Sorge,“ entgegnete Herr Kindermann, „glauben 
Sie mir, er intereffirt fi mehr für die Pringeffin, als fi die ganze 
Welt träumen läßt.“ 





Biederum im Kabinet des Regenten, 211 


„Wirklich?“ warf der Andere mit einem faſt heiteren Tone das 
zwiſchen. 

„Gewiß, ich merke das aus Vielem Heraus, Wie oft ſteht Seine - 
Hoheit entfernt von der Prinzeffin, tft anſcheinend in eifrigem Geſpräch 
mit Anderen begriffen, und findet doch Zeit genug, jeden Augenblid 
nach ihr hinüberzufchauen, alle ihre Bewegungen zu beobachten.” 

„Im der hat, das iſt mir aud fon fo vorgefommen,” gab 
Herr Steppfer zur Antwort und wiegte dabei feinen Kopf anf und 
nieder, wie Jemand, der einem angenehmen Gedanken nachhäugt. 

„Wäre es für uns nicht in jeder Hinficht das Beſte, wenn da 
was zu Stande gebracht werden könnte ?“ meinte Herr Kindermann, 
„Ich ſehe den Fall, daß wir und Beide in unferen Meinungen nicht 
irren, Wie dankbar müßten folhe Bemühungen überdieß von den 
höcften Herrſchaften aufgenommen werden! Dazu gehört aber vor 
allen Dingen, da man nicht fucht die Meinen Streitigkeiten zu ver⸗ 
größern, die hier und da vorfommen, ober gar neue zu erfinden, und 
in dem Punkte müffen Sie fogar etwas Uebriges thun, Meifter Steppfer.“ 

„Du lieber Gott, unfereind handelt nur nach Befehlen, das kann 
ich Sie verfihern,“ entgegnete der Andere. „Wir wagen ed wahrhaftig 
nie, eine eigene Meinung zu haben, noch viel weniger diefelbe durchzu⸗ 
fegen. Ja, wir find nicht Here Kindermann,” fepte er mit einem 
pfiffig fein folenden Lächeln Hinzu. 

Der Kammerdiener Seiner Hoheit, offenbar gefchmeichelt durch 
diefe Aeußerung, machte ein fpiges Maul, wobei er ſich verftohlen im 
Spiegel betrachtete. „Man thut wahrhaftig nur feine Schuldigkeit,“ 
fagte er alsdann, „und wenn Einem zufällig einmal etwas gelingt, fo 
meinen die 2eute, man habe Gott weiß welche Macht.“ 

Daß in diefem Augenblick der dienſtthuende Lakai der Priuzeſſin 
siemfich ohne Umfände eintrat, mußte feine Urfache haben, und fo 
war es auch im der That. Er meldete aus refpectvoller Entfernung 
mit flüfternder Stimme, daß die Priugeffin in Begleitung Seiner Ho⸗ 
heit fo eben aus den Appartements der verwitiweten Frau Herzogin 


212 Dreizehntes Kapitel. 


tomme und daß ſich die hochſten Hertſchaften vorausſichtlich nach ihren 
Gemaͤchern verfügen würden. Herr Steppler erhob ſich raſch von feis 
nem Stuhfe, fhlürfte fein Glas Haftig aus und machte mit der Hand 
eine abwehrende Bewegung, als ihm Herr Kindermann nochmals ein» 
fchenten wollte. Dann reichten fih die beiden würdigen Männer die 
Hände und der ausdrudsvolle Blick eines Jeden fagte dem Andern, 
daß das Gefprädh von vorhin nicht vergeffen fel. In Gegenwart des 
Rafaien etwas hinzuzufügen, wäre nicht räthlich geweſen. Schon daß 
fih die beiden mächtigen Kammerdiener die Hände reichten, wurde einer 
vertrauten Rammerjungfer erzählt, die es denfelben Abend noch zu den 
Ohren Ihrer Durchlaucht brachte, welche die Annäherung der beiden 
biöher fehr feindlichen Parteien wichtig genug fand, um einen Augen» 
blick darüber nachzudenken. Ja, wenn wir unferer Gefchichte vors 
greifen dürften, fo würden wir hinzufügen, daß die Prinzeſſin fehr 
bald an ihren Schreibtifh eilte, nachdem fie die vertrauliche Mits 
teilung von dem Ginverftändniß der beiden Rammerdiener erhalten. 
„Gut,“ hatte Ihre Durchlaucht darauf erwidert, „es it am Ende 
gfeihgüftig — mich überrafcht man nicht.” Aber dann hatte fie einen 
Brief geflegeft, adreffirt und befohlen, ihn fogleih zu dem Kammer 
beren Baron Wenden zu bringen. Es war zehn Uhr des Abends 
und die Prinzeffin erwartete eine Entgegnung auf ihre Belfen. 

‚Herr Kindermann war, dem Rufe der Glocke folgend, kaum in die 
Appartements des Regenten getreten, ala fih Herr von Fernow in 
dem Zimmer des Kammerdieners einfand. Da fih Seine Hoheit noch 
nicht zur Ruhe begab, ſich vielmehr zum Lefen niedergefegt hatte, fo 
fehrte Herr Kindermann in wenigen Augenbliden zurüd und war 
offenbar etwas eritaunt, den Anjutanten zu fo fpäter Stunde und in 
Clviltleidung anzutreffen. 

Berzeihen Sie, lieber Herr Kindermann,“ fagte der Major, ins 
dem er rafch auf den Gintretenden zuging, „daß ich före. Aber Sie 
waren vor einiger Zeit fo freundlich, mir zu fagen, ich folle mich bei 
vortommenden, mir wichtig erfcheinenden Imjtänden vertrauensvoll an 


' 


Wiederum im Kabinet des Regenten. 213 


Sie wenden, Ein folder Augenblid tft nun gekommen, wo ich Ihres 
Rathes, vielleicht auch Ihrer Hüffe bedarf,“ Der Kammerdiener, offenbar 
gefejmeichelt durch die freundliche Anrede des jungen Mannes, zeigte 
ein im der That angenehmes Lächeln und bat den Adjutanten, Pla 
zu nehmen. „Wenn Sie mir erfauben,“ fagte diefer, „fo ziehe ich 
vor, ftehen zu bleiben. Ich Habe eine Bitte an Sie und diefe befteht 
darin, mir offenherzig zu fagen, ob es Ihnen möglich iſt, mich noch 
bei Seiner Hoheit zu melden.“ 

Der Kammerdiener ließ einen bedenklichen Blick auf die Standuhr 
fallen und fein Geficht bemühte fich, ſeht eruſthaft auszufehen. 

„Es iſt nach zehn Uhr,“ bemerkte er, „und müßten wir eine 
dringende Urſache Haben, Seine Hoheit, die mir nicht beſonders gut 
gelaunt feinen, beim Leſen zu unterbrechen. Auch fieht der Herr, wie 
Sie felbft wifien, lieber Herr von Fernow, den ſchwarzen Frack nicht 
gern an feinen Adjutanten, fobald fie ihm eine Meldung oder ders 
gleichen zu machen Haben. Daß ich für Sie thun werde, was ich 
tann, brauche ich Ihnen wohl nicht erft zu verfichern. — Ohne uns 
beſcheiden fragen zu wollen,“ fepte er nad; einer Paufe mit einem 
ſchlauen Lächeln Hinzu, „it die Sache fehr dringend ? 

„Das ift es ja gerade, was ich ſelbſt nicht weiß,“ erwiderte Herr 
von Fernowz „denn fonft könnte ich mich ja geradezu melden laſſen. 
Ste wiſſen, wie fehr ich überzeugt bin, daß Alles, was die Angelegen 
heiten Seiner Hoheit betrifft, in Ihren Händen vortrefflich aufgehoben 
iſt. Daher nehme ich auch gar feinen Anftand, Ihnen mitzutheilen, 
was mich Hierher führt. Ich kam vorhin in den Befig diefer beiden 
Photographien,“ damit zog er die Blätter heraus, „und gewifie fonders 
bare Umftände laſſen mich vermuthen, daß es Seiner Hoheit erwänfcht 
fein werde, von dem Dafein diefer beiden Portraits, namentlich von 
dem einen, Keuntniß zu erhalten. Was meinen Sie, lieber Herr 
Kindermann ?" 

Der Kammerdiener hatte die beiden Blätter ergriffen und trat an 
die Lampe über dem Kamin, um fie zu betrachten, — „Baron Rigoll,“ 


214 Dreizehntes Kapitel, 


fagte er nad einem augenbliclichen Stilfchweigen und fchaute freund» 
fid) fähelnd auf den Adjutanten. 

„Ich bitte das andere zu betrachten,“ verfeßte Here von Fernow. 

„Richtig, dad andere,“ entgegnete der Kammerdiener und ſchob 
das Portrait des Oberftjägermeifters auf die Seite. Gr befhante das 
weite Blatt Tängere Zeit, zudte mit den Achſeln und das Lächeln ver— 
ſchwand von feinen Zügen. Er wurde fogar jehr ernſt, was, wie wir 
wiffen, bei Herrn Kindermann nicht leicht vortam. „Das ift freilich 
wichtiger,“ fagte er nad) einer Panfe, „Herzog Alfred von D. Alle 
Wetter, Herr von Fernow, wie fommen Sie zu dem Portrait?" 

„Auf eine etwas umſtändliche Art, die ich mir morgen das Ber 
gnügen machen werde, Ihnen genau mitzuthellen.“ Bei diefen Worten 
machte der Adjutant eine verbindliche Handbewegung, blickte aber zu⸗ 
gleich auf die Standußr über dem Kamin. 

„Verſtehe,“ erwiderte Herr Kindermann geſchmeidig. „Wenn 
etwas geſchehen foll, muß es gleich gefchehen. Sie geradezu einzu— 
führen, fcheint mir nicht pafjend. Ich muß mandvrireu.“ 

„Bollen Sie dem Herm Eau de Cologne aufgiegen oder den 
Säbel Happern laſſen?“ meinte fchergend der Major, 

„Alles hat feine Zeit. — Laffen Ste mic nur machen, Herr von 
Fernow, und glauben Sie mir, ed war ein glüdficher Augenblid, der 
Sie in den Veſiß diefes Portraits brachte. Glädlid) für Sie, wenn 
auch nicht für Andere,“ fepte Kindermann Hinzu, indem er Lopffchüts 
telnd abging. — 

Der Kammerdiener machte ein flegreich Tächelndes Gefiht, als er 
wieber eintrat, „Ich habe für Sie gewirkt, wie ich in den fchönen 
Tagen that, wo Ihr Herr Bater, Gott hab’ ihn felig, auf diefer felben 
Stelle an den unbedeutenden Kindermann mand freundliches Wort 
ſpendete. Gehen Sie getroft zu Sr. Hobelt.“ 

„Sprachen Sie davon, was mic, hieher geführt?“ fragte Herr 
von Fernow. 

Der Kammerbiener erhob feinen Kopf mit einem unbefchreiblichen 


Biederum im Kabinet des Regenten. 215 


Ausdruck von Würde, als er hierauf entgegnete: „Kindermann follte 
in einem ſolchen Falle voreifig fein? Der Mittheilung eines Mannes, 
dem er wohl will, dadurch die Spike abbrechen? O nein, das thut 
man nur in Fällen, wo ed nöthig erfcheint, Jemanden die Freude zu 
verderben. Vorkommen mag dergleichen freilich. Nein, ich meldete 
Seiner Hoheit, fie hätten fih auf eine auffallende Art im Borzimmer 
bliden laſſen, es feheine mir, Sie Hätten etwas auf dem Herzen, ohne 
gerade den Muth zu haben, eine Audienz zu verlangen. — Bor allen 
Dingen,“ feßte er mit leiſer Stimme, aber In fehr vertraufichem Tone 
hinzu, „babe ich Seine Hoheit den Regenten neugierig gemacht.“ 

E „Ob mir das heffen wird, mag Gott wiflen,“ antwortete Herr 
von Fernow im Abgehen; „vor Allem aber meinen herzlichften Dank.“ 

‚Herr Kindermann blieb einen Augenblick nachdenklich in der Mitte 
des Zimmers ftehen, nahm bedächtig eine Prife aus der großen gol- 
denen Dofe und ſprach dann zu ſich felber: „Das ift ein junges, danfs 
bares Gemüth; er ift e8 werth, daß wir ihn protegiren.“ 

Im Kabinet des Regenten war ed faſt wie an jenem Abend, an 
welhem wir den Leſer zum erftenmal dorthin führten. Im Kamin 
ſpielte ein Teldhtes Feuer, die ſchwere Bronzelampe war tief auf den 
Tiſch Hinabgezogen, wie damals auch mit dem grünen Schirme bededtt, 
nur ſchritt der Regent Tangfam im Zimmer auf und nieder, den Gins 
tretenden erwartend, 

Der junge Mann machte an der Thür eine tiefe Berbeugung, der 
Anrede Seiner Hoheit harrend. 

„Ei, ei, mein befter Fernow,“ fagte der Fürſt, „ich erfahre fo 
eben durch Kindermann, daß Sie ſich wie ein Gefpenft nächtlicher 
Beile in meinem Vorzimmer fehen faffen. Den Himmel auch, was 
machen Sie um dieſe Stunde im Schloffe? Wenn das der Oberft- 
jägermeifter erfährt, fo wird er feine Heirath fo beſchleunigen, dag 
Ihre beften Freunde nichts für Sie thun Fönnen.” 

„Dürfte ich mir nad) diefem gnädigen Empfange ſchmeicheln, daß 
Eure Hoheit ſelbſt einigen Antheil an mir nehmen, fo darf ich mir 


216. Dreizehntes Kapitel. 


vielleicht erlauben, der Wahrheit gemäß zu jagen, daß ich in biefem 
Augenblide nicht im Schloffe bin, um Seiner Egeellenz Anlaß zum 
Mifvergnügen zu geben. Es ift wahr, ich hielt mich im Vorzimmer 
auf, Hoffend auf das Gfüd, das mir jept zu Theil geworden, — Eure 
Hoheit noch Heute Abend fehen zu dürfen.“ 

„In der That, Sie machen mich neugierig, lieber Fernow, aber 
ehe Sie mir mittheilen, was Sie hierher führt, erlauben Ste mır, 
meine Lampe auffteigen zu laſſen. Es if ein unbehagliches Gefühl, 
fo im Halbdunkel zufammen zu fprehen, für Sie wie für mi. — 
So.“ Er hatte bei diefen Worten die Carcellampe vermittelt des 
Gegengewicht ihrer Ketten an die Decke gehoben, woburd das Heine 
Kabinet mit einem Male Heil beleuchtet erſchien, dann lehnte er ſich 
gegen das Gefims des Kamins, blicte den jungen Mann wohlwollend 
an, umd forderte ihn mit einer gefälligen Handbewegung zum Spres 
hen auf. 

Nachdem Herr von Fernow um Eutſchuldigung gebeten, daf er 
ein wenig weit ausholen müfje, erzähfte er von feinem abendlichen 
Spaziergang im Parfe, von feinem Zufammentreffen mit dem Photos 
grapfen und wie er durch diefen von jenen beiden Herren erfahren, 
die vor einigen Tagen auf fo geheimnißvolle Art ihre Portraits machen 
liegen, und wie er aus der näheren Beichreibung erfehen, daß der 
Eine Baron Nigoll gemwefen. Nachdem der Fürft von Anfang am 
diefer Erzählung des jungen Mannes mit einigem Intereffe gefolgt 
war, ohne gerade viel Spannung zu verrathen, fo richtete er fich bei 
der Erwähnung des Oberftjägermeifterd in die Höhe, ſchlug die Arme 
übereinander und Taufchte begieriger jeden Worte feines Adjutanten. 
Diefer berichtete hierauf in möglichfter Kürze von feinem Aufenthalt 
auf der Schloßterraſſe, von der Erſcheinung des Herrn Krimpf, wie 
er denfelben verfolgt und wie es ihm endlich gelungen, jene Blätter 
zu erhalten. 

Mit fteigendem Jutereſſe hatte der Regent zugehört und zumeilen 
den Erzähler mit einem aufmunternden Zuruf unterbrochen. Als nun 





Biederum im Kabinet des Regenten. 217 


der Major in feine Vrufttafche griff und die beiden Blätter Hervor- 
Hofte, trat ihm der Regent raſch entgegen umd nahm fie aus feiner 
Hand. Das Bid des Oberfljägermeifters warf er haftig dei Seite, 
als er jedoch das andere gegen das Licht Hieft, entdeckte Herr von 
Fernow eine außerordentliche Umwandlung auf dem fonft fo ruhigen 
Gefihte des Negenten, Die Züge waren ſtarr und bleich geworden, 
als er die Photographie angeblit, er biß die Lippen feſt aufeinander 
und faßte mit der linken Hand nach dem Tiſche, Freilich nicht, um ſich 
daran zu haften, wohl aber um die Dede auf demfelben in der ges 
halten Fauft zufammenzubräden. 

„Dieſe Photögraphien wurden alfo vor wenigen Tagen bier in 
der Stadt gemacht ? fragte der Regent mit bewegter Stimme, 

„Bor vier Tagen,‘ 

„Und nicht etwa nach Bildern,“ fuhr er fort, „fondern beide nad) 
den Tebendigen Originalen ?" 

„Beide, Gure Hoheit,“ entgegnete ruhig der Adjutant, „Ich fah 
ſelbſt den andern Herrn.“ 

„Wo fahen Ste ihn? Wo? Warum machten Sie mir keine 
Meldung darüber ?" 

„Weit ich ihm nicht fannte, und er mir einfach ald Graf Hohen 
berg vorgeftellt wurde.” 

„Graf Hohenberg? Das ift ein Imcognito zur Unzeit, fein 
vitterfiches ! Und wo fahen Sie Yu %" forfchte der Regent mit ſteigen⸗ 
der Heftigfeit. 

„Im Haufe des Baron Wenden, wo er Seine Extellenz den Herrn 
DOberftjägermeifter fuchte.“ 

„Ah diefe Rigoll und Wenden !" rief der Regent nicht nur zornig 
aufgeregt, ſondern es Tag zugleich etwas tief Schmerzliches im Blicke 
feiner Augen, ja felbit im Tone der Stimme, Es war ein Moment, 
wo ber fonft fo ruhige und feite Mann vergaß, daß er nicht allein in 
feinem Kabinet war, Doch eine Sekunde genügte, um ihn an die 
Gegenwart des Andern zu erinnern. Er legte einen Augenblick die 


218 Dreigehntes Kapitel. 


Hand an bie Stirn, fuhr fi) über das Geſicht herab, und fagte nad) 
einem faft mühfamen Athemzuge: „Sie find erflaunt, mein Lieber 
Zernow, daß das Portrait einen fo tiefen Eindruf auf mich macht. 
Vielleicht wird eine Zeit kommen, wo ich Ihnen das erffären kann, 
denn ic} vertraue Ihnen, wie wenigen. Bielleiht, —“ wiederhofte er 
mit einem bittern Lächeln. „Um Ihnen aber einen Beweis zu geben, 
wie fehr ich Ihnen vertraue und da ich es für nöthig halte, Ste au 
fait zu fegen, will ich mich bemühen, Ihnen mit wenigen Worten zu 
fagen, in weldem Zufammenhange diefer Mann da mit mir, das 
heißt mit unferer Familie ſteht. Es iſt der Herzog Alfred von D.“ 
fagte er und fügte, die Photographien nochmals betrachtend, Hinzu: 
„Er hat fi alt gemacht, der Herzog, recht alt.“ Dann warf der 
Regent einen Blick in den Spiegel und fuhr fort: „Der Herzog 
projeftirte ſchon vor einigen Jahren eine Verbindung mit meiner 
Goufine , der Prinzeffin Eliſe. Das war alfo noch zu Lebzeiten des 
feligen Herzogs. Die Prinzeffin ſchlug die Partie aus und? — — 
bereute ihre Weigerung fpäter, wie fie mir nachher, freilich in Mor 
menten des Zornd und der Aufregung — wiederholt verſicherte.“ — 
Auch diefen Sap ſprach der Regent wieder, wie mit ſich felbft redend. 
„Darauf machte der Herzog feine großen Reifen und jegt, da er zurüd- 
gekehrt iſt, fehelnt er, oder — — Jemand anders, dieje Verbindung 
Mnüpfen zu wollen — ja Jemand anders,“ fuhr er Heftiger fort, „micht 
and Liebe, das glaube und hoffe ich nicht, aber aus Trop und Wider⸗ 
foruchögeift, unterftüßt von den Rathſchiagen des Herm Wenden, Rir 
goll und Conforten. Ich werde aber Gelegenheit finden, ein Wort mit 
ihnen zu reden.“ 

Damit fhlenderte der Fürft Die Photographie auf den Tiſch und 
ſchritt im Kabinet auf und ab, bis er plögfih vor dem Adjutanten 
ftehen blieb, ihm die Hand auf die Schulter legte, und mit einem fo 
weichen Zone fagte, wie der junge Mann ihn nie von ihm gehört: 

„Mein lieber Zernow, man fagt, ich fei falt, verfchlofien, ernſt⸗ 
haft, ja finſter. Es iſt wahr, es ift fo meine Art, doch glauben Sie 


Biederum im Kabinet des Regenten. 219 


mir, ich Tann auch fühlen‘, tief und ſchmerzlich fühlen.“ Er wandte 
fi raſch um, ftellte fi) wieder an den Kamin, und fehnte feinen Kopf 
ieicht gegen bie Band. 

Es herrfchte einen Augenblick eine fo tiefe Stille in dem Kabinet, 
daß man auf's Deutlichfte nicht nur den kliugenden Schlag ‘der Stand» 
uhr vernahm, fondern daß der Adjutant auch das feichte Rauſchen 
eines Borhangs im Nebenzimmer zu hören glaubte. Es war in dem 
Zimmer, welches an dad des Herrn Kindermann ſtieß. 

„Wenn die Prinzeffin fich verheirathen will,“ fuhr der Herzog 
nad) einigen Sekunden fort, „wenn fie fih, wie gefagt, vermähfen 
will und die Partie tft paflend, wie die mit dem Herzog Alfred, warum 
denn diefe heimlichen Wege? Warum mir, dem Regenten, dem Chef 
des Haufes nicht geradezu fagen: das find meine Anfichten, meine 
Bünfche. Bel Gott, wenn es denn einmal fein muß, fo hätte ich die 
Annäherung doch viel ehrenhafter, ja anfländiger herbeigeführt, als 
diefe Herren Wenden und Rigoll; was meinen Sie, Fernow ?" 

Der junge Mann Hatte einen tiefen Bid in das Innere des 
Herzogs gethan und es war ihm Mar geworden, was ſich der Regent 
vieleicht felbf mur ungern eingeftehen mochte: der Fürft liebte die 
BPrinzeffin ; nicht wie ein junger Menfch, wie er felbft liebte, Teiden- 
ſchaftlich ſprudelnd, aber Herzlich und innig, und das feſte Gemüth des 
Zürften verſchloß diefe Regung vor aller Welt, feine Liebe allein füh- 
Tend, die Leiden derfelben allein tragend. Der Adjutant war in Träus 
mereien verfunten über die feltfamen Gefchide des Menfhen und fuhr. 
faſt zuſammen, ala ihm der Regent jene Frage vorlegte. Glucklicher⸗ 
weife hatte er die Worte, welche der Frage vorausgingen, verftanden 
und er antwortete: „darüber Tann fein Zweifel herrſchen. Doc, wenn 
mir Eure Hoheit eine ganz ergebene Bemerkung erlauben, fo hatten 
Sie vor einiger Zeit die Gnade, mir etwas über den Charakter Ihrer 
Durchlaucht mitzutheilen, was mir auf den vorliegenden Fall außer 
‚ordentlich paflend erfheint.” 

„Raffen Sie hören,“ ſprach aufmerfjam der Regent, 


220 Dreizehntes Kapitel. 


„Eure Hoheit fagten damals, daß die Pringeffin mit feltenen 
Eigenſchaften des Geifted und Herzens, die wir ja Alle an der hohen 
Dame kennen und verehren, eine außerordentliche Luft zur Intrigne 
verbinde, daß es ihr nicht möglich fel, einer Sache, für die fie ſich ine 
tereffire, ihren gewöhnlichen Lauf zu Iaffen, daß es Ihrer Durchlaucht 
das größte Vergnügen made, Minen und Gegenminen fpringen zu 
faffen, um zu irgend einem Refultat zu fommen, das fie vielleicht auf 
geradem Wege leichter erreichen konne.“ 

„Und ich beftätige meine Worte von damals,“ antwortete der 
Regent, „ic ſprach fo eben noch das Gleiche aus. Aber er verlegt 
mic) tief, diefer Mangel an Vertrauen, ja, er thut mir unendlich weh’ 
und ich will mid) nicht ſchamen, das vor Ihnen zu geftehen. — Bir 
find ja einmal Bertraute geworden, befter Fernow,“ fuhr er mit einem 
ſchmerglichen Lächeln fort, „was ich meines Theile nicht berene, da ich 
überzeugt bin, mich in Ihnen nicht geirrt zu haben.“ 

Damit trat er einen Schritt gegen den jungen Mann und reichte 
ihm feine Rechte, die jener mit beiden Händen ergriff und ehrerbietig 
an feine Lippen führen wollte; doch entzog fie ihm der Regent auf 
eine fanfte Art. 

Er ſtrich fid) leicht über die Stirn, trat zum Tifche, warf das 
aufgeſchlagene Buch zu und fagte: „Für Ihre Nachricht danfe id 
Ihnen herzlich. Ich Hatte eine Ahnung von diefer Angelegenheit, 
wußte aber in der That nicht, daß diefelbe ſchon fo weit gediehen fei. 
Bollen Sie mir noch einen ferneren Dienft Ieiften, fo werden Sie 
mich außerordentlich verbinden.” 

„Es macht mic glüdlih, wenn Eure Hoheit über mid) befehlen 
wollen,“ entgegnete der junge Offizier mit Herzlichen Tone. 

Der Regent blickte auf die Uhr über dem Kamin, 

„Es ift beinahe elf Uhr, Sie kennen Baron Wenden gut genug, 
um ihm, falls er noch nicht zu Bette ift, einen Beſuch machen zu 
Tönnen ? 

„O ja, Euer Hopeit, ih kaun das ſchon wagen.“ 


Biederum im Kabinet des Regenten. 1 


„Beben Sie alfo zu ihm, ſuchen Ste ihn Heute noch zu fprechen, 
und fagen Sie ihm, ih wifle um die geheime Angelegenheit, id) fei 
ſehr ungepaften und geben Sie ihm den freundfchaftlichen Rath, — 
begreiflicher Weife habe ich Sie nicht geſchickt, Sie tommen ganz aus 
eigenem Antriebe — Ste geben ihm alfo den guten Rath, Ihnen zu 
entbeten, wie die Sache überhaupt fteht. Sagen Sie ihm, dies ſei 
Ihrer Anfiht nach das beſte Mittel, feine Krankheit niht nur augen 
blicklich aufgören zu machen, fondern auch allenfallfige Meine Wünfche 
erfüllt zu fehen. — Die Sache ift mir wichtig, lieber Fernow,“ feßte 
der Negent in faft fiebreichem Tone hinzu, „denken Ste nicht, Ste 
handeln für den Regenten, denken Sie, es fei für einen Ihrer guten 
Zreunde, dem Sie nad beftem Willen einen Liebesdienſt erzeigen 
möchten.“ 

„Hoffentlich fol Euer Hoheit mit mir zufrieden fein; ich darf 
mir wohl erlauben, morgen mit dem früheften „meinen Rapport abzus 
ftatten 9" 

„So früh, ala Sie, wollen, Fernow,“ antwortete der Regent mit 
einer freundlichen Handbewegung. 

Als der junge Mann das Zimmer verlaffen Hatte, ſchaute der 
Regent einen. Augenblick "are vor fich Hin, dann drüdte er die rechte 
Hand auf das Herz und that mit fit zufammen gebiffenen Zähnen 
einen tiefen Athemzug. 

„Alſo doch!" ſprach er zw ſich felber, „fie Hat mich wirklich über 
liſtet! Aber zu welchem Zwei? Das möchte id wifien. Bu welchem 
Zwede? Will fie Herzogin von D. werden? Bah! id Tann und 
will nicht daran glauben. Und doch — und do! Diefe ganze In- 
trigue fähe ihr ähnlih, — wenn — ja wenn — fie diefelbe nicht fo 
außerordentlich geheim gehalten hätte. Fernow it ehrlich. Er hängt 
an mir und iſt feines ihrer Werkzeuge. — Und doc wäre ich unauss 
ſprechlich gfädlih, wenn er zum Verräter an mir geworden wäre, 
wenn er auf den Wunſch der Prinzeffin mir diefe Mittheilung ges 
macht hätte, wenn fle mid einen drohenden Verluſt ahnen laſſen 


22 ‘ Dreigehntes Kapitel. 


wollte, um mic zu einem entſcheidenden Schritt zu drängen. — — 
Aber nein, nein, es ift nicht fo. Ich fürdte, ich habe zu fange ges 
‚zaubert, ein verlorenes Spiel in der Hand. Da Zernow treu ift, it 
die Prinzeffin in Wahrheit falſch gegen mid. Sie will ſich von mir 
losreißen, fie will Herzogin von D. werden. — Wir wollen fehen.” 

Herr von Fernow hatte draußen im Borzimmer Mühe, fid fo 
ſchnell, als es nothwendig war, von Herrn Kindermann zu verabfchie 
den. Der alte Herr faß wie geknickt in feinem Lehnftuhle und machte 
taum einen ſchwachen Verſuch, aufzuftehen. Er hatte natürlicher Weile 
fehr wenig von der Unterredung im Kabinet verloren umd ihm, der, 
wie wir es willen, fr eine Verbindung des Negenten mit der Prin- 
zeſſin Elife fhwärmte, war das, was er erfahren, fo überrafchend ger 
tommen, daß es ihn ganz uiedergefchmettert hatte, und er beim Gin- 
tritt des Adjutanten nicht einmal im Stande war, ein ganz gemöhns 
liches Lächeln auf feine Züge zu zaubern. Gr hätte gar zu gern feis 
nem Kummer durd; ein Gefpräch Luft gemacht, doc; legte Herr von 
Fernow den Finger auf den Mund und fagte nichts ala: „Ein drin- 
gender Auftrag, Herr Kindermann, morgen das Nähere.“ 


Dann verließ er eilig das Kabinet des Kammerdienerd und trat 


durch das Vorzimmer in bie jept ſchon öden Gänge des Schloſſes. 
Man hörte hier nicht mehr ala das taftmäßige Aufe und Abfchreiten 
der Schildwachen und nur dann und warn von weither fhallend das 
Zuſchlagen einer Tür, 


Jeht war der junge Mann an eine große Treppe gefommen, wo 


er hinter einem der dicken Pfeiler ftehen blieb, denn droben hörte man 
Thüren öffnen umd fah den Glanz von Lichtern, mit denen ein yaar 
Rafaien eiffertig auf den Gang hinausſprangen. Iept wurden auch 
Sdhritte vernehmbar, der Tritt eines Mannes und das Naufcen eines 
feidenen Kleides. 

„Mir ſcheint,“ ſprach der Adjutant zu ſich felber, „ich bin heute 
einmal dazu verdammt, im Schloffe zu lauſchen. Gin unangenehmes 
Geſchaft — man erfährt da felten was Gutes. Cigentlich fehe ih 





Wiederum im Kabinet des Regenten, 223 


nit ein, warum id} Hier verborgen ftehen bleiben foll. Was kümmert 
mich, wer da von den Gemächern der Prinzeffin kommt. — Vorwärts.” 

Und doch ging er nicht vorwärts. Denn der Klang der Stimme, 
die jegt auf der Treppe faut wurde, hielt ihn gewaltſam hinter dem 
Pfeiler fe. Es mar Seine Egrellenz der Oberftjägermeifter, der in 
feinem ſcharfen Tone fagte: „Ste werden nicht fo graufam fein, mein 
Fräulein, um mir zu verbieten, daß ich Sie in meinem Wagen bis 
an Ihre Wohnung begleiten darf, Ich habe ja das Glück, Ihnen fo 
nahe zu ftehen, daß felbft die Oberhofmeifterin Ihrer Durchfaucht, die 
doch im Punkte des Anftaudes faſt unmöglich zu befriedigen ift, nichts 
dagegen einzuwenden hatte, wie Sie droben vernahmen.“ 

So ſprach er, und was er fagte, fiel wie gewaltige Schläge auf 
das Herz des armen Fernow. Jetzt wußte er, wer neben dem verhaße 
ten Nebenbuhfer die Treppen hinabſtieg. O wäre der hundert Meifen 
von diefem Plage entfernt gewefen! Wie ein Kind nach blendendem 
Blitz entſetzt auf den heftigen Donnerfhlag wartet, fo lauſchte er 
angſtvoll auf ihre Gegenrede. 

Ja, fie war ed. Es war Helene von Ripperda, die aus ihren 
Dienftzimmern im Schloß in ihre Stabtwohnung zurüdkfehren wollte. 
Und wenn fie dem Oberftjägermeifter auch zur Antwort gab: „Ich 
win fie wahrhaftig nicht bemühen, mein Wagen ſteht ja ebenfalls 
bereit,“ wenn fie ihm auch mit diefen Worten feine Bitte verweigern 
zu wollen ſchien, fo war dod der Klang der Stimme fo freundlich, 
daß der arme Lauſcher darob feine Hände zufammenballte, — D, feine 
Leiden waren noch nicht zu Ende. „Dießmal laſſe ich mid; nicht abs 
weifen, mein fchönes Fräulein,“ fagte die Excellenz Iuftig, „ih muß 
Sie fonft bei Ihrer Durchlaucht und fogar bei der Oberhofmeifterin 
verflagen. Schidden Ste Ihren Wagen weg. Ich erbitte es mir als 
eine Gunft, — ja, als eine Gnade, Ste in meiner Equipage begleiten 
zu dürfen.“ 

„Das bank’ ihm der Teufel, daß das eine Gunft ift,“ dachte in- 
grimmig Herr von Fernow, indem er mit den Zähnen Inirfhte. „Wenn 


224 Dreizehntes Kapitel. 


ich mich fehen Liege? — Doch nein. Was brauche ich zu ihrer Hülfe 
zu erfcheinen, o, dies ſtolze Mädchen ift jelbftitändig genug, ihren 
Willen durdzufegen. Sie ift nur nachgiebig, wo es ihr gefällt, 
Bahr" hin!“ 

Der Klang der Schritte und das Rauſchen der ſeidenen Robe 
verloren ſich nad) dem Hauptportale zu. Herr von Fernow eifte uns 
vwillfürlich nad. Gr wußte, daß er die Beiden nicht mehr erreichen 
konnte, er wollte fih nur das unausſprechliche Vergnügen machen, die 
beiden traulich Beifammenfigenden davonfahren zu fehen. 

Sept fuhr ein Wagen vor, man hörte den Tritt herabſchlagen, 
dann die Stimme Seiner Eprellenz, welche dem Kutſcher die Wohnung 
des Fräuleind von Ripperda angab, und die Cquipage rollte davon. 
Der arme Adjutant ftand in diefem Angenblide unter dem Haupt⸗ 
vortal, Was hätte er um Die Stelle des Oberftjägermeifterd gegeben! 
Reben ihr im engen Wagen ruhen zu dürfen, ein freundliches Wort 
mit ihr plaudernd, vielleicht fanft ihre Hand berührend — o Gott, 
daß Träumereien, und namentlich Träumereien eines Unglüdfichen fo 
extravagant find! 

Ein zweiter Wagen hielt noch bei der Anfahrt, der Wagen der 
fhönen Hofdame. Der Kutſcher wollte gerade feine Pferde wenden, 
um leer in die königlichen Stallungen zurüdzufehren, als ihm Herr 
von Fernow zurief, zu halten. Auf den Ihärmen ſchlug es eilf Uhr, 
es war eine gute Strecke bis zur Wohnung des Baron Wenden. 
Barum follte er fih nicht erfauben, einen leeren herzoglichen Wagen 
zu benugen! Und — woran er wohl dachte, und was ihm einen füßen " 
Schmerz bereitete — ihren Wagen! 

Der Latal, der neben dem Coups ftand, öffnete dem Adjutanten 
bereitwillig den Schlag, diefer nannte die Wohnung ded Baron Wenden 
und warf ſich auf das Kiſſen der linken Seite. Helene pflegte in der 
rechten Ede zu fihen. An fie denkend, fegte er feine Hand auf das 
Polſter, wo ihr Kopf gewöhnlich ruhte, und als ex hierauf fanft über 
die fhwere Seide hinabfuhr, erfaßten feine Finger mit unausfprehr 


Biederum im Kabinet des Regenten. 225 


lichem Bergnügen ein feines Battiſttuch, welches fie im Wagen ger 
laſſen. Daß er e8 an feine. Lippen druckte und es dann, ein glücklicher 
Die, forgfäftig in feine Bruftiaſche ſteckte, drauchten wir den geneigten 
Xefer eigentlich gar nicht zu fagen, doc war diefer koſtbare Fund nicht 
{m Stande, feine ſchmergliche Stimmung zu verfheuden, vielmehr 
dachte er immer und immer wieder an den vorausrollenden Wagen, 
und wenn er zornig fagte: „Warum konnte id; nicht früher das 
Schloß verlaſſen?“ fo feufzte er in Uebereinſtimmung mit diefem Ge» 
danfen gfeich darauf aus vollen Herzen: „Das war fein Augenblick 
des Glüds!” 


Bierzehntes Kapitel, 
Eine goldene Brühe. 


Auf die Gefahr Hin, dem geneigten Leſer ten Anfang bes erften 
Kapitels zu wiederholen, müfjen wir ihm doch, dem Lauf unferer wahre 
haftigen Geſchichte gemäß, anı heutigen Abend nochmals zur Wohnung 
des Kammerherrn Baron von Wenden zurückführen, obgleich wir die 
felbe nach dem Diner, und zwar erft vor wenigen Stunden verlafjen. 
Nachdem fih auch der Oberftjägermeifter von ihm verabjchiedet, hatten 
Reflegionen über feine Kranfpeitszuftände abgemechfelt mit Plänen für 
die Zufunft, und nebendem hatte der Dienft am Fenſter eine nicht 
unbeträchtliche Zeit in Anfprucd genommen. Doch ſchien der Baron 
in Tepterer Angelegenheit feinen befonderen Schritt vorwärts machen 
zu fönnen. Denn wenn fih auch das Mädchen zuweilen blicken ließ, 
ſogar flüchtig herniederſchaute, jo Hielt fich Rofa höchſtens ſekundenlang 
auf, von irgend einer Bewegung mit der Hand war gar feine Rede, 
fie fah ernft, ja, was noch fehlimmer war, höchſt aleicheanus aus, und 

Hadländers Werte. XXL. 


226 . Bierzehntes Kapitel. 


alles dieß gab dem Kammerherrn Stoff genug zum Nachdenten. Was 
die beiden erſt erwähnten Angelegenheiten betraf, fo glaubte er den 
richtigen Weg gefunden zu haben. Das tühlere Betragen feiner ſcho— 
nen Nachbarin dagegen fonnte er fih unmöglich erffären. Sollte fie 
vielleicht Aufmerkſamkeiten anderer Art, follte fie eine Annäherung er 
warten und darum bes Schmachtens aus der Ferne überbräffig fein? 
Seine Eiteffeit wollte fo weit nicht gehen. Und doch warum follte das un 
möglich fein! Warum follte ihm feine ſchͤne Nachbarin nicht in Wahrheit 
ihre ganze Liebe zugemendet haben? — Ja, und wenn das der Fall war, — 
und daß biefer Fall in der That denkbar war, das glaubte Herr von Wenden 
im Spiegel zu leſen, in welchen er in diefem Augenblicke einen mörs 
derifchen Blick warf, — fo konnte er ed feiner Nachbarin nicht vers 
üben, wenn fie von ihrem Gegenüber endlich einen anderen Beweis 
der Zuneigung verlangte, ald das ewige Anbliden, ald das beftändige 
Zeichenmachen mit Hand, Schnupftuh und Blumenbouquets. Diefer 
Gedanke war dem Kammerherrn fo ſchmeichelhaft, daß er ihm mit 
Vergnügen nachhing, ja, daß er nad) einiger Ueberlegung entzüdt von 
dem Benehmen des jungen Mädchens war. Daß er morgen am Tag 
Schritte thun wollte, um fie nicht Länger harren zu laſſen, verſprach 
ex ſich freilich war aber mod) nicht echt mit ſich darüber im Reinen, 
auf welche Weiſe er eine Begegnung bewerfitelligen follte. Gin Ans 
‚derer Hätte fich vieleicht darüber nicht viel Kopfbrechens gemacht, 
aber Herr von Wenden hatte einestheils in dieſem Punkte etwas ſeht 
Kindliches und anderntheils hatten ihn ſchon traurige Erfahrungen 
auf diefem Felde der Dipfomatie fo vorfichtig als fhüchtern gemacht, 

Daß er bei diefen Betrachtungen fehnlihft auf das Aufhören 
feines höchften Orts befohlenen Unwohlſeins harrte, verſteht fich von 
ſelbſt. Noch nie hatte er feine fämmtlichen Zimmer mit folder Unge⸗ 
duld durchſchritten, wie am heutigen Abend, Wie lang wurden ihm 
die Stunden nach Beendigung feines Diners bis neun Uhr. Glüd- 
licherweiſe wurde ihm aladann fein Thee fernirt, neben der fprudeln 
den Raſchine ſchichtete ihm fein Rammerdiener die mit der Abendpoſt 


Eine goldene Brüde 227 


eingelaufenen Zeitungen und Briefe auf, und mit Durchleſung derfels _ 
ben verfloßen eine bis anderthalb Stunden unendlith viel ſchneller, ala 
wenn er im Zimmer aufe und abfpazierend die Zeit tobttrat. 

Da erfhien der Kammerdiener geraͤuſchlos wie ein Schatten im 
Zimmer, glitt vor den Fauteuil des Barons und präfentirte ihm auf 
filbernem Teller ein Meines Briefen, welches fo eben draußen abgeges 
ben worden war. Der Hoflafai, fagte er, warte auf Antwort. 

Bern man gelangweilt ift, fo ift die Ankunft jedes Briefe er⸗ 
wünfht; ein Schreiben aber, das ein Hoflafai bringt, der obendrein 
auf Autwort wartet, gehört zu den intereffanteften Erlebniſſen eines 
Kammerherrenlebend. Daß der Baron haſtig das Schreiben ergriff, 
verfteht fi vom ſelbſt, ebenfo, daf er mit Vergnügen die Aufichrift 
von einer feinen Damenhaud fah, und nicht minder, als er auf dem 
Siegel das Herzogliche Wapyen erfannte. 

Der Kammerdiener zog ſich einige Schritte zuräd, der Baron 
rädte bie Lampe näher und erbrad in der größten Ehrfurdt das 
Siegel, Daß der Brief von der Pringeffin Eliſe fam, hatte er an 
Schrift und Petfchaft erkannt, da er einen freundlichen Dank enthalte 
für feine Bereitwilligkeit, ihr unbedingt feine Dienfte widmen zu 
wollen, ahnie er, öffnete aber tropdem in einiger Aufregung das zierlich 
aufammengelegte Blatt, „Mein lieber Kammerherr von Wenden,“ 
ſchrieb die Prinzeſſin; — die Anrede war gut und viel verfprechend, 
umd der Brief ſelbſt mußte feinem Inhalte nach diefe Aufſchrift wahr⸗ 
Haftig rechtfertigen, ja, er mußte intereflant und pifant fein; denn das 
ſpiegelte fich deutlich in dem ſeltſamen Geſichtsausdruck, mit dem der 
Kammerherr das Blatt anſtarrte. Auf feinem Gefihte war Ueberra⸗ 
ſchung, ja, einiges Erſchrecken deutlich zu leſen. Er durchlief das 
Schreiben einmal, zweimal, er las es zum dritten Mal. Er fchüttelte 
mit dem Kopfe, er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen und . 
las dann zum vierten Male, um fid zu Überzeugen, daß er fih nicht 
geiret, — Rein, hier war fein Irrthum möglich; da landen die Worte 
in den ihm wohlbelauten ſcharfen und ausbrudsvollen Schriftzügen 


228 Bierzehntes Kapitel, 


der Pringeffin, Mar und beftimmt, ohne eine andere Deutung zuzu⸗ 
laſſen, als ihren Willen, den fie aufs Klarſte ausdrüdte. 

Die Pringeffin ſchrieb folgendermaßen: „Mein lieber Kammerhert 
von Wenden! Durch Baron Rigoll erfuhr ih fo eben Ihre freunds 
liche Bereitwilligkeit, mir Ihre Dienfle ohne Rüdhalt widmen zw 
wollen. Leider aber find Sie durch ein ähnliches Anerbieten vor weni‘ 
gen Tagen in unangenehmen Conflikt mit dem Megenten gekommen, 
was mir indeſſen Ihre heute anögefprodene Bereitwilligfeit nur um 
fo ſchahenswerther macht. Hören Sie meinen Wunſch, für defien 
punttliche Grfühung ich Ihnen aufs Dankbarfte verpflichtet fein werde, 
Durch Baron Rigoll erfuhren Sie den Aufenthalt des Herzogs Alfred 
von D., fowie defien Abfihten auf meine Hand. Die Unterhandlungen 
And fo weit gedichen, daß id) nur ein einfaches Ia zu fagen brauche, 
um fie zum Abſchluß zu bringen, — Daß ſich der Herzog im ſtreng ⸗ 
ften Incognito bier aufhält, Liegt in dem Benehmen des Regenten, der 
fich gegen die projeftirte Heirath ſchon vor einiger Zeit ungünftig aus⸗ 
äufprechen befiebte. Ob ſich deſſen Anflhten geändert, möchte ich auf 
indirekten Wege erfahren. Deßhalb wunſche id, daß Sie dem Ro 
genten, ihm ſelbſt oder noch beſſer einem feiner’ Bertrauten Die Mu⸗ 
teilung über alles das machen, was Sie in diefer Angelegenheit den 
Herzog und mic betreffend heute von Baron Rigoll erfuhren, mit 
Einen Worte, und um es Ihnen vollkommen deutlich gu erflären, Sie 
follen mein Geheimniß dem Herzog verrathen.“ 

„Benn ich Sie zu gleicher Zeit erfuce,, diefes Schreiben, nadr 
dem Sie es gelefen, dem Weberbringer wohlverfegelt an mich zurüd 
angeben, fo bitte ich darin fein Zeichen des Mißtrauens zu fehen, fow 
dern mein Begehren den eigentgümfichen Verhältniſſen zugufchreiben, 
in denen wir uns, vor allen aber ich mic, Hier befinde, und Sie wer 
den dadurch meinen vollkommen gerecjtfertigten weiteren Wunſch ver 
ſtehen, daß meine Zeilen auf's Allerſtrengſte unter uns bleiben, In 
diefem ale tdunen Sie auf meine unbegrenzte Dankbarkeit rechnen; 
im andern aber, den ich indefien bet Ihnen wicht vorausfege, mühte 


Eine goldene Brüde. 229 


ih Sie desavouiren und, fo leid es mir auch vielleicht thun würde, 
als erbitterte Feindin verfolgen. life. 

Dem Kammerheren war nach viermaligem Lefen dieſes Briefes zu 
Muthe, als befinde er fih in einem ſchweren Traum, aus dem zu ers 
machen ihm faft unmöglich wurde. Gr griff an feine Stirn, er fah 
im Zimmer umher, betrachtete Auffhrift und Siegel, aber das blieb 
unverändert, und wie fchon vorhin bemerkt, war der Brief fo Mar ab- 
gefaßt, daß er feiner Mißdeutung unterlag. 

„Das tft eine fhöne Commiſſion,“ feufzte Herr von Wenden nach 
längerem Racıdenken. „Teufel auch! warum erficht fie gerade mic 
dazu ? Wie werde ich Seiner Epeelleng gegenüber beftehen! — D, &, 
gehe Einer vom geraden Wege ab, laſſe ſich in Intriguen ein, nament⸗ 
uͤch in Intriguen, die von Weibern eingefäbelt und durchgeführt wer- 
den, fo Hat ihm der Teufel nicht nur bei einem Haar, fondern beim 
ganzen Schopfe.“ Er war mißmuthig von feinem Fauteuil in die 
Höhe gefprungen und fehritt aufgeregt durch das Zimmer. Bor allen 
Dingen durfte er die Pringeffin nicht aufRüdjendung des gefährlichen 
Billets warten fafien; das war in dem Ganzen die ungefährlichfte 
Forderung, und daß fie ein Recht dazu Hatte, fah er wohl ein. „Gin 
Recht ? ſprach er trübe lachelnd zu ſich felber, „ein Recht, das ſich die 
Großen diefer Exde nehmen, um feldft im Schatten ſtehen zu bleiben, 
um und nah Gutdünfen an das Licht fleflen zu können. Sei es 
darnm. Biefleiht bin ich diesmal der Ausübung meiner Theorie 
naher, als damald bei dem Blumenbouquet; vielleicht iſt dies ein 
Augenbli des Glüds." — 

Raſch trat er zum Tifche, ſteckte Das Billet in ein Convert, fiegelte 
es forgfältig, ſchrieb die Adrefie an Ihre Durchlaucht und befahl, als 
vorfihtiger Mann, den Bedienten eintreten zu laſſen. 

Es war ber ihm umd auch und, geneigte Leſer, wohlbefannte 
Rammerfafei der Prinzeffin. 

„Ber gab Ihnen ven Brief an mich ? 

¶Dore Durchlaudht feloft.“ 





230 Bierzehntes Kapitel. 


„Um welde Seit?“ 

„Es flug gerade zehn Uhr.“ 

„Gut, wir haben ein Biertel auf Elf, um halb Elf muß meine 
Antwort in den Händen Ihrer Durchlaucht fein.” 

„Ich habe Befehl, fie felbft zu übergeben,“ entgegnete der Bediente 
mit einer ehrfurchtsvollen Berbeugung. 

„Gut — id) danfe Ihnen.“ 

‚Herr von Wenden entließ ihn mit einer Handbewegung, umd der 
Kammerlakat zog fi}, von dem Kammerbiener begleitet, zurüd. Der 
Baron begann wieder, von feinen Gedanken getrieben, haftig im Zim⸗ 
mer aufs und abzugeben. 

„Benn ich mir die Sache genau überlege," ſprach er nad einer 
Baufe, „erweist mir die Prinzeffin mit dieſem Auftrage eine ganz ber 
fondere Gunft. Es find das zwei Fliegen mit einem Schlage. Die 
Dankbarkeit Ihrer Durchlaucht und die Erkenntlichkeit des Regenten, 
indem man ihn von einem eigentlich gefährlichen Unternehmen in 
Kenntniß fegt, das ohne fein Vorwifien betrieben wird. Wahrhaftig, 
es {ft mir gerade, als fei ich dem Augenblid des Glücks nahe und 
brauche dießmal nur zuzugreifen. — Die Brinzeffin ſchrieb, fie dem 
Regenten felbft zu verrathen, noch beſſer aber einem feiner Vertrauten. 
Mit dem Lepteren bin id; mehr einverftanden. Den Teufel auch, es 
iſt fein Meines Unternehmen, eine Pringeffin des Haufe fo geradezu 
au verrathen umd anzuklagen! Da gibt ed Kreup und Querfragen, 
da will man Quellen und Beweife, ih fenne das, und dann hat Seine 
Hoheit der Regent eine fo eigenthumliche Art bei folden Beranlaffun- 
gen feingn großen Bart zu flreichen, und die Leute anzufehen, eine 
Art, die gerade nicht encouragirend if. Spreche ich aber mit einem 
Dritten, fo fann der am Ende hinzufügen, was er will, was geht das 
mich an, ich brande nicht für jedes feiner Worte einzuftehen.” — Er 
hielt in feinem Spaziergange ein, warf fi in den Fauteuil und trant 
den Reft feines kalt gewordenen Thees. — „Nur der Baron Rigoll 
macht mir einige Sorge,“ fuhr er in feinem Gelbfigefpräch fort, „Seine 


Eine goldene Brüde. 231 


Ggeelleng find Heftiger Natur. Sie könnten einen Verſuch machen, 
mich fehr hart angulaffen, und den Verrat gegen die Primgeffin als 
auch gegen ihm ſeibſt begangen darzuftellen. Aber ic kann mic auf 
nichts berufen. Das iſt wahr, — ich darf Seiner Epeellenz gegenüber 
nicht einmal von dem Befehle Ihrer Dunchlaucht fpreden. D! 0, Die 
Sache it in der That verwidelter, als ich gedacht. — Und an wen 
ſoll ich mich wenden? Wer ift ein Bertrauter des Megenten, der mir 
zugleich fo befreundet it, daß ich unummunden mit ihm reden ann, 
daß er meine Lage einfieht, und ehrlich für mich Handeln wird? — 
Er beugte den Kopf in die Hand und blidte eine Zeit lang düſter 
vor ſich nieder, 

„Bie läßt doch,“ fuhr er nach einer Pauſe fort, „der unübertrefffiche 
Schiller bei einer ähnlichen verwidelten Angelegenheit den Hochfeligen 
König Philipp fprehen? — Ich Habe wahrhaftig meinen ganzen 
Schiller vergefien. Doch nein,“ er fagt: „Jeht gib mir einen Mens 
ſchen gute Vorſicht — du haft mir viel gegeben. Schenke mir Jept 
einen Menfchen —“ 

In diefem Augenblide hörte man das dumpfe Rollen eines Wa 
gend auf dem Pflafter, der drunten vor dem Haufe des Kammerherrn 
anhielt. Der Kammerdiener, der im Nebenzimmer am Feuſter geftan- 
den , meldete durch eine Spalte der Thür, es fet ein Hofwagen ange 
fahren, und fragte an, ob der Herr Baron für irgend Jemand zu 
Haufe fel. 

„Wenn es einer von meinen genauen Befannten iſt,“ entgegnete 
dieſer, „So ſag' ihm, ich habe mid ſchon zurüdgegogen, bu wollteft 
aber fehen, ob ich noch nicht zu Bette fei.“ 

Die Thüre ſchloß fih und der Kammerhere im Fauteuil zuräde 
gelehnt, taufchte aufmerkfam. Jeht fprang Jemand eifig die Zrepyen 
hinauf, und gleid) daranf hoͤrte er eine Stimme im Borzimmer: „Gi 
zum Henfer, mein lieber Henri, wenn man fo fpät fommt, hofft man 
feine Freunde auch zu Haufe zu finden. Sagen Sie dem Baron, 
wenn er auch fchon zu Bette gegangen fel, fo würde id; mir doch er» 


232 Biergehntes Kapitel, 


landen, mich einen Augenblick zu ihm zu fegen, es fei ja nicht das 
erftemal.” 

„Es iſt Fernow,“ fagte Herr von Wenden, indem er eine Klingel 
in Bewegung feßte, die vor ihm auf dem Tiſche neben den Zeitungen 
fand. Der Kammerdiener erſchien augenblicklich, und ließ als ein 
gewvandter Mann ſogleich die Thür offen, ald er vernahm, wie ihm 
fein ‘Herr mit fauter Stimme entgegen vief: „Weun ih mich nicht 
tere, ift Major Fernow draußen. Ich laſſe ihn recht fehr bitten, bei 
mir einzutreten.“ — „Fernow,“ ſprach er zu ſich ſelber, „follte ers 
am Gnde fein, dem ich meine Sache an’ Herz legen fönnte —? Ich" 
glaube, ja. Wenn er auch feit zu dem Regenten hält, ift er doch cin 
ehrlicher Kerl, und man fann ſich auf ihn verlafen.“ 

Der Major erſchien auf der Schwelle und fagte zu dem Kam- 
merdiener, der draußen blieb: „Bitte, fagen Sie drunten, daß der 
Bagen nicht zu warten braudt. Ich gehe zu Fuß nach Haufe” 
Dann trat er in's Zimmer und rief heiter, fat luſtig: „Du fiehft, 
fieber Wenden, wie fehr id} dich in Affertion genommen, Nachdem ich 
noch vor wenigen Stunden vortrefflich bei dir gefpeiöt, sieht e8 mid, 
jept fhon wieder zu dir Hin. Nennft du das nicht Freundfchaft *" 

Der Andere hatte fi) erhoben, und indem er dem Eintretenden 
entgegenging, fagte er ebenfalls reiht freundlich: „Es iſt in der That 
ion ‚von dir, daß du einen armen Kranken noch fo fpät befuchft. 
Bas aber die pure Freundſchaft anbelangt, fo hoffe id) im Laufe einer 
Viertelſtunde zu erfahren, ob du wirklich ohne Nebenabfichten zu mir 
gekommen biſt.“ 

„Ach!“ rief der Major, wobei er ein ernfted Geficht zu machen 
verfuchte, das aber in der That komiſch ausfah, „Du follteft mich befier 
kennen, — Uneigennügig bis zum Greeß!“ 

„Sehen wir uns, fegen wir und,” entgegnete der Rammerherr mit 
einer Handbewegung und einer Miene, die deutlich fagte: „Rafien 
wir das gut fein.“ 

Obgleich Herr von Feruow diefer Einladung augenblicklich Folge 


Eine goldene Brüde 233 


Teiftete und es fi) in einer weichen chaise longue fo bequem als 
möglich machte, fo Hatte er doc die Miene und den Ton der Stimme 
feines Freundes volllommen verflanden und wiederhofte: 

„Rein, ich bin nicht eigennägig, — diefe Tugend mußt du an 
mir foben, Ich opfere mich im Nothfall für meine Freunde.“ 

„Ja, ja,“ erwiderte der Andere in gebehntem Tone, wobei er ſich 
langſam in feinen Fautenil niederließ; „du warft früher ein guter Kerl.” 

drlhert" 

‚Run, bu wirft dir doch wohl nicht einbilden, daß du im helfen 
Glanz der allerhöchften Gnadenfonne derfelbe geblieben biſt ?“ meinte 
der Kammerherr, „deßhalb fei ehrlich, was führt dich in fo fpäter 
Abendftunde zu mir?" 

Die Begierde, dich zu ſehen.“ 

„Ah, Redensart " 

„Ich fage dis, du biſt unendlich mißtrauiſch geworden.“ 

„And wenn dem fo wäre, babe ich nicht Urfache dazu? Sipe 
ich nicht Hier jept ſchon faft adıt Tage, im unangenehmften Bimmer- 
arreſt und feiner meiner Freunde wirft ſich für mich in's Feuer, um 
mid) daraus zu erlöfen ?“ Das fagte er beinahe mißmuthig. 

„Davon fpäter,” erwiderte Herr von Fernow, „vorderhand hin ich " 
wirklich noch Bier, um in diefem bequemen Lehnftuhle eine halbe Stunde 
ausruhen zu lönnen und, wenn du nichts dagegen haft, dazu eine 
Eigarre zu rauchen.“ 

„Das hätteft Du Alles zu Haufe haben können,“ entgegnete der 
Kammerherr, indem er langfam den Fuß der Rampe ergriff und die 
felbe faft unmerklich fo zu rüden begann, daß er in den Schatten bes 
grünen Schirmes zu figen fam, während auf den Andern das volle 
Licht fiel. J 

Der Adjutant lächelte in fh hinein über dieſes Manöver, das er 
vollkommen begriff, und zündete fh eine Gigarre an, worauf er erwi⸗ 
derte: „Allerdings hätte ich alles das zu Haufe auch haben können, 
aber ohne deine Unterhaltung. Weißt du, dag es ſchon ziemlich lange 


234 Biergehntes Kapitel. 


ber ift, daß wir nicht mehr zufammen ſprachen, fo was man eigentlich 
zuſammen ſprechen nennt? 

„O ja, ich weiß es,“ ſeufzte Herr von Wenden. 

„Seit jenem Tage nicht mehr, als wir zuſammen Dienſt im 
Schloſſe hatten, wo du fo freundlich warft, mir deine wirklich pifanten 
Theorien vom Augenblide ded Gluckes auseinanderzufegen.” 

„Und womit ich den Teufel an die Wand malte,” fagte Herr von 
Wenden. „Der vermeintliche Augenblid des Glüds wurde mir zum 
Augenblick ded Ungläds. Meint Du nicht and) fo% fepte er Ianernd 
Hinzu. 

Der Anjutant hatte feine beiden Hände unter den Kopf gelegt 
und blictte an bie Desfe des Zimmers, wobei er behaglich feine Gigarre 
rauchte Auf die Frage des Freundes quite er mit den Achſein und 
entgegnete: 

„Wer weig? — Ich kann nicht ganz deiner Anficht fein. Daß 
für dich damals ein Angenblid des Glüdes nahe war, davon bin id 
feſt überzeugt, and glaube eben fo fiher, daf der Augenblick umbeben- 
tenden Ungläcts, der gleich darauf eintrat, Dich vielleicht vor größerem 
Unglüd bewahrte.“ 

„Darin liegt etwas Wahres,“ antwortete Herr von Wenden nad 
einem Moment des Nachdenkens, „aber wie ih ſchon vorhin ſagte,“ 
fügte er fanft lächelnd Hinzu, „du Haft dich in den acht Tagen außer 
ordentlich gemacht. Ich fehe, du bift im Begriff, mir gang neue Sei- 
ten meiner Theorie zu entwideln.. Rur zu !" 

„Bas fein Verftand des Verftändigen ſieht, das übet in Einfalt 
ein kindlich Gemäth.“ 

„Sol der Zeufel dein Mndliches Gemüth! Aber jept Scherz bei 
Seite. Wenn du auch nicht mit der Sprache heranswillit, was du 
eigentlich fo fpät bei mir ſuchſt, fo unterhalte mid armen Gefangenen 
wenigitend mit ber Erzaͤhlung defien, was du von fieben Uhr bis jept 
getrieben. — Denn du haft doch heute Abend etwas getrieben ? fepte 
er hinzu, indem er ihn feltfam aus den Augenwinkeln anbligte, 


Eine goldgue Brüde 235 


„Ich habe allerdings getrieben und bin getrieben worden,“ ent⸗ 
gegnete Herr von Fernow mit einem leichten Zuden feines Munbes, 
„aber beine Forderung ift außerordentlich Hug, ganz diplomatiſch. Sage 
mir, mit wen du umgehſt, fo will ich dir fagen, wer du biſt.“ 

„Allerdings.“ 

„Der fage mir, wo du warft, fo will ich erkennen, was du ges 
trieben.“ 

„Auch richtig. Aber wenn es Geheimmnifle find, fo bin ich nicht 
fo indiscret, deren Mittheilung zu verlangen.“ 

„Geheimniffe habe ich feine, am allerwenigften vor dir, und wenn 
es dich unterhalten fann, fo follft du aud den Punkt erfahren, womit 
ich mich Heute Abend befhäftigt, oder was ich, um bein Wort zu ges 
brauchen, getrieben. Borher aber wirft du mir erfauben, daß ich mich 
in eine ganz bequeme Lage bringe, denn ich bin äuferft müde.” 

Bei dieſen Worten zog er einen Stuhl zu ſich hin, fegte Die Füße 
darauf und firedte fih fo aus, daß er in der That in feinem Bette 
wicht Hätte bequemer liegen Lönnen. Der Kammerhert fah ihm lächelnd 
zu und lehnte ſich ebenfalls fo weit ald möglich im feinen Fautenil 
zurück, was er jedoch Hauptfächlich in der Abſicht that, gang in dem 
Schatten zu kommen. 

„Alfo,” begann der Abjutant, — „du weißt, ich fange gern meine 
Reden mit Alfo an.” 

„ch weiß Daß, ich weiß daß,“ fagte ungebufbig der Kammerherr. 

„In Erinnerung an ein fchönes und liebenswürdiges Mädchen, 
das es ebenfo madıte.” 

„Meinetwegen.“ 

„Alſo ich verließ dich nach deinem famofen Diner und machte, 
meine Cigarre rauchend, einen Spaziergaug. Ich ging in den Schloß ⸗ 
garten und auf die Terrafie, die dir wohl bekannt ift, und fand dort 
einen jungen Mann, mit welchem ich mich über Leuchtkäfer unterhielt.“ 

„So, über Leuchttäfer ? 

„Ja, and noch über andere Sachen, Dann fpazierte ich nach ber 


Stadt zurüc, ging durch das Schloß umd erfreute mich auf der großen 
Terraffe an dem Duft der Orangen.” 

„Das war ein harmlofes Vergnügen. Nebenbei haft du wohl an 
den Fenftern des Schloſſes Hinaufgeblict . 

„Das that ic auch, was mich aber hauptſächlich intereffirte, war 
eine Unterredung von zwei Perfonen, die ich dort ganz zufällig hörte.” 

„Ber waren die Perfonen ?“ fragte aufmerfjam der Kammerherr. 

„Borderhand müſſen fie unbekannt bfeiben,“ fuhr der Major fort; 
„vielleicht entwictelt fich ihr Charakter im Laufe meiner Erzählung.” 

„Du ſahſt fie alfo im Lauf des heutigen Abends wieder ?“ 

„3a, ich folgte dem Einen durch mehrere Straßen, ſchloß mid 
ihm an umd fonpirte freundfchaftlicd mit ihm.“ 

„Alſo Jemand aus der Gefellichaft " 

„Das weniger, es war ein Künſtler, und da ich von jeher die 
Kunft protegirte, fo nahm ich mich des jungen Mannes recht innig 
an, und wir taufchten Ideen und fonft noch allerlei mit einander.” 

„Das hätt‘ ich hören mögen,“ meinte Herr von Wenden mit einem 
faft verächtlichen Zuden der Mundwinfel. 

„Gerade für Di,“ fagte Herr von Fernow, der fich flellte, als 
nehme er die Antwort feines Freundes für volllommen ernſt, „wäre 
das fehr intereffant geweſen; der junge Künftler nämlich ſprach auch 
von dir.“ 

„30, ſo? Ich babe ihn vieleicht {rgenbwe einmal yraegirt," 
warf der Kanımerherr leicht hin. 

Jeht war die Neihe an dem Abjutanten, auf eine fonderbare Art 
zu lächeln, was er denn and) nicht unterlieh, indem er fortfuhr: „Died 
mal irrft du Dich, lieber Wenden, der junge Mann iſt vielmehr im 
Begriff, dich zu protegiren.“ 

„Du bit ſeht ſpaßhaft aufgelegt.“ 

„Im Gegenteil, aber du biſt ein verfluchter Kerl“ 

Ge * 

„Deine Intriguen bei Hofe laſſen dir noch volllommen Seit, dich, 


236 Bierzehntes Kapitel, | 


Eine goldene Brücke. 237 


um deine Nachbarſchaft zu befümmern,“ fuhr der Adjutant nach einer 
Pauſe fort, während ‚welcher er mit der größten Ruhe die Afche von 
feimer Gigarre ſtieß; „Du ſehſt Herzen in Brand, du machſt Unglück- 
liche, du ſchmachteſt und Täffeft fchmachten.“ 

So überrafhend es auch für den Kammerheren war, zu erfahren, 
daß Herr von Fernow um. feine Fenfterbeobachtungen wußte, fo ſchmei⸗ 
cheite es ihm doch wieder, für einen Unwiderſtehlichen gehaften zu were 
den. Er fpipte den Mund auf die uns bekannte wohlgefällige Art, 
und um biefen Ausdruck de Behagens fehen zu fafien, tauchte er auf 
einen Augenblid aus feinem Schatten hervor, 

„Ich fehe, daß mein Verichterftatter Recht hat,“ fagte der Major; 
„Wenden, Wenden, das fol ein außerordentlich ſchͤnes und reizeudes 
Mädchen fein !" 

„3a, fie iſt fhön,“ verfepte der Kanımerherr mit weicher Stimme, 
und als er dabei die Augen ſchmachtend gegen das Feuſter verbrehte, 
fah er aus, wie ein vollendeter Ged. 

„Aber du haſt noch wenig Fortſchritte gemacht?” fragte anſchei⸗ 
nend gleichguͤltig der junge Offizier. 

„Es iſt unendlich ſchwer, ihr beizulommen,“ erwiderte der Kam⸗ 
wmerherr mit einem leichten Seufzer; „und dann weißt du auch fo gut 
wie id, daß id krauk bin, mein Zimmer nicht verfafjen darf.” 

„Aber vorderhand Grieflih —." 

„Du haft gut reden,” entgegnete lebhaft Herr von Wenden. „Soll 
ich das Mädchen durch einen von meinen Ejeln compromittiren ? Ach! 
ich Liebe das nicht. Du kennſt mic, in dem Punkte befier.“ 

„Dein Bekannter, mit dem ich ſoupirt,“ fagte Herr von Feruow, 
wie ohne Abfiht, „wohnt in dem gleichen Haufe mit dem Mädchen, 
hat fogar Zutritt in ihre Wohnung.“ 

„Gin Riebhaber ?" fragte fat eiferfüchtig der Andere. 

„Im Gegentheil, lieber Wenden ; ein junger, verftändiger Mann, 
der e& vollkommen begreiflich findet, Daß ein hübſches Mädchen, wie 
jenes if, an einem jungen Mann, wie du bift, verzeih' mir die ver 


238 Bierzehntes Kapitel. 


deckte Schmeichelei, Wohlgefallen findet. Ein junger Mann, der in ber 
Welt etwas gefehen hat und —“ 

„Und?“ wiederhofte Herr von Wenden fehr aufmerkſam. 

„Und der für mich Alles unternehmen würde, Doch davon fpäter. 
Borderhand muß ich dir weiter referiren. Nach ben Ideen tanfchten 
wir reellere Dinge mit einander aus, Dinge, in deren Beflg der junge 
Mann zufällig gerathen !" 

„Werben für mich gleichgültig fein,“ meinte der Kammerherr, der 
mit feinen Gebanfen offenbar bei feiner ſchdnen Nachbarin war. 

Der Adjutant hatte unterdeffen ruhig feine Eigarre auf den Tiſch 
gelegt, feinen ſchwarzen Frack geöffnet umd zog aus ber Bruſttaſche ein 
viereckiges Papier hervor, das er behutfam dffnete. Um dies aber zu 
tdnnen, da der Tiſch voller Zeitungen und Papiere lag, mußte er dieſe 
bei Seite fehleben und verrüdte dabei die Rampe, gewiß ohne Abficht, 
aber fo, daß num er im Schatten faß und auf den Andern das volle 
Licht fiel. Der Kammerherr Hatte dem Deffuen des Papiers augefehen, 
wie Jemand, dem eine Sache vollkommen gleichgültig if. Als der 
Major aber Außerft langſam das Umbäffungspapier entfernt Hatte, umb 
der Andere eine Photographie erblidte, da war bie Wirkung des Ans 
blicks dieſer Photographie auf ihn wahrhaft überrafchend, faft erfchredend. 
Seine fügen Augen, bie er in Gedanken an die Meine vorhabende 
Schwärmerel machte, verwandelten fi mit Einemmale und blidten fo 
ſtarr auf das Blatt, als fühen fie ein Gefpenft, Dabei ftüßte er bie 
Hände auf den Tifch und erhob fich ſchnell aus feinem Kantenil, ohne 
feine Augen von dem Portrait des Grafen Hohenberg wegzubringen. — 
„Fernow ?" rief er nach einer drädenden Paufe, „woher Haft bu dies 
Blatt, was foll das bedenten t“ 

So gut auch der Major das plögfiche Erſchrecken feines Freundes 
bemerkt, fo that er Doch gerade, als beſchäftigte er fich ausſchließlich 
mit dem Wiederanzunden feiner Eigarre, und erſt als er den lauten 
Ausruf des Andern vernahm, blidte er ihn wie erftaunt am und ante 
wortete Iebhaft: 





Eine goldene Brücke. 239 


„Bas brauchſt du zu erfchreden? If das nicht das Portrait eines 
‚Heren, den ich bei dir gefehen? Des — — Grafen Hohenberg?" 

Wenden fah, daß er ſich einigermaßen verrathen ımd fuchte dies 
wieder gut zu machen, indem er mit affertirter @feichgüftigfeit auf das 
Blatt biichte. Auch fagte er mit etwas verlegener Stimme: „Du haft 
Recht, es iſt Graf Hohenberg. Aber was du fo eben bon meinen 
Erſchrecken ſagteſt, dazu fehe ich eigentlich feinen Grund. Ich kenne 
diefen Herrn wohl ebenfo wenig, wie du felbft und intereffire mich 
durchaus nicht fr ihn.“ * 

Er Hatte bei diefen Worten das Bfatt wirklich in die Hand ge 
uommen, doch zuckten feine Singer, fo erregt war er, und er Tonnte 
fich nicht emthaften, über das Papier hinfber einen flüchtigen Bic 
anf feinen Freund zu werfen. 

„Es wäre in ber That beſſer,“ fagte biefer, „wenn du mir offene 
Gergig geftäubeft, daß diefer Herr fowohl für dich; wie fir mid und 
auch noch für eine dritte Hohe Perfon interefant, außerordentlich in» 
terefjant ift. Du wirft im Verlauſ meine Referats derfelben Auficht 
werben.“ 

„So Hift du noch nicht zu Ende?“ fragte der Kammerhert faſt 
angftlich. 

„O nein, jeht kommt das Beſte; und das ſoll dir zugleich einen 
Bewels geben, wie offenherzig ich gegen dich bin. Nach unſerem 
Souper, nachdem ich dieſe Photographie erhalten, begab ich mich zu 
Seiner Hoheit, dem Regenten.“ 

„Ah !“ Tief wirklich erſchrocken der Andere, „und er ließ Dich vor 
in fpäter Naht? — Fernow, du haft den Augenblid des Glücs wohl 
zu bemugen verflanden.“ 

„Ich glaube fo,“ entgeguete diefer, und ſehte mit Beziehung 
Hinzu: „Für mich und meine Freunde, — Ich war alfo beim Res 
genten,” fagte er in leichterem Tone, 

„Und der Regent? fragte faſt athemlos der Kammerhert. 

„Der Regent war beim Anblit diefer Photographie augenfcheine 


240 Bierzehntes Kapitel. 


ich aberraſcht. Doch du weißt fo gut, wie ich, er läßt ſich von feinen 
uUeberraſchungen nicht bemeiltern, faßte ſich auch augenblicklich wieder, 
dankte mir für meine Nachricht, uud ſprach: „ „Gehen Sie ſogleich zu 
Baron Wenden, das ift ein Mann, dem etwa an unferer Gunft ger 
fegen if, und der Ihnen in diefer Sache Auftlärungen geben fann und 
wird. — „Berftehft du das?“ 

Der Kammerhere war bei dieſer Rede feines Freundes in feinen 
Fautenil zurücgefallen,, aber bei den fepten Worten mit allen Zeichen 
der Ueberraſchung und des Schreckens wießer in bie Höhe gefchnellt. 

„Fernow!“ rief er mit zitternder Stimme, „du bijt mein Freund. 
Sei ehrlich und wahr gegen mich. Bin ich verloren oder bin ich 
ed nicht?" 

„Du? — verloren?” entgegnete der Adjutant verwundert, „glaubit 
du denn, daß ich mich herbelließe, dich auf fo etwas vorzubereiten? 
Und daß meine Vorbereitungen darin beftünden, von deinen Liebſchaf⸗ 
ten zu fprechen? D Wenden, du fennft mich fehr ſchlecht. Vom Bers 
lorenſein it gar nicht die Rede. Im Gegentheil, ich glaube dir fat 
mit Beftimmtheit verfihern zu fönnen, daß du berechtigt biſt, dieſen 
Moment einen Augenblid des Glucs zu nennen, — wenn —“ 

„Benn! Up! ich verſtehe dieſes Wenn, und Gott fei gedankt, 
wenn ich es recht verſtehe. Weun Beine Hoheit die außerordentliche 
Gnade hat, dem gänzlich mit Nepen umgebenen Wilde einen ehrenden 
Nüdzug zu gewähren, dem gefchlagenen Feind eine goldene Brüde zu 
bauen, —“ 

¶ Dieſe Brüde,“ ſprach jept ſeht ermft der Ajutant, „wird in der 
That fehr golden fein, wenn ihre Pfeifer Wahrheit und Aufrihtigfeit 
heißen.“ 

Trotz der gewiflermaßen peinfichen Situation, in welcher ſich 
Sere von Wenden befand, zudte e8 doch, wie ein Gefühl des Triumpfes 
durch fein Herz, da er an den Brief der Prinzeffin dachte, uud bei 
fich überlegte, daß die Aufffärungen, die er Im Begriff war, dem Re 
genten für das Verſprechen feiner Gunſt zu verkaufen, fehon durch die 


Eine goldene Brüde. Al 


nicht zu verachtende Dankbarkeit der Prinzeffin im Voraus bezahlt 
waren, — alfo in.der That zwei liegen mit einem Schlage. 

Der Kammerherr warf ſich in die Bruft, und fein Gefiht nahın 
einen halb wehmüthigen Ausdruck an, als er, die linfe Hand auf den 
Tiſch geftügt, nach einiger Meberleguug fügte: 

„So will id mid) denn ohne Rückhhalt der Gnade Seiner Hoheit 
anvertrauen, umd das wirft du nicht vergefien, lieber Fernow, bei dem 
Negenten hervorzuheben. Ich bitte did, ihm zu fagen, daß id aus 
freiem Willen, ohne Furcht Yor dem Zorne einer andern hohen Perſon 
— ber nicht ansbleiben wird,” — feßte er mit einem Seufger der 
Falſchheit Hinzu, — „alles fagen will, was ich weiß.“ 

Run erzählte er in ber That, was er von der Anwefenheit des 
Herzogs Alfred von D. durch den Baron Rigoll erfahren, und fagte 
eher zu viel, als zu wenig. Denn er ſchmückte aus, wo es ihm noth⸗ 
wendig erſchien, und wenn fi) der Adjutant am Schluß ein Refums 
diefed Berichtes machte, fo ftand der Kammerherr Baron Wenden 
wahrhaftig in der Glorie eines treuen Dienerd des Regenten da, der 
mit feinem ganzen Einfluß bei der Pringeffin Darnad) geftrebt, dieſe 
nicht gern gefehene Verbindung zu hindern. Als er geendigt, machte 
er mit beiden Händen eine Bewegung, ald wollte er fagen: „Run bin 
ich fertig, nicht mur mit diejer, meiner Erzählung , fondern aud für 
diefe Welt. Ich Habe mid) in die Hände meiner Feinde gegeben, da 
ſteh ich, ein entlaubter Stamm, der feine Blätter mehr treiben wird, 
wenn Seiner Hoheit Gnadenfonne nicht wieder wohlthätig auf ihn 
wirft.“ 

‚Herr von Fernow hatte bei der Erzählung feines Freundes nicht 
im Geringften ein erftauntes Gefühl gezeigt. Wenn ihm auch Manches 
nen war, fo hatte er doch den Hauptfaden ſchon durch die Worte des 
Regenten erhalten. Nur eins wünſchte er noch aus dem Munde des 
Kammerhern zu erfahren, weßhalb er ſprach: „Sehe deiner Aufriche 
tigfeit die Krone auf, lieber Frennd, und fage mir, ob Baron Rigoll 
der Hauptagent bei Guter Verheirathungskomoͤdie geweſen.“ 

Hadtänders Werke. XXL. 16 


ziemlich felbftftändig zu handeln. Daß Seine Excellenz allerdings 
feine Dienfte der Pringeffin ebenfalls mit Wärme gewidmet, findeft du 
begreiftich.”" 

„Gewiß fehr begreiflich,“ werfeßte Herr von Fernow nicht ohne 
Bitterfeit,, „für einen fo großen Lohn kann man fhon etwas riskiren. 
Aber unfere Dienftgefhäfte find Hiemit zu Ende. Lieber Wenden, 
du haft das Vertrauen, welches der Negerft in dich feßte, glänzend ges 
rechtfertigt. Du wirft aber erſtaunen, wenn ich bie fage, daß derfelbe 
bereits von ber ganzen Geſchichte unterrichtet war, und nur wiffen 
wollte, wie weit du in deinem, verzeih' mir den Ausdrud, blinden Eifer 
gehen würbeft, der Prinzeffin Hinter feinem Rüden zu dienen.“ 

‚Richt weiter, als ein Mann von Ehre gehen darf, um ben Wüns 
ſchen einer hohen Dame gerecht zu werden und doch nicht gegen den 
Gehorfam zu verftoßen, den er feinem Randeöherrn ſchuldig iſt.“ 

Das fagte Here von Wenden mit auferordentlicher Wichtigkeit 
und nahm dabei die Attitude eines Volksredners an. Er ſchob die 
rechte Hand unter feinen feidenen Schlafro auf die Bruft, aber nur 
einen Augenblid; dann zog er fie wieder hervor und fuhr nıit einer 
gefälligen Bewegung fort: „Bon biefen meinen volltommen guten 
Gefinnungen gegen den Regenten werde ih mir erfauben, dich Schwarg | 
auf Weiß zu überzeugen. Sieh’ hieher.“ | 


242 Bierzehntes Kapitel, 
„Diefe Frage konnte mich faft beleidigen,” entgeguete Herr von 
Benden mit einem empfindlichen Blick. „Wo ih handle, pflege ich 
| 
| 


Damit ging er an den Schreibtifch und nahm ein Blatt Papier, 
das er dem Adzutanten hin hielt. Es war dad Goncept eined Schreis 
bens an den Regenten, worin er benfelben zut Mittheilung eines wich-⸗ 
tigen Geheimniſſes um eine Audienz bat. Herr von Fernow durchflog 
das Papier und blickte faft zweifelnd zu dem Kammerheren empor. 

„In der That,“ fagte er alsdann, „Diefe Zeilen Tann man auf 
eine freundfehaftliche Art für dich benupen und ich werde es thun. 
Bor der Hand aber," ſehte er laͤchelnd Hinzu, „erlaube mir, dir beſtens 
au gratuliren, daß deine Geſundheit fo plöpfich wieder hergefteitt iſt. 


Eine goldene Brüde 243 


Seine Hoheit wünfht morgen fruh beim Rapport von dir ſelbſt zu 
"erfahren, ob bein Xeiden ein bedeutendes geweſen oder nicht.” 

Dem Kammerherrn entfuhr faft ein leichter Seufzer, als er vers 
nahm, daß fein Zimmerarreft num aufgehört habe. Nicht als ob ihm 
dies unangenehm gewefen wäre, aber er fah aus der Art und Weiſe 
feines heutigen @efpräch mit Fernow, wie fehr diefer beim Herzog: in 
Gunft ſtehen mußte, und fühlte dabei neidiſch, wie richtig feine Theorie 
vom Augenbitf des Glüds gewefen. 

Als Beide damald von dem großen Blumenſtrauß geftanden, da 
hatte Beide das Gluͤck umſchwebt ; umd e8 lächelte dem, der ed richtig 
erfaßte. Und dies war Fernow gewefen. Hätte er felbft in jenem 
Augeublick ſich ſtatt links zur Prinzeſſin, nach rechts zum Herzog ges 
wandt, ſo war die ganze Sache umgekehrt, und er hatte vielleicht einen 
Geſandtſchaftspoſten in der Taſche. Ja, das Glück iſt launenhaft: es 
hlift nicht, nur den rechten Augenblick zu begreifen, man muß ihn 
auch auf richtige Art ergreifen. 

„Es ſcheint mir, deine Genefung macht dir fein befonderes Ders 
gnägen,” fagte Herr von Zernow, als er bemerkte, wie der Kammer 
here in tiefen Gedanken verfunten vor ihm ſtand. — „Den Teufel 
auch, ich glaube fat, die Liebe zu deiner Meinen Nachbarin ift dir tief 
ins Herz gegangen, und eö thut dir leid, feinen Vorwand mehr zu 
haben, um den ganzen Tag am Feuſter zu ſtehen.“ 

„Meinft du in ber That?“ fragte Herr von Wenden; doch war 
es ihm nicht unlieb, daß fein Freund der Anficht war, der Zimmers 
arreft habe ihn in der That nicht fo gefehmerzt, als died in Wirklich. 
keit der Fall war. Auch hätte es der eitle Rammerherr von jeher ger 
liebt, für einen unerbittlichen Eroberer zu gelten, obgleich feine Crobe⸗ 
zungen felten Eroberungen zu nennen waren. Er machte einen vers 
gnůglich gefpigten Mund, ſtrich mit der linken Hand über das glatte 
Haar und lächelte zu dem andern Fenſter hinüber, wobei er einen 
leichten Seufzer affectirte. „Du haft wahrhaftig nicht ganz Unrecht,“ 
meinte er, „und wenn du das ſchont Mädchen fennteft, fo würdeſt du 


244 Bierzehntes Kapitel. 


begreifen, daß es fich um fie wohl einer außerorbentlichen Mühe vers 
lohnt.“ 

„So gib dir außerordentliche Mühe, entgegnete Herr von Fernow, 

indem er feine Uhr herauszog und aladann lebhaft ausrief: „Was? 
fat Mitternacht! — Bon morgen an,“ fuhr er in gewöhnlichen Tone 
fort, „haft du volltommen Zeit und kannſt eine weitere Parallele vor- 
ſchieben, um beine ſchöne Feftung einzunehmen. Wenn ich dir dabei 
dienen fann, fo weißt du, ich thue für einen Freund Alles. — Apropos, 
fagte ih dir ſchon, daß jener junge Mara, mit dem ich joupirt, in 
der Wohnung deiner Angebeteten Zutritt hat?“ 

„Allerdings ſprachſt du davon.“ 

„Und aud, daß er fi mir verpflichtet fühlt, und mit Vergnügen 
bereit fei, mir umd in diefem Fall auch dir zu dienen ? 

„Ich glaubte, du fagteft fo, und dann ?“ 

„Und dann? — Das ift doch eine curiofe Frage für einen Kam 
merberen in den Zwanzigen, der fih doch auch ſchon in der Welt um- 
gelegen.“ 

„Du meinft alfo,“ fagte zweifelnd Herr von Wenden, „ich ſoll —“ 

„Ihr ſchreiben. Das ift doch ganz natürlich. Wenige Worte, 
aber feſt.“ 

„Daß id) fie liebe ? 

„Andeutend, ja, aber nicht zu extravagant; du bitteſt vielmehr 
ganz beſcheiden, fie beſuchen zu dürfen. Du ſchreibſt in der Art, daß, 
wenn deine Zeilen der Mutter in die Hände fallen, fie fagen muß, das 
iſt ein beſcheidener, anftändiger junger Herr und wenn der unfer Haus 
beſucht, fo wird das meiner Tochter feinen Schaden bringen.” 

„Du Haft Routine in folden Billets ?“ fragte lauernd Herr von 
Wenden. 

Im Gegentheil,“ entgegnete Herr von Fernow; „überhaupt weißt 
du mit der Feder beſſer umzugehen als ih. Mir ſcheint aber faft, du 
fürchteft Dich Durch dein Schreiben zu compromittiten. Wenn du das 





Eine goldene Brüde. 245 


glaubſt, fo fafien wir die Sache fallen. Ich Habe dir nur meine Ber 
reitwilligkeit zeigen wollen.“ 

Damit ftand er auf’und nahm feinen Baletot, den er bei der 
Ankunft auf ein Sopha geworfen. 

„Und glaubft du, daß dein junger Mann ficher ift ? 

„Er wird es ſicher übergeben, daran zweifle ich nicht.” 
„And wann 2" 

Morgen, wenn es dir genehm iſt.“ 

Das ſagte Herr von Fernow, wie gelangweilt, in einem faſt 
ſchlãftigen Tone, wobei er gewaltig gähnte. 

„Dann werde ich zwei Beifen fhreiben.” 

„Bie du willſt.“ 

Der Kammerherr fepte fih an den Schreibtifch, kaute einen Aus 
genblid an der Fahne feiner Feder, und als diefelbe num haſtig über 
das Papier zu fliegen begann, zündete fich der Major zum Nachhaufer 
gehen eine neue Gigarre an und Indpfte Paletot und Handſchuhe zu. 

„So,“ ſprach Herr von Wenden, „kurz und gut. Soll ih es 
dir vorlefen ? 

Der Major nickte mit dem Kopfe und ftellte fi neben den 
Schreibtiſch. 

Verehttes Fräulein! Seit längerer Zeit bin ich fo glückich, 
Sie an Ihrem Fenfter zu fehen, würde aber beneldenswerth fein, wenn 
es mir erlaubt wäre, Ihnen ein freundliches Wort fagen zu dürfen. 
Sind Sie fo gut, wie fhön, fo darf auf eine Antwort hoffen Ihr 
‚ganz ergebenfler Verehrer.“ 

„And weiter?" fragte lachend der Major. 

Beiter nichts!" antwortete verwundert ber Kammerherr. 

„Keine Unterfchrift?” 

„Meinft du vieleicht, ich ſollte irgend einen Buchſtaben hinfegen ?. 

„Du gefällt mir mit deinen anonymen Liebesbriefen. In folhen 
Zällen, wie der vorliegende, tritt man nicht Im Geheimen auf, fondern 
fehr öffentfich und unterfchreißt mit feinem ganzen Namen.“ 


246 Bierzehntes Kapitel. 


„DD, du foaßeft !" 

„Richt im Geringften. Aber du befipeft eine gewaltige Einbil- 
dungöfraft! Da foll ein anftändiges Maͤdchen, — denn für das halte 
ich fie nach deinen Beſchreibungen — auf einen Wiſch antworten, der 
feine Unterförift hat! Nein, nein! Gntweder laß die ganze Ger 
ſchichte fallen, oder gib deinen ganzen Namen: Baron Eduard von 
Benden.” 

„Das iſt am Ende compromittirend,” fagte der Kammerherr; „doch 
wenn bu meinft,“ fuhr er fort, als er ſah: wie der Offizier ungeduldig 
die Achſeln zuckte, „fol e8 mir au darauf nicht ankommen.“ 

Er unterfchrieb mit einem vafchen Federzuge. 

„Dept hoffe ich, Hift du zufrieden: Baron Eduard von Wenden. — 
„„Es iſt mein ehrlicher Name, es iſt meine ganze Zukunft, die ich in 
Ihre Hände lege." — 

„Dein Eitat ift falfch, lieber Fremd.” fagte der Major, indem er 
das Billet, nachdem es verfiegelt war, einftedte. „Ich bin nicht der 
Eerretär Wurm, du aber noch viel weniger die unſchuldige Louiſe. — 
Run, behüt dich Gott. Morgen fehen wir und wieder.‘ 

„Ja, bei Philippi!" entgegnete der Kammerhere mit Pathos. Er 
begleitete den Freund an bie Ihlr und fragte beim Weggehen deſſelben 
faft füchtern: „Und bekomme id auf mein Billet eine Antwort ? 

Soffentfich ja, umd zu gleicher Zeit eine Einladung,“ verfeßte 
Fernow lachend, „zu einem Augenblick des Glücs.“ 





Keine Rofe ohne Dornen. 247 


Fünfzehutes Kapitel, 


Keine Koſe ohne Dornen. 


Die Appartements Ihrer Durchlaucht der Prinzeffin Eliſe ftiehen, 
wie wir bereits in einem frühern Kapitel erfahren, an den großen 
Empfangse, Lange und Speifefanf des Schfoffes und waren nur durch 
ein kleines Entröe, forte durch ein paar Borzimmer von leßterem ger 
trennt. Gigentlich wäre dies die Wohnung der regierenden Herzogin 
gewefen, doc hatte es der hochfelige Herr vorgezogen, den rüdwärts 
gelegenen ftilleren Schloßflügel zu bewohnen und fo die Prinzeffin in 
einem Rechte belafien, das fie fih felbft angemaft, Wenn man alles 
genau betrachtete, fo war fie, was das innere Reben und Treiben des 
Hofes anbefangte, die eigentliche Herrfherin. Mit wenigen Ausnahmen 
Heß ihr der Regent das Vergnügen, die Einladungen zu ben Diners 
zu beftimmen, und felbft wenn folhe Ausnahmen eintraten, wußte fie 
immer auf eine feine Art die einen oder andern ihrer Lieblinge, die 

vielleicht vergefien worden waren, mach nachträglich befehlen zu lafien. 

Da der Regent ihren Maren und feharfen Verſtand anerfannte, 
auch ihr Urtheil hochſchätzte, fo gab er nicht felten große Audienzen 
an fremde Gefandten und dergleichen in ihren Zimmern und fonnte 
alsdann vielleicht läͤchelnd zufchauen, wie fie durch ihre pifanten Fragen 
oder ihre gewandten Bewegungen in jeder Beziehung den Vortritt nahm 
und er felbft wie die zweite Perfon neben ihr erfhien. Die Herzogin, 
welche in früheren Zeiten faft den ganzen Tag bei der Prinzeffin zus 
brachte, verlieh jet ihre Appartements nicht mehr, und daher fam es, 
daß die der Prinzeffin im gegenwärtigen Augenblide weniger lebhaft 
als fonft waren, weil diefe jegt meift im andern Schloßflügel bei ihrer 
Schweſter war. Wenn man die Gemächer durchfchritt, welche die Prin⸗ 
zeſſin bewohnte, fo begriff man wohl, daf Jeder gerne darin verweilte. 
‚Hier war jedes Zimmer, jedes Kabinet aufs Vortrefflichfte benugt und 


248 Fünfzehntes Kapitel. 


dabei mit einem Kunſtſiuue, einem Geſchmack arrangirt, der die Eir 
richtung eben fo fern von Ueberladung, wie von ungebührliher Eu—⸗ 
fachheit hielt. 

Die Herzogin liebte ihre Schweſter auferordentlich, und der tegier 
rende Herr hatte ein verhätſchelies Rind aus ihr gemadıt. Wo ſich 
nur ein Kunftwerf, fei es ein Bild, fei es eine Meine Statue, fei ed 
eine reiche Broncearbeit, für die Zimmer einer Dame paſſend zeigte, 
da wurde dafielbe für die Prinzeffin Eliſe beſtimmt, und die Herzogin 
trat {hr dergleichen Spielereien, wie fie ed nannte, um fo bereitwilliger 
ab, da ihr Sinn das Ginfache liebte und deßhalb ihre Zimmer auch 
fo beſchelden meublirt waren, wie man fie faum bei einen wohlhaben- 
den Privatmanne findet, 

Das Borzimmer der Prinzeffin neben dem Speiſeſaal kennen wir 
bereitd. Ueber demfelben befand fih ein ähnliches, das an einen Sas 
Ion ftieß, wo Ihre Durchlaucht die Heineren Geſellſchaften zu verfams 
mein pflegte. Bergoldete Meubel waren hier freilich nicht zu finden 5 
dagegen waren Seffel und Fauteuils von Palifanderholz, alle reich ger 
ſchnitzt, und nad Zeichnungen von guten Künftlern angefertigt. In 
den Eden befanden fi Blumenpartien und eine Marmorftatuetten 
und an den Wänden Bilder. Diefer Salon hatte ein einziges großes 
Fenſter, aus einer einzigen riefenhaften Scheibe beftehend, welche durch 
einen finnreihen Mechanismus vermittelft des leichten Drudes auf eine 
Feder in den Boden verfant. Bor diefem Fenſter befand fih eine 
Altane, mit einem weißen Marmorbrunnen, der feine Maren Strahlen 
Hoch Hinauf fprühte, und diefe Altane ſelbſt war durch Schlingpflanzen, 
die fi zwiſchen Orangen und Gitronenbäumen empor wanden, zu 
einer prachtvollen Laube umgewandelt, die an warmen Tagen einen 
entzüdenden Anfenthaft bot. 

An diefen Salon ftieß ein Meines Speiſezimmer, defien Wände 
mit geſchliffenem Eichenholze bededt waren, worin bie Unterfcheldungen 
und Abtheifungen der Felder aus cifelirter Bronce beftanden. Aus 
demfelben Metall befand ſich auch ein prachtvoller Luſtre über dem eins 





Keine Rofe ohne Dornen. 249 


zigen runden Tifche, der Plag für acht Perfonen bot, (ine größere 
Anzahl lud die Pringeffin nie zu ihren Meinen Diners. Die Thüre 
war ebenfalls aus Eichenholz aufs Zierlichſte geſchnitzt, ebenfo wie das 
Buffet, auf dem ſich feltene Majoliten und alte reiche Kryftallgefäße 
befanden. Die beiden Fenfter diefes Zimmers hatten Vorhänge von 
dunkel violettem Sammt, welche Stoffe man auch auf den Seſſeln und 
Stühlen fah. Die langen Felder auf der Wand waren decorirt mit 
in Bronce auögeführten Wildpret- und Geflügelgruppen, ſeltenen Kunſt ⸗ 
werten, die Thiere und Vögel in einer frappanten Natürlichkeit, welche 
der vegierende Herzog zur Ausichmücdung des Speifegimmers der Prins 
zeſſin von einem bedeutenden Künftler hatte anfertigen laſſen. 

Neben diefem Speijegimmer war das Frühftüczimmer der Prin⸗ 
zeſſin, wofelhft fie auch die Damen empfing, welche fie ihres befondern 
Bertrauend und ihrer Freundſchaft würdigte. Hier beftanden die Tas 
peten aus hellblauem Seidenftoffe und ‘das ganze Amenblement aus 
Roſenholz. Es war dies ein heiteres, lachendes Zimmer, mit einem 
großen Bogenfenfter, welches eine prachtvolle Ausficht auf die um das 
Schloß liegende Stadt gewährte. Hohe Epheumände trennten die beis 
ben Ecken im Hintergrunde dieſes Gemachs und bildeten fo zwei reis 
dende Wintel, wohin ſich die Pringeffin gerne zum Refen zurüdzog. 
Deßhalb befand ſich aud) neben diejem Zimmer in einem Heinen Ges 
mac) die ausgewählte Bibliothek Ihrer Durchlaucht, rei) an guten 
Ausgaben der bedeutendften Schriftiteller und Dichter, bejonders aber 
an prachtvollen Kupferwerfen aller Nationen, Neben diefer Bibliothel 
war dann die Ede des Schloßflügels, den die Pringeffin bewohnte, und 
hier war ihr Boudoir, wo fie nur ihre genauften Bekannten fah und 
von wo es alsdann in jene Theile ihrer Appartements ging, in Ger 
mäcer, über welde wir nur von den Kammerfrauen einige Details 
erhalten Könnten, wenn es für unfere wahrhaftige Gefchichte von Ins 
tereſſe wäre. Da folgten fih Toilettenzimmer, Schlafzimmer, Bades 
Iabinet, Garderobe, Zimmer der Kammerfrauen, und dad Ganze ber 
ſchloß ein Vorzimmer, in welchem fih die Dame vom Dienft aufgus 


250 Bünfzehntes Kapitel, 


halten pflegte, wenn die Prinzeffin deren Gefellfchaft gerade nicht 
wünſchte. 

Das Boudoir nun in der Ece des Schloſſes, welches zugleich 
Schreibkabinet war, hatte die Prinzeſſin aufs Zierlichſte und Ge 
ſchmackvollſte eingerichtet. Die Wände waren mit rofa und weißge 
ſtreiftem Seidenzeug bezogen, und aus den Lambris von edlem Holze 
traten an jeder derfelben einfach edel gefchnittene Conſolen hervor, die 
abwechſelnd eine fhöne Meine Marmorftatue oder eine prächtige Bafe 
trugen. Ein Schmuck diefes Zimmers waren die beiden Fenfter in 
gothiſchem Stile, welche aus alten, ausgewählten Gfasmalereien bes 
ſtanden. Bor denfelben befanden ſich Meine Ruhepläge, welche fo con⸗ 
ſtruirt waren, daß man fie ald Sophas benußen konute, wo zwei Pers 
fonen nebeneinander faßen, und die ſich wieder durch eine leichte Haud⸗ 
bewegung fo wenden Tiefen, daß fie zwei einander gegenüberftehende 
Fauteuils bildeten. Die Ihüre zur Bibliothek war mit einem vortreffe 
lich erhaltenen alten Gobelin bedeckt, und den Ausgang in die inneren 
geheimen Zimmer bildete ein riefenhafter Spiegel, der vom Fußboden 
bis an die Dede ging uud ſich durch den Druf auf eine Feder leicht 
berummandte, Gr öffnete fid eben fo geräuſchlos, wie er ſich wieder 
ſchloß. Die Etagered in diefem Zimmer, ſowle auch der Schreibtiſch 
waren mit den auögefuchteften Meinen Kunſtwerlen in Metall und Por⸗ 
zellan bedeckt, und bier, wo die Prinzeffin, wie gefagt, felten Jemand 
den Eintritt gewährte, befanden fih auf den Divans, den Stühlen und 
Fauteuils Bücher, balbgeöffnete Mappen mit den feltenften Haudzeich- 
nungen und Aquarelle, oft in maleriſcher Unordnung. 

Amı früßen Morgen des Tages nad) der Unterredung mit Herrn 
von Zernow, nachdem der Adjutant feinen Rapport abgeftattet, Hatte 
der Regent die Prinzeffin um eine Unterredung bitten laſſen; und nad 
geſchehener Anfrage, nachdem auch die gehörige Zeit verflofien, meldete 
‚Herr Kindermann, ed würde Ihre Durchlaucht außerordentlich freuen, 
Seine Hoheit um zehn Uhr zu fehen, bevor ſich Ihre Durchlaucht zu 
der Frau Herzogin begäben. Herr Kindermann hatte das fehr Tangfam 


Keine Rofe ohne Dornen. , 251 


und mit einem Lächeln gemeldet, das für diejenigen, welche diefen wür⸗ 
digen Mann genauer kannten, etwas Forcirtes hatte. Herr Kinder» 
mann befand fih in einer gefpannten Aufregung. Der Mund des 
Regenten war verfhlofien wie das Grab; glücklicherweiſe befahl er die 
Uniform des Leibdragonerregiments, und da hoffte der Kammerdiener 
Thon durch das befannte Manöver mit dem Säbel zu einer ganz un 
terthäntgen Bemerkung, tefpeftive Frage zugelafien zu werden. Bevor 
aber noch Herr Kindermann dem Garderobediener die nöthigen Befehle 
in Betreff der Uniform geben konnte, hatte der Regent ſchon ſich eines 
Andern befonnen und wünfchte einen einfachen bürgerlichen Anzug. 
Diefer an ſich geringfügige Umftand gab dem Herrn Kindermann neuen 
Stoff zum Nachdenken, und in diefes Rachdenken mifchte ſich ein ger 
wiſſer Schmerz, da Seine Hoheit auf die nothwendigen Fragen nur 
mit Kopfniden, höchftens mit Ja umd Nein antwortete. Schlug das 
Esbouquet· Mittel fehl, fo war nichts. mehr zu hoffen. Und auch die 
ſes ſchlug fehl; denn ala der Regent den Duft defielben empfunden, 
fimmte er ihm nicht weich, wie Herr Kindermann fonft zu bemerfen 
pflegte, machte ihn auch nicht nachdenkend, fondern er fuhr haſtig mit 
der Hand über die Stimm, nidte mit dem Kopfe und fagte laut und 
vernehmlich: „Gut, wir wollen ſehen.“ 

Obgleich fi der Kammerdiener als fepten Verſuch den Anſchein 
gab, als habe der Regent mit ihm gefprochen, und ſich augenblidlich 
nach den Befehlen Seiner Hoheit erfundigte, fo war doch auch Damit nichts 
gewonnen, Der Regent fagte: „Ich danke, es iſt nichts, Tieber Kine 
dermann.“ Das „lieber Kindermann” ftimmte den alten Hertn faft 
wehmüthig und er dachte bei ih: „Was nüpt mir das „lieber Kin 
dermann,” wenn er gerade thut, als ſei ich der letzte Schloßknecht und 
fo eben erft in Dienft getreten. Es wäre doch nicht das erfte Mal, 
daß er ein Wort fallen ließe über ein wichtiges Vorhaben. Hat er 
mid) doch ſchon bei anderen Beranlaffungen gefragt: Es it uns doch 
heute Morgen feine Spinne begegnet? oder: Was haften wir vom 


252 Fänfzehntes Kapitel. 


heutigen Tage, Kindermann ? Iſt er gut oder fhlecht? Können wir 
etwas unternehmen, oder laſſen wir es lieber bleiben 2" ” 

Unterdefjen war nichts zu machen. Der Kammerdiener hatte feine 
Schuldigkeit gethan und mußte dem Gern von Fernow, auf den er 
noch feine lehie Hoffnung ſehte, das Uebrige überlafien, denn der Mar 
jor war im BVorzimmer, und ald der Regent wenige Minuten vor zehn 
Uhr hindurchſchritt, hörte ihn Herr Kindermann fagen: „Begleiten Sie 
mic) hinauf, Fernow, und bleiben Sie in der Nähe.“ Dabei ftiegen 
Beide die Treppen hinauf, und ehe fie noch den erften Stock des 
Schloſſes erreicht hatten, hörten fie Herm Steppler, der droben war- 
tete, ehrerbietigft huſten. Der Kammerdiener Ihrer Durchlaucht mel» 
dete dem Megenten ganz umterthänigit; daß Ihre Durchlaucht fih im 
ihrem Boudoir befinde und fehr erfreut fei, dort den Beſuch Seiner 
Hoheit zu empfangen. 

Warum der Regent bei diefen Worten eigenthümfich, faſt ſchmerz⸗ 
lich Tächelte, und warum ex einen langen Blick in einen der großen 
Spiegel des Vorzimmers that, wiflen wir nicht ganz genau anzugeben. 
Er durchſchritt leicht und elegant den Salon, Speijer und Frühftüd- 
zimmer, die Bibliothel, und wer ihn fo dahin gehen ſah, aufrechten 
Hauptes, In der feiten militäriſchen Haltung, den großen Schnurrbart 
feicht nach oben gedreht, mußte von ihm fagen: „Das tft ein vor⸗ 
nehmer und fhöner Herr.” 

- Pünktlich, wie er ald Militatr gewohnt, ließ er die Glocke in dem 
Bibllothetztmmer Zehn ausſchlagen, dann hob er den Gobelin auf die 
Seite umd trat in das Boudoir. Hatte ihm die Prinzeffin noch nicht 
erwartet, oder vorher noch eine Meldung befohfen, genug, fie wandte 
ſich überrafcht, faft erfchroden bei feinem Eintritt von ihrem Schreibe 
tifch, vor welchen fie ftand, ab und drüte den Dedel eines Etuis, 
welches fie in der Hand hielt, fo haftig zu, daß es laut Mnadte. Dies 
entging dem Regenten nicht, und wenn er nicht volltonmen Herr feiner 
ſelbſt geweſen wäre, fo hätte wohl eine leichte Wolfe feine Stimm ger 
treibt; fo aber ging er unbefangen und heiter laͤchelnd auf die Prin- 


Keine Rofe ohne Dornen. 253 


seffin zu, welche ihm entgegen kam. uch nakyn er ihre bargebotene 
Hand und fejättelte fie freundfich, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, 

Die Prinzeffin fah reigend aus und ſchien in der beften Laune 
zu fein. Ihr reiches blondes Haar war ſcheinbar ohne befondere Wahl 
um den Kopf aufgeftedt, doch rahmte es denfelben fo pifant ein, daß 
man wohl bemerfen konnte, dieſe Einfachheit fei nicht ohne Abſicht. 
Dazu trug fie ein weißes Morgenfleid ohne alle Verzierung, fehr lang 
berabfallend und fo anliegend, daß man ihre feine zierliche Geſtalt 
auf's Deutlichfte ſah. 

„Es iſt ſchon lange her, mein lieber Vetter,“ fagte fie, nicht ohne 
einen Anflug von Ironie, „daß ich nicht mehr in den Fall gelommen 
bin, Ihnen eine Heine Privataudienz bewilligen zu können.“ 

„Bas daher kommt,“ fiel der Regent ihr Lächelnd in's Wort, „weil 
ich es gern zu meinem Studium made, die Neigungen der Leute, die 
mir werth find, zu erforſchen.“ 

Die Fürfin wehrte mit den Händen auf eine komiſche Art von 
fi) ab und jagte, während fie den Mund ein Mein wenig aufwarf: 

„Schon wieder Krieg! Ich merke es ſchon. Euer Hoheit kommen 
nur immer in feindfeliger Abficht zu mir, und da ich das genau weiß,“ 
ſebte fie ſcheinbar ſehr ernft Hinzu, fo muß ich meinen theuerften Better 
bitten , niederzufigen,. damit ich nicht gar zu fehr im Nachtheil bin; — 
eine arme, Meine Figur, wie ich! — Sehen Sie, wie ic den Kopf 
erheben muß, um an Ihnen hinauf zu bliden. Das ift feine Gleich- 
heit der Waflen!“ 

Mit diefen Worten war fle auf ihre elgenthüntliche Art halb täns 
zelnd, halb fchleifend ganz nahe vor den Regenten getreten, und ala fie 
nun in näcfter Nähe ihm von unten herauf in die Augen fah und 
dabei den Meinen Mund fo ſchelmiſch geöffnet hatte, dag man ihre 
feinen Zähne ſah, während fie die Augen eine Sekunde nachher etwas 
affestirt fchläfrig ſchloß, fagte der Regent mit einem für fie unerflärs 
lichen Seufzer: „Ia, ja, ed ift beffer, meine theuerfte Elife, wenn wir 
und niederfegen.“ 


254 Fünfsehntes Kapitel, 


„Schön,“ entgegnete fie lebhaft, „und dort auf dem Rubeplag am 
enfter, anf dem Divan nach meiner Erfindung. Ich bilde mir was 
auf diefe Eonftruftion ein.“ 

Sie ſchoß nach dem bezeichneten Sopha hin, und währen fie bie 
Hand auf die verborgene Feder Tegte, fuhr fie fort: „Aber Sie kennen 
die Rafchinerie?” 

„O, ich kenne fie volltommen,“ fagte der Regent, der ihr laugſam 
gefolgt war. „Es iſt eine verfärperte anne unferer liebenswürdigen 
Bringeffin.“ 

„D weh, o weh!" rief fie mit komiſchem Exnfte aus, „Euer Hoheit 
find gafant gegen mich; da habe ich wahrſcheinlich etwas begangen, 
und werde eine gelinde Strafprebigt erhalten. Wenn dem in der That 
fo iR,“ fuhr fie fort, und dabei bfißte eine Meine Bodheit in ihrem 
Auge, „fo ift ed beſſer, ich drüde hier auf die Feder.“ 

Sie that fo und das Sopha theilte ſich in der Mitte und bildete 
zwei einander gegenüberftehende Fauteutfs. 

„Sie wollen mich alfo nicht an Ihrer Seite?“ fragte lachend der 
Regent. 

„Das Gefiht Eurer Hoheit iſt mir in der That zu ernft zu einer 
mir fonft fo angenehmen Nachbarſchaft. Auch können Sie mid befler 
anfehen, wenn ih Ihnen gegenäberfige, das heißt einfach, um zu er- 
fahren, ob die Strafpredigt, die ich erhalten fol, auch ihren Cindruck 
auf meinen Leichtſinn nicht verfehlt.“ 

„Sie erwarten alfo eine Strafpredigt?" meinte der Regent, nach- 
dem er ſich vis-A-vis der jungen Dame niedergelaffen. „Alfo haben 
Sie ein bdſes Gewiflen?“ 

„Das hat man Ihnen gegenüber nur zu leicht, verehrteſter Herr 
und Better,“ verfepte die Prinzeffin. „Aber Scherz bei Seite, diesmal 
glaube ich, daß ich Adem, was da fommen mag, mit der größten Rue 
entgegenfehen kann.“ 

Sie hatte ſich bei dieſen Worten in den Fanteuil zurücgelehnt, und 
als Sie hieranf ihr Gegenüber mit einem feſten Blick anſah, fo Hätte 





Keine Rofe ohne Dornen. 255 


jeder Andere diefen Blick für einen Bi der vollommenften Unſchuld 
gehalten. Nicht fo der Regent. Er wußte wohl, was das feltfame Feuer 
au bedeuten hatte, welches in ihrem Blicke glänzte, und warum ihre 
Lippen faft unmerflich zuckten, aber doch zueften. Er fannte die Leiden» 
ſchaft der Prinzeſſin, mit fharfen Waffen zu fechten, und wußte wohl, 
wie ſchwer fie aus ber Faffung zu bringen war. Sie hatte mit ihrer Rech⸗ 
ten über bie Schulter hinweg eine der ſchweren feidenen Quaſten ger 
nommen, welche an langen Schnüren befeftigt waren und zum Zuziehen 
des Vorhanges dienten, und gebrauchte diefe wie einen Fächer, indem 
fie diefelbe jept anhaltend im Kreife drehte, ſich fo Kühlung zufächelnd, 
nad fie dann vor das Geſicht hielt, wobel im letzteren Kalle ihre Augen 
recht ſchelmiſch, ja faſt boshaft durch Die glänzenden viofetten Fäden 
durchblickten. 

„Bir werden in den nächſten Tagen ein Ereigniß bei Hofe haben,“ 
ſprach der Regent mit Beziehung auf die verwittwete Herzogin nach 
einer Pauſe; „ich glaube, in gang naher Zeit. Darnach, wenige 
Wochen fpäter, wird ſich, wie wir beide genan wiſſen, die Herzogin 
nach Eſchenburg zurlickziehen.“ 

„Ih glaube, das Lehtere iſt eine ausgemachte Sache,“ erwiderte 
die Prinzeſſin aufmerffam; „und wenn ich nicht irre, find für dieſen 
Fall ſchon alle Arrangements vorgefehen.“ — Sie ließ die Duafte 
vor ihrem Gefihte herabhängen, dieſelbe dann einen Kreis beſchreiben 
und zwifcher den umherfliegenden Fäden warf fie einen fcharfen Blick 
auf den Regenten, 

„Allerdings find alle Arrangements getroffen,“ wisberhofte diefer ; 
„doch feinen wir Alle vergefien zu haben, daß das Schloß von 
Eſchenburg fehr Mein iſt und kaum Plag für die Herzogin und für 
Sie, Pringeffin, bieten wird.” 

„Fur mich ?“ fragte fie: 
hinauszugehen.“ 

„Sp haben ſich Ihre Anfichten geändert? “ 





„ed fallt mir nicht ein, nach Eſchenburg 


256 Fanfzehutes Kapitel, 


„3a, es ändert ſich Manches,“ erwiderte die Prinzeffin mit ſeht 
Teifer Stimme. 

„Sagten Sie mir damals nicht felbft, e8 würde Ihre höchſte Luft 
fein, in der Nähe des künftigen Heinen Thronerben zu verweilen?” 

„Der in der Rahe der Meinen Prinzeffin. Rihtig, ich fagte fo.“ 

„And jegt?“ 

nZept habe ich bei mir überlegt, oder ich habe mir vielmehr ins 
Gedähtniß zurlstgerufen, wie oft Sie mir gefagt, Sie hielten es für 
beſſer, wenn ich meine Schweiter mehr ihren eigenen Weg gehen ließe. 
Ich Habe gefunden, daß Sie damals Recht Hatten, und will jept darin, 
wie auch noch in manchem Andern, ftrenge Ihren Rath befolgen.“ 

Als die Pringeffin dies fagte, war der Ton ihrer Stimme aufe 
fallend ernfter geworden, und fie ließ die Duafte fo gerade vor ihrem 
Gefichte herabhängen, daß man von dem Ausdruf ihrer Augen durch- 
aus nichts fehen konnte. 

„Nehmen wir und in Acht!“ dachte der Regent, „fie ſpielt nicht 
ohne Abſicht mit mit Verſteckens! Sie befchattet ihr Geſicht, ich ſihe 
im Lichte; und wir möüffen ebenfalls Vorſichtsmaßregeln anwenden.“ 
Indem er fi, dies dentend, fo viel ald thunlich war, in feinem Fau⸗ 
teuil zurücklehnte, ftügte er den Arm auf die Lehne defielben und legte 
den Kopf in die Hand. 

„Und der zu erwartende Thronerbe fol Ihrer Sorgfalt entbeh- 
en?“ fragte er dann mit Beziehung. 

„Db Thronerbe, ob Pringeffin,“ entgegnete Ihre Durchlaucht, „ich bin 
überzeugt, daß Ihre Beftimmungen die beften und nüglichften fein werben.“ 

„Seit wann ſchenken Sie mir dies Vertrauen? 

„Ich babe nie anders über Sie gedacht, nur bin ich vielleicht zu» 
weilen mißverftanden worden.” 

„Ei, Pringeffin!" nahm der Regent nad) einem augenblicklichen 
Stillſchweigen dad Wort, „verzeihen Sie mir, wenn ic Ihnen fage, 
daß ich anfange, an Ihnen irre zu werden. Sie, eine Liebhaberin des 
Heinen Krieges, der ſchon feit längerer Zeit zwiſchen uns befteht, 





Keine Rofe ohne Dornen. 257 


wollen fih aus Ihren fiheren Pofitionen zurüdziehen und mir das 
Schlachtfeld allein Aberlaffen? Wie verftehe ich das?” 

„Es ift der richtige Ausdruck,“ erwiderte die Pringeffin faft ernſt, 
‚wenn Sie wie eben bemerfen,.ich hätte die Abficht, mic aus meinen 
fihern Pofitionen zurückzuziehen und Ihnen das Feld hier zu überlaffen. — 
Wahrhaftig es iſt fo. Ich fämpfte, wenn Sie wollen, aus Laune 
und um gar nichts.“ 

„Ah!“ machte der Regent, indem er fidh aufrichtete. „Sollte ich 
Sie verftehen, Prinzeffin? Sie fümpften bisher aus Laune, um gar 
nichts, Sie wollen ſich wirklich zurücziehen und mir ohne ale rſache 
gewonnene Spiel geben ?“ Gr fagte dies lächelnd, doch war fein 
Lãcheln ein fehmerzliched zu nennen und, als er gleich darauf leiſe 
Hinzufeßte: ¶ Ah! in der That, ich verfiehe; ih gewinne, um zu vers 
Tieren!" da fuhr er, beinahe beftig, mit ber Hand fiber die Augen, 
wodurch ihm ein blihähnlichet Blic der Prinzeſſin entging, den fie 
Hinter der Duafte auf ihn ſchleuderte. — Nach dieſem Blick, der bes 
deutungsvoll war, fpielte ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen. 

„Er hat bereits von der Sache gehört,“ dachte fie bei fih, „mir 
wollen weiter mandvriren, aber unfere Angriffsweife ändern.” 

„Sie will mid, überrafchen,“ ſprach der Regent zu ſich felber. 
„Bielleicht weiß fie, daß ich etwas erfahren, und es liegt in ihrem 
Gharakter, mir nicht den Triumph zu gönnen, überhaupt ohne ihren 
Billen etwas erfahren zu haben.“ 

Prinzeſſin,“ fagte er hierauf, und obgleich er bei diefem Worte 
lächelte, bob er doc; bedeutungsvoll die Hand in die Höhe; „Prin⸗ 
zeſſin, gewöhnlich zieht man ſich nad) einer verlotenen Schlacht zurück; 
follten Sie eine Niederlage erlitten haben?" 

Er betrachtete fie in diefem Augenblick mit einem fo feften, ruhi⸗ 
gen Bid, daß fie nicht im Stande war, denfelben auszuhalten, fon» 
dern dad Geſicht den gemalten Fenfterfcheiben zumandte, wobei fie wie 
tropig die Rippen aufmarf. 

„Doch Scherz bei Seite" nahm er wieder das Wort, „id bin 

Hadländers Werke, XXL, 17 


258 Fünfzehntes Kapitel. 


eigentlich hieher gefommen, um mit Ihnen über eine Sache zu rem, | 
die —« 

„Eine Sache, die mich angeht?” fragte die Pringeffin im Tone 
der Ueberraſchung, „und die fo intereffant if, daß ich deßhalb das 
Gtüd Habe, Eure Hoheit bei mir zu fehen? D, auf eine ſolche Sadıe 
bin ich fehr begierig. Etwas Achnliches iſt lange nicht zwiſchen uns 
vorgelommen.“ 

„Es ift allerdings eine Sache, die Sie intereffirt, mich aber auch.“ 

„Die Ste interefftct, als meinen Freund?“ fragte ſchelmiſch lachend 
die Prinzeffin. „Dafür darf ich Sie doch halten? Als meinen Ber 
wandten ?_ Oder ald Chef des Hauſes ? 

„AS Verwandten, als Ihren Freund, und vor Allem als Chef 
des Hauſes;“ gab der Regent zur Antwort. Dabel erinnerte er fh, 
wie er am geftrigen Abend gelitten, als ihm Herr von Fernow bas 
Portrait gebracht, und diefe Erinnerung warf einen fo finftern Schat⸗ 
ten über feine Büge, daß die Prinzeffin, die dies bemerfte und die 
Urfache wohl kannte, ſich veranlaßt fah, etwas wie Schrecken beim 
Anblick diefer plöpfichen Veränderung zu affertiren. 

„Der Ausdrud Ihres Geſichts,“ fagte fie, indem fle wie beftürzt 
ihre Quaſte in den Schooß fallen fie, „Könnte mich in der That auf 
die Vermuthung bringen, als handle es fih um mas abſonderlich 
Ernſtes; doch bin ich daran gewöhnt,“ ſehte fie mit einer gragtöfen 
Kopfbewegung Hinzu, „daß der Chef des Haufes auch aus geringfügte 
gen Urfachen fehr ernft fein ann, und ich tröfte mich nur durch das 
Dafeln der beiden andern ebengenannten Perfonen, meines Verwandten 
und Freundes, die dem gefttengen Herrn mildernd zur Seite fliehen 
werben.“ 

„Allerdings,“ antwortete der Regent, „haben die beiden Ebenges 
nannten ſchon manch' Freundliches für Sie geſprochen, befte Nichte, 
und den Megenten befänftigt, der — doch wozu in die weitere Ver⸗ 
gangenheit zurüctgreifen, da die nädfte Zukunft in der That ernft und | 
faft drohend vor und liegt ?« 


Keine Rofe ohne Dornen. 259 


„Eure Hoheit Tönnten mir in ber That Angft machen,“ fiel die 
Bringeffin mit einem erzwungenen Lächeln ein; „doch will ich mein 
Haupt in Demuth neigen und mit zufammengelegten Händen mein 
Schickſal erwarten.“ 

Sie führte dies pantomimifh aus und faß in diefem Augenbfid 
da wie ein armes Opfer, welches einen ſchweren Streich erwartet; doch 
merkte der Regent wohl, wie fie unter den Augenwimpern zu ihm 
emporbfingefte umd wie etwas wie ein Ausdrud der Zufriedenheit, um 
ihre zufammengepreften Lippen fpielte. 

„Bahrhaftig, Prinzeffin,“ fuhr der Regent kopfſchüttelnd fort; 
„ed wäre dad erfte Mal, dag Sie Ihr Schickſal ruhig erwarten, und 
wenn ich denfen fönnte, Ihre Neue wäre aufrichtig, fo würde ich nicht 
firenge, fondern nur betrübt mit Ihnen reden.” 

„Spricht der Regent oder mein Freund?“ fragte die Prinzeffin in 
einem fo komiſch⸗demüthigen Ton der Stimme, daß Seine Hoheit ſich 
zufammen nehmen mußte, um ernft zu bleiben. Gr dachte aber an 
den geftrigen Abend, an das Spiel Hinter feinem Rüden, an die Phos 
tographie, und das Alles machte es ihm möglich, nicht nur eine ernfte 
Miene beizubehalten, fondern fogar finfter auszufchauen, tropdem, daß 
die Pringeffin ihre fhönen lebhaften Augen wie flehend zu ihm erhob, 
fie aber bet diefem Anblick mit einem tiefen Seufger niederſchlug. Es 
entftand eine Meine Paufe, während welcher die Prinzeffin wieder ans 
fing, tie verlegen mit ihrer Quaſte zu fpielen und diefelbe als Fächer 
vor dem Gefichte Hin» und herzubewegen,, während der Regent , ders 
gleichen verfhmähend, fich aufrichtete umd feft auf die junge Dame 
blickte. „Ste werden fi erinnern,“ fagte er alddann, „daß man vor 
ein paar Jahren eine Verbindung zwifchen Ihnen und dem Herzog 
Alfred von D. projectirte.“ 

Ihre Durchlaucht ſtieß einen leichten Schrei der Weberrafhung 
ans, der fo natürlich ang, daß der Regent vollfommen dadurch ges 
täufeht wurde, 

Eine Verbindung,“ fuhr er fort, „die Ihnen, meine theure Nichte, 


— 


260 Fünfzehntes Kapitel, 


nicht comvenirte und die auf Ihren befonderen Wunſch abgebrochen 
wurde.” 

Die Pringeffin Hatte in diefem Augenblide ſchweres Spiel. Sollte 
fie ſich dad Auſehen einer gefränften Verlepten geben, ober follte fie 
durchbliclen laſſen, fle ahne, was jept fommen werde? Nach einer 
veinlich Tangen Kunftyaufe entſchied fie ih für das Leptere und hielt 
es nun der Situation für gemäß, ein Hein wenig zufammenzufahren, 
ja den leichten Ausdruck: „OD mein Gott!“ hören zu iaſſen. 

" „Eine Verbindung , die Sie ausfchlugen,“ wiederhofte fehr eruft 
der Regent. „Ich bitte hierauf bei meiner weiteren Rede genau zu 
achten. "Hätte man es Eurer Durchlaucht damals verweigert, eine Ver⸗ 
bindung mit dem bezeichneten, und fehr befreundeten Haufe von D. 
einzugeben, hätte man vielleicht eine Neigung zerriffen, und wären wir 
ed gewefen, die jene Verbindung für nicht paſſend umd inconvenabel 
erffärt hätten, fo fände ich e& jept begreiflih, daß Sie, Pringeffin, 
ſelbſt Hinter meinem Rüden Schritte thun würden, um ein Band wies 
der herzuftellen, an das Ihr Herz mit Liebe denft. 

— — Euer Hoheit!" ftammelte die Pringeffin, und als fie nun 
aufblickte und in das ernfte, fehmerzerfüflte Auge ihres Verwandten 
ſchaute, fiel es ihr nicht ſchwer, ihre Rolle der Beftürzung fortzufpielen, 
denn fie fah in den fonft fo rubigen, jept heftig bewegten Zügen des 
Regenten, wie fehr ihm die Sache, von der er fprach, zu Herzen ging. 

„Benn Sie mir etwas entgegnen Fönnen, Prinzeſſin,“ ſprach er 
mit tiefflingendem Ton der Stimme, „was meine eben ausgefprochene 
Behauptung zu widerlegen im Stande ift, fo wäre ich Ihnen banfbar 
dafür. — — Aber Sie lonnen das nicht,” ſehte er bewegt Hinzu, 
„wahrhaftig, Elife, Sie Tonnen das nicht. Sie haben fein Wort der 
Entfhuldigung für — Ihr Benehmen. Sie können dem Regenten, 
dem Chef des Haufe, feine teiftigen Gründe angeben, ala hoͤchſtens — 
verzeihen Sie mir das Wort — eine wirkliche Neigung zu jenem 
‚Herrn, den Sie ja kaum fennen.” 


Keine Rofe ohne Dornen, 261 


Die Pringeffin Hatte ihre Hände gefaltet, und ala fie nun leiſe 
den Kopf fhüttelte, ſenkte fie ihn tief auf die Bruſt hinab. 

Der Regent Hatte die legten Worte mit fleigender Erregtheit, fait 
heftig gefprochen, ja er war fogar aufgeftanden und hatte das Kabinet 
einmal durchſchritten, doch fah er das Kopffchätteln der Prinzeffin und 
dies ließ ihn tief aufathmen. 

„Benn es feine Reigung iſt,“ fuhr er milder fort, „fo iſt e8 denn 
Ihr ungfüdfeliger Hang zur Intrigue, der,Sie veranlaßt, Prinzeſſin 
Eliſe, fih mit diefen Rigoll und Wenden einzulafien, — der Ihnen 
erlaußt, Unterhandlungen einzuleiten, fo daß — der Herzog Alfred von 
D. jept, freilich fehr incognito Hier in der Stadt weilt. Die Prin- 
zeffin Heß ihre Duaſte los und drüdte beide Hände vor das Geſicht. 
Der feidenfchaftliche Ton, in dem der Regent ſprach, hatte fie erſchreckt, 
obgleich fie darauf vorbereitet war, und doch ihr Herz freudig berührt. 

Der Regent hatte abermals einen Gang durd das Kabinet ger 
than. Jeht bfieb er neben dem Fauteuil ftehen, in welchem die Prins 
zeſſin faß, und als er bemerkte, wie fie ihre Augen mit beiden Händen 
bedeckte, nahm er ihre Rechte, um fie fanft von dem Geficht zu ent⸗ 
fernen. 

„O Eliſe,“ fagte er mit weicher Stimme, „Sie.hätten das nicht 
thun ſollen, nicht fo hinter meinem Rücken handeln; Sie wiſſen, wie 
gern, ja freudig, ich flets Ihre Wunſche erfüllte — freudig erfüllte, 
ſelbſt einen Ihrer Wünfche,“ fepte er leiſer Hinzu, „der mir in manchen 
Beziehungen weh gethan haben würde,“ 

Als er das fügte, blicte fie zu ihm auf und es war ein Blick 
diesmal nicht ſchalkhaft, nicht herausfordernd, wie gewöhnlich, fondern 
es war vielmehr ein tiefer inniger Blid, wie er aus dem Herzen eines 
Weibes fommt, wenn ihre Bruft von einem füßen Gefühle gefchwellt wird, 

„Doch, das iſt num vorbei," ſprach er nach einer Paufe und ſich 
abwendend. „Glauben Sie mir, Eliſe, ich bin auch nicht gefommen, 
Ihnen über Ihr Benehmen Vorwürfe zu machen, wozu der Regent 
vielleiht ein Recht hätte, fondern ich will einfach und ruhig mit Ihnen 


262 Faufzehutes Kapitel, 


überlegen, wie der Wunſch Ihres Herzens auf wärbevofle Art} wie 
fichs für umfer Haus gegiemt, zu reafifiren if.“ 

Es lag nicht in dem Gharakter der Pringeffin, daß ein tiefer, 
Inniger Bli ihres Auges lange anhielt, ſelbſt wenn auch das Gefühl, 
das ihn hervorgerufen, fortdauerte. Jetzt ſchon blickte wieder aus ihrem 
Anttig eine Meine Schalkpaftigkeit, und obgleich fie fid) nicht enthaften 
Zonnte, ihre Hand fanft auf den Arm des Regenten zu legen, fo fagte 
fie doch mit einem Anflug ihrer nedifhen Laune: „Berzeifen Sie mir, 
ich fühle in der That mein Unrecht und dies um fo mehr, da mid 
Ihre eveimüthigen Gefinnungen beinahe niederdrüden, — Ihre Sorge 
für mein Wohl — Gurer Hoheit Cutſchluß, meine Wünfhe zu er 
füllen , ſelbſt wenn die Erfüllung Ihnen in manden Beziehungen weh 
thun würde.” 

„So reden Sie, Pringeffin, was fol ich thun?” fragte düſter der 
Regent. 

„Biel und wenig,“ entgegnete faft heiter die Pringeffin und fuhr 
fort, indem fie ihr Gefiht ſchmeichelnd zum Regenten erhob, „— das 
thun, was Sie ſchon ſo oft für mich gethan. Meine — vielleicht un» 
befonnenen Schritte wieder gut machen.“ 

„So will ich alfo,“ antwortete der Regent nad einer Tängeren 
Meberlegung, „den Hofmarſchall zu Seiner Durdlaudt dem Herzog 
Alfred fenden, ihm anzeigen laſſen, daß ich feine Anmwefenheit erfahren, 
und mic fo zurüchaltend als möglich nach feinen Wünfchen erkundis 
gen. Fällt feine Antwort befriedigend aus, woran ich nicht zweifle, 
fo werde ich ihm gegenüber — es fogar recht zart finden, daß er fih 
vorher — von der Neigung Eurer Durchlaucht für ihn überzeugte, ehe 
er Öffentliche Schritte that.“ 

Hat er ſich überzeugt ?“ fragte fhüchtern die Pringeffin, wobet fie 

troß ihrer Kechheit nicht aufzubliden wagte, — „hat er fih wirklich 
überzeugt ?" 

„Nach den Schritten, die er gethan,“ fagte der Regent, indem er 
ſich bemühte, fehr feſt und ruhig zu ſprechen, „muß dies doch wohl der 








Reine Rofe ohne Dornen, 263 


Fall fein. Ja, ich bin der feſten Anfiht, der Herzog iſt fiher, dag 
Sie, Prinzeffin, mit einem mehr als gewöhnlichen Iuterefie von feiner 
Anweſenheit wiſſen.“ 

„Glauben das Euer Hoheit in der That?" fragte nun alles Ernſtes 
erſchrocken, die Pringeffin. 

„Daran tft nicht zu zweifeln. Verzeihen Ste mir, Elife,“ ſehte er 
bitter hinzu, „wenn man einmal fo weit gegangen iſt, Portraits auss 
zutauſchen —“ 

„Richt auszutaufchen” — ſagte die junge Dame in beſtimmtem Tone, 

„Möglich,“ fuhr der Regent achſelzuclkend fort, „im vorliegenden 
Fall iſt es fogar genug, wenn ber eine Theil dad Portrait des andern 
empfängt — behält — bei ſich anfbewahrt — mit Intereſſe bes 
trachtet⸗ · — 

Er hatte das mit ſteigendem Tome der Stimme geſprochen, und 
fie Hatte Diefe Steigerung mit einem eigenthümfihen Lächeln und einem 
fo entfchiedenen Kopfſchutteln beantwortet, daß ſich der Regent veranlapt 
ſah, bewegt auszurufen: 

„Aber, Eliſe, Sie können fich jetzt noch nicht entſchließen, ehrlich 
mit mir zu reden, und Sie ſehen mich doch bereit, allen Ihren Wün⸗ 
fen nachzukommen ?“ 

„Gerade, weiß, ich ehrlich mit Ihnen reden will, muß id mir er⸗ 
Tauben, Ihnen zu bemerken, daß Ihre Vorwürfe nicht begründet find. 
Sie ſprechen von einem Portrait, das ich empfangen. — Möglich, ih 
laſſe mir mandperlei Zeichnungen und Photographieen vorlegen.” 

„3a, — Photographieen.“ 

„Aber, daß id) das, wovon Sie eben ſprachen, behalten, aufber 
wahrt, mit Jutereffe betrachtet, davon weiß id) fein Wort.“ — 

Der Regent zuckte mit den Achſeln und während er mit der rechten 
Hand eine Bewegung der Ungedufd machte, warf er einen bezeichnenden 
Blick nach dem Schreibtifd Hinüber, wo das Etui lag, welches die 
Pringeffin bei feinem Eintritt fo haſtig zugedrückt. 

Sie folgte feinen Augen, und da fie dies that, fuhr ein freunde 


264 Fünfzehntes Kapitel. 


liches Lächeln über ihre Züge. Sie erhob ſich leicht und gewandt von 
dem Fauteuil, firedte ihre Hand aus und fagte mit fo weichem Ton 
der Stimme, wie man es ſelten an ihr bemerfte: „Dort liegt dad, 
worauf Ihre Rede zielt. Meinetwegen denn, fehen Sie nach, was es ifl.” 

„D ich habe es zur Benüge geſehen,“ entgegnete finfter der 
‚Herzog, „aber ich bitte dringend, Elife, wir wollen nicht von umferem 
Gefpräcstjema abfehmeifen. Theilen Sie mir Ihre Wanſche mit, und 
fo wahr ich Ihnen immer ein ehrlicher und treuer Freund war, fo 
wieberhofe ich Ihnen: ich werde auch jept Alles für Sie thun, was 
in meinen Kräften fteht,“ 

Bet den legten Worten, die der Regent innig ſprach, hatte fie ihr 
Gefiht von ihm ab gegen das Fenſter gewendet, und es war vielleicht 
der Wiederfchein des roten Glaſes In den bemalten Scheiben, welcher 
eine tiefe Röthe auf ihren Zügen aufflammen ließ. — Vielleicht ! doch 
hatten ſich diefe auch feltfam verändert; von Schalfhaftigfeit, Behagen 
an der Situation war feine Spur mehr auf ihnen zu leſen, ja die 
Augen hatten ihren muntern Glanz verloren, fie prefte die Lippen 
heftig auf einander, wie Jemand, der einen ſchweren Kampf kämpft, | 
und ein tiefer Seufzer ſtahl fih aus ihrer Brujt empor. — — — Sie 
tieß den Regenten ziemlich fange warten, ehe fie ihm eine Antwort gab, 
und diefe Antwort beftand darin, daß fie ihre Ham erhob, abermals 
nad dem Schreibtiſch hinzeigte, und mit kaum vernehmlicher Stimme 
hinzuſehte: 

„So betrachten Sie doch das Portrait, das ich einſtens erhalten, 
aufbewahrt, das id,“ fepte fie ſtocend Hinzu, „in Wahrheit Häufig mit 
Interefie beſchaue. 

Der Regent, der das Geficht der Prinzeſſin nicht fehen konste, aber 
an dem Ton ihrer Stimme wohl merkte, daß Eigenthümliches in ihrem 
Herzen vorgehe, trat an den Schreibtiſch und nahm das Etui in bie 
Hand. Ehe er ed aber Äffnete, blickte er noch einmal auf die junge 
Dame, die ihm jept ihren Kopf zugewandt hatte, und war erftaunt, 
das auf ihrem Gefichte zu leſen, was wir eben berichtet. Ja, eine 


Keine Rofe ohne Dornen. 265 


tiefe Erregung, eine wahre Herzensangft ſprach fih in ihren Zügen 

aus. Jeht, wo er den Finger auf bie Feder des Etuis drückte, ſtreckte 

fie ihm wie flehend beide Hände entgegen, und aus ihren fonft fo 

Haren, lebhaften Augen, die jegt umdüſtert erfchienen, traf ihn ein fo 

ungewohnter Blick, fo tief und innig , daß er fein Herz erbeben fühlte, 
„Ach, Cliſe, Sie bereuen Ihre Erlaubniß!“ 

„Rein, nein!“ rief fie; doch es war, als kdune fie nicht mit ans 
fehen, was der Regent in der nächſten Sehnde fehauen mußte; denn, 
indem fie auf den Fautenil zurüchant, prefte fie ihr gfühendes Geficht 
in die weichen Kiffen. 

Es durdiguete ihn fo fonderbar, als er num fühlte, wie die Feder 
dem Drude feines Fingers nachgab. Das Etui öffnete fih — und er 
erblickte nicht jene ihm verhaßt gewordene Photographie, fondern — — 
fein eigenes Portrait, von dem er nicht wußte, wie es in Beſitz der 
Prinzeſſin gekommen. 

Bährend das und noch einiges Andere, was unſere Leſer, nament⸗ 
lich unfere Referinnen ſich gewiß denken fönnen, in dem Boudoir der 
Prinzeffin vor fih ging, fpagierte Herr von Fernom eine Meine Weile 
in dem großen Audienzſaale auf umd ab, Seit jenem denkwürdigen 
Abend hatte er eine außerordentliche Vorliebe für diefen an fich fehr 
dden Saal gefaßt. Er betrachtete gerne die alten verblichenen Bilder 
an den Wänden, noch lieber aber die Fenſterniſchen, vermittelit weis 
her jene ihr Licht erhielten. Ja befonders für eine gewiſſe Fenſter⸗ 
niſche fhien er eine wahre Leidenſchaft gefaßt zu haben, denn er ber 
trachtete fie minutenlang, träumend und in tiefe Gedanken verſunken. 
&r hob den fehmeren Vorhang, der an ber Seite Herabhing, in die 
Höhe, nit um auf den Schloßpfap zu bliden, fondern nur um fid) 
— die Mafereien an der Wand zu betrachten. Dann trat er wieder 
zurüd, nahm feinen Säbel unter den Arm und machte einige Schritte 
in den Saal hinein. Das große Gemach war fo entfeplich leer, und 
fo leiſe er auch auftrat, fo hallten doch feine Schritte unangenehm 


266 Fänfzehntes Kapitel, 


wieder. — Mußte er deum gerade in jenem Saale aufe und abs 
fpägieren, hatte ihm das der Regent befohlen? — Gott bewahre! 
Seine Hoheit, als fie in die Zimmer der Pringeffin traten, Hatten 
ame gefagt: Bleiben Sie in der Nähe. — In weder Nähe? — 
Natürlich in der Nähe der Appartements der Prinzeffin. Die A 
partementd der Pringeffin aber beftanden, wie er genau wußte, 
amd der ganzen Reihe der von und im Anfang biefes Kapitels fo 
ſchön umd ausführlich befchriebenen Zimmer. Der Mittelpunkt diefer 
Zimmer war der große Salon ber Pringeffin, wo fie fi wahrſcheinlich 
jegt mit dem Regenten befand, und von dort mußte alſo auch Weite 
oder Nähe berechnet werden, Wenn er aber hier in dem dden Audienz 
ſaal fpazieren ging, fo befand er ſich eben fo weit von der Berfon des 
Regenten, ald wenn er fi an's andere Ende der Appartements begab, 
wo die Dame du jour ihr Empfangszimmer hatte, Das war außer⸗ 
ordentlich Mar, und fowie ſich der Major diefen Gedanfen in der That 
recht Mar gemacht Hatte, befand er ſich auch ſchon auf dem Eorridor, 
der Hinter den großen Sälen lag, und ging wohlgemuth nach der 
andern Seite des Schloſſes, nur in der einzigen Abſicht, die Befehle 
des Regenten zu erfüllen und in deſſen Nähe zu bleiben. 

Im kurzer Zeit hatte er das Ende dieſes Corridors erreicht und 
als er dort einen Lafaien gelangweilt am Zenfter Ichnen ſah, mußte 
er unwillkurlich laͤcheln, denn es war derfelbe Lakai, der ihm neulich 
fein breites Geſicht zwifchen den Drangeblüthen gezeigt Hatte, Na— 
türfih verfhwand aus der Haltung deſſelben alle Langeweile, ald er 
den Adjutanten Seiner Hoheit auf fih zufommen fah. Er ftellte fich 
mit etwas gekrümmten Rüden in Pofitur, nahm ein füßes Lächeln 
an, indem er den Mund fpipte, und rieb fid die Hände, ehe der 
Major ganz nahe war, _ 

„Ber von den Damen iſt im Vorzimmer Ihrer Duchlaudt?"“ 
fragte diefer mit einem fo gleihgüftigen Gefihte, als fei es ihm voll 
kommen einerlei, den Namen ber alten Oberfthofmeifterin zu hören, 

Bräufein- von Ripperda,“ fagte der Lalai. 


— — 





Keine Rofe ohne Dornen, 267 


Der Adjutant nahm eine verdrießliche Miene au und fragte 
fcheinbar überrafht: 

„Richt Ihre Exrellenz ?“ x . 

„Rein, das gnädige Fräulein.“ 

Herr von Fernow war ſchon im Begriffe wieder fortzugehen, 
doch ſprach er nad einer Meinen Weberlegung: „Nun wohl denn, 
melden Sie mic; dem gnädigen Fräulein.“ Der Lakai verſchwand 
Hinter dem fehweren Thürvorhange, als fei er von einem fanften Ber 
phir weggeblafen worden; ebenfo glitt er auch gleich darauf wieder 
zurüd, rieb fih abermals die Hände und fagte mit einer tiefen Neis 
gung des Kopfes: 

„Es wird dem gnädigen Fräulein ein Vergnügen fein, den Herrn 
Major zu empfangen,“ 

Der Major trat, nicht ohne einige Befangenheit, im's Zimmer 
und folgte aladann durch dafjelbe dem Lakaten, der neben ihm her⸗ 
fänfelte, der gegemüberliegenden Thüre zu, die er langfam öffnete 
und hinter dem Eingetretenen wieder ſchloß. 

‚Helene von Ripperda hatte ſich von einem Meinen Lehnfefiel, 
der am Zenfter fland, erhoben und während fie fih mit der Rechten 
auf die Lehne defielben ftüßte, hielt fie in der Linken ein Bud, im 
dem fle fo eben gelefen. Das junge Mädchen fah etwas überrafcht, 
doch nicht unfreundlich aus, 

„Verzeihen Sie, mein Fräulein,“ fagte Herr von Fernow, indem 
er fih mit einer tiefen Verbeugung näherte, „daß ich mir erlaubt 
babe, Ihnen einen Beſuch zu machen.” 

„Sie haben einen Auftrag an mich?" fragte die junge Hofdame 
mit einem beinahe ernften Geſicht. 

„Nicht fo gang, mein Fräulein, Wenn id Ste aber im Ges 
ringſten flöre, ober Ste fonft Gründe Haben, mid nicht zu empfangen, 
fo werde ih mich augenblicklich zurüdziehen. Was einen Auftrag 
anbelangt, fo habe ic} leider keinen; bin aber doch, wenn Sie wollen, 
auf Befehl Seiner Hoheit da,” 


268 Fünfzehntes Kapitel, 


„Wie verftehe ich das, Herr von Fernow ?. 

„Seine Hoheit,“ antwortete der junge Offizier, indem er in 
dienftlicher Haltung und fait im Meldeton ſprach, „befahfen mir, Ihm 
zu folgen, als Sie fi) fo eben zu Ihrer Durchlaucht, der Prinzeffin 
Life, begaben. Hochdieſelben betraten darauf die Appartements und 
fagten im Weggehen: Bleiben Sie in der Nähe.“ 

Ein far unmerkliches Lächeln glitt über die Züge des fehönen 
Mädchens, 

„3a, in der Nähe follte ich bleiben,“ fuhr Herr von Fernow mit 
fehr ernftem Gefichte fort, „und da ich mir überfegt, daß der Andienze 
ſaal, wo id vorhin einen Augenblid war, — der Audienzſaal, mein 
gnädiges Fräulein,“ feßte er mit Betonung hinzu, — „mod) etwas 
weiter von ben Gemächern der Prinzeffin entfernt ift, als diefe Zim⸗ 
mer, fo erlaube ich mir ganz gehorfamft, Ihnen meine Aufwartung 
zu machen, um — das Angenehme mit dem Nüplichen zu ver- 
binden.“ 

„Wenn dem fo iſt,“ entgegnete Fräulein von Ripperda mit 
einer graziöfen Neigung des Kopfes, „wenn Sie alfo im Dienfte 
find, fo muß ich mich denn ſchon entfchliegen, Sie für eine Meine 
Beile da zu behalten.“ 

„Muß? — für eine Meine Weile?" — verfepte der junge Offi— 
zier mit einem leichten Seufzer ; „wenn Ihnen dieje Freundlichkeit für 
mic) nur nicht zu außerordentliche Mühe macht !" 

Bei diefen Worten blickte er nad einem Sige und mandverirte 
auf eine Handbewegung Helenens mit einem naheftehenden Fauteuil 
fo geſchickt, daß er denfelben ohne viel Auffehen gar fehr in die Nähe 
der jungen Dame zu bringen wußte. Beide fepten fih, und Fräu— 
fein von Ripperda legte das Buch, in dem fie gelefen, neben fich auf 
den Tiſch. 

„Ich unterbrach Sie in Ihrer Lektüre, mein Fräulein?“ 

„Ich durchblätterte da eine Gedichtſammlung, die man der Prins 
zeſſin Heute Morgen zugeſandt.“ 





Keine Rofe ohne Dornen. 269 


twas Neues 2" 

„Eine neue Ausgabe. Wenn ed Sie intereffirt, bfiden Sie 
hinein.“ 

„Ah, id kenne das,“ fagte der junge Offizier nach einer Heinen 
Paufe, während welcher er ein paar Blätter umgewandt. „Cs find 
außerordentlich [höne Sachen, ich ſchwärme dafür.“ 


„Mein Leben liegt im Abendroth, 
Dein's tritt erft ein in den fonnigen Tag; 
Mein Herz iſt ſtarr, mein Herz iſt todt, 
Dein's hebt erſt an den Iuftigften Schlag; 
Du ſchauſt nach Deinem Glüde 
Im goldne Kernen weit, 
Ich blicke ſchon zurüde 
Im alte Seit,“ 


las er darauf und ließ das Buch finfen, um nad Helenen hinüber 
zublicken, die den Kopf in die Hand gelegt hatte und zum Fenſter 
hinausſah. 

„Ja, es iſt das ſehr ſchön,“ meinte auch fie, „hübſche Idee, 
reizende Phantafie.“ 

‚Meigend und traurig, wie man will; reizend für einen Glück- 
lichen, traurig für Jemand, der nicht das Recht Hat, fo zu denken 
und zu ſprechen.“ 

Helene wandte ihm ihr Geſicht zu, ſie blickte ihn mit den klaren 
glänzenden Augen an und fagte mit einem Anflug von Wehmuth in 
der Stimme: - 

„Herr von Fernow, erzählen Sie mir Tieber etwas aus der 
Stadt. Es ift eigenthümlich,“ fügte fie nad) einem augenblidtichen 
Stillſchweigen Hinzu, „daß man Ihnen immer die Geſpräͤchethemas 
aufgeben muß.“ 

„O, das iſt wahr,“ verſehte er raſch; „ich bin Ihnen gegenüber 
fo geiftesarm, fo beifpiellos arm, — ja, Helene,“ fuhr er mit lei⸗ 


270 Fünfzehntes Kapitel. 


ferer Stimme fort, „von einer Armuth, die Sie erſchrecken müßte, 
wenn es mir vergönnt wäre, Sie diefelbe in Ihrem ganzen Umfonge 
kennen zu lehren.“ 

„Und ih Habe ja nichts, um Ste reich und glucklich zu 
machen.” 

„Nichts, Helene?" rief Herr von Fernow leidenſchaftlich; „o, 
Sie haben Alles. Sie brauchen nur Ihre Hand zu öffnen, um Segen, 
Reichthum und Gluͤck auf mic niederfrömen zu laſſen. Aber Sie 
find hartherzig. Sprechen wir alfo lieber von der Stadt.” 


„3a, fpredjen wir vom der Stat,” wiederhofte fie leiſe und 


drüdte ihre ſchwellenden Lippen aufeinander, um einen leichten Seufger 
niederzufämpfen. 

„D, tin der Stadt ift es fehr ſchön,“ fagte er mit ergwungener 
Luſtigkelt, „herrliches warmes Wetter, worüber fih alle Menfchen 
freuen. Dan geht fpagteren, man reitet fpagieren, man unterhält fih 
über dies und das, willen Sie, mein gnädiges Fräufein, über lauter 
Alltaͤglichteiten, die eigentlich nicht der Mühe werth find, vor Ihnen 
wiederholt zu werden.“ 

„Sahen Sie Herrn von Wenden?" 

„Herrn von Wenden und auch Baron Rigoll,“ fagte der Major 
mit einer Berbeugung. „Doch von Lepterem kann ic Ihnen wohl 
nichts Neues mittheilen, Ste fehen ihn Häufiger, ala ich.“ 

& war ein trübes Lächeln, mit dem fie zur Antwort gab: 
„O ja, id muß ihn Häufig fehen.“ 

„Häufig, ja fehr Häufig!” ſprach zornig der junge Man. 
„D, Helene, ift das zu ertragen? Fühlen Ste, was ich Ieide?" 

Ste nicte mit dem Kopfe und blickte ihn ruhig an, 

„Alſo doch, Sie fühlen es!" fuhr er Heftig fort. „Nun, bei 
Gott, das iſt für mich fon ein Troft, eine Erleichterung. ber 
Sie fühlen nicht, wie ih, was es Heißt, fo von ferne ſtehen zu 
müffen, wenn er fih Ihnen nähern darf, wenn er berechtigt iR, 
Toren Arm in den feinigen zu Tegen, o berechtigt, wo ich glaclich 





Keine Rofe ohne Dornen, 271 


ſelig wäre, wenn ih nur Ihre Hand berühren dürfte! Sie fühlen 
nicht, Helene, was ich leide, wenn ich Abends zu dem erleuchteten 
Fenſtern der Pringeffin aufbliden muß, wo id; weiß, daß auch Sie 
find und er, — ja, aufbliden muß, faft verzweifelnd. Denn ih 
habe Phantafle, Helene, und fann es mir wohl ausmalen, wie er an 
Ihrer Seite fipt, wie er das Recht Hat, im Ihr liebes Auge zu 
bliden, verftohfen mit Ihnen zu plaudern, während die andern 
Damen aus Gefälligfeit gegen das glüdfihe Paar um fo lauter 
eben !" 

„Sie find zu Bart gegen mid, Herr von Fernow,“ fagte das 
junge Mädchen, wobei fie ihren Kopf fo heftig in ihre Hand drüdte, 
daß fih die weißen Finger tief in ihr volles ſchwarzes Haar vergruben. 

„Ja, das thun fie Ale und finden die Vertraulichkeit begreiflich,” 
fuhr der junge Offizier mit flammendem Blide fort, „und wenn id} 
drunten ftehe, in der ftillen Nacht, fo fühle ih, daß es fo if, — 
und ich fühle nicht nur, ich ſah auch.“ 

„Was fahen Sie?" fragte Helene, indem fie fih haſtig auf 
richtete. \ 

„D, am geftrigen Abend war ich zufäliger Zeuge, daß Baron 
Rigoll Sie in feinem Wagen nah Haufe brachte.“ 

„Ich mußte fo; Ihre Durchlaucht und die Oberhofmeifterin nöthige 
ten mic dazu.” 

„Ich weiß, daß Sie genöthigt wurden, — aber dag man Sie 
nöthigen durfte, das ift ed, was mich fo grenzenlos unglücklich macht ! 
— Glauben Sie aber ja nicht, daß ich abfichtlich in Ihren Weg ger 
treten. Ich fam vom Dienft bei Seiner Hoheit, und Ste können ſich 
bet mir bedanfen, mein Fräulein, daß ich mid) des Wagens bediente, 
der Ste hätte nach Haufe führen ſollen,“ fuhr er fort. Helene blickte 
ihn fragend an. — „In dem Wagen fand id ein Taſchentuch, das 
Sie dort Tiegen ließen und das ich Hei mir trage, um es Ihnen auf 
Ihren Befehl wieder zurädzugeben.“ 

Indem er Died fagte, hatte er die Hand auf fein Herz gelegt und 


272 Bünfzehntes Kapitel. 


ſah mit einem forfehenden und bittenden Blick nad; dem jungen Mäd- 
hen hinüber. — „Befehlen Sie, daß ich ed Ihnen wiedergepe ?“ 

„Aber Sie martern mich, Fernow!“ rief Helene lebhaft aus, „Sie 
martern mich ſchrecklich !" 

„Ich erwarte ja nur nur Ihre Befehle,“ verfepte er dringend, 
nur Ihre Befehle, Helene, ja, Ihre Befehle, ob ich überhaupt glüd- 
lich fein oder entfeplich elend werden fol. Befehlen Sie alſo!“ — 
Das Alles ſprach er mit der jühen Haft der Reidenfchaft. „Befehlen 
Sie mir, vor den Baron Rigoll zu treten — o nein! nicht befehfen! 
Gewähren Sie ed mir ala die höchſte Gnade, die Sie mir gewähren 
Tonnen, ihm zu fagen, daß ich Sie liebe und dag auch Sie mit nicht 
abgeneigt find. _affen Sie mid) dann zur Prinzeffin gehen, ich wil 
fie fragen, warum fie zwei Herzen aus einander reifen will, die ſich 
lieben! Ja, Helene, die ſich lieben, ich ſpreche es ans, ich fühle es, 
ich fehe es in Ihrem feuchten Blick, ich weiß es aus Ihren eigenen 
Worten, aus Ihren Tieben, entzüdenden Worten, die Sie mir an jenem 
Abende fagten.” 

Sie gab ihm feine Antwort, ala er fo Heftig zu ihr ſprach, fie 
hatte ihre Hände vor das Geficht gepreft und das leichte Zuden ihres 
Körpers , welches ihm anzeigte, daß fie weinte, war nicht im Stande, 
ihn ruhiger zu ſtimmen. 

„Was Ihnen Baron Rigoll bieten kann, ann ich Ihnen freilich 
nicht bieten, — feinen Stand, feinen Reichthum! Aber dagegen 
etwas Koſtbareres: ein Herz voll Liebe, Helene. — Doch, o mein 
Gott! ich weiß ja wohl, daß ich da Sachen zu Ihnen fpredhe, Die Sie 
eben fo gut ſelbſt wiſſen.“ 

Sie nickte abermals mit dem Kopfe, dann erwibderte fie, indem 
fie beide Hände von ſich abſtreckte, in einem Tome der Troftfofigfeit, 
der über alle Beſchreibung ſchmerzlich war : 

„— Ob ich alles das weiß, was Sie mir fagen! — Ob ih es 
weiß? — Ja, Fernow, es ift ein Abgrund zu meinen Füßen, vor dem 
ich zurüdfchaudere, und in ben ich doch ſtürzen muß.“ 


Reine Rofe ohne Dornen. 273 


‚Und wer zwingt Sie dagn ?" rief der junge Mann heftig aus. 

„Das Gefühl der Dankbarkeit gegen die Prinzeffin, meine Liebe 
zu ihr, mein Berfprechen.” 

„Ein Berfprehen, das man Ihnen abgezwungen? — O fo weit 
gu gehen, zioingt und weder Liebe noch Dankbarkeit! 8 iſt eine 
Laune der Prinzeffin, fie Hat den Baron RigoN zu Gott weiß welchem 
Zwecke gebraucht, und um ihn an fid zu Fetten, follen Ste das Opfer 
werden! — Nimmermehr, Helene, Ste follen ſich feiner vorübergehens 
den Laune opfern. — Rein! nein! Und kann ich auch nicht gluclich 
mit Ihnen fein, — — mit Dir, o meine Helene, mit Dir, die ih 
Über Ades in dieſer Welt liebe, fo will id dod) das Vand gerreißen, 
am welchem man dich, du mein herrliches Mädchen, gefangen hält, und 
du follft wenigftend frei, wenn auch nicht glüdtich fein !" 

&r hatte ſich bei diefen Worten mit einer rafchen Bewegung vor 
Helene niedergeworfen,, ihre beiden Hände ergriffen, und als er dies 
ſelben leidenſchaftlich an feine Lippen preßte und mit heißen, innigen 
Küffen bedecte, war es fo gekommen, daß ihr Haupt nieberfant und 
ihr Haar aufgelöst auf feine Stirne fiel, 

„Sa, ja," wiederhofte er mit dem Tone bes tiefften Schmerzes, 
„wenn auch nicht glücklich, doch frei!" 

„Und warum nicht Beides ?" fragte eine feife Stimme Hinter 
ihnen, eine Stimme, deren Ton Beide erſchreckte, eine Stimme, die fle 
augenblicklich erkannten, deren ang aber in diefem heiligen Augen 
blicke nicht im Stande war, beide Liebenden gewaltfam zu trennen. 
Herr von Zernow erhob fid) vielmehr langfam , umd wie er fidh erhob, 
Tegte er feinen Arm um ben fchlanfen Leib des jungen Mäbdjens, 
drüdte es, wie befchüßend, an fih und blickte dabei herausfordernd um 
fich Her, ald wollte er fagen: „Welche Macht der Erde ift im Stande, 
und jeßt zu trennen 2" 

Auch Helene ſchlen fo zu denfen, denn fle widerſttebte nicht, 
als fein Arm fle umfings vielmehr glitten ihre — an dieſem 

daclanders Berke. XXL, 


274 Sünfzehntes Kapitel 


Arm hinunter, bie fie in feine Hand fielen und fid dort mit den 
feinigen vereinigten. Wohl blidte fie im erflen Augenblicke zu Boden, 
wohl flog eine tiefe Röthe über ihre vorhin fo bleichen Züge, dech 
blidte auch fie in der näcften Sekunde empor in dad Ange der Prin⸗ 
zeſſin, die lächelnd neben ihnen fand und aufs Anmuthigfte, faſt 
nedend wiederholte: „Und warum wicht Beide, meine Kinder ?" 

Fernow wußte nicht, wie ihm geſchah. Ja, die Pringeffin mußte 
diefe Worte ehrlich meinen. Im folden Augenbliden zu fpotten, wäre 
ja ruchlos geweien. Und aus dem Blick ihres Auges leuchtete auch 
nichts wie Spott hervor, es fag vielmehr etwas wie Glück, wie Freude, 
ja Setigteit in dem feuchten Glange deffelben. Sie meinte es ehrlich 
mit den Beiden. Näherte fie fih doch mit leiſen Schritten denfelen, | 
legte ihre Hand fanft auf die Schulter des jungen Mädchens und 
üßte fie auf die Stirn, ald diefe das glühende, thränengenepte Geficht 
iu ihr erhob. 

„Zränme ich denn?" fagte Helene nad) einer fühen Paufe. 
„Träume ich, Euer Durchlaucht? Und werde ich zu neuem Leide er⸗ 
wachen 1" 

„Rein, nein, es ift fein Traum, mein Kind,“ erwiederte die Prin- 
zeſſin. „Du Haft mir ſelbſt einmal gefagt, daß es Augenbfide im 
Menſchenleben gibt, wo dad Glüd mit einem Male auf und nieberfällt.“ 

„Gewiß, Euer Durdlaucht!" rief der junge Dffigter entzüdt, „es 
gibt ſolche Augenblide des Glüdd.“ 

Fur Euch Beide, die ich gerne habe, eben jet," antwortete die 
Zürftin. Dann fepte fie mit leiſer Stimme, zu Helenen allein ges 
wendet, hinzu: „für mich vor wenigen Minuten.” 

Obgleich ihr Sräufein von Mipperda fragend in das Geficht 
blite,, fo mußte fie doch den Stun der eben gefprochenen Worte ver 
ftehen; denn fie faltete ihre Hände, drüdte fie auf ihre heftig athmende 
Bruſt und ſprach: 

„Wie mid) das froh macht !" 

Es gibt Augenblide des Glucks, die fo unverhofft kommen, und 


Keine Rofe ohne Dornen. 275 


fo bedeutend find, dag wir fie ohne weitere Frage in unſer Hera 
aufnehmen, daß wir nicht wagen, eine Bemerkung über das Erlebte zu 
machen, aus Furcht, ein folder Augenblick des Gluͤcks möchte dahin 
flattern, wie ein fchöner Traum. So war's dem jungen Offisier zu 
Muth, und als er nun fah, wie die Pringeffin bei Helenen feine Stelle 
einnahm, das Heißt, wie fie ihren Arm um den Hals des jungen 
Madchens legte, und ihr Haupt auf deren Bruſt niederfinfen lleß da 
fagte er denn mit flehender Stimme: 

Euer Durchlaucht, in Ihren Händen liegt das Geſchick zweier 
Herzen, die felig find, ihr Glück durch Ste zu empfangen, und die 
ewig für Sie fhlagen werden In Zuneigung und Ehrerbietung !" Das 
mit zog er fidh Teife zur Thüre zuruck, und als er durch das Vorzim⸗ 
mer ſchritt, jubelte e8 in ihm laut und freudig: „Das war der‘ rechte 
Augenblid des Glüds!" Auch beging er in diefem Augenblide des 
Stüds noch eine Meine Thorheit. Er riß das Taſchentuch Helenens, 
welches er unter der Uniform auf der Bruſt trug, hervor und bedeckte 
es mit unzähligen, leienſchaftlichen Küffen. 

Als die Thür des Vorzimmers Hinter ihm in's Schloß fiel und 
er auf dem Gorridor dahinging, war ihm zu Muth, als Hätte er 
Flügel und ſchwebe nur fo dahin auf dem Fußboden. Wie aber in 
der Belt dafur geforgt ift, daß die Bäume nicht in ben Himmel wach⸗ 
fen, fo harrt unfer gewöhnlich auch eine Feine Abkühlung , wenn wir 
und im höcften Stadium der Freude und des Gfüdd befinden. Diefe 
Abkühlung des Herrn von Fernow im gegenwärtigen Momente erſchien 
in der Perfon des händereibenden Lakaten, der fi ihm füßlächelnd 
näherte und mit lispelnder Stimme meldete: „Seine Excellenz, ber 
Operftjägermeifter, Herr Baron von Rigoll, bäten den Herrn Adjutans 
ten auf zwei Worte in den Audienzſaal.“ Dorthin ging denn auch 
der junge Offizier und ſchritt gar ıficht fo zögernd und äugſtlich, wie 
vor einer halben Stunde. Was fümmerten ihn jegt alle Rigoll's der 
ganzen Welt! Ja, er hoffte fogar, Seine Excellenz möchten die Gnade 
haben, ſich ſpeziell um ihn zu befümmern und er war in ber Bers 


276 Bünfzehntes Kapitel. 


faflung , dem Baron, wenn ihn dieſer mit befaunten ragen beehren 
würde, vollfommene Auftlärung zu geben und nichts vorzuenthalten. — . 

Der Dperftjägermeifter fand in dem Audienzſaal in der und 
wohlbefannten Feuſterniſche. Er wandte fih beim Eintritt des Herm 
von Fernow um, und wenn au um feine zufanmengefniffenen Lippen 

das ewige lauernde Lächeln fpielte, fo blidten doch feine Augen etwas 
zu flarr, um freundlich auszuſchauen, umd dazu fpielte feine Gefichts- 
farbe noch ftärter, ala gewoͤhnlich, in's Gelbliche. 

„Euer Extellenz haben mic, befohlen ? fagte der Adjutant, indem 
ex fi) dem Baron vafch genähert, der ihm nur wenige Schritte ent 
gegenfam und ihm antwortete ; - 

„Bon Befehlen kann feine Mede fein, Herr Major. Ich habe Sie 
nur um zwei Worte gebeten.“ Der Oberftjägermeifter blickte einen 
Augenblick durch's Wenfter, daun aber drehte er ſich mit einer haftigen, 
zudenden Bewegung wieder gegen den jungen Mann und fagte mit | 
einem unangenehm verzerrten Geſichte und einem fhneidenden Tone: 

„Herr von Fernow — Sie erlauben,“ unterbrach er ſich felbft, 
„daß ich Ihren Titel weglafle, — da auch ich Bitte, den Oberftjägers 
meifter bei Seite zu ſehen und ſich für einige Augenblicke nur mit 
dem Baron Rigoll zu befhäftigen. — Herr von Fernow, Sie haben 
fich in den fepten Tagen ein Vergnügen daraus gemacht, fich etwas 
fehr auffallend mit meinem Thun und Laffen zu beſchäftigen. Sie 
haben Leute, die ich in meinem Jntereſſe gebrauchte, fir fih zu gewin⸗ 
nen gewußt, Sie haben ſich in den Befig meiner Heinen Geheimniſſe 
gefept und haben das, was Sie auf Ummegen erfahren, getreulich 
Seiner Hoheit, dem Regenten rapportirt.“ . 

„Herr Baron!“ rief der junge Offizier, indem er einen Schritt 
zurüdtrat, — „Sie führen eine eigenthümliche Sprache!“ 

Dboleich er auf eine Scene mit dem Oberftjägermeifter gefaft 
war, fo ſiel ihn derſeibe doch fo ohne alle Vorbereitung an, dag er une 
willturlich nad) der Hand feines Gegners blicte, ob derfelbe im nädjften 
Moment nicht ein paar Piftolen aus der Roctaſche ziehen würde. 


Keine Rofe ohne Dornen. 277 


„Bern Ihnen das Wort „rapportirt” nicht gefällt,” fuhr Jener 
mit einem malttiöfen Aufwerfen feiner Lippen fort, „fo fagen wir 
lieber, Sie haben meine Geheimniffe dem Regenten verkauft.” 

‚Here von Fernow blickte im Saale umher, zudte die Achſeln und 
ſchwieg. 

„Ich Hin nicht der Mann,“ ſprach Herr von Rigoll mit zitterndem 
Mıdnde weiter, wobei feine Augen fonderbar zwinferten, „ber ed unge 
ftraft Hingegen laßt, wenn junge Leute, die anfangen, fid) zu fühlen, 
meine Wege durchfreugen, um das, was ich mühfam vorbereitet, mit 
ungefhidter Hand andeinanderzugiehen und unüberlegt zu Boden zu 
treten.” 

Herr von Fernow lächelte ſpitz, ald er dem Oberftjägermeifter die 
Borte erwiderte: „Here Baron von Rigoll, es thut einem jungen 
Manne, der eben anfängt, ſich zu fühlen, in der That außerordentlich 
weh, einem älteren Herrn, wie Euer Egrelleng, der nicht nur den Ton 
bei Hofe, fondern auch den Ton ber gewöhnlichen allgemeinen Schich- 
lichteit genau kennen follte, fagen zu müflen, daß Ausdrüde, wie die, 
deren Sie ſich fo eben bedienten, unter Männern von Ehre nicht ge 
brãuchlich find, und daß es, nebenbei gefagt, verzeihen Sie mir das 
Bort, fehr wenig überlegt ift, fie in diefen Räumen hören zu laſſen. 
Bas ich gethan, Habe ih zu verantworten. Finden Sie fih durch 
mein Benehmen irgendwie gefränft, fo werde id, um Ihnen, der fo 
hoch im Range fteht, den gebührenden Vortritt zu laſſen, bis Heute um 
zwei Uhr auf Ihre weiteren Wünfche warten. Sollten Ste aber diefe 
Wunſche bis zu der angegebenen Zeit nicht aufs Deutlichfte audgebrüdt 
haben, fo werde ich mir nad) zwei Uhr erlauben, einen meiner Freunde 
zu Gurer Egrellenz zu ſchicken.“ 

Der Major hatte dies in dem ruhigſten, aber beftimmteften Tone 
gefagt und nur dann feine Stimme erhoben, wenn der Oberftjägers 
meifter, deſſen Geſichtsfarbe anfing ins Grünfie überzugehen, unter 
heftig zudenden Bewegungen der Hände und Füße Miene machte, ihm 
ins Wort zu fallen, 


278 Bänfzehntes Kapitel. 


„Daß if’, was ich getvollt !" fprudelte er jet hervor; „Sie ober 
ddr und das iſt es ja auch, wornad Sie traßiten. Ah, Here von 
Peer , ich bin freilich der ältere Herr und Sie der jüngere Mau, 
der gewandt iſt im Auöholen von Geheimniffen; auch gewandt im 
Weynehmen eines Taſcheniuches, welches die Damen in ihrem Wagen 
Urgen laſſen, ja. dieſes Taſchentuches,“ fuhr er mit ſchaãumendem 
Munde fort, indem er auf das Tuch des Fräuleins von Ripperda 
wied, welcher der Major zu verbergen vergefien Hatte. „Doch follen 
Sie nicht Alauben, daß mid; kleinliche Eiferfucht treibt, oder daß ich 
Idnen das Feld räume, aud wenn hundert Schnupftücher meiner 
Braut in Ihren Händen find. Es iſt ungehener leicht, ein wehrlofes 
Mideben zu compromittiren.“ 

Died lehte Wert durchzucte den jungen Offizier, als Hätte ihn 
ein Buhſtrabi getroffen. Gr biß ſich die Lippen faft Siatig, zog den 
Krbem mübfam an ſich und that einen raſchen Schritt vorwärtß gegen 
den Mann, der ed wagte, an einem Ort, wie der, wo fle ſich befanden, 
ton fe yranfam zu beleidigen. — Glücticherweife aber war es ber 
Dberfiiägermelfter, der ihn dur) eine haftige Bewegung rädwärts eben 
fo fchnefl wieder talmirte, als er den flammenden Zorm bes Majors 
ervent batte. Ja. Seine Excellenz trat faſt hinter die Benftervorhänge, 
Mreite die veihte Hand don fi und tief erſchrect aus: 


Ich Bin wehrlos und bi 
daß wer im Sta fan bewaffnet. Dergeffen Sie aber nic, 


er) doc gewaltig, als er über den Eorridor ging 
and de Treppen Hinabftieg, die dur Wohnung des Megenten führten. 
Daß der Meg, den er zu machen Hatte, ziemlich Lang war 





Keine Rofe ohne Dornen. 279 


und daß er ſich deßhalb fo weit beruhigen konnte, um ganz gefaßt in 
Das Zimmer des Herrn Kindermann einzutreten. Mit einem aufgerege 
ten verftimmten Weſen hätte der junge Offizier auch durchaus nicht 
im die Nähe des alten Kammerdieners gepaßt; denn diefer faß in der 
rofenfarbigften Laune in feinem Lehnfluhle und fprang beim Anblid des 
Apjutanten mit einer gar pofftrfichen Tanzbewegung in die Höhe. 

Herr von Fernow,“ fagte er, indem er freudig die Hände zuſam⸗ 
menſchlug, „ich glaube, wir Haben Heute einen ganz vortrefflichen Tag. 
Ich habe etwas erlebt, was feit langen Jahren nicht mehr gefchehen 
ift. Seine Hoheit Haben mic vorhin an biefem meinem rechten Ohr⸗ 
Läppchen gezupft und dazu gejagt: „„Kindermann, wenn wir nicht fo 
ein altes ſchwaßhaftes Weib wären, fo follten wir erfahren, daß wir 
heute einen Augenblid des Glüds gehabt haben.“ Run wiſſen Sie, 
‚Herr von Fernow, der Regent das fagen und ich meine Schleufen aufe 
ziehen, das war eine Sache des Handumdrehens. Bor Ihnen habe ich 
keine Geheimniſſe. Sie gehören von jet ab zum Innern Haushalte; 
wiſſen Sie alfo" — 

Der Ton der Klingel aus dem Kabinet des Regenten unterbrach 

. ben redfefigen Kammerdiener. Gr hüpfte Hinter die Vorhänge, und als 
er wieber zurüdfam, machte er eine bezeichnende Handbewegung nad 
der Thüre des Kabinets, wobei er fläfternd fagte: 

„Morgen mehr. Ich habe ein paar Ausgänge zu machen. Seine 
Hoheit iſt fo vortrefflich gelaunt, daß, wenn Sie ſich heute eine Gnade 
ausbitten, er Ihnen nichts abfchlagen wird.” 

In der That faß auch Seine Hoheit in fehr froher Stimmung, " 
die auf feinem Gefichte wiederſtrahlte, vor feinem Schreibtifche. Beim 
Eintritt des Offigierd ftredte er ihm die Hand entgegen, was er biöher 
nie gethan, und fagte verbindlich: 

„Ich danke Ihnen, lieber Fernow, für Ihre guten und getreuen 
Dienfte. Ich denke eifrig an eine Belohnung für Sie und werde ſuchen, 
die Hindernifie, welche ſich noch entgegenftellen, auf die Seite zu räus 
men, — Benn Sie nah Haufe fahren, fo thun Sie mir die Liebe 


278 Sänfzehntes Kapitel. 


„Das iſt's, was ich gewollt !” ſprudelte er jegt hervor; „Sie oder 
ih; und das iſt ed ja auch, wornach Sie trachten. Ah, Herr von 
Fernow, ich bin freilich der Ältere Herr umd Sie der jüngere Mann, 
der gewandt iſt im Ausholen von Geheimniffen; auch gewandt im 
Begnehmen eines Taſchentuches, welches die Damen in ihrem Wagen 
liegen Taffen, ja, dieſes Taſchentuches,“ fuhr er mit ſchaumendem 
Munde fort, indem er auf dad Tuch des Fräuleins von Ripperba 
wies, welches der Major zu verbergen vergefien hatte. „Doch follen 
Sie nicht glauben, daß mic kleinliche Ciferſucht treibt, oder daß ich 
Ihnen das Feld räume, aud wenn Hundert Schnupftücher meiner 
Braut in Ihren Händen find. Es iſt ungeheuer leicht, ein wehrlofes 
Mädchen zu compromitticen.“ 

Dies Tepte Wort durdhzudte den jungen Offizier, als hätte ihn 
ein Bfipftrahl getroffen. Er biß fich die Lippen faſt blutig, zog den 
Athem mühfem an fih und that einen raſchen Schritt vorwärts gegen 
den Mann, der ed wagte, an einem Ort, wie ber, wo fie fih befanden, 
ihn fo graufam zu befeibigen. — Glüdlicherweife aber war es ber 
Sberftjägermeifter, der ihn durch eine Haftige Bewegung rädwärts eben 
fo ſchnell wieder cafmirte, als er den flammenden Zorn des Majors 
erregt hatte. Ya, Seine Excellenz trat faft hinter die Fenftervorhänge, 
ſtreckte Die rechte Hand von fi und rief erfchredt aus: 

„Ich bin wehrlos und Sie bewaffnet. Vergeſſen Sie aber nicht, 
bag wir im Schloffe find ! 

Wie gefagt, diefe Heftige Bewegung des Oberftjägermeifters fick 
allen Zorn des jungen Mannes plöpfich verfhwinden, feine Musteln 
fpannten ſich ab, umd indem er in einem verächtlichen Tone fagte: 
„In der That, ich werde es nicht vergefien, wo wir find, und wen id 
vor mir habe!“ wandte er fih ohne Verbeugung, ohne Gruß um und 
verließ mit raſchen Schritten den Audienzſaal. Trop alle dem abır 
pochte ihm das Herz doch gewaltig, ald er über den Gorridor ging 
und die Treppen Hinabftieg, die zur Wohnung des Regenten führten. 
Es war gut, daß der Weg, den er zu machen Hatte, ziemlich lang war 





Keine Rofe ohne Dornen. 279 


und daß er ſich deßhalb fo weit beruhigen konnte, um ganz gefaßt in 
das Zimmer des Herrn Kindermann einzutreten. it einem aufgerege 
ten verftimmten Wefen Hätte der junge Offigier auch durchaus nicht 
in die Nähe des alten Kammerdieners gepaßt; bemm biefer faß in ber 
zofenfarbigften Laune in feinem Lehnſtuhle und fprang beim Anblid des 
Adjutanten mit einer gar poſſirlichen Tangbewegung in die Höhe. 

„Herr von Fernow,“ fagte er, indem er freudig die Hände zuſam⸗ 
menfchlug, „ich glaube, wir haben heute einen ganz vortrefflichen Tag. 
Ich Habe etwas erlebt, was feit langen Jahren nicht mehr gefchehen 
iſt. Seine Hoheit haben mich vorhin an diefem meinem rechten Ohr ⸗ 
lappchen gezupft und dazu gefagt: „„Kindermann, wenn wir nicht fo 
ein altes ſchwaßhaftes Weib wären, fo follten wir erfahren, daß wir 
heute einen Augenblit des Glüds gehabt haben.“ Nun wifien Sie, 
‚Herr von Fernow, der Regent das fagen und ich meine Schleufen aufe 
sehen, das war eine Sache des Handumbdrehens. Bor Ihnen habe ich 
feine Geheimniffe. Sie gehören von jept ab zum innern Haudhalte; 
wiſſen Sie alfo” — 

Der Ton der Klingel aus dem Kabinet des Regenten unterbrach 

. ben redfeligen Kammerdiener. Er hüpfte hinter die Vorhänge, und als 
ex wieder zuruckkam, machte er eine bezeichnende Handbewegung nach 
der Thüre des Kabinets, wobei er flüfternd fagte: 

„Morgen mehr. Ich habe ein paar Ausgänge zu machen. Seine 
Hoheit ift fo vortrefflich gelaunt, daß, wenn Sie fih heute eine Gnade 
ausbitten, er Ihnen nichts abfchlagen wird.“ 

In der That faß auch Seine Hoheit in fehr froher Stimmung, 
die auf feinem Geſichte wieberftrahlte, vor feinem Schreibtifhe. Beim 
Eintritt des Offigterd ftreddte er ihm die Hand entgegen, was er biöher 
nie gethan, und fagte verbindfih: 

Ich danke Ihnen, lieber Fernow, für Ihre guten und getreuen 
Dienfte. Ich denke eifrig an eine Belohnung für Sie und werde fuchen, 
die Hinderniffe, welche ſich noch entgegenftellen, auf die Seite zu räu⸗ 
men, — Wenn Sie nad Haufe fahren, fo thun Sie mir die Liebe 


230 Bünfsehntes Kapitel. 


und paſſtren bei Wenden. Ich will ihn vor der Zafel ſprechen. — 
Apropos, erinnern Sie fih noch des Abends neulich, ald Sie unge 
zufen in mein Kabinet kamen. 36 glaube, das war für uns zwei 
eine gute Begegnung.” 

„Für wich wenigſtens war es ein Augenblia des Glucks,“ ſprach 
der junge Mann mit einer ehrerbietigen Berbeugung, „denn das Ber 
trauen, welches mir Eure Hoheit bewiefen, hat mich zum glüdtichften 
Menſchen gemadt. 

„Zum glůdlichſten vielleicht noch uicht,“ entgegnete Lächelnb der 
WNegentz „aber was nicht ift, kann nod werden. Wenn Sie es nur 
in Ihrer wichtigften Angelegenheit mit einem andern Charakter, als 
mit dem des Baron Rigoll, zu thun hätten! — Doch Hoffen Sie auf 
die Zukunft, wir wollen fehen.” 

Der Regent wandte fih nad einer freundlichen Hanbbewegung 
wieder zum Schreiben um, und der junge Offizier verließ das Kabinet 
und gleich darauf das Schloß. ALS er an einer Nebenthüre in feinen 
Wagen flieg, fuhr eben die Gauipage Seiner Extellenz des Oberſt⸗ 
jügermeifterd davon. 

„Kein Licht ohne Schatten,“ ſprach der Major achfelzudend zu 
fich felber; „feine Nofe ohne Dornen; aber was auch kommen mag, 
für Heute fol mir nichts die Erinnerung trüben, an den da oben ge 
noſſenen wunderbaren Angenbitd des Gluͤcks. 





Rofa, 281 


Sechzehntes Kapitel. 
Rofa. 


Herr Krimpf bewohnte eine Dachſtube, die ziemlich einfach möblirt 
war. Diefelbe lag in ftiller Einfamfeit im vierten Stod bes uns 
wohlbefannten Haufes in der Pfahlgaffe, weßhalb der Bewohner von 
Beſuchen nicht fehr geftört wurde; ja, die beinahe einzigen lebenden 
Befen, die fi) hier oben fehen Tiefen, war ber Vater einer gegenüber- 
wohnenden Sperfingfamilie oder ein paar Kapen aus der Nachbarſchaft. 
Diefe Stille und Ruhe neben dem etwas farfen Bordeaux, den ber 
Heine Maler an jenem Abend zu fid) genommen, war denm auch wohl 
Schuld daran, daß er am darauf folgenden Morgen länger als ge 
wöhnlic fchlief. Herr Krimpf war fonft, namentlich während des 
Sommers und Herbſtes, fehr frühzeitig auf und liebte ed, die erften 
Strahlen der auffteigenden Sonne zu begrüßen, Daß er dies aber, 
wie unzählige andere Menfchen, mit freudigen Gefühlen that, Tönnen 
wir gerabe nicht behaupten; vielmehr blickte er murriſch auf die ſchat⸗ 
tenerfällten Straßen, und wenn fi droben am Kirchthurmdach das 
erfte Sonnengold zeigte, fo zuckte er migmuthig mit den Achſeln und 
Tonnte fügen: „Das heißt num gelebt! des Morgens zieh' ich mich an, 
des Abends zieh’ ich mich and. Wenn nur einmal was Anftändiges 
dazwiſchen fahren wollte! So eine tüchtige Revolution ober ein orbents 
Hicjes Erdbeben!“ 

AB Herr Krimpf an dem Morgen nach jenem denkwürdigen 
Souper erwachte, erſtaunte er, da er die Sonne bereits in feinem 
Bimmer fah, dann zudte er mit den Häuden nach feinem Gefihte, 
faßte feine Naſe und indem er fie bebädtig abwärts zog, haſchte er 
tin feinem Kopfe nach Hin und wieder blihenden Erinnerungen; doch 
mußte er einen tüchtigen Anlauf nehmen, das heißt, er mußte fi in 
Gedanken anf die Terrafe des Sihloffes verfepen, dann Die Straßen 


282 Sechzehntes Kapitel. 


wandeln, die er geftern durchgangen, endlich vor der Reflauration ſtehen 
bleiben; ja, er mußte ſich den Meinen Spazierflo mit dem goldenen 
Kuopfe vor fein inneres Auge rufen, ehe es ihm möglich wurde, eine 
Art von Syfem in die Eriehniffe des geſtrigen Abends zu bringen. 
Daß er mit einem fremden Herm fonpirt, wurde ihm bald wieder | 
Mar, and) daß er gut gegeffen und viel Wein getrunken. Dann aber 
tam eine fhleierhafte, traumartige Zeitz jept noch, in der Erinnerung, 
brannten die Lichter trübe, und es war ihm, als fei die Stube voller 
Staub geweſen. 

Herr Krimpf erhob fi von feinem Bette in die Höhe und war 
augenſcheinlich nicht ganz zufrieden mit den bei ſich felber angefteflten 
Rachforſchungen. Etwas war noch vorgefallen, das wußte er. Er mußte 
mehrmals rüdwärts gehen; er mußte fo zu fagen wieder mit bem 
erſten Glaſe Bordeaut beginnen. Ah! jept fing er an, einen Faden 
in die Hand zu befommen. Der Andere, der Offizier, hatte gewußt, 
wer er fet, daß er Krimpf heiße. Ja, fo wars. Der Meine Maler 
mußte ſelbſt lächeln, als er fühlte, wie ber Nebel in feinem Kopfe 
zu weichen anfing, und als der geftrige Abend immer Marer vor ihm 
trat. Gr bildete ſich überhaupt gern etwas auf feine geiftigen Fähig ⸗ 
teiten, namentlich auf fein Gedaͤchtniß ein, und Dies Gedächtniß war 
in ber That für Sachen, die Herr Krimpf behalten wollte, nicht 
ſchlecht. — Der Offizier Hatte alfo gewußt, daß er in der Pfahlgafie 
wohne, und dann hatte er von der Rofa geſprochen. — Richtig, bie 
Rofa! — An diefe follte er einen Brief beforgen, den der Andere 
ihm gegeben. — — Den er ihm gegeben? Nein, nein, er hatte ihm 
nichts gegeben. — Den er ihm erft geben wollte, und zu dem Zweck 
ſollte er, der Maler, den Offizier befuchen. — Aber wo? — — 
Teufel! das Hatte er vergefien, und das war recht ungeſchickt. Se 
viel erinnerte er ſich wohl noch, daß deſſen Wohnung auf einem der 
Pläpe der Stadt gelegen war. Aber weiter. „Es fällt mir ſchen 
noch ein,“ dachte er. „Damit jedod war umfere Unterrebung noch 
nicht zu Ende,“ ſprach er mach einer Paufe zu ſich felber, während 


Rofa. 288 


welcher er ſich heftig die Stirn gerieben Hatte. Iſt es mir doch 
gerade, als ſeien wir in Streit zuſammen gerathen, der junge Offt⸗ 
sier und ih. Geſchimpft und geflucht wenigftens hab’ ih. — Dann 
meine ih auch, ich Hätte etwas, das mir ziemlich wichtig geweſen, 
auf den Boden geworfen. Hollah! fo wird es fein. Alle Donner 
wetter ! 

Bet diefen Iepten Worten fprang Herr Krimpf mit einem ein 
zigen Sape aus dem Bette und ftürzte mit einer außerorbentlichen 
Haft auf feinen Rod zu, deſſen Tafchen er in aller Geſchwindigkeit 
unterſuchte. — Darin war nichts zu finden, nnd er wußte doch, 
daß er die beiden Photographien bei ſich gehabt. Es ſah komiſch 
and, wie der Meine Maler jet die Hand mit feinem Mod herab» 
Hängen ließ, mit einem ziemlich nüchternen, ja troftlofen Blid am 
den glänzenden Morgenhimmel Hinauffah und fich am Kopfe frapte, 
— „JZa, die Photographien Habe ich weggegeben!“ fagte er enblic, 
„und der Henker mag wiffen, in welden Händen fie fih nun befin⸗ 
den. Keimpf, das it ein ſchlimmes Stüd Arbeit! Aber mich foll 
der Teufel lothweiſe holen, wenn ich mich nicht auf die Adreſſe bes 
finnen will, welche mir der Offizier gegeben. — Ein Plag in der 
Stabt war ed. Habe ic; denn nichts dabei gebucht, afd er mir ihm 
nannte? — Es iſt ein gutes Mittel, fih bei einem Namen etwas 
zu denken, wenn man ihn wiederfinden will. — Richtig, an Waſſer 
hab’ ich gedacht. An ſprudelndes Waffer! — Ich hab's, id hab's 
— an eine Fontaine! Ah! der Kaſtellplaß! Donnerwetter! — Nun 
‚aber die Nummer! Bel der Nummer hab’ ich auch etwas angeſchaut 
Hm! Hm! Was Habe ich doch angefhaut? Das Fenſter mit acht 
Scheiben? Numero acht? Nein, das war's nicht! Die drei Flaſchen 
auf dem Tiſche? Auch nicht. Und doch hab’ ich an was gedacht. — 
Nein, Ten Ueberlegen Hilft. Aber auf dem Kaftelpfape will ih mid 
fhon zu ihm fragen. Beftellt hat er mid, und da ich nicht weiß, . 
gu welder" Stunde, fo will ich Halt den Morgen hingehen und warten, 
bis er nach Haus kommt! 


234 Schzehntes Kapitel, 


Nachdem Herr Krimpf dies bei fidh überlegt, ſchmunzelte ex ver 
gnůgt -in fich hinein, wenn er am das vortrefflihe Souper Dachte, 
welches er geſtern Abend eingenommen, und an den guten Wein, 
der ihm gar keine Kopfſchmerzen verurſacht. Er ſtäubte ſeine Stiefel 
provifortf mit einer Kleiderbürſte ab, ſchlenkerte die Hoſen hin und 
ber, um fie von dem Staub zu befreien, und nachdem er beides 
angezogen, machte er mit einer Hand voll Waſſer feine übrige 
Toilette, zog Weſte und Rot am und begab fi) in das Atelier 
hinab. 

Frau Böhler Hatte Ihm feinen Kaffee aufgehoben, der Photos 
graph aber war ausgegangen, um eine fertig gewordene Arbeit dem 
Zefteller zu überbringen. Da zwiſchen der alten Frau und dem 
Heinen Mafer nie ein befonderes gutes Einverftändniß geherrſcht, fo 
war es nicht auffallend, daß Beide aufer dem herfümmfichen guten 
Morgen nichts weiter mit einander redeten. Frau Böhler ging in 
ihre Küche, und da feine dringende Arbeit vorhanden war, nahm 
Herr Krimpf feinen Hut, um etwas friſche Luft zu fhöpfen. Gr 
flieg Tangfam die Treppen hinab, und nachdem er einen Augenblid 
überlegt, klopfte er an die Thür von der Wohnung der Frau Wittwe 
Weiher. Auf ein lautes „Herein!“ der alten Fran öffnete Herr Krimpf, 
und ein einziger Bid in das geräumige Zimmer befehrte ihn, daß 
Rofa auögegangen fe. Ihre Mutter ſaß am Tiſche neben dem Ofen 
und [hälte Kartoffeln, 

Der Meine Maler nidte ihr freundlich mit dem Kopfe zu und 
dann ließ er fih faul und nadfäffig, wie Jemand, der außerordent- 
Mic} viel Zeit übrig hat, auf einen Stuhl, der alten Frau gegenäher, 
nieder, „Immer fleißig?“ fragte er aladann gähnend. 

„Man muß wohl!“ meinte Madame Weiher. „Wer nichts 
fSafft, bat nichts zu effen, ober ed muß Ginem fo gut gehen, wie 
ad“ 

„Daß ſich Gott erbarm',“ entgegnete Herr Krimpf, und feine 
weißen Finger zudten nad feinem Haar. „Uns gut gehen! Davon 


Ps 


Rofa, 285 


Hab’ ich Tange nichts mehr gemerkt. Ihr Habt doch was, wenn Ihr 
arbeitet, wir aber da oben — na, ua, man muß fein Gefchäft nicht 
verachten.” 

„So, fo? Es geht wieder einmal gar nicht?" fragte neugierig 
die alte rau, wobei fie Kartoffeln und Meſſer in den Schooß fallen 
ließ. „Ja, ich Hab’ es immer gefagt, die Künſtlerſchaft, '8 tt doch 
nichts dahinter. Und nun gar dad Photographiren, da warten zu 
möüffen,, wie die Spinne in ihrem Netz, bis einmal eine unglüdtiche 
liege fich Hinein verirrt!” 

„8 if ein traurigen Gefhäft," erwiderte Herr Keimpf mit ſeht 
ernfter Miene. „Ich werde es auch nächſtens auffteden und mic 
wieder volftändig der Malerei zuwenden. Die vielen Auslagen bei 
dem Photographiren! Und macht man wirklich was Hübfches, fo. 
meinen die Leute, fie müßten es gefchentt haben.” 

Fran Weiher nicdte mit dem Kopfe, indem fie emfig wieder ans 
fing , ihre Kartoffeln zu ſchaͤlen. 

„Das habe ich der Rofa ſchon taufendmal geſagt,“ ſprach fie 
nach einer Meinen Weile. „Da if vom und hinten nichts; da Heißt 

‚es immer: Warten und Warten. Ja, und bei dem Warten wird 
man alt, und was hat fo ein armes Mädchen, wenn einmal die 
exfte Jugendfriſche vorüber iſt 1" 

„Ausfiht auf ihren Bräutigam, unfern Herrn Böhler!“ lachte 
boshaft der Meine Maler. 

„Ausfiht auf gar nichts,“ fuhr die Frau fort; „und damit ver- 
fchlägt ſich das Mädchen andere ordentliche Partien.” 

„3a, ja, es iſt eigentlich ſonderbar,“ meinte nachdenklich Here 
Krimpf. „Die meiften Freundinnen Rofa's haben fich ſchon verheis 
rathet. Da tft die Anna Kom und die Ghriftiane Ringel, und 
wie ich geftern hörte, fol es auch jept mit der Emma Schwertel 
losgehen.“ 

„Mit ihrem Lieutenant?“ fragte überraſcht die alte Frau. 

„Mit ihrem Lieutenant, der darneben ein reicher Baron if,“ 


286 Sechzehutes Kapitel. 


befräftigte der Meine Maler, wobei er ſchlau nad der Frau binühbers 
blingefte, um zu fehen, welchen Eindruck diefe Nachricht auf fie made. 

Die Mutter Roſa's faß kopfſchuttelnd da, und da fie gedankenvoll 
zum enfter binausblidte, fo hatten die Kartoffeln wieder einen 
Angenblid Rufe. 

„Die Emma Schwertel!“ fprac fie achſelzudend. „Kann die 
fih wohl mit meiner Tochter meffen? Und hat gar feine Familie, 
die ſich fehen Lafien darf! Der alte Weiher aber war Amtsdiener 
und mein Bruder ift Stabtrath. Und der Lieutenant hat wirklich 
ehrliche Abfichten ?" 

„Sie wird Baronin,“ behauptete Herr Krimpf mit beftimmten 
Zone; dann erhob er ſich langfam. und ſehte Hinzu: „Aber das muß 
man auch der alten Schwertel nachfagen, einen Geiſt hat die Fran 
und immer die Hand feſt darauf gehalten! Dann ift die Emma ſelbſt 
ein verftändiges Mädchen.“ 

„Run, was bad anbelangt, fo wollen wir lieber fagen fie hat 
mehr Glüd ald Verſtand; denn mit einem Lieutenant anbaudeln, das 
führt getwögnlih zu etwas Anderem ald zur Baronin. Wenn bie 
Rofa hätte Lieutenants Haben wollen, fo würde das Haus hier wie 
eine Kaferne ausfehen. Aber nichts für ungut, Krimpf,“ fuhr die 
Frau fort, indem fle außerordentlich dide Schalen von ihren Rats 
toffeln herunter ſchnitt. „Ihr konnt es droben wieder erzählen oder 
wicht: ich werde naͤchſtens einmal ein vernünftige Wort mit Herrn 
Böhler ſprechen. Die Geſchichte fängt anmir Iangweilig zu werden, 
Und darin muß es Mar werden. So eine ewige Brautſchaft iſt das 
Hinderlichfte, was einem Mädchen pafficen kann.“ 

Wo iſt denn bie Rofa % fragte Herr Krimpf füg laͤchelnd. 

„Sie trägt einige Arbeiten in die Handlung. Ich verfihere Euch, 
das Mädchen ift fo fleißig und geſchidt, daß fie gang gut von dem leben 
önnte, was fie verdient. — Ja, ja, die Sache muß Mar werden.“ 

Damit erhob fle fich ebenfalls, ſchuttete die Kartoffeln in eine 
Schäffel und trat einen Augenblick and Fenſter, um nach dem gegen 


Rofa. 287 


Aberliegenden Haufe zu ſchauen. Dort war wie gewöhnlich in letzter 
Zeit das eine Fenſter offen; am demfelben ſtand ber Meine Yautenil, 
und auf dem Gefimfe lag der unvermeidliche Blumenſtrauß. 

Herr Krimpf blidte auch hinüber und Lächelte ſtill in fid hinein, 

„Der wär" mir aud; Kleber,“ fagte er hierauf, „als der Emma 
Schwertel Ihr Lieutenant.“ 

„Habt Ihr was Über den da gehört, Krimpf?“ fragte die Fran. 

„O ja, gehört Manches; und was ich gehört, muß wahr fein, 
denn ich habe es von einem feiner guten Freunde. Der Herr da 
drüben hat fi} fo in die Mofa verliebt, daß ihm Alles daran gelegen 
ift, das Mädchen einmal ſprechen zu Lönnen.” 

Sprechen?" fragte mißtrauiſch die alte Fran. 

„Run ja, bier in Ihrer Wohnung. Daran wird doch wohl 
nichts Schlimmes fein ?" 

Ktimpf, Krimpf! Das find gefährliche Sachen! Denkt nur an 
unſere Nachbarſchaft und an da oben!" 

„Es fällt mir aud nicht ein, Euch dazu zu rathen. Ich fage 
ame, was ich gehört. Gott fol mich bewahren, daß ich mid in fo 
etwas hineinmiſche. Aber fo viel muß ich hinzuſeten, der da drüben 
fol ein ſehr geordneter Here und außerordentlich reich fein.“ . 

- Die alte Frau fann einen Augenblid nah, dann fagte fie wie 
am ſich felber: 

„3m Grunde Tann ich Niemand verbieten, in unfere Wohnung 
au fommen, wenn er irgend etwas faufen oder beftellen will.“ 

‚Here Krimpf war ebenfalls nachdenklich geworden und wiederholte 
ebenfo mit feiferer Stimme als zuvor: 

„Ja, das kann man freilich Niemand verbieten! Und dann tft 
die Roſa ja ein geſcheites Mädchen und weiß ſchon, was fie zu thun 
und zu lafien hat. — So, jept hab’ ich Cuch guten Morgen gejagt, 
grüßt mir Eure Tochter freundlich, und wenn ich Euch einen guten 
Rath geben darf, fo glaubt mir, es ift beffer, wenn Ihr von dem da 
drüben nichts zu ihr fagk“ 


288 Schjehntes Kapitel. 


Here Krimpf hätte eigentlich nicht ndthig gehabt, der Mutter die 
fen Math zu geben, denn fie war ohnehin entichloffen, ihrer Tochter 
die gute Partie der Emma Schwertel vor Augen zu haften und fie 
zur Klugheit zu ermahnen. 

Der Maler ging feiner Wege und war bald auf dem Kaſtellplatz. 
Es wurde ihm leicht, in einem dortigen Laden die nöthige Erfundigung 
einzuziehen, und fo erfuhr er denn, daß der Major von Fernow, 
Adjutant ded Regenten, im erften Stock deſſelben Haufes wohne, ſowie 
weiter, daß diefer Herr gewöhnlich Mittags um zwölf uhr nach Haufe 
komme. Herr Krimpf verfehlte nicht, fih um diefe Stunde einzuftellen 
amd ſich melden zu laffen. 

Herr von Fernow empfing feinen Gaft von geftern Abend mit 
freundlichem Lächeln, und Indem er es ihm leicht machte, über bie Meis 
nen Berlegenheiten hinwegzukommen, welde jenem die Grinnerung an 
feinen unzurechnungsfähigen Zuftand verurſachte, gab er ihm mit einigen 
Worten der Anerkennung die beiden Photographien zurüd, die, wie ber 
geneigte Leſer berelts weiß, vollfommen ausgedient und ihren Zwei 
erfüllt hatten. 

Bas die andere Sache anbelangte, fo verfehlte der Major nicht, 
dem Meinen Maler die Zeilen des Kammerherrn zu übergeben, indem 
er ihm ſtrenges Stillſchweigen anempfahl und fi wo möglich im Laufe 
des Nachmittags eine Antwort erbat. 

Herr Krimpf wandte dad Schreiben nach allen Seiten, und wäh 
rend feine rechte Hand an feine Stirne emporzuckte, erlaubte er fih die 
Bemerkung, er wolle allerdings die Zeilen übergeben, doch ſei eine 
ſchriftliche Antwort nicht möthig, ſchwerlich würde fi) and das Mäd 
hen zu einer ſolchen entfchließen. Der Freund des Herm Major fönne 
ja ohne allen Anftand in das Haus kommen, um irgend eine Beftellung oder 
einen Anfauf zu machen, und alsdann fehen, ob ihm das Glüd günftig 
ſei. Hierzu fet zwiſchen fünf und ſechs Uhr Nachmittags die befte Stunde 

Diefen Vorfchlag fand Herr von Fernow in mehreren Beziehungen 
paſſend, und indem er fagte: „So kann die Befiimmung zwiſchen fünf 





Rofa, 289 


und ſechs Uhr als Antwort gelten,“ empfahl er dem Heinen Maler 
dringend, das Billet auf alle Fälle zu übergeben und entließ ihn aladann 
mit einem glänzenden Geſchent, welches anzunehmen fih übrigens Herr 
Krimpf mit Mund und Hand, das heißt mit der rechten Hand, weis 
gerte, während die linfe es langſam in feine Rodtafche j hob. Dann 
ging er nah Haufe zuräd, und während er der Pfahlgaſſe zufclene 
derte, überlegte er, ob e8 in der That räthlich fel, das Briefchen an 
feine Adrefie zu befördern. 

„Eigentlich ift es unndthig,“ ſprach er bei fih ſelber. „Hat der 
‚Herr da drüben das Verlangen, fein Abenteuer mit Mofa zu beftehen, 
fo mag in der Thai die Bemerkung, dag zwiſchen fünf und ſechs Uhr 
die paſſendſte Zeit iſt, als Antwort gelten, und er kann thun, was 
ihm beliebt. Warum ſoll ich eigentlich die Kaſtanien aus dem Feuer 
Holen? Welst fie den Brief zurüc, fo hat fie auch feine Verpflihtung, 
vor meinem Freund und Coflegen Böhler zu ſchweigen, und dann fönnte 
ich doch mit dentfelben in fehr unangenehme Grörterungen gerathen. 
Befler, wir behalten den Brief ald Mufter, wie vornehme Leute ders 
gleichen Sachen ſchrelben.“ 

Mit diefen Töblichen Borfägen ftieg Herr Krimpf fangfam die 
Treppen hinauf und kam gerade zur rechten Zeit, um am dem befchels 
denen Mittagsmahl der Familie Theil zu nehmen. Der Photograph 
war nicht froh geftimmt, umd felbft Frau Böhler, die ſonſt alles in 
ofenfarbener Laune anzufehen pflegte, war etwas mißvergnägt. Unan⸗ 
gemehmes war eigentlich nichts vorgefallen; nur hatte fih der Augen 
blick des Glucks, als jene beiden Herren damals in dem Atelier ers 
fchtenen, noch nicht als folher bewährt, denn es waren weder Nach-⸗ 
beftellungen noch neue Kunden gefommen, und die gefpenfterhafte Ma- 
fine blieb faft den ganzen Tag mit ihrem Tuche verhüllt. 

Daß dem Herrn Krimpf fein Mittagefien ansnahmewelfe gut ges 
ſchmeckt, wollen wir gerade auch nicht behaupten. Gr fühlte doch, wie 
ſchlecht er an feinem Freund und Collegen gehandelt, und Ft wo die 

Hadiändere Berk, XXL. 


4 


290 Schjehntes Kapitel, 


Sadje eingeleitet war, konnte er ſich hie und da eines lauten Herz 
Hopfens nicht erwehren. Es war ein Glück, daß er nie Jemandem 
frei in die Augen ſchaute, fondern immer nur von der Seite blingelte, 
denn heute wäre ihm das erftere, befonders, als Heinrich Böhler freund 
ſchaftlich wie immer fein Brod mit ihm theifte, doch unmöglich geweſen. 

Nach dem Mittagefien begab ſich der Photograph in eine Kunſthand⸗ 
fung, für die er mehrere Bilder angefertigt hatte, und der Meine Maler 
nahm eine Arbeit vor, die ihm aber Heute nicht befonders von der 
Hand gehen wollte. Gr fonnte weder einen ordentlichen Strich machen, 
noch die rechte Farbenmiſchung treffen. Auch horchte er immer auf die 
Uhr des benachbarten Kirchthurmes, und wenn «8 ein Viertel weiter 
ſchlug, fo war es ihm gerade, als ſchlage ber Hammer auf fein eigenes 
Herz. Neben dem Bewußtſein des Unrecht, das er feinem Freunde 


zugefügt, und ebenfo dem Mädchen, das ihm nie etwas zu Leide ger 


than, begann auch eine wilde Eiferſucht in feiner Bruſt aufzufteigen. 
‚Herr Krimpf Hatte Phantafle, und er fing an, ſich die Scene, die fih 
ja um fünf Uhr möglicherweife ereignen konnte, mit fo wilden Farben 
auszumalen, daß er mühfam nad Athem ſchnappen mußte, und daß 
er fühlte, wie fein Haar auf der Stimme fefflebte. Hatte er doch die 
Stunde zwifchen fünf und ſechs Uhr teuflifch gut gewählt! Da war 
+ Rofa faft immer allein zu Haufe, denn um dieſe Zeit pflegte die alte 
Weiher ihre Nachbarinnen zu befuchen. — Teufel! warum raste heute 
die Zeit fo aufergemöhnfich fehnell dahin! — Kaum war zwei Uhr 


vorüber und ſchon flug e8 Drei! Ja, im Uhrwerk mußte das Räder | 


teben ebenfo heftig pulficen, wie das Herz des Heinen Malers ſchlug. — 
Schon Bier, dann Halb fünf, und da er angefrengt in den untern 
Stock hinablauſchte, hörte er jeßt, wie bie alte Frau Weiher ausging, 
um ihre Beſuche in der Nachbarſchaft zu machen. — AH! es war ent« 
fegfich heiß tm vierten Stock! Auf der Treppe mußte es gewiß ein 
wenig fühler fein. 

Roſa faß in ihrem Zimmer und war ftill und fleißig mit ihrer 
Stroharbeit befhäftigt. Wenn das Band, weldes fie flocht, hätte zer 


Rofa. 291 


den können, fo würde die fpätere Befiperin deſſelben von allerlei felt- 
famen Gedanken, die aus ihn heraustönten, überrafcht worden fein; 
denn während Rofa die feinen Strohhalme kunſtreich durcheinanderſchob 
und befeftigte, dachte und träumte fie unabläffig, bald leiſe, bald laut, 
lehteres aber melitens in ſolchen Augenbliden, wenn fie die Hände mit 
der Arbeit in den Schooß finfen ließ, das liebe, frifche Geſichtchen 
emporhob und mit den guten Maren Augen an das Stüdchen Himmel 
euporblidte, das von einem melanhofifchen Dachladen und von einem 
finftern Schornftein eingerahmt, gerade dadurch recht heiter und blau 
herniederblidte. Es war eigenthümlich, daß, wenn fie die Augen nier 
derfinten ließ, fie fat ängſtlich vermied, nad; dem gegerüberliegenden 
Zenfter zu blicken, und dann doch wieder verftohlen hinüber ſah. Auch 
fühfte fie ihr Herz heftiger fhlagen, wenn fie dort zuweilen eine ber 
taunte Geftalt gewahr wurde, die ſich Heute Nachmittag häufiger als 
ſonſt fegen lieh und auf eine faſt Fomifhe Art einen Blumenftranf 
Handpabte, Nicht um eine Million wäre fie an's Feuſter gegangen. 
Sie Hatte lehteres Anfangs ganz unbewußt und unſchuldig gethan; es 
war ihr wie eine Hndifche Spielerei vorgefommen, der fie in ihrer 
Phantafie gar keine Folgen gegeben; und fo wäre ed auch geblieben, 
wenn der Photograph fie bei der neulichen Unterredung nicht aufmerk⸗ 
fam gemacht und fie dadurch zu ihrem eigenen tiefen Erſchrecken über 
eine Spielerei aufgeklärt hätte, die fie in der That nicht für der Rede 
werth gehaften und die doch nicht fo ganz unſchuldig war, wie fie an« 
fänglich ſelbſt geglaubt. 

Ia, fie war häufiger an's Fenſter getreten, als fie früher gethan 
umd als gerade nothwendig gewefen. Sie hatte anfänglich aus Neu 
gierde hinuͤbergeblidt, wenn er hergeſchaut, und als er drüben auffals 
lende Zeichen machte, da Hatte fie zuerft noch einmal fehen wollen, ob 
ihr diefe Zeichen wirklich galten, und darum fuhr fie mit der Hand 
über ihr dunkles Haar, ald jener den Blumenftrauß vor feine Lippen 
brachte. Doch war fie über ihr eigenes Thun erfchroden, und daß fie 
eine derartige Beichenfprache fo bald ohne Lehrmeifter gelernt. Berftand 


292 Sechzehntes Kapitel. 


fie doc volllommen, wenn er drüben geftern das Zeichen des Schrei⸗ 
bens gemacht, denn es war Mar, da er damit fagen wollte, er 
werde fih im den nächſten Tagen erlauben, einige Zeilen an fie zu 
richten. Was er aber heute Nachmittag damit anzeigen wollte, daß er 
feinen Blumenſtrauß in verfchtedenen Paufen fünfmal an die Lippen 
gebracht, das wußte fie nicht. — War es Ihr doch auch gleichgüftig, 
denn mehr noch als die vorwurfsvollen Worte Heinrich Vöhlers hatten 
fie ein paar Reden ihrer Mutter zurückgeſchreckt, als diefe noch Heute 
Morgen von einem unverhofften Glücke ſprach, das oft einem armen 
und fhönen Mädchen widerfahren fönne, und fie hierauf fehr weit 
ſchweifig von Rofa’s Freundin, der Emma Schwertel erzählte, Die nun 
doc, ihren Lieutenant heirathen werde, welcher noch obendrein Baron 
ſei. „Ja,“ hatte fie hinzugefeßt, „der Herr Kammerherr Baron von 
Benden iſt fehr reich und fo umabhängig, daß er nad feinem Men- 
fen nichts zu fragen Hat.“ Mofa überfief es bei diefen Worten un 
helmlich denn fie liebte ihren Verlobten innig, fie würde ihn in der 
That nicht verlaffen haben, und wenn zehn Barone, zehn Wenden ges 
tommen wären. Selbſt daß fie fange warten mußte, bis er fih ein 
ordentliches" Einfommen gefichert, ſelbſt das hatte ihre Liebe ſtark ge 
macht, denn fie wußte, welche Mühe er fih gab, und welch Unglück 
ihn jedesmal betroffen, wenn er am Ziele feiner Wünfche angefommen 
zu fein fhien. — Das konnte aber nicht immer fo fortgehen; auch fie 
hoffte auf einen endlichen Augenblick des Glüds. 

Da Mopfte es feife an die Stubenthür, und da das nichts Außer 
gewöhnfiches war, fo rief Roſa ein herzhaftes „Herein!“ Wie ward 
ihr aber zu Muth, als fih nun die Thür öffnete und ihr Gegenüber, 
mit dem fie fih focben befchäftigt, Herr von Wenden, in das Zimmer 
trat. Es war ihr, ala fähe fie ein Gefpenft, denn wenn fie auch tho⸗ 
richt gemug geweſen war, aus einer Entfernung von guten hundert 
Schuhen nach dem, der jegt vor ihr fand, Hinüberzulächeln, fo war es 
ihr doch immer zu Muth gewefen, als fet das da drüben nur eine 
Phantafle, nur ein Bild, eine Art von Puppe, ein Automat, der wohl 





Rofa. 293 


einen Blumenftrauß hin und ber bewegen konne, aber der weder bie 
Macht noch die Luft habe, im ihre Nähe zu kommen. Die Gafle, 
welche ihr Haus von dem feinigen trennte, war ihr immer als ein 
Abgrund erſchienen, der nicht zu überfchreiten fei, über den weder Weg 
noch Steg führe. Unter dem Schupe diefes Abgrundes war fe ans 
Zenfter getreten, unter feinem Schuße hatte fle gelädhelt, wenn der drüs 
Den gar zu pofficlihe Bewegungen machte. Und das Wefen ftand jet 
wor ihr auf zwei Schuß Entfernung, ſehr örperhaft, zierfich geffeidet, 
freundlich, Tächelnd und dem armen Mädchen einen ſolchen Schred ein⸗ 
jagend, daß fie unmillfürfich mit beiden Händen an ihr Herz fuhr. 

„68 überrafht Sie, mein fhönes Fräulein,“ fagte der Kammer 
herr von Wenden, „daß ich fo außerordentlich pünktlich bin. Es hat 
draußen eben erft fünf Uhr gefchlagen und ſchon ftehe ich vor Ihnen, 
glũdlich, entzüdt, daf die fhöne Rofa mir geftattet, fie auf ein paar 
Heine füße Augenblicke zu beſuchen.“ 

Benn er aud für fie verftändlicher geſprochen hätte, fo würde 
ihm das junge Mädchen doch im erfien Momente feine rechte Antwort 
habe geben Können, denn fie zitterte heftig, was ihr nie geſchehen war, 
und fonnte nichts tSun, als einen Schritt zuräcteten, da der Andere 
zwei auf fie zu machte. 

„Das ift eine allerliebſte Heine Wohnung,“ fuhr diefer fort, der 
es für nothwendig hielt, vertraufih und herablaſſend zu ſprechen; 
armant, und da fteht Ihr Arbeitstiſch mit den wirklich wunderbaren 
Arbeiten, die Sie hervorbringen, — reizende Meine Arbeiten. Und 
das Alles machen Ihre Meinen niedlichen Hände? Im der That nied- 
liche Hände. Erlauben Sie —“ 

Bei diefen Worten nahm er ihre Rechte und wollte fie an feine 
Lippen führen. Doc, blieb diefer Vorſaß unausgeführt. Roſa entzog 
ihm haſtig ihre Hand und Hatte jeßt jo viel Faſſung gewonnen, um 
feagen zu fönnen, was ihr eigentfich die Ehre feines Beſuches verfchaffe. 

‚Herr von Wenden ſtutzte faft bei diefer Frage, doch nahm er fie 
für verzeihliche mädchenhafte Schüchternheit, und da er die Meine Hand 


294 Sechzehntes Kapitel 


im nächften Augenblick nicht wieder ergreifen konnte, fo ging er durch 
das Zimmer nad dem Penfter, um, wie er fagte, mit außerorbentficher 
Befriedigung nad) feiner Wohnung und nad dem Fenſter hinüber zu 
blicken, an welchem er ſchon fo glüdfich geweſen. 

Des jungen Mädchens Hatte ſich eine unerffärliche Angſt bemach- 
tigt; fie warf ihre Arbeit auf den Tifch und eifte zur Thür, um nah 
ihrer Mutter zu fehen, oder um droben bei der Frau Böhler Schup 
und Hülfe zu fuchen. Doc; lachelte fie felbft im näcften Augenbli 
über ihre thörichte Furcht und trat ruhig an den Tiſch zuräd, um zu 
erwarten, was ihr feltfamer Befuch beginnen werde. 

‚Herr von Wenden fehlen die Ausſicht von hier nach feiner Woh- 
nung vortrefflich gefunden zu haben. Nur mochte er vielleicht bedauern, 
ſich nicht ſelbſt dort erbliden zu Tonnen, und um biefem angel 
einigermaßen abzubelfen, warf er einen Bid in den an der Band 
hängenden Spiegel und war von dem, was er dort fah, nicht umbes 
friedigt. 

Wenn wir ſagen wollten, der Kammerherr habe fi bei dieſem 
erſten Beſuche volllommen ficher und behaglich gefühlt, fo würden wir 
die Unwahrheit reden. Im Gegentheil, als er ſah, wie fih Roſa fo 
ſchuchtern Hinter ihren Tiſch zurüctzog und ihm fo gut wie gar keine 
Antwort gab, fühlte er in fid) alle Symptome der Berlegenbeit. Er 
huftete häufiger als nothwendig war, er brauchte die Worte: Föftlich! 
harmant! fuperbe! ohne allen Zufammenhang und zupfte ungebuhrlich 
oft an feiner Halsbinde. Diefe unbehagliche Stimmung wurde nicht 
vermindert, als er fah, wie der flammende Blick des jungen Mädchens 
allen feinen Bewegungen folgte, wie fie die Lippen feft auf einander 
preßte, die Hand auf den Tifch ftägte, und ans ihrer fhüchternen Hal⸗ 
tung wie erwachend, den Kopf mit einem tropigen Ausdrude erhob. 

Er näherte fi dem Tifche und bat um Erlaubniß, einen Augen 
blick fihen, am ihrer Seite fipen zu dürfen, nahm darauf einen Stuhl 
und fieß fich nieder. 

Rofa Hatte ſich joweit gefaßt, um ihm im ruhigen Tone bemerken, 


Rofa. 295 


zu Tonnen, daß es fie außerordentlich wundere, ihn hier in ihrer Wohnung 
zu feben, ohne zu wiſſen, womit fie ihm dienen könue. 

Diefe wieberhofte Frage Mang dem Kammerherrn fait komiſch. 
Ohne aber worderhand des Briefes zu erwähnen, den er gefchrieben, 
und der Erlaubniß, die fie ihm gegeben, hielt er es für paſſend, ihr in 
gut gewählten Ausdrüden die Augenblide vorüberzuführen, wo er fie 
am Zenfter geiehen, wo er von ihrem Anblid bezaubert worden fei, 
und wo ed ihn fo hoch begfüdt habe, als er aus einigen feifen Zeichen 
zu erfennen geglaubt, daß auch fie ſich hie und da nicht ohne Abſicht 
gezeigt. Rofa erfchrat aufs Neue, ald fie bemerkte, daß er jede ihrer 
Mienen beobachtet und jede oft unmillfürliche Bewegung zu feinen 
Gunften ausgelegt. Sie fühlte, wie Unrecht fie gethan, ſich überhaupt 
am Zenfter zu zeigen, aber da fie ſich nichts Böfes bewußt war, fo 
blickte fie ihm feft in das Ange und begnügte ſich, ſtatt aller Antwort, 
bedeutfam mit dem Kopfe zu ſchütteln. 

„Gewiß, [höne Rofa,“ fuhr Herr von Wenden wärmer fort, „ih 
fürchtete fon, der mächtige Eindrud, den Sie auf mein Herz hervor⸗ 
gebracht, würde mich zum unglüdfichften aller Menſchen machen. Denn 
ehrlich geftanden, die Liebe, welche ich für Ste fühle, ift nicht gewöhn⸗ 
licher Art. Ia, es if eine Leidenschaft, die ich nicht im Stande bin, 
nieberzulämpfen und die mic; elend gemacht haben würde, ohne Ihr 
entzüdendes, Liebevolles Entgegenkommen.“ 

„Durch mein Entgegentommen?“ fragte das Mädchen, indem fie 
einen Schritt zurüdtrat. „Wenn Sie das für ein freundliches Entger 
genkommen haften, daß id} mich, von der Arbeit, ermübdet, zuweilen am 
Fenſter fehen ließ, auch vieleicht nicht immer mit finftern Mienen, fo 
muß ich Ihnen fagen, daß mid, diefe Ihre Anficht erſchrectt und daß 
ich in der That nicht begreifen fann, wie Sie es darauf hin wagen 
tönnen, mir die Worte zu fagen, welche ic) eben gehört.“ 

„Dies Terrain will Schritt für Schritt erobert fein,“ dachte Herr 
von Wenden. „Die fhöne Feſtung zeigt troßig ihre Flagge, um dem 
Feind nicht zu verrathen, wie unter ber Befapuug bereits Meuterei 


296 Sechzehntes Kapitel. 


ausgebrochen ift. Thun wir ir den Gefallen, plänkeln wir ein waig | 
vorwärts, und dann mit einem tüchtigen Sturm das Hauptwerk amom⸗ 
men. — Barum, ſchoͤne Roſa,“ fuhr er Taut fort, „wollen Sie die 
Freundlichkeit Täugnen, die Sie für mich gehabt? wollen dos fein Ent 
gegenfommen nennen, was mich fo außerordentlich entzüct, was mein 
‚Herz in Lichte Flammen geſetzt?“ Er Hatte bei diefen Worten mit 
feinem Stuhle fo geſchict mandvrirt, daß er an Roſa's Seite gekom⸗ 
men war, und ihr zugleich den Ausweg verfperrt, da fie Hinter fich die 
Band, rechts einen Schranf und vor ſich den Tiſch hatte. — „Als ich 
Sie zum erften Male ſah,“ ſprach der verliebte Kammerherr mit füßem 
Lächeln und ſchmachtendem Blicke weiter, „da war ich betroffen von 
Ihrer wunderbaren Schönheit, aber dadurch fühlte ich mich auch hoffe 
nungslos. Auf Ehre, [höne Rofa, ganz hoffnungslos! Und bei dieſem 
am fi troftlofen Gefühle kann ich Sie verfihern, daß mich der erfte 
Blick Ihrer fügen Augen, das erfte freundliche Lächeln traf, wie der 
erquidende Thau eine — nun ja, tie der erquidende Than eine — 
halbverwelfte Blume, Sie blühte wieder auf in Heißer Liebe. Und 
das iſt Ihr Wert, fchöne Rofa.” 

Herr von Wenden hatte gefprochen mit fanftem Augenauffchlag, 
ſchmachtend und Fiöpelnd, wie ein vollendeter Ged. Als er fah, wie 
das Mädchen bei feinen Worten die Iinfe Hand zufammenballte und 
auf ihr Herz drüdte, da machte er es gerade fo, ohne zu denken,“ daß 
ganz andere Gefühle ihre Seele regierten. Ja, fie hatte für dem 
Mann drüben, fo lange der vermeintliche tiefe Abgrund fle trennte, ein 
am ſich unſchuldiges Intereffe genommen. O Gott ja, fie hatte hin— 
über geblickt, fie hatte laͤchelnd am Fenſter geftanden, umd fie hatte wie 
mandjes junge Madchen in gleichem Falle nicht daran gedadht, daß 
man dem böfen Geift feinen Zoll breit Raum geben fol, um Fuß 
darauf zu fallen, daß wer heute den Meinen Finger bietet, morgen in 
den Fall kommen kann, die ganze Hand geben zu müffen. Und nach 
diefer ganzen Hand angelte Herr von Wenden feit einigen Augenbfiden 
wit großer Ausdauer. 


Rofa. 297 


Wenn ſich auch ihr Gefühl dagegen empörte, ald fie die Berühe 
rung feiner falten Finger auf ihrem Tebenswarmen Arme fühlte, fo 
tonnte fie doch feinen Schritt zurüd, und fie wußte nicht, follte fie 
einen lauten Aufſchrei thun oder follte fie, den Angreifer bei Seite 
ſchleudernd, fih gewaltfam Bahn neben dem Tiſche vorbei machen. 
Das überlegte fie in der erften Sefunde; in der zweiten aber dachte fie 
an dad Haus, in dem fie ſich befand, wo jedes laute Wort rechts, 
Links, oben und unten gehört wurde, und als fie daran dachte, hielt fie 
es für rathfam, ſich noch nicht zum Aeußerſten zu entſchließen. 

Ja, fie Tächelte fogar, aber es war ein kaltes, trauriges Lächeln, 
und während fie lächelte, biß fie die Zähne auf einander. „Jetzt bitte 
ich aber — Herr Baron," fagte das junge Mädchen, während fie im⸗ 
mer zwifchen ein paar Worten den Athem am fid zog, „jept bitte ich 
aber — dieſe Unterredung — zu enden. — Gewiß, Herr Baron. — 
Bad Sie mein — Entgegenkommen nennen, darin haben Sie fih 
vollfommen geirrt. — Wenn id} zuweilen — am Zenfter war, fo ges 
ſchah das -- wie ih ſchon bemerfte — ganz ohne alle Abfiht. — 
Und wenn ih — Ihnen fage, — daß ed ohne Abficht geſchah,“ fepte 
fie finfter Hinzu, „fo wäre es beffer, — Sie würden mir glauben.“ 

„Und der Brief?" lachte Herr von Wenden. Und während er 
bei diefen Worten leicht an ihrem vollen Arm herunter fuhr, blitzten 
feine Augen auf eine feltfane Art. 

„Ich weiß nichts von einem Brief,“ ſprach feſt und beftimmt das 
Mädchen, 

„O, wie fann man fo läugnen!“ fuhr der Kammerherr im freund» 
Tichften Tone fort. „Der Brief, den Ste erhalten, und die Erlaubniß, 
Sie zu beſuchen, die Sie mir darauf gaben!“ 

„Das iſt nicht wahr!“ rief Roſa entrüftet. „Das iſt eine Lüge, 
eine Schaͤndlichteit! Ich weiß weder von einem Briefe, mod viel 
weniger von einer Antwort. — O mein Gott, womit habe ich das 
verdient! — Durch nichts, durch gar nichts!" rief fie Heftiger, „und 
ich will, dag man mid in Ruhe läßt.” Sie machte bei diefen Worten 





298 Sechzehntes Kapitel, 


eine gewaltfame Bewegung, ihre Hand zu befreien, da aber der Kams 
merherr, died vorherfehend, auf feiner Hut war, und fie fefter hielt, fo 
brachte ihre Zervegung die entgegengefepte Wirhung herogt. Statt ih 
und ihre Hand zu befreien, verlor fie für eine Sefunde dad Gleichge- 
wicht, wodurd ed dem Kammerheren gelang, feinen andern Arm um 
ihre Taille zu legen und fie für einen Nugenbfid an fid zu drüden. 

Freilich nur für den erften Augenblid, denn im andern fehnellte 
fie empor wie eine Stahlfeder, wie ein Aal im Wafler, und während 
fie dabei zwiſchen den verächtlich aufgeworfenen Lippen ihre weißen 
Zähne fehen ließ, bligte aus ihren Augen ein unheimliches Feuer. 

Gin Anderer als der Kammerherr von Wenden wäre vielleicht 
auch fo weit gegangen und hätte dann Angefichts biefer Symptome an 
einen verftändigen Rüdzug gedacht, bei ſich überfegend, daß fein Baum 
auf den erſten Hieb fällt und dag Rom nicht in Einem Tage erbaut 
worden ift. Wie gefagt, ein Anderer Hätte fih, nachdem er gefunden, 
wie ſtart die Feſtung fel, aus der Angriffsfinie zurüdgezogen, um mit 
Geduld und Ausdauer eine neue Parallele gegen den Feind zu eröff- 
nen. Gin Anderer. Aber daß Herr von Wenden kein anderer ald er 
felbft war, das wußte fein Freund, der Major, ganz genau und hatte 
darauf feinen Plan gebaut. 

Der Kammerderr athmete mühjem, als das junge Fräftige Mäbchen 


von ihm wegfehnellte und fi) dabei zwifchen dem Stuhl und dem, 


Tiſche gewaltfam einen Durchgang bahnte. Seine Blicke brannten faft 
fieberhaft, und wenn er auch fächelte, fo war dies Lächeln doch ein 
ſeht künftliches und gemachtes. Mit einer recht faden Bewegung 
ſchwang er fi von feinem Sig in die Höhe und tänzelte dem Mäd- 
hen durch das Zimmer nach, das anfänglich vor ihm floh, dann aber 
mit einem Mafe mitten in der Stube ftehen blieb, bie rechte Hand in 
ihre Seite feßte, den Kopf mit einer gewaltfamen Bewegung: in die 
Höhe warf und eine ber Stellungen einnahm, die edel, imponirend 
und fchön, das Entzücden jedes Malers und Bildhauers geweſen wären, 

‚Herr von Wenden ſchwebte auf fie zu, täppiſch wie eine Dice, 


Rofa 29 


verliebte Fliege, prallte aber faft zurüc vor dem ſtarren und ſeltſamen 
Bi des Maͤdchens. „Nein, nein,“ rief er aber gleid darauf, wie 
um ſich felbft Muth zu machen, „nein, nein, fhöne Nachbarin, fo 
enttommft du mir nicht. Es gibt Augenblide des Glüdes, und wer 
die nicht erfaßt, iſt ein Thor.“ Als er das fagte und von Neuem 
das ruhig daftehende Mädchen mit den Händen berührte, verwandelte 
fich dad trotzige Ausſehen ihres Geſichts in eine tiefe Wehmuth. Cie 
biß Heftig auf ihre Rippen, in dieſem Augenblig nicht um ein zor— 
niges Gefühf, fondern nur um bie Thränen zu unterdrüden, welche 
troß ber gewaltfamen Anftrengungen, die fie machte, in ihre Augen 
ftiegen und dort glängten und zitterten. 

„Bad wollen Sie von mir?" fragte fie mit einer tief ſchmerz⸗ 
Tichen Stimme. „Was wollen Eie von einem armen Mädchen, das 
es bereut, — o, mein Gott, wie bereut! — wenn es Ihnen Ber: 
anfaffung zu dem Gfauben gab, es näßme das geringfte Intereffe an 
Ihnen? Was wollen Sie hier in diefer armen Wohnung, die fein 
Aufenthalt für Sie ift, wo Sie fein Glüd finden fonnen und wohin 
Sie nur Ungfüd zu bringen vermögen?" 

O, ich weiß ſchon ein Glück, welches ich hier zu finden Hoffe! 
unterbrach fie raſch Herr von Wenden, indem er zubringlicher wurde. 
„Ein Gluck, fhöne Rofa, das auch Ihnen nicht wie ein Unglück 
vorfommen fol.“ -Indem er das ſagte, trachtete er darnach, feinen 
Arm abermals um ihren Leib zu legen, fie am fich zu ziehen, wäh 
vend feine Lippen fich ihrem Geſichte näherten. Doch war es nur 
ein Augenbfid, daß er alfo trachtete, und fein Augenblid des Glücks. 
Denn das junge Mädchen, weldes eine Sekunde mit entjeßt aufges 
riffenen Augen um ſich ſchaute, ſtieß ihn gleich darauf fo heftig von 
fih, daß er mit einem außerordentlich überrafchten Geſicht zurüd« 
taumelte, wobei er fi nicht enthalten fonnte, auszurufen: „Aber, 
mein Zräufein, was foll denn das bedeuten *" 

„Das foll bedeuten, Herr Baron von Wenden ‚“ antwortete 
plögfih die Stimme eines Mannes Hinter feinem Rüden, „daß es 


300 Sechzehntes Kapitel 


für einen fo gefcheidten Herrn fehr unklug ift, ſich Unarten gegen 
ein armes wehrloſes Mädchen zu erlauben, fie in ihrem Zimmer zu 
überrafchen, wenn man zufällig erfahren, daß ihre Mutter auöge 
gangen tft.” 

Nachdem Rofa fo eben mit dem plöplichen Auflodern eines 
wilden, ihr ſelbſt umbegreiffichen Bornes den Kammerherrn von fih 
geſtoßen, Hatte fie die Hände vor ihre Augen gedrädt, umd es war 
ihr gerade, als wanfe fie hin und her und müffe im nächften Augen 
blicke zufammenftürgen. Da traf auch fle die Stimme, die wir fo 
eben vernommen, und fchfug tröftend und rettend an ihr Herz. Sie 
ſtredte ihre Hände leidenſchaftlich von ſich ab, und indem fie ſich am 
die Bruſt des unvermuthet Gingetretenen warf, rief fie aus: „O, 
Heinrich füge mich, rette mich ı 

„Beides will id, meine liebe, Tiebe Roſa,“ ſprach fanft Her 
Böhler, und während er fie mit dem rechten Arm umfchlang, wandte | 
er ſich mit einer Bewegung der linken Hand gegen Herrn von Wen 
den, indem er fagte: „Sie fehen, Herr Baron, daß für Sie hier 
weiter nichts zu fuchen iſt.“ 

Der Kammerherr machte ein äußerft feltfames Gefiht. Es Hatte 
in erhöhter Potenz denfelben Ausdrud, wie wenn man in frübefter | 
Jugend aufs Allerunvermuthetfte bei etnem ſehr ſchlimmen Streich | 
überrafht wird. Es war das Gefühl eines ertappten Schulbuben, 
das ihm Überfhfih und das auf feinem Geſichte fih zeigte in ziemlich 
verwirrten Blicken, in einer Tangen Nafe und einer albern herabhän- 
genden Unterlippe, Herr von Wenden fah in diefem Augenblide 
weder fchön noch Tiebenswürdig aus. Roſa, die ſchüchtern nach ihm 
hinſchaute, drüdte darauf ihr Gefiht faft fehaudernd wieder an die 
Bruſt des Photographen und war gründlich und auf immer geheilt von 
allen Fenfterbeobachtungen und von allen Verfuchen des Telegraphirens, 
die fo unſchuldig ausfehen und doch fo gefährlich werden koͤnnen. 

Herr von Wenden verfehwand „und fehnell war feine Spur dere 
Toren.“ 


Rofa. 301 


Bir wollen nicht behaupten, daß fi Rofa, als fie mit Herm 
Böhler allein war, nicht ein Mein wenig gefchämt hätte, fie mochte 
ihren Kopf nicht aufheben, und der Photograph brauchte bedeutende 
Anftrengungen, ehe er fo weit fam, in ihre Augen blicken zu fönnen, 
Barum brauchte er ihr aber aud das Geſchäft des Kopfaufrichtens 
ſchwerer zu machen ald gerade nothwendig war! Warum brauchte er 
fie auf die Stirn zu küſſen, als fih diefe fangfam erhob! Warum 
ſpãter auf die geſchloſſenen Augen und dann auf die Teiht zudenden 
Kippen — warum? Wir find eigentlich nicht im Stande, hierüber 
eine genügende Antwort zu geben, und können dem verehrlichen Refer 
nur bemerfen, daß er es vielleicht gerade fo gemacht Haben würde in 
einem ähnfichen Augenblide des Glüds. 

‚Herr Krimpf hatte von dem Moment an, wo er auf die Treppe 
gegangen war, um fühlere Luft zu athmen, die Qualen eines Ver⸗ 
dammten durchgemacht; er hatte gefehen, wie der Herr von drüben 
feife die Treppen heraufſchlich, er hörte ihn anffopfen, er hörte Roſa 
„Herein!“ rufen, und als ſich die Thüre Hinter dem Befuch geſchloſſen, 
hoffte er angfterfüllt mit klopfendem Herzen auf einen lauten Aufe 
ſchrei des Mädchens und dann auf das plöpliche Wiedererſcheinen des 
unmillfommenen Befuhes draußen vor der Thür, Aber der Baron 
erfihien fo bald nicht wieder. Da hatten feine Hände bald das Ge— 
länder frampfhaft erfaßt, bald hatten fie wild mach feinem Kopfe, 
nad feinen Haaren gegudt, da Hatte er gefühlt, wie es hier außen 
anf der Treppe unendlich viel heißer fei als drinnen im Zimmer, 
denn der Schweiß rann ihm von der Stirw herab. Auch klappten 
feine Zähne zufammen, und wenn er zu lachen verſuchte, fo Hang 
daß gerade, als mern ein anderer Menfch mit den Zähnen knirſcht. 
Herr Krimpf verwünfchte ſich felber, weil er die Hand zu Dem ge 
boten, was gefchehen; ja er verwünfchte, fih und ſchlug fi jegt 
heftig vor die Stirn, um gleich darauf wieder angftvoll in das 
Haus Hinabzulaufcen. Dabel wäre es faſt poffierlich anzufehen ger 
weſen, wie er jegt langfam Stufe um Stufe die Treppe hinabſchlich, 


302 Schzehntes Kapitel. 


um vielleicht an der Zimmerthüre Taufchen zu Fönnen, und wie er 
gleich darauf, tief unten im Haufe ein Geraͤuſch vernehmend, angfts 
vol wie ein gejagter Affe und mit der Behendigfeit dieſes Thieres 
aufwärts floh. Da vernahm er bekannte Tritte, da fah er Herrn 
Böhler die Treppe herauffteigen und vor dem Zimmer Roſa's fiehen 
bleiben; da bemerkte er, tie derfelbe fi lauſchend niederbeugte, 
was er fonft nie gethan, da fah er ihm die Türe leiſe öffnen und 
eintreten. Und als er das fah, biß er fich Heftig in den Daumen 
feiner rechten Hand und murmelte mit gepreßter Stimme: „Die Bür- 
fel find gefallen; if das für mich ein Augenbli des Glücks oder ein 
Augeublick des Unglüde % 

Ehe wir diefes Kapitel ſchließen, müſſen wir noch eiue Meine 
Belle in das Zimmer der Frau Wittwe Weiher zurüdtehren, wo 
Rofa noch immer vor dem Photographen ftand, ihre beiden Hände 
auf feine Schultern gelegt hatte und ihm mit herzlicher Liebe in die 
Augen biidend fügte: „DO wie danfe id; Gott, daß du gefommen 
biſt, Heinrich.“ 

„Und id bin glücklich, daß ich gelauſcht Habe,” antwortete 
‚Herr Böhler. „Ja, ih muß dir nur>geftehen, daß ‚ich gefaufcht 
habe, meine gute Rofa, daß ich zu unſerm beiderfeitigen Glücke ges 
lauſcht Habe. Und nun ift Alles gut und ich will nicht mehr kindiſch 
fein und mid; ärgern, wenn du auch des Tages hundertmal dort 
am Zenfter ftehft.“ 

„And es foll dir leicht werden, dich micht zu ärgern,“ verfeßte 
fie mit leichtem Erröthen, „denn du wirft mic fo bafd nicht mehr 
dort am Fenfter ftehen fehen.“ 

„Roſa, liebſt du mich wirklich noch eben fo fehr wie damals, 
als wir den Meinen Leuchtfäfer fanden?" 

„D mehr, weit mehr, mein guter, guter Heinrich !" 

Welcher Augenblid des Gluͤcks! 


Angenblide bes Glücs. 303 


Siebzehutes Kapitel, 
Augenblicke des Glücks. 


Wenn bei Hofe eine wohlgeordnete, ruhig vorbereitete Feſtlichkeit 
ftattfindet, — wir verftehen darunter irgend ein herfömmliches. Diner 
> oder ‚einen Ball, wie er im Winter zwei bis drei Mal vorfommt, 
oder eine Gallavorftellung im Theater, letztere meiftens dadurch fehr 
merkwürdig, daß die Feſtoper, welche mit großer Mühe und noch 
größeren Koften zu irgend einem wichtigen Tage einftudirt wurde, 
nicht gegeben werden kann, da Frau Kalbskopp⸗Broſchni-Bracellettacco 
ausnahmsweiſe Heifer geworden tft — kurz, wenn bei Hofe etwas 
Großes vorfält, zu dem man im Stande war, mit aller Gemaͤchlich⸗ 
feit feine Vorbereitungen zu treffen, wo man weiß, neben wem man 
bei der Tafel placirt wird, wer und in ber Feſtoper gegenüber fipt, 
welche Robe und wie viele falſche Brillanten unfere gute Freundin, 
die Baronin N., tragen wird, — an einem ſolchen Tage gleicht das 
Schloß in der Reſidenz einem Bienenſtock bei fhönem warmem Soms 
merwetter, wo Alles im geordneten Fluge zugeht, wo feine Übers 
mäßige Eile flattfindet, wo ein gefüllter Wagen nad dem andern 
tommt, um nach wenigen Augenblicen Teer wieder abzuziehen; "gerade 
wie bei den Bienen, nur daß hier der Inhalt der Wagen, der im 
Schloſſe zuräbleibt, fich nicht immer als füßer Honig darftellt, fon, 
dern oft viel mehr Aehnlichkeit mit Gift und Galle hat. 

Diefes ordnungsmäßige Ab⸗ und Zufhwärmen der Equipagen 
hat an folhen Tagen etwas Nervenberuhigendes, etwas Gemüthliches, 
denn eine ähnliche Stimmung drüdt fi im gefammelten Trabe der 
Pferde aus, ja wir möchten fagen in dem anfländigen Schaufeln der 
Bagen, vor Allem aber in der fihern, gefeßten Haltung von Kutfcher 
und Bebienten. Der erflere, vorne auf dem Bode, der etwas vor⸗ 
nehm nachlaͤſſig zur Seite fit, Hat feine Upr im Kopfe, und ba er 


304 Siebzehutes Kapitel, 


weiß, daß er nicht eine Sekunde zu fpät an dem Perron anfahren 
wird, fo gibt dies feiner Miene etwas Beſtimmtes, Ruhiges, feinem 
Laͤcheln einen fichern, angenehmen Ausdrud, Der Lafat auf dem 
Trittbrette hängt an den Tuaften mit einem Gefihte, worauf ſich 
dentfich abfptegeft, daß er mit fidh zufrieden ift, er folgt, fich grazids 
ſchaukelnd, jeder Bewegung ded Wagens, er hat gar feine Eife, und 
wenn er um ſich ſchaut und ſich vielleicht in diefem Moment fein 
Blick um etwas Weniges verfinftert, fo iſt das nur, weil er fieht, 
wie fein College vom Handels- oder Kriegsminiſterlum eine neue 
bligende Treffe oder irgend eine unpaffende Stickerei ufurpirt hat. 

Die Herrfähaften in den Gyuipagen haben ganz das beruhigte, wir 
möchten faſt fagen langweilige Anfehen ihrer Dienerfchaft. Die Freu- 
den, denen fie entgegenfahren, find ihnen fo befannt, fo gewöhnlich, 
und ebenfo gut wie ihnen befannt ift, daß nach der Suppe irgend ein 
Fiſch fervirt werden wird, eben fo genau willen fie auch, welche Frage 
Diefer oder Jene an fie richten wird und was fie wahrſcheinlicher Weiſe 
antworten werben. 

Und nicht nur die Gäfte erfheinen jo im Schloffe mit gemeſſenen 
ruhigen Bewegungen, ſchreiten langfam durch die Gänge und fteigen, 
ohne fid zu übereifen, die Treppen hinauf, — nein, dies Gefühl des 
Gewöhnfihen und Alltäglichen drückt ſich auch in der falten, abgemefs 
fenen Art aus, mit welcher die Portierd falutiren, oder wie die Lakaien 
die Ihüren öffnen, oder wie fih die dienftthuenden Kammerherren 
händereibend und füß Tächelnd in den innerften Gemächern breit machen. 

Ganz anders aber geftaftet fih dagegen das Reben vor und im 
Schloffe, wenn ein plöpfich eingetretenes wichtiges Ereignig fait mit 
der Schnelligkeit des Telegraphen den oberften Hofchargen, den Würs 
denträgern, den Excellenzen, den Hof und Ehrendamen gemeldet wird, 
und ihre ſchleunige unvorherzufehende Anmwefenheit In der Refldenz ver» 
fangt. Da paßt der Vergleich mit dem Leben und Treiben deö ruhigen 
Bienenvolks am Maren, warmen Sommertage nicht mehr; und wollte 
man doc daran fefthalten, fo müßte man dem haftigen, wilden Einz 


— 





Augenblide des Glüds. 305 


und Ausſchwärmen zufolge die Vermuthung aufftellen, im Stocke ſelbſt 
fei eine Revolution ausgebrochen, oder ein plötzlich drohendes Unwetter 
treibe Alles in milder Haft einher. Da fällt manch' böfes Wort, da 
drohen Püffe und Stöße, drunten im Stall, bis die Pferde angeſchirrt 
find, droben im Anfleidezimmer, bis die Herrfchaft in würdige Ver⸗ 
faſſung gefegt tft, um fi bei Hofe fehen zu laſſen; da fann es vor 
tommen, daß die Livree des Kutſchers chief zugekndpft iſt, wenn er 
fich auf den Bol ſchwingt, da kann es gefchehen, daß die Kammer 
jungfer der Ggeelleng zu einem meergränen leide tn der Eile eine 
blaue Schleife aufgeftet hat. Wehe ihr! Da fann das Gräßliche 
paffiren, daß der Lakai hinten auf dem Wagen einen Strumpf verkehrt 
anzieht, oder fogar die Achfelfchnäre an der neuen Gallalivree vergißt. 
— Aber da {ft feine Seit zum Ummechfeln und Aendern, der Wagen 
rafielt vor das Hans, Fächer und Handſchuhe werden hinein geboten, 
oft auch ein vergefienes Ordensband oder der Degen. Man hat faum 
Zeit, das gewöhnliche Geſicht für die großen Zeierlichkeiten zu machen: 
etwas offizielle Angft mit Ueberraſchung; man denkt dies und daB, 
man combinirt und möchte dem Wagen, der ſehr Tangfam zu gehen 
ſcheint, nachheffen. 

Der Kutſcher auf dem Bock figt weder ſchief noch nachläſſig, er 
Hält die Zügel feſt und ſtramm, wartet er doch nicht einmal, bis ber 
Lafat ruft: Nach dem Schloffe! fondern faum Hört er, wie der Wagens 
ſchlag zufällt, als auch ſchon ein energiſcher Zungenſchlag die Pferde 


dahluſchlehen läßt. Er lenkt fie finſter und dabel nach allen Seiten 


umſchauend, ob nicht eine andere herrſchaftliche Equipage aus irgend 
einer Seitenſtraße herausraſſeln wird, um ben thörichten Berfuch zu 
machen, ihm den Vorrang abzulaufen. Dabei wirft er zuweilen einen 
Blick auf die Thurmuhr, bei der er vorüberfährt, und fpart auch einen 
leichten Peitſchenhieb nicht, um dem Trab der beiden Pferde zu ber 
ſchleunigen. 

Der Latal Hinten auf ſchaukelt heute nicht, leicht, men und 

daclanders Werte, XXI, 


Im 


306 Siebzehntes Kapitel. 


grazids an den Riemen hängend; er Hat fi) auf die Zußfpigen exho- 
ben, und wenn man fo fleht, wie er beinahe krampfhaft den Hals vor 
ſtreckt, und über dem Dache des Coups weg ſtarr nad) dem Schleife 
blidt, wohin ſich eine unzählige Menge wild gewordener Equipagen 
begibt, und wenn man dabei bemerkt, wie er zu gleicher Zeit mit den 
Armen rudert, fo önnte man glauben, er wolle durch diefe Bewegung 
den Lauf des Wagens befchleunigen. Die Rampe. hinauf geht es im 
turzen Galopp, oben aber muß man einen Yugenblid halten, weil 
Thon eine ziemliche Wagenreihe dafteht, die langweilig File macht, und 
Schritt für Schritt vorrüdt, bis jede Equipage ſich ihres koſtbaren Ins 
halts entfedigt Hat. Die Wagenthüren fliegen zu, daß einem die Schlöf- 
fer feld tun, nachdem die Lakaien Mäntel und Shawls fo Haftig von 
den Sigen geriffen, daß man ſich wundert, wie nur eine Spige oder 
ein Sammetbefag ganz bleiben Tann. 

Es ift aber auch feine Meinigkeit, welde den gefammten Hofftaat 
fo plögfid in Marm bringt und nad dem Schloffe fprengt. Die lang 
erwartete Stunde Ihrer Hoheit der Frau Herzogin ift endlich gekom— 
men, die Aerzte haben ſich um fechs Uhr in der Frühe verfammelt, 
die oberften Hof⸗Chargen find feit acht Uhr vollftändig bei einander, 
ſprechend und flüfternd, und machen unendlich lange Gefihter. Alle 
fragteren auf den Zehen paarweife im Zimmer auf und ab, den Feder- 
Hut vor den Bauch gedrüdt, mit hoch emporgezogenen Augbrauen, 
und fo oft einer der dienftthuenden Kammerherren eiffertig durch Das 
Vorzimmer ftolpert, — bei wichtigen Veranlaffungen pflegen die Kams 
merherren im übermäßigen Dienfteifer zu ſtolpern — fo drüden die 
Ercellenzen den Federhut fefter an den Leib umd es ift ihnen ſelbſt 
Auferft feltfam zu Muth. 

Das ganze Schloß befindet fi in einer fehr erklaͤrlichen Auf 
tegung; der Chef der Küche macht ein äuferft wichtiges Gefiht, denn 
an feinem Wirken hängt in der nächften Zeit das Wohl des Staates. 
Er ift ein übermäßig wohfbeleibter Mann, welche Naturgabe einen jehr 
vorwißigen Kücenjungen im Bufammenhange mit dem außergewöhns 


Augenblide des Glüͤcks. 307 


lichen Leben und Treiben zu einer fehr unpaffenden Bemerkung Veran 
laſſung gab; in Folge derfelben brachte der Oberkoch eine tüchtige 
Obrfeige zur Welt, welche dem Meinen, weiß gefeideten Spötter feinen 
ſchlechten Schmerz verurfachte. Die Portiers ziehen fehr wichtig aber 
geräufchlos ihre Stöde anz alle Lakaien, felbft im entgegengefepten 
Flügel von dem, welchen die Herzogin bewohnt, halten die Hand vor 
den Mund, wenn fie jpredhen, die Rammerdiener du jour haben Mies 
nen & deux mains, ebenfo zum Lachen, wie zum Weinen geneigt. 

Unterbeffen raufcht es die Treppen hinauf in Sammet und Seide, 
man begrüßt fi mit kurzen Worten, man eift bei einander vorbei, 
um frühzeitig in den Empfangfaaf zu kommen, wo fih der Hofmarſchall, 
fowie die Oberfthofmeifterin Ihrer Durchlaucht der Pringeffin Eliſe ber 
findet, um die Herren und Damen vom Hofe zu empfangen, Beide fteif 
und förmlich, eruft, faſt trübe, wie der Sonnabend vor Oftern, mit einer 

. Rderinnerung an die vergangene ſtille Zeit und einem Vorgefühl der 
luſtigen heitern Tage, die beginnen werben mit dem Klang der Glocken. 

Begreiflichet Weife bilden ſich hier oben im großen Saafe die 
verſchiedenartigſten Gruppen; alte Excellenzen erinnern fih noch ganz 
genau des Tages, wo der nun ſchon höchftfelige Herzog das Licht der 
Belt erblidte; ed war das an einem Sonntagmorgen geweſen, es rege 
nete unaufhörlich, bei den Freudenſchüſſen wollten die Kanonen nicht 
losgehen, und die Amme des allerhöchften Kindes Hatte die Unvorſich- 
tigkeit begangen, dafjelbe dem durchlauchtigſten Bater in ſchwarzen 
Schuhen zu präfentiren, d. h. fie, bie Amme, Hatte ſchwarze Schuhe, 
mad ben Meinen Prinzen anbelangte, fo waren feine charmanten her⸗ 
soglichen Füßchen in goftgefticte Winden eingeſchlagen. — „Ach! dieſe 
Windeln!“ feufgte eine bejahrte Hofdame, „ich erinnere mich ganz ger 
mau, wie meine felige Mutter an einer berfelben geftidt.“ 

„D das iſt ja durchaus unmöglich,“ ſchmeichelte die alte Excel- 
lenz, obgleich man wohl wußte, daß die Hofdame ſelbſt, was Zeit und 
Alter anbelangt, ganz gut eine der Winden hätte ſticken können. 

Aehnliche Windelgefpräche und mas darım und daran hängt, 


308 Siebzehntes Kapitel. 


wurden von den jüngeren Hofdamen und Ghrenfräufein nur gefüßet, 
wenn fich fein männlicher Raufcher in der Nähe befand, fo bald ſich tv 
gend ein Kammerhere oder fonft etwas der Art näherte, ging das Ger 
fpräd; ohne einen gehörigen Mebergang aufs Wetter.über, auf das Thea⸗ 
ter, oder auf fonft einen unſchuldigen und geringfügigen Gegenftand. J 

Neben diefen einzelnen Gruppen, die im ganzen Saale zerftreut 
waren, bemerkte ein kundiges Auge and; noch zwei ſtreng gefchiebene 
Hauptfager: die Partei des Regenten und die Ihrer Durhlaudt der 
Bringeffin. Die nächfte Stunde mußte für diefe beiden Parteien eine 
wigtige Entſcheidung bringen; die eine Wagſchate fant, die andere flieg 
hoch empor. — Die Herzogin werde fiher eine Pringeffin haben, Hatten 
alte kundige Damen verfihert, die in ähnlichen Angelegenheiten Routine 
genug hatten, um durch allerfet Meine Umftände eine ſolche Anfiht be 
geänden gu Annen. „Ja, eine Tochter — gemiß eine Pringeffint” 
börte man vielfach im Saale flüftern, und daB gab denen von der 
Bartei der Pringeffin jedesmal einen Stih in's Herz. In dem Kalle 
Hatten fie nichts zu hoffen, Alles zu verlieren; in dem Falle hörte die 
Regentſchaft auf, und ber Regent trat in die Rechte und Titel des re⸗ 
gierenden Herzogs des Rande. Daß er alabann Ihrer Durdlauät 
der Pringeffin Cuſe den freundfichen Rath ertheifen würde, mit der ver 
wittweten Frau Herzogin Eſchenburg zu bewohnen, daran zweifelten die 
Anhänger des Negenten durchaus nicht; fie bofften es, während die 
von der Partei der Pringeffin leiſe flüfternd eine ſolche Moͤglichteit als 
Befürchtung ausſprachen. 

Es war für einen unparteilfchen Beobachter ganz amufant, die 
Haltung diefer beiden Lager zu fehen; die Siegeshoffnung ber einen 
drüdte ſich durch frendige Mienen aus, durch Halblautes Lachen, durch 
ſehr ertentriſche Bewegungen mit den Fächern; die andere Partei Tacıte 
nicht, fondern fie lächelte nur, doch Hatte dieſes Lächeln etwas Fortirtes, 
faft Unheimliches, und wenn man draußen Schritte hörte, fo wandten 
fid von diefer Seite des Saales mehrere Dupend Augen fehr erwars 
tungövoll nach der Eingangstür. Wir fönnen dabei nicht verſchweigen, 
daß einige ſchwache Seelen von der Partet Ihrer Durchlaucht in's andere 
Lager hinüber ſchlichen, um dort, als fet gar nichts vorgefallen, ein harm⸗ 


loſes Gefprädh anzufnüpfen; doch las ſolch' ein Ungfüdlicher in den | 


Augenblicke des Gläds. 309 


halbgeſchloſſenen Augen oder dem eigenthümfichen Lächeln irgend einer 
alten Ggeellenz oder in dem raſchen Fächerzuklappen einer entrüfteten 
Hofdame das verhängnifvolle „Zu fpät!“ und verftand genau, was es 
heißen follte, wenn in feiner Rachbarſchaft, ſcheinbat ohne Beziehung 
auf ihn, irgend Jemand ſagte: Ah! c'est trop fort! 

Freilich gab es unter dem Hofftaat einige Privilegirte, die ent» 
weder dem Treiben beider Barteien fern geblieben waren, oder die man 
bei der einen oder bei der andern ſo hoch in Gunft ftehend glaubte, 
daß Niemand e3 wagte, fo bevorzugte Perfonen mit einem ſchiefen 
Blicke anzufehen, fondern daß Alle für diefe ein angenehmes Wort, ein 
freundliches Kächeln hatten. 

Hierzu gehörte aud Major von Fernow, der, ſchon früh im 
Schloſſe anwefend, mit dem Hofmarfchall und der Oberſthofmeiſterin 
fo zu fagen die Honneurd gemacht Hatte. Während Alles in gefpanne 
ter Erwartung harrte, trieb er fi ſcheinbar zwed- und planlos zwiſchen 
den plaubernden Gruppen beider Parteien umher, doch wenn er auch 
hie und da eine Eonverfation anfnüpfte, fo bemerkten feine genauen 
Belannten wohl, daß er zerſtreut fei und für Antworten, die man ihm 
gab, nur ein halbes Ohr habe. Auch machte er ſich viel an der Seite 

„der Feuſter, von wo er den Schloßplag überfehen fonnte, zu ſchaffen 
und blickte zuweilen mit gefpannter Aufmerfamteit dort hinab. Ende 
lich ſchlen das zu fommen, was er erwartete. Es fuhr ein Wagen die 
Nampe hinauf und hielt unter dem Hauptportal. Herr von Fernow 
dirigirte fi gegen die Gingangsthür des Saales, und ald Hier gleich 
darauf Baron von Wenden eintrat, faßte der Major defien Arm und 
ging fo fangfam als möglich, um fein Auffehen zu erregen, zwiſchen 
den Umherſtehenden durch bis nad} einer der Fenſterniſchen, wo er den 
Freund in die Hinterfte Eee zog und ungeduldig fagte: „Nun, was 
Hringft du? Du bift lange genug auögeblieben.“ 

„Möglich, daß es dir lauge vorgefommen iſt,“ werfeßte ber Kam⸗ 
merherr, „für mich war es auch fein kurzweiliges Gefhäft, aber ich 
babe gethan, was eine menfchlihe Zunge und acht SPferdebeine zu 
tun im Stande find. Pub!“ damit blies er wie ehauffirt von ſich 
und fächelte mit feinem Uniformöhute ſich einige Kühlung zu. 

„Du haft ihn alfo nicht getroffen?“ , 


310 Siebzebntes Kapitel. 


„O ja, ich traf ihn, aber erft nach mehrmaligem Hin und Hers 
fahren. Zu Haufe hieß ed, er fei vor einer Biertelftunde weggefahren, 
nach Warrens Hötel, wo Graf Hobenberg wohnte. Ich eilte borthin, 
was die Pferde laufen konnten. Bor dem Haufe ftand der Reifewagen 
des Grafen, die Bedienten packten emfig auf, antworteten mir aber auf 
meine Frage, beide Herren, der Graf, fowie Se. Egeellenz fein vor 
einer Viertelftunde nad) des Repteren Wohnung zurückgefahren. — er 
weiß, wo fie fid) unterwegs aufgehalten. Nun gut, id fahre dorthin 
zurůck. — Niemand ba, verfihert mic, der Kammerdiener des Barond, 
wobei er die Achfeln bis am die Ohren emporzieht. Du kennſt nun 
mein unverwüftfiches Phlegma bei folhen Angelegenheiten. Ich fage 
affo dem Kammerdiener: gut, wenn Niemand da fit, fo werde ich mir 
erlauben, zu warten, bis Jemand kommt. Man führt mic in ben 
Salon und ic fege mich in einen Fauteuil und ftelle Betrachtungen 
an über die Vergängfichfeit alles Irdiſchen.“ 

Gewiß fehr ſchone Betrachtungen!" entgegnete der Major unge 
duldig, „Die du mir fpäter Hoffentlich nicht vorenthalten wirft, Aber 
fpäter, fpäter !" 

„Wenn wir wieder zufammen Dienft im Borzimmer haben,“ Tachte 
der Kammerherr. „O du Narr des Glucks! — Da fig’ ich alfo eine 
Belle, und um zu zeigen, daß ich durchaus feine Eile habe, richte ich 
mich fo hänstich wie möglich ein; ich nehme eine Zeitung und fange 
forgfältig bei deu tefegraphifchen Depefchen an.” 

„Better! Weiter!“ 

„Den Teufel auch! Treib' mich nicht fo. Was ich dir Hier mur 
in der Kürze erzähfe, Hat mich wahrhaftig viel länger aufgehalten.“ 

„Das glaube ich dir gern,“ erwiberte der Major, unmuthiggden - 
Kopf fehüttelnd, „und ich will die Heute Abend fti Halten, feche 
Stunden melnetiwegen. Aber bedenke doch, daß ih willen muß, woran 
ich bin und daß wir jeden Augenblid unterbroden werden Tönnen.“ 

Bah! Sind wir wirklich ſchon fo nahe dabei?“ 

„Da [han hinüber an den alten Schloßflügel,” antwortete Herr 
von Fernow. „Siehft du dort am offenen Fenfter den Grafen Schuler, 
bemerft du wohl, wie der Hofdjirurg jeden Augenblick rapportirt? Ich 
glaube wahrhaftig, er ſchickt fich an, ein Zeichen zu geben.“ 


Augenblide des Gfäds, 311 


„Nun, und was für ein Zeichen?" 

„Das hängt von der mächften Viertelſtunde ab. Haben wir eine 
Prinzeffin, fo ſchwingt er ein weißes Tuch, haben wir einen Prinzen 
ein rothes. Hinter dem Schlofplag erheben ſich ſodann augenblicklich 
Raketen und ein paar Gefunden darauf verkünden die Batterien vor 
dem Thore der Refidenz diefen Augenblid des Glücks. — Alſo bitte 
ich dich — beeile deinen Bericht.“ 

„Meinetwegen. Nachdem ich alfo eine gute Weile gewartet und 
notabene! — feinen Wagen anfahren gehört, meldet der Kammer» 
diener, Se, Excellenz feien zurüd. Se. Exeeflenz erſchienen auch gleich 
darauf im Salon, fahen aber fehr ermübet und abgefpannt aus.” 

„Run?“ fragte eifrig der Major. „Und warum hat er geftern 
nicht zu mir geſchickt, wie er verſprochen ? 

„Er hätte geſchickt,“ entgegnete der Kammerherr mit einem Höhnt« 
ſchen Lächeln, „du feift nicht zu finden gewefen,“ 

‚Eine infame Lüge!“ rief fo heftig der Major, daß fih ein paar 
naheſtehende Hofdamen erſtaunt umwandten und Herr von Wenden 
feinem Freunde ein Zeichen des Schweigens machte. 

„Das muß mic empdren,“ fuhr diefer fort, „Ich war bis nah 
vier Uhr zu Haus umd habe darauf ſchriftlich hinterlaſſen, wo ich bis 
zu meiner Zurüdtunft zu finden ſei. — Doch was ereifere ich mich! 
Und warum war er nicht zu finden, ala ich ihn nach zwei Uhr Bots 
ſchaft ſchickte ? 

„Da du gefehlt habeſt,“ antwortete der Kammerhert achſelzuckend, 
„ſo babe auch er ſich nicht für verpflichtet gehalten, zu Haufe zu bleiben.“ 

„Gut, gut! Und dann fprachft du?“ 

„Wie Cicero,“ entgegnete der Rammerhere mit entfchtedenem Tone 
und erhobenem Kopfe, „Gigentlich nicht wie Cicero, fondern ich faßte 
mich fehr kurz und richtete ihm in gedrängten Worten meine Bot- 
ſchaft aus.“ 

„Und er nahm Alles an?“ 

„Alles,“ 

„Heute Abend?" 

„Um fünf Uhr Hinter dem Part." 

„Bott fei Dank,“ erwiderte vafh der Major, „fo werden wir 


312 Siebzehntes Kapitel. 


diefe Angelegenheit abmachen. Wenn es dir recht iſt, fpeifen wir um 
drei Uhr, und bis dahin haft du vollfommen Zeit, Alles vorzubereiten.“ 

„Berfteht ſich von ſelbſt,“ fagte Here von Wenden, „nur fönnte 
der Fall eintreten, daß mich der Regent zu irgend etwas befiehlt. Du 
weißt,“ fegte er wichtig thuend Hinzu, „meine Ungnade ſcheint voräber, 
die Sonne leuchtet mir wieder. — Aber ich bin vergeßlich,“ unterbrad 
ex fich felbft im raſcheren Tone. „Nachdem ich deine Angelegenheit 
mit dem Baron Rigoll beforgt, übergab er mir dies Schreiben an den 
Negenten, Du weißt, ich Habe ein immens richtiges Borgefühl. Das 
Schreiben "enthält Wichtiges. Auch bat mich Se. Egrellenz um alter 
Freundſchaft willen, es St. Hoheit fo bald als möglich zu übergeben.“ 

„Das tft eigenthümfich. Und fahft du den Grafen Hohenberg ? 

Der Kammerherr fhüttelte mit dem Kopfe. Dann fagte er: „Er 
war vermuthlich im Nebenzimmer, ließ fih aber nicht fehen.“ 

„Und Baron Rigoll ſprach nichts von der verfehlten Angelegenheit?" 

„Nur ein paar Worte. Er bemerkte mir in feinem ſcharfen uns 
angenehmen Tone und ungefähr in diefen Worten: Es iſt bei Hofe 
das fonderbare Gerücht verbreitet worden, als fei Se. Durchlaucht, der 
Herzog Alfred von D. incognito in der Stadt. — Ich Tann Sie ver 
fihern, Herr Baron von Wenden, daß daran fein wahres Wort ift.“ 

„Avis au lecteurl‘‘ 

„Allerdings. Und ich gab ihm mit einer tiefen Berbeugung zur 
Antwort: „Wenn mic Ew. Egeellenz dad verfihern, fo muß ich ed 
natürlicher Weife glauben.“ — Aber mein Lacheln, mit dem ich diefen 
Sag begleitete, fagte ihm genug. 

„Ich fürchte,” fprach Herr von Fernow nachdenklich, „der Augen 
bi, in demBaron Rigoll anfing, dieſe Angelegenheit zu betreiben, war 
für ihn fein Augenblick des Glüds." 

„Ganz meine Anfiht,“ entgegnete der Kammerherr und fepte hin« 
au, indem er feinen Freund mit einem fehr pfiffigen Geſichtsausdruck 
anſchaute: „Dielleicht war dad für Andere ein Augenblid des Blüte.“ 

„Das tft nun einmal fo in der Welt,“ meinte der Major 
und wandte fi vom Fenſter ab, um auf bad Gewühl des Hofe 
ſtaates im Saafe zu biiden. „Die Wagſchaalen des Gfüds fteigen 


Augenblide des Gläds. 313 


auf und ab, und wenn eine Partei hinunter muß, fleigt die andere 
vielleicht hinauf,“ 

„Benn nur wir bei der Iepteren find,“ verfegte lachend der Kam ⸗ 
merherr. — — In diefem Augenblide hörte man ziemlich entfernt 
etwas wie das Zifchen einer Rafete, einer zweiten, einer dritten, und 
‚gleich darauf vernahm man einen dumpfen Kanonenſchuß. — Wenn 
vom heiteren Himmel herab unzählige Blipe gefahren wären oder bren- 
nender Schwefel, flammendes Pech, oder wenn bie Decke des Saales 
plöglich gewanft hätte: die Aufregung unter dem Hofftaat "Hätte nicht 
größer fein fönnen. Junge kräftige Ehrenfräulein erbleihten und er» 
rötheten, und ältere Hofdamen hätten es vielleicht gerade fo gemacht, 
wenn die. Schminfe dabei nicht ein Meines Hinderniß geweſen wäre. 
Doc wandten fi dieſe mit angehaltenem Athem dem Fenſter zu; 
nervenftarfe Naturen affetirten ein gleichgüftiges Lächeln, während 
ſchwachliche Eonftitutionen eine Stullehne oder eine Tiſchecke ſuchten. 

Bumm! — bumm! — bumm! — ging es draußen. 

Schon bei dem erſten Schuffe war alle Eonverfation mit einem 
Male abgebrochen; man hörte ſelbſt nicht einmal das geringfte Flüſtern 
mehr, fein Zuklappen der Fächer, und wo zufälliger Weiſe bei einer 
unvorfichtigen Bewegung der ſchwere Geidenftoff des Aleides irgend 
einer Dame rauſchte, da fah man ringsumher ein paar Dugend uns 
williger Augen, welche Ruhe geboten. — Kammerherren, die feit län» 
gerer Zeit alles Gefühl verlernt Hatten, die felbft einem ungnädigen 
Blicke gegenüber fo viel kaltes Blut behielten, um den Kopf fehr aufe 
recht zu tragen, den Hut mit Oftentation am der Seite zu halten und 
furchtlos in der dritten Pofition zu verharren, ſelbſt dergleichen eiferne 
Naturen fühlten eine gelinde Emotion. — Alte ergraute Generale, die 
ohne Herzflopfen im flärkiten Gefchügfener ausgehalten, und denen das 
wildefte Krachen rings umber gleihgüftig war, fühlten jept jeden 
Schuß in ihren Nerven nachtlingend. — 

Zumm! — bumm! — bumm! 

Bumm! — bumm! — bumm! 

Schon der fechögehnte Schuß. Beim fünfundzwanzigften war der 
entjcheidende Moment. Wurde e8 nach dieſem draußen ftille, fo hatte 
die Partei des Regenten alle Urſache, den Kopf hoch zu erheben, fo 


KIe Siebzebntes Kapitel. 


war die der Wrinteſſin niedergeſchmettert, vernichtet, gar nicht mehr 
vordauden Fertig. 

De Kar meiden dem fünfundzmanzigften und ſechsundzwanzig ⸗ 
wa Auer wuhte allen Anweſenden eine Ewigkeit dauern, fie war 
wu Ztaatı. Opnmachten hervorzubringen. 

Nun dounte beinahe bie Herzen unter den Uniformen und untey | 
den Ren der Damen fhlagen hören. Faſt athemlos fanden die | 
une du, mit weit aufgerifienen Augen, bleich und roth, um die 
vwven ein begeichnendes, krampfhaftes Kächeln. Manche Dame fühlte, | 
doß fe doch etwas zu feſt geſchnürt fei; manche Excellenz fuhr ſich 
wir der falten Hand über die feuchte Stirn. 

Yuan! — bumm! — bumm! — bumm! — bumm! — bumm! 

Ter fünfundzwanzigfte! Die Spaimung hatte einen verzweife 
tungteollen Grad erreicht. Es drohten Eonvulfionen und Ohnmachten. 
Roc eine Sefunde und die Würfel waren gefallen. 


Yumım! — Der fehöundzwanzigfe Schuß! — — — — Die 
derzodin hatte einen Prinzen geboren, dem Rande war ein Thronerbe 
enden, — — — — 


War e8 feine Täufhung, war nicht eins der Gefüge unvorfichtiger 
Weife losgegangen? Hatte fid der commandirende Artillerieoffigier nicht 
verzäpft 9 — Nein, nein! jubelte die Partei der Pringeffin, er hat ſich 
nicht vergäßft; horch das Glüd verheißende Schiefen dauert fort: 

Bumm! — bumm! — bumm! 

Ver mag jept noch zählen? Weder Die, welche in der Geburt 
eines Prinzen ihr Heil erblidten, noch die Andern, welche mit langen 
Geſichtern drein fehanten. Als es aber gewiß war, daß ein Prinz 
geboren fei, denn bie Kanonen erzählten das fort und fort der aufs 
dorchenden Reſidenz, da fing aud die Gonverfation in dem Saale 
Weöpafter a8 je wieder an. Wohl Hatte man bei dem fehtundgwan- 
Nalten Schuß ein paar gelinde Aufſchreie vernommen, hatte auch 
einige Danten wanfen, und vor dem Imfallen nur durch die bereit- 
winig geöffneten Arme nebenftehender Herren bewahrt gefehen; dad) 
verfehwanden diefe Zeichen getäufchter Hoffnung in dem fauten Jubel 
der Gratufation + namentlich die Partei der Pringeffin ſich 
gegenfeitig ” $ daß andere Rager machte gute Miene 


Br 


Angenblide des Glüds. 315 


zum böfen Spiel; hielt doc der Negent nad wie vor das Scepter 
in feiner Hand und waren achtzehn Jahre bis zur Großjäprigkeit des 
Neugeborenen eine lange Beit. Freilich hatte fi) die verwittwete 
Herzogin und fomit auch deren Schweiter, die Prinzeffin Glife, zu 
neuerer und größerer Wichtigkeit erhoben, und da Ihre Durchlaucht 
sbefannt dafür war, einen Schein won Recht, den fie hatte, in das 
vollgüftigfte Recht zu verwandeln, fo konnte ihre Partei immerhin die 
Köpfe aufrichten und mit einem etwas übermüthigen Lächeln ins ans 
dere Lager hinüber blicken. 

Schon fange hatten die Kanonen draußen gefchtviegen , und noch 
immer nicht fam aus den Gemäcern der Herzogin eine offizielle Bes 
fätigung der Geburt des Ihronerben. Ieltere Staatädamen und 
ergrauete Kammerherren fingen an leicht die Köpfe zu fehütteln und 
prophegeiten den zunächſt Stehenden irgend etwas Unvorhergefehenes, 
etwas Mipliches, das drüben vorgefallen. Und in der That, fie mode 
ten Recht haben. Ginzelne Nengierige, diefih an der Thür befanden 
und verftohlen in die angrenzenden Zimmer lauſchten, erzählten eben⸗ 
falls flüfternd von einem feltfamen Rennen und Kaufen der Vedienten, 
und Giner wollte den alten Kindermann gefehen Haben, wie er im dem 
geheimen Gorridor verſchwunden war, der zu dem Appartement des 
Regenten führte, aber nicht den ewig lächelnden Kindermann, wie ihn 
der ganze Hof fannte, fondern Kindermann mit einem eruften, faft 
melancholiſchen Gefihtsausdrud. J 

So wie heute war die Erwartung des Hofſtaates noch nie auf 
die Folter geſpannt worden; man fing in ganz vertrauten Kreiſen an, 
dies fonderbar, ja abfurd zu finden; man hatte mwenigftens fo viel 
Rüdficht anſprechen zu können geglaubt, um irgend einen Bericht zu 
erhalten, eine Botfhaft von dem, was auf dem andern Flugel vorger 
fallen war; man begann die Köpfe zu fchütteln, bedeutfam die Schule 
tern in die Höhe zu ziehen, und die Gonverfation war nahe daran, 
aus allgemeiner Aufregung wieder vollfommen einzufchlafen, ala man 
bemerkte, wie die Kammerherren du jour an der Hauptthüre des Saale 
mit einem Male Mienen machten, welche deutlich etwas Außergewöhn⸗ 
liches anzeigten. Sie erhoben ihre Köpfe, rüdten verftohlen die weiße 
Halsbinde in die Höhe und wandten fih mit einer halben Wendung 





314 Siebzehntes Kapitel. 


war die der Pringeffin niedergeſchmettert, vernichtet, gar nicht mehr 
vorhanden, — fertig. 

Die Paufe zwifchen dem fünfundzwanzigften und ſechsundzwanzig- 
fen Schuffe mußte allen Anwefenden eine Ewigkeit dauern, fie war 
im Stande, Ohnmachten hervorzubringen. 

Man konnte beinahe die Herzen unter den Uniformen und untep 
den Roben der Damen fhlagen hören. Faſt athemlos fanden die 
Gruppen da, mit weit aufgeriffenen Augen, bleich und roth, um die 
Lippen ein bezeichnendes, rampfhaftes Lächeln. Manche Dame fühlte, 
daß fie doch etwas zu feft geſchnurt feis manche Exeellenz fuhr fih 
mit der falten Hand über die feuchte Stim. 

Bumm! — bumm! — bumm! — bumm! — bumm! — bumm! 

Der fünfundzwanzigfte! Die Spahnung hatte einen verzweife 
fungsvollen Grad erreicht. Es drohten Convulſionen und Ohnmachten. 
Noch eine Sehnde und die Würfel waren gefallen. 


Bumm! — Der fehöundzwanzigfte Schuß! — — — — Die 
Herzogin hatte einen Prinzen geboren, dem Lande war ein Thronerbe 
gefhentt, — — — — 


Bar es feine Täufhung, war nicht eins der Gefchäge unvorfichtiger 
Weiſe fosgegangen? Hatte ſich der commandirende Artillerieoffigter nicht 
verzaͤhlt? — Nein, nein! jubelte die Partei der Pringeffin, er hat ſich 
nicht verzähft; horch! das Glüc verheißende Schießen dauert fort: 

Bumm! — bumm! — bumm! 

Ber mag jept noch zählen? Weder Die, welche in der Geburt 
eine Prinzen ihr Heil erblicten, noch die Andern, welche mit langen 
Gefictern drein fhauten. Als 8 aber gewiß war, daß ein Prinz 
geboren fei, denn Die Kanonen erzähften das fort und fort der auf 
horchenden Nefidenz, da fing auch die Gonmverfation in dem Saale 
lebhafter als je wieder an. Wohl hatte man bei dem ſechsundzwan⸗ 
zigſten Schuß ein paar gelinde Auffchreie vernommen, hatte aud 
einige Damen wanten, und vor dem Umfallen nur durch die bereite 
willig" geöffneten Arme nebenftehender Herren bewahrt gefehen; doch 
verſchwanden diefe Zeichen getäufchter Hoffnung in dem lauten Jubel 
der Gratulationen, mit der namentlich die Partei der Pringeffin fih 
gegenfeitig überfhüttete. Auch das andere Rager machte gute Miene 


Augenblide des Glüds. 315 


zum böfen Spiel; hielt doch der Negent nad wie vor das Scepter 
in feiner Hand und waren achtzehn Jahre bis zur Großjährigkeit des 
Neugeborenen eine lange Zeit. Freilich hatte fi die verwittwete 
Herzogin und fomit auch deren Schwefter, die Pringeffin Eliſe, zu 
neuerer und größerer Wichtigkeit erhoben, und da Ihre Durchlaucht 
befannt dafür war, einen Schein von Recht, den fie hatte, in das 
vollgüftigfte Recht zu verwandeln, fo konnte ihre Partei immerhin die 
Köpfe aufrichten und mit einem etwas übermüthigen Lächeln ins ans 
dere Lager hinüber bliden. 

Schon lange hatten die Kanonen draußen geſchwiegen, und noch 
immer nicht fam aus den Gemächern der Herzogin eine offizielle Ber 
ätigung der Geburt des Thronerben. Aeltere Staatsdamen und 
ergrauete Rammerherren fingen an leicht Die Köpfe zu fetten und 
prophegeiten den zunähit Stehenden irgend etwas Unvorhergeſehenes, 
etwas Mißliches, das drüben vorgefallen, Und in der That, fie mod. 
ten Recht haben. Einzelne Nengierige, diefih an der Ihr befanden 
und verftohlen in bie angrenzenden Zimmer lauſchten, erzählten eben» 
falls flüfternd von einem feltfamen Rennen und Laufen der Vedienten, 
und Einer wollte den alten Kindermann gefehen haben, wie er in dem 
geheimen Gorridor verfchwunden war, der zu dem Appartement des 
Regenten führte, aber nicht den ewig lächelnden Kindermann, wie ihn 
der ganze Hof fanute, fondern Kindermann mit einem eruften, faft 
melancholiſchen Geſichtsausdruc. J 

So wie heute war die Erwartung des Hofſtaates noch nie auf 
die Folter geſpannt worden; man fing in ganz vertrauten Kreiſen an, 
dies fonderbar, ja abfurd zu finden; man hatte wenigftens fo viel 
Rüdficht anſprechen zu Lönnen geglaubt, um irgend einen Bericht zu 
erhalten, eine Botſchaft von dem, was auf dem andern Flügel vorge 
fallen war; man begann die Köpfe zu ſchütteln, bedeutfam die Schul⸗ 
tern in die Höhe zu ziehen, und die Gonverfation war nahe daran, 
aus allgemeiner Anfregung wieder volltommen einzufchlafen, als man 
bemerkte, wie die Kammerherren dü jour an der Hauptthüre des Saals 
mit einem Male Mienen machten, welche deutlich etwas Außergewöhn- 
liches anzeigten. Sie erhoben ihre Köpfe, rückten verftohfen die weiße 
Halsbinde in die Höhe und wandten fih mit einer halben Wendung 


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4 


316 Stebzehntes Kapitel, 


gegen die Thür. Ihr außerordentlich feine® Gehör hatte draußen 
Schritte vernommen. Jetzt Tegten fie ihre Hände an bie nicht ganz 
geiöhloffenen Thürflägel, jept flogen biefe auf, und im zweiten der an« 
ſtoßenden Säle bemerkte man den Regenten, wie er kam, — enblid, 
endlich! Zu feiner infen Seite ging die Pringeffin Eitfe, Hinter Beiden 
die Stantd» und Hofdamen, dann folgten der erfte Abjutant St. Hoheit, 
die oberften Hofchargen, die Minifter und ein paar Kammerherren. 

Im Empfangsfaale vernahm man ringsum das gewiſſe Räufpern, 
mit welchem man fih auf etwas gang Äußerordentliches vorbereitet. 
Die Herten zogen ihre Untformöfräde hinab, die Damen warfen einen 
prüfenden Blid auf ihre Toiletten, und ald num der Regent im Saale 
erſchien, wehte eine einzige Verbeugung, rauſchte ein einziger tiefer Knix 
durch den weiten Saal. Es lag etwas Düfteres im Blide des Her 
3098, welches alle deutlich bemerkten, bei denen er vorüberfchritt, um am 
Unde des Saals ein paar Stufen auf bie Eftrade zu fteigen, wo unter 
roth fammtnem Baldachin ein vergofdeter Seſſel ftand. 

Für die Partel der Pringeffin wäre die düftere Miene des Regen- 
ten ein gutes Vorzeichen weiter gewefen, wenn man nicht auf dem 
Geſichte Ihrer Durchlaucht ebenfalls einen tiefen Ernft bemerft hätte. 
Ia, tundige Blice wollten in den Augen derfelben Spuren von Thrär 
nen bemerken, 

Der Regent führte die Prinzeffin an der Hand die Stufen Hinauf 
und ald er fie auf den Seſſel niederfigen ließ, hörte man ein ganz 
leiſes Murmeln der Verwunderung. Er ſelbſt ſtand aufrecht auf der 
oberften Stufe, hatte die Hand auf die Rüdeniehne des vergoldeten 
Stuhles gelegt und ſprach mit lauter und feiter Stimme, nachdem er 
einen Blick auf die Verſammlung geworfen: „Der von und Allen, bie 
wir hier verfammelt find, fowie von dem ganzen Lande längft erfehnte und 
erwartete Augenblid ift eingetreten. Leider aber iſt es fein Augenblick 
des Güde gewefen. Der Himmel, der unfere Geſchicke lenkt, der uns 
nad; feiner weifen Einfiht Freuden und Leiden gibt, hat es für gnt 
befunden, Beides zu gleicher Zeit auf und herabzufenden. Unſere ers 
habene Nichte, die verwittwete Herzogin dieſes Landes genoß nur eine 
hurze Zeit des Glückes, einen Erben des Thrones in ihre Arme zu 


Augenblide des Glüds. 317 


fliegen. Gott Hat eb gewollt, daß die Stunde der Geburt des Prins 
zen zugleich die Stunde feines Todes war.” 

Als der Regent fo ſprach, barg die Prinzeffin ihr Geſicht ein paar 
Augenblide in beide Hände, und in der Verfammlumg, welche in der 
größten Spannung diefen Worten gelaufcht, herrſchte ein tiefes 
Schweigen. 

Nach einer Meinen Pauſe fuhr Se. Hoheit fort: „Durch diefen 
traurigen Fall ward nad) der Verfaſſung des Landes und den Kamis 
lienſtatuten Unfered Haufes der Thron erledigt und die Herzogäfrone 
ging nach denfelben Gefegen auf den nächftftehenden männlichen Ans 
verwandten des höchftfeligen Herzogs, alfo auf mic über. — — Bes 
der Ihnen, die Unferem Haufe bisher in Liebe und Treue zugethan 
waren, noch ben übrigen Untertanen de Landes bin ich ein Unbes 
Tanner, ein Fremder. Meine Art zu handeln und zu wirfen wird bie 
gleiche bleiben, und tie id Jedem ein gnädiger und gerechter Herr 
fein werde, fo erwarte ich auch daß die Anhänglichteit, die Liebe und 
Treue, die man bisher dem Regenten bewiefen, nun auf dem regieren, 
den Herzog übertragen werde.” 

Es tft unmöglich, die Bewegung zu ſchildern, welche nach diefer 
Rede in der Verſammlung entftanden, eine Bewegung, die ſich weniger 
durch Worte als durch Mienen und Geberden fund gab. Wo waren 
die hochfllegenden Hoffnungen geblieben, mit welchen die Partei der 
Pringeffin die Geburt eines Thronerben begrüßt hatte! Mit dem 
Tode des Meinen Prinzen hörte dieſe Partei auf zu fein; fie hatte 
nichts mehr zu Hoffen, vielleicht Alles zu fürchten. Gin tiefes Schweis 
gen herrfchte auf diefer Seite des Saales, und die Blide, mit denen 
man ſich anfah, ſprachen beredter ald taufend Ausrufungen. Auch die 
Anhänger des Regenten, obgleich fie ſtolz und freudig um ſich blidten, 
waren doch von dem eben Gehörten, von ihrem Glüde fo überraſcht 
und beraufcht, daß fein Inuter Ausruf über ihre Lippen kamz man 
lachelte einander nur verſtohlen zu, man drüdte fi im Geheimen bie 
Hände. Und dann ſchaute wieder Alles erwartungsvoll zum Herzog 
empor, der fidh einen Augenblid zur Pringeffin niebergebengt und ihre 
tete Hand ergriffen Hatte, die er Langam am feine Lippen drüdte. 
Darauf richtete er fich wieder empor und ein leiſes, kaum bemerkliches 


318 Sichzehntes Kapitel. , 


Lãcheln flog über feine Züge, als er abermals die faft athemlos da- 
ſtehende Verfammfung überblicte. — „In diefem für mich fo feierlichen 
Moment,” ſprach er, „wo mir der Himmel fo viel gegeben, kann ich 
nicht umhin, Ste, meine Lieben und Getreuen, von einem größeren 
Glüde zu benachrichtigen, das mir zu Theil geworden. — Unfere 
durchlauchtigfte Nichte, die Pringeffin Eliſe, hat eingewilligt, mir ihre 
Hand zu reihen, und indem ich dieſe theure Hand hiermit ergreife, 
nenne ich die Prinzeffin öffentlich meine fiebe Braut und empfehle 
meine zulünftige Gemahlin gleich mir nochmals Ihrer Irene und Liebe.” 

Dies war num ein Augenblit des Güde, ungefähr jenem vers 
gleihbar, wenn die feinbfichen Brüder von Meffina endlich einander 
in den Armen liegen und die beiden getrennten Chöre, hingerlifen von 
diefem frohen Greigniß, auf einander zuſtürzen, fi die Hände reichen 
und mit feuchtenden Bliden und innigen Worten geloben, daß fernere 
Hin alle Feindſchaft aufhören werde, fein Grofl, fein Haß mehr ber 
ſtehen fol. Dan ſchien abfichtlich feine eifelgften Widerſacher aufzu⸗ 
ſuchen, man reichte feine Hände den bis zu dieſer Stunde erbittertſten 
Gegnern. Es kamen unglaubliche Umarmungen vor, man fah mehr 
als Gin Paar feindficher Brüder fid die Kiebenwhrbigften Dinge fagen, 
ja man fah Thränen in Augen und Lächeln auf Lippen, wo diefe beis 
den Artifel feit Iangen Jahren ganz außer Cours gefommen waren. — 
Aber all’ die Ausrufungen, das Entzüden, die feohen Begrüßungen 
das freudige Lachen, welche eine Partei für die andere hatte, vereinige 
ten fih im mächften Augenblide gegen das glüdfiche Paar_ auf ber 
Eſtrade, und als num ein alter General, den Moment erfaflend, ein 
Hoch anf den Herzog und die Herzogin ausbrachte, einigte fich Alles 
in diefem Spruch, und die Wände des Saals hallten wieder von dem 
flürmifchen Rufen, die draußen auf dem Plape und in den Straßen 
ein gewaltiges Echo fanden. 

Der größte Theil der Bevölkerung war, angezogen dur bie Ka— 
nonenſchũſſe, auf den Plag vor dem Schloffe geeilt; wie ein Lauffener 
hatte ſich nicht nur die Nachricht von der Geburt des armen feinen 
Bringen, fondern auch von deffen Tode unter der Menge verbreitet, — 
ein Tod, der nun den allgemein verehrten Regenten zum Herzog machte. 
Zanfende von Stimmen verlangten ihn zu fehen, und ala er, diefem 


Augenblide des Glücks. 319 


donnernden Wunſche folgend, hinaustrat auf dem großen Balton des 
Schloffes, zerriß ein unendlicher Jubelruf die Luft, in welchen ſich ber 
Kanonendonner und das Zäuten der Glocken mifchte. 

Daß Freude und Leid in diefem Leben fih fo oft berühren! — 
Die Thränen der verwittweten Herzogin flofien auf die falte bleiche 
Stirn ihres neugebornen Kindes, das nad wenigen Athemzügen und 
nad) einem einzigen fhmerzlichen Blick ſchon die Erde und feine Mutter 
verließ. Wohl hörte diefe Kanonendonner und Glodengeläute; doch 
erregte es in ihr fein verbitterted Gefühl, im Gegentheil freute fie ſich 
des Glüdes ihrer Schweiter. Sie lieg fih ein Blatt Papier reichen 

"und fehrieb darauf mit zitternder Hand: „Meine heißeſten und innig⸗ 
fen Wunſche, für das Wohl des Herzogs und das Glück meiner ger 
liebten Schweſter.“ 

Ihr Kammerhert überbrachte dieſe Zeilen, und es war die rüh⸗ 
rendſte Huldigung, welche die beiden Glüclichen am heutigen Tage 
erhielten. 

Die Angehörigen des Hofes, nachdem fie mit vollkommen ange 
paßten Mienen gratulirt, condoltrt und wieder gratulirt, hatten das 
Schloß verlaſſen, und der Herzog befand ſich mit der Pringeffin in 
deren Salon und in Geſellſchaft des Fräulein von Ripperda, welche 
Ihre Durchlaucht jept herzlich in die Arme ſchloß, den Kopf auf deren 
Schultern legte und num im Uebermaße des Glüds laut weinte. 

. Die Einzigen, die ſich noch im Vorgimmer befanden, waren Major 
von Fernow und der Kammerherr von Wenden, welch’ Kepterer feinem 
dem Baron Rigoll gegebenen Verfprechen gemäß das Schreiben deſſel⸗ 
ben in die Hände des Negenten legen wollte. „Du bift ja im Dienft,“ 
fügte er zu feinem Freunde, „und kaunſt dir ſchon erlauben, wich zu 
melden.“ 

„Richt gern,“ entgegnete biefer; „es iſt dad eim delicater Augen 
blick, und id muß mic am allermeiften in Acht nehmen, etwas; zu 
tun, was nur einen Schein von Indiörretion an ſich hätte. Wahre 
haftig, lieber Wenden, in diefem Falle muß ich mich ſelbſt vorher mels 
den laffen, allein ich will dann recht gern für dich das Gleiche thun.“ 

Daß der gute Major begierig eine paflende Gelegenheit fuchte, in 
den Salon eintretey zu dürfen, wo fidh ja auch Helene befand, brau⸗ 


320 Stebzehntes Kapitel. 


sen wir dem geneigten Lefer eigentlich nicht zu fagen. Es war ihm 
darum Alles daran gelegen, Jemand zu finden, dem er mit Anftanb 
eine Meldung übertragen konnte. Ja, er hätte fi am Ende mit einem 
ganz gewöhnlichen Safaten begnägt, wenn nicht in dieſem Augenblide 
Herr Kindermann vom Gorridor in den Saal getreten wäre, in der 
Abſicht, ſich zum egenten zu 

Der alte Herr hatte feine vorige melancholiſche Miene abgeftreift 
und fein Geſicht ſtrahlte von einem auferorbentlicen Vergnügen; ja, 
fein Lächeln gab einen ſolchen Glanz von ſich, daß ſich ein gleiches 
auf dem Gefichte des Major entzündete, der dem würdigen Rammer« 
diener freundlich die Hand reichte und Ihm darauf fagte, daß er fo wie 
‚Here von Wenden Seine Hoheit einen Moment fprehen müßten, und 
ihn bäten, die Meldung zu übernehmen. Da Herr Kindermann feinem 
Schüpling, wie er den Adjutanten nannte, außerordentlich wohl wollte, 
aud wohl wußte, daß er in demfelben dem Herrn feine unangenehme 
Perſonlichkeit melde, fo entgegnete er mit einer tiefen Berbeugung: er 
fhäge fih glüdlich, dem Herm Major dienen zu fönnen, und ver- 
ſchwand darauf mit einem wohlwollenden Blick im Salon der Prinzeſſin. 

Die tiefe Berbeugung des Herrn Kindermann, fowle überhaupt das 
unterwürfige Weſen, welches er foeben dem Apjutanten Sr. Hoheit bes 
zeigt, wurde durch die Anmefenheit des Herrn von Wenden hervorge ⸗ 
rufen. Denn wenn wir auch wiffen, daß der Major und der Kam 
merbiener im Kabinete deö Lepteren viel unbefangener, ja freundfchafts 
licher mit einander ſprachen, fo war doch Herr Kindermann viel zu 
fehr ein Mann von Welt, um nicht vor den Augen eben biefer Welt 
aufs allerbeutlichfte den Mangunterfchteb zwiſchen dem Adjutanten 
Sr. Hoheit und fl, dem Kammerdiener zu zeigen. 

Iept erſchien der alte Herz wieder in der Thür des Kabinets, 
verbengte fich abermals tief und fagte mit einer bezeichnenden Handbes 
wegung nad dem Salon: „Herr Major von Fernom!- — Als fich 
der Gerufene eilig näherte, und dicht bei dem Kammerdiener war, fuhr 
diefer mit einem leichten Seufzer flüfternd fort: „Ad, Herr Major, 
ich wünfchte, daß Ihr hochſeliger Herr Papa noch lebte!“ 

‚And warum, Freund Kindermann?“ 

„Der Degent — — ich wollte fagen des Herzu Herzogs Hohelt,“ 


Augenbiide bes Gläds. 321 


verbefferte fi) der Kammerdiener, „iſt Ihnen ſehr wohl geneigt. 
Wenn mic nicht Alles trägt, müffen Ste eine außerordentliche Carriere 
machen.“ 

„Diefer Glaube kommt aus Ihrer Freundſchaft für mid, Lieber 
Herr Kindermann. Doch freut e8 mid, in der That, wenn Sie bie 
Idee haben, daß ich zu was Gutem auserſehen ſei.“ 

In wenigen Jahren Excellenz,“ Sprach Herr Kindermann mit einer 
ſo wichtigen Miene, daß fle fat komiſch ausfah, während der Adjutant 
in den Salon trat. 

Nach einigen Augenblicen erfchien Fernow wieder, winkte dem 
Kammerhern und ließ ihn eintreten, während er felbft draußen bei 
em Kammerbiener blieb. 

Here Kindermann hatte verftohlen eine Prije genommen, dann 
fanft auf die Halsbinde geklopft, um jedes Stäubchen zu entfernen, 
worauf er fi die Hände rieb umd mild lächelnd fagte: „Wer hätte 
das Alles vor drei Tagen gedacht! Was hat fich Hier auf einmal 
deränbert!"‘ 

„So viel,“ entgegnete Here von Fernow, „daß man ed faum 
fafien kann. So fehr mich auch die wichtigen Veränderungen bei Hof 
erfreuen, fo bin ic doch Egoift genug, um vor Allem daran zu dens 
ten, wie ſich meine Stellung in kurzer Zeit umgewandelt hat. Denten 
Sie noch an jenen Abend, als ich im Vorzimmer war, und da Sie 
aufällig abwefend waren, dem Rufe der Klingel folgte und in das 
Rabinet des Regenten trat?" — 

„Ob ich mich daran erinnere !” verfegte Herr Kindermann, indem 
er fanft mit dem Kopfe nidte. „Mancher an Ihrer Stelle, Ste ſelbſt 
vielleicht zu andern Zeiten hätten gedacht: was geht dad mid an? 
Sie wären ruhig ihrer Wege gegangen unb Hätten einen Augenblick 
-verpaßt, an dem vielleicht Ihr ganzes Künftiges Schidffal hängt.” 

„3a, — ein wichtiger Moment,” ſprach nachdenkend der Adjutant. — 
„Mein Freund Wenden würde fagen: —“ — 

„Das war ein Augenblick des Glücks,“ rief Herr von Wenden in 
der That, als er im gleihen Momente haftig und freudeftrahfend aus 
dem Salon der Pringeffin trat. „Ah! das hat wohlgethan. Ich vers 
fihere dich, Fernow, Seine Hoheit ift von einer Gnade, einer Güte, 

Hadländers Werke. XXL 21 


An 
—— 


322 Siebzehutes Kapitel, 


einer Milde, — und die Prinzeffin ein wahrer Engel, liebenswürdig 
wie immer, und dabei fanft wie nie,“ feßte er mit leiferer Stimme 
binzu, fuhr aber gleich darauf im lauterem Zone fort, ald er bemerfte, 
wie ihn der Adjutant Tächelnd und fragend anblickte, wobei er fih 
übrigens ein Mein wenig in die Bruft warf: „Seine Hoheit der Herzog 
haben fi freundfich erinnert, mit welch’ mufterhafter Geduld ich meine 
Kranfpeit ertragen, Und Ihre Durchiaucht die Pringeffin Haben nicht 
vergefien,, wie bereitwillig ich jeder Zeit war, in ihrem Dienfte zu 
wirken. — Ich bin zum Legationsrath ernannt und werde noch heute 
nad) dem Hofe von B. abreifen, auf meine Anzeigen eine einfache 
Condolation und eine doppelte Gratulation in Empfang nehmen.” 

„Nun, da können dir zwei Orden nicht fehlen,“ meinte lachend 
Herr von Fernow, indem er dem Freunde die Hand fchüttelte. „Daß 
du meine beften Glũckwünſche haft, brauche ich dir nicht zu ſagen.“ 

„Auch ich erlaube mir, dem Herrn Regationsrath geziemend zu 
gratuliten,” fagte Herr Kindermann mit einer ehrwürdigen Verbeu- 
gung, mit einem fteifen Lächeln, welches fih aber in freundliches 
Schmunzeln verwandelte, ald der Kammerhere im Uebermaße des 
Glüds feine Hand ergriff und fie freundlich drüdte. Hierauf zog ſich 
der alte Herr zurück, umd als er ſich nad} einer gemefjenen Verbeugung 
umwandte und dur den Saal dahin fehritt, blickte ihm der Major 
von Fernow nad) und ſprach zu feinem Freunde: „Das ift bei al’ 
feinen Gigenfeiten ein braver Mann, und es iſt ein läd, daß ein 
wohtwollender Charakter wie er, in der Nähe des Fürften weilt. Alfo 
du reifeft heute Abend? Nun, hoffentlich nicht eher, bis unfere Ges 
ſchichte beendigt tft.” 

„Das verfteht ſich von ſelbſt. — Doch ftill, die Ihüre öffnet fh.“ 

Es war der Herzog ſelbſt, der unter den Portieren erjchien und 
nad) dem Major von Fernow rief. Diefer wußte nicht, warum ihm 
das Herz Heftiger ſchlug, als er in den Salon trat. 

Die Pringeffin ruhte in einem Meinen Fauteuil, und als der junge 
Offizier herein trat, blickte fie nach ihm Hin mit dem gewiſſen fehalt 
haften Lächeln, worin fo oft eine ganz Heine, Meine Bosheit fichtbar 
war. Diesmal aber war Güte und Freundlichkeit vorherrſchend, und 
fie winfte verbindlich mit der Hand, als Herr von Fernow mit einer 


Augenblicke des Glüde. 323 


Berbeugung vor den Herzog trat. Neben dem Fauteuil der Prinzeffin 
fland Helene von Nipperda, und bfidte angelegentlih zum Fenſter 
hinaus. 

„Das ift mein geheimer Bundesgenoſſe,“ fagte der Herzog zu dem 
Damen, indem er auf den Major wies, ber faft verlegen ein paar uns 
dufammenhängende befcheidene Worte ſprach, wie das bei folchen Gele 
genheiten wohl vorfommen kann. „Nein, nein,” fuhr Seine Hoheit 
fort, „die Wahrheit muß ich fagen, Fernow kat mir aufrichtig und 
treu gedient.“ 

„Und mid, verrathen!“ lachte die Prinzeſſin, „Rernow, das werde 
ich Ihnen nie vergeben.” 

„Allerdings, Ew. Durchlaucht, es war ein Heiner Berrath, ich ger 
ftehe es, aber fein Mißbrauch des Vertrauens, denn man fehenfte mir 
jener Seits fein Vertrauen. Und da mein Berrath für Alle fo fegend- 
reiche Folgen gehabt hat, fo wird er mir gewiß verziehen werben.” 

„Gewiß, Lieber Fernow,“ ſprach heiter der Herzog, „und ich habe 
Ste gerufen, um Ihnen vor Allem Andern meinen Dank auszuſprechen — 
Apropos!" fuhr er nach einer Meinen Paufe fort, während er einen 
Brief, den er in ber Hand bielt, geöffnet und wieder zufammengelegt 
hatte, „da hat mir Wenden ein Schreiben des Baron Rigoll übergeben. 
Nehmen Sie «8, fehen Sie es dur, ich mufi mit Ihnen darüber 
ſprechen.“ Gr reichte ihm das Papier, ehe es aber der Major anfehen 
konnte, machte der Herzog plöplich eine Handbewegung gegen Kränlein 
von Ripperda und fepte mit Sauter Stimme hinzu: „Halten Sie einen 
Augenblick inne, Fernow. Fragen Ste vorher unfere fchöne Helene, 
ob und wann fie wünfcht, Oberftjägermeifterin zu werben.“ 

Der arme Major erſchrak fait, ala er den Megenten fo’ reden hörte; 
er warf einen Blick auf Fräufein von Ripperda, die aber ihre Stel» 
tung durchaus nicht veränderte und etwas außerordentlich Intereſſantes 
auf dem Schloßplage zu betrachten fchien. 

„Run, wenn Sie nicht fragen wollen,“ fuhr Se. Hoheit lachend 
fort, „fo leſen Sie das Schreiben des Baron Rigoll.“ 

‚Herr von Fernow öffnete das Papier mit einer immer wachſenden 
Spannung. Er durchflog den Inhalt, und als er ihn überfehen, tanz⸗ 
tem die Worte far vor feinen Augen herum, Nachdem er fi einen 


324 Ahtzehntes Kapitel 


Augenblick gefammelt, ſtürzte er auf den Regenten zu, ergriff deſſen 
Hand und drüdte fie trog allem Widerftreben an feine Lippen. Gr 
war aufjer fi; Vergangenheit, Gegenwart und Zufunft gaufelten im 
glänzenden Bildern vor feiner entzüdten Seele; er vergaß ſich foweit, 
daß er ſich ftürmifch Helene näherte, die zufammenfchredte bei dem 
Ton feiner Stimme, als er ihr Die Frage that, die ihm der Herzog 
befohlen. 

Um den geneigten Leſer nicht im Ungewiſſen zu laffen, was den 
jungen Offizier fo außer fi brachte, wollen wir nicht verſchweigen. 
daß das Schreiben Sr. Excellenz des Oberjtjägermeifter, Baron von 
Rigoll, ein Entlaſſungsgeſuch enthielt, und daß der Herzog auf den 
Rand gejchrieben hatte: „Angenommen, und wird das Oberftjügere 
meifter- Amt proviforifh dem Major von Fernow Übertragen.” — — 

Bed‘ füge Augenblide des Glüds! 


Achtzehntes Kapitel 
beſchließt vieleicht langweilig. 


Bir fönnten num, teurer und geneigter Leſer, noch viel merfwäre 
dige und vielleicht auch intereffante Dinge erzählen, von unerhörten 
Feſtlichteiten, die bei Hofe vor ih gingen, von glängenden Bermähs 
kungen, von Zeuerwerfen und Jluminationen. Doc fei es ferne von 
und, deine Geduld mit Sachen zu ermüden, die in der jepigen fo fehr 
bewegten Zeit zu den Alltäglichkeiten gehören. Da wir von Vermäh— 
fungen in der Mehrzahl ſprechen, fo tft ſelbſtredend auch die des Herru 
von Fernow mit Zräulein von Ripperda darunter begriffen, wodurch 
die Befürchtung, al habe das Duell des Majors mit dem Baron 
Rigoll ein blutiges Refultat geliefert, im ſich felbſt zerfällt. Indem 
wir diefes Duell, welches wirftid flattfand, nicht erzählen, entgeht und 
allerdings der Vorwurf einer pilanten Schilderung: wir hätten der 
Wahrheit gemäß fagen können, daß gegen fieben Uhr an dem bezeich- 
neten Abend Baron RigoN am der Seite ded Grafen Hohenberg wohl« 


beſchließt vielleicht Tangweilig. 325 


behalten die Refideng verließ, und hätten dadurch dem geneigten Leſer 
in Schreden verfegen können, als fei Herr von Fernow vielleicht ger 
fährlich verwundet zurüdgeblieben. Da es und aber nie darum zu 
um war, das Iuterefie auf unnatürkiche oder kunſtliche Art zu erre ⸗ 
gen, fo fagen wir nur der Wahrheit gemäß, dag als ein paar Kugeln 
ohne Erfolg gewechfelt waren, Baron Rigoll unter vollftändiger Zurüd- 
nahme feiner befeidigenden Ausdrüde die Hand zur Berföhnung bot. 

Es war ein fchöner, prachtvoller Krühfingsabend, als der provis 
forifhe Chef des Oberftjägermeifteramtes mit dem nunmehrigen Rega- 
tionsrath von Wenden, nach dem flattgehabten Rencontre, zur Stadt 
zurũckritt. Nicht nur Bäume, Sträucher und Blumen, fondern auch 
Erde und Luft dufteten ordentlich vor Wonne, unter fo Marem, ſcho— 
nem Himmel feben, ruhen und wehen zu fönnen. Bor dem Thore der 
Refidenz fanden die beiden Reiter eine Equipage, den Reiſewagen des 
Barons, der für alle möglichen Fälle dorthin beordert war; glaͤcklicher 
Weiſe aber hatte er feine Verwundeten aufzunehmen, weßhalb danız 
nur der Baron Wenden, bei dem Meinen Wirthöhaufe angefommen, 
wo der Wagen hielt, fröpfich aus dem Sattel fprang, feinem Freunde 
die Hand reichte, der ihm herzlich daukte, und fi) dann von feinem 
Bedienten den warmen Mantel umgeben fieß, ehe er in den Wagen ftieg. 

„Benn wir Alles vom richtigen Standpunkte betrachten,“ ſprach 
hierauf Here von Wenden lachend zum Schlage heraus, „fo bin ich 
doch eigentlich an deinem ganzen Glüd ſchuld, und wenn einiges Dante 
barfeitägefühl in dir wohnt, fo haft du nichts Schleunigeres zu thun, 
als für Kinder und Kindeökinder jene Scene malen zu laffen, wo ich 
dir — es iſt noch nicht fo Tange her — meine Theorie vom Augen 
blid des Gluͤcks auseinanderfeßte.” 

„Ja, ja,“ rief Major Fernow fröhlich, „und als Pendant der 
andere Augenblick des Glücks, wo ich beinahe in die Nothwendigkeit 
verjegt worden wäre, dich im großen Audienzſaale des Schloſſes zu 
verhaften — alles Augenblide des Glücks.“ 

„Run, es hat beſſer geendet, als ich gehofft; wenn meine Miffion 
volltommen reuffirt,” fepte er mit großer Wichtigkeit Hinzu, „und —“ 

„bie Gopien einiger der Sterne, die dort eben am Abendhimmel 
fichtbar werden, auf deinem Zräde glänzen, fo wirft du mir zurüd- 


326 Achtzehntes Kapitel 


Tommend fagen: das Gefühl von einer ſchweren Krankheit zu genefen, 
iR ein außerordentlich angenehmes.” 

„Aber eine ſolche Krankheit ſelbſt!“ feufzte der Kammerherr, wäh 
rend fein Poſtillon in den Sattel Fletterte, „die kann oftmals traurige 
Folgen haben.” 

„Du erſchrechſt mich!“ rief Herr von Zernow in einigermaßen 
ironiſchem Tone und mit einem faft ſpöttiſchen Lächeln, denn er wußte, 
was kommen würde. „Sollteft du wirflih —“ 

„3% nicht, aber id) befürchte, jenes arme junge Mädchen Hat in 
ihrer gereisung für mid die Sache ernfthafter genommen, ald mir 
Tieb if.” . 

„Darüber fannft du dich volltommen beruhigen,“ entgegnete der 
Major, indem er fih Mühe gab, nicht laut hinauszuladen. „Aus 
der allerbeften Quelle weiß ich, daß fie fi über beinen Verluſt voll« 
kommen getröftet und im Begriff ſteht, ſich mit einer äfteren Liebe zu 
verheirathen. Ich kann dich auch verfihern, daß ich mich der jungen 
Zeute annehmen und alles Mögliche zu ihrem ferneren Fortkommen 
thun werde.” 

Dieſes Verſprechen fehlen dem neuen Legationsrath eine Gentners 
laſt vom Herzen zu nehmen, und es war in der That komiſch anzu⸗ 
fehen, wie er mit einer affeftirten Nührung feine beiden Hände zum 
Bagenfälag hinausſtreckte, um die Rechte des Freundes nochmals zu 
d 


„Run aber made, "daß du fortkommſt!“ rief diefer, „du ſollteſt 
ſchon um fieben Uhr abreifen, ich will deine Freundſchaft für mic, 
nicht mißbrauchen. — Leb' wohl!" 

„2eb' wohl, lieber Fernow! und denfe mein bei deinem nächſten 
Augenblide des Glücks.“ 

Dahin rollte der Wagen, der Major blickte ihm ein paar Minus 
ten fang nad, dann wandte er fein Pferd, nicht um nach der Stadt 
zurũckzukehren, fondern um in einem animirten Jagdgalopp die Strafe 
nad, Cſchenburg zu verfolgen. 

Was mochte er dort fuhen? — Ah! gewiß jene Eauipagen, die 
ihm nad} einer Meinen halben Stunde entgegen rollten. Er ließ den 
Bagen des Negenten, worin diefer mit der Pringeffin Eliſe faß, ehr⸗ 


_ 


beſchließt vielleicht langweilig. 327 


furchtsvoll vorbei paffiren, und zwang fein unruhig gewordene Pferd 
alsdann dicht an den Schlag der nachfolgenden Kaleſche binan, aus 
dem fid ihm eine Heine Hand entgegenftredte, die mit raſchem ängft- 
lichem Drud feine Finger umfpannte. 

„So iR & wahr“ fragte Helene von Ripperda mit zitternder 
Stimme, „Ste haben ſich gefhlagen? Sind Sie verwundet?" 

„Weder das Eine noch dad Andere,” entgegnete lachend Herr von 
Fernow. „Se. Excellenz der Oberftjägermeifter, Baron von Rigoll 
und ich, wir trennten und unter einigen Freudenſchuſſen, welche die 
vortreffliche Wirkung hatten, daß wir ohne Groll von einander fdyler 
den, und daß fünftig Keiner mehr den Andern um feine Augenblide 
des Glucks beneiden wird. — Und an Augenbliden des GLüds,“ fepte 
er mit fanfter Stimme hinzu, indem er fi gegen die Kaleſche hinab 
beugte, „ſoll es uns doch wahrlich nicht fehlen, Nicht wahr, meine 
geliebte Helene * 

Sie antwortete nicht, aber er fühlte den leichten Drug ihrer Finger, 
mit denen fie feine Hand umſchloſſen hielt. 

Und fo Jogen die beiden glücklichen Menfchen dahin am würzigen 
Frühlingsabend unter Sterngeflimmer, Blüthenſchnee und Nactigallens 
flag. Baren das nicht fhon wieder Augenblice des Glüds ? 

Ia, Here von Fernow war glücklich, und gedachte gern derer, die 
es minder waren; deßhalb vergaß er auch fpäter nicht jenes Mannes, 
den er Abends auf der Terrafie des Schloßgartens gefunden, und mit 
welchem er ſich über Leuchtfäfer unterhalten. Er verſchaffte dem wadern 
‚Künftler die gute Stelle eines Aufichers des herzoglichen Kupferftiche 
tabinets, und als dies Heinrich Böhler feiner Mutter mittheilte, und 
Beide hierauf zur Wittwe Weiher Hinabftiegen, um fie von dieſem 
Glüf in Kenntnig zu fegen, da machte Frau Weiher dem ehemaligen 
Photographen zum erften Mal einen tiefen Knix. Rofa aber warf 
fich an die Bruft Ihres Bräutigams und fagte ihm unter vielen andern 
Dingen: „Weißt du noch, Heinrich, wie du am jenem Abende mit 
tummervollem Herzen in den Schloßgarten liefeſt und jenen Herrn 
trafft, von dem du mir fagteft, er jet fo freundlich für dich gemefen, 
umd dem wir jept Alles verdanten?“ 

3a, das war ein ſegendreicher Augenblid,“ fuhr das junge Mäd» 


328 Achtzehnted Kapitel beſchließt vielleicht laugweilig. 


hen fort, indem fie innig und herzlich im die Augen des Mannes 
ſchaute, den fle liebte. „Es war jener Augenblid, von dem wir nim⸗ 
mer geglaubt, daß er auch und einmal erfcheinen werde, und von dem 
deine Mutter doch oftmald gefagt, daß er wenigftens einmal in jedem 
Menfchenteben einträte, der Angenblid ded Glück,“ 

Bas nun Herrn Krimpf anbelangte, fo hatte ihm Heimrich Böhler 
den ganzen Photographen-Apparat überlaffen, und der Meine Maler 
half fid damit fort, wenn aud auf eine etwas ſeltſame Art. Er fand 
namlich einen KunftHändler, für den er eine Gallerie von Abnormitä- 
ten und Häßfichtelten des menſchlichen Gefchlehts zufammenftellte, eine 
in ihrer Art ergögfihe Sammlung, worin dad Portrait des Künfters 
ſelbſi in den fhauerlichften Verzerrungen häufig genug vortam. Doch 
wurde Herr Krimpf fehr menfchenfhen, ließ ſich felten vor der Belt 
fehen, und wenn dies gefhah, bilckte er Allen, mit denen er zufammen- 
iam, mit einem Ausdrucke des Hafjed und Miftrauens tn die Augen; 
nur wenn er allein war, konnte er fi) einer feltfamen Luftigfeit hin⸗ 
geben, und da hörte man ihn wohl ftundenlang den Refrain eines une 
befannten Liedes fingen: „Chantons, buvons, traleralera.‘ 

So find wir denn, theurer und geneigter Lefer, am Schlufle un» 
ferer Geſchichte angefommen, und wenn wir und hiermit von dir vers 
abſchleden, fo thun wir es in der Hoffnung, daß du in berfelben irgend 
etwas gefunden, was did erfreut und bein Intereſſe erregt. Dürfen 
wir in diefer Borausfegung glauben, daß die Ueberfchrift des erften 
Kapitels nicht wie der gewiſſe rothe Faden durch unfere ganze Arbeit 
Täuft, fo tft und das eine füße Belohnung, und wir wollen dir damır 
die Verfiherung geben, daß wir den Augenblid, wo wir zur vorliegen» 
den Erzäpfung die Feder angefept, für einen guten Angenblid erklären, 


** 
einen Angenblid des Glüds. 


3. W. Hackländer's Werke, 


XXIL Band, 


3.38. Hackländer's 


Nerfe 


Erſte Gefammt- Ausgabe, 


Zweite Auflage. 
Zweiundzwanzigfier Band. 


— 


Stuttgart. 
Verlag don A. Kröner. 
1876. 


Drug von Gebrüder Mäntler in Stuttgart. 





Ein Winter in Spanien. 


Erfter Band. 


Der Titel des vorliegenden Buches nothigt mich, ein paar eine 
leitende Worte zu ſchreiben, denn e8 mag vielleicht einer Entſchul- 
digung bebürfen, Spanien, das herrliche jübliche Sand, das in un: 
ſerer Phautafie mit Sonnenfchein und Blüthenftaub Lebt, das wir 
nicht zu trennen vermögen von bem Begriff lauer, entzückender 
Sommernächte nad} glühendem Tagedbrand, im Winter bereißt zu 
haben. Aber Verhältniffe beftimmen ben Menfchen, und eine Reife, 
deren Ausführung während bes Sommer? mir und meinen freunden 
ſchwierig war, Konnte zur Winterszeit Teichter unternommen werben. 
Dabei will id) nicht derſchwe igen daß Staub und unerträgliche Hihe, 
bie in manchen Reiſebeſchreibungen eine jo große Rolle fpielen, ung 
ebenfalls für bie fältere Jahreszeit beftimmten. Wenn wir hierbei 
manches von bem fo reizenden ſpaniſchen Volksleben verloren, fo 
Hatten wir Dagegen bei unfeen Bügen durch das Sand gute Gelegenheit, 
das Innere befjelben kennen zu lernen; umb gerade der Winter ge: 
ftattete una, vom Sattel bes Pferdes frei umzufchauen, wogegen und 
ber heiße Sommer fortwährend in den dunftigen Eilwagen mit feinen 
engen Fenſtern gebannt hätte. Nebrigens bin ic) meit entfernt, irgend 
einen ber verehrlichen Leſer in Betreff einer Reife nach Spanien für 
den Winter beftimmen zu wollen, aber eben fo wenig, Jemanden zu 
einer Tour durch das Land während ber Sommerzzeit zu veranlafſen. 
Wer Spanien auf bequeme und angenehme Art befuchen will, reife 
im Frühjahr der Küfte entlang und made einen Abſtecher von 
Malaga nad; Granada, und von Cadiz über Sevilla nad; Cordova, 
fo Hat er das Schönfte gefehen, twaß bie Erde ihm zu bieten vermag. 

Wenn ich auch bei meiner Reife manches Ungemach zu ertras 
gen hatte, fo wurde daffelbe doch gemildert durch die Geſellſchaft 
zweier lieben Freunde, mit denen ich bie angenehmen Stunden 
doppelt genoß, und im deren Begleitung bie unangenehmen durch 
guten Humor, durch Scherz und Lachen verkürzt wurden, 


var 


Dabei lehrte mich der Eine biefer Freunde, Oberbaurath Leins 
von Stuttgart, der, noch ein junger Mann, hier in einem ber 
ſchonſten und prächtigften Bauwerle ber Neuzeit den ganzen großen 
Schaf feiner Kunft entfaltet, und fich dadurch einen guten, wohl: 
verdienten Namen in Deutichland gemacht, die herrlichen Bauwerle 
Spaniens kennen und verfiehen, und feine gründlichen Aufzeich- 
nungen taten mit bei Entfiehung dieſes Buches von außerordent⸗ 
lichem Nußen. Der Andere, der Maler Theodor Horſchelt von 
München, ebenfalls ein treuer freund in allen Verhältniffen, ftellte 
mit feine gefammelten, zahlreichen und ſchönen Skizzen zur Verfügung. 
Für Horfchelt, der und in Oran verlieh, um noch Tängere Zeit in 
den franzöfifchen Kolonien Afrika's zu bleiben, war dieſe Reife ein 
bedeutender Wendepunkt in Leben und Kunft, denn wenn auch ſchon 
feine früheren Bilder den vollen Beifall ber Kenmer erhielten, und 
Tauım beenbigt angefauft wurben, fo hat er doch vor Kurzem ein 
größeres, wirtlich herrliches Gemalde für Seine Majefät den König von 
Württemberg beenbigt und fo eine Frucht biefer Reife Herborgebradit, 
die feinem Namen einen guten und dauernden Klang verleifen muß. 

Was ich nie für möglich gehalten, habe ich hier unwilltürlich 
gethan, — eine Vorrede geſchrieben, und bitte den Leſer um Ent: 
ſchuldigung, mit dem feierlichen Verſprechen, mich eines ſolchen 
Mißbrauchs feiner Geduld nie mehr ſchuldig machen zu wollen. — 
Vorrede ift eigentlich falſch: es müßte Nachrede beißen; denn exft, 
wenn das Buch beenbigt ift, jagen wir noch bem geneigten Leſer 
ein paar pafſende Worte, wie wir ja einen guten freund, der und 
beiuchte, bis an bie Haudthüre begleiten und mit der Bitte ent« 
lofien, bald wieder zu fommen, wenn es ihm bei und 
gefallen, — womit ich denn auch auf ber Schwelle meines 
Hauſes von dem freundlichen Leſer Abſchied nehmen will. 

Stuttgart. 


3 W. Hadländer. 


Erfies Kapitel. 
Yad) Btalien. 


Abreiſt von Stuttgart. Ein Gifenbapnbild. Das Netarthal, Herbiiliäe Zeit. 

Ein SKirälein. Dergriefen. Geiklingen. Ulm. Biberag. Maventburg. Das 

Haus des Hannitel. „Duriesbad fertig”. Bodenjerdampfer. Korſchach. Ein 

Freund. Eäwelger Telegrapgen. Ueber den Splügen, Gpiavenna. Donna & 

mobile! Gewitterftürme. Gollco und der Dampfer Moda. Fahrt auf dem 

Somerfer. Regenmantel, Regenwetter und Paflagiere. Der energifhe Kellner. 
Somo. Poftwefen auf der Gifenbahn. Hötel Reimann. 


An einem warmen ſchönen Herbftmorgen, es war ber 8. Ollober 
1868, beftieg ich mit meiner Familie in Stuttgart ben Eiſenbahn⸗ 
wagen, um eine Reife nad} Italien und Spanien anzutreten. — 
„Üertig, fort!” rief der Zugführer, und es ift das bie lehte Abfertigung, 
das Signal zur Abfahrt — „fertig, fort!" — man hört e oft, wenn 
man eine Ausflüge in der Umgebung macht, und freut fich als⸗ 
dann, ben bunfeln Bahnhof verlaffen zu können. Heute aber, wie 
das „fertig, fort“ den leichten Faden zerriß, der und noch an bie 


Heimath band, und wir gleich darauf langſam vorwärts fahrend, 


noch einmal im Fluge die betrübten Gefichter ber Freunde und Be: 
Tannten fahen, die ung, vom Abſchied ſchmerzlich bewegt, das Geleite 
gegeben, tointenb mit ber Hand und mit feuchten Augen unfer 


| leßteß Lebewohl erwidernd — Heute beivegt das einfache „fertig, 


fort!“ umfere Herzen, und wir, bie wir abteifen, figen ſchweigend 
und gedanfenvoll — an die Zukunft dentend, an den langen Langen 
Weg vor und, und auch viel und gern an eine glüdliche Heimkehr. 
Nur bie Kinder freuen ſich des Fahrens und ſchauen mit glänzen: 


4 


10 Erſtes Kapitel. 


den Augen in das vielfarbige Grün bes Schloßgartens, am beffen 
Grenzen wir dahinfliegen, rüden aber num ängftlich zuſammen, altz 
una die Sofomotive in ben Rofenfteintunnel hineinreißt, und Lachen 
erft twieber, ald wir jenfeit3 bed Berges das fonnenbeglänzte Neckar- 
{Hal erreichen — 

Ja, es war ein ſchöner, Heiterer Tag, aber bie Sonnenwärme 
hatte ben klaren Himmel teblich erfämpft, erft nad} Langen Heftigen 
Gefechten ſchlug fie bie irbifchen Nebelſchauer auf's Haupt und zwang 
fie, fich in ihre Schluchten und Berge zurliczugiehen. Wohl fätoeb- 
ten noch Tängere Zeit einige Nochzügler, ald Wolten zufammen« 
geballt, an bem tiefblauen Himmelsgewölbe bahin, doch führte der 
ſchone Tag die Vefiegten wie im Triumph mit ſich; ihre weißen 
Maffen dienten feiner Schönheit ala Relief, und er benutzte fie, 
um bie glühenbe, im bunten Herbſtſchmuck prangende Gegend Hin 
und tieber mit zierlichen, leicht borüberziehenden Wolfenfchatten 
neu zu jehmücen. 

So fuhren wir dahin in ziemlich leerem Magen, wehhalb es 
denn auch möglich war, felbft gegen das Reglement hie und da 
an bie Thür zu treten, um einen Blick in das fchöne Neckarthal 
Hinauszutoerfen. Bi8 nach Göppingen hinauf dampft bie Loko⸗ 
motibe faſt unter lauter Obftbäumen bahin, bie fich über der Bahn 
bie Hänbe zeichen und jet ihre reifen Früchte in gelb und roih 
beinahe auf die Wagendeden herabhängen laſſen. Zur Reiten 
begleitet und ber Nedar bald in. breitem Sand: und Kiesbette, 
bald durch mächtige Mauern eingeengt, bie ihn auf die Seite 
beiden unb ihm einen Plap für ben Schienenweg abnöthigen ; 
hier ftürzt fich der Fluß ſchaumend über ein Mehr Hinab, bort 
trägt er gebulbig und ergeben das Joch einer alten hölzernen 
Brüde mit ihren plumpen untegelmähigen formen, während fidh 
bei Untertürtheim bie zierlichen Geländer der foeben neueniſtandenen 
eifernen Gitterbrücke wohlgefällig in feinen Maren Fluthen abfpie- 
geln. Zur Linken Haben wir die Abhänge der Berge, melde bie 





Nah Italien. 11 


Eifenbahn tragen, auf ihnen alte und neue Schlöffer, Wartthürme, 
an ihrem Fuß freundliche Dörfer, meiſtens in einen heimlichen 
Nebenthälern Tiegend. Die Ernte ift aller Orten vorüber, kaum weht 
ber Wind über die Stoppeln, und fehon wird ein Theil der Selber 
don bem unerfättlichen Menfchengefchlecht wieder zu neuem Dienſt vor- 
bereitet ; ber Pflug reißt hier bie dampfende Erbe auf, bort wird bie 
Seele ber Landwirthſchaft ausgebreitet, und während man an biefer 
Stelle noch Kartoffeln ausgräbt, wirft man drüben ſchon wieder bie 
Winterfant aus. Aber dieſes Leben, dieſe Bewegung in ber herbſtlichen 
Landſchaft ift fo mannichfaltig, fo ſchön, die Erbe Hat fih, nachdem 
fie Alles Hingegeben, mit dem armfeligen Ueberreſt ihres reichen Som- 
mers herrlich geſchmückt und lächelt una noch einmal freundlich zu, 
ehe des Winters falte Hand über fie dahinfährt und von ihr ſtreift 
den lehten Schmuch bie gelben und rothen Mätter, bie ſchon jept 
bei jedem Lufthauch, ahnend ihr baldiges Vergehen, ängftlich an ben 
matten Stielen zittern- Die Gärten, an benen wir vorüberbampfen, 
ſehen ſchon recht traurig unb verwahrlost aus, die halb vertrockneten 
Stängel unb verweltten Kräuter find niedergetreten; Unkraut wuchert 
triumphirend über fie empor und lacht recht höhniſch zu den Hohen 
Dahlien auf, die geftern noch ſtolz ihre bunten Köpfe trugen, und 
fie jeht, durch den Reif verlept, tief und traurig herabhangen Laffen. 
Die gelben Kapuziner haben ſchon ein zäheres Beben, und ihre hellen 
Blumen leuchten noch ziemlich friſch aus dem dunkeln Laub her⸗ 
dor ; — vorbei -— vorbei! Dort in einem Waldwinkel weidet eine 
Schaffeerbe, und die weißen Thiere treten aus dem Grün deutlich 
hervor, der Hirt und fein Hund ſchauen una nach, der Mann ift 
nachdenkend, ex hat fo traurige Gedanken über die Eifenbahn unb 
das wilde Getriebe, das mit ihr Hier in ben ftillen Thälern entftanben. 

Während wir num auf ber einen Seite an dem Fluß dahin⸗ 
fahren, der bald ben Eiſenbahndamm beipült, bald in einem teiten 
Bogen das fruchtbare Thal durchzieht, kreuzen wir häufig bie alte 
Sandftraße und faufen Hier an Fußwanderern vorbei, bie alle das 
Geficht gegen ung kehren, oder an Frachtwagen, bie mit weißem 


12 Erites Kapitel, 


Tuche überbeeit find und, obgleich mit Kräftigen Pferden beipannt, 
doch gar nicht von ber Stelle zu kommen ſcheinen. Dad alles 
laſſen wir im Augenblick Hinter uns, und wenn wir uns bort oben 
am Berge das weiße Hau mit feinen grünen Läden und rothem 
Ziegeldach betrachten, und die Augen feſt darauf Heften, fo kommt 
es uus vor, als drehe fih das Gebäude langſam, um ung nachzu⸗ 
ſchauen. Neben dieſem Haufe, nicht weit davon, ſteht ein altes 
graues Kirchlein mit ehrwürdigem Schlafmüßentdurm; bon ihn 
aus gehen zwei weiße Mauern, bie toie zwei lange Arme ben ſtillen 
Friedhof umfaffen. Auch das Kirchlein ſchaut uns mit feinen go⸗ 
thifchen Fenſtern grämlich nach, fcheint aber dabei bie Arme fefter 
zuſammenzuziehen und flüftert wahrjcheinlich zu ben Rubenben hinab, 
die früßer auch Hier voruberzogen im Sonnenglang und Leben: 
Laßt fie nur dahinſauſen mit ihrem: Feuerwagen, ba Hat Alles 
fein Ende, und aud) die da unten werben über kurz oder lang ihr 
Platzchen finden; ſchlaft nur, ſchlaft! Es ift gut, daß in biefem 
Augenblicke eine Schaar luſtiger Tauben von dem Hügel nebenan 
emporfliegen und alle trüben Gedanken zerftreuen, benn man blickt 
ihnen gern nadh, wie fie ſo dahinſchiehen mit ihrem glänzenden Gefieder, 
bald in einem dichten Haufen, bald weit außeinander und zerftreut, 
und wie fie nun dort auf der Höhe langſam einfallen neben einem 
Bauer mit Ochfen und Pflug, der gegen ben Haren blauen Himmel 
wie eine dunkle Silhouette abfticht. Aber an allem bem fliegen wir 
vorüber, immer zu, immer zu! Jetzt rast bie Maſchine mit aller 
Kraft dahin, jekt fühlen wir, wie fie langſam ihren Lauf minbert, 
um pfeifenb und ftöhnend endlich anzugalten — eine neue Station 
mit altem befanntem Leben: Paffagiere, bie fich herandrängen, bald 
gleichgültig außfchauend, bald mit ernfter Miene rückwärts blickend 
nach ben Fhrigen, die ſcheu auf dem Trottoir ſtehen bleiben, und Leicht 
zuſammenfahren, wenn überflüffiger Dampf ziſchend auffährt, währ 
rend der Kondukteur zur Eile treibt, und die Glode demgemäß ihre 
drei Zeichen fo ſchnell Hintereinanber gibt, als habe fie eigentlich 
Wichtigeres zu thun unb gebe ſich nur fo nebenbei- aus purer Ge: 








Rad Italien. 18 


ſalligkeit mit dem Läuten ab. — Gleichviel, die. Lokomotive pfeift, 
huſtet und ſtöhnt erſt langſam, dann immer geſchwinder, die Häufer 
an ber Bahn fangen wieber ſcheinbar an rückwärts zu fliegen, von 
den Menſchen, die uns angaffen, fehen wir nur eine lange Reihe 
unertennbarer Gefichter, Bäume Hufchen vorüber, bie Iete Stätte bes 
Orts Liegt eben erft hinter uns, und ſchon raffeln wir an dem nächflen 
Bahnwärterhäugchen vorbei, wo der Beamte fteht, ben Arm ausgeſtreckt 
wie ein Telegraph, während ſein kleines Kind vor der Thür ſiht und: 
„bie Eifenbahn“ ruft; doch würden wir faum bie erſte Silbe ver- 
nehmen Können, wenn das übrigens bei dem Getöfe möglich wäre, 
denn wenn es „bahn“ ausipricht, find wir ſchon eine gute Strecke 
weiter. Hinter Göppingen wird das Thal auf Yugenblide weiter und 
ausgedehnter, und wir können uns beghalb nicht mehr fo mit ben 
Einzelheiten von unferm Wege. befchäftigen; auch ift faft alles heute 
morgen ſchon dageweſen und kehrt immer wieder: die Felder in gelb, 
grau, grün, die Wälder mit ihrer prächtigen Färbung von Violett 
bis in's Helle Roth, durch welche man nun die Form faſt eines 
jeden Baumes erkennt, die weißen Käufer mit ben gelben glänzen 
den Welfchkornträngen, ber getrocknete Flachs am Boden in langen 
regelmaßigen Sinien, jepnatternde Ganſe, ſtaunende Pferde und wichtig 
dreinfchauenbe Ochſen. Nur ein einfamer Waldweg, an dem wir 
vorüberſauſen, fefielt vielleicht unfere Aufmerkfamteit für einen Mo: 
ment; bort fleigt ec vergeffen bie Höhe hinan, der arme Pfad, ber 
einſtens, wie alfe andern, nach Rom geführt, nun aber von Nie: 
manb mehr betveten wird; denn umſonſt jagt ein morfcher melanchos 
liſcher Wegweiſer, gleich einem zurüdgelommenen Bubenbefiper: 
„mu hereinfpaziert!* — man zudt die Ahfeln und fliegt vorüber. 

Dort ift der Hobeftaufen, der Rechberg und Staufenech, bie 
auf Augenblicke in die Höhe zu fireben jcjeinen, um dann wieber 
Hinter andern Bergen zu verſchwinden; Die Fremden ſchauen dem 
erften Lange zu und benfen wohl: majeftätifch genug fieht ex aus, 
das Fundament des jo mächtigen und jo unglüdfichen Kaiferhaufes; 
ia majeftätifch ernſt und traurig, eine gewaltige Pframide, die auch 


14 " Grftes Kapitel. 


ohne Hieroglyphen, gelreu und deutlich, ihre rieſenhafte Geſchichte 
erzäglt! 

ch glaube, es war der Liebe und freundliche Juſtinus Kerner, 
ber mir einftens eine eigentgümliche, aber, wenn man das Auge dafür 
Hat, ſehr wahre Anficht über. die Formation ber Berge des Filz 
und Nedarthals mittheilte, eine Anficht, die ich wenigitens immer 
beftätigt fand, wenn ich jo im Dahinfahren träumend und finnend 
die Höfen beſchaute. Jeder Berg hat nämlich, fo jagt er, die Ger 
flalt eines Riefen, bald in fipender, Bald in Liegender Siellung. 
Dort fieht man deutlich den zufammengebüdten Oberkörper, das 
Haupt tief auf bie Bruft Herabzejenkt, den Schooß und bie Kniee 
{hart abgezeichnet, während die Füße in's Thal berabhängen; 
weiterhin ruht ein anderer lang auögeftredt, den Kopf mit dem 
Arm unterftüßt, und bliet behaglich mit übereinandergejchlagenen 
Beinen zu und hernieder, vieleicht im Gtillen lächelnd über das 
fonberbare Spielzeug, das er da unten fieht und das ſich bampfend 
in weiten Schlangenlinien um ihn herumwindet, ſcheinbar jo ge 
ſchwind und doch für ihn ſchneckenhaft langſam, denn wir brauchen ja 
eine geraume Zeit, bis wir von feinem Kopf zu feinen Füßen ge: 
Tangt find. ber wir wollen fo geräufchloß wie möglich vorüber: 
gleiten, um bie Aufmertſamteit dieſer veipeltabeln Rielenfamilie 
nicht allzu ſeht auf und zu ziehen; denn ſonſt könnte es einmal 
einem der jungen Bengel, bie winzig hinter den alten hervorlauſchen, 
in den Sinn kommen, mit ber derben Yauft nad) uns zu Langen, 
um die ſeltſam vielgliebrige Wagenſchlange in der Nähe zu ber 
trachten. Alſo auch Hier ohne Aufenthalt vorüber, immer zu, gegen 
die hohen Berge ber ſchwäbiſchen Alb hin, bie wie eine koloſſale 
Mauer unfern Weg zu verfperren ſcheint. 

Der geneigte Sejer wird vielleicht ben Kopf ſchütteln, daß ich mir 
erlaube, ihn hier ſpazieren zu führen, ohne ihm das geringfte Neue 
mitzutheilen, nur Altes, aber für mich fo gern Geſehenes: Feld, 
Wald, Flur und Haibe, Dörfer und Berge, in immer wechſelnder 
neuer und ſchoner Pracht. Vielleicht freut fi) aber auch ein einfam 








Nah Italien. 15 


Leſender darüber, denn ich ſchreibe ja nicht für die Paffagiere und 
Diitreifenden, nicht für Südliche, die ebenfalls in diefem Augenblick 
in ber Welt Herumfliegen, bie wie ich die freie Herrliche Luft burftig 
einfaugen, fondern ich erzähle ja das alles den Freunden, Bekannten 
und Unbelannten, bie jet zu Haufe figen in ber dunfeln Stube, 
und will glüdlic fein, wenn ich ihnen damit einen Kleinen heitern 
Augenblic verfchafft, wenn ich ihnen vielleicht zurädgerufen einen 
ähnlichen Tag, ben fie ebenfalls verlebten im glänzenden Sonnen 
Licht, in gleicher Pracht und Herrlichkeit, will zufrieden fein, wenn 
es mir gelungen, für manden, ber mit mir fühlt, einen Heinen Spalt 
zwiſchen dieſen Zeilen zu eröffnen, durch welchen ex Hinausbliden 
Tann in die freundlichen, bunten, glänzenden Berge, bie mich umgeben. 

Während wir nun aber von Geißlingen langſamer aufwärts 
bampfen, will ich alles Ernſtes die Phantafieen dahinten Lafjen und mich 
eines gejegten Betragens befleißigen, wie e8 ſich für einen foliben Reife- 
befchreiber ziemt. Daß hier die Bahn zu 1 auf 40 fteigt, wiſſen 
wir bereit; ebenfalls daß fie fi} in engem und weitem Bogen an 
dem Selfenabfang Hintoindet, aud) daß ınan bie geline Kirchthurm⸗ 
ſpitze de3 genannten Ortes bald weit unter fich fieht und auf ber 
Hälfte der Steigung in ein ftilles friedliches Waldthal Hineinblict, 
das tief zu unfern Füßen Liegt mit murmelndem Waffer und Mühle 
„in einem tühlen Grunde“, einfam und verlafien an der jet pen 
fionirten Sandftraße. Das Liebchen, welches vielleicht bort gewohnt 
hat und verſchwunden ift, konnte wohl den Lockungen ber Eifens 
bahn nicht wiberftehen und fuhr gen Ulm, der alten Stadt an ber 
Donau, jegt Bundesfeftung mit jehr vielem und ſchönem Militär, 

Auch wir famen gegen halb 1 Uhr dorthin, um nad) einer 
halbſtündigen Mittagsraft durch die ausgedehnten Ebenen Ober: 
ſchwabens weiter zu fahren. Alles hat hier einen andern Charatter 
bie Gegend ift flach, bie Ausficht faft unbegrängt, nur hie und da 
haftet das Auge gern an einem majejtätifchen Schloß, einem präch- 
tigen Klofter oder an alten maleriſchen Städten, wie Biberach und 
Ravensburg, die noch immer wie gerüftet daſtehen im berwittertem 


16 Erſtes Kapitel. 


Steinharniſch, umgeben von Mauern und Thürmen. Eine ange: 
nehme Abwechslung ift endlich der Schuffendobel, ben man über 
viele Brücken hinweg klirrend und faufend Hinabrast, wieder einmal 
durch dichten Wald, zwifchen Bergen dahin und über klares Waffer. 
Der Schufiendobel Hat zwei Merkwürdigkeiten: das Haus des großen 
Hannifel, ein altes morſches graues Gebäude, ganz wie eine Zigeuner 
herberge ausſehend, und bie Station Durlesbach, Iegtere berühmt, 
weil Hier außer ben Kondulteuren noch nie eine menfchliche Seele 
außs ober eingeftiegen fein fol, fo fagt nämlich die Tradition. 
.Durlesbach!“ ruft der Zugführer und ſeht gleich darauf hinzu 
fertig“, worauf e8, ohne anzuhalten, weiter geht. 

In Friedrichshafen, wohin wir um 3 Uhr kamen, greift alles 
ſehr gut in einander, um den Reifenden und fein Gepäc fogleich 
an ben See und auf das Dampfſchiff zu befördern, welches fich 
denn auch eine halbe Stunde fpäter mit und in Bewegung fehte 
und zu dem fhönen neuen Hafen hinausfuhr. Die Quais deffelben, 
feine Uferwand und ber Leuchtthurm find nun vollendet; feft und 
doch zierlich erbaut, geben fie ber Waferfeite Friedrichshafens ein 
heiteres ftattliches Anfehen und gewähren den Schiffen ben voll: 
tommenften Schuß gegen alles Unwetter des zuweilen fehr aufge 
zegten und unartigen Sees. Don ben Fahrten der Dampfboote 
tann man fagen, daß fie jeht fehr zweckmäßig eingerichtet find, um 
die verfchiedenen Orte des Sees mit einander in Verbindung zu 
fegen, und ber eilige Reifende braucht nun nicht mehr wie früher 
trauernd an biefem Waſſer zu fiten und fehnfüchtig nach Rorſchach 
hinuber zu blicken, wohin ihm fonft die Fahrt nur an einigen bes 
vorzugten Wochentagen vergdnnt war. Auch bie Reftaurationen 
der Schiffe haben einen ſchönen Aufſchwung genommen, denn ich 
erinnere mich noch ſehr genau der Zeit, wo z. B. bie Kaffeeſchale für 
einen mäßig ftarfen Mann als Fingerhut hätte dienen können, wo 
gute feilche Butter eine Fabel war, und wo ein zähes verbranntes 
Fleiſch Beefſteal genannt wurde — das ift, wie gefagt, ganz anders 
geworben, und man kann fih nun mit vieler Behaglichteit au 


\ 








Nah Italien, 17 


einem Gabelfeügftü mit Kaffee nieberfepen, und hat, wenn man 
enblich nad) einer guten halben Stunde auffteht, etwas Gutes im 
Magen und gleich darauf Rorſchach dor Augen, denn bie Ueber⸗ 
fahrt dauert nicht viel Yänger. 

Die Schweizer Douaniers find ſehr artige Leute und begmügen 
fich mit ber Verneinung ber ſehr höflich geftellten Frage: ob man 
irgend etwas Berzollbares bei fich führe, worauf man ungehindert 
mit feinen fieben Sachen zur nahe gelegenen Poſt ziehen Tann, um 
mit bem bequemen unb angenehm eingerichteten Giltuagen gegen 
Halb 6 Uhr nach Ehur weiter zu fahren. Der Fremdenzug durch 
bie Schweiz ift in dieſem Augenblick noch immer ſehr ſtark, und 
wir hatten drei große Beiwagen, lauter anftänbige Gebäude, mit 
guten Pferden befpannt, dazu find bie Strafen vortrefflich, die 
Poſtillons verſtehen zu fahren, und jo kommt man fehr raſch vorwärts. 

Es war ſchon Nacht und ziemlich dunkel, als wir durch das 
Rheinthal fuhren, welches hier über eine Stunde breit iſt. An ber 
gegenuberliegenden Bergfette Vorarlbergs Liegt bie Straße von Bre- 
genz nach fur faft paraffel mit der von Rorſchach ich Blicte 
Lange dorthin, ſchmerzlich bewegt, und als ich durch bie Finfterniß 
weit in det Gerne einige Lichter glänzen. fah, dachte ich, es Lörmte 
Hohenems fein, wo zur gleichen Stunde ein guter ebler und Lieber 
Freund an einer ſchweren Verwundung auf feinem Schmerzendlager 
ruht und nichts davon weiß, daß in geringer Entfernung von ihm 
Perfonen vorüberziehen, bie tief bewegt an fein Leid, an feinen Schmerz 
benten, bie mit ihm fühlen, von beren Sippen eine gute fanfte Nacht 
Für ihn exfleht wirb — ein Flehen, daB wie ein Gebet Hingt! — — 
Doch wir eilen dahin, immer weiter in die Nacht hinaus, um uns 
zittert der Schein ber Wagenlaternen, vorüber Hufchen Bäume und 
Häufer, jept rollt ber Wagen weid; im Sande dahin, jeht zaffelt 
ex durch flille Ortſchaften, bie lautlos, ſcheinbar ohne Beben baliegen, 
und deren Häufer uns faft erflaunt betrachten, wie aufgeſchreckt aus 


tiefem Schlaf durch den Knall der Peitſche und das Zraben der Pferde. 
Sadländer's Werte. XXI. 


18 Erſtes Kapitel, 


Neben mir im Wagen ſaß ein ehr artiger Schweizer, ber mich 
unter anderm auch über das Telegraphenneg unterhielt, das num im 
Begeiff if, ſich mit großer Schnelligkeit üger alle Kantone anäzu- 
ſpannen; auch an unferer Straße ftanden ſchon die Stangen mit 
Glashut und Drähten und reichten fich die Hände, auf biefe Axt einen 
magifchen Kreis um bie Länder ziehend. Der letzte Anftoß zur ſchnellen 
Errichtung der hiefigen Telegraphen wurde bei einem Mahl in Genf 
gegeben, wo dortige und Bajeler Kaufleute den Entſchluß faßten, 
im Nothfall auf eigene Koſten durch eine Linie biefe beiben Stäbte 
umd Bern zu verbinden; als kluge Leute aber wandten fie fich vorher 
noch an ben Bund, der denn auch nad) kurzer Berathung beichloß, dieſe 
wichtige Sache ſeibſt unb fepleunigft in bie Hand zu nehmen. Alie 
Kantone umb jelbft bie einzelnen Gemeinden intereffizten ſich lebhaft 
dafür; letztere Lieferten Stangen und Pla auf eigene Koften, und fo 
ging denn die Ausführung raſch von ſtatten. Da fich bie Bureaux 
meiftend mit den Poftämtern vereinigt finden, jo find die Auslagen 
für Beamte und Betrieb ziemlich mäßig. Die Zinſen der ganzen Are 
Tage, fotoie bie Unterhaltungstoften follen fich jährlich auf 300,000. 
belaufen, wodon ſchon jet bie Hälfte Durch aufgegebene Depeichen ger 
bestt wird, was fich übrigens noch jeden Tag vermehren wird; denn 
bie Schweizer waren fo flug, den Zelegraphentarif Außerft niebrig 
zu ftellen : zwanzig Worte durch das ganze Sanb koſten nur 1 Franken, 
und dafür kann man fi) ſchon einmal dad Vergnügen machen, von 
Bafel aus einen Genfer Belannten zu fragen, wie ihm das geftrige 
Mahl befommen, oder wie er gefchlafen, Vielleicht die einzigen Feinde 
ber Telegraphen find die Schweizer Poſtillone. Denn fie oder viel- 
mehr ihre Langen Peitfchen Liegen im beftändigem Kriege mit den 
Tängs ber Straße Laufenden Drähten und vertoideln fid} micht felten fo 
in einander, daß der Schwager nur durch Herabfteigen von feinem hoben 
Bode und kluges Nachgeben fein Scepter wieder zu erlangen im 
Stande if. 

Nach Chur kamen wir um 8 Uhr Morgens, Die Straßen lagen 








Nah Italien, 19 


im diefem Stadichen wie immer nachtlicher Weile ohne ſichtbare Ber 
leuchtung in tiefſte Dunkelheit gehüllt; doch ift auch hier für ben 
Reiſenden eine Verbeffexung eingetreten, daß man nämlich während 
be ſtundenlangen Wartens jeßt ein freundlich geöffnetes, erhelltes 
Gaſtzimmer mit gutem Kaffee ꝛc. antrifft, ftatt daß man ſich früher 
mit einem falten Schnaps in einer jehr geringen Schenkftube ber 
Helfen muß. 

Wenn mein Bericht nicht ſchon fo ungewöhnlich groß geworden 
und der Weg von hier auf den Splügen nicht ſchon fo oft beſchrieben 
twäre, würde ich meinen Gefern noch einige Details mittheilen von bem 
großartigen Rheinthal jenfeits Chur, wie bee Feldbau allmählig küm ⸗ 
merlicher und der Baumwuchs nach unb nach bürftiger wird, wie dort 
Felsberg in größerer Gefahr wie je ſchwebt, um endlich gang verſchüttet 
zu werben, tie die fchöne Inſel Reichenau Heute Morgen im Glanz 
ber Sonne fo wunderbar dalag, rings umfluthet von ben Hier jo 
durchfichtigen fmaragdgrünen Wellen bes ftürmilchen Rheins, und was 
bergleichen maleriſche Sachen mehr find; jo aber begnüge ich mich mit 
den praltifchen umb fage nur noch, daß man von den Ueberſchwem⸗ 
mungen bes Fruhjahrs an der fehönen Straße nichts mehr bemerkt, 
und daß man mit biefen Schweizer Eilwägen und ihten umfichtigen 
Kondukteuren auf bie befte Art von ber Welt durch die prachtvolle 
wilbsromantifche Bia mala nach bem Dorfe Splägen gelangt. 

Wie es im Herbft und Frühjahr bei Alpenübergängen ftet3 ber 
Fall ift, fo Hört mar ſchon in Rorſchach und Ehur bald gute, bald 
bedenkliche Nachrichten. Vorgeſtern, hieß es, Habe fich der Eilwagen 
um vier Stunden verfpätet, gefiern hätten ihn 8 Pferde mühfam durch 
Fußofen Schnee geichleppt, und wenn es bie lehie Radht jo foriger 
ſchneit, fo ftänden Schlitten in Außficht. Yon all bem aber fanden 
wir garnichts; nach eingenommenem Mittageffen fuhren wir Tangfam 
und ficher auftnärts, nur Hatte ſich hier oben bie Sonne verfehleiert, 
und ber Himmel hüllte und, wie wir allmählig emporftiegen, in feine 
bieten Nebelmaflen. Auf der Höhe erreichten wir auch ein wenig 


20 Erſtes Kapitel, 


Schnee, doch beberfte derſelbe kaum bie Hufe ber Pferde; bie Straße 
ſelbſt ift, wie immer, vortrefflich unterhalten, neue Galerien find 
gebaut und die Wegeinfaffungen im beften Zuftand. Won ber öfter: 
reichiſchen Mauth auf dem Splügen kann man in Wahrheit nur dad 
Angenehmfte und Freundlichſte jagen; man begnügte fich hier mit 
einem ſehr oberflaͤchlichen Durchſehen unferer Koffer und Nachtfäde, 
und nachdem wir auch biefe Charybdis glüdfich Hinter und hatten, 
rolllen wir wohlgemuth gen Stalien hinab. Bald verliehen wir ben 
Schnee, und auf den bisher ganz kahlen Felſen zeigten fich Hie und ba 
wieber verfrüppelte Nabelhölzer, tiefer unten ſchlanke und Hohe Tan: 
nen und magere Wiefen mit munter herumfpringenden Ziegen. Waſſer⸗ 
fälle ftürzten Yauttofend von den Felſen in die Abgründe oder unter 
dem Damm unferes Weges hindurch, ber bald rechts, bald Links in 
den tühnften Wenbungen bie toloffale Steinwand Binabflettert. Die 
Poſtſtation Campo Dolcino lag mit ihren Heinen ſchwärzlich grünen 
Häufern öde und einfam da, wie immer; man befindet fich bort noch 
fortwährend zwiſchen ungeheuren Bergwänden, nur vor ſich fieht 
man fie ‘etwas gelichtet. Da theilen fie fich mehr auseinander und 
durch die grauen ftarren Maſſen erblidt man tief unter fidh freund» 
lichere Formen, ftatt dem einförmigen Grau in fanfter, röthlich-violet- 
ter Färbung ; das find ſchon die Berge, deren Fuß der | höne Comerſee 
befpült. Auch wir tommen bald dort hinab, noch einige unheimliche 
Feispartien Haben wir zu paffizen, noch einige Bihzadtoege, weldhe 
bie guten unb ſicheren Pferde in vollem Trabe binablaufen, dann wird 
bie Gegenb rechts und links reicher und Lieblicher, die Häufer belom⸗ 
men ſchon ein wohnlicheres Anfehen, Laubholz aller Art, worunter 
viele zahme Raftanien und welſche Nüffe, befchatten unfere Straße; bie 
öben Steinmauern, bie bisher unfern Weg begrenzten, verwandeln ſich 
in zierliche Veranden, überrankt von mehendem Weinlaub, und bei 
ſinkender Nacht erreichen wir Chiavenna. Hier in den engen Straßen 
find alle Buben geöffnet, Sichterglang ſtrahlt in unfere Augen; ber 
Wagen vaffelt fürchterlich auf dem Pflafter, die Poftillone knallen 





Nah Italien. 21 


übermäßig mit ihren langen Peitſchen, und vor einem der zahl⸗ 
reichen Kaffeehäufer Hält eine große Orgel und fpielt aus Rigoletto: 


Donna est mobile 
Comme la venta! - — — — 


Das Hotel zur Poft in Ehiavenna war früher in ber Hand eines 
beutfchen Wirthes und ein fehr guter Gafthof, jet wird es von Italie⸗ 
nern verwaltet und man ift gezwungen, fich mit ben ärmlichen vers 
nachlaßigten Einrichtungen des Haufes zu begnügen, ba es daß Einzige 
ift, im welchem frembe Reifenbe ein Unterkommen finden. Wir erhiel⸗ 
ten bie beſten Zimmer gegenüber ber maleriſchen Ruine des alten 
Schloffes von Kleven, bie id; bei meinen früheren häufigen Reifen nad; 
Italien fo oft gefehen. Sehr ermübet, wie wir alfe waren, Iegten wir 
uns bald zur Ruhe und fchliefen nun zum erften Dial jenfeits der Alpen, 
tie wir zu Haufe fagen, feſt und ungeftött wie in der Heimath. 

Durch die regelmäßige Befahrung des Comerſees mit Dampfboo⸗ 
ten von Colico nach Como, und durch die Eiſenbahn von Camerlata 
nad Mailand, erreicht man letztere Stadt mit größerer Bequemlichkeit 
als fonft, obgleich man an ber Geſchwindigkeit etwas verliert, ba man 
hiedurch ſich entſchließt, nach mühfeliger Splügenfahrt die Nacht in 
Chiavenna zugubringen. Freilich geht von bort immer noch der Nacht⸗ 
eiltvagen nad; Mailand, da aber berfelbe erft ben anderen Tag gegen 


. Mittag ankommt, und der Zug von Gamerlata nur um ſechs Stunden 


fpäter, fo wird Jeder, der zu feinem Vergnügen reist, Comerſee und 
Eifenbahn vorziehen. Mit eigenem leichten Wagen und Extrapoftpfer- 
den würde man vielleicht bei ſehr gutem Fahren in vierundbreißig 
Stunden von Stuttgart nad; Mailand gelangen fönnen; man müßte 
alsdann nämlich den zweiten Tag um 1 Uhr Eolico am Ufer des 
Sees erreichen. Auer ber kaiſerlichen Poft gibt es in Chiavenna noch 
ein paar Gefellfchaften, bei denen man zur Fahrt nach Mailand für 
Dampfboot und Eifenbahn fein Billet lost, und aladann für nichte 
mehr zu forgen hat. Obgleich die Poſt ein paar Lire theurer ift als 


22 Erſtes Kapitel. 


dieſe Geſellſchaften, thut doch der Reiſende, der des Landes und ber 
Sprache nicht volltommen mächtig iſt, befſer, mit ihr zu fahren. 
Ein Haver heiterer Himmel, der un von Chiavenna bie an ben 
See zu Theil wurde, verſprach einen freundlichen Tag; die Schluchten 
der Alpen, durch welche ung geftern unfer Weg geführt, Tagen in tief: 
viofetter Färbung hinter uns, bie Sonne vergoldete ihre Felſenkronen, 
farbte aber auch zu gleicher Zeit Nebel und Wolken, bie langſam auf: 
fliegen, mit einem glühenben Roth. Der Weg von Chiadenna fäßtt 
auf einer ebenen, tbeilweife gut unterhaltenen Strafe am Fuße der 
Gebirgsaußläufer Hin, die hier, zerbrödelt, vol Klüfte und Spalten 
und wilb zerriffen, bei jebem Regenguß eine Menge Sand und Steine 
in’3 Thal Hinabrollen, welchedie Sandftrahe, namentlich zur Grühjahre- 
‚zeit, vielfach verderben und oft unſicher, ja gefährlich madjen. So paſ 
firten wir bie Stelle, wo, id} glaube, es war im Monat Junius dieſes 
Jahrs, ber Eilwagen von Gewitterfturm und heftigem Regen erfaßt 
und vollftänbig weggeſchwemmt wurbde, fo daß fich nur der Poftilon | 
und ber Kondukteur auf einem Pferde retteten, Pafjagiere waren glüd- 
ũcherweiſe nicht im Wagen. Die Straße, obgleich wieder Hergeftellt, 
glich immer noch einem jept vertrodneten Flußbett, und große Kiefel- 
maffen, ſowie anſehnliche Felsſtücke bedetten weithin bie gelber. 
Um halb ein Uhr erreichten wir Golico, ben Heinen gefährlichen 
Oct, rings mit Sümpfen unigeben, wo der Reifende, ber hier übernach⸗ 
tet, ſehr leicht vom Wechfelfieber befallen werden kasın. Ja fogar des 
Nachts bei ber Durchfahrt ſoll man fich vor dem allzufeften Schlafen 
hüten, und ein vorfichtiger Kondukteur vergißt jelten, dieß feinen 
Bofagieren bei der Abfahrt von Hier in Grinnerung zu bringen. 
Aufdem Seedampfte ſchon das Heine Boot, die „Abda“, und fchan: 
telte kaum merklich auf dem Waſſer, doch war bag Waffer nicht fo tief 
grün und klar, wie ich es fonft wohl hier gefehen, denn leider Hatte 
fig) der Himmelrüberzogen und ſchmuhig graue Regenioolten ſpietelten 
fich in ber Fluth wider. Die Abfahrt ging für ein italieniſches Dampf- | 
boot ziemlich regelmäßig von ftatten, auch wurde von den Schiffe 











Nah Italien. 23 


leuten nicht allzuviel Geſchrei und Speltalel gemacht, nur blieb ich 
längere Zeit zweifelhaft, wer ber eigentliche Befehlshaber des Bootes 
fei; denn ein wohlgenährter Mann in Schiffsjade und Mütze, mit 
mächtigen ſchwarzem Badenbaxt, ber ſich bei der Abfahrt wenigſtens 
das Anfehen gab, als ſei feine Perſon auf dem Radkaſten unumgäng- 
Lich nothwendig, nahm kurze Zeit nachher eine Serviette auf ben Linken 
Arm und ertundigte fich Höflijft, ob wir una collazione wunſchten. 
Das Berbeit des Kleinen Bootes war recht bequem eingerichtet, auf den 
Bänten an der Wand lagen hohe Polfter, auch Hatten wir volltommen 
Raum, denn von Colico aus beftanden ſammiliche Paflagiere des erften 
Plaes aus der auf allen Reifen immer unvermeiblichen englifchen Fa⸗ 
wilie mit Büchern und Karten in ber Hand und dem ftets aufmerkſamen 
and erftaunten Weſen. Die Freude auf dem Verdeck mit frifcher ange: 
nehmer Luft, mit Polfter und englifcher Familie follte übrigens nicht 
Lange dauern, benn ſchon bei den erften Regentropfen, die bald nachher 
nieberfielen, flüchtete ſich die leztere in die Kajüte, die Sihe wurben 
uns von den allzu vorfichtigen Bootsleuten jaft mit Gewalt unter 
einem unausſprechlichen Theil bes Körpers weggezogen, und da der 
Ser fich vollftändig in Regen und Nebel einzubüllen begann, jo brachte 
fich Alles, was nicht waſſerdicht war, ebenfalls jchleunigft unter Dei. 
Ich machte hievon eine Ausnahme, denn ich hatte mir nicht umfonft 
in Stuttgart einen jehr theuren Regenmantel angeichafft, und fühlte 
mich num recht glücklich, diefes Kleidungsftüd endlich einmal benühen 
zu Lönnen; damit angethan hielten mich die Bootsleute wahrſcheinlich 
für einen englifchen Kurier ober dergleichen, benn fie behandelten 
mich mit auferoxdentlicher Hochachtung. Um noch ein Wort über 
meinen ſchoͤnen Regenmantel zu fagen, den ich ja nicht mit einem 
ordinären Machintoſh zu verwechſeln bitte, jo Hielt er freilich den 
Oberkörper volllommen trocken, bildete aber unten in jeder Falte eine 
förmliche Dachrinne, wodurch Alles von den Knieen abwärts in einer 
beftändigen und ſehr unangenehmen Feuchtigkeit erhalten wurde, 
Der Eee war ſchlecht gelaunt ;.er hatte ſchwere Wolten tief auf 


24 Erſtes Kapitel, 


fich herabgezogen, und feine Fluthen, märrifch undverbriehlich, Hatten 
hie und da weiße Schaumkronen aufgefegt und fchaufelten in Kurzer 
Zeit dad Schiff mehr ala gerade nothwendig war; bie Farbe bed Wal 
ſers war dunkelgrun, faft wie bie Radeln der Eypreffen, rund an ben 
Ufern aber tiefgran und ſchmutzig ſchien es faft eins zu fein mit den 
Bergen und Felſen, bie Hier faft überall keck und ſchroff in ben Ser 
abfallen. Die zahlreichen prachtvollen Villen und die malerifch geleger 
nen Städte an feinen Ufern waren kaum zu erlennen, umb nur eingelne 
mächtige Paläfte ſchimmerten, obgleich undeutlich, auß bem Nebel und 
Regen hervor. Und was für ein Regen war es, mit dem wir heute 
bebient wurden! man hätte das Waſfer zuweilen füglich einen Wolfen: 
Bruch nennen Können, wobei ich übrigens meinem Regenmantel zulieb 
tapfer auf dem Verhdeck aushielt, faft allein mit einem dicken italienifchen 
Ehepaar, das fich inbeffen unter dem Schu eines fo toloffalen xotf- 
feidenen Regensſchirms befand, wie ich nie etwas Achnliches geſehen, jo: 
wie mit dem Lenker unfere Schiffes, der, in graues Wachstuch gehüllt, 
aufammengelauert am Steuerruber ſah und mit feinem ebenfalls 
grauen Geficht einer veswitterten Steinfigur glich, auf die ein Wafler- 
fall Herabftürzt, deffen Txopfen nad; allen Seiten binaußfpripen. 
Zuweilen warf ich einen Blick in die Kajlte, Doch da unten war 
es inbeffen furchterlich geworden; das Dampfboot Hielt nämlich jeden 
Augenblic, um zahlreiche Paflagiere aufzunehmen, bie in großen, mit 
Segeltuch überfpannten Barken troß des firömenben Regenz von allen 
Seiten anlamen, Dabei gab e# komiſche Auftritte genug; bie ängft- 
liche Haft, mit der man fuchte an Bord zu kommen, verurſachte man⸗ 
hen Fehltritt, manche Bergehlichteit, und oft wenn die Barken ſchon 
wieber abgefahren waren, ftürzte irgend eine Dame an bie Schiffswand 
und ſchrie nach einem Paketchen oder nach ihrem Sonnenſchirm, ben 
fie in der Eile zurückgelaſſen. Ja, es waren viele Sonnenſchirme heute 
zu ſehen, und dazu reiche und elegante Toiletten, für ſchoͤnes Wetter 
berechnet von Unglüdlichen, bie fic) nach bem heitern Himmel von Heute 
Morgen eingerichtet, auf eine Fahrt über den herrlichen See gefreut 


Nach Italien. 25 


und nun fo ſchlimm von Wind und Regen mitgenommen wurden. 
Da jahen fie denn alle zufammengepfropft in ber engen Kajlte 
mit langen Gefichtern und in einer wahrhaft unerträglichen Hiße, 

Bis jeht Hatte ber Wind nicht vermocht, bie Regenwolken zu zer⸗ 
teilen ober über ben See Hintegzujagen, fie hingen falt unbeteglich 
und ſchwer zwiſchen ben Bergen; glücklicherweiſe aber erhob fich ein 
ſcharferer Luftzug, und zwar angefichts von Como, fo daß wir alfo 
bie Hoffnung Hatten, und wenigftens irocen augſchiffen zu konnen. 
Alles ftrömte ans ber engen Kajüte auf's Verdeck, und jeder ſchien 
glücklich, wieder feiiche Suft alhmen zu Lönnen. Bit dem Anlegen 
an’8 Ufer hatte e8 inbe noch feine Schtoierigkeiten; der Kapitän — 
ich Hatte ihn endlich Herausgefunden —Iieß bie Maſchine zu früh 
Halten, unb ftatt daß wir mit der Schiffoſeite, wie e3 fich gebiihtt, 
an bie Landungsbrücke fuhren, kam der Schiffsſchnabel in ziemlich 
verdachtige Beräßrung mit dem Geländer; alle Hände beorberten fich 
ſelbſt auf's Deck, und jeder der Schiffsmannſchaft bemühte fich, dem 
Kapitän mit vielem Geſchrei Befehle geben zu helfen, wodurch ber 
Dampfer denn auch merklich zurückwich, und wir vieleicht wieder nach, 
Eolico gelommen wären, wenn nicht der Mann mit ber Serviette und 
dem ſchwarzen Backenbart energiſch eingegriffen und zugleich mit Ka⸗ 
pitan und Matroſen an einem Tau ziehend, das Schiff vorwärts und 
glüclich an s Ufer gebracht Hätte, Wei dem Herüberbringen des Ge: 
packs durch daB Hafenthor, hinter welchem der Wagen fland, der und 
nach Gamerlata Hinaufführen follte, kamen wie gewöhnlich noch aller 
Yei Wortwechſel zwiſchen den verfchiedenen Facchini vor, biegrößtentheils 
mit einem folchen Aufwand vor hejtigen Redensarten und wilden Pan- 
tomimen gefüjct werden bafı ber Fremde jeben Augenblidt glaubt, jeht 
würden bie Meffer gezogen und es gebe ein blutiges und allgemeines 
Handgemenge; aber nichts von allem dem — plößlich ift ber Streit 
zu Ende, bie Parteien klopfen ſich auf bie Schulter, ala wenn gar 
nichts vorgefallen wäre, unb Jedermann geht beruhigt feinen Weg. 

Como ift eine vecht freundliche Stadt mit Hohen fleinernen Gäu: 


26 Erſtes Rapitel. 


fern, von denen viele bei ung für Paläfte gelten würden; die Straßen 
find vortrefflich gepflaftert und haben für die Räder der Wagen zwei 
ſchmale Streifen von harten Steinen, durch welche das Fahren fanft und 
gerauſchlos gemacht wird. Aufeinem Plag ſteht bie Statue Volta's, in 
weißem Marmor auögeführt. An freundlichen, mit Bäumen bepflanzten 
Spaziergängen um bie Stadt fehlt es nicht; boch wird, feit bie Eifen- 
bahn eröffnet ift, ber breite und gut unterhaltene Weg nach Gamerlata 
hinauf für Fußgänger, Reiter und Fahrende am meiften benütt. Mur 
braucht eine gute halbe Stunde, um von der Stadt auf ben Bahnhof 
zu fahren, genießt aber, während man langfam aufwärts fleigt, eine 
ſchone Ausficht auf die umliegenden Schlöffer und Villen, ſowie auf 
einen Xheil bed Sees. Die Einrichtung ber Wagen auf diefer Eifen- 
bahn ift nach dem amerilaniſchen Syftem; alle find bedeckt, bie erſte 
Alaſſe ehr elegant, und auch die zweite anftändig genug eingerichtet 
mit ſhwarzledernen Sißliffen und gepolfterter Rüdlehne. Das Fahren 
dagegen geht ziemlich langſam von ftatten, obgleich die Stationen weit 
von einander entfernt find, und man bie Mafchinen tüchtig fönnte aus⸗ 
laufen laſſen. Es dunfelte bereit, ala wir abfuhren, Doch verloren wir 
dadurch bei ber befannten Einförmigteit ber lombardiſchen Ebene wicht 
viel; rechts und links hat man nichts wie flache Felder mit Maulbeerbäus 
menbepflanzt, an denen fich Reben in langen Gewinden emporjchlingen. 
Die einzelnen Stationen waren belebt durch zahlreiche Aus · und 
Einfteigenbe und die Höfe derſelben beleuchtet durch lodernde Pechpfan ⸗ 
nen, die ihren rothlichen zitternden Schein auf bie neugierigen Gefichter 
der Mitfahrenben warfen, die bei jedem Anhalten in großer Anzahl 
die Köpfe zu den Wagenfenftern hinausſtreckten. Einen wahrhaft müß- 
ſamen Dienft haben bei den Fahrten hier bie öfterreichifchen Poligeis 
beamten, twelche durch alle Wägen gehen und fich von den Reifenden 
bie Päffe erbitten, wofür man einen Empfangſchein erhält; doch ver- 
fahren fie dabei mit ber größten Artigkeit, und man ift durch dieſe 
Maßregel viel weniger geplagt als früher, wo man oft Tange Zeit 
gendthigt war, unter ben Thoren der Stabt ſtill zu Halten, 


Nach Italien. 27 


Wir erreichten Mailand gegen 7 Uhr, und wurden in einem 
eigenen Wagen nach bem Poftgebäude gebracht, Bier aber Durch einen 
furchtbaren Regenguß noch eine Zeitlang feftgehalten, denn Mailand, 
obgleich eine fo elegante und in vielfadjer Beziehung fo wohl ein- 
gerichtete Stadt, entbehrt immer noch eines geregelten Yinterfüftems; 
weber für Geld noch gute Worte war ein Wagen zu befommen, und, 
um nicht vielleicht bis in die jpäte Nacht hier figen zu bleiben, muß⸗ 
ten wir die Regenjchirme auspaden; ich war genöthigt, meinen jüng- 
ften Sohn auf den Rüden zu nehmen, den anderen in meinen ſchon 
vielfach gepriefenen Regenmantel zu wideln, und fo hielten wir 
unſern Ginzug in das Hotel Reichmann, wo wir aber bei freundlichem 
und herzlicgem Empfang die Mühfeligteiten der biäherigen Reife bald 
vergaßen. Der deutſche Reifende befindet ſich überhaupt bei Herrn 
Reichmann wie zu Haufe; obgleich Gaſthof erften Rangs, kann 
man hier ein ftilles, behagliches Familienleben führen; bie ganze 
Dienerſchaft ſpricht deutſch, die vortreffliche Küche erinnert an die 
Heimath, und dad herzliche Entgegentommen des Herrn Reimann, 
ſowie feiner liebenswürdigen Mutter, erleichtert bem Reifenden jeben 
Verlehr, und läßt ihn nicht fühlen, daf er in ber Fremde ifl. 





Zweites Kapitel. 
Yon Mailand nad) Florenz. 


Mailand. Die Bila reale. Grinnerungen an Bater Radekfy und fein Haupt: 

quartier. Ballet in der Gcala. Der Kurier nach Genua. Räubergeſchichten. 

Eine Regennacht. Das Meer!! Genus. Guardia civia. Gtraßenlieder. 

Die italienifhen Eeedampfer und ihre Beripregungen. Sonntag in Livorno. 
Autunft in Florenz. 


Mailand Hatte ich feit den wichtigen Greigniffen bes Jahrs 1849 
nicht mehr gejeßen. Damals war Miles voll Militär, in den Straßen 


28 Zweites Kapitel, 


begegnete man auf Schritt und Tritt Offizieren jeder Waffengattung, 
wogegen bie Bürger ſich mehr bei fid) und zu Haufe hieilen Heute 
fand ic) das ganz anders, faft nur anf den Wachen und Poften jah 
man öfterreichifche Soldaten, und man konnte durch mehrere Straßen 
gehen, ehe man einem Offizier in weißer Uniform begegnete, wogegen 
mir ber fonftige Straßenverfeht lebhaft und geräufchvoll, wie in früßern 
Zeiten erſchien. Gewiß ift, daß das mahnfinnige und verbrechesifche 
Unternehmen des 6. Februar 1853 nichts weiter zurücgelafien hat, als 
eine tiefe Gntrüftung der ganzen Bevölkerung gegen die Anftifter des⸗ 
felben, bie, wie ſchon fo oft, Hinter den Coutiffen fpielten und, ſelbſt 
ungeſehen, ihre armen verblendeten Alteurs nad} mißlungenem Attentat 
ihrem traurigen, wenn auch verdienten Schickſal überließen. Eine Vor— 
fichtsmaßregel gegen abermalige Ueberfaͤlle einzelner Individuen auf bie 
taiſerlichen Wachen beſteht darin, daß man bie Poſten vor dem Ge: 
wehr mit eiſernen Gittern umgeben hat, hinter welche ſich im Nothfall 
die ganze Wache zurückziehen kann; eine Einrichtung, bie auch in Paris 
ſchon feit vielen Fahren befteht. Das einzige militärtiche Sehaufpiel, 
welches man in diefem Augenblicke in Mailand ſehen konnte, beftand 
täglich um 1 Uhr in dem Aufziehen dev Wache vor der kaiſerlichen 
Burg, wobei eine der vortrefflichen Mufitbanden auf dem Domplape 
ſpielte. Zahlreiche Menfcenmaffen fanden fich meiſtens dabei ein, und 
lauſchten mit fichtlichem Behagen ben mächtigen Klängen, bie, an bem 
foloffalen Dom wiberhallend, über den weiten Pla dahinbrausten. 

Einer meiner exften Gänge war nach ber Billa reale, bem 
damaligen Hauptquartier des Feldmarſchalls, wo ich fo viel Ans 
genehmeß, ja Großes erfahren und gejehen, Lebhaft erinnere ich mich 
jener Zeit, als ich ben Gorfo Hinabging, und num links auf den 
mit Bäumen befepten Pla einbog, der an den Garten des Palaftes 
grenzt und fich 6i8 zum Cingang deffelben erftredt. Wie Iebpaft 
war es damals Hier, welches Getühl von Offizieren aller Waffen, 
zu Pferd, zu Fuß und zu Wagen, bie aus dem Hauptquartier kamen 
und dorthin gingen; Freunde und Belannte aus entfernten Garnis 





Bon Mailand nad Florenz. 29 


fonen, bie ſich Lange nicht gefehen, und bie ſich nun eilig im Vor— 
übergehen ein freunblicies Wort zuriefen oder flüchtig bie Hand 
Tegüttelten — auf Wiederjehen morgen, übermorgen — draußen wenn's 
Tosgeht — Vschau — Ieb wohl — und dahin eilten alsdann bie 
jugendlich kräftigen Geftalten, um ſich vielleicht wenige Zeit nachher 
mit dem Orden geſchmückt wieberzufehen — oder auch vielleicht nie 
wieber. Bort unter den Bäumen hielten beftänbig Ordonnanzen, 
Hufaren oder Staböbragoner hoch zu Pferde, ober abgefefien fich 
an ben Sattel Iehnend; und wenn man näher zur Billa reale kam, 
wie lebendig und beivegt wurde e8 da, wie ritt und ging es ab 
und zu; am Eingangsthor ſah man meiftens bie hohen Geftalten 
ber Grenabiere mit den ſchwarzen Bärenmügen über den ernften 
braunen Gefichtern; Gewehr im Arm fchritten fie auf und ab, oder 
ſahen neben einander auf hölzernen Bänken am Thor. Mittags 
fpielte fteiß eine Mufikbande im Hof, unb dabei gab man feinem 
militärifchen Freunde ein Rendezvous, man plauberte mit einander, 
man achte, man fpazierte auf und ab luſtig und guter Dinge, bis 
fi) Hinten im Hof bie gewiſſe Thüre öffnete und ber eine Dann 
Heraußtzat, bie Hände auf bem Rüden, eiwas bornübergebeugt mit 
dem fo Lieben und freundlichen Angeficht; da ſchwiegen ploͤtzlich 
affe Geſprache, bie Suftinanbelnben flanben ftill, bie Gruppen Löften 
fich auf, und jeder Säbel, ehrerbietig an bie Seite genommen, ftieß 
irrend anf das Pflafter, und in jeber Bruft regte fidh ein eigenes 
Gefühl, es war, als müffe man ben alten Marſchall, fo oft er 
erfcheine, mit einem Lauten, jubelnden Lebehoch empfangen. 

Das Alles dachte ich, ald ich vom Corſo auf jenen Pla mit 
ben Bäumen einbog, ber jeßt jo lautlos und ohne Beben dalag, ein 
leiſer Lufthauch raufchte durch die Blätter, und ſchien mit mir von 
vergangenen Zeiten plaubern zu wollen; außer mix ging Niemand 
unter den Bäumen; das Ohr vernahm nicht mehr das Wiehern 
eines Pferdes, nicht mehr das Klirren eines Säbels — kein fremde 
liches Begeitfungstoort — Alles, Ale ftiNl und einfam; vor dem 
Shore des Palaſtes ſchleuderte ein einzelner Wachtpoften-auf und 


30 Zweites Kapitel. 


ab, im Hofe brütete die Sonne, und war hier nichts zu erwecken, 
als ein melandoliiches Echo ber eigenen Schritte; die Thären 
waren verſchlofſen, bie Fenſter verhängt, umb erft nach Langem Suchen 
gelang e3 mir, einen Portier aufzufinden, ber mich gähnend verficherte, 
das Innere der Billa fei verſchlofſen, und er Habe feine Erlaubniß, 
die Zimmer zu öffnen. So war es mir alfo nicht vergömmt, jene 
Gemächer noch einmal zu betreten, wo ich das Glüd Hatte, bem 
Marſchall vorgeftellt zu twerben, wo ich Die Generale Heß und Schön: 
Hals kennen gelernt Hatte, wo ich durch meinen eblen und lieben Freund 
ben unergehlichen Grafen Guſtav Reipperg, den leider ber Tod hin⸗ 
weggerafft, eingeführt wurde — — wo wir fo Heiter dinirten, und 
two Abjutanten und Orbonnanzen, die jungen tapfern Kiebihe bes 
Marſchalls, ihr heiteres Weſen trieben. Ja, nicht einmal hinein: 
blicken durfte ich in die unteren Räume, wo fich bie Kanzleien bes 
fanden, aus denen ic} fo manchen unfterblichen Bericht ſchrieb, wo 
Oberft Eberhardt den freunblichften Wirth machte, und wo und der 
Erſtürmer ber Billa rotunda, ber tapfere General v. Reiſchach, den 
Hölifchen Proteus erflärte. Sie find vor der Hand dahin, jene 
Zeiten, und ich empfand es an biefem Morgen recht jchmerzlich, 
von al’ den Yieben Bekannten und freunden, bie einftens hier 
beifammen, num weit auseinander zerftreut leben, nicht einen ein 
zigen mehr zu finden. Wem aber von Allen diefe Zeilen zu Ge 
ficht kommen, der möge fie als einen herzlichen Gruß von mir 
annehmen und als ein Zeichen, daß ich ber damaligen Tage ſtets 
in Freundſchaft und Dankbarkeit gebenfe. 

Nur der Eintritt in ben Garten ber Villa reale wurde mir ger 
fattet, und ich machte mir das traurige Vergnügen, eine Biertelftunbe 
in ben jebt fo einfamen Gängen herumzuſpazieren. Auch auf biefer 
Seite des Palaftes waren Läden und Thüren feſt verfchloffen, und an 
ben Zimmern des Marſchalls hingen bie weiß und gelben Vorhänge 
vor den Fenſtern herab. Dort ftand er fo gern und ſchaute hinab auf 
den grünen Rafenpla bor der breiten Treppe, auf bie ruhige Fläche 
des kleinen Sees mit feiner Infel und feinem Tempel. Damals kam 


Bon Mailand nad Florenz. 3 


das Frühjahr, über Nacht waren die Knoſpen aufgefprungen, und bie 
tahlen Aefte von geftern zeigten fich heute zart und friſch belaubt — 
jeßt war es auch Hier Herbſt getvorben, Bäume und Bäche Hatten fich 
gelb und roth gefärbt, und ſchon beberkten herabgefallene Blätter den 
Boben, obgleich die Sonne wie an jenem Tage glänzend und klar auf 
Palaft und Garten Hernieberfah. Glüclicherweife entbedtte ich hier 
uoch zu guter Letzt ein paar alte Bekannte, doch war es unmöglich, 
ſich mit ihnen zu verftändigen: zwei geoße Schwäne nemlich, die ſchon 
zu jener Zeit bier gehaust, ſchwammen heute noch eben fo ftolz und 
ſchweigſam auf den Fluthen des Sees umher; fie hatten ihre Köpfe 
hoch erhoben und würbigten meinen freundlichen Zuruf feines Blickes. 
Bon Mailand weiß ich in der That fonft nicht viel zu berichten ; 
nur will ich mix noch erlauben, ein paar Worte über die Scala 
zu jagen, wo ich einer Aufführung von Oper und Ballet beiwohnte. 
Das weite unermeßliche Haus ift im Innern etwas reſtaurirt wor⸗ 
den und erſcheint glänzend und prachtvoll wie immer; es ift eigentlich 
au groß in allen feinen Verhältniffen, denn wenn man ſich nicht 
nabe bei ber Bühne befindet, fo geht für den Zufchauer nicht allein 
alle Mimit verloren, die namentlich zum Berftänbnik eines Ballets 
fo nothwendig ift, fondern bie Figuren der Darfteller ſchrumpſen 
ſcheinbar fo zufammen, daß man fi} oftmald der Idee nicht er⸗ 
wehren Tann, man habe e8 mit ſehr künſtlichen Marionetten zu thun. 
Tas Parterre war am heutigen Abend recht gut beſeht, bie 
Sie defielben faft alle befeßt, und in dem weiter zurückgelegenen über- 
großen Stehplaß wogte eine große Menſchenmafſe wie gewöhnlich hin 
und her. Man kam, man ging; bier wird geplandert, dort gelacht, 
am dieſer Seite ſprechen Einige laut und ungenirt über Sänger 
und Sängerinnen, während an einer anderen Stelle fich eine Gruppe 
mit nicht leiſerer Stimme über bie Ereigniffe bes Tages unterhält; 
auch bie Melodien ber Oper werben bon einzelnen Enthufiaſten mit» 
gelungen, wogegen Andere durch ein kräftiges Ziſchen zur Stille 
auffordern, um felbft gleich darauf bie Aufmerkjamteit ihrer Nach: 
barn durch ein überlaute® bene oder bravo auf fi) zu aiehen. 


82 Zweites Kapitel, 


Zuweilen werben biefe Ausrufungen von Andern durch Hände 
Hatfchen begleitet, noch öfter aber rufen fie ein wahres Hohngelächter 
hervor: fo fummt und wogt es im Parterre durcheinander, und 
wenn man bie Augen von ber Bühne ab und feſt darauf hinwen⸗ 
bet, fo könnte man glauben, man befinde fi) auf ber Gallerie 
irgend einer Börfe ober fonft eines Ortes des öffentlichen Verlehrs. 
Auch bie Logen fand ich befeter, als in den früheren Jahren, und 
wenn auch noch hie und da in ben erften Rängen manche ſchwarze 
Züce Mlafft, fo glänzen doch wieder von allen Geiten bie ſchonen 
Augen ber Mailänderinnen, elegante Zoiletten und weiße Arme 
und Schultern hervor unter Spigen, künſtlichen Blumen und Bril- 
Yanten. Auch hier wird viel geplaubert und gelacht, Lippen und Fächer 
find in ber emfigflen Bewegung, und dies allgemeine Leben if um 
fo verfchiebenaxtiger und blenbenber, als bie Aufmertfamteit Aller 
nicht nach der Bühne gerichtet ift, ſondern jede Loge einen kleinen 
geſellſchaftlichen Kreis bildet, ber für fich Handelt, denkt und plaudert. | 
Bekanntlich find ja in allen italieniſchen Theatern die Bogen durch 
fefte Wände don einander getrennt; man befindet fich wie in einem 
Heinen Salon; drei, höchſtens vier Perfonen Haben in einer ſchon 
großen Loge kaum Pla an der Brüflung; bie anberen fipen neben: 
einander auf ben Fleinen Divans an den Wänden, und nur, wenn | 
ettooß Defonberes auf Der Bühne vorgeft, brämgt fi Ale dor, um | 
hinauszuſchauen; woher e8 denn oft fommt, daß das Haus, welches 
jet von unten geſehen ziemlich leer erſcheint, im nachſten Augenbliet 
Zaufende von Gefichtern zeigt, bie ſich überall neugierig hervor⸗ 
drängen. Es gehört bier in Stalien ſehr zum guten Ton, bie Logen 
ber Häufer, wo man eingeführt ift, wenn auch nur auf kurze Zeit, 
doch fleihig zu beſuchen, und es wird fr eben fo unhöflich gehal- 
ten, fich hier längere Zeit nicht ſehen zu laſſen, als wenn man es 
vernachlaßigte, die gewöhnlichen Befuche im Haufe ſelbſt zu machen. 

Plöglich aber ändert die Muftt Tempo und Tonart; e& tritt ein 
beliebter Sänger, eine geſchatzte Sängerin auf, und alles Geſpräch ver- 
ſtummi. Lautlofe Stille liegt über dem ganzen Haufe, worin bad 


Bon Mailand na Florenz. 33 


Parterre mit gutem Beifpiel borangeht; bie Damen in ben Logen 
beugen ſich über die Brüftung, Augen und Lippen find regungalos, 
felöft das fofette Spiel mit dem Fächer Hört auf. Man Yann ſig 
benten, daß ber Kllinftler, für diefe allgemeine Aufmerkfamteit dank— 
bar, fein Möglichftes thut; er fingt vortrefflich und überſchültet das 
Publikum mit den weichen italienifchen Melodien, bie, hier ger 
Jungen, fo zu Herzen gehen; ex ift fich feines Gieges im Voraus 
bewußht und fleigert fich dehhalb zur Höchften Kraft und Anftrengung 
— jest Hat er geendet, und ein wüthender Beifallsſturm bricht Los; 
man tobt, man ſchreit, man ift außer ſich; das Parterre Leiftet das 
Uebermögliche im Spektatelmachen; jede Dame in ihrer Loge hört 
von ben anweſenden Herren mit einer wahren Wonne bie entzüdten 
Ausrufungen über ben Sänger, als wären ba ebenjo viele Kom⸗ 
plimente über fie felbft und ihre fchönen Augen. Aber num ift 
das Feuerwerl verpufft und die ſprühenden Raketen von foeben 
laſſen bie Nacht um fo finftexer erſcheinen; Alles wendet ſich zu 
feinen Nachbarn, und mag weiter auf der Bühne geſchehen, was 
da will, Niemand fehenkt dem ferner bie geringfte Aufmerkfamteit, 

Man gab am heutigen Abend Ernani, Verdi's alte auöges 
fungene Oper, mit ziemlich mittelmäßigen Kräften, wie überhaupt 
bie gegenwärtige Stagione, was ben Geſang anbelangt, ziemlich 
ſchlecht beftellt ift; der erfle Alt ging denn auch ziemlich ſpurlos 
vorüber und das Publikum that, als gefchehe auf ber Bühne gar 
nichts, bie meiften Zuſchauer ſchienen nur bes Ballets wegen ger 
tommen zu fein, und als die Mufit defielben anfing, wurde es 
ſchon bedeutend ſtiller im Haufe. Die Ballete der Scala waren 
von jeher berühmt, ſowohl wegen ihrer Kompofition, mehr aber 
noch wegen ber Pracht der Dekorationen, ber Koftüme des zahlreichen 
und gut eingeübten Balletcorps unb der großen Tänzerinnen, welche 
in Mailand ihren Ruf begründeten. Früher konnte Hier feine Sta 
gione glänzend fein ohne Namen wie bie der Taglione, der Eller, 
ber Gerito, ober wie fie Alle heißen mögen. Das Heutige Ballet 

Hadländer's Werte XXI. 8 


ri 


34 Zweites Kapitel, 


hieß »Un fallo -- Ein Fehltritt“; es war eine venezlaniſche Ger 
ſchichte, deren Knoten ſich auf einem prachtvollen Maskenball ſchürzt : 
Ein reicher und ebler Venezianer, der dieſes Zeit in feinem Palaft 
veranftaltet, wird nach demfelben von einem falfchen Freund auf bie 
Gallerie geführt, two ex fieht, wie feine dem Libretto nach übri— 
gens tugenbhafte Grau einem Liebhaber, ben fie abgewieſen, ein Anz 
denken biefer traurigen Stunde gibt. Seine Wuth erwacht und es ift 
wahrhaft grauenhaft mit anzufehen, wie er nach dem Takte der Mufik 
mit verzerrten Zügen in gräßlichfter Eiferſucht über bie Bühne 
ſchreitet. Einige ſechzig Tänzer und Tänzerinnen im Hintergrunde ver= 
wundern fi} à tempo darüber und während die Männer zu gleicher 
‚Zeit bie Hände erheben und mit ben Köpfen wackeln, was in der Ballet⸗ 
: „etwas Fürchterliches geſchah, tanzen die Damen 
‚Yaßt un eilen, die Herrin zu benachrichtigen.“ 
Darauf folgt im zweiten Att eine häusliche Scene mit Hänberingen 
und Thränen von Seite der Frau, ſowie vielem Fußgeftampfe von 
Seite bes Gemahls, worauf fich letzterer im dritten Alte entſchließt 
ber Sache ein Kurzes Ende zu machen, und ex feinen Nebenbuhler er= 
dolcht. Unglüdlicherweife aber Hält ein Teichtfinniger armer Teufel 
in derſelben Straße ein Rendezvous, ftolpert, als ex nach Haufe gehen 
will, über den Ermordelen und wird ergriffen und eingeftedt. Vierter 
At: Großes Gericht im Saal des Dogenpalaftes mit auferorbentlicher 
Pracht; ber unglüdlice junge Menfch wird zum Tode verurtheilt; 
fein Richter, jener venezianifche Nobile, ber wirkliche Mörder, Hilft 
den Unglüdlichen verdammen; ba erfcheint der falſche Freund aus bem 
erſten Alt wieder, und während Hinten die Rathsherren und Gerichts: 
beifiher viel mit ihren Armen und Beinen umherſchlenkern, fagt jener 
vorn zum Nobile: Du — nimm dich — in Acht — meine Augen — 
Tahen, daß Dur — ihm erbolchteft — retle ihn — oder mich ſoll ber 
Zeufel Holen, wenn ich deinen Kollegen nicht Alles erzähle, Der Ber- 
brecher ftürzt zerlnirſcht von ber Bühne, und im fünften Alt jehen wir 
eine Ländliche Scene, vielleicht den Öffentlichen Garten bei Benebig, wo 





Don Mailand nah Florenz. 35 


daB ganze Balletcorps fich bemüht, tangend feinen Schmerz an ben Tag 
zu legen, daß der arme junge Menfch, den fie Alle kennen, verurtheilt 
ift. — Paulenwirbel und Trompetengeſchmetter — da erfcheint nicht 
der Henter oder fein Opfer, fondern — um durch's Angenehme das 
Traurige zu verfüßen, die liebliche Maywood, eine ber gragiöfeften Tün⸗ 
zerinnen, welche es in diefem Augenblick gibt, und tanzt ein fo reizendes 
pas de deux, daß man die Augen fliehen und fie Tange nicht mehr 
öffnen möchte. Im ſechsten Alt endlich find wir während ber Nacht auf 
ber Piazzetta, eine der prachtvollſten Dekorationen, die ich Lange ger 
jeden. Weit hinten Ieuchtet bag Meer im Mondſchein, glänzend erhelfte 
Gonbeln fahren vorüber, während der Dogenpalaft und die Procuras 
zien im Licht Taufender von Sampen ſtrahlen. Der arme Verbrecher 
wird zum Tod geführt, aber hinter ihm Her kommt das befannte weiße 
Tuch, Hundertzwanzig Arme und Beine tanzen Gnade! Gnade! mar 
ſtürzt einander in die Arme, die Geliebte des jungen Menfchen, die wir 
dom Rendezvous her fennen, wird Herbeigeführt — ungeheurer Jubel; 
das Koloffale Orcheſter der Scala wird noch unterftüßt von einem zahl⸗ 
reichen Mufikcorps auf der Bühne, bacchantifche Lufl ſchallt rings ums 
her, die Bewegungen der Tänzerinnen werden in ihrer Herzensfreude 
immer wilder und ausſchweifender, und, um mic) eines Befannten 
Ausdrucks zu bedienen, fieht man, ehe der Vorhang fällt, bei einer 
Tegten verzweifelten Anſtrengung nicht? ala Himmel und Tricot. 
Es gibt gewiſſe Zeitungen, die fih ein Vergnügen daraus zu 
machen feinen, ihren Leſern einen möglichft ſchlechten Begriff von 
der Sicherheit italienifcher Landſtraßen beizubringen, Namentlich 
erzählt man viel von Näubereien in ber Lombardei, ja ähnlichen 
Sachen, die fid dicht vor den Thoren Mailands zugetragen, Ich 
hatte mir einige dergleichen Yacta gemerkt, um mich an Ort und 
Stelle darnach zu erkundigen, fand aber faft Alles übertrieben, und 
die größte Räubergefähichte ſchrumpfte, in ber Nähe beichen, zu 
einem unbebeutenden Greigniß zufammen. Auch über die Straße 
von Mailand nach Genua wurde mir ſchon zu Haufe in diefer 


36 Zweites Kapitel, 


Richtung manch Nebles gefagt, und auch hier füllte eine Stunde 
nach dem Ave Maria, alfo bei anbrechender Dunkelheit, mand; Un- 
Heimliches vorgefallen fein; doch wußte in Mailand auch davon 
Niemand ein Wort und man verficherte mich, Diligeneen und Ku— 
tiere ſeien feit undenklichen Zeiten nicht mehr beläftigt worden. 

Um von hier nach Genua zu gelangen, Tann man ſich dieſer 
beiden Transportmittel bebienen; bie Diligencen gehen etwas lang⸗ 
famer, often dafür auch weniger, doch find die Wagen nicht jo 
bequem, wie die des Kuriers, welcher ſich eine kaiſerl. königl. öfter- 
reichiſche und konigl. ſardiniſche Anftalt nennt, auch die Wappen 
beiber Reiche praftitabel mit fi) führt, denn wenn man den Ticino 
Überfepritten Hat, verſchwindel ber Doppelabler bom Wagenſchlag und 
das weiße Kreuz nimmt feine Stelle ein. Man muß die Pläge für den 
Kurier ein paar Tage vorher beftellen, da ber Zubrang von Reiſenden 
beftändig ſehr groß ift und hier, wie in ganz Italien, keine Beiwagen 
gegeben werden. Der Kurier Hat im Coupe aufer dem Platz für dert 
Kondukteur noch zwei andere und im Innern acht Plähe, drei 
vorwarts, drei rückwärts, und zwei Seſſel, Poldrone genannt, an 
den Wagenſchlagen. 

An dem Tag, wo wir abfuhren, war ber Kurier ebenfalls 
vollftändig beſetzt und ſchwer mit Gepäd beladen, auch außerdem 
beſchwert mit einigen dreißig umfangreichen Gelbpateten: eine herr⸗ 
liche Gelegenheit für irgend einen Räuberchef, wenn ein folder 
dageweſen wäre ober es gewußt Hätte, in dem all aber aud) viel- 
leicht für und ein gutes Ableitungsmittel. 

Sämmtliche Eiltwagen werben Hier in Italien immer noch, wie 
auch bei und in früßern Zeiten, vom Sattel aus geführt, dazu hat 
jebe3 paar Pferde feinen Poſtillon, weßhalb es auch nie ſehr raſch 
vorwärts geht; bie Sattelpferbe Können bei bem Zug nicht viel mit» 
wirken, ba jebes gemig an dem langbeinigen Schlingel zu ſchleppen 
Hat, ber, bie Arme Hin» und herwerfend, auf dem Sattel ſiht und 
bei jeder Veranlaffung, namentlich in ben Städten, unfinnig mit 


Bon Mailand nad) Florenz 37 


feiner Peitſche knalll. Durch bie ſchönen und glatten Straßen Mais 
lands fuhren wir ziemlich raſch und freuten und, baf der Kurier 
auf diefe Art im Stand fein werde, feine Fahrzeit nach Genua von 
16 Stunden einzuhalten. Kaum aber Hatten wir das Thor Hinter ung, 
fo verfiel er in ein ſehr langſames Tempo, und ber Kondukteur Sprach 
achſelzuckend von der Strada cattiva. Es ift das ein Lieblingswort 
der italienifchen Poftillone, und ich Hab’ es hören müffen bei fchönem 
und ſchlechtem Weg, bei Schmuß ober Staub, bei Regen und Son⸗ 
nenſchein. Die Straße war allerdings von dem vielen Regen ber 
vergangenen Woche etwas burchtweicht, doch hätten ſich daraus z. B. 
die fünf Fräftigen Pferbe ber efemaligen franzöfifchen Mallepoſt nichts 
gemacht, «hier aber Hatten wir ſechs italienifche Roffe, ſchwache 
Thiere, von dürftigem Körper, mit mangelhaften Geſchirr. 

Die Straße nach Pavia ift ſchön, breit, aber langweilig; fie 
Yäuft beftändig an dem Ufer des Kanals Hin, welcher ben Ticino 
mit bem Po verbindet und auf welchem man bie und da eines der 
flachen ſchwarzen Bote fieht, die uns, von Pferden oder Maulthieren 
gezogen, begegnen ober in ben zahlreichen Schleußen auf: und ab- 
Reigen. Rechts und Links ift bie Äusficht auf das flache Land durch 
Bäume und Rebengewinde verdeckt und nur zumeilen blidt mar 
auf bie enblofen Felder hinaus, fieht dort ebenfalls endloſe Baum⸗ 
zeihen, tiefe Waffergräben oder junge Reisfelder, deren friſches Grün 
aus dem ſchlammigen und naffen Boben, der zu feinem Wachslhum 
nothwendig, eben erſt hervorgebrochen ift. 

In Pavia erwachten wieder Kriegserinnerungen auf das Leb- 
hafleſte in mir, als wir durch die engen und ſteilen Straßen gegen 
den Ticino hinabfuhren. Dort auf dem Balkon jenes Echauſes 
fand der Marſchall und ließ die Truppen am fidh vorüberdefiliven, 
unten im Haufe in dem großen Thorbogen fanden wir faft ben 
ganzen Tag des zwanzigſten Märzen und wechſelten mit den luſtig 
Dorüberziehenden Gruß und Handſchlag. Drunten auf dem Fluß, 
behauptete die alte fteinerne Brüde Heute wieder bie Herrſchaft allein, 


38 Zweites Kapitel, 


Gott weiß, wie ihre beiden Yeichten Schweftern von damals ſich 
jeßt befinden und in welch finfterm Magazin die armen Pontons 
num kräumen mögen von jenen ſchönen Zagen, wo fie ſtolz darauf 
waren, bie öfterreichifche Armee tragen zu dürfen, Die unter Jubel- 
zuf und beim ang der Mufit an das jenfeitige Ufer zog. 

In Gravellona ift die piemontefifche Grenze und dort wurden 
unfere Effekten auf eine, ich muß geflehen, ſehr nachfichtige und 
Höfliche Art durchſucht. Auf dem Poftfhein, den man in Mailand 
für den Kurier erhält, ficht die Bemerkung: „der Wagen Hält 
weder zum Souper, noch zum Diner, wonach ſich der Reifende zu 
richten hat,“ was wir denn auch wie alle übrigen Paſſagiere ge— 
than und und mit Kalter Küche verfehen Hatten, bie wir in dem 
Dämmerlicht des finfenden, ſehr regneriſchen Tages verzehrten, Wir 
Hatten dazu alle Muße, denn der Kurier — Gott möge ihm dieſen 
prahleriſchen Namen vergeben! — ſchlich troß unferer ſechs Pferde 
und trotz dem Gefchrei und Peitſchengelnall unferer Roffelenker im 
Yangfamften Schritt durch tiefen Sand und Schmuß dahin, Ein 
Mailänder, der mit und im Wagen war, gab uns bie wenig kroſt⸗ 
reiche Verſicherung, wir würden, anftatt amandern Morgen um 8 Uhr, 
nicht dor Mittag oder gar wohl erſt im Laufe des Nachmittags 
in Genua anlommen; und der Mann hatte jehr wahr gefprochen. 
Zuweilen wurden bie Pferde zu einem gelinden Trab aufgemuntert, 
verfielen aber bald darauf wieder in ihren Schneckengang; ber 
Wagen war offenbar für ben ſchlechten Weg zu ſchwer beladen, 
dazu faen wir ziemlich dicht zufammengeprekt; meine beiben Heinen 
Kinder, benen ich am Boden von Nachtſäcken und Mänteln ein 
nothdürftiges Lager hergerichtet, erhoben zuweilen ein Klagegeſchrei 
und meinten ſchlaftrunken, ihr Bett ſei zu kurz und ſtände ja nicht 
einmal ſtille, weßhalb die Fahrt eine recht unerquickliche war. 

Bei völliger Nacht und dichtem Regen erreichten wir ben Po, 
der mit feinen ohnebieß flachen und melancholiſchen Sandufern dere 
gleichen Zugaben nicht beaucht, um trübfelig und, verbrießlich aus» 


Bon Mailand nad Florenz. "39 


zuſehen; weißlichgrau wie ein Nebelftreif floß ex unter ber knar⸗ 
zenden und ächzenden Schiffbrüde dahin und ſchien uns obendrein 
liebgewonnen zu haben und fefthalten zu wollen, denn am andern 
Ufer angekommen, klemmte ex die Räder unferes Wagens fo feft in 
feinem tiefen Sand ein, daß uns die müden Pferde nicht mehr von 
der Stelle brachten, und wir exft durch bie Kräftige Hand ber 
Brückenmannſchaft wieder flott werden konnten, Der Weg wurde 
don Station ju Station ſchlechter; Hinter Tortona kamen wir in eine 
wahre Felspartie, denn das Geftein, womit man bier bie Chauffee 
beichüttet Hatte, Konnte man nicht anders nennen: da lagen fauft- 
dicke Kiefel und Steinbrocken ſchuhhoch übereinander, und wenn 
wir zwölf der ftärfften Pferde vor dem Wagen gehabt hätten, fie 
wären nicht im Stande geweſen, ben ſchwer beladenen Kurier 
anders als im Schritt vorwärts zu ſchleppen. Glücklicherweiſe hat 
man auf der größten Strecke dieſes Weges Leine Berge zu paſſiren, 
und jo famen twir denn freilich flatt um Mitternacht doch ſchon 
Morgens um 4 Uhr nach Novi. Hier trennte fich einer unferer 
Reifegefellfchafter, obgleich ex wie wir bis Genua eingefchrieben 
war, bon una und den Grund zu biefem Verfahren erfuhr ich erſt 
ben andern Mittag. In Novi nämlich Treuzt die Eifenbahn von 
Turin nad Genma die Straße von Mailand; klugerweiſe blieb 
jener Herr Hier zurück, legte fich wahrſcheinlich in's Bett, ſchlief 
bis den andern Morgen um 9 Uhr, während wir fort und fort 
durch Moraft und Schlamm gefhüttelt wurden, und erreichte mit 
bem exften Zug zur felben Zeit wie wir Buffala, den vorläufigen 
Endpunkt ber Genuefer Bahn, wo er zahlreiche Omnibuffe fand, 
die ihn noch dor ung an’3 Ziel der Reife brachten, Aber 
Mit Gebuld und gt J 
Wird aus einem Naulbeerblatt ein Kleid, 


ſagte mir einmal ein würdiger Freund, ber viel im Beben erfahren, 
und ich fand den Grundſat ſelbſt auf unſere Fahrt, die über alle 
Beſchreibung mühfelig und langweilig war, anwendbar, Mit bem 


40 Zweites Kapitel, 


Grauen de3 Morgens wurde es freilich infoweit noch ſchlimmer, 
ala wir bei Arquata in bie Berge kamen und noch langſamer aufs 
wärts Tletterten; abwärts? ging es jeht zuweilen im Trabe, doch 
wat alsdann das Knirſchen der Räder auf der faft bodenlofen Kieſel- 
unterlage wahrhaft nervenerſchütternd; dazu verfolgten ung ſchon 
gleich nach Mitternacht ſchwere Gewitter, die fich mit unaufgörlichen 
Blitzen und fürchterlichen Regen über bie Straße entluden. Unſer 
umfichtiger Kondulteur hatte vieleicht auf das himmliſche Leuchten 
gerechnet, denn feine irdiſche Wagenlaterne war ihm aus Mangel 
an Del oder wegen fonftiger ſchlechter Befchaffenheit ſchon Hinter 
Novi faft ausgegangen und glimmte nur noch fo trübfelig fort, 
daß fie bei der ſtockfinſtern Nacht kaum im Stanbe war, ben Rüden 
bes Poſtillons an ber Deichjel und die Schtweife feiner Pferde zu bes 
Teuchten. In Arquata wurde uns erlaubt, ein Kleines Frübftäd 
zu und zu nehmen; doch war Kaffeehaus, Wirth, Geſchirr und 
Alles vollkommen zu der ganzen bisherigen Reife paſſend: ber 
Wirth, ein alter Mann, Hatte gewiß noch mie fo viele Gäfte auf 
einmal zu bedienen gehabt und fühlte fich diefer Aufgabe auch jo 
wenig gewachſen, ba ex fich in eine Ede zurückzog und uns bie 
ganze Wirthſchaft überlich. Da fein Vorrath an Milch ſehr gering 
war unb das Gange „zum Eintunfen“ in einigen harten Zwiebacken 
beftand, fo trennten wir und bald und ſchmerzlos von biefem une 
gaftlichen Haufe und ftiegen wieder in unfern Wagen, Damen und 
Kinder vermittelft einer Treppe, denn bie ſchlammbedeckte Haupt: 
firaße des Orts erſchien für zartere Füße grundlos, 

Durch ben Apenninen-Paß der Bocchetta führt eine prächtig 
angelegte Strafe, die auch für ung in fo weit beffex zu befahren 
war, als man noch feine Kieſelhaufen darauf ausgebreitet Hatte. 
Doch jandte und der Himmel beftändig neue Gewitter, deren Don: 
ner in den Bergen fürchterlich wiberhallte; bee Regen, der dabei 
in Strömen floß, überfluthete hie und ba die Strafe und ftürzte, 
angefammelt auf allen Seiten, in fchäumenben Waſſerfällen von ben 
Bergwänben herab. Dazu Bingen bie Wolfen tief Hernieder auf's 


Bon Mailand nah Florenz. 4 


Gebirg und nach jedem Gewitterſturm viefelte der Regen wohl noch 
eine gute Stunde fanft, aber unaufhörlich hinab, wehhalb wir den 
Wagen meiſtens verfchlofien Halten mußten, So teuchten bie Pferde 
mit uns in bie Berge bahin, und wir hatten gerade twieber einmal 
ein vecht faftiges Stück Weg zu paffiten, als plöplic neben uns 
auf ber mit der Straße faft in gleicher Höhe Legenden Eifenbahn 
der Zug von Novi leicht borüberrollte; es verurſachte un dieſer 
Anblick ein recht peinliches Gefühl, da wir, jo langſam und be: 
ſchwerlich vorwärts kommend, ben hübſchen und eleganten Convoi 
ſahen, wie bie leichten zierlichen Räder feiner Wagen auf ben glat- 
ten Schienen fo mühelos dahin glitten, 

Die Eifenbahn von Turin nach Genua war ihrer größern Strecke 
nach bereit3 fertig und verband erfigenannte Stadt über Aleffandria 
und Novi mit Buffala, einem Kleinen Ort, von welchem aus man 
Genua in etwa 4 Stunden mittelft Eiliwagen und Omnibus erreicht. 
Wenn auch biefe Bahr von ber Hauptftadt bes Landes aus bis nach 
Novi nicht viele Terrainfchtwierigkeiten zu überwinden Hatte, To 
braucht es dagegen in Wahrheit Toloffale Arbeiten, um durch bie 
Schluchten und Berge bes obengenannten Apenninenpafies zu bringen. 
Man kann biefe Strefe Weges mit ihren vielen Brüden, Tunnels, 
Curven und Einſchnitlen ber ung befannten von Yachen nach Lüttich 
an bie Seite ftellen; auch hier war eine Schwierigkeit nach der andern 
zu überwinden, und wenn man das oftmals ganz von Felſen ein 
geſchloffene Thal fieht, durch welches die Bahn fich einen Weg fuchen 
mußte, fo begreift man nicht, wie fie fich herauswinden würde; bei 
einer Biegung des Chauffee fieht man fie num aber ebenfalls wen⸗ 
ben, gerade auf die Landſtrahe zulommen und unter berjelben ver- 
ſchwinden, nachdem fie das Thal bes reißenden Bergwaffers auf 
einem koloffalen Viadult Leicht und gewandt überfchritten. Jenſeits 
ſeht fie nun ihren Weg in einem engern Seitenthal auf bie gleiche 
Art fort, bald an den Selfen Hingleitend, bald über einen Hohen 
Damm ziehend, und nachdem fie fich der Landſtraße abermals in 
einem großen Bogen genähext, ſcheint fie es abfichtlich vermeiden! zu 


42 Zweites Kapitel, 


wollen, unfern Weg abermald zu durchkreuzen, und bricht durch eine 
Felſenwand durch, worauf fie für längere Zeit unfern Bliden eul⸗ 
ſchwindet. Was man jo oberflächlich von dem Bahnkörper fieht, iſt 
außerordentlich folid, ja elegant gebaut; bie Biadukte und Brüden 
find aus Badfteinen mit Krönung und Verzierungen von grauem Saud⸗ 
ftein, in Formen umd Farbe angenehm und freundlich für das Auge, 

Bor Ronco hatten wir nochmals einen ziemlichen Kampf mit 
ber Straße zu beftehen; begegnende Fuhrleute jagten ung, weiter 
oberhalb Habe der Regen bie Chauffee zerrifien und es fei für unſern 
jchweren Wagen unmöglich, dort zu paffiren. Da wir aber wuh- 
ten, daß man hier zu Lande in dergleichen Dingen gern übertreibt, 
ſo fuhren wir getroften Muthes weiter und erreichten in Kurzer 
Zeit jene Strede. Dort waren ſchon eine Menge Menſchen beicäf- 
tigt, die Straße, welche allerdings ſehr gelitten hatte, wieder aus⸗ 
zubefſern, umd wir kamen denn auch glüdlich Hinüber, wobei der 
Wagen übrigens ftark Hin und Hex ſchwanlte und wir in etwas 
bebenkliche Nähe mit dem Rand der Chauffee famen, bie Hier in 
einer Höhe bon über 100 Fuß neben bem Flußbett Hinzieht. Bei 
Buffala trafen wir eine große Menge Eilwagen und Omnibuſſe, 
welche fich anfchiekten, die Paflagiere der Eifenbahn nach Genua zu 
bringen. Auch von hier ift dev Bahnkörper bereits beendigt und 
geößtentheils mit Schienen belegt; wie man mir fagte, ſoll die 
ganze Strecke von Turin nach Genua, reip. S. Pierr’ d’Arena, 
einer Vorſtadt Genua’, fon zu Anfang bed nächften Jahres ex- 
Öffnet werden. Bei Ponte Decimo hielt man gerade Probefahrten 
mit ein paar Lofomotiven, was bie Verwunderung eined großen 
Theils der Einwohnerſchaft in hohem Grad erregte; ja einige Weiber 
und ein paar Duhend Kinder fprangen fehreiend davon, als Die Lo— 
Tomotive ziſchend und braufend anfing, ſich in Bewegung zu ſehen. 
‚Hier im Thal des oft ſehr reißenden Fluſſes Polcevera fiel e8 mix 
auf, daß der Hohe Damm ber Eiſenbahn aus Yauter Flußkiefeln 
zuſammengeſchüttet war, und ich kann mir nicht gut benfen, wie ber- 
ſelbe bei nothwendig mangelnder Vegetation Haltbar' und ficher wird. 


Bon Mailand nad) Florenz. 4 


Bei Heiterem Himmel’ fieht man ſchon auf dev Höhe zwiſchen Buſ⸗ 
ſala und Ponte Decimo das Meer vor fich Liegen — tiefblau, weit hin: 
aus heller werdend und fich ſcheinbar mit dem Himmel vermifchend; 
heut aber Yagen biete Nebelmafien an den Rändern des Gebirgs und 
verfperrten alle Ausficht. Erſt in San Pierr' d’Arena ſah id) fie 
wieber, bie liebe gewaltige Fluth, nach der ich ſchon feit Stunden 
Tehmfüchtig ausgeſchaut. Die See ſchien verbriehlich und ihre im 
Widerſchein des trüben Himmels gelblich grau gefärbten Wogen be: 
wegten fich unmuthig hin und Her, ftiegen bald in die Höhe, ſanken bald 
tief Hinab und ftürmten zuweilen in einem Anfall von Wuth gegen 
das felfige Ufer, daß Waffer und Schaum hoch emporfprikte, 

Wie unfer Reifegefährte vorausgefagt, war es denn auch 4 Uhr 
geworden, ehe wir ben Pofthof in Genua erreichten, und e8 thut 
mir wahrhaftig leid, daß ich über meine dießmalige Fahrt von Mais 
land hierher nichts beſſeres zu berichten im Stande bin, denn ich 
Habe biefe an fich jo ſchöne Strafe ſchon einige Mal raſch und an— 
genehm durchzogen und Habe zu ihrer Rechtfertigung gerne gefagt, 
baß nur das Zuſammentreffen verſchiedener, für den Reifenden fo 
verbrieflicher Umſtände, als ſchlechtes Wetter und in Folge defielben 
ber grumblofe Boben, an unferer langen und langweiligen Fahrt ſchuld 
war. Sobald bie Eiſenbahn bis Genua eröffnet fein wird, thut mar 
übrigens, um nach Mailand zu gehen, viel beſſer, fie bis Novara 
zu benutzen — eine Fahrt von etwa 6 Stunden, um bon bort in 
4 Stunden die Hauptftabt ber Lombardei zu erreichen. 

Wenn man Beute über bie Straßen von Genua wandelt, fo fin- 
bet man in bem Leben auf benfelben, in ber Beweglichkeit der Maſſen, 
in bem regen Öffentlichen Verkehr gegen früher durchaus Feine Der: 
änderung; wie ehemals find bie engen, finftern, alle vom Hafen aufs 
wärt3 fleigenden Gaffen mit ihren himmelhohen dunkeln Häufern 
angefüllt mit Menfchen, Saftthieren und Wagen, bie fich in einer 
ewigen Unruhe begegnen, folgen, drängen und ftoßen. Uebrigens 
macht man hier wenig Umftände mit einander und wer nicht Augen 
und Oben offen Hat, ber kann leicht don einem dahereilenden Sack⸗ 


4 Zweites Kapitel. 


träger überranut ober unfanft von einem Zug Maulefel auf die 
Seite gebrüctt werden, bie oft zu ſechs bis acht dor einen ziweiräbrigen 
ſchweren Karren gefpamnt, mit vielem Geſchrei und tüchtigen Peitfegen | 
hieben vorwärts getrieben werben. Handel und Wandel, ber, wie in 
allen italienifchen Städten, auch hier offen anf der Strafe betrieben | 
wird, verengt biefelben noch mehr und trägt mit dem Geſchrei der Ber: | 
Täufer, dem Raffeln der Räder, dem Klopfen der Hämmer fein Gehöriges 
zu dem großartigen Spektakel bei, das ben Spaziergänger ganz ver⸗ | 
wirrt machen kann. Dabei entftrdmt jeder Bube, jeder Werfftatt ein 
eigentHümlicher Duft, und afl diefe Gerüche zufammengenommen 
bilden einen unausſprechlichen Parfüm, der nur ben italienifchen 
Städten eigen tft, und in welchem verbranntes ſchlechtes Fett, for 
wie verborbene Früchte einen Hauptbeftandtheil zu bilden ſcheinen. 
Die höher gelegenen und vornehmern Straßen, bie Strada ball, | 
Strada nuova unb mobiffima, Bilden zu bem Leben ber tiefer ger | 
legenen Stadtviertel einen ſtarken Kontraſt; Hier fieht man wenig 
dor der Bewegung ber Volksmaſſe, felten rollt eine ber wenigen 
Equipagen Genua’s über dies glatte und ſchöne Pflafter, nur ein⸗ 
zelue Spaziergänger fieht man hier, und das find meiſtens Fremde, 
bie betrachtend vor einem ber rieſenhaften Paläfte ftehen, aus benen 
namentlich bie Strada balbi faſt ganz beſteht. Hier herrſchte früher 
ber reiche Genueſer Adel, und wenn die Nachkommen beffelben auch 
noch heute bort wohnen, fo begnügen fie ſich mit. einer einzigen 
Zimmerreihe und Haben größtentheils weder Luft noch Mittel, 
Säle, Treppen und Höfe ihrer Paläfte, wie früher, mit zahlreicher 
Gäften und glänzender Dienerfchaft zu beleben, 
In ber Strada nuova herrſcht ein eiwas regerer Verkehr als 
in ber Strada balbi, denn hierdurch geht der Weg zu ben einzigen 
und wunderfhönen Spaziergängen Genua's, ber Acqua fola, einem 
zeigenben hochgelegenen Punkt, von welchem man bie ganze Stadt, 
ben Hafen mit feinen Seuchtthürmen und zahlreichen Schiffen, fo: 
wie das Meer weit hinaus überblickt. Kein Fremder, ber hieher 
Tommt, follte e8 verfäumen, bie an biejen Spaziergaug grengende 


Bon Mailand nah Florenz 45 


und noch etwas höhergelegene Billa Negri zu befuchen, deren freund» 
licher Beſiher Jedem den Eintritt gern geftattet, Leider hatten auch 
Hier bie Regengüffe ber vergangenen Woche arg gehaust und bie 
auf Zerraffen gelegenen Gärten ſtark mitgenommen; namentlich war 
ein beimliches Plähchen, wo man, aus dem Norden Tommenb, bie 
erſten Palmen im Freien wachſen fieht, ſehr beſchädigt und einer 
dieſer folgen Bäume ſelbſt zu Boden geriffen und zerfchmettert, 

Genua wird immer noch als eine Yeicht erregbare, ſtolze und 
unzufriedene Stadt gefchilbert, die Heute noch dor allen andern am 
lebhafteſten ihre traurigen Erinnerungen aus den Jahren 1848 und 
49 bewahrt, Für den oberflächlichen Beſchauer mag es ſchwer 
fein, hierüber zu urtheilen, doch muß ich geftehen, daß mir einiges, 
was ich Bier ſah umb Hörte, jeltfam auffiel. So wird der Wacht: 
dienft an einigen Poften noch immer von der Guardia civica ver— 
ſehen, bie, im gewöhnlichen bürgerlichen Anzug, oft mit einer Sol: 
datenmüße auf bem Kopf, Gewehr im Arm mit großer Würde und 
Selbfizufriebenheit auf: und abfpazierte; ferner ziehen am Tag, 
meiſtens aber des Abends, Bänkeljänger durch die Straßen, gewöhn- 
lich ein Mann und eine Fran, er mit einer Violine, fie mit einer 
Guitarre verfehen, und klimpern und prälubiren fo Lange, bis ſich 
ein ziemlicher Volkshaufe um fie verfammelt; dann geht ihr Spiel 
in eine melancholiſche Melodie über, bei welcher ber Mann die 
Stimme der Frau jelundirt, und fie fingen die Strophe eines Lies 
des, welches fie alsdann gedruckt zum Verkauf anbieten. Welchen 
Inhalts aber dieſe Gefänge find, kann man aus einer Kleinen 
Probe entnehmen, bie ich Hier mittheile; ich mußte das Lange unter 
meinem Fenſter mit anhören und meine Leſer Tönnen fich denken, 
daß es mir ein eigenthümliches Gefühl verurfachte, als fie fangen — 
„Der Berfagliere zieht in den Krieg": 

Per combatter gli Allemani, 
Che vantavan farei a brani; 


Ignorando la sua sorte 
Se inconstrasse o no la morte. 


46 Zweites Kapitel, 


Giunto in Italia 
E con mano sicura 
Batte i Tedeschi 
Senza nissuna paura. 


Taf täglich Hat man hier in Genua Gelegenfeit, zur See nad) 
Livorno zu fahren: außer ber englifcheorientalifchen Geſellſchaft, 
welche feit kurzer Zeit zweimal den Monat ihre geoken ſchnellen 
Schiffe, von Neapel nach Marfeille gehend, Hier anlegen läßt, gehen 
faft jeden Tag bie Fahrzeuge zweier andern Gefellſchaften, bie ber 
farbinifchen Kompagnie, mit guten, ziemlich großen Schiffen, fowie 
bie kleinen und ſchwachen Dampfer eines andern Vereins. Obgleid) 
die Fahrten auf ben lehtern etwas billiger find, fo werben fie doch 
von Fremden nur mit jeltenen Ausnahmen benupt, und man wartet 
lieber einen Tag, um mit den Bampfbooten ber farbinifchen Kom— 
pagnie gehen zu Tönnen. Ber Preis von Hier nad) Livorno iſt 
für eine Perfon auf ber erfien Klaffe 40 Francs, was für eine 
einzige Nacht ziemlich viel ift; indeffen laſſen die Agenten auf bem 
Bureau, namentlich wenn man mit Familie reift, mit fich handeln 
und gern von ber ganzen Summe 10 Prozent und auch noch mehr 
nad; doch muß man dies Verfahren kennen und feit darauf be- 
ſtehen. Für den Preis von 40 Fraucs ift die Velöftigung einbe- 
griffen; doch will das nicht biel heißen, denn bie meiften Reiſenden 
effen am Sand und legen fich gleich bei der Abfahrt auf Sopha 
und Betten, um der Seefrankeit zu entgehen. Wer aber troß dem 
Scaufeln des Meer? feinen guten Appetit behält und gem ein 
ſolides Nachteffen zu fich nimmt, auch am andern Morgen Kaffee 
mit Milch nicht verſchmäht, ohne noch extra hiefür bezahlen zu 
müffen, der verlaffe fich nicht auf die gedruckten Unpreifungen dieſer 
italienifchen Geſellſchaften, ſondern ertunbige fi) im Detail, was 
man zu erhalten und was man nicht zu erhalten Hat. So las 
man 3. B. auf den gedeudten Zetteln ber ſardiniſchen Kompagnie: 
>Il passeggiere di 1a e 2a classe gode d’un completo tratta- 
mento, 1a classe vino compreso,« unb als man un® auf dem 





Bon Mailand nah Florenz. 47 


"Schiff hatte, bewies uns ber Riftoratore, daß biefer vollftändige 
Lebensunterhalt für den Tag aus einem einmaligen und ſehr ges 
zingen Effen beftehe, „dern, fagte er pfiffig lächelnd und bie Ach- 
feln bis an die Ohren hinaufziehend, „auf den Fahrbillets der 
einzelnen Herrſchaften ſtehe es ja nicht anders gebrudt,“ und der 
Italiener Hatte Recht; denn im Wiberſpruch mit jener erften Anz 
zeige flanden dort auf einer Eile des Papier? die Worte: das Trattar 
mento beftehe aus einem einzigen pranzo. 

Unfer Schiff war ber „Eorriere Giciliano*, ein ganz neues 
im Jahr 1852 erbautes Boot; feine Einrichtungen waren reich und 
elegant, feine Mafchinen Eräftig. Es ſchien nun aber ſchon einmal 
auf diefer Reife unfere Beftimmung zu fein, mit ben Kurieren nicht 
aut von ber Stelle zu kommen. Die Abfahrt dieſes Gicilianers 
war auf 7 Uhr Abends feitgefegt, doch wurde mit dem Einfchiffen 
großer Wagenladungen fo fpät begonnen, daß wir erft um 11 Uhr 
ans dem Hafen Hinausdampften. Der Kondukteur des Schiffe, 
ben Einige hierüber zur Rede flellten, ſchloß ſanft lächelnd feine 
Augen, ſchnalzte mit der Zunge und fagte barauf achſelzuckend: 
»Che vuole — es ift Wahr, wir fahren fpät von Genua fort, 
find aber binnen 5 bis 6 Stunden in Livorno; dort müſſen Sie 
bis 8 Uhr warten, bis Sie ausfchiffen fönnen, und ob Sie nun 
hier ober dort im Hafen Tiegen, ift doch ganz gleichgiltig — dieß 
Schiff,“ dabei ftieß er die Zeigefinger beider Hände zufammen, 
«e d’una forza straordinaria, und wir kommen viel zu früh an.“ 
Dem aber war nicht fo; entweder war die forza nicht straordi- 
naria, ober der Kapitän fparte bie Kohlen, was ich eher glaube; 
genug, wir kamen erſt um 10 Uhr nad Livomo und Hatten alfo 
11 Stunden gebraucht, Bei der Ueberſahrt war das Meer ziem- 
Kid) bewegt: fait alle Damen Kitten mehe oder minder; doch waren 
meine beiden Kleinen Kinder fo glücklich, ſich während ber ganzen 
Nacht eines außerordentlich guten Schlaf zu erfreuen. In Livorno 
ift man ſchon gewohnt, unendlich Yang auf die Erlaubniß ber 
Saritätsbehörde zum Ausſchiffen warten zu müflen; leider, war's 


48 . Zweites Kapitel, 


aber Heute Gonntag, bie Herren wahrſcheinlich noch im Bett ober 
mit ihrer Toilette beichäftigt, und wir mußten fo lange auf dem 
Schiff und noch dazu ohne Frühſtück warten, da ſchändlicher⸗ 
weiſe feine Milch an Bord war, fo daß felbft einem Türken bie 
Geduld ausgegangen wäre. 

In Livorno waren alle Labden gefchloffen und formtäglich ge 
putzt firdmte eine große Vollsmenge durch bie Langen, breiten, aber 
einförmigen Straßen, elegante Bürger von Sivorno mit ihren Frauen, 
Handwerker in brauner Sammtjacke, Matrofen der im Hafen lie— 
genden Schiffe, nach dem Rang ihres Fahrzeugs Heransgepubt, bie 
von ben Kauffahrern meiſtens mit dem dunkeln farbig außgenähten 
Mantel auf der Schulter, einer rothen Mühe auf dem Kopf; dort 
die Matrofen eines Kriegsſchiffs in fauberer Jade, mit dem breit: 
umgelegten, reinlichen Hembkragen, dem ſchwarzlaclirlen Hut anf 
dem Hinterkopf, zu ſechs bis acht Arm in Arm. Langſam und 
faul bei ihnen vorbei ſchlenderlen Griechen und Zürfen mit bem 
rothen Fes oder Turban, bie lange Pfeife in der Hand, ohne von 
den andern Spaziergängern angefehen zu werden, ebenſowenig ala 
bort bie drei ober vier Neger in möglichft modiſcher Kleidung, deren 
ſchwarze, glänzende Geſichter jo feltfam aus ber rothen Halsbinde 
und zwiſchen den weißen Hembkragen hervorſchaulen — denn bat 
iſt ja etwas alltägliches im ber beweglen Hafenftabt. 

Bon Hier nach Florenz fährt man mit der Eifenbahn in vierte 
Halb Stunden. Beim Einfteigen hatte ich noch einen Kampf mit 
dem Billetausgeber zu beftehen, welcher für meine beiden Kleinen 
Buben wie für zivel Erwachſene bezahlt Haben wollte; ein Kerl in 
einer verblichenen Livrée, ber dabei ftand, ſollte Schiedsrichter fein 
und ſprach nalurlicherweiſe für feinen Landsmann; ich aber ruhle 
nicht eher, bis ich einen höhern Beamten aufgefunden, bex benn 
auch die beiden Kinder mit einem einzigen Billet paffixen ließ. 

Die Eifenbahn von Hier Yäuft vollkommen eben durch einen Theil 
der to8fanifcjen Maremmen, ein ziemlich ddes und ſehr feuchtes Haibe: 
land mit nothbürftiger Kultur; das Auge fliegt gern über fie hinweg 





Bon Mailand nah Florenz. 4 


nach ben fchönen malerifchen Sinien ber Apenninen, die in buftiger, 
weicher Färbung, aber in ihren Formen ernft und gewaltig am 
Horizont Tiegen. Gern Hätte ich dem ſchiefen Thurm in Pifa einen 
Bli geſchenkt, doch ift ber Bahnhof zu weit von der Stadt ent⸗ 
feent, und man fieht von ihr nichts ala einige Häufer, welche durch 
das Grün ber Maulbeerbäume und durch dichte Rebengewinde hells 
gelb hervorſchimmern. 

Die Einrichtung der toskaniſchen Eiſenbahn Takt viel zu 
wänfchen übrig; bie Wagen ber zweiten Kaffe find faft wie bie 
ber britten auf ben meiften Bahnen Deutſchlands, und troß Langer 
Stationen wird ſehr langſam gefahren. Da es ſchon Halb 5 Uhr war, 
ala wir Sivorno verliehen, jo Hüfte uns ſchon bald Hinter Pifa 
eine finftere Nacht in tieffte Dunkelheit‘; auch hatten wir abermals 
ein Gewitter mit großartigen Regengüffen, bie bis nach Florenz 
getven bei und aushiellen. Es war das bei ſtockdunkler Nacht 
und ſehr fpärlicer Beleuchtung eine vecht troftlofe Ankunft; mit 
Mühe fand ich für mein vieles Gepäck und fir fünf Perfonen 
einen elenben Einfpänmer, der durch und aber jo überladen wurde, 
daß ex bedenklich Hin und her ſchwankte, weßhalb ich es für das 
GeratHenfte Hielt, abzufteigen und zu Fuß zu gehen. Der Kut⸗ 
ſcher that ein Gleiches, und fo patichten wir durch den firdmens 
den Regen ‚dahin. Ein dritter, fehr nothivendiger Begleiter uns 
ſeres Fahrzeugs war ein Mann mit einer Laterne, welcher und 
Buch bie finftern Strafen borleuditete, unb durch deſſen Hilfe 
& und nach längerer Zeit endlich möglich wurde, die Haus 
nummer zu finden, die wir Lange vergeblich gefucht. 


Haalander's Werke. XXIL. 4 


50 Drittes Kapitel, 


Drittes Kapitel. 


Horany. 
Etrafenicben. aue Paldfe. Migrento vechio. Mia del Galjajuolt. Bergig- 
meinniät. nnepmliäteiten beim Bejud) der Gallerien und Runfjhäge. Die 
Gafeinen. Gewüßt auf dem Lungarno. EAöner Eonnenuntergang. Zußpäufer. 
Theeier. Der Propfet als Ballet. Ein Anabeninfitut. 

DaB alte Liebe Florenzl Da bin ich wieder einmal in feinen 
Mauern, und wenn ich um mich herſchaue und alles fo under⸗ 
ändert finde, bie hohen Häufer und über ihnen ben tiefblanen 
Himmel, die Kirchen und Xhärme, die Plahe mit ihren jäjtweig: 
famen Statuen, die Straßen mit demſelben Getreibe wie ba- 
mals, fo Lönnte ich faft auf bie Vermuthung Tommen, ich jei 
noch vom Iepten Dial da, Doch Habe ich glüdlichermeife einen 
richtigen Zeitmefies bei mir, mein eigene® Herz nämlich, das 
mich leiſe fchlagenb baran erinnert, ed feien ſchon etliche lange 
Jahre zwiſchen jener Zeit und heute bafin gegangen, Und es 
ift gut, ba jenes mir wirklich fo treue Herz mich daran mahnt, 
wir beibe fein bod um ein paax Jahre älter geworden und 
müßten uns ſchon eines geſehteren Weſens befleikigen ala das 
mals, benm wer weiß, wohin einen fonft bie Phantafie Kin- 
veißen Lönntel Alſo Florenz ift ſich vollkommen gleich geblieben, 
— heiter, lebendig, luſtig und verguüglich, wenn bie Soune 
ſcheint, und Zeme ich wiederum feine Stabt ber Welt, deren 
gute unb üble Saume fo ſehr vom Wetter abhängig wäre. Bei 
teüben Tagen find Käufer und Straßen gleich verdrießlich. 
Die Dachrinnen weinen ihren tiefen Schmerz in feltener Ener 
gie auf das Straßenpflaſter nieber, bie hohen Thürme Haben 
Yange Regentappen aufgejegt, und das SKirdjengeläute tönt, als 
wären die Glocken vierfach mit dichtem Flor umwunden. 
Und ber Italiener, ſonſt immer heiter und guter Dinge, 
immer luſtig davonſpringend, als gehöre ihm irgenb ein 


Florenz. 51 


ſchönes, wenn auch unbelanntes Stüd der Welt, ben Hut keck aufges 
ſetzt, beftänbig eine Cigarre im Munde, oder in Ermanglung berfelben 
eine Arie von Verdi ober Donizetti, blickt dann troſtlos empor nach 
feinem verloren gegangenen blauen Himmel, fteft ben Kopf zwiſchen 
bie Schultern, und hat ganz das Anſehen eines geftern noch jehr 
ſchoͤnen Hahns, ber Heute tüchtig naß geworben, Aber Ia tramon« 
tana, das ift der Wind, der von den Bergen herablommt, Hat bie 
Zuft wieder vein gefegt, das Pflafter getrocknet, und Florenz ift wie⸗ 
ber Florenz. Es ift gerade, als müßte ſelbſt bie Sonne dieſe Stadt 
liebgewonnen haben, benn fie konzentrirt auf ihren Pläßen und 
Strafen eine ſolche Menge von Strahlen, von Glanz und Wärme, 
daß alles davon wie gefättigt erjcheint und man felbft oft glaubt, 
nur dahin fliegen zu können, wie ein Sonnenftäubchen ober wie ir⸗ 
genb ein bunter Schmetterling. Dergeftalt aber wogt auch Hier alle 
durch einander im ewigen Farbenwechſel ohne Ruh und Raſt, 
ſtrahlend in bunten Kleidern, glänzend im Sonnenlicht, durch- 
weht von Blumen, bie man in Maſſen auf allen Seiten fieht, 
plaubernd und lachend, Laufend und verkaufend unter lautem 
Gefchrei und öffentlichem Ausrufe, unter dem Gerafiel unzähliger 
Wagen, bie in den engen Gaſſen in ſcharfem Trabe fahren und 
doch felten oder nie Jemanden bejchädigen. Dazu kommen unzählige 
Käden und Magazine in allen Straßen mit der reichen und ele: 
ganten Auslegung ihrer glänzenden Waaren jeder Art, um da Auge 
noch mehr zu Blenden, Und wie pußt erſt bie Sonne bie alten ehr⸗ 
würdigen Kirchen und Häufer heraus mit Licht und Schatten, wie 
glänzt und ſtrahlt der Dom in feinem buntfarbigen Moſaikſchmucke! 
An ſolchen Tagen twie heute erſcheint auf der Höhe des Glockenthurms 
jedes Säulchen, jebe Verzierung rein und ſcharf abgezeichnet gegen bie 
blaue Ruft, Und bie alten finftern Paläfte in ben engen Strafen, 
wie hat fie das Sonnenlicht fo ſchön bemalt mit Hellem Glanz und 
tiefem Schatten! Namentlich ift bieß wunderbar ſchon anzufehen, wenn 
mar in eine ber dunklern und ruhigern Straßen get, vieleicht von 
Piazza bel Granduca bſtlich in das Labyrinth von Kleinen ſchwar⸗ 


52 Drittes Kapitel, 


zen Gaffen mit trotzig daftehenden alterdgrauen Paläften, deren 
ſchwer vergitterte Fenſter nicht dazu beftimmt feheinen, Luft und 
Beben eins und auszulaffen. Hier muß man ben Eräftigen Pinfel 
fehen, mit bem ber große Künftler, bie Sonne, malt, wie fie nur 
in Gold und Schwarz eintaucht, und wie es ihr gelingt, mit einem 
einzigen Streiflicht von ber Höhe bes Dachs bis hinab zu dem 
Tundamenten, oder durch einen einzigen Strahl, ber unter irgend 
einem finfteen Thorivege vorbricht, den ganzen Anblid einer Strafe, 
eines Plapeö fo mit einem Male und fo prächtig zu verändern, 
Und Florenz Hat viele dergleichen ernfte, gewaltige, ja trübe 
Platze und Steaßen, und braucht debhalb zu ihrer Verſchͤnerung 
unendlich viel Sonnenlicht; aber bie alten Gebäude hier find dafür auch 
dankbar und blicken nicht grämlid; auf die neue Zeit herab; es 
Find würdige und gemüthliche Herrſchaften, bie ſich zu ihrer Zeit auch 
des Lebens gefreut Haben und nun zufrieden feinen mit dem, wenn 
gleich oft kleinlichen Glanz, durch welchen fie bie Jeptzeit auffcgumäidt : 
fo 3. 8. ber alte finftere Palazzo Stroggi in der Nähe bed Cafe 
Donnehy und der ſchönſten ber Arno-Brücken — wie er jo daliegt, ein 
ſchwarzer, gewaltiger Steinhaufen, faſt ohne Fenſter, mit einem unge 
heuren Eingangsthor, Rings an ben Mauern befinden ſich Ringe und 
Träger von armsdickem Eiſen, fie Hielten zur Zeit des Glanz und 
ber nächtlichen Feſte zahlreiche Facleln. An ber einen Seite mündet 
nun ber Metcato vecchio, und bis an feine Mauern gehen bie Heinen 
Buben ber Verkäufer von Obſt und Früchten in ben hellſten, gläns 
zendſten Farben und von Biktualien und Gemüfen aller Art; gegen« 
über hat fich ein Blumenverfäufer niebergelaffen und Hält bort im 
Freien eine tägliche Ausftellung ber [hönften und feltenften Getvächke, 
wohlriechender Kräuter und buftiger, vielfarbiger Blüthen und Blu— 
men, Dem allem kommt nun wieder das allliebende Sonnenlicht 
zu Hilfe, und an einem ſonnig-ſchönen Tage ſcheint jelbft ber alte 
finftere Palaft Strozzi, obgleich etwas ärmlich geſchmückt für jeine 
gewaltigen Verhältniffe, doch dankbar und freundlich zu lacheln. 





Florenz. 53 


Es ift nicht meine Wbficht, eine genaue Beſchreibung ber Stadt 
Slorenz zu geben; es ift das ſchon fo oft, fo genau und erfchöpfend 
geſchehen. Deßhalb will ich mich darauf befchränten, ein Kleines Bild 
des Straßenlebens, wie es im gegenwärtigen Augenblick ift, zu 
entwerfen, und nur ein paar feiner Haupiſtraßen durchwandern, 
beren lebendiges Bild ſich in allen übrigen mehr oder minder genau 
wiberfpiegelt. Da wir und gerade bei Palazzo Strozzi befinden, fo 
nehmen wir eine ber Hauptverlehrsadern, bie hier mitnbet, ben Mercato 
vecchio, eine ſchmale Strafe, zwilchen unendlich hohen Häufern, wo 
fich Bube an Bude reiht, in denen man alles findet, was daß menſch⸗ 
liche Leben zur materiellen Exiſtenz bedarf. Die weit geöffneten Ge 
wölbe ftrömen ordentlich über von ber Menge ber @egenftände unb brei ⸗ 
ten fi) von der Strafe auf weiten Geftellen aus, jo diefe Straße 
noch mehr verengend. Hier ift Fleiſch, Brod, ſchwere und leichte Würfte 
und viefenhafte Käfe in allen Farben und Gattungen neben: und über« 
einander aufgeichichtet, dabei fieht man Mehl, Reis, getrocknete Pflan- 
zen, Zeigen und bie befannten biefbäuchigen Flaſchen, bis zum langen 
engen Hals mit Stroh umflochten und mit Papier zugeftopft, enthal ⸗ 
tendb Wein und Olivenöl. Neben ihnen kommen Früchte aller Urt, 
friſche Zeigen und Granatäpfel, Pfirfiche, Aprikofen und gewöhnliche 
Aepfel und Birnen. Eine angenehme Abwechslung bringt dazwiſchen 
eine Bude mit fehönen Kräutern und Gemüfen, alle Sorten grüm 
durch einander, zwifchen benen bie purpurrothen Liebedäpfel fo ange⸗ 
nehm hervorleuchten, ober auch bie übergroßen faftigen Melonenſtücke, 
bie, um ben Appetit der Borlbergehenden zu reizen, fo recht vornehin 
gelegt find. Ihnen folgen bie Fiſchhaͤndler; bie glänzenden zappelnben 
„Meerfrüchte" befinden fich in großen Kübeln vol friſchen Waſſers 
und werben natürlich auf der ganzen Strafe zu gleichem Preis auß« 
geboten. In der Mitte ber ganzen Länge erweitert fich der Mercato 
vecchio zu einem Eleinen Platze, bem eigentlichen Fleiſchmarkt, von dem 
übrigens nur zu fagen ift, daß fich über ihm eine von Säulen getrar 
‚gene Halle wölbt, die aber, twie ber ganze Pla, ziemlich ſchmierig und 


54 Drittes Kapitel, 


unfauber ausfieht. Hinter dem Fleiſchmarlt fangen bie Buden 
wieder an wie vor bemfelben, und ba fe, wie ſchon gefagt, förm= 
lich bis zum Gteaßenpflafter überquellen von Fechten und Viltna⸗ 
Yen aller Art, fo fieht der ganze Mercato vecchio wie eine Lolofe 
fale fette Guirlande aus, zufammengefegt aus Grünem, aus Früch⸗ 
ten, Fleiſch, Butter, Kaſe, Eiern, Schinken, in welche hineinver⸗ 
flochten find die vielen Käufer und Käuferinnen, die handelnd aufe 
und abrennen, und ebenfo auch bie dicken Verkäufer in ihren weißen 
Schurzen und Yaden, heftig geſtikulirend, wobei fie mit ihren 
großen Schlachtmeffern ſehr wild außfehenbe Bewegungen machen. 

Vom Mercato vecchio gelangen wir in eine andere Strafe, bie 
noch dor wenigen Jahren eine enge Gaffe war, jept aber die breitefte 
und jhönfte geworden tft, Die Regierung, welche ſchon fo manchen 
düftern Theil von Florenz mit größter Pietät für bie beflehenben alten 
Baudenkmale gelüftet und zugänglich gemacht, hat hier eine wahre 
Riefenarbeit angeführt. Früher war die Piazza del Granduca mit 
dem Dome auf gerabem Wege nur durch bie oben erwaͤhnte enge Gaffe, 
die Bia bei Galzajuoli verbunden, und da hier das Herz der Stadt 
ift, hier fich alles Leben konzentrirt, fo war biefe Straße für alle Welt 
unzureichend und unangenehm, Sich erinnere mich noch recht wohl ber 
frühern mittelalterlichen Gaffe mit den Hohen finftern Häufern, deren 
weii vorfpringenbe Dacher fogar am hohen Mittag den Sonnenftrahfen 
ba8 Eindringen neibifch verwehrten; jeht iſt aus ihr eine breite, Lichte, 
wohlgebahnte Strafe geworden mit Fußpfaden zu beiden Seiten, bie 
ihrer ganzen Länge nach aus reichen und eleganten Magazinen beſteht. 
Ein Barifer, wenn er jehr gut gelaunt wäre, würbe ihr vielleicht das 
große Kompliment machen, fie mit dem ſchmaleren Theil der Rue de 
Ia Pair zu vergleichen, ein Wiener mit ber Karnthnerthor-Straße , 
für Florenz aber ift die Dia bei Calzajuoli beides zugleich und in 
jeder Beziehung eine freundliche und angenehme Straße. Weber der 
Eorfo Orientale in Mailand, noch Toledo in Neapel oder bie lange 
Zeile des eleganten Gaffaro in Palermo geben ein ſprechenderes Bild 


Florenz 55 


ben Lebens im Güben, eigen ein klareres Gepräge des regen Treibens 
einer vollreichen Haupiſtadt. Aber wie alles in ber Welt muß man 
auch bie Dia bei Galzajuoli in ihrer guten Laune fehen, das heißt, 
in ben Mittagsftunden eines ſchdnen Tages bes Spätherhftes; wenn 
bie begüterten Familien ben ruhigen Landſihz wieder mit dem Lärmen« 
den Getreibe der Stadt vextaufchen, wenn ber Fremdenzug aus dem 
Norden, um mic; eines Ausdrucks der Schnepfenjagd zu bedienen, in 
feine Latare getreten iſt. Das Pflafter ift feucht und gibt deßhalb 
Teinen Staub von fich, alle Magazine find geöffnet, und ein tiefblauer 
Himmel fpannt ſich über der Strafe aus, ſowie über bie Hunderte von 
Menſchen, bie in allen möglichen Unzügen, buntfarbig, ſummend, 
lachend, beſchaͤftigt und mühig gehend Hieraufsundabichwärmen. Den 
Mittelweg nehmen Fahrzeuge aller Art ein, vornehme Damen Liegen 
in ihren Wagen lang ausgeſtredt und Iaffen nur hie und baeinen 
Blick durch die Menge gleiten, dem bald nachher vielleicht ein leichtes 
KRopfniden folgt, im übrigen ſcheint fie weder Gtenke, noch Lärmen, 
noch Magazine zu interejfizen; und fie fühlen darin gleich mit ihrem 
Bedienten auf dem Hohen Hinterfige, der mit überfchlagenen Armen, 
ben Hut etwas fchief auf dem Kopfe, alles unter und neben ſich mit 
fouveräner Verachtung anſchaut. Andere Equipagen, die folgen, bilden 
das volltommene Gegentheil: da ift der Bebiente zugleich Cicerone und 
erzählt lebhaft von ber alten Strumpfwirlergaſſe, von St. Michele 
u. dal, m,, während die beutfche Familie im Wagen ungeheuer auf« 
merkſam zulauſcht und noch mehr fieht, als wirklich ba iſt. Zahlreiche 
Mietwagen folgen ober begegnen fidh und werden bem Fremden un⸗ 
gemein Iäftig, benn wenn ex eilig im eine Geitengaffe ablenten till, 
fo ſtellt fich ihm der bienfteifrige Fialer gerade in ben Weg und bietet 
ſeine Carrozza an, Schwere beftanbte Reifeivagen rollen langſam durch 
bie Galzajuoli, unb ibexwachte, nüchterne, blonde englifche Gefichter 
ſchauen etwas gefpenfterhaft in ben glängenden Tag hinaus; zwiſchen 
dieſen gefehtexen Fahrzeugen vollen leichte Paxoeino’3 mit ben Heinen 
Pferdchen und ben klingenden Geſchirr hierhin und dorthin; — junge 


56 Drittes Kapitel, 


Glegantd erregen bie Aufmerkjamfeit, indem fie fich in wahren Kinder⸗ 
wagen beivegen — Wagen, Pferde, alles iſt en miniature biß auf den 
oftmals diden Befiper felbft, der auf feinem engen Sige nad) allen 
Seiten überquillt. Auch Handkarren beivegen fich im allgemeinen 
Strome bahin, DVerläufer, bie ihr ganzes Waarenlager mit fich 
Herumfchleppen, um es ſtückweiſe mit lautem Geſchrei anzubieten, 

Wenn man hierzu annimmt, daß bie Calzajuoli der geſuchteſte 
Theil der Stadt ift, ba man in ihren Läden faft alle Wünjche ber 
friedigen Tann, und bafı ſchon befgalb eine grobe Menfegenmenge Hier 
aufammenftrömt, um einer anbern au begegnen, welche nur daher kommt, 
um zu ſehen ober gefehen zu werben, fo lann man fich vielleicht einen 
Begriff machen von bem Beben in biefer Strafe. Auf ben Fußpfaden 
zu beiden Geiten findet ein beftänbiges Ausweichen flatt, namentlich 
an ben Eden, too eine neugierige Menge bie übergroken Anzeigen und 
Maneranfchläge aller Art Liest, ſowie auch vor Kaffeehäufern, wo ſteis 
eine große Anzahl junger unb alter, nad; bem Journal gelleideter Her⸗ 
ven ſich aufhält, das Glas im Auge, die Cigarre im Munde, und mit 
wohlgepflegtem Haare und Bartwuchs. Mit folgen Lions iſt über 
Haupt Florenz reich gefegnet, bie es verftehen, den Mantel maleriſch 
umgutverfen, fich ein unenbliches Anſehen zu geben, Hinter dem eigent- 
lich gax nichts zu finden ift, als vielleicht ein paar Bemerkungen über 
das Wetter, ſowie eine gründliche Kenntniß ber letzten Verdi'ſchen 
Opern, von benen naturlicherweiſe eine immer göttlicher if als bie 
andere, und deren Melodien nachzuſingen eine ihrer Hauptbeichäftiguns 
gen bildet, Einer Romanze aus dem Troubadour, welcher jeft gerade 
gegeben wurde, Konnte man nirgends entgehen, und ganz Florenz var 
in biefem Augenblick wie eine fette Wieſe im Frühjahre, demm die 
Schlußworte jener Romanze „ricorbate mi”, — Vergiß mein nicht — 
Tproßten überall Iuftig empor. Die Strafe ift überhaupt die eigent: 
liche Wohnung des Italieners, namentlich des Florentiners; er muß 
fehen umb geſehen werben und zeigt fich nur in feinem beften Glanze, 
weßhalb man dem auch Überall ben teichften und eleganteften Toilet⸗ 





Sloren z. 57 


ten begegnet. Mag es dagegen zu Haufe ausfehen wie es twill, Daß 
ift gamz gleichgiltig, nur draußen ein feibenes leid, einen eleganten 
Paleiot, friſche Handſchuhe, ladirte Stiefeln, ſowie Blumen im Anopfe 
loch oder in der Hand, Etwas bagegen habe ich in ben Straßen von 
Slorenz beftändig gerne vermißt — das if, man hört nie Kinder 
geſchrel, man fieht nie einen Betrunlenen und nie Heine Buben fich 
Herumbalgen. Letzteres wäre auch ſehr gefährlich, denn bei bem un⸗ 
aufhörlichen Wagenverlehr würde es ber jungen Generation ſehr 
ſchwer fallen, einen rußigen Platz für ihre Bauftämpfe gu finden, Ich 
mb geliehen, es gibt joger in Paris wenige Straßen, bie fo beflän« 
big wit Fahrzeugen aller Art bedeckt find, wie viele hier in Florenz. 

Am noch einmal auf bie Via bei Galzajuoli zurüdzutommen, 
fo if fie auch bewegen ſchon von ben Fremden jo ſtark befucht, 
weil ihr Anfang und Ende bie herrlichſten Kumftihäge der Arno 
ſtadt aufweist, So beginnt fie am Domplap, ber in der neueften 
Zeit bedeutend erweitert wurde, und nun von allen Seiten einen 
freien Anblick auf daB Herzliche Bauwerk geſtattet. Weftlich von 
bemfelben bat man an einem großen Palaſt ſehr finnreich die jchön 
genxbeiteten Statuen ber Erbauer aufgeftellt, und während Arnolpho 
aufmerlſam zu ben Yundamenten und bem Grumbrifie herabficht, 
blickt Brunelleschi träumend zu der Kühnen Kuppelwölbung empor. 
Das Ende der Strumpfwirlergafſe ift an ber herrlichen Piazza bel 
Granduca, diefem prachtvollen Mufeum im Freien, mit feinen Stas 
tuen, Brunnen, Bronzefiguren, Logen und Paläften, wo fich übrie 
gens häufig eine zahlreiche Volkämenge komiſch genug außnimmt, 
bie. den Wagen eines neumobifchen Dulcamara umſtehend — Mir 
turen und Pillen gegen alle erdenklichen Nebel kauft. 

Was Florenzfür ben Kunftliebhaber jo außerordentlich angenehm 
macht, ift bie fchöne, elegante und zugängliche Ausſtellung aller Kunft« 
Tcäße; wie angenehm fpaziert es fi) im ber Loggia degli Ufici, wie 
ift Hier ſelbſt die ſonſt eben nicht nachahmungẽwerihe Durrcheinander⸗ 
ſtellung von Statuen und Bildern fo glücklich und bem Ange wohl · 


58 Drittes Kapitel. 


thuend gelungen, wie ungezwungen füBLE fich ber Beſchauer, ber 
Hier ohne Einlaßkarten und Erlaubniß täglich ſtundenlang umbere 
wandeln, ober ſich in bequemen Stühlen vor ben herrlichen Antiten, 
ober vor ben wunderbaren Bildern Raphael und Zizians nieder 
laffen darf. Ebenſo zugänglich ift auch bie Gallerie im Pataft Pitti, 
bee Wohnung des Großherzogs, wo jedes Bild ein Meiftertvert, 
eine unfchähbare Perle iſt, wo das Auge, wenn es vom ernſten 
Schauen ermübet ausruhen will, die koſtbaren Pietrarbuca-Arbeiten 
ber Tiſche betrachten kann, bie in faft allen Sälen ftehen, und an 
welch jebem faſt ein halbes Menſchenalter gearbeitet wurde, oder wo man 
zur Abwechslung in die kleinen zierlichen Kabinette tritt, pompe⸗ 
janiſch verziert mit reizenden Marmor-Statuen, oder in andere 
Zimmer, wo von Venvenuto Cellini oder anderen großen Meiſtern 
ber Florentiner Goldſchmiedekunſt jene ſeltſamen Gefafſe ſtehen, fo 
ſonderbar zuſammengeſeht, aus Perlen, Edelſteinen, Gold und Emaille. 
Ya, dieſe freundlichen Einrichtungen ſind es, welche die Gallerien 
von Florenz für die Beſchauer fo unvergehlich machen; wie wird 
man fid) micht beſtandig eines ber lehlen Zimmer im Palaſt Pitti 
erinnern, wo bie wunderbare Venus von Canova ſteht, jenes herr⸗ 
liche Menſchenbild mit dem edlen Gefichtsausbrud und bem feibft 
im harten Stein jo weichen und elaſtiſchen Körper! 

Mit der gleichen Artigkeit, mit ber man jebem ben Zutritt 
zu biefen Schähen geftattet, wird auch von ber großherzoglichen Bes 
hörde bie Erlaubniß zur Befichtigung einzelner Paläfte und Billen 
ertheilt, man braucht fich nur an bie Schloßverwaltung zu wenden, 
ummitbergrößten Freundlichkeit iberallhin Eintrittäfarten zuerhalten. 

Um in unferer Straßenſchau fortzufahren, muß ich der bekannten 
Eafeinen erwähnen, jener jchönen Spaziergänge vor ber Porta bel 
Prabo am Ufer des Arno, wo fich wenigftend am Sonntagen ein grofger 
Theil der Einwohnerſchaft von Florenz zuſammen findet, um unter 
den dichten Allen luſtwandelnd und fahrenb ben Klängen ber {hd 
nen Öfterreichifchen Militarmufik zu lauſchen, welche hier wöchenllich 


Mi 


Florenz 59 


mehrere Male fpielt, Obgleich es aber Hier ziemlich befucht war, er⸗ 
ſchienen mir bie Caſcinen dießmal ftiffer, ja melancholiſcher als in 
früeren Jahren; namentlich am ber Seite des Flufſes, wo fich jonft 
bie elegante Welt zahlreich auf: und abbeivegte; fah man jet wenig 
und einfame Spaziergänger. Diefe langen Alleen am dem ſchönen 
Fluß müffen belebt fein, ſonſt lafſen fie uns hier in der gewaltis 
gen fchönen Natıre Leicht nachdenkend, ja traurig werben. Die gelben 
Blätter der Bäume flattern langſam auf unfern Pfab herab, im 
Wafler fpiegelt fich ber glühende Abendhiumel mit feinen Yeicht 
dabinziehenden Wolken, das bunfle Laub ber immer grünen Gebitfche, 
der Gteineichen und bes Epheu blickt dich fo ernft und traurig an, 
und von den Höhen herab ſchauen die Klöfter und Kirchen zwiſchen 
unbeweglichen ſchwarzen Cypreſſen melancholiſch hervor. Du bift 
allein, ganz allein, und der leiſe Klang einer Glocke, welcher von 
weit her an bein Ohr fehlägt, ſtimmt dich nicht freubdiger, ebenſowenig 
als die einzelnen Töne ber Militäemufit, bie du von weitem hörſt, 
und die in biefem Augenblick ein altes befanntes Lied fpielt — ach, e8 
find bieß oft nur einfache Klänge, aber fie treffen getwaltig bein Herz: 
dem fie erzäßlen dir von vergangenen Tagen, wo bir fie ebenfalls 
gehört, aber wo fie dich hinriſſen zu Glück und Freude, 

Mit folchen Gefühlen im Herzen ift es beffer, man fucht das 
Gewuhl der Menſchen wieder auf, als daß man hier für fich in der 
Einfamfeit bleibt, und wir Haben nicht weit zu gehen, um die Mauer 
ber Stadt zu erreichen und nach bem Lungarno zu kommen, wohin 
fich an fchönen Tagen die ganze elegante Welt von Florenz zu beftellen 
ſcheint. Diefer Sungarno ift der Quai auf ber rechten Seite bes 
Fluffes von dem Ponte alla Carraja bis hinauf zum Ponte vecchio, 
wo die Goldſchmiede ihre Buben und Magazine haben, Auf der linken 
Seite des Arno ift ebenfalls ein Quai, ber aber weniger zu Spazier⸗ 
gangen benüßt wird; hier Liegen große ſtille Paläfte mit wenig Buben 
umb Magazinen, von vornehmen Familien bewohnt, welche bie Mor- 
genfonme Lieben und das Gexäufch ber Wagen und Karren nicht gern 
den ganzen Tag unter ihrem Fenſter Hören. Wenige dieſer alten 


4 


60 Dritter Kapitel, 


Gebäude gewähren übrigens bem Auge einen freunblichen Anblid, 
und faft nur ein einziges Heinere® Haus nicht weit von dem Ponte 
alla Carraja macht hievon eine freundliche Ausnahme. Es iſt diek 
die Villino Delci, die Wohnung des öfterreichiichen Geſandten Bar 
ron v. Hügel; fie ift auch im Innern fo fein und' zierlich einge 
richtet, wie man es nur von bem Beflker mit feinem befarmten 
Kunftfinn und fein ausgebildeten Geſchmack erwarten darf. Baron 
Hügel, der Schöpfer ber befannten prachtvollen Anlagen in Hihing 
bei Wien, hat Hier aus feinen Kunſtſchähen in Bildern, Bronzen, 
Vaſen ımd Sachen aller Art ein reizendes Ganze zufammengeftellt, 

Kehren wir aber nach biefer Heinen Abjchtweifung zu unſerm 
Spaziergang auf bie linle Seite des Fluſſes zurüd. 

Die Straße ift Hier nicht beſonders breit, an ihr Liegen bie 
bedeutenbften Gafthöfe von Florenz, und ba nebenbei bie Wagen« 
frequeng außerordentlich groß ift, fo gewinnt der Spaziergang durch 
das ewige Rafjeln der Wagen und Karren auf bem Pflafter nicht 
beſonders an Annehmlichteit. In ben Rachmittagsſtunden von 3 
bis 5 Uhr ift es überhaupt ein eingebildetes Vergnügen, am Lunge 
ao fpazieren zu gehen, und wenn es nicht zum guten Ton ge 
horte, fi) Gier ſehen zu Laffen, würde Mancher wegbleiben; fo aber 
läßt man fich ſchon etwas gefallen, man wird gebrängt und drängt 
anbere wieder, man weicht aus, man ftöht an und bittet um Ent« 
ſchuldigung, man verliert feine Gefellichaft, die man rechts neben 
ſich ober Hinter ſich glaubt, und möchte mit Mephifto ausrufen: 
„was? bort ſchon Kingerifien ?“ Kann aber fein Hausrecht gebrans 
Gen, benn man muß eben mit dem Strome ſchwimmen. Alles 
drängt fich Hier bunt durcheinander — Herren und Damen and 
allen Ständen, wirklich elegante Zotletten und ſeidene KM eider 
in ben ſchreiendſten Barden, Öfterreichiice Offiziere in ihren 
weißen einfachen Uniformen, Yaut, breit und vergnüglich deutfch 
erdend, fowie toskaniſches Militär in bunten vielfarbigen Anzügen. 
Wie überall in Florenz fpielen auch Hier bie ſchͤnen Blumen: 





} 





Florenz. 61 


fräufe eine große Rolle, und überall buch die Menge hindurch 
ſchlüpfen die Blumenverkäuferinnen, auf dem Kopfe die großen, 
runden, nidenden Strohhüte, und theilen bereitwillig die ſchönſten 
Sträuße aus, ohne gerade dafür eine Gabe zu verlangen. Wenn 
nur babei die vielen Equipagen nicht wären! Aber man ſchwebt 
jeden Augenblidt in Gefahr, unter die Räder zu kommen, und 
wenn man hier auf ein lautes „Hoe* linls fpringt, fo prallt man 
vielleicht auf der anderen Seite an ein paax Pferbelöpfe, die ger 
rade rechts wenden. Dieß macht denn auch alle Konverſation uns 
genießbar; man Hört nur mit einem Ohre, denn das andere iſt 
auf ein verbächtiges Raffeln Hinter uns gerichtet; man muß eine 
ſehr ſchöne Bemerkung oftmals in der Mitte abbrechen ober ala 
Erwiderung auf eine geiftreiche Frage mit einem blöbfinnigen Läs 
cheln auf die Seite fpringen, um feine Hühneraugen vor ben Rä— 
bern eines daher rollenden ganz gemeinen Parocino zu retten. 
Trotz alle dem Hat aber das Gpazierengehen Hier am Arno 
feine fchönen und teizenden Seiten, nur muß man warten, bis 
fich die große Menge wieder verlaufen Hat, biß der Abend Kommt, 
bis bie Paläfte an den Ufern Lange feltfam gezackte Schatten 
herüberwerfen, 5i8 die ſchweren Maſſen der Brücken dunkler, das 
Waſſer bes Arno aber und ber Himmel über uns immer Heller 
und klarer werben, Wie reines Silber flieht der Fluß jet un- 
ter den ſchwarzen Brüdenbogen daher und nimmt nach und nach 
alle die fhönen und glühenden Töne bes Himmels an. Bor und 
Haben ‚wie bie Ghiefa di Gaftello mit ihrer großen Kuppel und 
dem Tleinen ſchlank und zierlich geformten Glockenthurme — hin ⸗ 
ter ihr Hinab verſchwindet die Sonne und zeigt und bort jebe 
Säule, jebe Verzierung, jedes Kreuz ſcharf abgezeichnet auf dem hel⸗ 
Ien Himmel; auß allen Deffnungen ber Kuppel und des Gloden- 
thurms ſcheint für einen Augenblick Feuer hervorzubrechen, und 
bie Strahlen, welche dort herborzuden, erfüllen daß ganze 
Thal mit einem violetten, glühend angeſtrahlten warmen Dufte. 
Die alten Kirchen und Schlöffer auf den Höhen fcheinen aufzuakhmen 


62 Drittes Kapitel, 


unter biefem lepten herrlichen Kuffe, ja jelbft drüben das ehrwür⸗ 
dige San⸗Miniato in feinem ſchwarzen Cypreſſen · Walde glaubt 
man uod einmal wehmüthig Lächeln zu ſehen. Aber die Some 
geht nicht in ungelrübtem Glanze hinunter, eine Wolkenfhichte am 
Horizont feheint ihr Feuer erlöfchen gu tollen, wird aber dafür 
beftraft und lodert nun ſelbſt in wilder Gluth empor — fir ung 
ein herrlicher Anblid — benn Hinter der Kirche di Gaftello bricht 
es hervor wie eine gewaltige Feueräbrunft, fo daß weit an bem 
Himmel hinauf eine glühenbe Lohe ſchlagt . . + . So fah ich fie 
noch am Iepten Tage meines Aufenthalts in Florenz untergehen, 
meine liebe fchöne Sonne vom Lungarno, und wenn fie auch mit 
noch folder Pracht verſchwand, ſo machte es mich doch traurig 
und nachbentenb, denn fie ging hier fir mich auf lange Zeit unter 
— vielleicht für immer — denn wer kann dem Wetter und ben 
Umftänden trauen! Sie hatte fo eiwas menſchlich Ruhrendes an 
dieſem Abende bei ihrem Niedergang und gab ein Bild fo manchen 
Lebens; fie ging dahin wie ein glühendes wildes Menſchenherz, 
unter in vergeblichen, unerreichbaren Wunſchen .... 

Nach und nach verblafte die Gluth am Horizont. Die Brüden 
bogen ber Garraja fanden ſchwarz gegen ben Bellen Schein; bie 
Menſchen, die hinüberſchritlen, glichen unbeſtimmten fchattenhaften 
Weſen; das Waſſer allein erſchien noch hell und glänzend, und 
ein einſamer Nachen, der auf dem Arno dahin fuhr, zog einen 
langen und dunkeln Streifen nach ſich. Seht wurden an ben 
Ufern bie Gaslaternen angezündet, und die weißen ſtrahlenden 
Lichter machten eine unbeſchreibliche Wirkung gegen den noch immer 
rothlich gefärbten Nachthimmel und bie Dunkeln Maffen ber Häufer. 

Unterbeffen Hat fich ber Spaziergang gänzlich entvblkert; man ift 
zur Tafel gegangen, in bie Cafs's, in bie verſchiedenen Thealer. Ein 
italienifches Kaffeehaus hat nicht viel Bemerlenswerthes; bie Räume 
find einfach, bie Converſation wird ſehr leiſe geführt, und den größten 
Larm machen die Kellner, bie mit einem unnachahmlichen Aplomb 
Kaffee, Gefrorenes und dergleichen vor den remben Hin lanciren, und 














Slorenz 63 


nachher bie Heine Münze, die man allenfalls heraus befommt, mit 
außerorbentlichem Gefchrei dem ganzen Café verlündigen. 

Was bie bießjährige Thenterfaifon in Florenz anbelangt, fo 
Tann ich nicht viel Rühmliches davon ſagen. Pergola hatte einen 
orbentlichen Tenor, eine leibliche Prima-Donna, bie für eine Eng: 
landexin das Stalienifche xecht gut ausſprach und auch bei ihren 
Bravonr-Arien gehörig ind feuer kam; ihre Stimme ift ſchön, 
doch in ben obern Sagen etwas fehreiend. Gegeben wurde der oben 
ſchon erwähnte Trovabore, eine nene Oper, welche Berbi eigens 
für bie jehige Saifon und Sänger geſchrieben. Was bie Mufit 
anbelangt, jo läßt ſich nicht viel Darüber jagen. Die Florentiner 
find entzüct davon und meinen, fie fei fat beffer ala Luiſa Miller, 
was inbefien nicht Hoch geſchworen ift, denn Schillers Kabale und 
Liebe wurde von Meifter Verdi mit einer Mufik verfehen, die über 
alle Beichteibung langweilig ift, Aber die Bergipmeinnicht-Romanze 
reißt den Troubadour durch, deun wenn bie Mufit derfelben im 
Iepten Alt anhebt, fo rückt ber Italiener unruhig Hin und her, 
hebt bie Schulter in die Höhe, blickt ſchmachtend an ben Kron- 
leuchter empor, und fühlt fich, indem er jagt: come & bello, für 
den ganzen Wbenb hinreichend entidjäbigt. 

In Gocomero arbeitete eine fraugoͤſiſche Schaufpielergefeltfchait; 
fie gab unter anderm »Honneur et Argent« von Ponfard, ohne 
aber weber das eine noch das andere damit zu verdienen, beun ber 
Beifall war berbientermaßen ſehr gering und das Hauß in allen 
Theilen wenig bejeßt. 

Im Theater Leopoldo gab man neben einer unbedeutend und 
ſchlecht befeßten Oper ben Meyerbeer ſchen Propheten als Ballet, was 
ſchon ber Mühe werth war angefehen zu werden. Leopolbo ift ein 
Aheater vierte Range, Der Eintritt anf8 Parterre koſtet Gier nach 
unferm Gelb ungefähr 16 kr., und dafür hat man eine ganze Oper, 
freilich tant bien que mal und ein Ballet von fieben bis acht Akten 
— in Summa ein Vergnügen, welches von 8 Uhr bis Mitternacht 
dauert. DaB Publikum ift babei ſehr ungenirt, hat im Parterre den 


64 " Drittes Kapitel. 


Hut auf dem Kopf, ſpeist eigen und Orangen, und treibt in bez 
Zwiſchenalten allerlei erlaubte Kurzweil. Die Logen Find, wie in 
den großen Theatern, bon einander abgetheilt, und bei einem Stüf 
wie ber Prophet, welches die elegante Welt ebenfalls jehen will, 
bemerkt man Hier oft reiche und glänzende Zoiletten, die dann 
feltfam genug mit bem Parterre kontraſtiren. Auf den Zetteln für 
Heute Abend war „II Sole mit viefengroßen Buchftaber bemerkt, 
und ich bin überzeugt, dah diefes bis jelt Hier noch unerhörte Shaw 
ſpiel die große Menge bebeutend anzog. 

Das Ballet. begann übrigens mit den Schalmelen ber Hirten, 
wie bie Oper ſelbſt, und ich glaubte ſchon aus ber Muſik derſelben 
ein angenehmes Potpourri zu vernehmen; doch war biefe Fäufcjun 
bald zu Ende, und bie allergewöhnlichfte Balletmufit unterftüßte 
Pantomimiſten und Tänzer in ihren extravaganten Bewegungen. 
uebrigens kommt jebe Scene ber Oper: Bertha wirb von Ober: 
thal entführt, bie brei Miebertäufer reizen da Volk auf, umb im 
zweiten Alt erſcheint Johann von Leyden, ein außerorbentlicher 
Pontomimift. Deforation und Koftlim mußte man wirklich ſchön 
und elegant nennen; auch waren einige Gorpstänze, namentlich 
im zweiten Alt, fo meifterhaft arrangirt, daß fie das Publikum 
unter einem raſenden Beifallfturm ba capo verlangte: und bie 
armen Geſchdpfe auf der Bühne, außer Athem abgehept, zwangen 
fi zu dem bekannten unhelmlichen Lächeln und begannen aufs 
Neue. Darin ift das Hiefige Publikum graufam und will nicht 
begreifen, daß von denen droben manche unge kaum noch zu 
athmen vermag und manches Herz unter raſenden Schlägen zu ers 
ſticken droht. Fortgetanzt muß werben, worauf man dann Freilich 
den Balletmeifter, die Solotänzer, bie Dekorationen And Gott weiß 
was noch alles zum Dank herausruft. Johann von Beyben wurde 
Übrigen® vortrefflich gegeben, und ich Hätte nie geglaubt; daß Jer 
mand ohne Worte und Gefang, bloß durch Bewegung und Mienen- 
ſpiel, 3. B. die Abſchledsſcene von der Mutter, fo wirklich ergreifend” 
barzuftellen im Stande wäre, Im dritten Alt erſchlen dat Lager von 





Florenz. 65 


Manſter. Morgendämmerung; der Prophet ordnet feine Scharen 
zum Sturm gegen bie Stadt; ber Hintergrund beginnt Heller und 
xbther zu werden und das Publikum rüct unruhig auf feinen Sipen 
Hin und der, denn ber große Augenblie naht, wo il Sole ſich 
präfentiven wird; endlich ſchießt fie bie erften Strahlen empor. 
Auf der oberften Gallerie des Haufes fieht man lachende Geſichter 
mit blinzelnden Augen, wie vom hellſten Sonnenlicht beſtrahlt. 
Die Lampen des Kronleuchters ſcheinen trüb und roth zu brennen. 
Unten ift das ganze Haus wie mit gewaltigem Staub bedeckt, wäh: 
rend fich, im gleichen Verhältniß wie auf ber Bühne die Sonne 
emporfteigt, bie Strahlen immer tiefer und weiter außbreiten, Das 
Parterre ift dor Entzüden außer fi; man breht ſich herum, mar 
lacht, man ſchreit, man Hält bie Hände vor das Geficht, und ſelbſt 
glänzend angeſtrahlt erblickt man Laut lachend den Nachbar, deffen 
Geſicht fo hell und roſig übergoffen iſt wie an einem ſchönen Son- 
nentag — und die Sonne hier ift nicht geizig; bei ung begnügt 
fie fi ein paar Zoll über ben Horizont emporzufteigen, bann fällt 
neibifeh der Vorhang; hier aber fteigt fie glänzend und ftrahlend, 
ohne ein einziges Mal zu verfagen, bis hoch an den Himmel. Der 
vierte Aft ſpielt auf der Straße, Fides ſammelt Almoſen ein, 
worauf ſich das Theater in eine prächtige Halle verwandelt — das 
Sunere ber Kirche darf in Italien begreiflichertveife Hier nicht ger 
zeigt werden — ber Krönungsmarſch erſchallt diesmal wieder aus 
ber Oper und ber Einzug bed Propheten erfolgt in aller Pracht 
und Hereliteit. So Lange der König von Zion fein ländliches 
Koftüm trug, die Kurze Jacke, das enganliegende Veinkleid, Hatten 
feine heftigen Bervegungen und Pantomimen durchaus nichts Stören- 
bes; ſobald er@aber in langem weißen Gewand erſcheint und da 
mit wie in einem weiten Schlafrock auf ber Bühne umhherrast, die 
Krone auf dem Kopf, Scepter und Kugel in ber Hand und, wie 
namentlich im vierten Akt, bie ſchauerlichſten Grimaffen ſchneidet, 
geht alle Illuſion verloren, und Johann von Leyden ſieht aus wie 
Kadländer's Werke. XXxII. & 


66 Drittes Kapitel, 


ein wahnfinnig gewordener Kartenkönig; jo geht denn auch bie ger 
waltige Scene, wie er feine Mutter zum Niederfnieen zwingt, faft 
ſpurlos vorüber, Fides war in biefem Augenblick ſchon beffer und 
Hatte in ihrem Spiel wirklich ergreifende Momente, fo al er fie 
fragte: „Liebteft dur diefen Sohn?” und fie ihm antwortete: „Ob 
ich ihn liebte?“ — da war auf biefem Geficht eine wahrhaft rüh— 
rende Innigteit, Hingebung und Liebe zu leſen. 

Im Duett und Terzett bes fünften Aktes ift der Prophet aber 
nun ganz toll geworben, ex raſet hin und her, fo daß feine langen 
ſchleppenden Kleider weit von ihm abfliegen, die Krone wird mehrere 
Mal auf den Boden geworfen und wieder aufgefegt, mit fatanifcher 
Freude umd entſehlichem Kopfniden zeigt er dem Publikum bie 
wohlgefüllte Pulvermine, Alles ſoll zu Grunde gehen, tanzte er — 
Alles — Alles — Ales, — Verwandlung: — Der Tanzfaal, — 
Diefe lehzte Scene bes Ballet beginnt mit einem großen eingelegten 
pas de deux, während beffen der Prophet Hinten an feinem Tiſch 
ſitzt, ſchmauſend und zechend; auch ift er wieder ganz bon homme 
geworben umb treibt mit den Tänzerinnen, die ihn bedienen, aller⸗ 
Tei Eleine unſchädliche Späſſe — bis zu dem großen Moment, wo 
die Künftlerin vorne ihre Iehte Verbeugung gemacht hat und er 
nun Hinten den Pofal ergreift, um Meyerbeers wunderbares Trink: 
Tied abzupantomimiren. Darauf geht die Geichichte zum Schluß 
wie wir bereits wiſſen. Die Dämpfe fleigen aus dem Pobium 
empor, rechts und links brechen die Wände aneinander und im 
Hintergrunde brennt Munſter. 

Obgleich es über den mir felbft vorgeſteckten Raum diefer 
Blätter hinausgehen würde, wenn ich mix erlauben wollte, über 
hieſige öffentliche Anftalten, fein es auch nur einzelne Zweige, wie 
3 B. das Unterrichtsweſen, zu berichten, fo kann ich doch nicht 
umhin, eine Anſtalt zu erwähnen, bie im Ausland wenig bekannt 
und doc, namentlich für Familien, die fich längere Zeit hier auf 
Halten wollen, von großem Intereſſe ift: es iſt dies nämlich ein 
Inftitut für Knaben, von Familienvätern gegründet, welches ben 


Florenz. 67 


Zwech Hat, bie Kinder unter ben Augen ihrer Eltern in allen nöthigen 
Fäden ber Wiſſenſchaſt fo weit heranzubilden, ba fie von Hier 
aus in jebe höhere Lehranſtalt des Auslandes eintreten konnen. 
Die Geſellſchaft, welche begreiflicherweife nicht bie Idee Hat, bei 
diefer Anſtalt etwas zu gewinnen, ja die im Gegentheil noch große 
Opfer bringt, wurde im Jahr 1838 von einigen Yamilienbätern 
allein in der Wbficht gegründet, ihren Kindern eine gefunde, ſorg⸗ 
fältige umd chriſtliche Erziehung zu verfchaffen. Die meiften waren 
deutſche Proteftanten oder Angehörige der engliſchen Kirche, aber 
auch Katholiken wurden aufgenommen und viele italienifche Fa— 
milien dieſer Religion ließen ihre Kinder bort erziehen; doch wurde 
es in jüngfter Zeit den Iehtern verboten, ihre Kinder an bem Ins 
ſtitut teilnehmen zu Yaffen. Dafielbe befindet fi in Florenz Caſa 
Minucci Via dell' Ardiglione, ein ſchönes geräumiges Haus mit 
freundlichem Hofraume und Garten, welches von bem Direktorium 
zu beren Zwecken erfauft wurde, Die Knaben haben Hier Tuftige 
angenehme Schulzimmer und befinden fich, ohne im Raum beſchraͤnkt 
zu fein, bejtändig unter ber Aufficht ihrer Lehrer. Es gibt zwei 
Klafien von Zöglingen: bie einen, welche bei ihren Eltern wohnen 
und nur die Schulftunden beſuchen, bie andern aber, bie eigentlichen 
Penfionäre, bie gegen wmöglichft billige Vergütung im Schulhaus 
ſelbfſt untergebracht find. Die Profefioren der Anftalt find mit 
größter Sorgfalt gewählt und ſprechen alle deutſch. Der Stunden» 
plan ift ſehr reichhaltig: man lehrt Deutſch, Engliſch, Italieniſch, 
Franzofiſch, Lateiniſch und Griechiſch, allgemeine Geſchichte, Geo- 
graphie, Ralurwiſſenſchaften, Mathematik, Zeichnen, Singen und 
Tanzen. Mehrere Stunden der Woche find für gymnaftifche Uebungen 
aller Axt beftimmt und da tummeln ſich denn bie Heinen Kerle 
ber verjchiebeuften Nationen luſtig durcheinander, exerzieren militä- 
riſch ober arbeiten an ber Schwingſtange und dem Kletterbaum. 
Es herrſcht ein wohlthuendes, angenehmes Verhältniß zwiſchen Kin⸗ 
dern und Lehrern und Alles betrachtet fich wie zu einer einzigen 
großen Familie gehörend. Der Dixektor des Comité's ift in biefem 


68 Viertes Rapitel, 


Augenblide Herr Dufresne, ein Genfer Kaufmann, beffen freundliche 
Tiebenstnärbige Perjönlichteit wie ein guter Geift durch das gatize 
Inſtitut zu gehen ſcheint, und befien Herzlichkeit das Band der 
Liebe und Zuneigung feſter um Lehrer und Lernende zieht. 


Viertes Kapitel. 
Hadı Carrara. 


Die toBtanife Eiſentatn. MWarmes Kerbfivetter. Piſa und Lucca. Die deht - 

tage im Wbftrei. M Gignor Gonte. Gero und jein Parocino. ode Fahrt. 

Praßtvole Aust von Monte di Gplefa. Mieten fanta. Sehen auf den Sande 

Arapen. Doaffa und Gerrara. Die gerNörte Rapelle. Der Bildhaurc Salaveen - 
land. Hpfer. Die Marmorbrüdr. Fin Gaftfreund. 


Durch die Eifenbahnen von Florenz nad; Pifa und von Pifa 
nach Lucca ift Carrara mit feinen berüßmten Marmorbrüchen und 
zahlreichen Bilbhauer-Atelierd der Arnoftabt um ein bebeutenbes 
näher gerädt, obgleich man noch immer eine gute Tagreife braucht, 
um: dorthin zu gelangen. Der Bahnhof der toslaniſchen Gentral- 
Eiſenbahn liegt vor ber Porta al Prabo in ber Nähe des berühm: 
ten Spaziergangs ber Caſcinen. Das Bahnhofgebäude ift ziemlich | 
geräumig und befteht neben ben Warteſälen, ben Simmern für die 
Beamten zc. aus einer geräumigen Halle, umter welcher ber Zug 
Halt und die Paffagiere einfteigen; ba man bie Fahrbillelis am Ein« 
gang in biefelbe vorzeigen muß, wo fle auch markirt werden, To 
wird Niemanden ohne ein folches ber Zutritt geftattet, weßhalb es 
fr begleitenbe Freunde einer befonbeen Erlaubniß bebarf, um ein: 
treten zu konnen. Reſtaurationen fehlen gänzlich und ber Fremde, 
der Hierauf gerechnet, muß hungrig und durſtig abziehen. 

Bon Florenz führt bie Eiſenbdahn flach unb eben Birch daB 
Arnothal fait bis Piſa auf dem rechten Ufer dieſes Fluſſes. Als 


Nach Carrara. 69 


ich abfuhr, Tag Florenz in Nebel gehüllt, der vom ber Sonne nieder» 
gebrüdt wurde, was einer ſchönen Tag verſprach; nur bie vielen 
Kuppeln und Thürme der zahlreichen Kirchen ſchimmerten beutlich 
hervor, dag Andere war ein graues Chaos von Hänfermaffen und 
Rauch, aus welchem die hellen und tiefen Töne der Gloden, da es 
gerade Sonntag war, unaufhörlich hervorllangen. Die Ausläufer 
ber Apenninen hatten ſich von oben herab ſchon etwas mehr geklärt, 
und bie und da glängten die Shitzen derſalben roth angeſtrahlt von 
ber auffteigenden Sonne; fo maleriſch und ſchön fich bie zahlreichen 
Villen und Dörfer, im Einzelnen betpachtet, an ben Abhängen biefer 
Berge ausnehmen, fo ftören fie doch den Gefammteffett der Land» 
ſchaft; nirgends Hat man eine ruhige fanfte Fläche, über melde 
das Auge fo gerne hinſchweift, über grüne Wiefengründe, durch 
dichtbelaubte Walder, um droben auf ber Höhe beim Aublick eines 
Schloffes, einer Ruine zu verweilen. Don weitem gefehen erſcheint 
Alles wie zerrifien und zerflüftet und die Tauſende von Häufern 
unb Villen bilden überall Gruppen von weißen Punkten oder un⸗ 
zegelmäßige Linien, welche die an ſich fo fchönen Formen ber 
Berge unruhig machen, ja faſt zerftören. 

Es war ber ſechſte November und bie Buft jo angenehm und 
warm, daß es mir in einem leichten Sommerrock wicht zu kuhl war, 
An ben Nfern des Arno fahen Gruppen von Märmern, Weibern 
und Kindern, an einem andern Ort fpielten junge Burſche in Hemd» 
ärmeln mit hölzernen Kugeln, welche fie fo dicht wie möglich an 
"bie Mauer irgend einer alten Kapelle warfen — ein Spiel, das 
‚zan, fo glaube id, bei uns „Antverfen* nennt; barfllBige Kinder 
"Rande dabei und fchienen an ihrer jehr bänmen Befteibung volle 
fommen genug zu haben, und doch war es auch hier ſchon Winter; 
ber. Boden bedeckt mit dem gelben und rothen Blättern ber Kaſta⸗ 
nien, Ulmen, Eſchen, kurz all ber Baume, bie auch Hier in der 
‚talten Jahreszeit ihr Laub verlieren; bie immergrünenden Bäume 
und Gebüſche aber, bie dazwiſchen ſtehen, Gteineichen, Lorbeern, 
ſowie die Yoloffalen Epheuranlen, welche ganze Stämme umwunden 


70 Viertes Kapitel. 


Haben und das abgefallene Laub derſelben volftändig erſeten, machen 
ben Anblick der Gegend hier jo malerifch und ſchön; e& Liegt das 
wie aller Effeft in ben Kontraften, und man kann nichts ſchöneres 
ſehen, als bort 3. 3. jenes weiße Haus mit feiner weit vorfpringen- 
ben Beranba, deren Laubdach theil auf alten grauen Holzſtämmen, 
theils auf roh gemauerten Pfeilern ruht, Unter ben Fenſtern hängen 
Welfchlornkränge von golbgelber Farbe, wilde Reben, bie leicht über 
eine niedrige Mauer geſchlungen find, fehen glänzend roth aus, und 
während ſich eine mächtige immergrüne Eiche wie liebend über das 
Dach Hinneigt, flehen vorn am Eingange be Gehöftes zwei ſehr 
Hohe ſchwarze Eypreffen ernft und unbeweglich; das Kofen der mil 
ben Luft, welches bie andern Blätter leicht erzittern läßt, macht 
auf fie feine Wirkung und fie verharren ungerühtt, finfter, ja 
melancholiſch; es iſt noch ein GLäd, da ein junges Hübfcjes Mäd- 
en mit üppigem Haarwuchs und ſchwarzen, glänzenden Augen an 
einem biefer mürrifchen Stämme Iehnt und Yachend „Div mio” 
zuft, während wir vorüber ſauſen. Die Rebgewinde Haben auch 
{Con meiftens ihre Blätter verloren und man fieht deutlicher ihre 
phantaftifchen und feltfamen Verſchlingungen. Wenn ich fo bie 
alten Maulbeerbäume anfehe, welche geduldig die Nınarmungen der 
Rebe ertragen, fo kommt e8 mix oft vor, als thäten fie das nur 
zu ihrem eigenen Vergnügen unb al3 hielten bie bejahrten Stämme 
zuweilen eine Meine Tanzpartie und gebrauchten hierzu die Rebe 
als Guirlande oder Blumenkranz, 

Doc wir find bereit dritthalb Stunden gefahren, immer an 
ähnlichen Gegenftänben vorüber, bie fich mit geringen Abwechslungen 
gleich bleiben und Haben Pifa erreicht, wo man beim Ausſteigen 
durch eine faft undurchdringliche Schaar von Kutfchern und Dienft- 
fertigen aller Art, bie un ſelbſt und unfer Gepäd davonführen 
wollen, aufgehalten wird. Pifa ift für feine jehige Bevölkerung viel 
zu groß und feine Straßen Tiegen deßhalb 5b und Teer; man kann 
bie? jelbft vom boxtigen Sungarno jagen, ber übrigens weit ſchöner 
und prachtvoller ift, als der Florentiner; wenige Spagiergänger 











Nach Carrara. 71 


fieht man hier in gewöhnlichen Stunden, felten taffelt eine Equipage 
über das Pflafter und die großen Paläfte und Häufer an ben Quais 
ftehen da ernft und trauernd. Mebrigens ift Pifa befanntermaßen 
eine ſchöne und ſehr merfwürbige Stadt, im Sommer befucht von 
zahlreichen Fremden, welche die milde, einer kranken Bruft fo au: 
trägliche Luft einathmen und fich am Anblic der alten Herzlichen 
Bautverke, de3 Campo fanto, ber Kathedrale und des fchiefen Thur⸗ 
mes ergögen, Ach, mit dem Bild des ſchiefen Thurmes tritt mic 
eine Erinnerung aus ber Jugendzeit fo Iebhaft vor die Seele! Ich 
Hatte denfelben auf einem Schreibheft abgebildet, Tonnte nicht begreifen, 
warum er in folder naturwidrigen Haltung nicht umftürze, und 
verfuchte eines Tages den Baumeiſter, der vieleicht Zufall heißt, 
auf meinem Schreibheft zu verbeffern, indem ich den fhiefen Thurm 
durch einige dicke Tintenftriche an der überhängenden Seite mit einem 
foliden Strebepfeiler unterftüßte; dies trug mix tüchtige Klapſe 
ein, was aber unter andern ben Vortheil hatte, daß ich Piſa 
und feinen fehiefen Thurm nie vergaß. 

Der Eifenbahnhof nach Lucca liegt in Pifa entgegengeſetzt von 
dem Slorentiner und man muß bie ganze Stabt durchfahren, um 
dorthin zu gelangen; er ift Hein, ettvas kümmerlich und fieht ſehr 
proviſoriſch aus. Nach Lucca kommt man in ungefähr dreiviertel 
Stunden durch eine wunderſchöne und reizende Gegend; die Bahn 
führt meiſtens an den Bergabhängen Hin, die mit Schlöſſern, Thür— 
men, einen und großen Villen überfäet find und beffeidet mit einer 
mannigfaltigen jeht noch tief grünen Vegetation; Hare Waſſer ftür- 
zen aus ben Schluchten hervor und eilen unter der Bahn durch in 
das flache Land, das fi; auf unferer Linken in einer unabfehbaren 
Ebene bis zum Meere hinausſtreckt. Um Lucca treten bie Berge 
etwas zurück; e3 ift eine eigenthümliche Stadt, die man, einmal 
gefehen, nicht fo Yeicht twieber vergißt; einft eine Feſtung, Hat es 
feine Gräben und Wälle behalten und Ießtere, aus grauen Mauern 
beſtehend, erheben ſich in langen, geraben und regelmäßigen Linien 
rings umher aus ber Ebene, jo bie Stabt umgebend, Dieje Wälle 


72 Viertes Kapitel, 


find Spaziergänge, mit Hohen, dichthelaubten Bäumen bepflaugt, 
weßhalb man von außen von Lucca wenig mehr fieht als die gerade 
graue Mauer mit ihren Baumreihen, und über fie hinaus ragen 
die Thürme einiger Kirchen. 

Nur bis hieher konute ich die Eiſenbahn benuhen und mußte 
meinen Weg über Pietra ſanta nach Carrara auf einem Mic 
wagen fortſehzen. Um einen ſolchen zu erlangen, ließ ich mich in 
die Stabt hineinführen vor eines der Wirthöhäufer, wo ſich Betr 
turini und Kutſcher zu verfammeln pflegen, und war auch im 
Augenblick meiner Ankunft von einer ſolchen Schaar dienftfertiger 
Geſellen umgeben, die einander wegſtießen, fich vorbrängten mb 
mir mit fo gellender Stimme und lautem Gefchrei ihre Wagen und 
Pferde anpriefen, daß ich genöthigt war, mix eine Zeit lang bie 
Ohren zuzuhalten. Dabei war ‚es ein kompleler Abftreich um meine 
werthe Perfon und wenn mich Einer um 10 Paoli Haben wollie, 
To verlangte der Andere 9, ein Dritter 8 und ein Vierter 7; ich 
glaube, wenn ich den Spaß Länger ertzagen hätte, ich wäre umfonft 
gefahren worben, ich würbe noch Geld dazu erhalten Haben. Die 
Kerle, die mich übrigend in ganz kurzer Zeit von einem einfachen 
Signor zum Cavaliere und Signor Conte vorrüden ließen, bränge 
ten ſich mir gar zu pöbelaft auf ben Leib, und als id} fiber fie 
hinweg nach einem zettenden Gegenftanb blidte, bemerkte ich anf 
ber Txeppe des gegenüber Tiegenden Hauſes einen Kleinen untexjeßten 
Kerl mit einem grauen Galabrefer auf dem Kopfe und angethan 
mit karrirter Jade, wie fie die engliſchen Gtallleute zu tungen 
pflegen; um den Hald Hatte er trohz bed warmen Tages eimen bieten 
Shatol geſchlungen und Tauete an bem Refle eines jogenannten 
Raltenſchwanzes. Als ich ihn anfah, zuckte er bie Achſeln, ſchloß 
gegen bie mich umgebenbe Menge verächtlich die Angen, inbem ex 
mir durch Pantomimen fagte: er fahre mich um ſechs Pauli, Der 
Mann gefiel mir, ih Brad; mir gewaltſam Wahn durch ben Kreis 
der andern Kutſcher und ging mit Jenem bavon; natitrlichertueife 
wurden ihm einige ſehr unfaubere Rebenzarten: nachgerufen und 





Rah Carrara. 73 


einer fogte mie boshafter Weife, man zahle Hier nie mehr als fünf 
BPaoki für eine Fahrt nad) Pietra fante. Mein Mann Lie fich 
aber: durch alles ba3 nicht aus dem Gleichmuth Kringen, ex ſchriu 
ſtill laͤchelnd vor mir dahin, wobei er übrigens mit allen Seuten, 
die ihm begegneten, ſehr bekannt that; fo grüßte er auch alle hüb⸗ 
Füßen Mabchen, die ihm begegneten, bald mit irgend einem Wort, 
bald. indem er das linke Auge vertraulich gegen fie zukniff. Es 
wer gut, daß ich im Lucca nicht bekaunt war, fonft Hätte ich in 
biefer Geſellſchaft Leicht in übles Gerede Tommen können. Der Wagen, 
ben er mir als unfere Reiſe-Equipage vorftellte, war nichts mehr 
und nichts weniger, als ein einfacher Parocino, d. i. ein zweirädriger 
Karren mit einem Sitze, der in Riemen hängt und deſſen Gabels 
baume hoch auf dem Padlfattel eines ber Heinen lebhaften Pferd» 
Shen befeftigt werben, woburch das ganze Fahrzeug ſehr hintenüber- 
hängt, was namentlich beim Bergfteigen Außerft unbequem ift, 
Während mein Kutſcher, ex Hieh Gecco, fein Geführte herrichtete, 
machte ich einen Gang durch die Stabt. Die Strafen von Lucca 
waren zu keiner Zeit ſehr lebhaft und Yiegen nun, feit der früher 
Hier regierende Herzog Parma übernommen und bort reſidirt, in 
trofilofe Dede und Einſamleit. Während ber Sommer: und Babe- 
ſaiſon wird es freilich anders fein, denn die Bäder von Lucca haben 
inuner noch einen guten Namen und follen recht befucht fein, 
Unterdefien Hatte mein Cecco fein Pferd eingeipannt; ich beftieg 
den ſchwankenden Sig, er warf fid neben mich Hin und nachdem 
er mich ermahnt, recht feſt zu fien, ging es vom Fleck aus im 
vollen Lauf durch die engen und winklichen Straßen Lucca's hin⸗ 
dirch über das glatte Pflaſter hinweg. Ich muB geſtehen, daß ich 
mich zuweilen ſcheu umblictte, denn ich konnte die Idee nicht unters 
drücken, es mäffe an der oder jener Efe nothwendigerweiſe irgend 
tiwas bon um hängen geblieben fein; Gecco aber Tächelte vergnügt 
zu meinen Blicken, ſchnalzte mit ber Zunge, zerrte an feinen Zil- 
geln und knallte mit ber Peltſche. Ich Habe mie einen Kerl von 
Hrößerer Lebhaftigleit geſehen, nicht eine Sekunde lang Lonrite ex 


74 Biertes Kapitel, 


ruhig ſihen bleiben; bald wandte er fich rechts, bald linls, bald 
rüdtwärts, jegt fchaute ex zu den Rädern hinab, daun ftand er auf, 


um fich ben Kopf feines Pferdes in ber Nähe zu Betrachten, Kurz, _ 


ex fuhr beftänbig auf feinem Sihe hin und Her wie — doch id 
hätte mich faft eines unziemlichen Ausdruds bedient, 

Bon Lucca aus führt bie ſchöne breite Straße eben bis an 
den Fuß des Gebirges an zahlreichen Villen vorbei, durch Kleine 
Dörfer unter hochftämmigen Bäumen bahin, bie fich oben zufammen- 
neigen und fo ein Laubdach über unfere Wege bilden. Da e3, wie 
ſchon gefagt, Sonntag war, fo befand ſich ein großer Theil der 
Bevölkerung auf ber Straße, theils ſpazieren gehend, kheils in leb⸗ 
Hafter Unterhaltung auf den Mauern und Wegfteinen ſihend, ober 
auch gruppentveife in der Mitte ber Straße ſtehend, was meinen 
Cecco jedesmal veranlaßte, mit vielem Gefchrei an ihnen vorüber 
zu fahren. Unter ben Weibern und Mädchen ber Umgegenb von 
Lucca fah ich viel mehr jchöne Gefichter und Figuren als in der 
Nähe von Florenz, zuweilen bemerkt man wahrhaft herrliche Ge: 
Halten junger Mädchen, mit aufgelegtem Arm nadhläffig an einen 
Thürpfoſten gelehnt, die, wenn wir vorüber xollten, langſam, faſt 
träge den Kopf aufhoben, dagegen unter ben dunkeln Wimpern 
einen Blick hervorſchießen Tießen, der von geofer Wärme und Lebe 
Haftigfeit zeugte. Nach einer Fleinen Stunde faft unaufhörlichen 
Galopirens unſeres Pferdchens erreichten wir den Monte di Chieſa, 
ben ih, um das arme Thier etwas ausruhen zu Iaffen, au Fuß 
hinanſtieg. 

Man lann ſich nichts Lieblicheres und Schöneres denken, als 
dieſen Weg. Kaum hat man die erſten Krümmungen deſſelben 
Hinter ſich, fo ift da8 Thal, welches wir ſoeben berlaffen, unfern 
Biden gänzlic) entſchwunden unb wir befinden uns plößlic in 
einer feierlich ftillen gewaltigen Bergnatur; murmelnde Quellen 
tiefen von den Höhen herab uns entgegen und würden und gewiß 
viel Schönes erzählen, wenn wir ihre Sprache verftänben ; bie Berge 
wände, welche dicht neben ber Straße fteil in die Höhe fleigen, 





Nah Sarrara. 75 


find dicht mit Büſchen und Bäumen bedeckt, und auf ber bunfeln 
Farbe der immergrünen Eichen und bes Lorbeers zeichnen fich die 
‚Blätter des Olivenbaums mit ihrem grauen Schimmer, fowle die 
gelber: und rothen Blätter ber andern ſchon herbſtlich gefärbten 
Malbbäume fo mannigfaltig und prächtig ab. Die Ränder des 
Weg: find mit allerlei wildwachſenden Blumen bedect, bie ihre 
weißen Sterne und blauen Gloden hier kokett aufrecht tragen, dort 
ſinnend, vieleicht trauernd Kerabhängen laſſen. Da es bereits bier 
Uhr war, fo neigte ſich die Sonne ſtark abwärts und war ſchon 
Hinter dem Monte bi Chiefa, dem ich eben erftieg, verſchwunden; 
die Schellen von Cecco's Pierb hörte ich nur noch in weiter Ente 
fernung Hingeln und da fonft kein Fuhrwerk auf der Straße war, 
To befand ich mich ganz allein in diefen Bergen, zwiſchen biefen 
Schluchten, die ſchon mit tiefen Schalten bebeit waren — allein 
mit meinen Gedanken, welche, ich will es geftehen, am heutigen 
Tage zu meiner ernſten, ja finfteren Umgebung vortrefflich paßten. 
Glücklicherweiſe Hatte mich die Sonne noch nicht ganz berlaffen, 
ſondern fanbte durch eine Deffnung in den Bergen einen Fleinen glänz 
zenden Strahl ihres freundlichen Lichts, der bie Spihen ber Höher ge- 
Tegenen Felawände prächtig vergoldete. Unten Nacht und Schatten, 
von oben Licht und Hoffnung — ein Bild unſeres Lebens. 

Wenn man den Monte di Chiefa hinaufgeftiegen ift und enb- 
lich auf bie Höhe gelangt, fo wird man durch die prachtvolle Aus- 
Fioht, die man hier oben Hat, volfftändig belohnt; ein veicheres und 
herrlicheres Panorama Tann man nicht leicht ſehen. Da wo fi) ber 
Weg twieder abwärts neigt, fteht eine Heine Kapelle mit einem Vor: 
bach, welches auf dunkeln grauen Säulen ruht. Da an dem Kirche 
Tein ſetzt' ich mich nieder und blicte Lange hinab auf die Kuppen 
und Abhänge des grünen Bergs, zwiſchen welchen fi; der Weg wie 
eine gelbe Schlange in vielfadher Bewegung durchwindet, bis er 
endlich in einem kleinen Dörfchen, deffen rother Kirchthurm freund: 
lich emporbliett, feheinbar verſchwindet und zu Ende ift; aber nur 

ſcheinbar, denn wahrſcheiulich erınübet don bem Bergfleigen; will 


a 


76 Biertes Kapitel. 


ex ein bischen faullenzen und verliert ſich im Borken Sank.-ms 
Fuß der Felswand unter Olivenbäumen und Lorbeerſträuchen. 

Bor uns bildet ber Monte di Chieſa eine gewaltige Schlucht 
bie ihren Fuß auf bie Ebene vor uns ſeht und und fo einen Bl 
geftattet weit über das flache Land hinaus bis zum Meex Kin, bat 
om Horizont in Wollen und Rebelmaſſen zu verichwishen fcheish 

Die Färbung war unnennbar fchän: durch die matergehenbe 
Summe wurde ein Theil des Himmels mit einem Glange beftrahlt 
ber von ber Farbe des Goldes laugſam in das feinfte Roth über 
ging, wodurch bie dunlelblaue Suft, ba wo fie mit jenem Koloxit 
aufansmentraf, hell fergsän erſchien; all biefe Gaxben nun ſwienelten 
fich in den zahlreichen Waffergräben, in den Lachen der Sümpfe 
unb Reiöfelder wider, womit die Ebene bededt war, und fo glängte 
& ba unlen in Gelb, Roth, Grün, Violett, ala fei bie game 
Flache weit hinauz mit ungeheuren Stüden Perlmutter überfück 
und am Horizont erſchien das Meer wie eine Einfaflung ven 
bumtelm Stahl, von dem die Flammen eines ungeheuren Braubes 
abſtrahlen. 

Mit einem. Gefährt wie das unfrige kann man. in der · Ebene 
raſch vorwärts Lommen, bergauf und bergab geht es ſehr langſaut. 
was übrigens meinen Gecco ſehr ungeduldig machte. Da ich ihen 
auf feine vielen ragen wenig Antworten gab, fo unterhielt er 
fich meiſtens mit feinem Pferd, welches ex denn auch, ſobald ‚wir 
wieder in ber Ebene angelangt waren, bald mit Schmeicheleien, 
bald mit Schimpfiworten zu neuem und eiligem Lauf antrieb;jegt 
behauptete er, DaB Pferbchen fei feine cheuerfie Giemnbin,- frine 
liebe Emilio; doc meinte ex gleich darauf, es fei eigentlich doch 
wohl nur aus einer Hunbexaffe entipxofien und bie nieherträchtigfie 
Beſtie, die auf der ganzen weiten Welt zu finden ſei; dabei hatie 
ex aber noch vollfommen Zeit, Kein Mädchen ungenedt ihres WegB 
ziehen zu laſſen, bald warf ex ihnen Kußhande zu, bald knallie 
er nach ihnen mit ber Peitſche, und wenn wir zufällig cm 
jungen Menſchen erreichten, ber mit feiner Freundin von ber 


Nah Earrara. 77 


Chauffee in einen Feldweg einbog, fo fang er ihnen eine Strophe 
ingenb eines sunübetfepbaren ilalleniſchen Biebes nach. 

So zollten wir, den Monte di Chiefa Hinter uns, zur Mechten 
die Bergwand, zur Binten die Maremmen unb Reisfelder, auf ber 
ebenen Landſtraße dahin; bie Luft war fo Klar und zein, daß mar 
jebes Baumblatt ſcharf abgezeichnet ſah und ben Draht des Tele 
graphen neben umd weit hinaus mit den Augen verfolgen konnte. 
An der Straße ſtanden hohe Ulmen, die ihre Kronen zu einander 
neigten und deren Stamme ſtundenweit durch Neben mit einander 
verflochten waren; dabei wurde bie Farbung in der Luft, auf ber 
Ebene und an ben Bergwanden mit jedem Augenblick glühender 
und war fo weich, duftig und warm; gegen Weſten lag auf dem 
Himmel ein wahrer Goldgrund, auf welchem fich Hauſer, Baume 
ſcharf und ſchwarz abzeichneten. Neben der Straße ſah ich zu⸗ 
weilen einen einfamen dunkleln Nachen auf fo hellem und ruhigem 
Bafjer liegen, daß fein Schatten nicht einmal eine leiſe zitternbe 
Bewegung zeigte. Inſellen ſummten um ums Her unb von fern 
und nah vernahm man den melobifchen Klang ber Gloden, welche 
baB Ave Maria Yänteten. Es lag eim ummenmbarer Friede über 
ber ganzen Natur, ber fich aber in Ernft und Trauer vertvanbelte, 
Fotwie die himmliſchen Lichter rings umher außgeldfcht waren und 
bie grauen Abendnebel aufftiegen. Zu biefer Stunde fuhren wir 
Uberbied noch durch einen dichten Olivenwald, ber an fich ſchon 
elwas Düfteres und Melancholiſches Hat, Wenn fich ba? Blatt 
biefes Baumes, auf anberm Grun gefehen, mit feinem grauen Schim⸗ 
mer frennblich ausnimmt, jo gibt auch eben dieſe graue Farbe ba, 
Wo’ die Baume dicht bei einander ftehen, benfelben etwas Unbe⸗ 
Mlmmstes und fie erſcheinen inte in graue Schleier gehülft, wobei 
ein ſolcher Wald einen eigenthümlichen, obgleich nicht unangenehmen 
Kauf aushaucht. Ein Muttergottesbilb von weißem Marmor, bei 
kein wir vorbeirolllen und vor welchem Gecco ehrerbietig feinen 
Hat abzog, hatte In biefer Umgebung etwas unendlich Verjöhnendes. 

Bieten fanta, ein Meines Städtchen mit hohen Mauern und 


78 Biertes Kapitel, 


feften Thoren, erreichten wir bei völliger Nacht, was übrigens mei ⸗ 
nen Kutfcher nicht abhielt, auch ohne MWagenlaterne im geſtreckten 
Kauf hindurch zu fahren. Ich wußte wohl, daß Pietra ſanta einen 
ſehr guten Gaſthof Hatte, „Alla Pota’ bei Bertolani Fratelli, 
leider Hatte ich aber biefen Namen vergeffen und obgleich ich nach 
der erften Locanda verlangte, führte mich Cecco denuoch nach einer 
Heinen Kneipe, wo es, feiner Ausſage nach, vortrefflich fein follte, 
Nachdem ich einmal bort abgeftiegen war, lieh man mich auch nicht 
meh fort unb als ich in einem finfteren Erbgefchob ein ſehr ſchlechtes 
Nachteffen verzehrt und meine Cigarre angezündet hatte, um noch einen 
Leinen Spaziergang zu machen, war e8 für mich ein unangenehmes Ge- 
FÜHL, nach einigem Umherſchlendern das Haus Bertoloni zufälliger- 
weiſe aufzufinden, welchem ber breite erhellte Thorweg, freundliche Gaft- 
zimmer und anftändige Kellner ein fo wohnliches Anfehen gaben. 

Am anderen Morgen ſehte ich meine Fahrt nach Carrara 
wieder auf einem Parocino fort, doc) war mein Kutjcher diesmal 
ein alter gefegter Mann mit geflicter Jade und grauem unraſir⸗ 
tem Sinn. Sein Pferd paßte vortrefflich zu ihm und zeigte durch- 
aus teine Neigung zu ben ſchnelleren Gangarten; dagegen ſcheute 
es vor jedem Stein, vor jedem Waffergraben und zeigte beim Stehen- 
bleiben eine große Vorliebe für retrograde Bewegungen. So klep⸗ 
perlen wir vorwärts und unſer langſames Fahren hatte ben Vor— 
theil, dah ich mit größerer Bequemlichleit die immerfort ſchöne 
Gegend betrachten konnte. Hier hat Alles ein maleriſches und 
eigenthümliches Unfehen, jedes Hau, jeder Stall, jede Mauer würde 
ſich ohne Zuthat allerliehft in einem Bild ausnehmen. Mit ben 
Welſchkornkolben verzieren fie dergeftalt die Fagaden ihrer Woh⸗ 
nungen, baß fie ber ganzen Architektur genau folgen, wodurch bie 
Gebäude mit einer goldgelben Farbe überzogen zu fein fcheinen; 
auch bie Staffage diefer Landſchaft ift fo bunt und mannigfaltig, 
die leichten Parocino's, bie uns im vollen Lauf begegnen, bie 
Pferde mit blantem Meſſinggeſchirr und Schellen Kehängt, oben auf 
dem Kammbderfel nicht felten mit einer Heinen Windfahne verjehen, 





Nah Carrara, 9 


führen balb eine einzelne Perfon in brauner Sammetjade und 
ſpihem Hut, ober find zuweilen beladen mit einem halben Duhend 
flämmiger Kerle ober gewichtiger Weiber. Auch altväterifch ges 
baute Miethkutfchen kommen uns langſam entgegen, ber Wagen« 
Laften ſchwault bedeutend Hin und her, bie Pferde laſſen ihre Köpfe 
Hängen und der Vetturin, die Cigarre im Mund, guet vergeblich 
anfmunternd an den Zügeln. Oft ift bie Strafe weite Strecken 
bededt mit zahlreichen Ochſenkarren, welche Holz, Erbe und Gteine 
führen, bie Thiere find meiſtens weiß, Räder und Geftell zinnober⸗ 
roth angeflrichen und Hoch oben auf der Babung ſiht der Fuhr⸗ 
mann unb Ienkt da® Ganze mit einer langen zugefpiten Stange 
und einem ausdrudvollen Zungenfchnalzen. 

Bald Hatten wir Maſſa Earrara erreicht, einen ber Tieblichften 
Punkte, die man auf biefer Erde fehen Tann. Die Stadt ift in 
einer Schlucht an ben Berg hinangebaut, der oben gekrönt ift von 
ben riefenhaften Trümmern einer ehemaligen Feftung, vorne Öffuet 
ſich dieſe Schlucht anf bie Ebene und das Meer und ift bis tief 
hinab angefüllt mit Orangen, Eitronen und Lorbeeren, mit duften- 
ben Blüthen nnd goldgelben Früchten. Es iſt eigenthümlich, daß 
das ganze Maſſa Carrara etwas Ruinenartiges Hat, und es if 
auch wohl Hauptjächlich das, was ihm neben feiner prächtigen Lage 
einen fo befonberen Reiz verleiht, Wohl gibt 8 Straßen in der 
Stadt, die ſehr wohnlich und gut erhalten find, doch außerhalb 
ber Mauern fieht man Veranden, Thorbogen, Garteneinfafjungen 
in Ruinen, was um fo mehr auffällt, als das Baumaterial viel- 
fach weißer Marmor war und man oft an zierlichen Treppen, an 
ſchlanken Säulen erkennen kann, wie forgfältig die Gebäude ein 
ftens aufgeführt twurben, die man num in Trümmer zerfallen ließ. 
Aber die Natur Hat mit Liebender Hand dieſe Wunden zuzudecken 
geroußt und e8 Kefchleicht uns nur zumeilen ein Gefühl ber Wehe 
muth, wenn wir in einen Garten hineinbliden, defjen marmornes 
Thor niebergeftürzt it, deffen Dauer gertrümmert baliegt, und wenn 
wir jehen, daß ihre Stellen fo freundlich eingenommen. wurden don 


80 Viertes Kapitel, 


buftenden immergrünen Bäumen, bie fich jett ftatt bes Thors am 
Eingang gegen einander neigen, ober von wehendem überhängenbem 
Rebenlaub, welches num bie Stelle ber Mauer vertritt. Ich Habe 
ben Lorbeer nie jo fchön und Träftig wachſen fehen wie in ber 
Umgebung von Maſſa Carrara und es erregt ein eigenthümliches 
Gefuhl, wenn man braufen vor ber Stadt Meinen Kindern oder 
Weibern begegnet, bie auf ihrem Kopf ein großes Bundel dieſer 
edlen und fcönen Zweige mit ihrer runden bunfeltothen Frucht 
tragen, wie man bei uns zu Sand ein Bünbel Reifig ober Tannen: 
holz mit fi nimmt, 

Der Pla dor bem Schloß Hin if mit einer zweifachen Allee 
von großen ſtarlen Orangenbäumen umgeben. Es ift bieß ſelbſt 
Hier in Italien eine Merkwurdigkeit, denn wenn man fonft kräftige 
Bäume biefer Art fieht, ift das an Plähen, wo fie durch eime 
Mauer, einen Feld oder dergleichen bor ber rauhen Witterung einiger⸗ 
maßen geſchuzt find. Ehemals befand fich auf einer Seite bes Schloß: 
plaßes in Lucca eine Heine Kapelle, welche von ben Franzoſen zer 
ſtort und niebergeriffen wurde; fpäter füllte man dieſe Lücke eben- 
falls mit Orangenbäumen auß, doch wollten fie nie recht gedeihen; 
ich ſah das Heute wieder, denn während bie Kronen ber anderen 
Bäume vol umb rund find, auch im aftigften Grün prangen, vege- 
tiren bie an jenem Plaße kümmerlich fort mit kahlen Aeſten und 
gelben Laub. Naturlich behauptet ber Vollsglaube, ber Heilige Grund 
ber zerftörten Kapelle räͤche fich Hierdurch an ben armen und un— 
ſchuldigen Bäumen; bie Wahrheit aber ift, baß fie durch eine Haufer⸗ 
Tüde, ihnen gerade gegenüber, von ben Nordwinden beftrichen twer- 
ben, bie zutveilen ſehr kalt von ben Gebirgen herabwehen. 

Jenſeits ber großen Brüde aus weihem Marmor, welche fich fiber 
einen ſchaumenden Waldbach ſpannt und ben Berg von Maffa mit La 
Foce verbinbet, welche durch eine tiefe Schlucht gefcjieben find, fanden 
wie einen umgeworfenen Reiſewagen, beffen beibe Linke Räder zer⸗ 
brochen waren und ber fich am einer jehr abſchüſfigen Stelle mit dem 
Wagentaften an das Mauergelände lehnte; glücklicherweiſe war kein 


Nah Carrara. 8 


weitere Unglück vorgefallen, unb bie vier Paflagiere deſſelben um: 
ftanden lachend ihr Fuhrwerk, während der Kutſcher fluchend bes 
müht war, das Gepäck herabzuwerfen. Mir unbegreiflicherweie 
Hatte dabei nur der Telegraphendraht Schaden gelitten, deun er 
war an diejer Stelle zerriffen und hing neben dem Wagen herab. 

Meinem alten Kutſcher voraus ſtieg ich zu Zub den Berg hinan, 
um bdroben von ber Höhe von La Foce bie Herzliche Aueficht einen 
Augenbliet genieben zu Tönnen. Zief unter fich hat man auf ber linken 
Seite Maſſa Carrara, und fieht jet jo deutlich, wie es an ben 
Bergen angebaut if, unten die Stabt mit ihren gelben und weißen 
Häufern in einer Felſenſchale voll bes ſchouſten und ſriſcheſten Grüns 
Tiegend, oberhalb berjelben das Schloß aus röthlichem Stein erbauu, 
mit feinen vielen Bogen, Gewölhen und großen Fenſtern, und end» 
lich auf der Spige bes Vergs bie alte Feſtung, eine ſchwere dunkel ⸗ 
graue Maffe, deren Formen fich ſcharf auf dem blauen Himmel abs 
zeichnen ; vor und flacht ſich das Gebirge ab, Die Berge werben Hügel, 
die Hügel immer flacher unb ebener, in- unferer Nähe jehen wir 
alles das in Bell: und dunkelgrün gefleibet, weiterhin wird es vio ⸗ 
lett und grau, bis unten in ber Ebene bie Iehte Farbe vorherrſcht, 
und alles wie Nebel und Duft exfcheint, wie ein grauer koloſſaler 
Schleier mit eingelnen Licht: und Schattenpunkten, der endlich am 
Horizont eingefaßt ift vom dem filberglängenden Deere. 

Der Bergrüden von Ga Foce trennt bie beiben Thäler, in 
denen. Mafja Carrara und Garrara liegt, und kaum ift man bie 
erſten Winbungen der Straße hinabgefahten, fo erblidt man auch 
ben Iegtern Ort ſchon vor ſich: ein Mittelpunkt bon weißen und 
grauen Häufern, überragt vom ein paar nicht all zu Hohen Kirch - 
thlirmen, um welche herum zerſtreut andere Wohnungen Liegen, bie 
fich auf einigen Seiten als ſchmaler Streifen in bie Schluchten 
bes Gebirge fortjepen. So liegt Garrava vor und tief gebettet 
zwiſchen hohen ſtarren Felsmaſſen, die unten, wie alles übrige Ges 
bir, grun und grau erſcheinen, ‚oben aber ſchon von. weitem felt: 

Qudländers Merk. XII. 6 


82 Viertes Kapitel. 


ſame glänzeubweihe Flede, Riffe und Linien zeigen, welche voll- 
Kommen dad Aufehen Haben, ais fei da und dort in Schluchten 
und Hößlen eine beträchtliche Menge Schnees Liegen geblieben, Die 
warme Hate Luft aber unb bie grünen Bäume ſprechen vom Gegen: 
tHeil und Haben volllommen edit, und was wir dort vor ud 
ſehen, find bie berühmten Marmorbrüche von Carrara, von denen 
Immer neue vor unfere Augen txeten, ſowie wir uns bem Thale nähern. 

Wem bei und ein junger angehender Bildhauer feine erſten 
Phantafien in grauem Thon außarbeitet, ber fpäter beim Bremen 
öfter eine anbere Form annimmt ala ber Kunſtler gemollt und 
3 B. ein ebel gedachtes Geſicht einigermaßen verzerrt wiedergibt, 
ober wenn er einmal jo glüdlich ift, einen klleinen Entwurf ausführen 
zu bürfen, und nun am fpröben dentichen Sanbftein Gerumbänunert, 
To dent er ſeufzend an ein Schlaraffenland, aber nicht an das, 
wo der große Mandeltuchenberg exiflirt ober wo bie gebratenen 
Zauben und gebackenen Ferkel inftändigft bitten, man möge fie ver- 
zehren, fonbern ex denlt an ein Band, wo bie Felſen aus bem ſchönſten 
weißen Marmor befleen, wo bie Stzaßen mit biefem ebeln Material 
bebedt find, wo ſelbſt ganze Häufer oder doch wenigſtens ſammtliche 
Zreppen, Thin · und Senftereinfaffungen, Thorbogen, Mauern, Fuß 
Pfade, Brusnentröge and dieſem glängend weihen Gtein beftehen, tucz 
— ex denkt an Carrara. Und es iſt Hier in Wahrheit ſo. So⸗ 
wie man bie Stabt betritt, fehreitet man über Marmorfleine durch 
Marmorftaub bei großen Haufen zerſchlagener Stücke vorbei, die 
vor ben Utelierd Liegen und genau tie weiber Zucker ausſehen; aus 
ben meiften Käufern, namentlich in ber äußern Stadt, ſchallt und 
ber Schlag der Hämmer, das Knirſchen der Marmorſäge entgegen, 
wo wir in eine weilgeöffnete Thure hineinblicken, ſehen wir zahl: 
veiche Kunſtler au ber Arbeit; dort arbeiten gewöhnliche Steinhauer 
ben Bloc im Roben einigermaßen zu, daueben find die Punktjeper, 
die unter ihrem Ne von Fäden mechanifd die ganze Figur nad) 
dem Modell des Künftlerd, ohne jelbft Künftler zu fein, hervorbringen; 


Nah Garrara 83 


baneben fieht der Meifter ſelbſt und legt bie Iekte Hanb an fein 
Wert, um die Statue, bie biß jetzt nur in den Formen richtig dat» 
geſtellt wurde, zu überarbeiten und ihr Beben und Bewegung zu 
verleihen. Gs ift ein heiteres vergnügtes Beben in diefen Ateliers, 
bie Bildhauer find guter Dinge, wenn fie nur vollauf zu arbeiten 
Yaben, und ſchaffen da mit Vuſt und Siebe an dem eben Stein 
herum. Der Stand in einem ſolchen Atelier ift faſt wie ber in 
einer Mühle und überzieht bie Kleider mit einer weißlichgrauen 
Farbe. Um dad Haar davor zu bewahren, tragen bie meiften 
Heine Mühen von Papier in den feltfamften Formen auf ben Kopf. 

Freund Hofer von Stuttgart, ben einzigen deutſchen Bildhauer, 
ber ſich in biefem Augenblicke in Carrara aufhält, fand ich ebenfalls 
in feinem großen Atelier in voller Arbeit, Nachdem er feine herr⸗ 
lichen Pferdegruppen vollendet, erhielt er von Sr. Maj. dem König 
bon Württemberg ben Auftrag, mehrere Statuen über Lebensgröße 
in weißen Marmor file den Töniglichen Schloßgarten in Stuttgart 
anzufertigen; bereit feit einigen Jahren arbeitet ex mit großem 
Fleiß daran, fo daß er biefen großen ihn ehrenden Auftrag wohl 
noch im Lauf des nächften Sommers beendigen wird. Die meiften 
der Statuen ſtehen ſchon von feiner Hand überarbtitet vollendet 
ba, ımb außer der wirllich kunſtleriſchen ſchoͤnen Ausführung, bie 
fege zu Toben ift, Hat fih Hofer bemüht, volllommen fehlerfreien 
Marmor von gleicher Farbe zu finden, was bei jo großen Stucken, 
wie ex fie gebrauchte, ſehr ſchwierig iſt. 

Hofer führte mich mit geoßer Freundlichkeit in ben Ateliers 
von Carrara umber, und zeigte mir alles, was Hier don ange 
fangenen ober vollendeten Arbeiten bon irgend einer Bedeutung war. 

Carrara ift in biefem Augenblick außerordentlich befchäftigt, weß 
Halb denn auch bie Breife des Kohmaterials und ber fertigen Arbeiten 
gegen frühere Jahre bebeutenb geftiegen find, Steinhauer, Bildhauer, 
ſowie auch bie Ornamentiften Haben alle Hände voll zu thun; Nord⸗ 
amerlla Hat große Beſtellungen gemacht, und ſaſt überall trifft man 


I 


84 Biertes Kapitel, 


hier Statuen, dort Kamine ober Säulen, ja felbft ganze Monumente 
für Kirchen ober für daß Freie beftimmt, die über dad Meer wan⸗ 
bern follen; auch für Rußland wird ſtark gearbeitet, und eins ber 
größten Ateliers ift fon feit Längerer Zeit beichäftigt, Sachen, bie 
zur Ausſchmuckung der Iſaakatirche in Gt. Petersburg beftimmt 
find, anzufertigen. Se. Maj. der Kaifer Nikolaus Hat nämlich, 
wie man mir fagte, in Rom bie Bilder verfchiebener ruſſiſcher Hei ⸗ 
Tigen in Eoloffalen Dimenfionen und in Mofait ausführen Lafien, 
für welche nun hier in Carrara die Einfafjungen aus dem beſten 
weißen Marmor erfier Qualität gemacht werden; fie fielen Früchte 
und Blumenguirlanden vor, zwifchen benen Vögel und andere Thier- 
Gen durchſchlupfen, einander folgen und jo mit Laub und Blättern, 
welche bie einzelnen Theile verbinden, eine reizende bewegte Kette 
bilden. Es find dieß in ber That ſehr ſchoͤne Arbeiten, ſowohl 
wos Kompofition als Ausführung anbelangt, Hofer zeigte mix 
hierbei noch, ba man biefe Axbeiten der größern Genauigkeit und 
Zierlichteit wegen vorher in Punkte gejeht habe, was man fon 
bei Ornamenten nie zu thun pflegte- Nach Modellen von Rauch 
ſah ich vier Herrliche Genien, für Se. Tönigl Hoheit, den Prinzen 
don Preußen beftimmt, in Arbeit, fowie von bemielben Meifter die 
Reiterftatue Friedrichs des Großen, nach dem gleichen Mobell bes 
großen Monuments in Berlin, natürlich im kleinern Maßſtab ala 
dort; an legterm hatte man erſt vor Kurzem begonnen, und es war 
ein eigenthümlicher Anblick, wenn man ſah, wie auf dem großen 
Marmorblock bie Figur anfing jo ſchattenhaft hervorzutreten. 

Die Marmorbrüche von Carrara finböftlich von ber Stabtgelegen, 
in einer Thalſchlucht, durch welche der Garrione, ein zuweilen recht 
wildes Bergiaffer, ſchaumend und braufend herablommt; feine grünen 
Wellen haben ſich ein tiefes Bett gewählt und treiben Mühlen und 
Marmorfägen. Da er in eigenfinnigen Windungen feinen Lauf 
nimmt, jo muß ſich der geduldige Weg bequemen, ihm bald rechts 
bald Links Play zu machen und ſich zuweilen mit xecht wenig Rasım 





Nah Carrara. 85 


begnügen. In der Nähe ber Stadt find bie Wande ber Thalſchlucht 
biegt mit Grün bewachſen, mit Bäumen und Sträudjen, bie bi3 auf 
den Weg herımterreichen und von ben fteilen Ufern bes Flufſes in das 
Waffer hinabſchauen — weiter oben aber wird das Thal breiter, 
kahler, und bald fieht man auf beiden Geiten nur noch graues Steins 
geröil mit weißen Marmorbroden dermiſcht, bie von ber Höhe herab 
im Gefolge ber großen Blöde Bis umter unfere Fuße gerollt find. 
Zange belle Streifen von Staub und Steinen ziehen fich die Berg: 
wand Hinauf, und wenn man ihnen mit dem Blicke folgt, fo be- 
merkt man zwiſchen ben dunklen Felſen eine weißglänzende Fläche 
umb fieht dort Menfchen beichäftigt, die einen mächtigen Block abs 
gelöst haben, ben fie, nachdem fie vorher durch ein Hornfignal bie 
unten Beldjäftigten aufmerkſam gemacht, in das Thal hinabrollen 
laffen. Rauſchend und prafjelnd kommt er daher, alles mas in 
feinem Weg ift zermalmend, fo daß ringsum weißer Staub auffliegt, 
und nicht eher ruhend, bis er unten angefommen if. Zuweilen 
nimmt andy ein ſolcher Stein eine falſche Richtung, wendet fich an 
iegend einem Selaftäet und ſturzt micht felten an jäher Wand herz 
nieder, fich ſelbſt zerfegmetternd oder unglückliche Arbeiter, bie viel⸗ 
leicht dort umten fahen umd arglos ihr Brod verzehrlen. 

Es ift intereffant, die Alteften Brüche zu befuchen — fo ben 
Bruch Solommata, der noch aus der Römerzeit Herrührt — und Hier 
zu fehen, wie mühſam man bie großen Blöcke damals durch den 
Meißel ablöfen mußte, ein Geſchäft, welches jetzt ungleich Leichter 
durch die Kraft des Pulvers beforgt wird. Uebrigens kommen heut⸗ 
zutage die meiſten Unglücke bei den Sprengungen vor. Das Signal 
hierzu wird gegeben, da es aber zuweilen etwas lange dauert, bis 
bie Mine losgeht, fo ſchaut Hier oder da ein neugieriger Kopf her: 
dor, um dom einem umherfliegenben Stück getroffen zu werden. 
Weit Hinten im Thal bes Garrione Liegt der Bruch Tantiſcritto, 
wo auf eimer glatten weißen Wand Buonarotti fein Handzeichen 
FISR eingehauen Hat, mit großen Budjftaben: Michel Angelo! 


4 


86 Diertes Kapitel, 


Sobald bie Blöde im Thalgrund angekommen find, werden ihnen 
bie ſcharfen Kanten genommen, unb fie aläbann auf bie miebrigen 
ſchweren Balkenwagen geladen und durch Ochſen nad) Carrara ger 
ſchleppt, um dort verarbeitet ober zur Verlabung nach ber Marine 
(la Venza) gebracht zu werben. Leider wird für bie Wege Hier fo 
gut wie nichts gethan, und es iſt jammervoll anzufehen, wie ſich 
oft zehn bis zwölf ber armen Zugthiere abquälen müffen, um bie 
ſchwere Maffe, dor die man fie gefpannt, von ber Stelle zu bewegen. 
Ein Engländer, Herr Walton, ber bei In Veuza bie ſchone Brüde 
ins Meer Hineingebaut, über welche man ben Marmor leicht in bie 
Schiffe ladet, geht damit um, eine Eiſenbahn von ben VBrüchen 
zur Marine zu bauen; boch wird darüber eine gute Zeit hingehen 
und 6i8 dahin noch eine große Anzahl ber armen Ochſen eine Beute 
des Carrarefiſchen Moraſts und ber Seuche werben, bie fiark unter 
ihnen graffitt. Die Wagenlenter Hier zu Sande machen es fich im 
Gegenfag zu ihrem Vieh jo bequem ala möglich, fie fien meiften® 
oben auf bem Joch, daR ein paar Ochſen verbindet, bad Geſicht 
den Thieren zugelehet, bie fie durch Worte und Hiebe aufmuntern. 
Es iſt befannt, daf aller Marmor aus den Brüchen verzollt wer⸗ 
den muß, unb bieß geſchah früer nach dem Maß ber Blöde, in 
neuerer Zeit aber nach dem Gewicht, indem man bie belabenen 
Karren anf eine Brüdentonage führt, wodurch man bis zum Both 
bie Schwere jedes Steins erfahren und befteuern Tann. 

Garrara Hat ungefähr 8000 Einwohner, von benen wohl bie 
Hälfte in ben Brüdhen, bei ben Gägen, beim Bubauen der rohen 
Blöde und in ben Ateliers, beren e8 eiwa 60 Hier gibt, beſchäftigt 
if, An Öffentlichen ſchdnen Bauwerken ift bie Stabt jehr arm; 
das einzige Nennenswerthe ift bie prächtige antite Zirche Mabonna 
belle Grazie, ſowie das neue auß weißen Marmex erbaute Theater, 
daß aber Ieer fieht und eB auch wohl für bie jehige Carmevals ⸗ 
Saifon bleiben wird, denn bie Herren vom Comité finb mit fich 
uneins, ob fie fich bis zur Oper verfleigen ober mit einer Komddie 


Nach Carrara. 87 


begnügen ſollen. Die Locanden hier find ſchauderhaft, und wer 
eben Tann, ſucht um bie Gaſtfreuudſchaſt irgend eines Bildhauers 
nad), da es einige gibt, bie gegen ſehr mäbige ober bei guter Empfehlung 
auch ofme alle Vergütung ben Fremden gern ein Zimmer und Pla 
am Tiſch gewähren. Ich war fo glücklich, dieß bei Herrn Bivi zu 
finden, ben ich in einem ähnlichen Fall allen meinen Leſern nicht 
bloß ala freumblichen, Liebenstwitchigen Wirth, ſondern auch als ſehr 
guten, talentuollen und geſchickten Bilbhuuex beſtens empfehlen kaun. 

Die Rüdfahet nach Florenz machte ich auf bemfelben Weg 
über Lucca und Pia, war aber jo glücklich, in Carrara flatt de 
Parveino einen geſchloffenen Wagen zu erhalten, in welchem ich 
mich txoß des Mangels jeglicher Ausſicht ſehr wohl befand, benn 
es regnete den ganzen Tag ungufhörlich und ich Hatte dadurch 
Mike, mich auf meine fpanifche Reife vorzubereiten, inbem ich ſehr 
fleißig Tonjugirte amo, amas, ama. — 


Fänftes Kapitel. 
Marſeille. 
atſqhied von Fieremm. Der Vectis. Engliige Gitten während des Diner. Die 
{@öne frangöfiide Rüfe. W la Referve. Gigentpümlih jhöne Dage von Marjeilk. 
Hafenleben. Hotel des Ambaffabeurs. Srantpeit, Kälte und teures Kol. Gine 
Fahrt am Merr. Epaziergänge in der Stadt. Straßen und Magazine. Tfeater. 
Raffeehäufer. Geltfame Progeifionsmuflt. Ein Befu auf Chateau degf. Refcuten 
der (premdenleglon. Gador Montedäprifio. Die franzöfigen Behörden Helfen 
ihren Säeiftfteleen. Gondedare Mertretee DeB deutſgen Munde. Der arme 
Magdeburger. Prahtvoler Abend zur Geimfahrt. 

So hatte ich denn einmal wieder vier Wochen in Florenz ver 
traumt und durch bie Gunft bed Wetters einen |chönen Gecbft verlebt, 
hatte die. meiften der Oxte wieder befucht, bie ich in früheren Zeiten 
geſehen, jene reizenden Punkte ins und außerhalb ber Stadt, die man 
wicht mehr vergißt, Unſere Wohnung war in ber Nähe des Domes, 


88 Sünftes Kapitel, 


unb beffen prachtvoller Glockenthurm aus weißem, tothem unb 
ſchwarzem Marmor ſtand gerade vor meinen Fenſtern. Faſt jedes⸗ 
mal, wenn ich nach Haufe zurüdkehrte, führte mich mein Weg 
bort vorbei und an ben wunderbaren Broncethüren Ghiberti's 
vorüber, welche dad Battifterio zieren. 

Auch Santa Maria Novella beſuchte ich wieder, das fchöne 
Aloſter mit feiner noch fchöneren Apotheke ; daß ich manche Stunde 
im Palazzo begli Uffiei und in der Gallerie Pitti zubrachte, verſteht 
fich von felbft. Die meifte Zeit brachte ich aber mit meiner Familie, 
ber all bad Herrliche neu war, auf Spaziergängen zu in ber reizen⸗ 
ben Umgebung von Florenz; und wo gibt e8 ſchönere Pımfte als 
bei dem Luſtſchloffe Poggio imperiale, über welchem in ber Höhe 
bie Billa einer befreundeten Familie lag, wohin uns ein Lieber 
Hausgenoffe, Here 8, brachte, ben ich Hier nochmals meine beften, 
Herzlichften Grüße ſage. Oefters ſaßen wir auf ber verfallenen 
Mauer des Klofterd San Miniato unter ben riefenhaften bunflen 
Cypreſſen, wo man bie prachtvollſte Ausficht Hat auf bie Stadt 
mit ihren ımzähligen Kirchen, auf das Arnothal und bie Apenninen. 
Häufig aber machten wir weitere Spaziergänge über Bellosguardo 
Hinaus, wo fid eine Billa am bie andere reiht, wo wir liebe 
Freunde fanden, die um umvergeklich find, und wo wir ung Ge 
nüffe bereiten konnten, bie uns in ber Heimath eigentlich fremb 
find. War e8 doch Herbſt, bie Zeit der reifen Zeigen, unb es 
war ſchon intereffant für uns, fich biefe Frucht vom Baume pflücken 
zu laffen und mit weißem Brod und faftigen Salamifchnitten unter 
einer ungeheuren Rorbeerlaube zu verzehren, während gelbglänzenbe 
Drangen und Giteonen zwiſchen tiefem, bunflem Grün freundlich 
zu· uns herübernieften, wie auf dem Landhauſe ber freundlichen 
Signora Sofia. 

Endlich aber war es für mich Zeit von Florenz zu ſcheiden. 
Nachdem ich meine Familie Hier bei lieben Verwandten untergebracht 
und fie beftend aufgenommen ſah bei guten Freunden, wozu ich vor 


k 


Marjeille, 89 


Allen das freundliche Haus ber Mabame J. rechne, ber ich fir alle 
ung bewieſene Liebenswürdigleit und Freundſchaft hiemit nochmals 
beſten Dank ſage, wollte ich meine Reiſe nach Spanien antreten. 
Was jeboch die Zeit dieſer Abreiſe anbetraf, jo mußte ich mich 
nach meinen beiden Freunden richten, dem Maler Horſchelt aus 
Munchen umd dem Oberbaurath Leins aus Stuttgart, von benen 
ich denn auch eines Tages Briefe erhielt, worin fie mix anzeigten, 
daß fie Ende November in Marfeille eintreffen würden, von wo 
wir dann zufammen unfere Reife nach Spanien fortfegen wollten, 

Der Abſchied von meinen Lieben wurde mir recht ſchwer. Ich 
werbe den Morgen mie vergeffen, too alle, beſonders meine beiden 
Heben Buben, immer und immer twieber mit thränenben Augen 
Abſchied von mir nahmen. Damals war ich fehr traurig, benn 
ich wußte ja nicht, ob ich Alle, die meinem Herzen nahe ftanben, 
‚gefund und froh twieberfehen toitrde, 

Die Fahrt na Livorno machte mich trübe und mißſtimmig. 
Erinmerte mich doch balb dieſes Dorf, bald jene Ausficht, Alles, 
Alles an bie Liebe Geſellſchaft. mit ber ich dieſelbe Fahıt dor we⸗ 
nigen Wochen gemacht, Endlich in Livorno angekommen, war ich 
recht froh, in dem Gewilhl der Hafenftadt einigermahen Zerſtreuung 
zu finden, beſonders aber darüber, daß ich ein Paar beutfche Ber 
Tanne traf und fo ben Abend nicht einfam zu verbringen brauchte, 

Damals Hatte bie große orientalifche Dampffchiffgefelſchafi 
angefangen, die Linie von Malta nach Marfeille mit zwei fehönen 
neuen Dampfern, Vectis und Lavalette, zu befahren, und berührte 
babei die Häfen von Neapel, Eivita vecchia, Livorno und Genua, 
ohne fich überall Tänger aufzuhalten, als nothwendig ift, um 
Baffagiere und Güter ein und außzulaben, Dadurch, ſowie durch 
ſchnelleres Fahren, warb die Reife bebeutend abgekürzt, und aus 
biefem Grunde machten bie neuen Schiffe den alten Gefellſchaften 
eine gefährliche Konkurrenz. 

Am 18. November, Morgens um 10 Uhr, fuhr ber „Vectiß* vom 
Livorno, und ich ſchiffte mich bei ziemlich ruhiger See und bem Heiterften 


9 Fünfte: Kapitel, 


Wetter auf ihm ein, Ich Habe felten auf dem Meer eine jo klare 
unb ſchöne Fernſicht gehabt, wie heute Morgen. Die Langen regel⸗ 
mäßigen Wellen ſchlugen kaum merklich an's Ufer und ſchaukelten 
fanft und Leicht das Boot, welches mich an Bord brachte, ohne 
auf ben ziemlich großen Dampfer im gevingflen eiuzuwirken; er 
Tag unbeweglich da mit feinem ſchwarzen Körper in. ber von ber 
Sonne heil angeſtrahlten Fluth, aus feinen beiden ſchiefſteheuden 
Schornſteinen walzte ſich dichter Rand; hervor, während ‚zuimeiletr 
weißer Dampf ziſchend und umgebulbig auffuhr. Der „Berkis” iſt 
ein langes und ſchmales Boot, nach Art der Klipper gebaut, ich 
glaube von 1000 Tonnen Gehalt und 400 Pferbekräften; jebene 
falls waren feine Mafchinen übrig ftarl genug für das Schiff. 

Die Engländer find pünktliche Seeleute, und kaum war «8 10 
Ufer, fo erſchlen bee Konful mit Beieffchaften und Pälfen; bee 
Anter wurde gehoben, und bald nachher dampften wir in bie See 
hinaus. Rechts Hatten wir bie italieniſche Küſte mit ihren male- 
riſch zerflüfteten Formen und ihrer gelblich röthlichen Färbung, 
bie wir auch bis Genua nicht aus dem Geficht verloren, ja ja 
nabe fuhren wir an ihr hin, daß wir fpäter ganz deutlich bie 
weißen Flecle ber Carrareſer Marmorbrüche, fo wie la Gpezin 
mit feinem alten Schloß und ſchonen Hafen, dann Chiavari und 
bie vielen Ortfchaften und Villen fahen, welche dad ganze Ufer fa 
ohne Unterbrechung bedeclen. 

Die italieniſchen Schiffe legen den Weg von Livorno nach 
Genua in etwa 10 bis 12 Stunden zurück. Der „DBeciß* aber 
wollte dad Gleiche in 5 bis 6 Stunden tun, und wenn man, feine 
kräftigen Maſchinen ſtets mit überflüffigem Dampf in voller Krafi 
arbeiten ſah, fo Eonnte man glauben, er habe nicht zu viel years 
ſprochen. Dafür glühten aber auch die Schornſteine in ihren. unten, 
Theilen fo, daß man kaum bei ifmen vorbeigehen Konnte, umb bie 
überaus Hohen Schaufelräder machten bei 24 Umdrehungen im ber 
Minute, Bei alledem aber fühlt man ſich auf Feinem. Schiffe fa 
angenehm und ficher wie auf einem engliſchen; der Dienfl wird mit 


Marfeille 91 


mililariſcher Genauigkeit verſehen, je wenn man bie Puntilichkeit 
betrachtet, mit ber alles ineinandergreift, bie Ruhe und Ordnung 
auf bem Verdect, baß vefpeftvolle Verhalten zwiſchen Matzofen, Offie 
zier und Kapitän, too alle nur zuſammenredet mit ber Hand ar 
Müpe und Hut, jo Ehnmte man glanben, anf einem Kricgoſchiff zu 
fein, Dabei war an jungen Offizieren auf dem „Vectis“ ein wahrer 
neberfluß, Lauter hubſche Leute mit wohlfrifirlen Haaren, feiner 
Waſche und hellen Handſchuhen, bie fich mit Seekarten, Kompaß 
und Logtafel befgäftigten. Der Anpitän war ein kleiner lächeln- 
bes Mann, mit ſtarlem Bart und ben größten ſchueeweißen Zähnen, 
bie ich feit Lange gefehen; ex ſchaute mit flillem Bergnägen dem 
kraftigen Sauf feines Schiffes zu und rieb fih die Hände, ment 
das Auswerfen des Log ergab, daß wir 16 bis 17 Meilen in ber 
Stunde fuhren. Paflngiere Hatten wir ungefähr 40 an Bord, 
Guglander vorherrſchend, einige Italiener, Franzofen und Deutiche, 
Die Neberfahrt von Livorno nach Marſeille koſtet 80 Fr. alle 
Verpflegung eiubegriffen, und fo eine engliſche Verpflegung genügt 
y audh für das ausjchweifenbfle Verlangen. Ein Fruhſune um 9 nhr 
id iſt eine wahre Aupftellung von Talten und warmen Fleiſchſorten, 
gg aller Art, Käfe, Bier, bie verſchiebenſten Weine, ſowie ungeheure 
za! Kannen Thee und Kaffee. Der Bund um 12 Uhr iſt eine Heine 
; Wieberhelung bes ebengenannten unb für Mägen beftimmt, benen 
es zu ſchwer wirb bis 4 Uhr zu warten, wo ein ſehr kopibſes Diner 
„ben Weifenben gänzlich vergefien macht, daß ex id} in ben Räumen 
eines Schiffs mitten auf dem Wafler befindet. Für Uneingeweihte 
in engliſche Sitte, ober für Jemand, ber bie Sprache gar nicht ver⸗ 
eſteht, iſt ein ſolches Efien eigentlich aber mit Tantalnsqualen zu 
 ergleiden. Ein ſchůchterner finger Menſch flieht die fchönften 
i Sachen vor fi ſtehen, bie fo ſehr zur Gtiflung feines außerordent⸗ 
(® gfichen Hungers geeignet todzen, umfonft, Niemand Bietet ihm babon 
ı an; ber Kellner eilt mit bollem Zeller, für Unbere beftimmt, an ihm 
au fein Rachbar ſchueidet das faftigfte Roſtbeef ab, ohne ihm 





on zu geben, fo Lange er ihn nicht freundlich darum erfucht, und das 


92 Sünftes Kapitel. 


ift ſehr ſchwer, wenn man ein Wort Englifch verſteht. Auch in ans 
dere Verlegenheiten kann man hier gerathen, wie 3. B. eim junger 
Schweizer, ber neben mir ſaß, und vor ben daß ſchönſte Exemplar 
eines welſchen Hahns geftellt war; ihm gegenüber befand fich eine 
Altliche Engländerin, bie offenbar nach und herüberkokettirte, d. h. 
nach dem Turley; vergeblich ermahnte ich den Schweizer: es ſei 
feine Schuldigkeit, den Wälfchen zu zerlegen und den Damen anzu⸗ 
bieten ; er wurde roth biß über bie Ohren, indem er verficherte, das ſei 
ihm gänzlid; unmöglich, und als gleich darauf die Lady ſchüchtern 
fagte: „I will thank you for a little turkey,“ meinte er zu mir: 
„Sehen Sie, ich hatte ganz recht, fie will ja gar fein Geflügel, denn 


fie bedankt fich beftens dafür!" Um 6 Uhr ward zum Thee geläutet, 


und enblich um 10 Uhr erfhienen nochmals alle möglichen Weine, 
auch Rım, Brandy u. dgl., ſowie Butter, Brod und kaltes Fleiſch. 

Der Kapitän des Vectis Hatte übrigens nicht zu viel ver- 
fprochen, denn nach einer Fahrt von 592 Stunden Tieß ex gegen 
4 Uhr in dem zeizenden Golf von Genua ben Anker fallen. Da 
wir nur einige Zeit im Hafen blieben, fo hatte ich feine Luft an's 
Band zu geben. Was follte ich auch einfam und allein in ben 
Gaffen ber alten Stabt machen, die ich noch vor wenigen Wochen 
in Geſellſchaft der Meinigen gefehen, — eine Erinnerung, bie mich 
mehr trüb, ja traurig ftimmte, und bie nicht Heiterer wurde, als 
ich auf einmal auf dem Quai biefelbe melancholifce Muſik Hörte, 
von der ich erzählte, und in deren Text wir Deutfche fo ſchlecht 
bedacht find. Gegen 8 Uhr bampften wir wieder aus dem Hafen 
hinaus und waren balb in Nacht umb Nebel eingehülft, durch 
welche unſer Schiff einherzog, ein ſchwarzes, rauchendes, fener⸗ 
ſpeiendes Ungeheuer, mit ſeinen ſtampfenden Maſchinen und kräftig 
ſchlagenden Schaufeln, welche haſtig das Waffer peitſchten, jo daß 
tie beſtaͤndig in weißen Schaumwellen dahinfuhren. Bald ward 
es ruhig auf und unter dem Deck, nur hie und da krachte eine 
Planke oder ſtohnte ein armer Seekranker in feiner Kabine, 

Der Vectis lief Übrigens in der Nacht nicht ſo geſchwind tote am 





Marfeille 93 


ag. Die Schoenfteine waren bedeutend abgelüßlt, und der Kapitän 
geſtand offenherzig: ex ſpare jeht feine Kohlen, denn es fei ja doch 
gleichgiltig, ob man eine Stunde früßer oder jpäter nad) Marfeille 
Iomme. Sobald am andern Morgen bie Sonne aufging — unb 
fie erhob fich ſchnell und ſtrahlend — ging ich auf's Verde hinauf, 
um mich umzufchauen. Rechts Hatten wir das offene Meer, links 
die Küfte von Frankreich, der wir auch nun bis Marſeille ziemlich 
nahe blieben. Um 10 Uhr ſahen wir ben Golf von Zoulon, und 
gegen Mittag machte unfer Dampfer eine Fleine Wendung nad 
Norden und wandte fich um ein feltfames Vorgebirge, das nackt, fteil 
ja ſchroff in die See abfiel, worauf wir in ben Meerbufen ber 
alten Phönizierftabt einfuhren, die auf drei Geiten bon ber Küfte 
und verſchiedenen Juſeln eingeichloflen ift. Der tiefblaue Himmel 
über und, und das ſtrahlende Sonnenlicht zeigte uns alles das im 
Tepönften Glanz, und ich werde dieſen Anbli nie vergefien: röth« 
Hichgelb, faft glängenb ftieg bie Küfte mit ihren weichen fehönen 
Formen aus bem grünen ſchillernden Wafler empor; ſcharf ausge⸗ 
azackte dunkle Felſen bildeten rechts ben Vordergrund, während Linie 
bie Infeln Ratoneau, Pomegue und jener gewaltige Steinhaufen, 
ber das Chateau d'If mit feinen plumpen Thürmen trägt, ſich im 
hellſten Sicht, faſt weiß aus ber tiefbunfeln Meeresfluth erhoben. 
Bon hier aus ahnte man kaum die Stadt ; von ber Bergwand im 
Hintergrund bes Meerbuſens ſah man durch Nebel und Rauch 
Häufermafien emporfleigen, doch ganz unbeutlich, da fie faſt von 
ber Farbe ber Felſen waren, an benen fie Iehnten; vor ihnen fliegen 
Wälle und Thürme auf in gewaltigen Dimenfionen, die teogig ben 
Eingang zum Hafen bewachten, unb dazwiſchen bemertte man 
Maftfpipen, bunte Wimpel unb weiße Segel. Mitten im Golf 
angefommen, minberte bex Vectis bie Kraft feiner Maſchinen, und 
wir nahmen einen Kootfen an Bord, der von feinem Schiff auf 
eine eigene Art zu uns binaufftieg, denn ex erkletterte feinen Maft 
und fprang von ba auf das De bes Dampfers. Mit leichten 
Schlägen glitt unfer Schiff nun dem innern Hafen zu, an andern 


9 Fünftes Kapitel, 


Dampfern vorbei, Die uns entgegenlamen, ſowie an. Kauffahriel- 
ſchiffen der verichiebenften Gröhe, bie mit außgefpannten "Gegeln 
ben Landwind benngten, um im die Ste hinautzugehen. 

Wenn man näher zur Stabt Tommt, fieht man rechts die Höhen 
des Ufer mit phantaftifchen buntbemalten Hänfern bedeckt, ein Meines 
Etür China, ſolche Formen Haben fie, wie wir fie ans Abbildungen 
vom himuliſchen Reich her tennen: Iuftige Galerien, grüne ſonderbare 
Dächer — hier ift einer der Vergniigungkorte ber Marfeiller aller 
Stände — a la Reſerve, wo man gute Weine findet, Tafel zu jebem 
Preis und überall bie berilhmte Boulllabaiffe, ein übrigens ſchauerliches 
Gericht aus allen möglichen Fiſchſorten zufammengelocht. Mein Leber 
Freund 8, bem zu Liebe ich fie, da er ſie mir außerordentlich gerühmmt, 
in ben erſten Tagen meines Hierſeins verſucht, möge mir verzeihen; 
aber enttoeber habe ich nicht bie richtige Quelle gefunden, oder daß 
Gericht ift überhaupt nur für ben Magen eines Provengalen, 

Zwiſchen ber Gitabelle St. Nicolas und dem Fort St. Jean 
führt man in den alten Hafen, ein langes ſchmales, zings bon 
Quaien und Häufern eingefaßtes Becken, tief genug fir Die größten 
Schiffe, und in feiner Lage vollfommen gefichert gegen bie wilbeſten 
Stürme, Wenn man fic bie Umgebungen hinwegdenlt, fo Hat es 
eine Aehnlichkeit mit bem goldenen Horn Konflantinopels; natür⸗ 
lich fieht man Hier flatt ber bunten tirkifchen Häufer, flatt Mo— 
ſcheen und Eypreffen, große fünfe bis jechöftödige ſteinerne Gebãube 
don grauer Farbe mit unzählbaren Fenſtern, bie anf das Gerwähl 
im Hafen blicken; und Iebhaft genug geht e& Hier zu: in Kangen 
Reihen Tiegen die Schiffe aller Nationen neben einander und jedes 
Bietet ein befonberes Bild. Hier wirb augeladen, wozu niebrige 
ſchwimmende Gerüifte an bie Serte gebracht werden, auf welche mam 
num Faſſer, Bretter, Kiſten in unenblicher Zahl aufſtapell und 
To Hintwegfüßet; dort wird auf gleiche Weife eingeladen; jenes Schiff ift 
angelommen umb wird unter melancholiſchem Gefang ber Matroſen 
in bie Reige ber andern Hineingegogen; ein anderes bereilel fich zum 
Auslaufen, bie Ranen werben aufgezogen, die‘ Ruder befeſtigt 








Marſeille. 9% 


und mehrere Boote vol Mannſchaft bugfiren ben rieſenhaften 
ichwerfaͤlligen Schiffäförper fo langſam vorwärts, daß man kaum 
eine Bewegung an ihm wahrnimmt. Vor und Yiegt eine ganze 
Reihe grober und Eleiner Dampfer; einige Haben angefangen zu 
Heizen und rauchen leicht, andere lafſen ben weißen Dampf ziſchend 
ausſahren wie auch unfer Vectis, der wie in weiße Wolken einge: 
hüllt iſt und nach allen Seiten feine überfläffige Kraft hinaus- 
prigt, Unzählige Boote ſchwärmen zwiſchen den Schiffakoloffen 
umher; alle find mit dem Namen ixgend eines Heiligen verfehen, 
und bie ganze biblifche Geſchichte ſchwimmt Hier anf dem Waffen 
umber, Die Schiffer find meiſtens in brauuer Jade, mit der 
rothen phrygiſchen Mutze auf dem Kopf, und bringen uns in kurzer 
Zeit für 1 Zr. 50 Gent. mit unſerm Gepäd an den Quai d’Or- 
Wand, wo bie berühmteſte Straße von Marfeille, bie Eannebiere 
beginnt, von der bie Hiefigen ehemaligen Phönizier in ihrer Bes 
ſcheidenheit fagen: wenn Paris eine Ganmebieve hätte, jo wäre es 
sin Meines Marfeille, nebrigens Eonzenteiet fih much faſt das 
ganze hiefige Reben auf bie Straße und die Hafenquais, an ber 
Genuebiere find die fehönften Säben, Magazine, die erfien Gaftgöfe, 
bie prächtigften Gaf6’s, ımb wenn max hier umberfehlenbert, iſt 
man filher, nach und nach fämmtlichen Fremden zu begegnen, 
die fich in Matfeille aufhalten. Die Quais am beiden Seiten des 
Hafens find unendlich belebt; in Langen Reihen folgt ein ſchwer⸗ 
beladener ziweiräbriger Karren dem ander, mit ſtarken, meiftens 
grauen Pferben befpannt; die Geſchirre find mit Meffing und rothen 
Quaſten bedeckt, und an beiden Seiten bes Kummets flehen Lange 
geſchweifte Hölzer wie Hörner hervor, bie der ganzen Beipannung 
ein eigenthümliches Anſehen geben. Laſtträger mit Säden und 
Kiften durchkreuzen diefe Binie jeder Augenblick, natürlicherweiſe 
unter vielem Gefchrei, da fie oft in unangenehme Berührung mit 
ben Wagen kommen. Schiffer flehen Cigarren rauchend in Gruppen 
beiſammen oder irgend twelche Kaufleute umgebend, bie über Fracht 
und Ladung mit ihnen handeln; hier werben Kiſten (und Wäfler 


9 Sünftes Kapitel, 


zugeſchlagen und bezeichnet, dort große Haufen Getreide von Staub 
und Schiffsſchmuh gereinigt. Auch an Cckenſtehern fehlt es Bier 
nicht, die auf bem Werft umberlungern und auf den Augenblid 
paflen, wo fie mit diefer oder jener Dienftleiftung einige Sous ver- 
dienen Können, ebenfowenig wie an Müßiggängern aller Axt, welche 
bie Straße verengen und Jedermann im Wege ftehen; zu ben letzteru. 
rechne ich beſonders die Bootöleute ber griechiſchen Schiffe, ſowie 
die aus Algier, Tunis und Marokko, welche man ben ganzen Tag 
im langſamſten Schritt auf den Quais umberfchiendern ſieht; doch 
bilden fie zwiſchen ber andern Bevölferung für das Auge eine ma 
leriſche Abwechslung, und man fieht fie gern bie gelben, braunen 
und ſchwarzen Gefichter unter dem weißen Turban oder ben roten 
und grünen Kopftücern in ihren kurzen berzierten Jacken oder 
bem weißen Burnus, unter dem die hagern Arme hervorſchauen 
und die Indcherne Fauft, welche die lange Pfeife trägt. 

Das weibliche Geſchlecht ift Hier nicht auf's ziexlichle ver 
treten; die Matroſenweiber und Verkäuferinnen. von Tabak, Wein 
und Branntwein haben ein jchlampiges und ſchmieriges Ausſehen, 
und wenn man zuweilen eine ſchlanke, wohlgebaute Geſtalt ſieht, 
die aufrechten Hauptes einhergeht und das gebräunte ernſte Geficht 
nur auf ihren Weg richtet, fo ift fie vieleicht vom Dorf der Cala⸗ 
Ianen draußen. Zuweilen ſieht man auch Mädchen aus ber Gegend 
von Touloufe in einer eigenthünmlichen, nicht unangenehmen Tracht; 
fie Haben graue Röce, ſchwarze Spenfer, ein weißes Tuch, das 
über die Linke Schulter Herabfällt, und das ſchwarze Haar mit 
einem dunfelcothen Lappen umwunden. 

Wie an allen Seehäfen, fo herrſcht auch Hier ein unausfpredje 
licher Parfüm, ein Gemiſch von Gerüchen aller Art, deſſen Haupt- 
beftandtgeil bie Ausdünftung des Hier faft ſtillſtehenden Seewaſſers 
bildet. Nur in ber Nähe ber Gitadelle St. Nicolas auf dem Duai 
be Ya Rive neuve nimmt bie Atmofphäre einen- ausgeſprochenen 
Eharakter an, weil hier Theergeruch vorher der vom Kalfaltern 
alter tuinixter Schiffe herkommt. 


i 





Marſeille. 97 


Einer unferer Reifegefellfcaft vom Vectis hatte mir dad Hotel 
des Empereurs vorgefchlagen, ein impofantes Gebäude auf ber 
Gannebiere, doch war's mir nicht möglich, hier ein einigermaßen 
ordentliches Zimmer zu erhalten; man gab mir eines auf ber 
Hinterfeite des Haufes mit abgefallenen Kaltwänden, einem Gtein- 


"boden ohne Teppich und ber Ausficht auf ein paar Dutzend ſchwar⸗ 


3er Schornfteine, die mir nur den Anblick eines ganz kleinen Stüd« 
chens blauen Himmel geftatteten. Da ich aber vorausfichtlich mehrere 
Tage in Marfeile bleiben mußte — denn weber waren meine beiden 
Freunde eingetroffen, noch fand ich Briefe von ihnen — fo fuchte ich 
mir ein behaglicheres Quartier, das ich auch im Hotel bes Ambaſ- 
ſadeurs fand. Es ging mix hier faft wie jenem Württemberger am 
Gap der guten Hoffnung, der nad; einem Sindelfinger fragte und einen 
Böblinger traf, und mern mich auch kein Landsmann aus letztgenannter 
Stadt bewillkommte, fo fand id) doch in bem Gejchäftsführer des Hau⸗ 
ſes einen Stuttgarter, der mich auf's freundlichfte empfing. Es war 
in ber Thatein glüdlicher Zufall, ber mir ein angenehmes Quartier ver⸗ 
ſchaffte, denn ich hatte mich wahrſcheinlich auf dem Meer erkältet, und 
eine hartnaͤckige Halsentzundung feflelte mich mehrere Tage an's Bim: 
mer. Uebrigens rathe ich jebem, der e8 gut mit feiner Kafſe meint, in 
Marfeille nicht krank zu werben; denn für das Auflegen einiger 
Hungriger Blutegel und fee unangenehmer Kataplasmen mußte ich 
ein ungeheures Geld bezahlen. Ohne mich in weitere Details einzu 
Yaffen, will id} nur noch erwähnen, daß, wenn ber Miſtral durch die 
Straßen wehte, ich täglich für brei Franken Holz verbrennen mußte, 
wenn ich nicht halb erfroren vor meinem Kamin fihen wollte. 
Dabei war ich jo entjeglich allein, die Tage wollten nicht vor⸗ 
übergehen und die langen Abende nicht endigen. Bekannte Hatte ich 
in Marſeille fo gut wie gar keine, und wenn auch zuweilen ber deutſche 
Sekretär des Gaſthofs mich Vormittags befuchen am, fo blieb er 
Höchften® eine Viertelſtunde, ba ihn die unerbittliche Glocke fogleich 
wieder auf’8 Gomptoir tief. Zufällig hatte ich bie Belanntſchaft eineg 
Qadländer's Werte, XXL 7 


⁊ 


os Fünftet Kapitel. 


kleinen, noch ſehr jungen handlungsbefliffenen Landsmanns gemacht, 
und der beſuchte mich alle zwei Tage anf eine Stunde von 7 bis 
8 Ahr Abends, wenn bad Comptoir geſchloffen war unb Privat- 
fiunden, bie ex nahm, noch wicht begonnen Hatten. Sprechen konnte 
ich begreiflichertoeife nicht viel mit ihm, mein Hals fegmerzte mich 
au ſehr, und doch war ich fo froh, zuweilen ein menfchliches Weſen 
mir gegenüber zu Haben, daf ich an den Tagen, too er kam, ſchon 
um 5 Uhr auf bie Uhr blickte, und mich frente, wert der Zeiger 
mit jeder Minute näher auf 7 rückte. Wenn er mich freilich um 
8 Ne wieber verlieh, dann fühlte ich meine Einfamfeit doppelt. 
War dieß doch die Stunde, wo man ſich jeht in Florenz um den 
groben, runden Tiſch fehte, wo die Lampe angezündet wurde, und 
wo meine beiden Lieben Buben kurz dor ihrem Schlafengehen alle 
mdalichen Poffen trieben, wenn fie dem italienifchen Dienftmäbchen 
nadjäfften, daß aledann zu Ihnen ſprach: Adesso & tempo di’an- 
dar a letto. Von Leins und Horſchelt erfuhr ich lange nichts; 
ich war ber Erſte und Pünktlichfte beim Rendezvous und bafür 
mußte ich nun mit meiner Einfamteit büßen. Emblich erhielt ich 
ein Schreiben meines großen Malers ans Paris, worin er mir 
Fugte, er ſei von Manchen über Gtukgart gereiöt, um Oberba: 
rath Leind mitzunehmen; biefer aber habe noch einige unanffchieb: 
bare Geichäfte zu beforgen gehabt, indeß ficher verſprochen, in ben 
nächften Tagen nachzufolgen. &o war ben bie Meine Hoffnung 
vorhanden, daß unſere deeiſegeſellſchaft nachſtens beifaınmen fei und 
wir nad) Spanien abreiſen konnten. Ich mußte mich in Gebulb 
faflen. Bon meinen Lieben in Florenz erhielt ich Begreiflicher 
weife feine Belle, denn ba ich nicht auf einen längeren Aufenthalt 
in Marfeille zechnete, hatte ich gebeten, die erſten Briefe mic nad) 
Barcelona zu ſchicken. Endlich befferte fich mein Hals ein wenig, 
Dank einiger energifchen Einſchnitte, die mir bee Arzt auf meinen 
beingenden Wunſch machte. Die Entzündung Vieh nach, bald konnte 
ich wieder ohne Schmerzen eine Fleiſchſuppe geniehen und ein paar 
Tage nachher wurde mir eine Spazierfaßrt. erlaubt, 


Marſeille. 9 


Es war ein prachtvollen, klarer Tag. Ich fuhr gegen den wunder⸗ 
ſchonen Spaziergang zum Chateau des Flenrs hinauf, aus der engen 
dunleln Gaffe hinweg, in der mein Gaſthof lag, wollte ich mit 
einem Male den Anbliet der prachtvollſten Natur genieken, Gegen 
das Verbot des Arztes ließ ich ein Wagenfenſter herab, denn bie 
Sonne ſchien jo entzlidenb warm, und fuhr fo, mein, ich ſchwelgie 
auf bem jchönen breiten Wege: am Uſer bes Merres dahin. Die 
Wellen waren vom Miftral, der vor wenigen Tagen geherricht, noch 
iemfich bewegt umd ſchlugen tofend gegen bie Felſengeſtade empor. 
Weiter hinaus Hatte die Eee ſchon wieder ihre tiefblaue Farbe, bie 
am Horizonte fait in's Schwarze Aberging und aus ber die Geſtade 
gegen Zonlon Hin, ſowie vor mir die Inſel Ratoneau und ber helle 
Telfen mit dem Chäten dIf, blendend weih hervorblidten. Dampfer 
und Segelkhiffe zogen ihre Bahn; erflere finfter umb traurig, den 
Tagen Rauch wie einen ſchwarzen Schleier Hinter ſich drein ziehend; 
bie andern luſtig und efegant, tor bem Mind auf dem Wellen 
danzenb, mit ben weißen Segeln kolofſalen Schwänen vergleichbar. 

An einem Fleinen Häuschen — es war eine Wirthſchaſt, ich 
glaube auf dem Schilde war fegar: Biere allemande angezeigt, 
es hatte eine Eunftlofe Veranda, and ein paar Latten beftchend, 
bie an Bäumen befeitigt waren und um welche fich eine geivaltige 
Rebe ſchlang — Lie ich meinen Wagen halten. Des Häuschen 
ſtand an einer Stelle bes Weges, wo eine ſchroffe Felswand faft 
ſenlrecht in’® Meer hinabhing, am ber ſich bie Wogen, Schaum 
jurihend -umd tofend, brachen. Ich blicie in das Meer hinaus, 
vergnugt, faft glücklich. Es Tag ein jo unermeßlicher Sonnen ⸗ 
reichthum auf Sand und See, daß das Herz davon anſchwoll und 
freudiger ſchlug. Es ſtrahlte, zitierte, lenchiete, glänzte ringß um 
mich her von den Felsgeſtaden, von Meer und Himmel, und da⸗ 
zu wehte ein angenehmer, erfriſchender Seewind, ben ich begierig 
einathmete und ber, das fühlte ich, file mein Leiden zuträglicher 
war als. Zimmerluft und Arzneien. Ja, nach beendigler Spazier⸗ 
fahrt Hatte ich einen uugeheuern Schritt in meiner Geneſung vor⸗ 


100 Bünftes Kapitel, 


waͤrts geihan. Ich konnte jeit vielen Tagen zum erſten Mal mit 
etwas Appetit eſſen und Hätte auch vortrefflich geſchlafen, wenn 
mich nicht um 11 Uhr in der Nacht der. allabendliche arm, den 
bie auklommenden Fremden machten, welche ber letzte Paxifer Bahu⸗ 
zug von Avignon herbrachte, wieder aufgeſchredt hätte. Heute war's 
beſonders lebhaft und als ich eine Halbe Stunde fpäter wieder ein⸗ 
ſchlummerte, war es mir gerade, ala hörte ich bie Stimme meines 
Freundes Gorfcpelt vor der Thire. Zäufchungl banhte ic, ſchuef 
gleich barauf wieder ein und träumte bon wneinem Reifegefährten, 
daß ex mir aus Paris einen Brief geichrieben, worin ex mir mit 
Düren Morten anzeigt, er. habe Teine Suft, nach dem Iangweiligen 
Spanien zu gehen, wolle vielmehr Lieber in Paris bleiben, um 
König der Franzoſen zu werben. Hoͤchſt äxgerlich erwachte ih am 
anbern Morgen und was jah mein erſter Bid? Unter der Thüre 
ftehend bie Lange Geftalt meines lieben Freundes, mit dem gutem 
lachelnden Gefichte, Ich war außerordentlich erfreut, num einen Bes 
fahrten zu Haben, Der Arzt, ber nachher kam und ber mich unter 
Zuchte, erflärte den Zuſtand meines Halſes für fo befsiebigend, daß 
ex mich als genefen entließ. Don Oberbauzath Seins wußte How 
ſchell nur, was er ihm nach Paris geſchrieben hatte. Zu den un: 
aufichiebbaren Geſchäften feien andere noch viel unauficiehbarere 
gefommen, bie ihm verhinderten, zur verſprochenen Zeit in Paris 
einzutteffen ; doch habe es gar Keinen Anftand, daß ex ung in wenigen 
Zagen, jedenfalls vor dem erſten Dezember Hier überraſchen würde. 

Darfeille Hat ald Stadt, das Hafenleben abgerechnet, viel Ach: 
lichteit mit Brüffel, ift auch wie dieſes an den Bexg hinaugebaut, und 
feine Läden, Caſé's, Spaziergänge find Hier wie bort nad) Parifer 
Modellen eingerichtet, Sehr angenehm ift es, daß in Marjeille viele 
Straßen mit Bäumen bepflangt find, die ebenfalls wie in ber Haupt 
ſtadt Boulevards genannt werben, ohne ehemals Wälle geweſen zu ein. 

Was die Ausftellung und elegante Einrichtung der hiefigen Buden 
und Magazine anbelangt, fo wirb darin das Heberanögliche geleiftet 


und ann bie Provinz mit der Qauptflabt Tonkursisen. In den Haupfe 
y 


Marjeille, 101 


Vertchräftraßen der Eanmebiöre, der Rue de Paradis, de Rome und 
andern herrſcht Abends eine ungehenre Verſchwendung am Gadlicht 
unb macht die Nacht zum Tag, und wenn auch bie Straßenbeleuch⸗ 
tung: ſelbſt nicht übermähig glänzend ift, fo ſtrahlt doch aus ben 
fogenamten Bazars und ben großen Gewblben ein blendender Richt: 
glany hervor. Dabei verſtehen fie es auch hier ihre Waaren elegant 
und Todend auszulegen; man könnte leicht berfucht werben, hier in 
ein dlängenbed Porzellanmagazin einzutreten, dort ben jo feht ap⸗ 
petitlich airfgeftellten Eßwaaren aller Art einen Beſuch zu machen, 
oder gar nach Kalifornien zu gehen, einem Golbſchmiedgewölbe mit 
ben ſchonften und reizendſten Sachen, wo eble Metalle und Steine 
durcheinander funkeln und glänzen, In einer dieſer Straßen machte 
mic befonderd ein Zeppichmagazin einen heimlichen und angenehmen 
Eindruck; es war wie ein Meines Theater gebaut, beffen Hintergrumb 
und Gonfiffen ans ben weichen bunten Stoffen beftehen, beren viel⸗ 
farbige Deffins von einander gegenüberftehenden Spiegeln in's Un- 
enbliche wieberholt werben, Am erften Tag meiner Anweſenheit ſah 
ich in der Allee de Meilhan ein Gebäude von oben bis unten voll- 
Händig illuminirt; an ber Thüre waren Wachen aufgeftellt, und 
eine Menge Volls drängte fich aus und ein. Natürlich folgte auch 
ih dem Strom ber Nengierigen, und ſah, daß biefes Haus nichts 
mehr und nichts weniger als eime große Nieberlage von fertigen 
Kleidern und Stoffen aller Art war, bie man aber auf eine wahr 
Haft Yächerliche Art beleuchtet Hatte; außer unzähligen Luſtren, die 
#berall von ben Plafonds Herabhingen, fanden Armleuchter und 
Lampen auf ben Fußbbden, in ben Fenſterniſchen, auf ben Treppen» 
geländern, kurz wo nur irgend ein Platz war, um Licht anzus 
Bringen; es war Hier eine fabelhafte Helle, bie ben Angen weh that 
unb grell von den hellen jeidenen Stoffen abftraflte, Der Befiper 
mit feinen Sabengehilfen in ſchwarzen Sräden und weißen Hals- 
‚binden Ipazierte in ben Simmern auf und ab, und ba ich nicht wußte, 
was ich von all dem zu halten Hatte, fo bat ich um Auskunft, Der 
Peinztpal, an ben ich mich zufällig gewandt, zupfte feine Halabinde 


102 Bünftes Kapitel, 


in bie Höhe, ſtrich ſich durch's Haar und Jagte mir, dieß große leider⸗ 


magazin, la Maiſon du Prophöte, werde auf gleiche Weiſe brei Tage 
Yang wie heute in bemfelben Glanz gezeigt, worauf am, nächften 
Montag ber Berfauf beginne; erhalte fih in Pantalons, Weften und 


Paletots beflens empfohlen, und fei überzeugt, meinem dringenden, . 


langſt gefühften Bebiirfniß hledurch abzuhelfen. Nach biefen Worten 
maß er mich mit einem Blic, der beutlich zu Tagen ſchien, er fpe- 
tulire ſtark auf Abſchaffung meines nicht ſehr eleganten Reiſekoſtüms. 

Wem man mit friſcher Erinnerung an die italieniſchen Theater 
hleher kommt, bie mit ihren regelmähig abgelheilten Sogen, mit 
ben eleganten Damentoiletten und der reihen Beleuchtung einen 
To angenehmen Eindruck machen, und man betritt eines ber Hiefigen 
Schaufpielpäufer, fo findet man einen gar traurigen Kontraſt. 
Um unten anzufangen, befuchte ich Te Gymnaſe, ein kleines Haus 
mit bunkfem Parterre und einem breiten ringsherumgehenden Am: 
phitheater, welches die Stelle der erften Gallerie vertritt. Logen 
gibt es Hinter demfelben nur einige wenige, und man fieht alles in 
bunter „Reihe durcheinander. Weber bie Brüftung herab hängen 
Damenhite, Shawls, Paletots, und wenn bie Sihe gerade nicht 
ſehr beſeht find, fo Legt ſich jeber fo bequem als möglich Kin, ber 
Arm wird auf bie Hintere Bank geftüßt, ber Fuß auf bie vorbere 
‚gelegt, ben Hut auf dem Kopf ſummt man auch nach der Melodie bie 
Gefänge mit, ober fpricht ziemlich ungezwungen mit feinem Nach- 
bar. Man gab ein paar Heine Baubevilles; bad erſte war durch⸗ 
aus unbebeutend, unb das zweite jo voll Ztveibeutigkeiten, bie gar 
Teine Biveibeutigfeiten mehe waren, daß ich mich nicht erinnere, 
Aehnliches gehört zu haben. Es hieß l’amour qu'est ce que c'est 
que cela? und die Hauptpointe war, baf eine junge Millerin 
unb ein hubſcher Bauernburſch, bie ſich unbewußt Tieben, durch 
allerlei feltfamen Unlerricht, ben fie von einem alten Kuecht er: 
Halten, fotvie aud) dureh prattifche Anleitung enblid) zur Erkenntuiß 
fommen, was denn eigentlich bie Siebe fi. Daß große Theater, too 
meiftens Opern gegeben werden, ift ebenſowenig eleganb und freunds 


Marſeille. 103 


lich, wie das kleinere; auch Bier flatt der Logen im erſten Rang 
eine einzige große Gallerie, ebenfo verziert mit herabhängenden 
Kleidungsftücen wie im Gympafe; Herren und Damen. burchein« 
ander, und wenig ſchöne Toiletten. Für ben Fremden iſt es ſehr 
unangenehm, daß alle beſſern Plähe für das ganze Jahr verlauft 
find, und man bei einer guten Vorſtellung für theures Gelb das Ver—⸗ 
gnügen Bat ben ganzen Abend aux premiers an ber Thüre fiehen 
zu dürfen, oder vielleicht einen Play hinter hen Blechinſtrumenten 
und Paufen zu erhalten, wo man au wenig fieht und viel zu viel 
hört, Ich ſah Hier die Norma, welche von einer Dad. Lafont 
vortrefflich gefurigen und gefpielt wurde, namentlich ben zweiten 
Alt gab fie mit einer Gluth und Energie, wie ich in Italien von 
bey beften Sängerin nie etwas Aehnliches gehört, Gie hatte 
eine hohe prächtige Geftalt, und füblich leidenſchaftlich war jeder 
Ausdruck ihres chönen Gefichts, niederſchmetternd jeder Blik aus 
ihren ſchwarzen Augen. Sever dagegen war ein volllommener 
Wafchlappen ohne ben geringften Geſchmack in feiner Leidenſchaft 
für eine ſehr dicke Adalgiſe, bie übrigens ſonderbarer Weiſe ber 
Liebling des Publikums zu fein ſchien. Merdientermaßen Tam 
Norma Hinter die Schliche des römifchen Prokonfuls; bei und ver- 
zeißt am Schluffe bie Seherin mit beutjcher Gutmüthigkeit, unb 
nachdem Sever erfahren, „welch treues Herz ex hinterging“, eilen 
fie gemeinfehaftlich zum Tode. Mad. Lafont aber ließ fih falt 
und ftolz in den ſchwarzen Schleier Hüllen, verficherte ben exhärme 
lichen Liebhaber ſchließlich ihrer hollften Verachtung, und ging, 
‚ohne ſich weiter um ihr zu befümmern, allein — in bie Garberobe. 
. An jehr fhönen geräumigen Kaffeehäufern Hat Marfeille feinen 
Mangel, und jedes Jahr entftehen neue, welche e8 an Glanz und Pracht 
ber inneren Einrichtung ben andern zuborthum wollen, So haben fie 
ſich denn jeßt ſchon fo gefteigert, daß zwei erſt vor Kurzem eröffnete, 
ber Nuivers und ‚Cafe Turc, fo fabelhaft luxurids eingerichtet find, 
daß man fich nicht mehr behaglich in dieſen Räumen findet. Im ers 
fien find alle Wände mit Spiegeln bedeckt, welche bie Hunderte von 


104 Fünftes Kapitel. 


Gaslichtern und ſammiliche Gaſte wahrhaft unheimlich vewiel⸗ 
fältigt in einer weiten, weiten Ferne zeigen, bis Alles nur: noch 
ein unbeutliches Gewühl if und fidh die Gasflanunen wie blaue 
Punkte ausnehmen. Die Dede wird gelxagen von: Bronzefiguxen, 
Saunen und Nymphen mit: Heinen Amoretten, welche Blumeagsiixe 
landen halten ober um reichvergoldete Kronlenchter geichlungen find; 
im Hintergeunb platſchern Brunnen, dort- flirt das Waſſer zwi⸗ 
ſchen tinftlichen Blumen unb- Grüdhten hexab, die, am Tag ihre 
natürlichen Farben zeigend, Abends durch blaucs Feuer nachgebildet 
find. Die Einrichtung des Cafe Turt grenzt aber an’ Nıefinziges 
bier find nicht nur alle Wände bon Epiegeln, nicht nur Fämmis 
liche Zifchplatten, wodurch man auf allen Seiten, ſelbſt neben dem 
Kaffeeſchalen, befländig fein eigenes, uniaterefſautes Geficht' fickt, 
fondern horribile dietu auch die Plafonds bes ganzen Etabliffe— 
menia, in beren Wiberfchein man befländig bie Gäſte wie Fliegen 
an ber Zimmerbedie mit dem Kopfe abwärts herumjpazieren fieht; 
namentlich. gewaͤhten hierbei die Damen einen ſehr Augftlicen Au⸗ 
blick, denn man befürchtet jeden Augenblick, es müſſe nothwendiger ⸗ 
weiſe etwas Schreckliches da oben geſchehen. Um den Wahnſiun 
voll zu machen, find alle Kellner türkiſch gefleibet, und ed macht 
einen fomifchen Einbrud, wenn unter bem rothen Fes ein gute 
mütbiges franzöfiiches Geſicht die Worte ruft: „versez au quatre!“ 

Sehr angenehm und bebaglich ift das Cafe be Luxembourg, 
wo man vortreffliche Getränke alex Axt, gute Geſellſchaft und bie 
Allgemeine Zeitung findet, 

Einen Veſuch auf dem Chateau d'If hatte ich mix aufgehoben, 
bis Freund Horichelt aus Münden angelommen fei, mit dem id 
beufelben gemeinfehaftkidh machen wollte. Einem Belannten in Deutche 
land derſprach ich bei meiner Ubreife feierlich, mich auf dem allen 
Schloß umzuſehen, nicht nach Mirabeau's oder Vafayette's Sterker, 
ſondern nach den Spuren, die fich vieleicht dort noch vom Alexauber 
Dumas’ fabelhaſtem Monte Chriſto auffinden laffen mirben; es gibt 
zarte Seelen, bie fich für fo etwas intereffizen, und waRman ber 


Marfeille 105 


ſpricht, muh man Halten. Im aber jenen Auftrag in volllommen ⸗ 
Fler Ausdehnung erfüllen zu Lumen, muchten wir einen Gpazier- 
gang. um das ganze Hafenberfen, gingen durch bie Vorwerle ber 
Gitabelle St. Nikolas und ftiegen Hinter berfelben bie Heine Ans 
hohe Hirtan, wo em einfaches Witthehaus Kiegt, befien Befiper uns 
bie frierlichſte Verficherung gab: in jener Laube vor feinem Haus, 
anf bem grob geziunmerten Tiſch ſei jene Denunziation geſchrieben 
worden, bie den unglücklichen Dantes in’3 Gefängniß lieferte. 

Bot arfen Augen Hatten wie das Dorf ber Catalanen, eine 
Neihe klelner armlicher Häufer, aber ohne bie Spur einer Merce- 
des; richts daß Meer mit den weißen Maflen des Chateau d'Af. 
Ste beſanben uns alfo volltommen bei der Erpofition bed Romans 
und 'Tonnten unfere Fahrt nad) der Infel getroſt beginnen, Als 
wir zam Hafen hinabftiegen, begegneten wir auf bem Duni einer 
ſeltſamen Prozeſſton: tueißgekleibete und vermunmmte Männer true 
gen:das holzerne umd buntbemakte Bild irgend eines Heiligen, dem 
eine große Schaar Anbächtiger mit brennenden Kerzen in ber Hand 
folgte; voraus zog eine Militärmufifhande, welche mit luſtigen 
Klängen wieber an bie geſtrige Oper erinnerte, ben fie fpielte zu 
ber hewiß feierlichen Hanblımg ans dem erſten At der Rorma 
bie Arie Severs: 

„Mit Abalgii nd in 
Stand ih Fi —E 

Um den Preis von ſechs Frauken fanden wir einen alten 
Fährmann, der uns zum Chätenu d'If hinausrudern wollte, doch 
bebingte ex fidh eine Zulage aus, im Fall bad Meer unruhig fei; 
bie See war: aber fpiegelglatt, und unfer Boot glitt bahin faft 
ohne alle Bewegung und ſchaulelte nur"einmal bebeutend, als 
wir: drauhen in das Fahrwafſer eines ber großen Dampfer kamen, 
der vor und zum Hafen hinausfuhr. Man braucht eine gute 
Stunde, um daß: alte einſame Schloß zu erreichen, Die Felſen, 
denen man ſteht, heben ſich faft ſenktecht aus dem Waſſer 
hervor, und oben Hängen bie kleinen Eckthürme der erſten Mauer 


e 


:106 Fünftes Kapitel. 


wie Schwalbenueſter in der Suft, Auf einem Zichackwege, der 
mehzere gewaltige Thore verichliehen, fliegen wir hinauf in dem 
Schlobhef Ein ziemlich geräumigen Platz, deſſen Gintergyunb 
das Schloß eimninumt, ein rohes Gebäude mit bier runden ger 
waltigen Thürmen, einige Heine Häufer, bie Wohnmg bes Auf⸗ 
ſehers, eine Waditftube ımb ein paar Schenken Liegen ohne Sym · 
metrie umher aub fallen einen Plag ein, der volllonunen uneben, 
Gier aus ben nadien Zeljen beſteht, dort mit Steiugerdll bededi 
if, und in ein paar Eden anf jehr magerer Erde einen -bürftigen 
Graswuchs zeigt. Die Ausſicht von Hier auf die Ger, auf bie fel⸗ 


figen Geſtabe des Golfs von Marſeille ift wahrhaft antzücdenh,. 


namentlich ‚heute, wo bie weißen Felſen wie mit goldeneam Licht 
übergoffen waren und das Meer zwiſchen ihnen im Heilen Samaens 
ſchein funtelte und ſtrahlie. 

Man Hatte uns in Marfeille gefagt, auf dem Chateau d'gf 
fei eine ftändige Garniſon, doch fanden wir neben ein paar frau⸗ 
zoſiſchen Soldaten, welche am Thor die Wache Hatten, auf dem 
Schloß eine fonberbare Geſellſchaft verfammelt. Vielleicht breikig 
bis vierzig Männer trieben ſich bort umher: einige gingen auf 
und ab, andere flanden in Gruppen beilammen, viele ſaßen 
auf verfdjiebenen Ueberreſten ber alten Mauer und blickten, 
wie mir ſchien, nacbenfend in das Meer hinaus, Bon einer Uni- 
form war bei ihnen keine Rebe, und wenn wir nicht gewußt häl« 
ten, daß das Schloß Ieine Gefangenen mehr hehexbegt, jo wären 
wir auf die Idee gelommen, es ſei gerade bie Zeit bes Spagieven: 
gehens für Derartige Unglückliche. Man jah Hier bie abgetragen · 
fien Kleider, fadenſcheinige Bloufen, dort einen alten zerziffenen 
Militärmantel, hier die rothe Hoſe des franzößisgen. Soldaten, 
Erſt fpäter follte und dieſes Mäthjel gelöft werden, daun als bex 
Auffefes des Schlofies am, um ums bafielbe zu zeigen, Hatten 
wir vorderhand feine Zeit, Erlunbigungen einzugiehen. Ein ziem⸗ 
lich tiefer Graben umgibt das alte Gebäude, und. eine wiorſche 
Brüde mit ausgetvetenen Planten fuhrt hinilber unter einen breiten 


Marſeille. 107 


gewõlbien Thorweg, durch welchen man im einen kleinen melancho- 
ichen Hof gelangt, Diefer hatte eiwas undeſchreiblich Trauriges 
und wahrhaft Gefängutartiges — ein würdiger Vorhof fir einen 
Unglüellichen, der bier vieleicht auf Lebenszeit eingefchloffen wurde. 
Die Hohen Wände bes Schloffed, welche ihn umgeben, laſſen kaum 
das "Tageslicht, geſchweige einen Sonnenſtrahl einbringen; rechts 
und links find kleine gewölbte Thüͤren, die in bie ehemaligen Ge« 
jängaifle führen. An einer Seite windet ſich von Säulen getragen 
eine ſteinerne Treppe in bie ober Stockwerle und in ber Mitte 
bes Hof beftnbes ſich ein Brunnen, über bem unter drei eifernen 
Stangen an vofligev Kette ein Eimer hängt, Gleich bei unferm 
Eintritt ſahen wir über einer Heinen gewolbten Thüre mit großen 
Buchſtaben die Worte: „Hotel Monte Chriſto“; dieß war nun freis 
lich von einem Unberufenen hingemalt worden, aber auf ber Kleinen 
ſchwarzen Tafel, die von Rechtöwegen an derſelben Thüxe hing, 
las man deutlich: Nr. 1. Cachot Monte Chriſto. 

& ift in der That lobenswerth, daß bie beauffichtigenbe Be⸗ 
horde bes Chateau dIf den franzoͤfiſchen Schriftfieller nicht aus⸗ 
Mließt, dieimehe fo bereitwillig auf feine Phantafe eingeht; bei 
ums würbe man bei einer ahnlichen Veranlaffung wahrſcheinlich 
durch ein großes Plakat am ein berehrliches Publikum bie Wars 
nung ergehen Yafien, bex Fabel einen. Glauben zu ſchenken, bie ſich 
der Scheififteller N. N. unterſtanden, über hieſiges königliches Ger 
fängniß in feinem Lügenhaften Buche zu verbreiten. Der Auf 
jeher bes Chateau D’YF aber ſchwoͤrt auf feinen Monte Chriſto, 
indem ex und die Heine Thire öffnet, Man gelangt in ein nie⸗ 
driges ſchmales Gewölbe, und von bort ein paar Stufen tiefer in 
ein ‚finftere Boch, bad in ben Felſen gehauen ift, in dem man 
mie gebückt fiehen und vieleicht ſechs Schritie machen Lam. 
Wenn auch jene Perfon Dumas' eine Fabel ift, fo durchrieſelte 
es uns doch Talt bei dem Gedanken, daß hier ein Menſch Wochen, 
Monate, Jahre zugebracht, — und daß hier wirklich Unglückliche 
vieleicht ihre ganze Lebenszeit verfenfzten, iſt wohl unzweifelhaft. 


ba Fizires Rapitel 


Biirabenw’3 uud ein zımbeö welllemmen finfieıs Gesälße, in web: 
dem die fogenaunte eijerne Maste eine Zeitlang eingefperct war. 
a Meine Schloßhof, zu dem wir jeft wieder 

ürhes, bafl 


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vertreten war. Ehemalige badiſche Dragoner waren mehr 
auch nicht wenige Preußen, von benen einer ſo in einer ab⸗ 
getragenen, freilich faum mehe kenntlichen IHanenmmiforin eni 
dien, Wir erfuhren denn auch in kurzer Zeit, daß auf Chateau 
d If ein Depot der Frembenlegion ſei, und alle bie rmen Menſchen 
Hagten ſehr über ben hieſigen Aufenthalt und hofften ſehnfachtig anf | 
den Yugenblict, wo ein Dampiboot fie fern von der Heimath nad 


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Marjeille 109 


ber Küfte Afrika's bringen werde. Als Horichelt feine Zeichnung 
beendigt ‚hatte und wir das Schloß verliehen, wurde gerabe zum 
Ehen geirommelt. An dem außern Pfeiler ber Zugbrüde lehnte 
ein junger, fehöner, großer Mann mit wohlgepflegtem Bart, ber 
Gerhin:ben anbern feine Fahrten erzählte; er war aus Magdeburg 
und jagte jeht · mit einem tiefen Seufzer: „Seht, wir Deutfche 
lonnnen innner zulegt, jezt find bie Franzoſen in ber Küche und 
feefien das Bett von der Suppe, und bann gießen fie für uns 
Waſſer nach — o bu Heimath.“ Der Mann that mie weh und 
ich verſtand - vollkommen fein lehtes Wort; benft man doch gern 
und dennoch ſchmerzlich an die ferne Heimath, ſelbſt wenn man in 
glüdkidgen Verhaltniſſen und aus freiem Willen reist, wie viel 
mehe aber noch, wenn man ohne Hoffnung auf Rückkehr in halber 
Gefangenhdeft. auf bem Chatean d’IF ſiht und mit Waſſer ver 
binmie Suppen effen muß — armer Magbebirgger! Die Sonne 
ſank eben Yinter bee Inſel Ratoneau unter, als wir das Schloß 
verliehen und unfſern Rachen teieber beftiegen; ihre lehten Strafe 
len goſſen einen: unbeicreiblich ſchoͤnen Schein, einen warmen vio⸗ 
letten Duft auf die Geſtade zingumber aus. Auf bem glühenden 
Abendhimmel zeichneten ſich die früher weißen Formen bes alten 
Geſanguiſfes jept dunkel und ſchattenhaft ab. Wir warfen einen 
Blick ruckwärts und ſahen ſchwarze Geftalten auf ben Mauern 
umperfigen, die gewiß ſehnfüchtig unferm Boot nachſchauten, das 
anf ber glängenden Futh fo leicht bahinglitt; waren wir doch 
freie Menſchen und md bie Rüdtehe in bie Heimath nicht ver⸗ 
ſchlofſen. Meer und Hafen Hüften fich allmählig in Nacht ein; 


eine Fiſcherbarlen mit weißen Segeln fehoffen vor und dahin, 


vom Werfte beim Gatelanen-Dorfe ſchalite ein melancholiſcher Ge ⸗ 
fang berüber uub wahrend ſich der Abendnebel auf den Maſten⸗ 
wald und die Stadt herniederſenkte, erglähten iiber uns am dunkeln 
Himmel Tamfende von Sternen — belannte Bilder — fühe Ex 
Önmerungen an unbere ſchöne Nächte. 


108 Funftes Kapttel, 


Unfer Aufſeher indeffen wußte feinen ganzen Roman auswen⸗ 
dig und zeigte und in ber Ecke eine aufgeiwüßlte Stelle, wo der be⸗ 
ruhmte Verbindungätweg geivelen fei, und führte una Ipäter dench 
eine andere Thüre in daß Gefängnik des Abbe Faria. Die obern Räumie 
des Schloffes entalten ebenfalls unheimliche finftere Hallen; doch 
Hat man jebt mehrere durch Abbrechen ber Zwiſchennande vexeimigt 
und jo größere Räume geſchaffen, bie aber Immer noch unfurımbs 
lich genug ausſehen; bier waren elenbe hölzerne. Schragen aufgeftellt 
mit dürftigen Strohſäcken und mit braunen abgenupten Teppichen 
bedeckt, die Lagerſtätten ber bedauernswerthen Geſellſchaft dm Hohe. 
Wir mußten mehrere derſelbon durchſchreiten, um einige ander 
merkigürdige Kammern bed Schloſſes zu beſichtigen, fo bad Zianmer 
Mirabeau's und ein rundes volllommen finftener Gewolbe, in wel⸗ 
em bie fogenannte eilerne Maske eine Zeitlang eingeſperrt war. 

So traurig ber Heine Schloßhof, zu beim wir jeßt wieber 
hinabfiegen, auch war, fo hat ex doch etwas fo Maleriſchtü, daß 
Horſchelt eine Zeichnung davon eniwarf; er hatte fich aber Im 
hier an einer Seite auf einen Stein niebergelafien, als mehren 
ber Beute, von benen ich vorhin ſprach, uns neugierig mmflanber ; 
fie blickten aufmerkjom auf das Papier, und endlich, „o fühes 
Laut vom Ufer der Garonne,“ Hörte ich einen im veinften Kolniſch 
Tagen: „Es ift wohl der Mühe werth, das alte Loch. bis abzu ⸗ 
malen.“ Natürlicherwoeife wandte ich mich au der Mann; imb 
als ich ihn deutjch anſprach, drängten ſich bie anbern-andh hiu⸗ 
zu, und ich muß leider geſtehen, daß unter dem abgerifſenen Ge⸗ 
ſellen mit dem confiscirten Gefichtern faſt der ganze beutſche Bund 
vertreten war, Ehemalige badiſche Dragoner waren uehrere ba, 
auch nicht wenige Preußen, von denen einer ſogar in einer ‚abs 
getragenen, freilich Zaum mehr kenntlichen Wanenmifornm en 
ſchien. Wir erfuhren denn auch in kurzer Zeit, daß auf Chatean 
d'If ein Depot der Frembenlegion fei, und alle dieammen Menfchen 
klagten ſehr über den hiefigen Aufenthalt und hofften fehnfürgtig anf 
ben Augenblid, wo ein Dampiboot fie fern von der Heimath nad) 


Marfeille 109 


der .Küfte Afrika's bringen werde. Als Horichelt feine Zeichnung 
beenbigt „hatte amd wir das Schloß verfiehen, wurde gerabe zum 
Efſen getrommelt. An dem äußern Pfeiler der Zugbride lehnte 
ein jungen, ſchöner, großer Mann mit wohlgepflegtem Bart, ber 
Gerhin:ben andern feine Fahrten erzählte; ex war aus Magdeburg 
und ſagte jept mit einem tiefen Seufzer: „Seht, wir Dentfche 
Iommen immer zuleht, jetzt find bie Franzoſen in ber Küche und 
fheffen das Wett von der Suppe, und dann gießen fie für uma 
Waffen: nach — o du Heimath," - Der Mann that mie weh und 
ich verfianb vollkommen fein lehtes Wort; denkt man doch gern 
umb dennoch jchmerzlich au die ferne Heimat, Jelbft wenn man in 
gfüchkichen Verhaltniffen und aus freiem Willen reist, wie viel 
meh: aber noch, wenn mar ohne Hoffmeng auf Ricktefft in halber 
Gefmgeniäguft. anf dem Chatean d'If ſiht und mit Waffer ver 
bünnie Suppen effen muß — armer Magbeburger! Die Sonne 
Part eben Hiser ber Inſel Ratomenu ımter, als wir das Schloh 
verließen und unfern Nachen wieder beftiegen; ihre letzten Straße 
len goflen einen unbeſchreiblich fehönen Schein, einen warmen vio⸗ 
letten Duft auf bie Geftabe tingdumber aus. Auf bem glühender 
Abendhimmel zeichneten fich bie früher weißen Formen bes alten 
Gefünguiffes jet dunkel und ſchattenhaft ab. Wir warfen einen 
Blick rückwärts und ſahen ſchwarze Geftalten auf den Mauern 
umberfigen, bie gewiß ſehnfüchtig unferm Boot nachſchauten, das 
auf ber glanzenden Fluth fo leicht dahinglitt; waren tote doch 
freie Menſchen und und bie RKücktehr in die Heimath nicht ver⸗ 
ſchlofſen. Meer und Hafen Hüften fich aMmählig im Nacht ein; 
Heine Fiſcherbarken mit weißen Gegeln fehoffen dor una bahin, 
vom Werfte beim Catalanen · Dorſe ſchallte ein melancholiſcher Ges 
fang Herüber und: während ſich ber Abendnebel auf ben Maftene 
wald und bie Stabt Herniederfentte, erglühten über und am dunkeln 
Himmel Zamfende von Sternen — bekannte Bilber — fühe Er⸗ 
innerungen an anbere ſchöne Nächte, 


110 Rarfeille, 


Sechſtes aahitel. 
Bon Marſeille nach Barcelona, 


Wreife von Derfeille. Sahieste Cintauſe. Gafenlehen, Der Gid-auf.Mäder.Ee. | 
Neue Neifegefährten, Monduadt auf dem Meere. Barceloneta. WBarcekam. 
Mautöquäfeeien. Die Fonte delVriente. Spanife Briefausgahe. Eine Erauer- | 
feleeiäteit, Dergartifierie. Rene Giraßen. Die Rathebrale. Straßenfeben. | 
Das Miitäripital. EI Male nude, Der Garten des Gouverneniß. -Muf der | 
Rambla. Der neue Markiplag. Die alte Stadt; Milberläden und civface Bad 
bandlungen. Fleitige Qunde. Der große Friedgof. Der Monjuid, Wbeads am 
Hafen. Zpeater. Spanifde Tänzerinnen. ‚ 

Wie in einigen anderen Seeſtädten findet man auch am 
der Börfe von Marſeille einen Anſchlag, der beſagt, welche 
Schiffe ankommen follen, angelonnnen find oder abgehem Es iſt 
daß eine ſehr angenehme Einrichtung, und der Reiſende kaum feine 
Abreiſe darnach projeltiren. Wir jagen: projcktiren, denn es iſt 
immer noch ein großer Unterſchied zwiſchen dee angezeigten Ab⸗ 
fabeiögeit bes Gihiffes und ber wirklich erfolgten Abfahrt: Dad 
iſt hier bie Differenz nie groß, und man geht in dieſem Puulte 
ſehr gnäbig mit den. Paffagieren um, wogtgen wir fpäter in Spa: 
nien bie traurige Erfahrung machten, daß auf Heute. amgegeigte 
Schiffe erſt in vierzehn Tagen ober drei Moden eintrafen, mie ed 
uns 3. B. in Barcelona erging. i 

Auf den vierten Dezember war der „Eib” annoncirt, ein, wie 
man uns fagke, zecht gutes ſpaniſches Schiff. Mir war es nicht 
unlieb, Spanien unter bet Wegibe des tapfer. Eampeadar zır be: 
treten, wehhalb ich mich denn auch mit. meinem Mefegeffihrten- auf 
das Dampfboot · Bureau begab, um Pläge zu nehmen und einige 
Prozente der Ueberfahrtspreiſe herunterzuhandeln. Leider iſt dieſes 
Handeln an der gauzen ſpaniſchen Küſte Mode, und wer darin 
etwas leiſten kann, ſoll manchmal außerordentlich billig Fahren. 

Vergeblich forfchten wir am Tage vor ber Abfahrt noch auf allen 
Bahnzugen und ankommenden Diligencen, bie von Paris kamen, mad) 











Barcelona, 111 


unſerem Oberbaurath Seins, der bor bem erſten Dezember nicht 
erſchienen war, wie er verſprochen, ſich aber, wie ich zufällig er: 
fahren, in der Hauptſtadt Frankreichs umherbewegte; — er kam 
wicht, wehhalb wir Briefe und Adreffen mad) Barcelona fir ihre 
auräcktießen und ung am vierten Dezember mit unferen ſammtlichen 
Habfeligkeiten auf das Dampfboot begaben. Auch waren wir beide, 
Horſchelt und ich, recht froh, endlich Marſeille verlafſen zu können; 
es iſt bier ein ſehr theures Pflaſter, und obendrein hatte ber Maler 
alle Urſache, mit Marſeille unzufrieden gu fein; hatte man ihm 
doch fur theures Geld ſehr ſchlechie Farben verkauft, und als er 
fich ein ledernes Riemenwerk machen ließ, um Mappe und Farben⸗ 
kaſten darin zu tragen, war dieſes Ding fo unpraktiſch gemacht, 
ba das Eingeſchnallte ſchon nach wenigen Schritten herausrutſchte. 
Doch de man fuchen muß, jedem Ding eine praktiſche Bedeutung 
abzugewinnen, fo wurde das Riemenwerk forgfältig aufgehoben und 
„diente fpäter als Frehkorb, indem wir es ben Maullhieren mit 
Hei gefüllt umhängten, Auch einen ſoliden Feldſtuhl Hatte fich 
Horſchelt angeſchafft, der ihn dber am erſten Tage des Gebrauches 
faſt ins Ungläct hebracht hatte; denn als er auf einer feileri Kippe 
am Meer zeichttend faß, brach ber Hintere Fuß dieſes Möhels und 
Horſchelt wäre um ein Haar in die Fluthen hinabgerollt. 

Die Abfahrt des Eid war auf 8 Uhr Morgens feftgeftellt; 
als wir aber eine halbe Stunde früher an Borb tuderten, fliegen 
erſt ganz leiſe Rauchwolken aus dem Echornflein anf, das Ber 
deck wurde jeßt erſt gewaſchen, ber Kellner machte feine Morgen: 

Toilette, und vom Kapitän und ben übrigen Paffagieren mar 
noch leine Spur zu fehen. Das Sqhiff Ing ziemlich am Ende des 
Hafens und tar rings don andern Fahrzeugen umgeben, wo⸗ 
durch es micht ar amifanten und Iebendigen Scenen fehlte. Bier 
wurbe aus⸗, dort eingeladen, zu umferer Rechten ein Schiff in 
ben ‚Hafen hineinbugſirt, links eineß zum Auslanfen fertig ges 
macht. Dazu waren bie Eegel ſchon Halb Herabgelafien und 
ſchlugen leicht gegen ben Maft, am Pavillon war bie Flagge auf⸗ 


112 Sechſtes Kapitel, 


gezogen, und bie Matrofen in ihren rothen und blauen Hemden 
Hatten ein langes Tau erfaßt, vermittelft befien fie das Schiff Lang: 
fam vorwärts bewegten. Dabei riefen fie ihr gewöhnliches: Oho 
—i! ober fangen auch wohl eine Iuftige Melodie, wozu fie den 
Zaft mit den Füßen trampelten, während fie vorwärts ſtrebten. 

Endlich gegen Halb neun Uhr Vieh Ach unſer Kapitän bliden, 
nad und nad) kamen einige Paflagiere, aber fehr werige, dann 
wurde der Unter gehoben, der Schornftein begann dichte und 
ſchwarze Rauchwolken auszufpeien, die Schiffemannfchait befchäftigte 
Fich eifrig damit, Ballen, Faffer und Koffer in den Raum hinabzuftauen, 
bann fingen die Räber langjam an zu ſchlagen, und wir trieben ſaſt 


unmerklich durch das Gewühl ber Schiffe dem Auagang bes Hafenz zu. 


& war ein prächtiger und klarer Tag; bie Imjeln vor dem 
Hafen von Marfeille ſowie Chätenu d’If Lagen da mit ihren gel 
ben Felſen Heil im glänzenden Sonnenlichte wie vergoldet; das 
Geftabe zu umferer Rechten Hatte eine etwas dunklere Färbung und 
verlor fi) dor uns in einem bläulichen Streifen nad) ber ſpaui— 
{chen Küfte zu. Ich erinnere mich nicht, ein ruhigeres Meer ge 
fehen zu haben, ber Ausdrud „wie ein Spiegel“ paßte heute voll- 
Tommen hieher; auch nicht bie mindeſte Bewegung war auf bem 
Verdecke zu fpüren, Der Eid glitt fo ruhig bahin, wie ein Dampfer 
auf dem Rheine, und man hätte wirklich an eine Flußfahrt glau- 
ben Lönnen, wenn man rechts und Links bie Berge und Felſen ber 
trachtete, die Schlöffer und Ruinen und rückwärts Marfeille, bie 
mächtige Stadt mit den grünen Höhen, bie es überragten, und 
mit dem Maftentwald zu feinen Füßen. 

Bald aber Lieken wir alles das hinter uns, bie letzte der Infeln 
blieb zurück, daB zerklüftete Geftade gegen Toulon mit feinen gadigen, 
fonberbaren Felſen ſchien nach und nach flach und weich zu werben 
und verſchwamm endlich zu einer Langen farblofen Sinie. Am Längften 
konnten wir bie weißen Mauern des Chäteau d'If erfenmen unb gaben 
ihm noch manchen Gruß zur Beftellung aufan Frankreich und Stalien, 
bie es ausrichten konnte durch eines ber vielen Schiffe, die täglich bei 





Barcelona, 113 


ihm vorüberfuhten, Auch unferer armen Banbaleute von ber Frem⸗ 
benlegion gebachten wir, bie bort oben auf ben Mauern fahen und 
gewiß fehnjüdjtig dem Gib nachblickten. 

Jetzt lag zu unferer Linken das weite, gewaltige Meer, ohne 
Wellen, ja faft ohne Schwingung, eine tiefblaue Fläche, bie da 
Sonnenlicht firahlend zurüdtvarf; zu unferer Rechten behielten wir 
das Ufer in Sicht, welches mit feinen maleriſchen fühnen Selfen- 
bildungen, feinen fcharf ein« und ausfpringenden Winkeln, feinen 
Weinbergen, Dörfern und Schlöffern bie beiden großen Nadjbar- 
ſtaaten verbindet, Wie ſchon bemerkt, Hatten wir wenig Paflagiere; 
und intereffirten eigentlich nur zwei Herren, bie fich ebenfall® auf bem 
Hinterdeck befanden und, wie mir ſchien, geläufig Engliſch zufammens 
ſprachen. Gleich Anfangs aber war ich überzeugt, daß fle feine Eng⸗ 
länder jeien, namentlich wicht der Eine, der etwas außerordentlich 
Gutmüthiges und Deutſches in feinem ganzen Weſen zeigte. Ich 
Hatte mich auch nicht geirrt, denn als ich bie Kajüte Hinabftieg, 
mich bort an’ Klavier ſehte und ein beutfches Lied fpielte, kamen 
Beide zu mic und baten mid; in unferer teuren Mutterſprache, 
das Sieb noch einmal zu fpielen. Beibe Herren waren Kaufleute, 
feit Tangen Jahren in England etablirt, Herr Weinberg, ein Ham ⸗ 
burger, Herr Erichſen, ein Däne, ber übrigens auch ganz geläufig 
Beutich ſprach. Ich habe biefes Bufammentteffen, ſowie die Namen 
ber beiben Herren erwähnt, weil wir in Spanien Yängere Beit 
zuſammen teißten und teil beide Herren beftänbig für uns ſehr 
angenehme unb Liebenätoiebige Reifegefäßrten waren. 

Unfere Meerfahrt ging in ihrer Geſellſchaft fo unterhaltend wie 
möglich vor fi; wir frühftüdten, rauchten, fpielten Domino, dinir⸗ 
ten, befanden und aber troß alledem bie meifte Zeit auf bem Ber 
bet, um bem fchönen Lauf ber Nfer, wenn auch von fern, folgen 
zu Lnnen. Dort war Port Bendre mit feinen alten mauriſchen 
Thürmen und bem Fort St. Helena; bald waren wir gegenüber 
bem Dorfe Bagnolß, wo ein ſcharfer Gebirgseinfchnitt bie franaöfii« 

Hadlänber'? Werte, ZXIT. 


A 


114 Sechſtes Kapitel, 


ſpaniſche Grenze Kezeichnet, In ſpaͤter Rachmittegsikunde-;jeh men 
auch bie Bucht von Roſaa mit ihren vielen Drhichaften: und bex.alten 
trogigen Axaber · Burg, übersagt don ben ſchueebedeclten Haupteru 
der Pyrenäen, hinter denen bald darauf bie Soune praͤchtia niederſaul. 

Als ea endlich Nacht geimorden. wor, ſahen wir in her Anfite 
zuſamenen, erzaͤhllen gegenſeitig ‚bon. unſerem cegangenen Loben 
uud brauten einen Iaäfkigen Pumſch, Bei-hem: mir uns ſo Lampe 
unterhielten, bis die Kaiatmn⸗Ahr Elf flug umd unfere: Belanaten 
ihre Betten auffuchten. Harlchela und Ich ſticgen ohıf das Verdeck 
hinauf. und erftenien un® . bort:nach, längere Zeit rann der zwach · 
vollen, wahrhaft blendenden Mondnacht. Wohl · mieſah: ach eine 
grähere-Rlgsbit des Givunels unh der Gen; dabei —— 


—*8 bie. Wimpel- Singen « left —— —** 
lein Bufthauch bewegte die Taue, ja: bie Schatten. welche dieſelben 
auf das Verdeck warfen, zillerten nicht eininal Born im Schiffe 
Taßen, bie Matrofen in leiſem Geſpraͤch beiſammen, und der Steuer 
mann hinten ſchien unbeweglich: das Gteuersuber folgte dem leiſe 
ſten Drude ber Hand, 

Es war eine undergehliche Nacht, eine Rad, | in hen man aft 
unwilllürlich und lauſchend ftehen blieb, als ‚mäüffe ‚man jeht den 
Gefang ker Sirenen und Meerjuugfern vernaßmen, und ala müffe 
man fie ſehen. wie fie langſam auß- ber Zieje aufftiegen, gelockt non 
dem meifien Mondlichte, um ben Ichlafenben Wellen zu fingen unb 








| 


Barcelona. 115 


zu pielen.  Mber:08 kam nichts dergleichen; nave derbe tehifche Gefial⸗ 
ten / unerbuachen zuweilen · ben’ Lira]: meiner Phantaſie: der Keller, 
ber jeht · chlaftrunlen über daR Verdett/ flolperie, ober bir Rupitän 
unt vreameuder Cigatve/ der leiſe mat der Steuermaun ſprach, dann 
Ya hat vcheltte Loumtſhauschen blickte und’ hierauf mit uns eine 
ſpantiche Annvesfation anflug, die nas aber leider vollloremen ſpa ⸗ 
öl: uch, Das mochte ur auch einfefen und zog fich daher 
balb wieber vun: untB: zuuählli ' Bureilen- brehte ſich das Schiff ein 
Wwehig, aberi:fo leicht und herauſchlos, dab mir, In ben Diomb 
blutend, hatte glauben · DWunen, dieſer hoaziewe gu feinem. Vorgnitzen 
ein wanig mm herum .· 
‚jest verliendeie norn am Schiffe ber Alang ber Glocke die zweite 
Wache uund daun war Ads wieber ſritt wie zudor —- Und war ich 
bern wirtlich ſd weit von bet Hetciaih, befand ich mich wicclich anj 
dein Cid uad ſchwennn an ben herrlichen Geſtaden Dpaniens? Ich 
dounte dan oftmalß ſelbſt nicht glauben and tenf dann zum Stener⸗ 
anne Hin, um ihu zu fragen, wanu tor aukamen. Es war das ein 
Fracgzoſe mb dehhailb verſtand ich ihn / als er weir zur Autwort gab: 
¶Wenn / bie Ger achig bleibt, werben wir gegen ach Uhr Barcelona 
etreichen Bartelona, eine ſchr Feine Stadt," fugte er hinzu. — 
Alſo Buch! In ſolchen Auyenblicden fiel mir iaumer Bas Lied Alfreb 
ve Bein win, wehdjeß Fellicratn ſo ſchen überlebt dat: 
0 0 ber; ber auf Barceldna's Gaffe 

Mein onbelufi. Mädchen jad,- 

„Ber fah fie ftehn auf ber Zerrafe? 

3 {ft meine Lowin, meine blaffe . 

Narqueſa d'Amangui ja! — 





Ih konnte 68 zwar bamald nicht vedht begreifen, warum e3 gerabe ein. 


aitbalufifches Madbchen ſein ſollie, daß auf den Gaſſen von Barcelona 
ſolche Wirkung herworbrachte Epifter aber betriff ich es vollkommen. 

Der Tag’ kant ſchdn und Mar herauf, el würdiger Sohn ber 
vbergangenen herrlichen Racht. Auf der See bin ich Tmmer fehe frühe 
zeitig; unb ſo beleni ich denn hiteh heute fürn Did Verdeit gieich nach 


116 Sechſtes Kapitel, 


bem gähnenben Kellner, ber auf meint Frage nach den Geftabest Spa ⸗ 
niens auf einen fehon. ziemlich beutlichen Sanbfreifen vouung!geigte: 
Zu erkennen war da Freilich fo gut wie gar gichtsz die Foriuen bes 
Küfte waren noch jeher umtegelmähig und wechſelten ab mit. hellen und 
dunklen Stellen. Cine ber lehzteren ſollle Varcelona ſein snıb:bie:der 
deutende Spike baneben, die ſchon etwas klarer ana kem-Muflechunfie 
hervorſah, ber. Monjuich. Es ift. für mich immer ein Hädhft mungtange 
mes Gefühl, jo einem mix gänzlich fremken Kante zuzuſteueruz max 
macht fich allerlei Phantaften. nan bey: Sage einer Gtabt,: die ſich 
derfelben baun beim. Näherkonunen äfteeb: aupaſſen, fo: dab tan 
meint, man Habe. fich dieſelbe ſo und nicht anders vorgeſteilt. 

Die Stille des Meereß.. Hatte: fich nicht geaͤndert. - Deu: Gib arbei⸗ 
tete wacker darauf los, und wie die Küfte vor uns höher amd. Höher 
anfftieg, ſo wunde ſie auch, deutlicher, und bald omuien ind genau 
unterfcheiben, wo Heise Buchten in's Land hineingingen arıb ino bie 
Felswande in's Meer, voriprangen und ſich ſchuell ans ‚bemielken 
erhoben. Dieſes war. namentlich bei, beim, Moninich der Fell. der in 
feiner, impoſanten Geſtalt hexausfoxderud allein an der Küſte zu ſtehen 
ſchien, ein txohiger Wächter, deſſen Kananen rings uniher Alles bes 
herrſchen und an deſſen Fuß ſauft bingefchmiegt Bareelona Liegt; iiber 
welche Stadt ex ſchühend oder drohend feine eiſerne Hand ausſtreci. 

Hohe Gebirge erheben ſich nicht.hinter Barcelona, und der Gone 
zont iſt nur begrenzt von einen unbedeuteuden Verglette, jchön gezarkt 
in.bunfelvioletter Färbung. Hinter derſelben, rechts nom Monjuich, 
aber weit in’® and Hinein, bemerkte. man. an dem Haren Morgen 
ziemlich deutlich einen eingefuen Berglegel von. ſeltſamer, fonderbar 
ausgezackter Geftalt — Mouferzat, ben Heiligen, Berg, dem wie ehem 
falls einen Beſuch zugebacht; bei unſerem Nãhexlommen font ex lange 
ſam Hinter die vor ihm liegende Bergfette, wogegen des Monjuich im- 
mer hoher und ſtolzer emporftieg. Bald konnte mon ſchon die Feftungs ⸗ 
werte droben exfennen, ſowie ben, Weg, der hinaufführt — ein hellexer 
Streifen auf dem gelben Sandſtein, bald ilber den naclen Felſen iur 


— Zickzack hinlaufend, bald rechts und Links mit grünen Hecken beſetzt. 





" Barcelona. 17 


Yehzt. Lay auch der Hafen deutlich vor und, der, begränzt durch 
bie hohen Ufermanern, von ben Hauſern der Stadt nicht viel ſehen 
laßt· Die Einfahrt in denſelben, namentlich wenn wem von Marſeille 
lorumt, ftimant-bie Crwartangen beB dieiſenen ſehr herab; bort das 
Cewuhhl bee. großerr Stadt, welches am Hafen am lebhafteſten iſt, Die 
Haben Haufer, bicht ar die Quals gebaut, Im Haſen⸗Vaſſin ſelbſt 
Hunherte inon Fahrzeugen aller Nationen, worunier oft ein Duhend 
Dempfer in einer Kethe Alles voll Beben und Bewegung; hier 
eine file Wafferſtache, ein faft todler Hafen mit wenigen unbedeu ⸗ 
tenben Schiffen, die wie ſchlafend an den Ankerkelten Liegen, faſt gar 
kein Verlehr gwiſchen ihnen und dee Lande. Zwei eine Dainpfer in 
der Milte des Hafens waren ulles was auf eine Kommunikation mit 
dem Unslande deutele, rings am Strande dagegen eine unzählige 
Menge Sqhifferbarlen in der bekamen malerifchen Uttorbnung, dä⸗ 
ri aber:in Allem ihre Armuth zur Schau kragend; Hinter ihnen 
ein ſanbiger Strand und bat erſt bid auf die ſchon genannten 
Baſenmauern zur Birken umbebentende Mferbantten, Hinter welchen 
men die grane Feſtungsmaner ſah und kleine, niebrige Häufer, 

So wart der Anblick bes Hafens von Barcelona. Glücklicherweiſe 
brauchten wir nicht lange auf ·Erlaubniß zu warten, um das Land 
betreten gie kotmen j wir vettrauten um mit unſerem Gepäd einem 
Rachen an und wurben Yon givel Kerlen in zerlumpten braunen 
Mäntelw.an’s:Nfer gerabert, --Dort' hatte fich ein artiges Gefinbel 
verfanmelt, am un in’ Empfang zunehmen; Stranchdiebe alfer Art 
in abgeriffenen keerzen Hoſen, nackten Beinen, fehmierigen Jacken, mas 
aber alles vom der blutrolhen Manta verdeckt wurde, welche weithin 
lenchtet und den Buvſchen das Ausſehen von Scharfrichtern gab, 
bie: mit. un ſchleunigſt fertig machen würden; dazu pahßten auch 
ihre wilhen Bewegungen vnd der Ausdruh Ihrer unraſirten Gefichter. 
Bon und Wieren, bie wir nun ar® and ftiegen, ber Maler nam⸗ 
Th, Herv Erichfen und Here Weinberg, ſowie ich, wußte Keiner fich 
im Sdaniſchen mg nr halbwegt vernümftig amazubrädern, Herr 


118 Sehfles:RKapitel. 


Weinberg, der ein Voeabulaite in bes Hand ſchwant; / vade brechte 
freilich aus demfelben alierlel ſeltſam klingende Phhraſen, toriche aber 
ben Cataloniern eben Jo wenig / berſtanblich ſchienen / als urhſer ahn · 
liches Deutſch. So ſtanden wir denn ziemlich warhlotz ba, und zent 
uns auch pankomimiſch allerlel· Hilfeleiſtngen angeboleit wurben 
fo ließ uns doch gerade bie Verſchiedenhelt derſelben zu deinem End · 
ſchlufſe kommen. Der Eine wies uns af unſere Fengen nach Vurte ⸗ 
lona hierhin, bet Andere dorlhinz eine Partie wollte unſere Koffer 
anf bie Schultern laden, bie andere auf einen Karren wetfen, insb 
ein paar Bollfolbaten ſchienen den Wunſch zu hegen fie in einem 
der dunklen Gewblbe deponirt zu ſehen, die ſich in der Ufermunser bes 
finden. Und dabei larmten bie Kerle über alls Seblht beingten' fich 
uns auf den ib und rochen nach Kenbblanch bah 69 zum Erbar⸗ 
men war. Ich glaube, fie Wären noch amſeriwegen in / Hundel ger 
rathen, wenn nicht in dieſem Augenblicke ein beetler erſchlonen ware. 
ein wohlgelleldeter Mann nemlich, der ſich und In geutz gutem 
Franzofiſch als vohnbeblenter der Fonda del Oriente, des Sofl 
hofes, ben wir auffuchen wolltden, barflelite: Yan aberltehen 
wir denn auch gleich bie Sorge fur unſer Gepäͤck, welches “ auf 
einen großen Karren laden ließ, dem wir folgten. ine 

Es ging aufwaris das Ufer hinan durch einen Kalb ndriu 
Thorbogen, dann kamen wir auf einen wellen bden Pla; ber einſteus 
zum Schiffewerfte für kleinere Fahrzeuge gidient Haben mochee⸗ jahi 
Tagen ba unbrauchbare Schiffsplanlen, altes Tauwert, woflige:Elnker, 
auch ler und be ein Haufe Ballen ober: Faffer, bimdi; Strohenatten 
gegen bie Sonne geſchteht. Dieſer Play wat auf ber! ber Ereigugens 
überliegenden Geite itit eines langen Reife niebriger: Hanfer behebt; 
alle von gleicher Bauart ımb gleicher Höhe, Viele warru voth ans 
geftrichen und bie zahlreichen tuetßen Senfteveitfafhtitgen hauen deu 
Anblick etwas  Heiihathliches gegeben, wenm nücht jrded diefer· en⸗ 
ſter mit einem kleinen eifernen Balkon verſehen geweſen wäre/woed⸗ 
Ger uns erinnerte, der: wir endlich in / Spunten waren. NE war 


Barcelona 119 


eine Kleine Stat, die vor und. lag, aber mit unſcheinbaren Häufern, 
je arnilich aualehend, dah kein uns Ichächtern fragten: Soll das Bar 
lan dein: Wonauf ms abrigens der Vohnbediente zu unſerem Troſt 
mit einem ſanfien Bösheln Tagte:- Pas. iſt nur. die Vorſtadt Bareelo⸗ 
neio Dieſelbe jn ubrigend nicht unbedenlend, neuer ala bie große 
Stabtu.unb.:ihre Strathen Teufen -gauz gerade und durchſchneiden 
einanber rechtwinkelig · ‚Hier. iſn das Fiſcher⸗ und Matapfenviertel, 
ed aibt Gier viele Queipen und viele Taballaden, dazwiſchen Gewoͤlbe 
mit bunten Schifferheuden / uad rothen Marina, welche Farbe für 
dieſcs Nleibungeſtück hier in. Gatalonien Mode zu ſein cheint. 
Die Stwahen lahen recht übe und Lose and, ‚chen fo bie Hauſer; 
die meiſten Fenſter waren verſchloſſen, guan Theil auch nut mit Weißen 
Gardinen verhängt, und une hie und ba lehnie eine weibliche Geſtalt 
an dem Vallongelander, mit vollen Körperformen, blafſem Geficht und 
ſehr Imarzen Haswen, Aiermit ſilbernen Nadeln aufgepuit waren, 
+ Barsloneta, zwiſchen 1955 unb-1775 durch den Marquis be la 
Miun gegrlubet,. iſt ſehr Innggeftxeikt,-und nis brauchten wine. gute 
Viertelſtunde, "che wie bie Gräben und Mauern bes wohlbefeſtigten 
Brohen Stabi erreichten. Das Thor, welchem wir uns näferten, Hatte 
uns ſchon von Weiter, jehr hell non der ſchtuutzigen Hauſermaſſe, an 
ber wir ·vorbeilamen, abſtechend, -buych feine ſeltſane Formenbildung 
anbıhle Prutenſton ſeiner ganzen Anordnung, die ein. ganz moberned 
Baumwexlverrieth, beſcuders intenefſtri; die zwei Thoxboten neben 
einander, der eine zur Eine, der andere zur Ausfahrt beſtimmt, ſchie⸗ 
nen die vdlg geſchleſſene Nreisſorm gu haben/ eingeſpannt zwiſchen 
einen Wald non, griechiſch; boriſchen Saulen, unb:bei näherer Betrach⸗ 
tumg zeigte. es fich nısch faſt jo, bean qus ber uniern Salfte ber Kreiſe 
war mn ein. ja: grofes Stil aquẽgeſchnitlen, ‚um eine gbene Schwelle 
zu erhalten... Dex Aufthand an reichen Architelturformen / und bie Prã⸗ 
zifion / der Ausfuhnng waren einer beffeven Geſammtanordming werth 


Freſen. 
Binter dieſer Bapsta-bel. Mar jah ea auch nun gleich ganz an⸗ 


120 Sechſtes Rapitel. 


ber# umb guokftäbtifch an. - Bor und hatten wir einen weiten / wohl⸗ 
gepflafterten Pick, in deffen Mitte man eben tegenkl.chr Merstepaf 
aufzurichten im MBegeiffe Raub, deſſen aujſehulicher, Inächelfänmiger 
Unterbau bereit fertig war. Autf einen Seite bed. Plahes befinden /ich 
vier« bis fünffidefige. Haujer, eben biefew bie. ſehr ering ausſchende 
Sonja oder Mürfe, links ein großzes Gebaude zuit-Mrdlaben, unter: seh 
chen ſich, beilänfig gefagt, ein Kaffechaus befindet; das „Zu bem fiben 
Xhüren“ Heißt, Dieſe bejogte die Inkeriftsanfiber gleichen Amhl 
Eingänge in.fieben verſchiedenen Sprachen, worurder ſich auch rine 
deutſche befindet. Es iſt dies der Palaſt eines Aierilauert, intel 
chem nach ben Bürgerkriegen Eſpartero wohnte, ala ſich der Hof dns 
mals hier befand, und der Ballon bes Siegecherzogs warıdember 
beiden. Räniginmen gerade gegeaübes, denn vechts mu Piae ift der 
konigliche Palaſt, ein rothes Gebäude in einem: miitelalierlich ein 
ſollenden Saile; doch ſind hie. theilweiſt ſehr geichmackloſen Verzie⸗ 
rungen nur gemalt. GB iſt darin eine Nachehmung de ogenpalaſtes 
zu Venedig veriucht morden, ‚aber blos der Schein fintt des Mejenb; 
bie fingiaten Inkruſtativnen bunter, Diocmorplatten, bie · halb gothic 
ſchen, Halb arabiſchen Eingelheiten und die ausgezackie hoͤlgerue Mauer 
kronung geben dem Gauzen ein ſehr bavockes Ausſehen. Hücbſch 
nahm ſich nur der tm Hauptſtocmerle auf die ganze Hamalauge 
ſich erſtreclende verglaſte Ballon ans, veine in hieſer Auddehnung· 


um noch ‚gang neue, Sache, bie win erſt wahr im Suden des Laudes 


in ‚vielerlei ‚suonwigfaltigen Arten wiederfinden folkten.:: Unmigläch 
tan ic} bier noch zwei Schilberhaͤnſer unerwähnt: Laffen, blau ınıb 
weiß angeftrichen, iu Zeltjorm, da “ wicht: det etwas Plannpereh 
der Art gefehen Habe. . am 

Neben. dem Palaſt iſt das Manthaebinbe —e Karren 
dirigirt wurde. So viel. Unaugenehrs man min auch. schenken: 
bie fpanifehe Mauth.geingt, ſo fand ich doch, bafı die Barceloueſer 
beſſer ſei ala ige Ruf; bie Leute behandelten und:reht.artig,. Kiefen: 
freilich unfere- Koffer öffnen, beguähgten fich aber amit, mit cder Tin 


kon # 





* 


Barcelona. 121 


ten Hand · nurnleicht :auf dem. Aleibungäftäden' umherzsfahren; woe 
Megan .hie Mechte/ wie.ich nicht leugnen barf, .eine bieliegenhe Ber 
Woegung’twadhte,.: bie:idh.besun and) durch Apineingleitenäcffen einer 
Baleion.alöbald audglich. Die: Wiſuationen in Spanten, abgefehen 
box.hien,; wo wir won Frenkreich Zonmwend : bis. Beinbeögrenge ber 
teaden,:find: nicht gering -gu xügen und Fü, ben Reiſenden wahrhaft 
eınpüremie .::Yeber miſerable · Neſt glanbt dad: Meckt gni habetı:, ben 
urlibent: umdc huugrigen· Reifenben unter: bene Thore feftzihalten-und 
Gelb vom Hmm zu erpreſſenz «denn mar: ban iſt die Abficht. Bei 
unfexen fpätexen’ Touren zu: Pferde brauchte nur Gimer vbraußzu⸗ 
zeiden und einſach. ſeine Bine heranzuziehen, ſo · verlantzie man 
nicht einmal, datz das Maukthim abgepaat warde, ſondern Vie 
um8 mach Spendung einiger Peſtten (hie Befeta iſt dier Nealen 
aleich einem framgdfifchen Fraue) ruhig Weiter ziehen .. 
NRachdent wir mit der Mauth fertig waren folgten lai abermals 
he Loßmbebienden; er hie Maurite, und ich kann Iher jeben meiner: 
Leſer / ber-zufäklig, nach Bavcekına Totnms, beftens empfelen.: Bon 
dem ·fneien Plute gerielhen wir gleich in das Gewuhl ber Stubt, das 
in den ſehr eugen Strafen, bie ‚mit. wien. bis funfftockigen Hauſern 
Weiepi-Finb,. im vinigen eerteln wahrhaſt betaubend if. Geute wer 
es Sonmiag ,. und bie hellen :unb tiefen Glockenſtinimen ber vielen 
Kirchen wiefen bie Anbächtigen zo Meſſe. Mairrice, der den Maren 
fähyce „ eikte:isibefien: fo. fahmall vorwaris, daßz tote beftändig nach 
pn: zu.:feßen ‚Halten, um ihn :tricht aus den Augen /zu verlieren. 
Undi fo. mußten‘ wie dem ziemlich theilnahmlos ian bes bunten, 
uns begeguenden Menſcheumenge vorüberellon, welche iu / Ihre Ko⸗ 


ſtümen viel Neues für und darbot, namentlich die bunten Mantod; 


welche bie Manner Aber ihde Schullern hangen Yakten, die ſeltſam 
geferm len cataloniſchen Hute von ſchwarzem Filz mit dienlich brei⸗ 
tem: Nande oben ſich Merengenb, bau allan aber. bie gahlzeichen 
Schaanen des weiblichen Geſchlochts mit der reizenden Mantille, Blu⸗ 
mer im Haar, ſcharf gezelchttelen Avgenbtauen und glangenden Hlugen, 

Nach ziemlich langem Marſche kamen wir endlich auf eine breite 


339 Sech ſtes Rapitel. 


ri weit Net der Variler Boulameıhz, dien Fe wie dice wit 
Wann Ip die Rambla. der Genpfinegrugeng bee Berrorlor 
Wella teniyer Die Stadt in gwei ungleiche Hälften Eheikt, de öffend: 
zunea anen ühe Wlleb in biefer. Ginficht Sex Bejümben ſich bie 
LV Ya zuaphalichfien Anflechöufer ınd bie erflen Gefthöfe, unie 


{ 

Du Ar Anden M driente, und als ber beſe vo wir 
e Gha hietten. Monſieur Maunite ſorgte auch Gier avfn 
dn sun ach ua Wld waren wir Vien auf. den erſten Stod in⸗ 
win: D und ich hatten ein gemeinfhaftlichen grofes Zimmer, 
au Wurhipes wwei Schloftuniwelie fliehen; der Fuhloden Inge mit 
duien Irppicen dededt. Rage Batten wir ‚und alt Dem Oben 
deuner udes Druhſtuck med Kiwer verſtändigt ab follten für Alles 
Yulammen Jeder täglich 20 Araben zahlen, ungefähr 2. 80 fx, 
was feuw abertriebene Sorkerung war. 

Wenn ich eine freunde Gebt beizeie, iR eh für mid eis wahres 
Wesguügen, obs Ziel und Bived.iu den Steuer umnfer zu firrichen, 
wich bald hachin. bald dorthin wendenb, melei ich ed has. Zufall 


übexloffe, and) zu fuhren, wobin es ihm beficht. Wutürlich, daueri 
eine Jolie Puomenebe immer mehrere Gtunben, de ich flrıkre in 
allen Boparelleleit uutfer, Beizacte mir Menfiien, Gäu, Etrohen 
und Magagian Daburch bekomme ich einen friſchen. ariprünglichen 
Kotaleintuenet, ber ſich mix. fpäter nicht meche verwihdht und der · auch 
nach langer Zeit in dDem ingwiſchen ſchen verfcjwimmenben Bilhe 
dran tabs in meinem Gehöchtnift wie ein Geller Etreifen zuräce 
bleibt Auch hier in Vexrelona Hatten mix kaum unlere Schiffe 
tolfete eitoad comigieiſe belraten Wir hie -Mambla uud folgten 
dem Stꝛome ber ;Sipazietgänger, aleicjuiel, wohin eu und treiken 
waurde; bach hatlen Wie run wenige Schritte: gelhan, als wir ſchrg 


deren Ge" "per: ben Corrro, bin Befl, beweclien wohin 
Weir und 1. Woßrsfianter Briefen: für und zu ſorjchen. 
Wan nan in ganz Spunien ein igenthulahes 


Liſten angellebt, worauf, wit einer fort 


wer 


Barcelona 123 


laufenden Rimiter.verichen, die Abreffen aller Briefe: 
find, welche poftuefaute:eisttiefen. :Selöhwerftänhlich fnb:biche Siftet 
in · den güdheren Stäbten, wie hler in: Barelina,Zjehe zahlreich, und 
man ·hat / grohe Mühe, ſeiaen eigenen / ineiſtend arg verſtunemellen Na⸗ 
meta ‚den Hanberien ben anbern heraus: zu finden. - Dam alas 
daum ain Poftſchalter nur · dle Auntaee anzugeben brewcht. umier wel · 
cher der Brief auf bet Sf votgemerkt A, um ihn zu trhalten. fo 
kunn manrfich deuben; daß hiedurthe aincher Mitzbrauch geſchicht; 
denn jeder Anbefugte / kaun ohne irgenb welche Legitimation / eine belie ·⸗ 
bige Nenner fordern und erhalt vleltelcht meinen Vrief, was auch 
Böufig denng vortommen fol; twehhalh Feemde vict beffer baren chm 
ihre Drlefo an itgend einen Bamkier abeeifium zu laffen oben an den 
Könful rer Nation, welche fich meiſtens ein Vergnüigen neue 
machen, ihren Landsleuten auf dicke Art behilflich zu ſein. 
Obgleich eß für die ·allgemeine Prnmenabe:auf ber Rambla noch 
Nemlich FEN. war — eeſt elf Re Vormitlags +-, fo: war doch sine 
arfegnltche Nenſcheumenge da, welthe einvad gu erwurien ſchien. Ohne 
zu tofffen, um was es fich handle, watteten wir cbenfalls und vetnah⸗ 
wmen bald bie Kange eines Nilitaruinſileorps, welches ſich auf dem 
Spagiergange gegen un herbewegte. Doch habe: ich nicht / leicht etwas 
Sxbarmilicheres gehört, ald dieſe Mufit. Obgleich bie grohe Kuotrmel 
ſo wie an · daar Werten ide Moglichſteß Khoten, einigen Tai in biejeß 
Muſilcorps zu: beingen, To: konnien le doch damit nicht zu Stambe 
Tomsten; und jeder / der Nufickſchien nicht blos eine anbere Takt und 
Zonart, ſonhern auch ſogar ſedas eigene Meköbie-zu:fpielen. Und’ das 
Ganze‘ Nang immer tolfer, je nacher bad Mufifcoyps an uns heran 
kam. Jeht defilirien fie bei uns vorbei; bie Leute ſahen gar wicht 
ſchlecht aus, waren auch gut uniformirt unb marſchicien mit der 
grbßten Oſtentation doruber denn fle nahmen bie ganze Breite bex 
Ramblä ehr, und um · dies zu bewertſuelllgen, hatte jeder Atuſilkani 
zwiſchen ſich / umb Due Mluberananıt: einen: Zwiſchentaum / von wenig⸗ 
flens drei Scheh — ein. wahren Horreur file ein krenhiſchea Gerz, 
dem bie „lung“ beim Marſch zur zweiten Natur geworben ift, 


122 Sechſtes Rapitel. | 


Straße vach Art der Parijer Binnleunrha,; eben. fa: wie Diefe-mit 
Baumen beheht — die Sonskln,:der Hauptfbauerang bes Varula 
nelar, walcher bie Stabt im geh ungleiche Halften ·theilt. hr Arien | 
Kicker: Garien. pe Ius in biefer. Ginfihts „Gier befinhen Fi. bie 


Hrn: bie. Bände bel Diientn und. ol beskafe. Depidhunts-knaniie 
—— u man mi Bi ann Edi 


was feine Abertxichene orberuag war . 
* Wenn ich edne breube Ehebt ‚hekrete, ift.ch Ai mi apa 


eine falsche Promenade immer mehrere Stunden, bemr: ich franire in 
allen Beharrlichleit umher, Heizachte mir Menſchen, Hauſer. Steahen 
mad Magazine, Babys "befonmme ich einen-frifhen, aunfpriimglichen 
Zotaleindeuck ber ſich mir hoater nicht meße varwiſcht und ber auch 
mich Langer Zeit in dem. ingwiſchen ſchen verſchwimmenden Vilbe 
mer Gtadk in: meinem Gebdochtnih wie ein heller Gitreifen. zurück 
bleibt. Auch hien im Aapeelona hallen wir kaum · unſare Schiffe 
Anilette eiwas cowrigirtſa beinaten wir die Raubla sub folgten 
dem Strome ber Spazierganger, geiäiokl, wohin eu; ung treiben 
votrde;. doch holuen Make runs wemnge Saͤiue gehen, alB Yoic.Rhräg | 
anderem Baftpofe ‚gegenübes- ben Correo, blu Poſi, bementien. wohin 
wir und tonafblen, um nach Volireſlanic⸗ Briefen für uns gu forſchen. 

Was diehſe betrifft, o hat man in ganz Spanien ein eigentährfichns 

Verſahren · füz Die Arägube:benfekben,. In einem Doupfape.her Pal | 
findet man nämlich guohe Bifien angellebt, worauf, wit einer fort 


übexloffe,.. mich da Fiber, wohin eh. Hmm befiest. Ratüclich donci | 


Barcelona - 123 


laufenden Nummer verſehen, bie Abreffen aller Briefe: aufgeſchrieben 
finb, welche poſtreſtaute·tiuliefen. Seldſade landlich ſind dieſe Liſten 
in den güöheen Stähten, wie hiot in Berrelune,Ache zahleeich und 
war hat große Mühe, feinen eigenen, meiftenB:arg werftitinmelden Na ⸗ 
men· auß ben Hauderten ber anbern heraus: zu finben. - Da man al 
deutn sin Poftſchalter nur· dle Nummer anzugeben breucht, unter wel · 
re der Brief auf bet Sifle votgrmerkt AR, um ihn zutrhaltem. To 
kunn man: fich deulen bafbiebneiiwiarikger Mißbrauch geſchicht; 
Berne jeder linhefugle kaun ohae irgenb welche Legitimation · eine belie · 
bige Nuunner forbesn: und erhalt viellelcht meinen Vrief, was auch 
haufig genug: Vorkommen ſoll wehhhalb Fremde viel befier haran thum 
ihre Briefe an itgend einen Banfier adreſflren zu laffen oben an den 
Konſul rer Nation; welche ſich meiſtens ein Verguligen daraus 
machen, ihren Landsleuten anf dicke Wet behilflich zu ſein. 

Vhkeich 08 für die:ellgemoine Puormenabe · auf ber: Rambla noch 
newlich ſtuih war ⸗ erſt elf Uhr Vormittags =, fur war doch eine 
anſehnlicht VNeuſchenmenge du, wellhe eiinad gu erwarten ſchien. Ohne 
zu wiſſen,/ um was · es fich hanble, warteten wir cbenfalls und vetnahe 
men bald bie länge eines Mitikävmuflkcorps,. welches ſich auf dem 
Spagiergamge gegen uns herbewegte. Doch habe ich nicht/ leicht etwas 
Exbaemilicheres gehört, ald dieſe Mufit. Obgleich bie großze Zronm⸗el 
fo wie an paar Becken ihr Roglichſtes thaben, einigen Tui in dieſes 
Muſtlcorps gu bringen, To: konnien fie doch damit nicht zu Stande 
lommen, und jeder · dor Mufiel ſchlen nicht BLo® eine unbeve Taltaumb 
Tonart, ſonhern auch ſogar ſeine eigene Mielsdin zu ſpielen. nd das 
Gänze Mang immer toller, je nager bad Mufilcovps an ums heran 
Trın.: Jehl defilirien fie bei um borbot; bie Beute‘ Jaben gar nicht 
ſchltcht ans, waren auch gut uelforinbet "und merſchicien mit ber 
großßten Ofientetlon vorüber," ben: fle nahmen bie ganze Breite. bex 
Ramblä en; ud um 6leS- zu-.betnertfislligen,. Hatte jeber Wufitnset 
zwiſchen fich umb dem" Alubenanann: einen: Zwiſchentuum / von toenige 
flens drei Sind — ein wahren Horreur Fibe ein ‚peenhlfdgen Herz. 
dent die Fuhlung beim Marſch zur zweiten Natur geworden iſt. 


124 Sech ſtes Kapitel. 


‚Hinter dem Mufittorps kamen ein paar Bataillone Infanterie. 
Die Leute ſahen gut 'auß; und thre ſauberen Uniformen Heften eitvnd 
ver fſranzoſichen Schnitte an ſich; tee waren die Farben heller und 
bunter, æan ſah viel Roth und Gelb. Ihre Fahnen waren mit 
ſchwarzem · Flor umwickelt; daB mufte etwns zu bebenten Haben, eben 
je die einzeinen Zanonenſchaffe, bie ſich vom Mon juich herab ver! 
nehmen · lichen, jebald bie Truppe bie Hatnble betrat. "Natürlich 
nahmen wir uuchere Spazierſthche hoch in den Artur. mb marſchtrien 
in Erinnerung. m unfere Jugendzeit, im Schritie neben bemMuf® 
corps her, welches fich am Ende der Rambla bot eimer: Fleitren 
Nirche aufftellie, bexem Jacade mit ſchwarzom Tuch beichkagen war. 
Gin General der Garniſon war geſtorben und chin galten dieſe Trauer⸗ 
feierlichteiten. Eine große Menſcheumenge umfluthete bie Kirche, doch 
bemerlien · wir, dah nur Senigen der Eimtvitt geſtatiel wurde. 
Auch wir twnlen in den Vorhef unb wemnrbten uns in franzofiſcher 
Eprache und mit ber Bicte an rinen Offigier, uns den Einteiff 
erlauben · gu wolien· Obgleich und ber Spanier gewiß nicht verſtand, 
ſo ſchien er doch unferen Wunſch zu errathen und ließ und mil einer 
jreundlichen Haudbewegung und einigen hoflichen Worten paſſiren. 

Neberhaupt iſt Hoflichteit und ein ſehr zuvorlommendes Betra⸗ 
gen · gegen Fremde ein. ſchoner· Bug im ſpaniſchen Charalter. Mit 
der größten Bereitwilligkeit erhatt man auf feine Fragen jeberzeit die 
befte Antwort, amd wenn man jelbſt ſehr ſchlecht Spannfch · ſpricht 
jo bemuht fidh der Augerebete, ben Sinn deſſen, was man ihm ſagen 
will, zu verſtehen, und hilft gern mit einem erklärenden Worte. 
Das iſt fa in allen Schichten ber Geſellſchaft; der Arbeiler hilft 
einem bereitwillig ingenb ein Kauf: auffuchen, und es iſt mie ſpa⸗ 
ter öfter paffirt, daß auf's Glegemteſte gekleidele Herren mehrere 
Strafen mit mir gingen, im irgend Jemanden zu ſuchen, den wir 
oft erſt nach vielem Tragen in. einen Hliuterhauſe fahben. Demi 
ſchied der freundliche Führer, meiſtens mit elnem ifreindlichent Hande · 
druck und dem bekannten „a 1a disposieiori.de ueted“, was To 
viel Heißt, als: ich bin auch fpäter ganz zu Ihrer Verfügung. 


Barcelona, 125 


‚Mix traten. alfo in bie Kirche, bie ebenfalls mit ſchwarzem 
Tuche außgeiäglagen unb- angefülli max von Offizieren aller Waffen 
und Grabe. Die Fenſter waren dicht verhängt -umb eb. brannten 
in dem Kiachenſchiff und dem Cher eine umgählige Menge sumı Wade: 
Tagen, deren vothe, wehende Flammen bie bunten Uniformen uud 
das viele. Gold und Silber an benfelben ımit důſtern Streiflichtern 
beleuchteten, nad einen eigenthiimlichen Effekt machte, ber noch erhöht 
wurde durch bie melancholiſchen Klange einer Trauermufik bie, unten: 
flüpt von. einer Sangerſchaar, im Chor aufgefleift wer. Dazu bon 
warten: zuweilen bie Ainwolten kom Monjuich dumpf herüber und e& 
extönten. bie -Gebeie. ber Prieſter. Auf einem Hohen Kalafalk in 
der Deitte bes Kirchenſchiffes lag der Verſtorbene umter einer’ weit 
herabfallenden Tchwanzen-Sammidedle, hie mit Silber geſtickt war 
und beren vier Ecken je von einem Unteroffizier gehalten wurden, 
welche regungalos wie Siatuen an ihrem Poften aushalten mußten, 
weßhalb fie aber auch. häufig abgeläst wurden 

WR die Trauerfeierlichkeiten bid- zu einem gewiſſen Punkte ges 
diehen waren, beffen Bedeutung ich -übzigen® nicht angugeben ver 
mag,: wo bad Mufil- und Sangercorps in ber irche eigentlich viel 
zu laut für ben Tleinen Raum bevjelben einfete, ertönte auch bie 
Mufik draußen auf der Rambla, und zwiſchen ben. bumpfen Ka⸗ 
nonenſchüfſen von ber Feſtung herab Trachten ihie Geſchiche jetzt im 
unmittelbarer Nähe von bes Kieche, was wich veranlaßte, dieſe au 
verlaſſen, um zum. erfien: Male -dem- Feuern einer ſpaniſchen Bats 
terie. zuzuſehen. So ſehr uns anfangs bad. Feuern mitten in ber 
Stadt üherrafhte, jo. wurden wir doch alabald gewahr, dab den 
Bowelonejen bieß leineswegt ungewohnt war, und Beim Umfchauen 
ſahen wir am.Gnhe der Rembla abs. Schlußpunlkt ber Muralla 
bel Mar eine hohe Vaſiei über den Platz hereinragen, aus deren 
Scharten wa die · Rambla ber. Länge nach nordtweſtlich beſtreichen 
Tann und von io aus elweiige Vollsauflanft kraftig zerſtreut wer · 
ben konnen, auch wohl ſchon gerſtreut worden find. 


126 Sechſtes Aapitel, t 


E war Vergatiillerie bie il auf eineas Heimen Vlaha eban her 
Rambla anfgeftellt Hatte, fiir urid von Befewberem nterefls; ba ich; 
bidfebe biäßer nach arte mondsrienm ſah. Ca ſinb Mieten @elchüge, hie 
bweipfüntige Vollkugeln und Cranaten jogiehen BieZuffetie:capl auf 
Mäbern; Hat aber keine Probe, ha ſich bes Munltiouttarren auf bean 
Rüden einen Maufttieseh befinbet, welhas Tüdtoiis ausfgehleltt taich, 
Die Gortberrgung bed Gefijlipesgeilgtät vernntieltt weier auberu 
Maulthitre; beide haben Pacſatiel, woren ijeder nit: Packtalchen 
und dergleichen ‚ein Gentaer wiegt Ein Maulthler trägt: bie De 
fette — Corunna, ein Gewicht von weh Centneru, DaB ambew; 
das imeballene: Nohr, Pirza, vum gleichem Gewichte. Die Mamition 
im zweiten Kaften beflaht ‚aus jeiha Geanatteärfen. and ainekistunt 
tätfegeränhungere und wiegt cirea 1’e Eeminen Die Bebinringd 
mamufchaft jeber Geichüpes beftcht aus acht LDeuten, brei, welche 
die Maulihiere führen; ach bi, ‚ref Debian, tie Dam 
Reſerde. 


Beide genben Loft, mel Be Man bug wi, Rab 
dieſe ſehr .onägefucht und waren hier vortrefftich im Staude; fie 
werben misht’nox Der Aehften Safe genasmen und And ankt ee‘ | 
zelnen Ansnahenen bla zum ‚fehzuänten und achtzehuien Jahr is 
Dieuſte. Gigenthumticher Weiſe win: mim: nur buubkelfarbene 
Waulthiere zur Bergastillerie, indem man and Erſahrung wiffen 
will, da die hellfarbenen nicht. jo kouftig ſeirn; mar wählt Kurze, 
gebrangene Thiere mit ſtarler Beuft und Hal, rundem dtücken uub 
Tanzen feſten Beinen, Das ſchwarze Geſchire iſt ſo einfrech told möge 
luch, daß Kopfzeng beſicht aus einer Trenſe und ber Haſteſchlog if 
ohne Stollen; dabei ‘werben biefe Maulthiere im Gegenſaßz zu allen 
übrigen, welche man in Spanien flcht; wicht geſchoren. Soviel | 
ich bei dem hentigen Schlehen sur met. bev: Mandverenrhandge bei 
merten fonnte, bedienen bie Beute ihre Geſchütze iujch und püntkb 
lich. Ob irgend ein anderer Stuat Beugartillerie' in bier Wet | 


I EEE 


befißt, wweiß ich wicht genau, doch Hk fie für daB gebkuuige-Epanien 


Barcelona. 127 


gewiß won: großem Rugen; man kann fie feft wie bie Raleten- 
haktexden toexinenben, /deuu das bepndlte Maulchier · iſt ja in Siande, 
auf dem ſchauaiſian Mfade ſehe ſteile Vergeipſel zu erlletiern. Dar 
bei jall ihrr Marſch auſerordenilich ſchnell ſeln, ſo daß -Safanterie 
auf Langere⸗ Zeibnicht- folgen: Tamı.. : Die Verabaiterie that noch 
einige Schaſſe/ das: warrden Rohr und Baffekte, wie ſchon bemerki 
jeden getremes uah anfchie Fehr erigen Maulthiere geholen; ich Inh 
ein eaw. die · ſchwer beladen kaum · zu halben wartn. obgleich ihre 
Reden durch tuchtagen Senebek auf Richie gufanamengebehift neben, 
ua an hüdfem: Aunebeb wurden fie-gefihiet. : -: 
‚Ren Troiergutteadlenſt ging-jeft'au Ende, die Kirche eulleexie 
Rohe unbe pen marſchirten ab unter einem Twinmelichlag, 
o lanehani. fo dielancholiſch und. ſqhlafrig wie ich bis jett nichts 
Achnliches aehorti hoch wan derſelbe nicht gehämpft, wie gewehn· 
lich bei · Zrautxmaſchen, und ich hotte das gleiche Teumpo ·ſhaͤlex, 
oflers auch beim Eperciren. Nachdem ſich bie ganze Menſcheumeng⸗ 
verlaufen, naheen wic-unferen Spatiergang inieber auf, - 
var einem. Freriden ware es jehr ſchwer, ſich im ben: Strahen 
ven Barcelana gurecht zu finden, wern guan nicht, wee 3. B. in 
Paris die Seine vdex bie Voulevards ah Hier zwei grohe Linien 
Hätte,..omf:weldge man beimInbeoftreifen immer tuieber zurüch⸗ 
Tontent ‚bie. Dıttafle dei Max, ſo wie hie Rambla. Die lehztett 
bildet nit: der ‚exfteren. einen vahlen Winlel und · ſcheidel Me Stadt 
in awel unglaiche Hälften, von denen die deten den Monjnich zu 
das alle / die gegen bie Citadelle hin daB utue Barcelona genannt 
Werben: Töne, + Reptered"ift weit gläugensber usb belchter; hier 
weißen: ficg-Sibert, Magagine auid Gewölbe au einander, umb- an 
dieſen erlenni · men: die exipurſteebende große Stadt. Die Magazine 
WVB framdſichem Schniit zu formixen, uucd große 
helle Spiegelhennſter / woelche jaſt die gange Breite ¶des Hauſes ein- 
nehmen, laffen eine: reiche Auswahhl nor Waaren · aller Art ſehen, 
Wien, Cold und Silber bort- eiſtall und Porzellan, mb neben 
einem Gewoölbe voll buntfarbiger Teppiche fieht man koſtbare Stoffe 


128 Sech ſtes Kapitel, 


in Seibe und Sammt, von denen Tehrivisls; in: Barellona ·jelva 
erzeugt werden. Des Gewerbefloi der Catalbnieri belunnt unh une 
fo anetkennendiderther, ba Barcelona mwohl bie dingige Saabt Spaitienns 
iR, weite betenlenve Faberien unb Mahnfatuten:fat.:Bergißt’Gien 
eine Menge Spirthereien, Webesten; Drufertiin, die SArunhoittien. 
ift ſchr audgebildet, ebenfö die Aufertigung Dom Teefſen venb Zraſ 
aller Art, ſowie grober und feiner Lederarbelten / Berdärächr, dar 
bie in ben Stuchen hervorruft / iſt auchevor dentlich und es gib Stable 
vleriel, welche fich in biefer Hinficht milk bem beleh trſuenivoct Paris 
meffen konnen. Die eleganien Gewbtbe unb Magaztue / von deuen wir 
vorhin ſprachen beſtnden fich hauytſachlich in de Sweahe · Jerbi ⸗ 
nands VI. welche von der Rambla nach ba "Konftiuhlonsplaid 
fuhrt. Ftulher war biefeß nur "ine enge Safe, buch eflugman 
ſchon dor mehreren Jahren an, fie hufehulich? zu erweitern, : uns 
das geſchah, um "einem Längfbgeftkhkten, driugenden Vebuvfniß ab⸗ 
zuhelfen. Der Konſtitutiensplah, ſehr hoch geleten und nicht meint 
nädhften Berelch der Kanonen be Wionfühdh, tönt namlich bei den zahb⸗ 
zeichen imb blutigen Wufflärden; deiche bie Stadt von jeher weum ⸗ 
ruhiglen, bet: Herd ber -Enrpbrungs dort war ber Malaſt dei Pro 
vinzialdeputirlen, und auch meiſtens die Hauptar bes Aufftaͤndt⸗ 
ſchen, welche ba ziemlich · aglilren kounlen, bern wegen der engen 
Grafen war es utimbglich, init: Kadallerle und Gefchutz gegen’ We 
zu opertren. Dort hinein hat man nun durch bie neue Straße 
eine arlige Breſche gelegt, fie Führt In'geräber inte auf run 
und hat eine Wreite-vom wngefühe färtfzig Shah: ° - - ©: 
Trohdem man bett noch immer Wefchäftige war, ein tue 
liches Pflaſter von breiten Steinplallen "Tonsid Gasröhten "zul leggen, 
welche Arbeiten bie Paſſage erſchwetten, ſo bedienten fich doch bie 
Barcelonefer haufig’ dieſer neuen Sttaße, ja, es war an den glan⸗ 
zenden Magazinen vorbei Hier ein beſtandiged Spaziereugehen, fo 
dah man oft Mühe hatte, ſich durch ben Menfehenftvont bırkefäuteinben. 
So dergingen mehrete Tage urit Watibeningen durch die Stabt, 
bie H. und ich teils gemeinfam, thells Jeber allein außführten, bis 


Berceloma. 129 


Weir einen: Abends. zum Diner heimlehaeud, unſeren byitten Längft 
erwarieten Gefäheten, den Oberbauralh Leins, auf ber Treppe bes 
Sohle ızu sahen gröhten Freude uus emigegeneilen ſahen. Gx war⸗ 
da in lauger · Zeit ein Schiff von Marjeille nach ber ſpaniſchen 
Küfte- mehr abging, auf dem Landweg über bie Pyrenäen zu und 
aehehen, und nachdem .er una ausführlich feine Reifeabenteuer er⸗ 
zählt, unterhielt. ex. und, fpAier, währenb wir auf der Muralla bei 
Max -ussier fteamenkellem Himmel · und im Wiberfein Tauſender 
won Lichtern bes Stabt am Meer und ergingen, yon ber. überrafchens 
den Schönfeit van Toulouſe, beffen Gebäude allermeift in gebraun⸗ 
iar Erde und zum Theil. in hochſter Volllommenheit ausgefühet 
And; ‚von dem dorligen alten Meifteriwerfen des Bilbhauers und 
Aschitekten Barhelier, von bem prächtigen Plahe be3-Kapitols, von 
ker St-Gemmin und Dalbadelirche, und ala ex ums ben viefigen, 
leiher unnollenbeien Dom von Rarbonne, bie originellen alten Baus 
werte. von Perpignan und feinen Uebergang über bie Pyrenden 
mit den Müfelen des Weges über la Junquera und Figueras 
Gerona nach Matans gefchildert, mußten twir geftahen, daß, wenn 
ex auch ben- längeren und beſchwerlicheren Weg gewählt, feine Aus- 
bente bach bie. Auuehmlichlkeit unſerer Seereiſe weit autfinog. 

Des anderen Morgens gingen wir zufammen auf ben Kouſti⸗ 
tetiouaplatz zur Beſichtigung bes bostigen alten Stabitfeiles, ber 
ums, je genauer wir die übrige Stadt Tannen leruten, durch ‚feine 
intpreflanten: alten. Bauten immer ſtaͤrler anzog. Die Strafe Sar 
Fernando durchſchueidet denſelben und einander gegenüber erheben 
fich zwei merlwündige Gebaude, welche bie ganze Lange des Piahes 
einnehmen: dieſſeits der oben genannte Palaſt ber Probinzialbepu: 
tixtem, jenfeits der Palaſt des Gouverneurd, and; Adiencia genannt, 
Beibe Gebäude Haben zuar moberne Facaben, aber bes innere 
Kern iR. alt und noch ganz Wohl erhalten. 

An bein erſten ſeſſelt ben Veſucher gleich nach Ueberſchreitung 


bes Hofes bie ganz eigessthümliche Axt bes Abſchluſſes vn Xreppe 
Sadläuders Werte. XXIL 


130 Sechſtes Kapitel, 


von der Vorhalle. Aus ber Uehergamgäzeit des Gothiſchen im bie 
Nenaiffance iſt ber große Bogen bes Zreppennufganges, bededt mik 
der reichſten Skulptur; zwei Heine Thüren,-gu beiden ‚Geiten mit 
gothiſchem feeifiehenbem Mahwert übertwölbt, ſchliehen fich. beider 
feits in ſchiefer Stellung an erſtexe an; Säulenbünbel, ſpiralfarnig 
um bie bazwifchenftehenben Pfeiler gewunden, ziehen ſich bis zum. 
Kapitäl empor..und bilden mit dem großen . Wappenſchild in der 
Mitte und ben Statuen, bie daneben fiehen, das .pifantefte Eufemble, 
das man fi} deuten Yan. Der große Saal im oberen Stadnesie 
ift ebenfalla ſehr merBnächig. 

Die Übienein, noch älter, Hat im Aeußeren noch Beige 

Benfterform, mit feinen Marmorſaulchen abgetheilt, jo jein,. dab 
man fie mit, ber Hand umfpannen Tann und üher jedem das ‚breis 
fach durchbrochene Kleeblatt. Der Hof im Innern, gehört zu bem, 
Keiften,. was in ber Architeltur je geleiftet worden. Das xou 
einer frei im Hofe aufwärts führenden Treppe mit zierlich durch⸗ 
brochenem Steingeläuber zugängliche Haupiſtockwerk kehrt eine rings · 
um laufende Gpighogenftellung gegen den Hof herein , ebenfalls 
mit unglaublicher. Dünne. ber Gäufihen, bie in Gruppen von vier 
an einander gewachſen fteßen; aber biefe Rofannade.ift nicht ‚yon 
Grund aus unterftügt, ſondern ruht auf einer Aujahl um, bie 
ganze Breite bei Bogenganges hervorrogender Konfolen, inadurch 
fich der Hof im. oberen Stoclwerk verengk und biefe Bauteife noch 
um fo kuhner erhgeint, weil über bein Saulengang im Haunt · 
Mod fich noch ein ſchweres, maſſives drittes Slockwerk befindel. 
Die Rebenfeite dieſes Palafes geht auf eine enge finftere Gahe und 
bex Hof iſt von biefer. durch eine hohe Mauer abgegrenzt, bie Chapuy 
im Moyen-4ge archeologique jo ſchon abgebildel hal. Neber dem 
Thor in der Mitte iſt der heilige Georg, ben Drachen erlegend, in; 
wunderſchoner gothiſcher Einrahnmug, und bie Mauer, mit einem - 
herrlichen Auffahe von durchbrochener Arbeit ‚mit, Fialen und Laub ⸗ 
mer? gekrönt, Die Thoröff nung ift mit- ſchweren Thorflügtla aus 
dunklem Holze verſchloſfen und überfäet mit grohen sugelpiflen 





Barcelona 131 


Rigelt ; bie brohend in bie Strahe hinaußragen. So hat biefer 
Ban ein durchaus finftered Anfehen und eine gleichſam trofige Ab⸗ 
gefchloffenheit nach außen. 

Diefe enge melancholiſche Gafſe weiter derfolgend, gehen wir 
immer zwiſchen faft ſchwarzen, maſſiv gebauten Häfen, bie, ob- 
gleich fie wenig Luft und Licht Haben, doch in den Zeiten ihrer Er⸗ 
bauung bon Feiner armen Klaffe der Gefellſchaft bewohnt wurden. 
Blickt man an ihrer hinauf, ſo fleht man nur einen ſchmalen 
Strelfen des ſchonen ſpaniſchen Himmels, zu gleicher Zeit aber, wie 
zierlich, phantaſtiſch und prächtig dieſe Häuſer erbaut find. Will: 
Yirelich iſt oft ein Fenſter breit, das andere ſchmal, aber bie meiſten 
find mit Skulpturen verſehen, vom ſchlanken zierlichen Saulen ges 
teögen umb’Taffen ahnen / daß hinter ihnen ein ireutichen Gemad; 
liegt, bem fie Sicht und Luft verleihen. Faft alle dieſe Gebaube 
Haben eine große ·Ansbehnung und mar erraͤth leicht, daß fie einen 
Het und einen Meinen Garten umfdjliehen. Das Ziel findet biefe 
Stufe bei der Kakhedrale, die uns lange fefthielt und deren Kreuze 
gang burch ein gaſilich geöffnete Portal und zum Eintritt einlud. 

Diefer Mreirzgang umterjcheibet ſich weentlid) von derjenigen, 
bie wir bei den alten germanffefe Klöftern zu ſehen getuöhnt find, 
welche blos aus einen, ben viereckigen Kloſterhof umgebenben Spa: 
zietgang unter Bogen beſtehen; ber hiefige uber iſt noch überbieh 
auf drei Seilen von Kepetten eingefaht, fo daß jebem Bogen des 
ſtrenzganges eine dahinter liegende Kapelle entfpricht, welche wie 
dieſer mit zierlichem Sterngewolbe überfpannt und mittelft Hoher 
Eifengiiter von demſelben abgeſchlofſen ifi. 

So’ Bilder biefer Areuzgang gleichfam eine Kinche im Freien, 
und nicht allein bie glücklichen Dimenfionen beffelßen und bie eblen 
Verhaliniffe der Pfeiler und Bogen, bie Schonhelt der Gitter, bie 
kraftige Vegetalion des gelinen Plahes in ber Mitte, ſowie der 
reizende Brummen in ber Edle machen biefen Ort zu einem ber an⸗ 
ziehendſten, bie e8 geben kann. Wenn and) an den Altären ber 
Kapellen, die aus den verfehiebenften Zeiten herrichren, hie und da 


183 Sehfes. Kapitel, 


ehr anafchtmeifeube. Formen vorkommen, ‚ig verleißt::.hadh ıneraie 
biefe Mannigfaltigleit und dieſe „altvechfelnde Faabung den ah- 
zeichen Wand: und Altarbilder und bie unn Theil phauiaſtiſchea 
Aulchmucunata bem.Befaugrtandtirt einan falzhen.-Reikfrunn, hof 

man ſich aux ſchwer von biefem fehönen- und: keit " 
To freunblichen. Hoſe traue Kane: . 

Ich Habe der Eijongikter wlche 
wähnt, und fie verdienen is der Thal 
Jamfeit des Kunſifreundes; ſie Gmb. ſaumulich and; .geieuriebetem 
Gifen und bie eingelmen jentrechten Stäbe berielbte, 'oft zierlich ge 
wunden und kaunelirt, endigen oben in-Wltmentichel; aber :biefe 
Find von fo gewählten formen mb fo--Heklich mis einem tmahe- 
Heft griechijchen Gefüßl guabyist, daß. fie zu ben Reifeefiiten 
aittelaltexlicher, Metallarbeit gehören... 

Der Brupnen., des mei ka ben, Reruggäagen auf: ben. beiden 
Ränge einer her Seiten in den Hof hluausſpringend augebracht iſt, 
befindet fich hier im der Ede, beſchatlet von einigen Hodhfiäukiinese 
Bänmen; aus der Mitte des größeren unteren Neclens arhebt. fich 
auf einem niederen Unterſaßz xine zierlich genxbeitete: achtecige Schale 
aus ihren jenklrechten Achtecſeiten bide Waſſerſtrahlen ſpeiend / iud 
eine kleine niedliche Bronzoſiatzie eines gewappueten · Rikters; todchl 
bes heili den Georg, bilbet bie Eipike; bad; baibochinaatig Aber ba 
Ganze, geſpanute Gewölbe ifk am den Ripben auagezack nud biefe 
find an ben Kreuzungen mik hübſchen Schildern mix: Eine;e- 
quidende Kithle verbreitet dieſer Bemunert: ir, ſeiner imgebing, 
nach dem man immer wieder umſchaut, ‚wesen: einen bis Betrachtung 
entferuter Gegenſtande von ihm abgezogen· BE 

Gong in feiner, ‚Näße., führk eine:beculich eingeraferke! Gpäige 
Kogenthüir in den Fühlichen Krengarın den, Sukhehralb. ».Gistnäde 
tiger majeftätifcher Baul Wie gewaltig wird · nam; aus: dem Alaren, 
ſonnigen Hofe tretend, von dem.geheimnißpolier. Dunkel in diehenn 
weit. ausgehohltan Rqume erſaßt!. Je Hefenlangn ‚much: het Gibts 
kommt, um fo mehr verſchwindet aus den Kirchen dis Bichkmetge, 









Bartelona⸗ 133 


Binden nordiſchen Kitchen boß"Mitketaltera durch ihre vielen ſchlanken 
emer zugeſabri wird Yier :finb Die Fenſter an und · fur · fich ſchvn 
viel · Heimen: und eine guoße "Baht! derſelben iſt zugemauert, ſo daß 
die achlerichen Kragen an wittliches "Weblrefnib Find ,da auch ben 
‚Hlftgehenben: Oeffnangen ein Thelt ihter seit enigogen wirb Birch 
Glasmalereien, die meiſtens mit dunkiem oder machgebititelteni 
Grunde leuchtende Punlta iw: Ruth, Wlan, Grin zeigen, deren 
Sepaingen cab: Demnments aber. ſchwtr zu enträthfeln ſind. 

= Wa teinigem Vesteklen chöwsireei id die in der anfänglidjen 
Duni auch. ubenn fi) verllerenden Strnläirbänber; das Ange ber: 
folgt :ble muB ihnen ſproſſenden Rippen dis zu beren Berehrigung 
ini hen: hoch oben Fdjtochenbert:Werdßkbe ab: unwibecſichlich feffelt 
den. Befiheiier ·der aKmählig-Taxer hervorirelenbe hertliche Anblick 
bes Chores, beffen fchlante Formen von einen: bewindernswerthen 
Ebenmahe finb ums beffent vorit und Weiter enlfernte bolhagonifch hinter 
einander weglaufende ogenvelhen tan relchſten Spiel-don Stteiflicht, 
Salita dei imd Schlagſchatten durtch bie Bielfgeiligteit und bie ma- 
diſche Dämpfung: der Helle "einen unvergehlichen Eiribrud machen. 

Der Höchalter, uurgeben und gektömt bon einem Hoheit, reich 
durchbrochenen gothiſchen :Echmihtvert- mit zlerlichen Glebeln, and» 
ceftult dom felnften-Mahtweit unb unletbrochen von unzähligen 
Meinen Pyromiben, iſt an ſeinen beiden, nach vorn gefeheten lit 
geln von zibei anf gewundenen Saulen ſtehenden vergoldelen Engeln 
begreugt, die wie · die Wachtet des Helligkhums glanzenb aus ber 
vaccpnmenten Dimmerumg · hewortteten. 

Aun weſtlichen Ende beim · Haupteingang iſt DaB Miltelſchiff durch 
eine hohe achteckige Kuppel viit / kinſthollen Gewolb · Durchdringungen 
ögeichloffen; eine ſonſtſeltene Anordnung, bie aber eine ſehr ſchone 
Wirkung macht · Die Orger ber uthedrale iſt ein bebentendes Wert, 
mächtig: von außen · umd in Tone dom gewaltiger Wirkung. Mir 
jahen hier gun eerſtet Mal eins Partie der Pfeifen Horigöntal in bie 
Mirche hereiuvagen; ·db ber Eon hẽedurch verflartt · wird, weiß ich 
wicht: semzugeben,: dber- ſie machen einen gang eigenen Eindeuck, denn 


134 Sechſtes Kapitel, 


aus bem Halbdunlel hervor, in bem bie Orgel fiehk; jehen fie aus 
wie ebento viele-bligende Poſaunen, ton unftchibaren Händen gehalten 
und von unbelanniem Oben geblafen; und igee tieſen Tine huingen. ges 
wiß mit erufler und eogveifenber Nahnung herab gu.ber im Gebete ver · 
hundenen Meuſchheit. Cigenthumlich iſt bie unlere Merzieruug.ber Qr · 
‚gel, welche, ans braunen ned vergolbeten Golzkchnigtonekheilefenh,.in 
einen Sarazenenkopf enbägt, der init laugem ſchwanen Bazta fo 
täufehenb gemacht ift, daß man uch deur erſten Anſchauen unimilf« 
Ehrlich zuwürktrikt und, am einen. blutigen Scherz Feiibener Jahrhun · 
derte glaubend, meint, jet milffen ſich bie hal bgeöffunten vivten krauwf⸗ 
haft ſchliehen, jeht Die Augenlider über die blihenden Augen uiehen ⸗ 
Fallen und ſich darauf ber ganye Kebf mit tiefer erſchredender Blaͤffe 
Anziehen. Eubas Angenelmes hai dies Saragenenchaupt duerchues 
nicht; bach hat Feine Untefenheit hier unier der Orgel aeiß irtead 
einen Gruud, den ich aber leider wicht: exfuheen lounie. 
Bem erhabenen Imern ber Kathe daale entjpricht aber beiueẽwegs 
daß Arußere ber Kieche; in winklige Cafſen verſteckt, bietet es ſich 
nirgenbo zu einem Geſanuntanblicke dar. Din Khfteme find unbeden ⸗ 
tenb, und bie einem grohen Plahe zugelchete tefiliche Giebelſaite iſt 
noch eine undollondete rohe Mauer, inie an vielen iänlienifchen Kirchen, 
und dazu noch ſtellenwelſe ſehr ungeſchickt ach verſchatdrlalt bemalt. 
Gleich neben ber Kathebrale ſcheint uns ein inlereffcabes Haus, 
obgleich feine Mauern faft ſchwarg find und troig in bie Hohe ragen 
durch ben Wechfel ber Zeit ſchen zugünglicher geworden. Seiue beiten 
Flugel find durch eine Önrienmaner berbunden. über welche ein cacher · 
ordentlich hoher Ovangebaum herubernickt, der ſich mit dam gränen 
Saub und den golbgelben Felichten fo gar anmuıtig im dicker fin- 
ſterm Umgehung mönisnut. Die Thorflagel find halkgeäffnet ab 
nachdem wir einen Augenblick bem. gierlichen brouzenen Shiteklapfer 
bewundert — ex ſiellt ein fabelhaftes Ahier vor, melden zuiſchen 
den Vordertahen dad Mappen bed Erbauers trlgt — ſcharen wir 
in ben Hof hinein mb erflannen- über bie Zierlichteit: beffelben, 
ſewie and) über die Melancholie, weiche feine fheilineife Bekörung 


Barcelona, 185 


anõoſpricht. Hier Befinden ſich mächtige Gityonen- and Drangens 
‚bätnete, bie immer noch grünen und blilhen, während der Strahl 
ded Gpeitgbeunmend tu ber Mitte bes Hoſes, dex früher fo ans 
mathig zuerzäßlen tonfte, fihon.Tängfi vecfiegt it. Auch bie Mar- 
morplatten bes Vodens find hier uuh da zerſprungen. ebenjo einige 
von den Eanben, welche eine kletue Galle im Hiatergtunde des 
Hofes trugen. Man fiete auch wohl, daß dieſe Stalle Lang kein 
menſchlicher Fuft mieht beizeien,; deun Gteinbsodden aller Axt, Marmor⸗ 


darũber Giırkanten. Rechis weben ber There warb fid). eine Flanke 
Weebpe frei in ben eoften. Ga Ginnuf, weidhe:anch Heute nad) 
won den Bernohmern bed Gumufeß: bemufpt Yauzbe, deun tube jahen 
af den Stufen: berjelben win paaz. huvſche Rinder jpielen, welche 
Drangenblätter.alsiffen und fich bemit. kewanfen. . 
Mile Gebäude in ber Räfe des Annflihikionäpkages waren in 
frügeren Zeiten und find wohl auch jet noch bie Mehnumgen Hoher 
um wieberer Geintichteit. Far 'm, bie wir oft hieher Ipngircien 
— denmn wir ſauben hier Feber in feiner. Richtung: gu tun: Oben 
barath Beind; ‚Indem er Ornamente: maß und gzeichnete. Horſchelt, 
Dee eine hitbſche Mäbcherrfigur aber: ein hau ieae ‚Beflalten, Die 
an ben akten Therbogen Iehmiert; in fein Efiggeukuah mäthigte, und 
ich, „ber ich blefe: fnfteren Hluſer ‚Jo ‘gern’ mit Geſtalten einer 


&: weinen Bogengung mit Heinen zierlichen Gänlen, 

dort gerok man gewiß eine entzüdtenbe Ausficht über Band 
und Dee, In umferen Traumen war e und wik.zu Muthe, ald 
mie jefpt plögplich dort aben eine twohlgenäßrte Geſtalt im- laugen 
Afivarzen Kleide luſtwandelub erjdjeinen, wahrend zu gleicher Zeit 
1b: einem kleinen zierlichen Fenfier im wcheren Stocke, dad von 
ben Mättern der Oraugen dicht beföhatiet war, Teile Laubenkläuge 


186° Seqchſtez Kapitel 


und geblunpft. ein Sieh, von ſchouen Dasein aan, ber 
Wie treue Mächter umgeben — Defense, 
den mödhtigen. Bau bed Domes vom: Bawelsnn . :: 
aferen Epagiengag berfogeb, Geteien: ir bie Eafl.be ld- 
endelleros, imo fich ebenhalls Kmuberte von Säben und Magazine 
aneinanber reihen; boch ſind ·hier weniger hie glanzenden Gewolbe 
als in der Strafe Ferbinauds VIE Hler lauft bie imeuen: abe vud 
suficötmende Menge Stoffe und Gerãthichaften für · hen täglichen Ge 
brauch, und wahrend zum dort meiftend elegante Aoiletlen, feine 
Paletois und glänzende Dawenroben fieht, bemerkt man bier mehr 
Geftalten aud dem Belle und die Koftüme der Tänhlichen Beinchter 
au8 der Umgegenb von Barcelona. Lier ft bad entihk Seicht 
durch die über bie Schulter geworfeut ange Manta, meiftend: in 
Roth, Blau oder Gran; andy bemerkt man hier den laugen braunen 
Mentek mit bems-Eeinen Setigen ber bie Ach jel Herab, ein Kleilunge- 
fü. weiches‘ bie Spanier. fo geisambt.ırh maleriſch umzutverfen 
verſtchen. Vorherrſcheud ſind bie kleinen zuceſpihten Sitte, bie: fe 
mals verzierte. rundgeſchnitlene Space, Turze Hoſen und weiße Gamer 
ſqhen. So ſtehen die Männer in und vor den Getvölken; Bapiereigtnee 
raucheud, twähtenb. fie lachend umb plaubernd um: bie verlangten 
Artitel Handein, Und dagwiſchen ficht man das weibliche Ceichlehi 
in ber unenibehrbichen Mantills, bie meiſtens ſchwarge: unh jeßkhk 
bei: der wiebexen Ebaffe von Spihen uber Seibe und nach deu Laune 
der Beſiheris mehr ober minder phantaſtiſch aufteſtet in. :* 
Das Geroühl umb ber Larm ‘in biefen Haupiſtraſſen Barrelvuacſ 
iſt an ben Wodjeningen wahrhaft betaubend und dabel Hirb-bie Guffene 
fo ſchmal, dah ber Dienfehenftroin dft kaum den ſchweren Aeerounzugeit. 
äitweiihen vermag, bie, mit Fafſern unb-Mißen'belnben; meiſtens in 
langen Reißen daherklommen. Doch bemertt man «uni: hier deu am 
genehmen Grundzug und Charakter der Spanier, ſich gegenſeitig mit 
größter Hoflichteit zu behendeln aind fich richt Leicht · ant der guten⸗ 
Laune bringen. zu laffen. Gin junges Madchen, au basımanıinkanit, 





:Bettelond, : 137 


hingektehzen tpieb,mmb:beffen Mantißke man gerbötidt; wrubet ich um 
und wirb lachend fagen: Das ift ein Heiner Schaden, beriämmjenz 
nichis zu· brbeuten hatl Sie /blitzt nud mit ihren ſchwarzen Augen an 
unb Hüpft davon. mit man dielteiche zufällig in verdachtige Ber 
rahrungz mit den Häherw eines Ken; ſo ſagt der Fuhrer deſſelben 
sau die artigfte Weiſe vum der Melb: Erweiſen Sie zule die Oauſt 
Kit Wchk: gu nehmen, "Aycch das beſtandige Cigarremauchen ti mit 
Cazan ſchnid das Janglich Fremmde bei’einanber fiehen bleiben und sin 
paartſtotte zuſammen plunderu hier bittet man um Feuer/ hort weicht 
man ſelbft die igarre einem · Irenden zum Anzänben, wobei ea Häufig 
betont, ‚bei biefex; ven er fieht, mein Enbchen jet bebeutend herab· 
gehrammet; fich gleich daran miacht, mit aus dem Vortath von Papier 
ab Tabat ben er ſteis bei ſich tolgt, eine nene gu dechen Redürich 
Fhlägtrman das: aiiemals ali ber Epanier ſagt: a In‘ dinposicdian :de 
nsted; langt mach ſeinem: Hute · und vnifexnt fich fremblich.grüßeech 
ESermehr man fiihren: Mittelpuulie der Stadtentjernt,deſto 
Teltener: werben bie glamenden · Magazine und mant Tommmt:arım in 
Caſfen wo Saltel⸗ ind Riemenzeug aller Art verkauft wird, Biker 
mannidpeitfchen ‚Güte und Manda's von ‚ben gräßften Seric. hier 
elaubk man ſich oſt, woas Leben und Deuter nukelangt,. in.einer 
Safe von Damaskus aber. Aniro:gu befinden ; denn der Schuhmacher 
Fit wit: feinen‘ Geſellen anf der Gaſſe, der Schneider flickt Rüde 
mitet Goltes freien Hiumuel und bie Obſwerlauferin vebenan hat 
hice wie im Dritte Ade: gleichen Seuchte msgefrein Orangen, Cie 
teonen, ranatupfel, Datteln: und Feigen. Mina Abrigens in gang 
Barsrlana: und Ieiden, nicht af · angentehme Ant: an den / Qrient er- 
iauert das:iſt ber gängliche Mangel aller Darhrimencöhten, um daR 
Rogentwaffer auf ‚ben :Wioden zur: Teiten.,. wehhalb denn bei Regen 
wetter das hinanliſche ¶ Waffer auf balden Seiten bex Straße von 
dem: Büchern herab wie andıumzähligen Gießlanmen nieberkhiebt: .: 
+ Gurediber bie enge:Önffe:ik hier ebeisfalla wie in vielen vrien · 
Aolifeien Gläbten, sine näte Matte: gefpaum um · die Svnneuſtrahlen 
byahalten, und wenn ren bunt. jene beiden Geſtallen aud der Ge · 


138 Schfkes Kapitel. 


genb von Sitgas mb Tarragona betvachtet, auch Arb der ebuinen 
in langem tweihen Mantel, zum ben Kopf ein buntfurbeurd Auch, 
mit ben gebränmten. Gefichtern, den bligenben Augen sınb. bin ſchwar · 
zen Barte — Einer GL, um bie äufehusg; voliſtandig ‘zu machen 
ba ex ein Vichtreiber ift, eime- InmgeıBamge:in ber Sande miho 
tbmnte man glauben, ed ſelen Awmber aus der Wuſte: von Wizzeh. 
In dieſen Stabiviertel fiht mar auch kleine heimliche Ausipen; 
nach der Gträbe zur weit offen, zeigen fie dem Blick eim: oft Fre 
ſteres ab ſchenitriges Gemoch mit geob:geptammwerteit Auſchen ab 
Banlan; an ber Dede. haugi der Weindorrathin gegerblen Hauteu 
von Biegen und Schweinen; Hults unb Pfoten fb gegebunden 
und bie Super ſehen unfbruilich geſchtvollen are. Der Weisn joll 
Ach in Ahnen recht gut Halten ,. bekommt: aber! einin Weigeſchmoth 
der fur eine Zunge, bis: nicht daran geroufntt, Fehr umtigemeinn iR. 
Die Oeffnung vor biefen Kaeipen iſt haufig mit einer Matte. ilber 
hangt, auß dem Innern beingen zurellen Guuatrenllange bevuor 
nund als Wirthohenuszeichen ober Be hangt brauchen eine · bree 
nende Lunie/ deren fich! auch dien Suetiierumitehnhen: "am Angie 
den Ihrer Giganten Ieblenen. © 
Nrattelicjerrneie:gäbtes auch hier in Varrlam Steben, weliie 
nicht won dem eben ertnähnten Verkehr beruhrt werden / no Moamte 
ober große Kaufleute‘ wohnen, wo man: weber Boutiquen · noch Mes 
gagine fieht. - Gier ſind meiflend ſaattliche aber fiuftere Schaude 
vier bia fünf Stockwerke Hoch, unb man, Kin oft eine lauge: Strecke 
wandeln, che man: ein’ menſchliches ¶Weſen ·ficht; hier „ober: dort 
lehnt wohl eine Madchengeſinu ar: eineitt der Beſtras ud umten 
am Thore fit: vielleicht ein Beitelweib, welches mit ſtununer Bo 
berbe bie Hand auäftreikt, wenn 'ber Spagierganger einen Augenblid 
Aeben Bleibt. Mab-trop bee Dede und Stille dieſer Steahetn bleibt 
man hier gem an einzelnen Häuſern Heben. mebi:hchamt: zuweilen 
in bie kleinen reizenden Heft Hinein; : ‚Rfreitäch: Find: Heferuhelfiene 
durch eiſerne Gitter verſchloffen, welche aber doch· den Blich nicht 
abhalten lnnen, ber entzückt ‘bemerkt, wie der Hof mit / Marmor⸗ 





Barcelona, 139 


‚platten bedeckt iſt und wie ein Speängbrumten ſeine llaun Eitrohlen 
emporjchleuberi mitten zwiſchen bie Jweige der Orangen und Citronen 
Hinedn. Huch Höfe wit alter. und ernſter Architektarr bemerkt man 
hier, mit ſtolz geimhlbteme Bingange, mit Säulen, welche Utladen 
‚tragen mub mit einer pruchtigen Treppe im Simtengmenbe, bie, quer 
an:bem Haufe auffteigenb, gewwuubene Säulenfchafte zeigt, reich ver⸗ 
‚zierte Kapittile und ſchwere Steingelaͤnder. auf welchen glerkiche Bild- 
werte ausgehauen find — Geſtallen am dem alten Veftemente oder 
Neptun wit ſelnen Seepferden und Trikonen. Oft, wenn ich allein 
durch bie Steahen fteich, houe ich aus einen birfer Göfe ein leichtes 
Hafieln und war angenehm überenjcht, unferen Oberbaurath zu finden, 
der ſich ba zeichnend und Cigarren rauchend ſiundenlang amuſirte. Gür 
Hm; Joiyie Fir den Maler was auch in den Straßen von Bartelonua 
genug gut: finden, und weun nicht gerade immer eine ſchone Archi-⸗ 
tellur an Gebäuden oder Höfen, ſo oft mur der Blick in einen 
Langen dunllen Gaug, an beiten Enbe durch eine. ſchmale Thitre- im 
ſcharfen Korkraft Licht und Sonnenglang heveinbrang, ‚eine roh aus 
jamımen gezimmerte Beraubn beleuchtend obex eine Heine gewundene 
Treppe, bie verſteckt und geheimnißvoll in den oberen Gtod, führte, 

Eine riefengafte Palme, bie wir bei unſerem Nungerftreifen 
aiſchen Hauſerlücken dernorzagen ſahen mit weit außgebveiteten Blät« 
tern — ein Aublick, der mich maͤchtig auog, denn Palmen find mir 
immner noch eine liebe Erinnerung an Syrien und Euypten — führte 
am8: in ein alte ehemaligen- Alsſter, das jept. zu einem Militär 
fpital- eingerichtet wird — ein Lieber, reizender Plat. Bon außen 
durch Habe ,. geſchwärgie Mauern dem Blicke ber Vorübergehenden 
entzogen, befiht dieſes Aloſter einen vollkommen erhalienen Kreuze 
gang von zierlichen gothiſchen Arlaben, mit Saulen von erflan 
Hgee Diime anb- niehlich mit / Blatteywert ausgemeikelten Anäufen, 
bet: in: feiner einſachen Schönheit, in jeiner Ruhe und Stille im 
langlichen Viereck einen. Heinen. Garten umgibt, wie man nichts 
Poeliſcheres ſehen kann; die Saulen finbfo fein, daß man laum 
zu glauben verwbchte, bie bavanf ruhenden Spibbogen konnten ſich 


140 Sechſtes Kapitel. 


Yalten, wer nicht am ben vier Eile kraftiae, fläche Strebbogen 
in der Räbtung ber Diagonale bie Wogenfteflungen mit den dicen 
Urfeffungstwänben eilchnäcts verſpannen wurden imb ſo iin Bereitie 
mit ber vieltheiligen Baltendecke, bie’ über ben Gange liegt den 
beruhigenden Einbrud einer geullgenden Feftigkeit erwerkten. Lor heren 
amd Orangen bilden dichte Gtuppen it demnſelben, unter welchen 
ſich Heine: Steinbanke befinden von: denen einige noch" befoilberä 
gegen’ bie Sonne gefchifft And, indem man ſie mit Veranden Gebedfte, 
bie hochſt einfach aus Lattenwerk und Welnlanb befanden und 
ganz willturlich hier und bort am den Zweigen ber Bäume enge: 
macht waren. Gebliſche und Bänke nmgaben velneh' Alehien’ feeien 
Plah in der Mitte des Gartens, wo fich ber unenlbehrliche Epririg: 
beunnten. befand, hier aber mit einem Maren Waſſerſtrahle verfehen; 
ber Hoch hinauf geſchleüdert wurbe und mit ſchwarzen, ernften Ch— 
preffen zu wetteifern ſchien, welche den Brunnen und das bazu gehbrĩge 
Steinbaffin umſtanden. "Die gothiſchen Arkuben des Kreuzganges 
flanden boppelt abereinander unb obgleich bie obere Reihe zugmiauer. 
war, ſah man body" beutlich Saͤnlen, Bogen und Kapitäld. " 
Campanile ber Kloſtertirche oder eigenklich ber Glockenſtuhl ⸗ berin 
ex beſteht nur aus einer einzelnen mit Bogen durchbrochenen Dauer, 
die auf ber Wand des Areirzganges ruht ſthaut, von ber Sonn⸗— 
beſchienen, freundlich zwiſchen ben Ehpteffeit durch ben Hof herern 
und bie in ſeinem Bogen ſchwebenden Gloͤcken feiern jeht wohl 
lange Zeit, da feine Mönihe mehr ba And, die them Rufe folgen. 
* Die Geftalt' biefer Areiiggäne ift eine unendlich glucttiche und 
gut gewahlie; es ſpaziert fich ‘fo angenehm darin uͤmher und was 
in einem Parle bie verſchlungenen Wege find das find Hier die 
Sitten des Ganges, welche das Einerlel eines langen Spa 
wohlthuend untetbrechen. Dabei waren bie Mönche vi fi 
und Regen geſchüht und-bie Umgebung, bie fie hiet Hatten; unter: 
füßte fie Gereittoilig #i'ihten moitrüigfäcjei Betradhtüngeh. Der 
Heitere Blick, welcher gem auf dem Laub und ben Bläthen de 
Gartens, auf sen von ber Sonne beſchienenen Vlumen und bet 

















Barcelona. " 141 


alihernden Waſerſtrahl varweilte, wurde exuft und. büfker,.wenm 

er ſich aladann auf bie Steinplaiten des Bodens niederſentle ober 
auf bie Mände des Preugganged, vo eine lange Reihe von Rawan 
derer ngehauen war, bie eiuſtens hier gewandelt, ebenfalls um · 
geben bon Bluthenduft und Sonnenglarg- 

Dieſhea Kloſier Yiegt dicht an ber füböftlichen Siadtmauer 
wenn man dieſer folgt, fo. kommt man in ein Aruliches. Stadt ⸗ 
viertel, welches aber wicht unintereffant iſt. Die engen Gafien 
Taufen. Hier eigenfinnig durcheinander. fluſter und Fchmußig, zuweir 
Ten durch Heine Pläße unterbrochen, wo Häufer miebergerifien wur · 
ben, ‚beren Formen man noch deutlich erkennt an ben fliehen: ger 
bliebenen Mauern, gerade wie bie Ueberbleibfel. sine Schwalben ⸗ 
neſtes, das man von ber Mauer herabgeſtoßen. Auch xecht feuchte 
Winkel gibt es Hier, welche ſich wuchernde Pflanzen zu Nube ger 
macht Haben, bie,. hoch auf dem Dache entiproffen, langs den guasen 
Mauern herabgekrochen ſind. Hie unb da exblidt man.quih einen 
freundlichen Balkon, neben dem ſich eine mächtige Weinrebe hinauß 
ſchlingt, deren Ranken oben, durch Latien aber Pfahle unlerſtühi, 
ein weit vorſpringendes Schaitendach bilben. 

So umherſchauend und. bald hier, halb dort ſichen ‚bleibend, 
kommen wir auf einen breiten, it boppelten Baumreihen bapflaug ⸗ 
ten, Spaziergang, el Paleo Nueno, bex parallel. mit ber. Rambla 
Yäyft, gegen biefe aber lehr einſam und öbe .Kiegk; er iſt au fahr 
dom Mittelpunft der Stabt entfernt, um von der eleganten Melt 
benutzt zu. werden. Doch ſcheint fich hier die jüngere Generation 
ober vielmehr die Bonnen und Warterinuen derſelben ein: Rendege 
vous zu geben; denn wie 3,0. im. Garten der Tuilerien zu Paris 
auf ‚einer Stelle,.bie wegen ihrer ſannigen Lage la petite Probenes 
heißt, fieht man quch hier, eine große Anzahl geputzter Kinder. bie 
ſich unter den Baumen nanfertummeln und alleclei Spiele treiben, 
Ich Tann, bier, nicht. eine eigenthiumliche Kopfbedeckung der Heinften 
Diefer Kinder, weldhe anfangen. laufen zu lernen; snertoäint Taffen. 
Es find das Fallhute von Stroh geflochten, bie wie ein Tuba 


142 Sehftes Kapitel. 


auafehen unb beim Kopſe beim Niederſtürzen eine elaftifche nterlage 
geben. Die kleinen Spanieriunen mit ſehhr großen und glanzenden 
Augen taugen im Rreife, wahrend bie jungen Dons ererzieren und Sol · 
batetı ſpielen; denn in dieſer Richtung ſehen fie Hier breffliche Vor⸗ 
bilber; biefer Spaziergang ſidht nämlich an das Glacis ber Eitadelle 
umb auf bemfelben tverben bie Solbaten abgerichtet; mufſen fiehen und 
gehen lernen vechts· und lintsum machen, wach Zahlen marfchiren, 
gang wie bei u — ein Andlict, ber uns denn auch dehhaid ſo 
äuperk angenehm an bie Hehnath erinnerte. Der heutige Teg 
ſchlen ben Zamboıns getwibwet zu feln und bieſe ſpazlerten zu 
Zweien ober Dreien recht melancheliſch auf den Wallen und In 
ben Graben umher, ſich und bem betzleitenben Unteroffizier elwas 
vormuiſizitenud. 

Die Gitabelle, deren Werke betu Hafftand 1849 thellweie 
gelitten Gaben, ift bofkfnamen wieder Yergeflett; matt ficht von 
bem Cipagierwege aus deuilich bie lang gezackten Sinien vor ſich 
liegen, Schichſcharten und Gefeküße, ſowie eine einſame Schildwache. 
Wir laſſen bie Gitubelle liuks liegen; che wir aber ben reiten 
Weg verlaffen, ſtohen wie auf einen Heinen melancholiſchen Gar⸗ 
ten, mit Mauern und einſamen Gittern eingeſaht, ben einſtens ein 
Gouderneur der Gitabelle file ſich umb feine Familie angelegt. 
Ieht iſt eines feiner Thore bem Publitum geöffnet, buch welches 
wir denn auch eintreten. Ber Garten iſt klein und erſcheint als 
eine große Spielerei, wie bie Eflenz eines großen Parks: Sant 
gänge, Alleen en miniature, Seen und Teiche wie Enienpfähen, 
Hügel, bie man füR mit einem guten Schritte Aberfleigen kann, 
auf ihnen Beine Pavillons zu anderthalb: Perfonen und Im Ber 
haltniß dazu Marmorftatuen, bie alten Götter darftellend, wie fie 
wohl in ihrer Jugend ausgefehen haben midgen; und eine‘ Kleine 
Menagerie fehlte sicht, In welcher neben Wögeln einer ſehr niebtigen 
Rangllafie auch ein armer Vammergeier wer, der teübfelig anf 
dad gewaltige Meer hinaus blidte, welche man hie mb da zwi · 
ſchen ben Zweigen durchglanzen fieht. 


Bartelon a. 148 


Vom Glacis der Citadelle haben wir nicht weil zur Puerta del 
Mar mit ihrem großen Platze, über welchen wir hinweglſchreiten 
Dei dem ſchou erwähnten Kaffeehaufe der ſieben Thären vorbei, und 
auf. einer breiten Rampe hinauf zux Muralla del Mar, eo tie 
dem Gewähl und Gerauſch der Stabi, dem Spellabel ber Teilen, 
Meißel und Hammer, dem Schwirren der Webſtlihle, dem Reſſeln 
ben Maſchinen, dem gatigen unendlichen Larmen des gewerblichen 
Weißes, den man au allen Guben ber Stadt hoͤrt, glüclich ext: 
rounen find, wo das Auge, nicht mehr geblendet don dem Int: 
farbigen, fich .eng buch einanber-brängenben Menjche nſtrom, enb- 
lich ausrußen tan, Dieſe Muralla bei Mar, eigenllich eine pracht⸗ 
volle Xerraffe, bie fi im einer Breite von ferhgig Geh am bie 
Bruſtwehr der Hafenmauer lehnt, iſt eine ber angenehwflen Pro⸗ 
menaden Bartelonaſs. Bar uns Haben wir den Felſen des Mon- 
juich, zu unfever Linten dem Hafen, Rhede und Strand, lehteren mit 
ſeinem eigentGümlichen Zeben, weiler hinaus Varceloueta und ver 
uns ein unennehliches Stüd des milteNländilefen Merz; vidnärts 
aber liegen in der Ziefe Iasıge Reiben non Gebanden und Paläften, 
Haus an RnB, von der Terwafſe durch eine Straße geivenut, üher 
bie nur einige Wal, wie 4. B. an ber Wohnung bei Gouverueurs, 
Brüden in daB zweite Stocwerk fahren. 

Wie ich ſchon frühen bemerkie, ftohen dieſe Hafenmauern mit 
ber ‚Rambla unter einem rechten Winkel zuinmenen. In dieſem 


Winlel Liegt das flarle Fort Alarczauas, weldies anf biefe Ark 


bie beiden Gauptipagiergänge Baucelona’3 dominirt und wit feinen 
Kanonen beftreichen kann. Man ſieht, daß hier das Angenehme 
mit dem Nuhzlichen verbunden iſt. Un dieſem Ende uuh dem an- 
beran entgegengejegten, bei bem Cafe ber fieben Thüren, führen 
gewaltige Raupen von ber Hühe der Terraſſen hinumter auf das 
Niveau ber übrigen Strafen und iſt der Anblich des Menſchen- 
gewühls, zumal bei der aufziehenden Parade, auf dieſen ſchiefen 
Flachen ein außerordentlich labendiger. 

An Sonntagen wie heute, in der lalteren Jahrehßzeit nament- 


4— 


144 Sechſtes Kapitel, 


lich, zwiſchen zwei unb vier Uhr, iſt nun bie Rambla, ‚bie von ge 
nannten Fort eine gute Viertelflunde Tang in. geraber Knie ; aut 
Puerta Iſabella II. Hinaufführt, mit Wagen, Reitern —D Fuß 
gängern befäet, Für Lehtere iſt der mittlere, mit Bäumen bepflgrigte 
Weg, bie Anderen bewegen fi) rechts und links bon dieſem anf 
ber gepflafterten Strafe längs den Häufern. Alles, was Teen ober 
geſehen fein will, ober was Anfprüche auf elegante. Toiletten und 
Schönheit macht, findet ſich Hier auf ber Rambla zuſammen. Daij 
Auge ift geblendet von bem buntfarbigen Stome, ber plaubernb 
unb lachend aufs und Abtvogt, ber Körper aber bald ermudel bon 
dem etvigen Ausweichen, von bem Iarigfamen Gehen unb von bemi 
beftänbigen Durchwinden zwiſchen dieſer gebrängten Menſcheiunaſſe. 
Namentlich das weibliche Geſchlecht iſt Hier ſtark vertreten‘, win 
gewählte Toiletlen ober auch oft ſehr geſchmadloſe Anzüge zur 
Schau zu tragen. Die Barceloneferinnen find nicht. wegen ührer 
Schönfeit berühmt: elwas berb, wohl voll und üppig, dabei ber 
feif, ohne die eleganten Formen ihrer fühlichen Landsmänninnen, 
ſcheinen fie bie ihnen mangelnde Grazie durch bie bunten, auffal- 
lenden Farben ihrer Gewänder erſehen zu wollen. Neben ſehr ber 
feheibenen unb gewählten Anzügen ſah ich hier andere jo aus 
ſchreienden Farben zuſammengeſehl, dah fie bem Auge grdentlich 
ehe thaten. Glücklicherweiſe mindert bie ſchwarze Manlille, wenig: 
ftena von oben Kerab, manchen auffallenden Anzug; bach Haben auch 
ſchon Viele dieſe allerlibſie Landediracht bei Seite gelegt unb prangen 
in Hüten, bie einftens in Paris Mode waren und ſtark mil weheu⸗ 
den Federn und bunten Bändern aufgepußt find. Drei Dinge finbel 
man übrigens auch am Kopfe einex Barceloneſerin ſellen unſchon 
das find Zähne, Augen und Haare, wogegen leider bei yielen,guf 
ber Oberlippe ein dunkles Bärtchen Kemerfbar if, deſen 1% 
und mancher junge Offizier nicht zu ſchaͤmen Kälte d 
aus dem Burgerſtande ſieht man häufig in einem Kl ſchmitte, 
ben man faſt einen altdeutſchen nennen könnle, weni 
man bei und auf alten Bildern denſelben Spenzer buohe bie 











" Bartelona. 145 


Taille umfchliegend, mit kurzen, engen Aermeln, bie mit Spihen 
ober weißen Manchetten eingefaht find — eine Tracht, ſehr kleid⸗ 
fam, die auch jeit einiger Zeit bei unfern Damen wieber Mode zu 
werben anfängt, 
"Die jungen fpanifchen Eleganis find einfacher gelleidet, thun 
aber ſchon ein Uebermögliches in ber Farbe ber Kravatten und 
Handſchuhe. " Paletot und Frad Haben übrigens Fein ausfhließen- 
des Recht auf bie Rambla, und es ift ſehr angenehm, auch die 
Nationallracht mit Kurzer Jade, weißen Gamaſchen, ſpitzem Hut 
und farbiger Manta ſtark vertreten zu fehen. Dabei flehen bie 
Träger ber Teßteren, iva8 anftändiges Benehmen anbelangt, Hinter 
den Erſteren nicht zurück; ja, man fönnte bie meiften unter ihnen 
für vornehme Leute Halten, die fich zu ihrem Dergnügen fo koſtü- 
mit haben; getvandt und anftändig führen fie ihre Damen, bleiben 
ebenfo bei’ Begegnenben ftehen, ſchauen lachend einem hiulbſchen 
Mädchen nach, und führen ihre Papiercigarren eben fo kokell zum 
Muttde, wie ber Elegant in feinen Glacéhandſchuhen die Puros. 
Für eine fo große volfreiche Stadt wie Barcelona — fie hat 
ungefähr 250,000 Menjchen — fieht man wenige und faft gar feine 
eleganten Equipagen, was wohl daher Kommen mag, daß ein lelchtes 
ſchoͤnes Fuhrwert nur in den breiten Straßen ber Stabt zu ge: 
Brauchen ift, aber nicht zu Ausflügen In die Umgegend. Denn kaum 
Yat man die Thore der Stadt Hinter ſich, To fängt das ſpaniſche 
Straßen⸗ Elend an, und man geräth in fußtiefe Locher und Geleife, 
wo Teichte Achſen und Räder in. kurzer Zeit zuſammenbrechen müffert, 
Deßhalb bemerkt man viele und gute Reiter und bie jungen Beute 
don Barcelona lieben e3, fid) auf der Rambla vor ihren Schönen auf 
raſchen Pferden fehen zu laſſen. Diefe find meiſtens von andalufiſcher 
Raffe, alfo arabiſcher Herkunft, faft alle dunkelbraun oder ſchwarz mit 
außerordentlich ſtarken Mähnen und lang herabwallendem Schweife. 
"Auch in’ der Woche iſt die Rambla faſt fo belebt wie an Sonn⸗ 
dimd Feſtiagen; wenn es alsdann der eigentlichen Ran 
Gadländer's Werte. XXI. 


146 Seäftes Kapitel. u 


wenlger find, fo ift dagegen der gewerbliche Verkehr gröhle und 
Käufer und Verkäufer gehen eilfertig mit einander baftm, "Die Ber 
wohner ber umliegenden Dörfer laffen fich alsdanm auch 'Häufiger 
in den Strahßen Ferdinands VII, und anf der Rambla erbliden; 
bort betrachten fle die glänzenden Magazine, hler bie anſchnlichen 
Gebaude ber geoßen Theater und Gafthofe. Cine elgen humrlige 
Zufammenkunft bemerlie ich dfters Hier, Morgens feiih” wähnti 
eime bebeutende Anzahl Weißpuher, bie mit ihren langen Stangen 
auf der Schulter wie zum Appell zufantmten zu treten ſchienen und 
fich gleich darauf nach allen Seiten zerſtreuten. 

Um einen neuen ſchönen Marktplag für Bartelona iR £ 
winnen, hat man ungefähr gegenüber ber Straße Gerdinand’s 
eine Menge alter Häufer zufammengeriffen und den Raum, wo diefe 
ftanden, ſowie die Höfe berfelben zu einem ziemlich großen Ganzen 
vereinigt. So ift e8 ein ſtattlicher vierecliger Plaf geivorben, ringe 
von neuen prächtigen Häufern umgeben, welche im unteren Stotfe 
eine um ben ganzen Plap Hinlaufende geräumige Halle von ſchlan⸗ 
ten Steinfänlen haben, in der fich Heine Läden ebenfalls für die 
täglichen Sebensbebürfnifle Befinden. Die Produfte aber, welche 
von Tag zu Tag wechfeln: Fleiſch, Fiſche, Gemüfe, Früchte aller 
Axt, befinden ſich auf dem Plahe felbft, too. jeder Stand für ſich 
recht zierlich georbnet ift, und alle regelmäßig aufgefteilt, unter fich 
breite Gänge bildend, die fich rechtwinkelig durchſchneiden und den 
Verlehr bequem, und angenehm machen. Die meiften biefer, Stände 
Find von oben durch graue Leinwand ober Matten gegen bie Sonne 
geijüit, und der ganze Markt Hat namentlich durch Die ſatiliche ins 
gebung etwas Großartiges un fießt bei Abend, wo der Ein: und Ver⸗ 
tauf recht lebhaft geht, bon vielen Ricjtehen erhellt, zecht freundlich ana. 

Diefer Marktplag, öftlich don der Rambla, gehört zur alten 
Stadt, die ſich auffallend bon den Theilen, welche wir vorhin duttche 
wanderten, unterfcheibet. Gier find die Häufer noch dunkler, 10h 
Höher, und in den meiften Straßen fo eng beifommenfichend, daß 











‚Barcelona, - 147 


mon ‚ieh in einigen ohne grohe Mühe von einem Ballon zum ans 
heru „bie Haub ‚züicgen Mnmte.,, Diefe Baltgne geben fberhaupt 
den Hänferfronten mit unzähligen Fenſtern ein ganz eigenen An⸗ 
Tehen, jedes berfelben if Damit derfahen, alle Haben faft das gleiche 
‚öwage. eifenme Gitter, wodurch ‚der Anblid "Kier über alle Ber 
jchreibung monptgn wird. Dabei iſt in dieſem Theile ber Gtobt 
wenig Verkehr, man kann ganze Straßen duirchwanbern, ohne attoas 
„Anderes zu jehen, als die trübfeligen, haben, dunklen Mauern mit 
verſchloffenen Feuſtern, und an einem berfelben hler oder dort ein 
verfünmmertes Geranium, auf ber Straße ein paar Hunde, eine 
Horüberfpringende Rufe und zuſammengelauerte Bettler beiderlei 
Geſchlechts. Wenn es Hoch Tommt, begegnen wir vielleicht einem 
‚mageren Pferde, uıit Gühchen beladen und dan feinem Eigenthümer 
geführt, ber 'mit gellender Stimme ben alletunrtvefflichften Eifig 
anpreiat, Die Monotonie ber Strahen des alten Stadt rührt auch 
wohl don ben dielen löfteen Her, bie ſich ehemals hier befanden, 
‚uud ‚pen man auch ihr Inneret vollkommen umaͤnderle, fo nahm 
man doch dem Aeußeren nicht jein finftereß und abſchredendes Ausſehen. 
Hier wohnen niedere Beamte, Heine Handwerler, Wäfcherinnen, 

‚ Septere ficht man Häufig bei ihrem Geſchafte, wenn man zu einem 
der finſieren Thortvege hineinblickt; dabei befindet ich im Hofe 
pin Breiten, Steinbaffin mit einem einfachen Brunnen, ber feinen 
Waſſerſtrahl Bineingießt,. und. ringsumher eine Anzahl Weiber, 
welche bie, Waſche mit Hölgern umd ihren Fauſten auf ber Stein ⸗ 
einfaſſung bearbeiten. Eiioa, was biefem Stabttheile einiges Leben 
verleiht, find bie vielen Omiibuffe und Diligencen, bie von hier 
aus nach der Mmgegend, nach Saragofſa, Madrid, Tarragona und 
Valencia fahren, Faſt alle paſfiren das Thor, welches nad Sarria 
bhinausführt, ein ‚altes finfteres Gerwälbe mit einer halbverfallenen 
waleriſchen Brüde und dernachläſſigten Glaciseinſchnitten. Dort 
raſſelt gerade einer dieſer Marterlaſten bei uns vorüber, mit acht 
‚ Maulthieren beſpaunt, deren Geſchirr mit Meffingftüden und 
kleinen Glocken bedeckt iſt, die unaufhörlich klingeln und, klimpern. 


148 Sechſtes Kapitel. 


Schon innerhalb bes Thores und ber Gtabtmaner ift Weg nnd 
Pflnfter fo entfehlidh ſwlecht, Bak ber Wogen wie detrunten Kin 
und Her taumelt; auch muß er eine Zeit lang warien, BRB"che 
Menge Laſttarren, die vor ihm find," bie ſchmale Pafſae 
befreit haben. Vor ber Brucke nimmt Ihn gleich eine bichſe 
wolle in Empfang und entzießt ihn Balb uiferen Btkltr: ai 
laffen ihre für Heute gern ziehen, deun in karzer Zeit. d 
wir bort eingeztoängt fein, immer noch fruh genug ie‘ ei 
Vergnügen. Bu 
nebrigens fehlt es auch Biefem Stabttheile weft franz ’ahr AH: 
ben, doch find es meiftens Obſte und Stftrieltenfändler, "ttetne 
Bilberläben ober ambulante Muſtkalienhandlungen. Die‘ beiben 
Iepteren Haben mir manche Viertelſtunde gekoftet, "bern ich konnte 
felten bei ihnen vorifbergeßen, ohne bie ausgrhängten Kimfticjähe 
bewundert zu haben. Naturlich find fie für bie unteren Volteklaffen 
beredänet, und bie Bilder, eigentlth Vilberbogen, 'Sehanbeln‘ Gegen: 
fände, welche dem Tpantfegen Volkocharaller am meiften anda en 
De find:Doit Onigote {md Sande Panfa, verſchlebentuich Wagtenb 
ihrer Irrfachtlen anttgefeht, nach unferen Begriffen furtägtbut‘ Heft, 
mit paffenden Unterfchriften verfehen; ferner blutige — 
mit einer wahten Verſchwendung von brennenden Farben * ein 
Gefecht zwiſchen Rentbern und Guarbias Civilet wobel diel erfteren 
Sieger bleiben, dort die Veraubung einer‘ Vet ice“ 








—E i ein ſehr — ne übe 
aud einenm Stuthle, auf dem ber Etgenthinner "fit, und aus iniehreren 
Schnuren an der Mauer eines Hauſetz woran Bet 

Mufilalien aufgereiht ſind. "Hier ſpielen Stietfchterrvmitun Ge 
ſchichten von verwegenen Conlrebandiſten, ebenfalls” "Verbefiptäe 
Abenteuer eine®' Gortegiborß mit einer jchönen RONPeEt po wie 
Don Fan’ Thaten und Ende eine Baupteotle, 1 Ks" tiäe 
Realen-Tatefte ich mir hier eine gauge Sainmtung von Volelitdecn 





Barcelona, 149 


Dieſe neue lange Wanderung hat mich indefien mühe und hungrig 
gemadt. Es ift fünf Uhr, und ich begebe mich zuriid nach der 
Fonda bei Oriente, Im Hofe derfefben finde id meine beiben 
NReifegefährten; der Oberbaurath ſtudirt an geoßen Plakaten bie 
Abfahrt der Dampfſchiffe, während Horſchelt eine dev oben erwähn⸗ 
ien Diligencen ſtizzirt, bie eben zum Abfahren bereit ſteht. Die 
Maulthiere find ungebulbig.unb ‚treten Kin und er, umd einem, 
das fich gar ungeberdig anläht, Kat der Delantero feine Manta 
um den Kopf gewickelt, modurch e$ geblenbet wich und ruhig ſieht. 
IH trete einen Augeublick in bie grohße Küche des Hauſes, bie ſehr 
zeinlich iſt und an deren Thüc unfſer bortrefflicher Maurice ſteht, 
amgeben bon einem halben Dußenb fetter Hunde, unten deren Beir 
Hilfe daß. Diner bereitet wurde) fie müflen nämlich vermittelft 
sines Txetzaben ſammtliche Braten drefen; und damit, wenn fie 
vielleicht bei dem fühen Duft in hungrige Träumereien verfallen 
unb ſtillſtehen, biefes. von ben betreffenden Küchenjungen beinexkt 
wird, iſt oben an ber Decke eine Glocke angebracht, welche, buxch 
einen finnteichen Mechaniamus beivegt, alabald anfängt zu Kingeln, 
fobald Hund und Rab fliffiehen. 

Ien läutet Maurice on ber. großen ode der Haufeb; in 
biefem. Augenblick find. auch ſaunulliche Pafſagiere in die Diligence 
eingegwängt worden, ber Delantero ſchwiugt. ſich auf, reißt au 
gleicher Zeit dem umarligen Mauftfiere bie Dianta bom Stopfe 
weg und, während wir zum Diner. hinauffteigen, raſen bie acht 
Maulthiere wie toll zu bem engen Hofe Hinaus. &o ift Daß Reife: 
leben... und nach ‚einiger Zeik werden auch wir mit Reuangelom- 
genen. bie Rollen geinechfelt Haben. 

ER Wenn man ung um ben infeeffansften Sehenzwütdigteilnn 
auherhalb dev Statt ſprach, ſo halte man immer in erſter Reihe 
des Friedhofes exwatni, der einzig im ſeiner Axt fei und feines 
Gleichen wicht in Spanien, ja nicht in ber ganzen übrigen Welt 
Haben folle... Wir dachten dadei an Anlagen, wie 3. IB. Pere la 


150 Sechſtes Kapitel, 


Ghalfe, prächtig wie biefer berühmte Friedhof gelegen, "siegt mit 
einer weiten Yugficht auf’ Meer, Eines ſchönen Nachmit be 
ſchlolfen Oberbauralh Seins und ih, denſelben ‚aufgufurbe Me 
gingen zur Puerta, bel Mar hinaus und Tannen gleich vor, 
in einen breiten, mik einer. vierſachen Baumallee bepflan a 

welcher ber Beſchreibung nach auf ben. irchhof Führen, mußie. 
Den Bahnhof ber Eiſenbahnrouie nach Matard, ſowie den Stierplak 
Hießen wir rechtg Liegen und fchritten auf dem faft ſchuurgedaben 
Wege fort, welcher ſich ungefähr inuſend Schritte vor der Stadt 
plotzlich, aber nur am einer Stelle, auf ein Dritlel verengi, tät 
er hier hurch das Glacis her Geltung fühet und behufs ber, 
und Thorabgaben wit einem Paliffabenthor geiperrt werden 

Bon dem Thore der Stabt Hatten wir eine Heine Halbe Slitnde 

au geben, ums ben Kirchhof au erreichen, beffen Mauern und Eingänge 
pfoxte wir übrigens fchan Längere Zeit am Ende der Mer tt um 
ſahen. Sie ſchien aus gelber Sandſteinen gebaut und 6li gr 
und ſchinmernh zwijchen Sorbeerbifdien Hervor, Rechts hd" rufe 
von dem großen. Bitter, welches den Eingang verſchloß / befanden 
fich Meine Gebãude, aghpliſch verziert; man muß es wohl fo heißen 
benm neben ben Belannten, fich ad) ‚aben verjüngenden Formen, 
warch gleich, twieher welche von einein anderen GH, Kg, ein 
ſonderbores Gemiſch von ernſt fein ſollenden Formen. Sbgleidh 
wir dag Meer zur Rechten hatten, ſahen wir es doch ug Zundeilen, 
da hier niedrige Dünen find, bie e8 dem Blicke entziehen. doch bot 
hie Stobt au ünferer Linken bon hier aus einen wahrhaft brädjtigen 
Andlif. Man fieht fie langgeſtredt mit ihren großen Häufermaffen 
in dem Thale liegen, welches von Huslänfern ber Phrenden gehitbet 
wird, bie Barslona im Halbtreis umgeben. Bon Hier ans erkennt 
mart auch bie fabrikreiche Stadt; denn über ben glatten Dighern 
und Terraffen erblickt man zahlreiche Dasnpffegornftelne, ‚beten 
ſchwarzer Rauch bie fonft fg reine und klare Luft elwas berfünflert, 
Von Weitem gefehen, at Barcelona eine aelblthe Sasibgkiis 

















Barcelona, 151 


Färbung, welche fich namentlich im Strahl ber Sonne warm und 
glänzend ausnimmt; ‚über den Hauſermaſſen tagen zahlreiche 
Kirchen Heraus, vor allen Aber die majeſtätiſche Mafle der Kathe- 
drale mit ihrer beiden hohen durchbrochenen ſchwarzen Thurmen, 
welche ziemlich genau den Mittelpunkt der Stabi“ anzeigen. 

Doch find wir am Thore bed Friedhofes und ſtehen verwundert 
über ben jeltfamen Anblick, der fi und darbietet, Wir ſchauen in 
das Innere und fuchen vergeblich einer Friebhof nach unferen Bes 
griffen. Da ift weber Rafen, Baum, Strauch, noch Monument, 
Kreuz, vor allen Dingen aber fein Grab zu fehen; es Liegt vielmehr 
eine eine Stabt hor und, in deren Hauptſtraße wir überraſcht 
hineinſchauen; ja, eine ſörmliche Straße, aus Gebauden von vielleicht 
ſechzehn Fuß Höhe gebildet, die, einander flohend, auf Beiden Seiten 
eine Yange Linie Bilden, nur unterbrochen durch Querſtrahen, welche 
bie, in der wir wandern, rechtwinkelig durchſchnelden. Sammtliche 
Gebäude haben nach Art der großen Fabriketablifſements unzählige 
Oeffuungen in regelmaͤßigen Linien, eine neben ber anderen — 
Senfter tönnte man fie nennen, doch Haben fie nicht viel über 
brittHalb Schuß im Quadrat und find flatt des Glaſes mit Mar: 
morplatten verjehen, deren Inſchrift und bie Bebeutung biefer Zellen 
vollkommen Kar macht. Denn die goldenen ober auch Bloß einge 
grabenen Buchftaben auf ſchwarzem oder dunkelgrauem Grunde er: 
zählen und, wer hier Tiegt, wann er geboren, wann er geſtorben. 

Der Kirchhof von‘ zul iſt eine Stadt der Tobten, deren 
Gebäude aus dicken Mauern, faft geformt wie Bienenzellen, beftehen, 
in welde man bie Särge wagerechi Hineinfchiebt; dann verſchließt 
man bie Deffnung mit, ber oben erwähnten Tafel, wodurch blos 
das Kopfenbe des Sargbehälters im Aeuferen zum Vorſchein Kommt, 
Wie man und verficherte, hat die Luft hier bie merkwurdige Eigen» 
ſchaft, bie Körper ber Verftorbenen in wenigen Jahren auszutroefnen, 
was fie zu Stande bringt, ohne dadurch eine ſchlechte Atmoſphäre 
zu erzeugen. Hier in biefen feltfamen Straßen merkt man wenigſtens 
nicht? davon, daß man zwiſchen Tauſenden von Todten umher⸗ 


152 Sechſtes Kapitel, 


wanbelt, von denen doch ein graßer Theil bier ſchon Jahre long 
To gut wie in freier Yuft-wahnt,. nur durch eine digune Meran 
tafel von uns gefcjieben, Wie viele Grabftätten Hiec-finh; Kjr,üh 
nicht im a a ——— 
muß den Begriff einer Stadt. ber Tobten. jefthalten. » Upir. hisgrn 
rechta in aine Seitenfizahe und haben vor unB eine gleiche, lange, 
Innage Binie von Gräbern; wir wenden una links und finden Fuzge 
Zeit nachher abermals eine anbere-lange Sisahe, bie unferen eg 
durchſchneidet. Auch Neubeuten ſehen wir: hier yprben, od 
mehrere Stockwerke aufgejeht, dort exrichtele man ein gauges Stadt⸗ 
viertel für neue Ankommlinge. Da kounten wir ganz gut. auch bie 
Kouſtruktionaweiſe ſehen; ſauimtliche Grablaumern finh ‚aus Bads 
feinen exrichtet und auch mit Badfteinen in flachen Kreißjegmen:. 
bogen uͤberwolbt, jedoch fo, dah bie wagrechten wie bie fentzechten 
Scheidewande nicht mehr ala bie Dicke eine einzigen Baclſteines Haha, 
Auch zwiſchen den bewohnten Zellen jah man Hier, und.pe 
ganze Reihen leer ſtehen und geöffnet, woher ich vermuthe,. Aa, 
ben Einwohnern von Barcelona frei. ſtehe, ſich Straße und Numme 
auszuſuchen, wo fie nach ihrem Zobe when wollen. Begreiflicher 
weile hat jedes Tafel- oder Mauernquadrat einen freien Raum in 
feiner Mitte, der ald Gerten angelegt ift, auch Kreuze und Moyu- 
mente hat, ‚bie man. aber beim allgemeinen Ueberblick nicht ſieht 
unb erft gewahr wird, wenn man an. dem zugehörigen Eifentkor 
voräber kommt... Hier befinden ſich große gemeinfchaftliche Gräber, 
in welche nach einer Reihe von Jahren bie Nebervefte, aller derer 
zuſammengelegt werben, bie eine eigene. Grabzelle für ewige Zeilen 
nicht bezahlen Konnten ober wollten; dieſelben ſind ſchon mit Cy⸗ 
preſſen umpflanzt, und man. ſagie ung, die Gebeine werden dariu 
wit einem Ueberguſſe von Kalk. verfehen. Anfänglich derurſachte 
& uns ein eigentfümliches Gefuhl, in dielen flillen, üben Styafge 
wnberzuimanbeln,. unb man Liest ſchuchtern bie Namen derer, .bie 
hier ruhen; bald aber Hatten wir und nit biefer Begräbnikart ber 
freundet und fanden es für bie Neberlebenden hei Weitem ange 








Barcelona, 153 


nehmer, ihre Angehörigen fo in ‘der freien Luft aufgeftelli zu toiffen, 
fintt fieben Fuß tief unber dem fendhten Raſen in der traurigen 
Grube, ſo welt entfernt von Sonmenlicht und Mondenſchein. 
"Man darf · ſich jedoch nicht denten; daß ber Anblick ein allzu 
monotoner: fer; bie Kreuzungen von zwei Strahen find meiſt ber 
naßt, um Momumente wichtiger Perſonen nicht allein in ihrer Mitte 
anfzuftellen, fonbern and; bie einfpriigenden Winkel je auf den 
Bier Eden find mit ſolchen Denkmalen-anögefüitt, Häufig mit Eifen- 
gittern umgeben und oft von wahrhaft edler kunſtleriſcher Anorb» 
mumg. Dem Hanpteingang gegeniiber am Ende der großen Mittels 
ſtrahe iſt in erhöhter Sage eine Kapelle erbaut, bie der ganzen Ans 
Inge eitte Höhere Würde verleiht. Die Strafen ſelbſt find weit, 
vortrefflich gepflaftert und geplattet, und bie Reinlichteit und Orbe 
mung eine mufterhafte, - Hierbei kann ich ein Denkmal nicht uner- 
wahnt Yaffen, weichen fich dicht am Eingange bed Friedhofes be⸗ 
findet, Es ſtellt eine vielleicht zehn Fuß Hohe Pyramide vom weißem 
Marmor vor, anf. deren Unterfaße fich auf aiwel Mebaillons der 
Kopf eines Mannes und der einer Frau befinden; es iſt dieſes ein 
Tee in Liebe erglüßtes Ehepaar, welches am Zage feiner Hochzeit 
dieſes Monument errichten Lie, um ber flaunenden Mitwelt zu 
verkunden, daß Beide auch nach ihrem Tode ungetrennt bleiben 
wollen. Die Sache kam Inbeffen anders; denn ſchon im erſten Jchre 
nach ihrer Verbindung flelen Streitigkeiten fo eriiſter Art vor, daß 
fie bald darauf eine fbrutliche Scheidung Herbeifiihzten. Daß unler 
dieſen Umftänden bie Gruft unter- dem Denkmale nicht benuht 
werben wird, verfleht-fich wohl vom Telbft, Auch fallen fich bie 
Betheiligten, welche beide noch leben, bereits anbere Rußeftäkten 
an zwei enägegengefehter Gnben des Kirchhofes audgeſucht Haben. 
Wenige Spaziergänge trafen wir anf umferer Wanderung 
durch die ftillen Straßen, nur Hier und da fanden wir Jemamber 
beichäffigt, einen Immortellenkranz an einer der Marmortafeln aufs 
zuhangen. Zufalligerweife aber wurbe es ums vergönnt, ehe wir 
den Kirchhof verliehen, noch einem Begräbnifſe beizuwohnen und 


154 Sechſtes Kapitel. 


zwar dem eimeh deutſchen Laibẽcnannes. De wir in / Vegleitung 
deffelben ein paar Belanude jahen, fo ſchloſſen mir una-chenjeld 
am. Die Deiſchung geſchleht auf fer einfarhe Art: des. Sart wird 
von ‚einigen Veuten auf · eined hohen Txeppenlaiter ‚erzporgekvagen. 
und in dio Belle geſchoben; darauf· wied die Make: mit: derz gu⸗ 
ſchrift beheſtigt, und Wien. iſt vorlbes, Die-Belanien;. denen wir. 
uns augeſchloffen, der Schweizer Konſul, fer wie ſein Alois, Ges. 
Mister aus Köln; bie überhaupt. für und von grohex Feeundlich | 
Teit waren, boten un einen Plaß in Brem Wagen an-amb. Tuben 
und zu gleicher Zeit zu einer Befichtigung des Manjuich ein, zu 
welchem Zwale fidh herr Miller cine Grlaubpihtarie -berbhefk 
hatte, Cine foldhe zu erfelten ift micht meh fo ſchwierig mie 
früher, doch bedarf e3 Immer noch -gewifler Gonmafikkien, um par 
Befchtigung biefed. Zwin Varctlona gugelafen zu werben. .ı 
Me fuhren nach ber Stabt gurät und durch hieſelbe bitz zur 
Puerta San Antonio. Rechts von dieſer führt längs der Stabtmame 
ber Meg nach Madrid, wir aber fuhren gerade aud bia au ben 
Tuh des Monjuih — Moss: Jobis deu Mönnes — der ſich un⸗ 
mittelbar vor ber Gtabt erhebt; Der eAbeg hinauf, ben wir gu Seh 
zurlicletten/ iſt ſehr maleriſch und abwechlelnd; zux Linken hallen 
wir dad Meer, das feine Wellen daftmähig. zwiſchen bie ſelſigen 
Geſtade warf und fo eine leichte Brandung verurſachte. Umſchautud 
{eh man das uralte Thor; zu welchem wir hinauegegaugen, aus 
dunklen Steinen erbaut, mit Gpheu bekleidet, welches ſich um. bie 
moyſchen Ballen geſchlungen halie, bie noch von eebem aus dee 
Gemãuer hervorratten und die dazu: bienten, ‚Die: Bugbräde aufzn«, 
gießen, aber augenſcheinlich lauge nicht mehr benupt worbpm waren / 
Der Weg zum Monjwich — des Breike nach sine Bafuftuahe 
— geht im Bidged aufwärts, wobur wir jet eine Ausficht auß 
bie blaue unendliche Fluth des Meerts Hatten, gleich darauf bir | 
Stadt und dad weite Gebiet des Habregat: zu unſeren Bien: ſahen, 
dann bie auf bie Dörfer der Mingegenb: Garcia unit feinen Fabrilen 
und Schornfleinen, San, Sarria, zwiſchen Garten liegend, auf Eee 





Barceloum, 155 


Gerstrfio und Sur Andrea: Me biefe Orlſchaften find durch 
Baumgruphen Albeen usbifekt noch geikkenbe Felder mit einanher 
derburden und geben auf biefe Au bee weiten Ebene ein freundliche 
Anafegen. Den Blab: yiölfäjen · ben Stadluumevn 1b dem duhe 
des Monjuich bebeclen Gemülegärten; und hier grämte ebenfalls Ares 
tadtz ber paten tzehrer ait. Sonderbar nichmen fich zwiſchen den 
Asyl und Salatſeldern did Vewaffermigsanſtalten aus, die Fuß noch 
ana der Mauatzeit Yerichteiben; jehenfäls init iheem Paternofter- 
wert ind mit grohen Steinbaſſins orimrtaltiehen Urſprunges find. 
In der willlurtichen phautaiſchen Zuſannnenſtellung ber einfachen 
Bidachung durch Btangen und Brelter, am’ welche ſich bie Rebe 
geſch lungen, ſo wis in ben-ulten gezahnten Triebrabern boten ſie 
leefldche @ktiblen fur unten Maler, der fie auch fleihig beuuhie 
und halbe Tage lang zeichnend auf ben Belfen des Monjnich fafı. 
Bangſenn ſtiegen wir den Berg: hinan, der einige Hunderi 
Sqhah über den Meer faſt ganz Tu iſt und iröthlich · gelbe zerllaftele 
Fekfenstaffen "zeigt; Aber welche miun den Weg inlihſam geebnet. 
Einige‘ Abwechſelung geiähren: uud Tee" Einfaffungen von Tiefen 
haſten Alden · und grecthon Kaͤltus Während man um ben unteren 
Abhangen ided Berges hinauftlettert, iſt man nicht im Bereiche ber 
Baiterien; bei bein lehten Vleriel des: Weges: aber, wahrenb beffen 
bier Sttahe ziemlich gerade und heil aufwärts Für, ficht man bie 

Geſchuhe der Anhenwerle dtohend auf fich gerichter ib begreift 
bet: diefem- Auiblick wohl, daß ed noch niemals gelungen iſt, den 
Monjulch tar Sturm zu nehmen, unt ſo wenigen, da and bie An—⸗ 
legtmg. bh Wreidjebakterieen Her unmidglich it. "Dee: Monjuich 
iſ vis auf ent heutigen Tag eine jungfriuliche Gefkung geblieben ; 
denn wenn er nuch ſchon einige Male im Lauf der; Zeit in andere 
Sande ubergegungen · iſt, ſo geſchuhh das buch uur durch Vertrag 
ober Verrath wie g. B. wahrend ber Unabhangigkelisteiege, als 
Geniral Nuchebme der ad. Mitten nach Spanien am, eine Par 
zabe bain bennthzte/ um. bie Beronskufen Boarder u“ Uberrumpelu 
und fith in fü ber Feſte zu ſehen. 


156 Sechſtes Kapitel. 


Der Ronjuich iR eine Feftung bem bes Wort „Edjloß? ober | 
„Fort* gibt einen vi zu ſhwechen Begeiff: vom: frinen Meilen, 
Diefe Haben werigfters eine ſiarte Halbe Siunde im Huikteit ihih 
nad ber Zanbfeite -brei ober; went: mem ‘bie obere Iratkfomit’äntt: 
zefjnet, vier Berifgibigungftinien. Haider Geefie, Ivo Bei eff 
fleil und zerlluftel hinunterfulli in ner ein einziger BEA,“ dk 
aber zur boliflänbigen Sicherheit mehr als geist "Bag in 
alte Werte geöhtentfeils and Ouadern ımb-jeie:jotib gebeiit, "Be 
ſonders ſchon lonſtruiri find bie-Baktsriifrenten am der weſllichen 


jerfköven. WiS einem Bombarbeinent-tefiebe Hi" bie eſag 
nichts machen, benn fie -KatIufige; geräumige-ntb vor ”ullek 
Dingen jeher -hibdlene Kaſemallen, melde eine‘ "Behafırg: von 
Mann Soldaten ganz bequem beherbergen konnen. 
Jeht zur Friedenẽ zeit ſind dieſe rieſenhaſten Anehe vernuhe 
Brelterboden durchſchoren und dienen als Kaſerne. Alle Atiamllc⸗ 
teiten be Vionjuich And gut und veinlich erhalien, "bie Engerflätieh 
der Solbaten · einſach, aber genügend, und bie Kuchen groß silb 
geräumig; dabei fehlt es nicht an einer kleinen Kapekle, ſo wir int 
einem Klub ober Cafe für! die Offtgiere, wo fich ein veſetabia 
eine Vibliothel und ein illard befinden: -Mie Thom berieikk, 
warde der Monjuich niemals durch Waffengewalt · begtoningen; tifkbr 
man verſichert, daß die Feſtung nr durch Aushnngern obere 
wath ber Veſahung genommen werben: Eirtne:' '@ögen: den Waſfer⸗ 
mangel‘orgt eimE grohe Ciſterue, welche in den gehſentdchanm gu 
durch Megenguftuß geſpeiat wirh und gatet Waffer genug euthatun 
ſoll, um bie ganze Beſchhung reichlich damit zu verſehein ’ 
Die Ausficht anf: der oberen "Fehr wetten Pla‘ 
inneren quabratiſchen Hof · umgibt, ift großarüg unb wWor 
fich Sat man die geworlige Mieerfluitz zur Sttkeir —* 
ben vielen Dörfern, die es umgeben, und ber weichen Ebeict, dehrenn 













Barcelona, - 157 


von Gebirgen in. fhönen Formen, bie, mit anberen Thälern und 
neuen fettes untermiſcht, ruckwärts immer mehr anfleigen und fich 
endlich am Horizont mit bem gemaltigen- Zuge der Pyrenaͤen ver⸗ 
einigen, Rückwaris ſah man in.daa hägelige Land, welches hier 
einen; anberen, minder grohaztigen.Gharakter hat. Doc find da 
die Bergegräner bewachſen, gekrönt mit kleiuen Dörfern, einzelnen 
Kirden uud ben Ruinen alter Schöffen; in. ben Thälern glänzen 
eine Seen, und ein gelber Steeiſen durch ‚dad grimme Land zeigt 
eine larza Strede hie Gtaafen uach Madrid, und Dalennia. - : - 

8 dammerte ſchon, ala wir nach Barceloua zurucleheten. 
Um. biefe Zeit eutfaltet ber -Gipogiergang-auf ber Haſenmauer, wenige 
fen und; meinem Geſchmad ‚eine ganze Schonbeit. Duulel liegen 
Die Schie ans Buße derſelden, hier und ba glängt ein Sicht aus 
den. Rojütenfenflexn;...ba® PMeey; wolches leiſe über ben Strand 
Sinfpült, glängb phoaphoriſch/ und ſein bei Tage weiher Schaum 
fprift filberglängenbe- Sterne auf ben Cand, dazu ſtrahli das Wond · 
licht auf hen dunllen Fluthen, und wo ein Mont durch den Hafen 
fahrt. wo die KRuderſchlaͤge das Wafſer beuncuhigen, da ſcheint es 
in lauter Flammen zu tanzen Die Fiſcher haben ige Tagewerk 
vollendet, bier und da Hat eine Familie derſelben im Freien ihr 
Feuer angezündet, und. bie rothe Gluth überſttahlt die exuften 
Züge bey. Manner und glänzt in ben berlaugenden Mugen der 
Kinder, bie und den Fijchen Tchmadhten, tele in ber Pfanne 
braten. Rings ‚um „ben Safen her Hammer nach und. nach die 
Gaslichter auf, und da bie Kandelaber nah am Waſfer Reben, fo. 
ſpiegeln ſich die weißen Flammchen in demſelben ab unb Bilden 
gikternbe Punkte auf ben dunklen Wellen, Aus ben Schenlen am 
Ufer tönt Gejang mb Guiterrenflang; ein Gpaziergänger, ber-bir 
begegnet, bittet dich um Feuer für feine Cigarre, und wenn bu am 
Ende des Weges angekommen bift, jo beeilft du dich, wieder amzu⸗ 
kehren; deun der jpaniſche Soldat, der bier auf Poſien ſteht und 
ber dich am Tage vielleicht unbehelligt laßt, fallt das Bajonuet 
und ruft dir ſein lautes: Halt ter ba?" entgegen. Dieſea ger 


158 . Sechftes Kapitel, 


Wieht jedoch ma. in der Rahe bad Lieſenate. he: ülncige-SagP Ep: 
ziergang iſt vollig zur Verfügung des nächtlichen Wanbereu; men 
Zaun fogar bie Schiehichorken Hinandfieigeen fich:.üiber die äbrüftung 
lehnen unb twixh. sicht gefigt, wenn ‚ana: auch ſtundenlang chier 
venweilt, am die Blide üben das nuͤchtliche Uber. Hinjehiweifeng 

lafen, der Gegend zu, mo bin theie Heimach legt. nn ncgaen 
Abends iſt Die Ravibla meiſtens beleltt. Mirt hatien wahrecd 
unless Auftnlhaltes ein undewglabchlich fchöneh. Eiektenz; aiemläc | 
heiß am. Tage und nicht. kuhl in zen erſtin Stunden bey. Mad. 
Der lange Gpnziemeng iſt ht Dune sine. Menge on Mas uciies: 


—* einan Tele —— ——— ee ! 
wehren Lichtmeer Arahlie,.:wo auf herſchiadenen SPundter Mut: 
höre aufgeſiallt waten, welche under dei Bubrangıwielex, Zauıkab 
Spagiergänger jehr oft: bie Boltehymme fpielten und diele feknie 
Donizeti ſche umd Verdi ſche Melodiern mit ungleich. gröbenn Pal- 
ciſion ala vor einigen Tagen bie Matſche bei der Rpusrfeiontichkt. 

Bei diehen naͤchtlichen Premewshen: bekam: mad ans) hier 
ſchon ainen Keinen. Vogriff · von dem : Iehhaftsa" baniſchen / Rls· 
qharaliar. Mie:des hiadoaudelt, wenn die Mufit cine luſtige Palle 
hielt, wie bei hurch. einander mogt, lacht und; plaubeht:r Dabei 
Find bie Facher im, einen; Kefländigen ‚MBeiwegung, ;unb die Mamill · 
vechuillt jet ein blihendes Ange, does Wenige Belunben davauf 
einen boribgriommbeinben Belannien giernlich heraualordernd ir 
Heut. Un dieſem Abende waren bie aſentlichen Gehſende au der 
Rambla illuminirt und: aß taghell, und bis nv. Buzcke Diabella 
hinauf, in deren Nähe bie großen Bäume, amfhürms,, und durh 
bichte Oleanderbuſche aufeit werden, war Alles bei der zasthihenhen 
Mufit voll Sehen, Buß und Bichterglang mamentlich im ber. 








Barcelona. 159 
ee ee u intmerfort aus: vnd 


B Ba bie-erfisten ankehengt, fo fladet mem fie, namentlich in 
Erinnerung an bie prädgtigen,feantgöftichen: Etabliſſements die ſer 
‚Ah, riccachja vft armlich. Die Lolale find eng und finfler, ohne 
großen vurus eingerichtet unb ubenie möhliet: Siatt ber · Dame 
be: Gorhptobe;,: wehhe in einem · franzoͤiſchen Cafs bie Houneurs 
machi / ſihd: hier dev: oftmals. ſchuuierige Gigenäflimer anf einer. Er⸗ 
Yhıttg are ber Thure, "bie, nicht wie dort mit Binmembouqneis 
und prädjtigen Wuffähen beforiet, Bier ein haltes Dithend Siqueur · 
flaſthen ·emhalt. Die Nellaer haben ſich nach dem Mitfier- ihres 
Gern gebilbet, und. von der roinlichen weihen Schünge und dito 
Galapinbe iſt hier teine Sput zu ſehan /Dabei beflcihigt Ach weder 
hdert nt Kellner einer übertrieben Hoflichteit, und wenn men 
Gelb wechſeln Iuhzt vder herausb⸗lounnt, ſo hat man gewohnlich 
Schaden, indem man haufig alte bgenuhie Realen belommt, bie 
derſelbe Kelluer, der ‚Fe ‚Einem gegeben, am andern Morgen nicht 
wieher annicmt. Dageten aber haden bie Franden den Vorzug, 
dab ſie anders Preiſe bezahlen darfen, als bie Einheimiſchen, und 
was mich z. B. acht Realen koſtele, wurbe viclleicht dem neben mir 
Member Spunier für ſechs frokıd,- -; 

In ben meiſten dieſer Auffechäufen iR ber ache⸗ mittelmaͤßig 
dagegen bie Sholelade vortvefflicdh: Echt Ipantfch und-nicht unan⸗ 
‚genehen if eine Wit. Budertonffer, bes: Häufig: getrmlen wird, da 
bas Waffen in Baweloha wie in allen Küfßlenfläbten nicht befon: 
ders gut iſt. Man’ werlangt eine Zucarilla und erhält eine ſchuh- 
Lange Stange harten Schaumzuckors von vielleicht zwei Zoll Dicke, 
ber wit lese d’Drange. verjopt iſt, und augenblicclich ſchmelzend 
Aufammenfintt, fobatb. man fie An’® Waffe flellt. Frenden in ein 
Tolages Zudertvaffer, namentlih zur warmen Jahreszeit, Morgens 
vor dem Feuhſtuck zu empfehlen 

Barcelona Hat zivei Theater, bas Theater Prineipal und bas 
Theater bel Lices. Letzteres If. bad gröhte in ganz Spanien und 


160 Sechſtes Kapitel. 


meben ber Mailänder Scala vielleicht das geräumigfte dom ganz 
Exropa. Es Hat ebenfalls ſechs Logenrelhen und iſt reich, geſchmea 
voll mit blendender Pracht dekvrirt; bie Behandlumg ber ᷣroſenſumn · 
loge iſt vor vieler Eleganz und ſehr ſchonen Proportionen. SBeiber 
blendet aber dieſe Pracht nur von Weitem und mern mean fich bie 
Eachen naher betrachtet, fo findet man bie weiſten Oritamertte ge 
malt und bie ſchweren golbenen Verzierungen von Papiermaché 
gemacht, die z. 3. an ben Bogenbrüflungen traurig eingefmnten 
find, wo fidh zufalligerweiſe eine ſchwere Hand darauf füßte. 
Wir wohnten Gier einer Vorſiellung bei, wie es hieß, zum 
Beften des Volles, d. h. mit fehr herabgefepten Gintrittöpeeifen. 
&3 wurde eine Banberpoffe gegeben voll des ſchon hundertmal ger 
fegenen Zauberſpuls, wandelnder Gtatuen, verſchwindender Tiſche 
und menſchlicher Korperthelle, die zum Kamin herabfallen und 
dom Harlelin zufammengefägt werden, Spater ſahen wir Rigo- 
letto, ausgeführt don mittelmäßigen Sangern, die aber von einem 
guten Orcheſter unterftüßt wurden. Gin Ballet, das darauf folgte, 
war nicht der Rebe werth. Das Publikum IR am einem ſolchen 
Beneftcenbend kaum noch; ein gemiſchtes zu nennen; Mberall machte 
ſich bie rohe Muhe und bie Kumte Manta breit, Orangen: und 
Zwiebelduft wechfelten mit einander ab, und in ben Ziwildjenarten 
drang ber Geruch unzähliger Papiercigarren and dem Korribdor in 
die Logen und flieg ſogar aus dem Parterie zu und herauf. Ein 


beutfäger Intendant würde, was biefen Puntt anbelangt, faft alten 


Thenterborftellungen in ganz Spanien mit entjeßt zuſammenge ⸗ 
Tchlagenen Händen beitvoßnen. Denn ivenn 8 5. B. in dem Eönig- 
lichen Theater von Madrid feltener vorlommi, dab Jemand mit 
der brennenden Gigarre ben Zuſchauerraum betritt, fo find doch 
auch da bie Gänge ſelbſt um ben erſten Rang, wo ber höchſte 
Abel des Landes und die fremden Gefandten im Zwiſchenakt fpa- 
gieren geben, wo man bie reichften Toiletten, Spihen und Brillan- 


tem fieht, fo mit Rauch angefüllt, da einem oft Im wahren Sinne | 


bes Wortes das Athmen erichtwert wirb, 


Barcelona. 161 


Dad ardere Theater Barerlona’s, obgleich eR-Throtro.prinzipel 
beißt; ſieht ber Cube nach weit Hinter dem erſten zuruck iR auch 
nicht it: jo: ſchneiender Pracht, -bafike aber feintr and elogander 
eingerichtet, umd hier findet fich die gute Gefeifichnft zufammer. 
WB hat · vier Logenrriben, iſt weiß ‚mit. Golb dekorint nah in feiner 
Einꝛichtumg und · Aux ſchuiiclkuug, ſowie · in ‚feiner Grohe gleicht es 
auffallend ben loniglichen Theater · in Stuttgart Wir ſahen eine 
Ppauche Komoͤdie, Die Altenrs ſchienen nicht. beſonders zu ſein, 
auch füllte ſich das Theater erk am Schlufſe des: Stucts, dem ein 
Weallet: folgte, das auch uns für die Langeweile waͤhrend der erſten 
Borullama volltommen entichabigte. ¶ Mix ſahen hienrum erſtan Mal 
einen echt · paniſchen Tanz auf dem Theater in:jeister- ganzen -Liebente 
winrdigen. und wilben Natürlichkeit. Die Koſtüme finh hierbei ofters 
valeneimatiigr grohtentheils aber andalufiſch.Aber es jſt leine Ver⸗ 
kleidung oder Maslerade für Tanzer ober Tänzerinnen; weiſtens find 
Fe ja aus: dem gkücklichen Sande jenfeits der Siexxa Morena, und 
die Tracht, in der fie hier auftreten, iſt ja Bieelbe, die fie von 
Kindheit an getraggı, ber Tanz, den fie ausfthren, derſelbe. den 
fie zu Haufe oder, auf. der Straße oder bei einer Laudpartie an 
ben wizenden Uſern des Renil hundertmal geſehen und ſelbſt mit ⸗ 
getanot. Yucz, jcjeinen fir Heute. Abend leine Worfiellung au geben, 
londern einzig.und allein zu ihrem Vergnugen umhen au wirbeln. Viel⸗ 
leicht achechn ¶Paare bilde ben Chor, ſchon hewachſene junge 
Leute, vormefflich anpzogen , unb- zeigende, Mäbchen, gewiß kaine 
Aber achtzehn Jahne alk — prächtige Geſtalten. Und welche Köͤpfe, 
welche Hagre, Augen umb. Zähne! Bautes Nepitas? nur daß die 
letzte dieſer Chortaͤnzeriunen wohl beſſer zu tanzen verſtand, als 
bie ſchone Genoxa. he Oliva. Eiwas Unpergleichliches Liegt in her 
Art, wie diela Andalufierinmen ihre zierlichen Kopfchen zu-tragen 
und zu wenden wiſſen, mb: uabeſchreiblich iſt dabei ihr Augen⸗ 
und Facherpiel. Doch bie Mufit begiimt, und zur gleicher Zeit 
fallen zweiunddreißig Paar Caſtagnetten jo — im Talte 


Hatländer'? Werte, Xxif. 


162 Sechſted Kapitel, 


ein, baf man nur einen einzigen knatternden und dethaenden Schlag 
Hört. Und daB bleibt fich immer gleich ſo! Moöoten ſie bie’ Mut 
in langſamem Tempo mit eingelsen Sthlatan efongpägmictit ober 
mögen Die ‚Gaflaguetten wirbeln unb fehmeltens, ‚mon Ta eh 
biefe Betongung, welche du Kühe. hervorbriugt, vom Hergen Küken, 
ober viefmeßs von be. Bee Blnte-angegehin toteb uk geibeto 
und wicht anders fein darf. Dieſes Geknatter: dcr: Euftageeklöit belin 
ſpaxiſchen Tange If Hier ſelbſt eine Att Muht anb ich möchte Heben tie 
begleitenden Juſtrumente, ala dieſe luſtigen feiſchen Ketange verndffen. 
‚Bei dem. Tanze athnet jedes Bant Su unb Freude / 08 ſchelut 
nichts Gelerntes, man. glaubt, Tanzer und Zanjerlantn geben bs 
ht, tangen zu biefen. Die Angen bliten; bie Wargei glhen, 
unb zwiſchen. ben .gedffweten frlſchen Lippen hervor Tchlenmeiseitie 
berzlichfien Büßee; dagu glängen Me bunten Suriben bei Kuflümein 
Gamtat, Atlas und Seide, bededt mit: Bolb::und Sübeskidkreikn, 
wahrhaft · blendeud burkfeinumder, xnd vbgleich die Mufikitumer 
toller wird, ſcheint der Talt doch Hoch immer gu langſim zu Poker Für 
bie beflämbig vorwärts ſtrobenden Vewegungen ber wilden und 
andgelaffenen Zänzeriunen. Sept ſchwingen fie ſich tw uefeguelb- 
lichen Gruppen durch einander, jetzt Öffnen fie einen Plaß zwiſchen 
ich, und. wahrende fie einige Selunben ausruhen, tanzt eins Solo: 
tanzerin. Doch ba das Publikum bei ihrem Anblte: To nrbig 
Bleibt, ſo merten wir gleich, bafy' es nicht Eunore Miıukma,'ter 
biebjäßrige Liebling der Banrelanefer,:ift. . B — 
Endlich ericheint aber auch dieſo im Hintergeund bes Vithae / uad 
das Publilum klaticht ihr wuthenden Veifail entgegen. Die Taugetin 
iſt ein ganz junges Mähchen, vielleicht much utcht Achtzeta. aber wie 
ruhig ſteht ſie da bei dem Beifallßflurme, der ſie begrüßtt Sie:wient 
ihr Noͤpfchen hin and her, fie umfaht ihre ſchtaute Taille naut ven 
Händen, biegt ſich rechts und Tinte Buch, bie Mufit beginmt tvider 
und fie kommt nun langſam · vorgeſchritten, ſcheinbar ohno allo tät 
tenfion, aber kolett gum Davonlaufen. Bei jedenr Schritae /r danvfie 
macht, hebt fie ihren Fuß wagrecht in bie Höhe. ud lachelt: dabei 





Barcel ona. 168 


gang unbeangen. So ſchreitel fie vor biR zu den Rampen, und als 
au ein. neuer Spekialel loabricht, bleibt fie ruhig fiehen und laßt bie 
rohen aAlanxenden · Augen wie verwundert durch daa Haudhinlaufen. 
Daß bauert aber.aen eine Setunde, dann fenta fie nedtich ihren 
anf, als wolle fie ſagen: Up! ie Halt mich doch anm zum Beften i 


und wie fie wieder born ſteht und abermals in daR Haus ſchaut, 
heht fie Teicht hr Wären auf, einen Schoß bildend, der auch in 
der inächfien. Seiunde wit Blumen angehällt if. Jet endlich ber 
-ginmt. Re ihren Tanz, reigend, wie ich nie eiwas gefehen, und un⸗ 
ndglich zu beſcheeiben. Sie tangte die Madrilenna, und ein Kiebens- 
toürbigese”, koletteres Aufheben ihres Zangrörfhens; wobei fie ihre 
:MBode-geigke, ein naiveres Erichrocen über die Weſpe welche in 
hen Nnterlleider gefchlüpft.üfk, und die ſie erſt nach langem Schutteln 
herausbrachte, worauf, fie Her mik: ber Spitze beb Meinem Fußes 
auf bie, Stelle Hinfprang, um bar ſchadliche Inſekt, welchet aber 
begmiflichexiweife nicht erinite, za vernichten, konnie mom nicht 
Teen. 


. Reiben mar ihe Tanz Pr iu Enbe⸗ und nach ie Auftreten 

B crichienen bie ſchouen und bkühenben, Chortangeriunen matt und 
farblos. ‚Mb ehe noch der Vorhang fiel, erhob ſich ſchon ein großer 
Theil des Publikums, um nach Hauſe zu gehen. 68 iſt etwas 
Eigenthũuuiliches um. diefe Ipanifhen Fänge; man kann, was die 
Ballete des übrigen, Curopa anbelangt, vollkommen. blafict fein, 
die glängenben Ballete dom Parid, Mailand und Berlin bieten einem 
nichts Reued mehr: na get bei den herrlichſten Dekorationen, mar 
gũhni. bei den verſchlungenſten Touren, und iſtnicht unzufrieden, wenn 
ber Bonhang falit, hutet fich aber vor allen Diugen, zweimal denſelben 
Zanazu ſchen. Hier aber erbliclt man gern jeben Tag daſſelbe; be⸗ 
aubert von dieler Friſche and Natürlichteit, iſt man wieder Anfangerge · 
worden, man lann es nicht erwarten, bis Fi; der Vorhangerhebt, und 


164 Siebentes Kapitel. 


bebauert es unendlich, wenn bie neibifche Gardine und fo bald 
wieder von bem luſtigen tollen Bolle da oben trennt, 


Siebentes Kapitel. 


Ein Stiergefedit. 


Einrihtung des Gtierplages. Die Arena. Das Epital, Eigenſchaften ber Etiere, 

Der Leitodfe. Die Ouadrille. Der große Monte. Das Yublitum des Stier« 

plades. Der feige Ganarlo. Unglüd eines Ghulo. Balto sobre testuz. Etier« 
hehe auf portuglefiige Wet. Ein glängendes Gefeit. 


Zurniere und Stiesgefechte — zwei Ramen, bie ſchon in ber 
Jugend die Phantafie reizen und beichäftigen; Schaufpiele, bie 
wie um fo fehnlicher zu fehen wunſchen, als es uns in ber Regel 
nicht möglich ift, denſelben beizuwohnen. Was bie Tumiere an 
belangt, jo find wir ja in einem Zeitalter geboren, wo bie eiferne 
NRüftung und daB aufgezäumte Schlachtroh mur noch in Waffen: 
jammlungen zu fehen find, ober bie eblen Ritter ſelbſt in ihrem 
ganzen Waffenſchmude, lang auögeftreeft auf ſtaubigen Grabfteinen, 
unter welchen fie ruhen und vielleicht träumen von einer anderen, 
gewaltigen, fehdneren Zeit. Sind wir, wie Leporello jagt, im Kälte 
zen Deutſchland geboren, fo bleibt umfere Sehnfucht nach einem 
Stiergefechte ebenfalls ungeſtillt; denn weun auch dieſes echte 
Nationalvergnügen ber Spanier an ben nördlichen Abhängen ber 
Pyrenäen, in Nimes, Montpellier und einigen anderen Städten 
bes üblichen Frankreichs verfuchstweife eingeführt wurde, fo blieb 
es doch bei ben exften Anfängen, und wer es fehen will, wie man 
mit dem Stiere nach allen Regeln ber Kunft kämpft, muß ſich 
ſchon entiehließen, eine Reife nach Spanien zu machen. 

Da bie gewöhnlichen Stiergefechte — fie werben in ben größten 
Städten Spaniens am Montag gehalten — mit, Ende September 





- Ein Stiergefedt, 165 


aufzuhören pflegen, To kann man von Glück jagen, wenn man in 
ben Wintermonaten ein erkrägliches Stiergefecht zu jehen befommt, 
Wenige Tage nad} meiner Ankunft in Barcelona traf ich es übrigens 
hierin ganz vorzüglich; denn am Donnerſtag ben 8. Dezember 
lebte man in ber ganzen Stadt große Zettel an, auf denen zu 
leſen war, daf mit Hoher. Grlaubnik am nachſtfolgenden Sonntag ben 
11. Dezember auf ber Plaza de Toros ein Stiergefecht flatt- 
finden werbe und zwar: por una sociedad de aficionados, b. h.: 
Dilettanten aus ber Einwohnerſchaft von Barcelona wollten ſich 
das Vergnügen machen, an ber Stelle ber gewöhnlichen Kämpfer 
nad ben Regeln der Kunft mit dem Stiere zu fechten. Wenn 
auch hiedurch das Schaufpiel weniger blutig zu werben verfprach, 
fo rechnete ich doch anderentheils auf eine größere Theilnahme bes 
Hiefigen Publikums. Die Unternehmer fagten übrigens in bem 
Programme: Sin pretensiones de ninguna especie, ofrece la 
Sociedad esta funcion & los Sres. convidados. Si la buena 
voluntad con que lo hace, Ilega & suplir su falta de conoci- 
mientos en el arte, quedard recompensada con usura — was 
ungefähre fo viel Heißt, als man bitte hei vorlommenden Fehlern 
um Nachficht und wünſche, man möge überhaupt ben guten Willen 
für die That nehmen, Ich muß geftehen, mit war es ſchon recht 
zum exften Male, wenn ich mich fo ausdrücken darf, ein Biebhaber- 
Stiergefecht zu fehen; denn ich Hatte ja dann Tpäter immerhin 
eine Steigerimg zu erwarten. 
Der Stierplag von Barcelona Liegt neben dem Eiſenbahnhofe 
ber Bahn, bie nach Matard fühet, und iſt ein großes, rundes Ge- 
- bänbe don vielleicht ſechshundert Schritten im Umfange, das circa 
zwölftaufenb Perfonen faßt. Die Einrichtung faft aller Stierpläge Hier 
zu Sande ift bie gleiche, ahnlich der ber alten römifchen Amphitheater, 
nur daß dieſe gewöhnlich prächtige Bauwerke waren, aus mächtigen 
Quadern aufgeführt, von innen und außen reich verziert, toogegen 
bie Stierpläße jelbft ber größten Städte, tvie Mabrid, Barcelona, 
nur proviſoriſch bazuftehen ſcheinen — ber untere Stock von Back⸗ 


166 Siebentes Kapitel. 


fleinen aufgeführt, oben aber Alles leicht und leichtfertig don Holz 
aufammengenagelt, Einzig der Stierplah von Sevilla macht Hier 
eine vähmlige Ausnahme; er-ift ber bie Hälfte cbenfalls vbn 
ſchbnen Quadern gufammengefügt und rings von Mürmorſänlen 
umgeben, welche bie barliber gefprengten Bogen tragen. 

Statt der Eiform des alten Cirkus ſtellt ber ſpaniſche Stier⸗ 
platz einen volllvmmenen Kreis bar, Die Arena iſt mit einer 
Aber ſechs Fuß hoben Brelterwand umgeben, um welche ein’ Bang 
von vielleicht ſechs biß acht Schnh herumlauft, Hinter dem die 
Zuſchauerplaͤte anfangen. Dieſe ſteigen ſechzehn bis achtzehn 
Stufenreihen nach Hinten in bie Höhe, mo ber größere Thell des 
Publikums einen Vlah findet; dieſe Sihreihen find eirefadh von 
Holz, ohne Rädiehne und fo dicht Hinter einander, daß nach alter, 
guter Weife ber Vordermann zwiſchen Füben und Knieen bes Hinten 
mannes feinen Plap findet, Wo dieſe Sihe aufhören‘, kommen 
noch brei bedeckte Stufenreihen unb über biefen die bequemer ein⸗ 
gerichteten Bogen — bevorzugtere und kheuere Plähe, wo fich auch 
der Sih bes Ayuntamiento, bes Tommanbirenden Generals und ber 
Übrigen Behorden befindet, Auf der Seite biefer Bogen ſind bie 
gefuchteften Pläpe; von Hier aus zur Linken hat man das Mufit 
corps, bon ber rechten Geite kommt bie Quadrilla, und gerebe 
gegenüber ieht man das Meine Thor, durch welches bie Sen ein⸗ 
gelaſſen werben. 

Ehe ich ben Gang des heutigen Stiergefechtes ben Leſern vor 
Augen führe, wird e& vielleicht fie manchen derſelben nicht umin ⸗ 
tereffant fein, einige Meine Auftlarungen fiber das Gebäude ſelbfu, 
ſowie über bie Vorbereitungen zum Stiergefechte und bie Bufammen- 
feßung und dad Weſen ber Quadrilla zu erfahren: Das Gebäude 
des Slierplahes ift meiftend ſtadtiſches Eigentum und wird, wie z. B. 
die großen ilalieniſchen Theater, einem Unterneimer:(Einpveffaris) 
für ben ganzen Sommer ober für einzelne‘ Vorſtellungen mit:bens 
dazu gehörigen Inventarium zur Verfügang geſtelli. Dies Inwen ⸗ 
tarium befteht aus ben Waffen und Sätteln für bie Picabores, ben 





Ein Stiergefecht. 167 


buntfarkigen jeibenen: Manteln der Chulos, den Banberillas unb 
bergleichen mehr. Die Räume zur. Aufbewahrung biefer Sachen 
befinden ſich in: ber Nähe des Stierzwingers und unter Aufficht 
eines Angeſiellten, ber zugleich Hansmeifter ift und die Zremben 
bei Befichtigung bes Stierplatzes herumführt. Hier in Barceloua 
war die ein ehemaliger Picador, welcher bei einem böſen Sturze 
von, dam. Pferde der Fuß gebrochen Hatte und ums nun hinkend 
Yerumführte, wobei. er ans feine Herlichteiten zeigte und mit 
großer Redſeligleit intereflante Einzelheilen über Manches ber edeln 
Stierfechterlunſt mittheilte, Nahe feiner Wohnung, am Haupt 
eingange; befand fich ein kleines Gebäube, wenige Schritte von 
bem Stierplaße, abex durch einen Hof von biefem getrennt — dad 
Spital für verunglückte Fechter. Hier waren ein paar breite Betten, 
ſowie in einem Waudſchranke Bandagen, Schienen und bie nöthi« 
gen. Medilamente, um einem Verungluckten augenblicklich Hilfe 
Teiften zu Können. Dieb ift die ernfie, ja traurige Seite dieſes fo 
beliebten Nationalfegaufpiela, unb hier befisbet fich auch bei jeder 
Vorſiellung ein Geiſtlicher, der fich bereit Hält, im Nothfalle ben 
Berumglückten mit ben Sterbeſakramenten zu verjehen. Wie unſer 
older Picabor erzäßlte, in «8 ber Geiſtlichteit auf s Strengſte der- 
boden, den Stierplatßz ſelbſt zu betreten, weihalb das oben erwähnte 
Ueine: Sugarelhj" beam. andy geluesunt don dieſem beftcht und einen 
befonberen Eingang von ber Straße hat. " 

+ Det Emprefjario iſt zuweilen ein Befiker von guoßen- Vieh ⸗ 
heerden. zuiveilen ein einfacher Spelulant bei dieſem Geſchafte, dfter 
aber auch elner der groben Eſpadas felbit, wie z. B. ber berühmte 
Monies Redendo, ber eine Meihe von Stiergefechten ober ein ein« 
selnes unternimmt... Gr Tauft die nöthigen Pferbe und Stiere. Die 
efteren: find meiftend arme alte Thiere, bie oftmald eine glänzende 
Baufbagu, inter fh heben und num dazu beſtimut find, unter ben 
Sbenzen des tions. gu derenden. Begeeiflichentpeife tpüzbe ein junges 
Tuöftiges Pferd biefen. ehem jo wenig wiberfichen Lönmen. und nur bie 
Roften bedeutend: vergrößern; deßhalb nimmt mar Tangaebiente, 


168 GSiebentes Kapitel, 


meiſtens ausrangirte Reitpferbe, die gewößmlich mit nicht mehr als 
Fünfgehn bis ziwangig Duros das Stüc bezahlt inerben. Bei ben 
Stieren herrſcht gerade das umgelehrte Verhältnib: je kräftiger 
wilder und unzähmbarer ein folder ift, sum jo befler für den 
Karıpf, um fo theurer wird er bezahlt. Der Preis eines borzüge 
lichen Stiers ift bis zu zweihundert Duros (ein Duro 2 fl 20 fr.) 
Ber Heerdenbefiger Iennt natürlich jeine Zöglinge, und je.muche 
dem das Gtiergejecht glänzend audfallin foll, werben die Tpiere 
ausgeſucht. Ein echter Toro, ein Stier vom gıler Race, de buen 
trapio, wie ber Spanier jagt, ift nicht über fleben und nicht unter“ 
fünf Jahre alt, Kat feine glängenbes Haar, einen Langen elaſtiſchen 
Schweif, gelente Kuire, Heine Hufe, ſiarke, ſchwarze und nicht zu 
Hange Hörner, bewegliche, runde Ohren unb fewrige; bunkle Yu: 
gen. Wie fi) von ſelbſt verficht, will das Publikum eine Ab 
wechälung ober Steigerung, und einem ber wilbeiten und tolläten 
Burſchen werben immer ein paar fügjamere Kollegen beigegeben, 
damit die Quadrilla ihren Tollheiten und Nedereien zumeilen 
den vollen Lauf laſſen lann, ohne ihr eben gerabe fehr in Ge⸗ 
fahr zu bringen, was bei einem Gtiere, wie ex fein fell, fuft jedes⸗ 
mal der Fall iſt. Daß die Tauromachia in alten Zeiten als 
eine eble und zitterliche Paffton galt, Liegt im ben Regeln ber 
jelben, welche dem Toreador gebieten, feinem Feinde offen est 
gegenzutreten, ihn mit ehrlichen Waffen, ohne Hinterlift umb mit 
ber größten Ritterlicgteit zu Gelämpfen; und wicht ‚bloß -tapfer 
joll der Zorendor fein, man verlangt auch, bei; alle.jeine Be: 
wegungen grazibs feten, und daß keine linliſche Wendung, kein 
übereiltes Surlsktveten oder Vorgehen bie geringfie Unficherheit 
verrathe. Hiezu aber gehört ein außerordentliches Studium unb 
eine Herrſchaft über feinen eigenen Körper, bie nur durch lang⸗ 
jährige Uebung erworben wird, Dieſe Herrjcjaft. über ſich ſelbſt 
iſt es aber auch faſt alkein, welche ben "Stiextämpfer vor. den 
Hornern bes wüthenden Thieres zu zetien vermag; der geringſte 
Zehler iſt verhängnifvoll; denn ſaßt ihn der Toro mit dent Horne, 





Ein Stiergefeht, 169 


fo geht es nicht mit einer leichten Verwundung ab, fein gräßlicher 
Zob ift dann faft jedesmal gewiß. Und obendrein ift es unbe 
greiflich aber wahr, daß bei foldjen Unglüsfsfällen das graufame 
Purbliksen.bie Partei des Siegers nimmt unb ber geflürgte Zoren _ 
dor noch obendrein lächerlich erſcheint. Raturlicherweiſe gehören, 
wie bei jeber Kunſt, jo auch bei biefer, Talent und angeborne 
Anlagen dazu, um ein großer Eſpaba zu werben, unb neben ber 
Geſchicklichteit, dem Thiere auszuuweichen und ihm dann zur rechten. 
Zeit ben Todesſtoß beizubringen, muß der Torero ein Auge da- 
für Haben, um bie Eigenfchaften bes Stieres, wenn ihm derſelbe 
im Gixkus zum erſten Wale entgegentritt, fogleich zu erfennen; 
beihelb beobachtet der Eipada hinter der Schranle, wie flch das 
Thier gegen bie Picadores und Banberilleros benimmt und erlennt 
am ber Art bed Angriffs, ob es boyante und claro (naiv und 
offen), revoltoso (rihrig), celoso (miftrauifeh und morbluftig), 
gan terreno (fifnellfißig), sentido (liſtig) ober abanto (feige) 
iſt. Iede dieſer Eigenheiten erfordert eine befondere Taktik und 
vom lleiuſten Berfehen hangt der Ruf umb nicht jelten daß Leben 
des Toreabors ab. In feinem Sehrbuche der Stierfechterkunft ſagt 
Francisco Montes: „Ein Zoreader muß muthig und leicht gebaut, 
aber nicht tolltühn fein, ex muß zudem bie Kunſt grundlich ſtudirt 
und geübt Haben. Mer nicht laltblutig und raſch wie der Blik 
ben rechten Augenblick zu bempen weiß, endet frliher ober Ipäter 
fein Sehen auf ben Hörnern bes Stieres. Wem aber das Herz 
bein Kampfe nicht ſchuteller ſchlagt, als beim Billerbfpiele, weſſen 
Auge raſch und rnhig bie kleinſten Bewegungen bes Thieres ver⸗ 
folgen und voraus exrathen gelerut Hat, ber fpiekt noch im hohen 
Wer mit dem wäthenbften unb gefäheliften Gtiere, wie bie Rafe 
wit der Maus.“ 

Der alte Picabor, der mir biefe Eimgelnbeiten erzählte, vers 
ficherie mir fenfzenb: wie fo oft in dieſer Welt baB wahre Verbienft 
nicht auerlannt werbe, fo ergebe es namentlich bem Aufſeher des 
Stierplages, ber das höchſt undaukbate und gefährliche Geſchaft Habe, 


170 Sie bentes Rapitel. 


bie wilden Stiere in der dem Feſte vorhergehenden Nacht in ihre 
Zivinger einzuſperren. Dieſe Zieingex-- haben die Geſtalt bon 
kolofſalen Möufefallen, fie find laum ſo Yang, breit und hoch/ dah 
daß Thier berin Pletz ak. Nach Met ber Fallguur üeun bie 
vordere und Hintere Wand aufgezogen und hernbgelöfien: werben, 
unb alle korrelpondiren hurch Sen bie Galgitier milden Ace, 
durch welches die Thiere den Kanmfplatz betreten 

Herab von ihren freien Bergen werben dieſe nunrſobald ® 
Nacht wird, weiflend ben Tag vor ben Feſte; von Kellern mit 
langen Piten nach ber Stadt und dem Stierplahe getrieben.Doch 
geht bieß nicht ohne einen Veitochſen, ber vorausmarchirt uuid auf 
dieſe Axt feine Brüder auf heimtudiſche Weiſe dem blutigen Spiele 
überliefert. Des Schwierige iſt, bie Erwahlien von der grohen 
Heesbe abzuſondern; if die einmal geſchehen, fo wird der Seib- 
ochſe an bie Spitze geflellt, bie Reiten umgeben deu Echtnaren und 
bringen ihn im Dunkel ber Nacht meiftend glüdlich zwiſchen dee 
Mauern de3 Gtirrplaped. Hier werben bie There eingeln aut 
einem geöferen Hofe in einen: lleineren gebracht, anf ben die 
Zwinger mit ihren Fallthunen münden, : bie betveffenbe wird auß⸗ 
gegogen, unb auch hier ſpauert der Seitochſe vorun in den danklen 
Käfig. hinein Häufig folgt ihm bereilwillig der wilda Ehen; 
oftmals ſtutzt ex aber auch am ber engen Thür; vielleicht Wurde 
ihn geſpenſtige Schatten. ber Boramgepnugenen, wielleicht‘.varfüünbet 
ihm ein Bluigeruch fein lonnuendes Geſchick; Luz, : Hier an der 
Schwelle des Zwingers erfolgt, wie und der Piaaden jagie; ſchou 
ein haftiges Mordempf, ber oft um jo geiähelither. wich; Dar-bex 
Auffeher mit- Fin Knechten dm: wilden hier unewaſa 
enigegentritt. J 

O, es iſt nicht fetten, venicheru und ber alte Peoborbaß 
das Einfpemen von acht Saieren nicht-wdr eine garzel Nacht ge- 
bauszt; hat, ſonbern · auch / den aridern Vormittag; niıb:tch habe Falle 
erlebt, wo wir exft ſertig geworden find, madjbent fden-bir eufleit 
Zuſchauer ihre Gipt eingensunten. Bel ruhigen Thiaren gehtt alſe 





Gin Stierge fecht. 171 


der Leitochſe voran, naturlich vorn wieder zum Kaſten hinaus, 
wãhrend vor ber Naſe und dem Hintertheile feines anglikcklichen 
Rathfolgers nun beide Falltäären vafd) herabeelaſſen werden. Daß 
bet allex biefer enge Kafig nicht zur Berußigung ber Nerven bei 
trägt; im Gegentheil das elugeſperrie, ungebulbige Thier fo toM 
und wilb als möglid) wird, kanm man ſich denken. Obendrein 
muß ber Stier in feinem bunkeln Gefängnißz Hunger und Durſt 
leiden, ımb wenn bie Stunde gelotimen iſt, wo er auf ben Plah 
Hinauägelaflen wird, fo find bie Kurchte kaum im Stanbe, ihn 
gehörig Hevaudzupußen, b. h. auf feinen Rücken bie lange, flatternbe 
Banbbevife zu befefligen, bie ihm vermittelft eines Leinen Eiſens 
mit Wiberhalen in bie Haut geftoßen wird. So gereizt und im 
hochſten Grabe unmuthig gemacht, öffnet fick ihm bie Thüre feines 
finſleren Kafigs; in tollen Sprungen raſt er hinaus, und flatt 
ich men, wie ex wohl geglaubt, wieder in ber flillen Einſamtelt 
feiner Waldes zu befinden, fleht ex plöhlich in einem don ber Sonne 
hell beſtruhlten Kreiſe, eingehegt mit einer ſechs Fuh Hohen Schrante 
umd umgeben von Taufenden von. Zuſchauern in glänzenden Toi⸗ 
letten; grelle Tacher wehen um ihn her, Ianter Zuruf empfängt 
ihn; Mufit ſchallt in feine Ohren, und vor ſeinen halbgeblendeten 
Augen fpielen unzählige Facher in der Hand ber Zuſchauerinnen 
und Zuſchauer; denn auch bee Spanier bringt feinen Abaniko mit 
auf. den Stierplah, — ein kleines zwei Fuß Langer Stockchen mit 
einer burwk bemalten Fahne vor ſtatkem Papier, das er Hin und 
her beivegt; man ſich fo friſche Luft zuzufacheln. Der Stier Bleibt 
überrafcht in’ ber Mitte ſtehen, betrachtet murtend bie ungewohnte 
Umgebung, breit fich mit funlelnden Augen im Kreife umher, fängt 
an ben Boben aufzuſcharren, ſenkt ben Kopf und fucht ſich einen 
Kampfer aus. 

VDer Anternehmer fougt num ebenfalls fie bie Sufantmenftellung 
einer guten Quadrilla, zw ber zuerſt miehrere gute Eipaba, „Degen“ 
(fo ‚werben die Matabore in Spanien genannt, und dieſer Name, 
welchen man bei un dem erften Gelben der Quabrilla zu geben pflegt, 


172 Siebentes Kapitel, 


Teint Hier ganz außer Gebrauch gekommen zu fein) gehören und 
bie ferner aus einem halben Dubendb „Picadores*, ſowie einem 
Dugend „Ehulos“ und eben fo vielen „Banberilleros* beftcht. 
Die Picadores find zu Pferbe umd reiten auf jenen alten, armen 
Thieren, von denen ich vorhin ſprach. Die Kleidung der Reiter, 
in dem bunteften Farben, wie alle Koftitme, bie beim Stiergefechte 
vorkommen, befleht aus einer verſchnürten Jake, barunter einer mit 
zahlloſen Knöpfen befetsten Weſte, um welche eine lange, wollene 
Binde mehrfach gewickelt iſt; hieran jchliehen fich kurze Beinkleider, 
Towie andalufiſche Sedergamafdjen. AM dieſe Kleidungsſtücke find 
auß ſehr ſchwerem Zeige gemacht und dabei fo ſtatk wattirt, da 
bie Geftalt des Picadors ſehr unbehilflich ausfieht. Und das iſt 
ex auch in ber That; benm wenn das Pferd unter ihm ftürzt und 
ex dabei nicht zufällig auf feine Beine zu ftehen kommt, fo ift es 
ihm nicht wohl möglich, fich dhne Hilfe aus dem Sattel zu ſchwiu⸗ 
gen. Ja, wenn er zufällig auf den Rücen fällt, fo geht es ihm 
wie einer Schilbfedte, und es ift ihm ohne fremben Beiftand nicht 
möglich, fich wieber zu erheben. Diefe wattixte Rüftung ift jedoch 
ſehr nothwendig, ba faft bei jedem Zufammentreffen des Stiers 
mit bem Pferbe Yehtere® zu Boden gerannt wird, unb ohne die 
weiche Interlage gewiß jebes Mal ein paar biefer Reiter ihre 
Knochen zerbrechen müßten. Ebenfalls zum Schutze gegen bie Hör⸗ 
ner des Stierd ift ber Sattel bes Reiters vorn und Hinten ſchuh— 
hoch aufgepolſtert: die Augen des Pferdes find mit einem Tuche 
verbunden; denn ungeblendet würbe wohl teines zum zweiten Au⸗ 
griffe zu bringen fein. Die Bewaffnung des Picadors beſteht in 
einer fünfzehn bis achtzehn Schuh Langen Lanze mit einer fehr 
kurzen Spike, welche noch obendrein mit ſtarkem weichen Bind- 
faben ummwidelt, fo, bat das Eifen kaum mehr als einen halben 
Zoll fichtbar bleibt. Die Picadores find bie Exflen auf dem 
Plage, fie muſſen ben Kampf beginnen und Haben meiner Anficht 
nach bie ſchwierigſte Role; fie miffen bem Stiere entgegenteiten, 
ihre alten, fteifen Pferde find zu ungelenk und zu ſchwach, um dem 





Ein Stiergefecht. 178 


wüthenben Thiere ausweichen zu können ober vor ihm zu fliehen. 
& kommt alfo Alles darauf an, daß ber Picador Taltes Blut 
und Geiſtesgegenwart genug Hat, den Stier mit eingelegter Lanze 
ruhig zu erivarten, um, wenn er ihm nahe genug ift, bemjelben 
mit Sonzentrirung aller feiner Kraft einen tüchtigen Stoß mit 
dee Pile beizubringen. In vielen Fällen läßt ſich ber Stier Hier 
durch abtreiben und weicht zurück, um fein Heil bei einem andern Pi⸗ 
cador zu verſuchen. Iſt aber das Thier ſehr kräftig und wilb und 
macht ſich auß ber leichten Verwundung, die e8 erhalten hat, nichts, 
dringt vielmehr noch wüthenber vor, fo bricht das Pferd des Pir 
cadors unter bem gewaltigen Stoße zufammen, und nachbem ber 
Reiter oftmals weit aus bem Sattel geſchleudert worden, fucht er 
fich fo ſchnell als möglich der Aufmerkjamfeit des Stiers zu ent» 
ziehen. Gludlicherweiſe befchäftigt fich das wüthenbe Thier faft immer 
mit bem geftürzten Pferde und ftößt mit feinen gewaltigen Hörnern jo 
Lange auf baffelbe Hinein, bis es reguugslos Liegen bleibt oder bis 
der Stier einen anderen Gegner findet. Es ift das ein Glück für 
bie Picabores; denn ſonſt twilrben bei ihrer nbeholfenheit ftets 
einige den Kampf mit ihrem Leben bezahlen müſſen. Zuweilen 
auch wirft ber Stier bas Pferb nicht beim erſten Anlaufe nieber, 
ſoudern reißt ihm mit feinen Hörnern ben Leib auf, wo es als⸗ 
dann ein wahrhaft haßlicher Anblick iſt, wenn man das unglüde 
liche Pferd im Ring umhergalopiren fieht, die Eingeweide auf 
dem Boden nachſchleppend. Im Süden Spaniens, in Sevilla, Gra⸗ 
naba, wird übrigens jedes ſchwerverwundete Pferd augenblicklich 
abgeführt, wogegen es in ben Stäbten bes Nordens meiſtens auf 
dem Plage verenden muß. 

Während fich die Picadores mit dem Stiere beichäftigen, find 
bie Chulos meiftens müßige Zuſchauer. Diefe Fräftigen, ſchön ger 
wachſenen Burſchen erſcheinen faſt im gleichen Koſtüme, wie auf uns 
ſeren Theatern Figaro. Ihr volles, dunkles Haar ift zurückgeſtrichen 
und Hinten an demfelben ein Eleiner ſchwarzer Haarbeutel Kefeftigt, der 
mit ſchwarzen Bändern und meiften? einer großen Maſche verziert iſt. 


174 Sieben tes Kapitel, 


Um biefen Haarbentel anbriagen zu kdnnen, Lafien fich bie: Stier⸗ 
fechter ein Zopſchen wahlen woran mon fie im gewdhnlichen Beben 
auch erlennt. Ueber einer engauliegenden Atlaatdeſte, bie reich mit 
Knöpfen und Golbfkidereien verziert iſt, tragen fie die vund ges 
ſchnltiene andaluſiſcha Jacke chenfalls von Seide aber von feinem 
Tuche. Im beiden Taſchen derſelben befinben fich welhe und Tune 
Sadttucher, deren Spihen herausflattern. Um den Veib haben fie 
eine bunue ſeidene Scharpe. woelche dad enge anlteſende kurhe Vein⸗ 
lleid feſthalt; ein weißen ober fleiſchfarbener ſeldener Strumpf voll: 
enbet den Auxiag wu baqu ſieht ber Thierfe hter in feinen. ‚ame 
tabelfaften Schuhen. 

Die Chulos und Banderilleros, welche, wie ſchon aehgt, zu 
Anfang des Gefechtes zuſchauen und innerhalb ober außerhalb des 
Ringer mühig on. her Schrante lehnen,. bilben in ben beſchriebenen 
KRoftimen eine-Duntfarbige und glängenbe Schaar. Yucyühre Bein- | 
Ueiben find meiflend von Atlas, und der ganze Anzug iſt ibm | 
auffalleudſten (erben: Meiß, Gimmelblan, Dunkelroth. Violett, 
und wenn mon bazu wimt, daß alle Nähte reichlich mit Euickereien 
umb {litten befept find, Jade usb Meike uk ungähligen bauten 
Kubpfchen, daß dabei bie Chulos in ihren Handen Large. bunte 
ſeidene Tücher von allen Farben haben, fo Tann nam ſich denben, 
wie Alles das im Gonnenlichte glänzt und ſtinmert. Die Beſtim ⸗ 
mung bex Chulos iſt übrigenẽ, den Stier mit Ehren farbigen Tücheen 
‚au reizen mb jeine Aufmerkſambkeit don einem ‚geftärzten Picahder 
ober don .einens Kollegen abzulenken, ber in Gefaht iſt, in gar zu 
nahe Berührung mit. ben Hörnern bes Stiers gu koenmen. 

Die Banderilleros haben ſchon ein jchteierigewes. und gefährliche: 
res Gefchäft als bie Chulos. Sie müffen dem wüthenden Sttere 
entgegentreten, unt ihm die Banderillaa einzuftohen, . Dich find äher 
zwei Schuh lange Pfelle mit eiſernen Spihem und Widechaken, welche 
mit buntem, jlatterndem Papiere umgeben find; nach / den Negeln ber 
Kunft dürfen ſie dem Stiere nur im Angriffe. und von vorn bei ⸗ 
gebracht werden, weſihalb dev Banderillo dem Stier urit ausgebreitelen | 


Lin Stiergefecht. 195 


Arsen entgegen geht, in jeber Haud einen dieſer Pfelle tragend, 
‚und nun dan Mowent abpafien muß, wo dad wilthende Thier ihm 
gerade · eutgegenftitezt, um aläbme anf bie Sekte zu ſpringen und 
demſelben im Spenge bet Pfeil in ben Nacken zu flohen. Daß 
dahel die Höguer- ded Kpieraa oft wentze Zoll ar feiner Bruſt von 
beiſahern ram man Gäufig genug ſchen. 

Rachhem wen Chulos unb Banderiierch ihe Weſen mit dem 
Stier lang⸗ denng gerieben umb ihn entiweber jo tuiltfenb gemacht 
hoben, ba: ich ‚Miemamb mehe in feine Nähe toagt, ober ihn fo 
lange gehtht, daß er, wenn eß ein ſchlechter Stier ift, anfängt, 
Zeichen der Müdigkeit zu geben, fo erſcheint auf einen Trompelen ⸗ 
Holder Ehpada, bei ſchwachen Stieren getodhnlich ein Anfänger, 
ein Reuling in der Kunſt, bee. dann. ein „halber Degen" genannt 
wird, bei wilben und gefährkiögen Thieren aber einer det vorhan ⸗ 
denen Birtuchen. Der Eipada ift. wie ber Vanderillero geleibet 
und: trigt in der linken Hamb einen Kleinen Stoct, um melden 
‚cu bluntother Bappen, Mantel gemannt, befeffigt ift, um durch 
dieſe Farbe bie Muth deB Stiets noch mehr, zu reizen. In ber 
Reapten: Hat ex einen Degen seit brei Fuß Langer und zollbreiter 
Klänge, deſſen ſehr Feiner Griff. und Bügel mit rotem Tuche um 
widelt iſt wodurch er ihn fefter halten Tamm. 

: Bu ben Eigenſchaften eines Eipaba gehört naturlich viel perſon · 
licher Muth, eine große Mewandtheit ein ſicheies BE und unbedingte 
¶ Dereſthaft über den eigerten Korper, denn er tritt demn oſtwals raſen⸗ 
‚be Thiere Aug ir Ange:gegemüber, ‚ganz allein, unb- Alles, was er 

zu feinen Rettung tham darf, iſt eine blipfchmelle Beigegung nach rechts 
ad Anka, um.bem hrchtbaten Stuße auszubeishei;.ee.muh bad Thier 
von wvorn ·derrch: eimen Gkok; zwiichen die. Hörner tübten, unuß alſo 
geuau berechnen. wie eribiefen Stoß.anbringer San, vhne ſich ſelbſt 
ben: gewalligen Hörne m Preis. gu deben Dem Stiere den Ridlen 
Fu wenden oder gar zu ficken, tuice ein Schimpf, den ſich ein guter 
Degen nierils andhım - toirbe... Er beſchaſtigt Ach -umm mit beim 
Stier fo-lange, nedt ihn auf alle Weiſe und forbert ihn Herdua, bia 


376 Sie hen tes Kapital. 


das Thier ben Kapf tief herabſenlt und zus tödtlichen Gfake aufpkend 
„lieh. demütbigt”. Dieſen Moment benutt. ber Eſpaba und ‚Röft 
ihm ben Degen in die Wurzel des Wadend: autpeilen, gelingt es 
igm, jene Heine Stelle. zu treffen, „cruz“. nennen fie, bie Keuner 
wo der Stier alsdaun, wie ham Blige getroffen, tobt zu Boden 
ftürgt. Sloßt er aber fehl, fo.fäßtt dab. Cifen oft dem Schirme 
bis an das Heft in ben Masten, das Blut ſurihi berauß, ber Gipnde 
muß den Griff fahren Yaffen, und der Stier raſt ‚befand, ‚mit 
‚ber Waffe im Leibe, toller. als ‚früher, im Kreiſe umher. : 
Do im Winter bie Stiergefechte in Spanign felten mb nicht 
glänzend find, fo Yatte ich nicht das, Glüch einen ber grohen Mo- 
tabore zu jehen,. weder Fraucisch Montes, noch Rehanbo, und 
Cuccere MWaz.ben erſten anbelangt. ſo iſt ex überpaupt fürsimmer 
vom kleinen Schauplage des Stiergefechts, lowie pom großen. her 
Belt aboelxeſen Er ber fein Schen lauſend Mal den Hprnern 
bes Stiers Preis gab, Nach im Bette an einem, hikigem, Fie her. 
Unfer Picador Hatte. früher in Andaluſien mehrmals mit ihm zu: 
ſammen gearbeitet, wie er uns jagte, und meinte jerfaruh, ein 
Stern wie Montes würde nicht je bald wieder erſcheinen «ab 
wie ſchade, daß er auf fo ftilfe Art endigen mußte! Als er damals 
in Madrid ſchwer verwundet wurde, war ich bicht dabei,“ erzähle ber 
ehemalige Picador. „Es mußte im Sandboden ein Stein geweſen 
fein; .:denn als ex hen. Stier niebesftoßen. wollte, glitt kin linler 
Fuß aus, fein Körper, der ſich einen Zoll zu viel rechta wandie 
wurde vom Horne des Stiers erfafit, das ihm fo tief in, ben, Leib 
und in die Lunge drang, daß ein Licht, welches man vor die Wunde 
dielt, -auägelöfeht wurde. Meberhaupt war der grafie Montes ein 
‚Keover Mann, gutmithig wie ein Kind, der jmunex für fich, labte, 
und mit den anderen wenig Gemeinſchaft hielt, Nur hatte gr 
Einen Fehler, ex trank nämlich gern eine gute Flaſche Wein amd 
auch mehrere, wie es gerade kam. Das geſchah aber muy, wenn er 
nichts zu. thun Hatte; alsdann nahm ex fich in irgend eingr Palade 
ein Zimmer, kaufte fich eine Anzahl Flaſchen und trank jo Lange, bis 








Ein Stiergefedt. 177 


fie Teer waren. Wenn er gerade Teine Kneipe fand, bie ihm bes 
hagte, fo fpertte er fich auch wohl zu bemfelben Zwecke in feine 
eigene Stube ein. Ia, ich fehe ihm noch Heute vor mir, wie er 
feinen Wein ſelbſt trug und dann das Haus Hinter fi abſchloß. 
Hatte er dagegen ein: Gtiergefecht vor fich, ſo war Niemand nice 
terner alß er und bann kam ſchon längere Zeit vorher fein Tropfen 
Wein Über feine Zunge, — DaB ift überhaupt der Feind, vor bem 
wir um in Acht nehmen müflen,“ verficherte lachend ber Picador, 
„benn zu anderen Gefchäften ift es wohl erlaubt, fi Damit ein 
biöchen Courage zu machen, aber Hier im Ninge ift ber Heinfte 
Nebel vor den Augen fo gut wie ber Teibhaftige Tod.“ Montes hatte 
den Beinamen Chiclanero; doch heift auch Rebonbo fo, weil Beide 
and Chielana ſtammen, einem Staͤbtchen in Anbalnfien, aud bem 
ſchon viele wackere Gtierfämpfer hervorgegangen. 


Guccero, ber noch exiſtirt, ebenfalls ein Andalufier, iſt jet - 


wohl unſtreitig ber größte unter ben ſpaniſchen Mataboren ober 
Degen. Er zeichnet fich namentlich durch feine fprichtuörtlich ger 
worbene Kaltblütigfeit auß, ſowie durch bie Geiwandtheit, mit toels 
cher er daß lebensgefaͤhrlichſte Spiel mit ben tollften Stieren treibt, 
Wenn er bem Stiere mit vorgehaltenem rothem Mantel und Degen 
entgegentrat und biefer gereizt auf ihn zuftürzte, fo ſtieß er oft 
wenige ZoW vor dem ſchäumenden Thiere feinen Degen in ben 
Sand, warf fid In biefem Augenblicke ſelbſt den rothen Mantel 
über, ſtemmte einen Arm auf bie Hüfte und ließ nım den Stier 
an fi; vorbeifpringen, wobel er ihm verächtlich über die Achſel 
nachſchaute. 

Schon oben wurde bemerkt, daß zur grambe tenue bes anda⸗ 
lufiſchen Koſtums zwel Sacktucher gehören, welche in beiden Taſchen 
bes Oberjadchens ſtecken. So gefleibet, trat Cuccero dem Stiere 
entgegen, ber, ben Sand mit ben Füßen aufſcharrend, ben Kopf 
tief gefentt, mit boshaft funkelnden Augen auf ihn zukam. Das 


rothe Tuch, dicht dor bem Kopfe bes Thieres elinontt, * 
Hadländers Werte. XXU. 


178 Siebentes Kapitel, 


es in noch größere Muth, und wenn es mun vorwärts ſtürzte, vor 
ben kahnen Stierlampfer Hin, dam - blieb dieſer mach einer laum 
werllichen Wendung fo unbeweglich ſtehen, daß ein Gemurmel des 
Entſehens durch die Reihen lief. Der Stier war ünrdeſſen vdorbei⸗ 
geſchofſen und Hatte dann oben an feinen Höhen eines det Schnupf⸗ 
tücher, welches ex dem Eſpaba aus der Bruſttaſche geriffen. Mit 
welch bennernbem und enthufiaſtiſchen Veifallorufe übrigens Kine 
ſolche That don dem Publitum belohnt: wird, dadon lamt ſich wär 
der einen Begriff machen, welcher bie Spanier, namentlich ‘aber die 
lebhaften Spanierinnen, bei’ ben Stiergefechten geſehen Hat, 

&3 wer. ein. Gerrlichen Tag, der 11. Degember ,"Hav: und mild 
tie ein ſchöner Maitag bei und; die Rambla war mit Tanfenden 
don Spaziergangern aller Stande bebeift, deren Haupiſtrom fi, 
nach der Puerta bel Max zu wälzte. Zahlreiche Onmibuffe ftanben 
in ben Fahrwegen des Sffentlichen Spazierganges, alle mit der 
Bezeichnung, daB fie die Perfon für" einen Real nach dem Stltr⸗ 
plahe Hinauafahren wärhen. Daß Schaufſpiel follte um Halb zwei 
Uhr beginnen und nach zwolf Ahr ſchon machten wir: uns auf 
ben Weg, um langſam durch bie geputzten Menſchenmaſſen hinaus 
vor das Thor zu ſchlendern; ex fuhrte und üben ben breiten Spa: 
ziergang ber Hafenmauern, bet fonft "ziemlich eitlam, heute aber 
ebenfalls mit einer lachenden und plandesnben Menge dicht Befekt 
war; namentlich das weibliche Geſchlecht war an .biefem Nachmit ⸗ 
toge zahlreich umb- ſchon vertuetn. Vah man äbrigene oft ver- 
wundert ſtehen bleibt, um einer ſchönen Spanierin nachzublicen 
bie ſtolz, aber nicht unfreundlich an uns vorüberſchreitet, daran iſt 
viel das dorthellhafte Koflitın ſchuld. Haare, Augen und Zahne 
find meiſtens fchon und daburch macht fich bas ganze Goſicht von 
ber ſchwarzen Mantille eingerahmt, auch wenn es nicht gerade be: 
merkenbwerth iſt, intereſſant, ja veizend. Und mit ber Mantilla 
um ben Kopf, ſowie mit dem Facher in der Hand wiſſen die Spa ⸗ 
nierinnen wmgugeben. Die Mantilla iſt unferen Beierinnen wohl 
bekannt, mar könnte ſagen: es iſt nichts ala ein. groher ſchwarzer 


‚Ein Stiergefeät, 179 


Spihenſchleier, ber oben am Kopfe befeftigt iſt, durch den Kamm 
. gehalten: wirh. uul beiden Seiten des Kopfes herabfällt und vorm 
üben den · Dtuſt vom seinen meiſtena ſehr Zleinen Haud zuſammen⸗ 
gehalten mind. 
‚Bier In Barselana, mo die Manikllen drilber und vierler Qua⸗ 
Yipät gemacht werden Nummr Eins und Zwei kounnen, wie faſt 
«alle Mode · und: Sunndnvitfel, ons Paoris — fieht man fie auch Häufig 
von jchmorgem Gelbengenge, mit fußhreiten Spihen. Zuweilen ift 
auch der Hopf ganz ‚vom Spibengewrben wungeben, an welchen, erft 
auf ben- Schultern auliegend, einie Mantilla, in ber Form, wie man 
„fie: bei uns trägt, ‚von ſchwarzer Seide, auch wohl vom Bammt, 
befeſligt if. Im. Aufgeften bes Schleiers an bem dunklen Hame 
Haben alle Spanierinuen .eine merkwürdige Gewandtheit und es 
‚gibt nichts Koketieres, als wenn die. Mantia, ‚hie vorm: an der 
Stien- Flach aufliegk, auf. beiden Seiten des Kopfes vom einer 
„Aranatblüthe oder Gamellia-aufgehoben und geiragen wird. 
Ber Übrige. Anzug der Barceloneſeriunen iſt ähnlich dem uns 
ſerer Damen ;. man ſieht viele Auzuge. von ſchwarzer Seide, daneben 
aber ‚auch oft bie bunteſten Farben: -Gelb, Blau, Grün, Roth. 
Spenfer oder Heine Jacken von Seide oder Sammt, unb- alabenn 
meiftens in auderen Farben als bie Röde, werden viel getragen. 
Auffallend war es mix, daß hier in Barcelona bie meifien Damen 
aller Stände ſchiefe Scheitel. Hatten; ‚bei einen. ſehr eblen und ſehr 
ſchdnen Geſichte macht fich das wicht übel; gewohnlich aber bekommt 
hiedurch dex Kopf eiwas jahr Herausforderndes, ja Leichtiertiges, 
Das gefährliche Facherſpiel beginnt Hier ebenfalls und die hieſigen 
Damen, wenn fie daſſelbe auch nicht mit ber unglaublichen Ger 
wendtfeit,. wie bie Andaluſierinmen zu handhaben verſtehen, machen 
doch einen vecht: zwedhnikigen Gebrauch daven. Die eleganten 
jungen Männer, von Barcclona hatten Heute auch das Mögliche 
an ſich gethan; namentlich waren Halsbiuden in ben ſchreiendſten 
Farben und Handſchuhe A la vaubfroſch, d. h. grasgrün, ober 
auch welche von kuhrother Farbe, ſehr getvöhntich. 


180 Siebentes Kapitel, 


Zu unſerer Rechten Hatten Air den Hafen undidec Meer. 
Lehleres war tiefblau und ſehr xuhig; Imre "ziibehlen wogte eine 
Heine Welle von deaußen hesein ;- bie: ‚aber, hier im Huſen time 1 
kleiner uud kleiner wurhe umd::auflefpt mare ut Rich; und vhne 
Geha auf ben Gab Hineuffpripe; aber einbsiher Meiningen | 
boote, bie Halb im Waſſer lagen, IScht in die Mühe hohr Dven ſen 
Tab man hie. ud da weihe Eegel, blendend tine Sunniekäkiteitiuhb 
am Horizonte gog ein Daumpfer, eine Rauthwolte hntor iſuch/a 
lurzer Zeit hinter den ſteilen Gelkent: bei Monjuich verſchwohacenb· 

Unter und auf dem Strumbe war bad: gewöhnliche Sonntags⸗ 
Leben; ‚Kleinere und grother Schiffe Hatten gefünggt; hie: und da then 
Rehe zum. Xrocbnen (oudgelpanut; neben ben. großen giſcherbobtin | 
bie au's "amd gezogen worden waren, ſtieg gefcäufekt · der Rauch 
in ‚bie. Höhe „und ba Jaß bie. Fauilie des Fiſchers Im Crwattung N 
des Piktngefiend, welches, aus Fiſchen Gefeßenb, in ber Mare | 
ſchmortt. Die Welber wandien die dampfenden Stuce hetum, vie 
Ninder balgien · fich im Sande, wahrend die Mimi im ühren 
zothen: und gefkzeiften: Mäntel, die weihe ‚üben: bumte Mitpe'auf: 
Dem Kophe, anf Fäflern und archen Binden johen und bit Papier: 
eigarre ranchlen. Aus den nachbarlichen Schenten hört imanıkle 
und da · das Geklimper eines. Guitarre, den "Schall. von: dm Pant 
Caſtagnelien und. benm..eise paniſches Lied, in ben bedanuben 
naſeluden Zone trenulirend norgetragen · 21° 210 und 

So war es drumten ma Straude, waͤhreud ohen auf der prach⸗ 
tigen, maffiven Mauer der bunte Strom ber Spagiergaͤuger: lachend/ 
plaudernd / Cigarren raucheud, nach der MPusitandel Viar· zög, um 
Dura dieſe hinauß nach dem Stierplahe zu wogen, defſen hose eben 
geöffnet. wurden. Vor und her Schritt eine halbe Koawagnie ber 
berüchtigten. Mozos be la Kscnabta ;ı:hiebefannten: Miebaftitger;' 
vertraut mit den’ Schlupfwinleln der -Babuones‘ unbRatkop;! 
bie. meiften dieſer Gicperheitäpdtiget ‚einfend 
Dieböhandiverk getrieben haben. 

Stmmiticge Ahrens" Stierplahs, et mid qua Be 











J 


Ein Stiergefecht. 181 


baude heram verthellt finbı, Find numetirt, mit ober ohne Sonne, 
or diengeldale Eiutriiistarte gilt nar für bie betreffende Nummer. 
Der Stierplatz war ſchon ziemlich beſeht, doch gelaug es uns, unter 
ber..Lope:.bed ‚Ayınakamtenko och recht gute Sitze zu erhalten. Die 
Gehelſchaft. um mas: hen war freilich Fahre gemiſcht, aber wer macht 
fich aus dergleichen Sachen in Spanien ettena Bor amd Hinter und 
Tnfanden Rd junge Leute der aieren amıd mittleren Stände, bie neben 
ihren Dumen ſaßen. aud ſich aufs Lebhafleſte Über has beuotfichende 
Scharipiel unlerhiellen. Gar biel wir aus den Geſprachen enmahmen, 
Haken Wuche ihte Bekannt: unter ben Aficonados, und nun 
warebe Hih- und herigefkrittem;  ub Bet. ober Jener ſich vecht brav ber 
nehmen · wůrde. Daß hazır.viele Orangen verſpeiſt, auch Cigatren 
von ·allen · Onsilitäten gercucht wutden, verſteht ſich von / ſelbſt. 
Bach ud nach flillie fich Abrigens bad Haus und wenn man 
auch hie und da in den Sireihen noch kleine Lücken bemerkte, fo 
war esndoch im Ganzen ·recht gut bufeht.. tina Lebhaſteres indehz 
als ſo ein ſpaniſches Pichlilum; ben Anfang. bed Stiergefechtes er- 
wartenh tft laum denkbar. Gs muchten vielleicht achttauſend Menſchen 
zugegen. ſein / und bie Spaunung nuh Aufregung diefer Verfamms 
lung/ diefed Gahren der ungebulbigen Voltsmafſen machte fich vor 
Anfang; des Schauſpiels anf alle möglichen. Arten vuft. Hier wurde 
eplaubert oder gepfiſſen, dori laut geſungen ober gebrullt und 
dazu ber Takt mit ben Fuhen getrommelt. Bon vben nach: unten 
ober auch amgelehet, flogen Orangenſchalen; unb wenn man ftatt 
bob Velannien einen Fremden getroffen, fo erhoben ſich bude Theile 
au gleicher Zeit nud fagten fich unter Heftigen Pantorıimen einige 
paflende ABozie, .ofee.dnk man übrigens zutr ein einziges rohes 
Schimpitoqrt gehört Hätte: Und biefer Wortwechſel dauerte meiſtens 
ſo Jange, bis ein paat von unbelauuter Hand geſchleuderte Orangens 
ſchalen· die fſtreitenden Parteien. nachdrücklich trafen, worauf fi 
dann gewohnlich Beibe unter wüthendem · Halloh ber Umherſthenden 
zur Ruhe begaben. Aeußerſt komiſch war es, wenn Elner, ber hoch 
oben ſaßn, zufallig tief unten einen Belannten entbecte und nun 


182 Siebentes Kapitel, 


über Sihe und Sihende Hintorg herabſtieg, oder eigiatlich herabfit, 
denn Jeder, im deffen Rähe er kam, erleichterte ihm unter ſchallen⸗ 
dem Gelachtet das Herabtommen, was denn auf jolche Art eigent: 
lich mehr ein Herabrutſchen zu nennen war. Meiſtens glitg das 
Übrigens tn Liebe und Freunbſchaft vor’ fich j nur "erzitente ſich hie 
und da eine Schöne, deren Mantilla etwas fiark geſtreiſt worben 
war, wurde aber auf bie komiſchſte Art von der Welt bon dem Herub- 
fallenden Befänftigt, indem er ihr verficherte, ihr gutes Ausfehen habe 
durchaus nichts gelitten, er mache fein Kompliment; denn ſie ſahe 
immer noch teizenbet aus, als tanfend Madchen ſeiner Betanntfchaft, 
deren Ramen ihm im gegenwärtigen Augenblice nicht einftelen. 
Auf allen Seiten des getaltigen Kreiſes gab es dergleichen 
Scenen und werin es hier einen Augenblick ruhig war, fo fing es 
drüben um fo tolfer wieder am. Dabel war das Auge geblendet von 
ber bunten Menſchenmenge, von ben lebhaften Farben der Damen: 
anzüge und von dem brennenden Roth ber vielen Manta’S, nament: 
lich aber von bem ſtrahlenden Sonnenlichte, das einen Theil bes 
Kreifes glänzend beleuchtete. Dort hielt man denn auch die Faͤcher it 
immerwährenber Vewegung, theils um fi vor ben Strahlen der 
Sorme zu ſchithen, theils um fich affektirt Kühlung auʒuwehen 
ober um fich mit entfernter Sihenden durch Zeichen zu unterhalten. 
Wir mochten ſo eine ſtarke Viertelſtunde dageweſen ſein, als 
bie Menſchenmaſſe auf einmal‘ in eine allgemeine Bewegung kam,“ 
Dan firkte die Köpfe zuſanmen, marr Hob-fich halb tn’ die Höhe, 
man bite nach ben Logen, bie Aber amferen Stthen befindlich 
waren, und al auch wir und umwandten, fahen tot, daß ein 
Theil derfelben mit reichgeputzten Damen angefüllt war, ſowie mit 
Herren in ſchwarzen Frackroden, die fich an bie Brilftung begaben 
und einige Augenblicke in ba8 Hans hinabſchanten — bie Mitglieber 
des Ayımtamtento, bes Magiftrats von Barcelona.” Faſt zu glele 
Ger Zeit erſchienen nebenan in glänzenden Uniformen ber General: 
Tapitän umd fein Gefolge. Seine Excellenz Don Ramon be Ta Roche, 


", presidira a In Plaza, 6. h. wird als oberfte Behörde die Funktion 





Ein Stiergefenht. 183 


Teiten. In dieſem Augenblicke war auch ‚die zahlreiche Militäre 
muſik auf ihre Tribüne getreten und wenige Sekunden nachher 
brauſte ein prächtiger Marſch zum großen Ergöben bes Publikums 
durch bie weiten Räume, 

Uns hei ber Lebhaftigleit des fpaniichen Publikums biefer Heiße 
blütigen Bevölferung Teine Urſache zur Unzufriebenheit zu geben, 
begismen überall bie Stiergefechte pünktlich zur angegebenen Zeit; 
ſelbſt in Mabrib fügt fi die Königin mit ihrem Hofe auf's Ge 
nauefte biefer Sitte und e8 follen Hier, im Gegenjage zu anberen 
Hauptftäbten, bie allerhöchſten Perſonen nie daran ſchuld fein, dab 
fich ber Anfang des Vollsſchauſpiels auch nur um eine Minute 
verzögert, Punkt zwei Uhr erſchien denn auch hier eine Abtheilung 
der oben erwähnten Mozos de la Escuadra, um allenfallfige un 
befugte Eindringlinge aus der Arena zu vertreiben; doch Hätte fie 
ſich diefe Mühe erfparen Lönnen, denn Alles hatte ſich eriwartungs- 
voll auf feine Sihe zurlictgegogen, 

Jetzt ſchmetlerten bie Trompeten umd es erſchienen in alter 
Amistracht, ſchwarzem Sammtkleibe mit ber weißen Halskrauſe 

. wei Alguacils zu Pferde, welche mit einem ungeheuren Halloh 
empfangen wurden, das aber weniger ihren eigenen werthen Per⸗ 
onen, al einem dritten Kollegen galt, einem Knaben nämlich, ebens 
falls als Alguacil gefeibet, ber auf einem Pony in ihrer Mitte 
ritt. Es war dies ein Scherz ober eine Freiheit, welche fich bie 
Aficignados erlaubt Hatten. und der hom ber Menge beifällig aufs 
genommen wurde. Doch verſtummie plößlich aller Lärm, als num 
Hinter den Alguacils die Quadrilla ihren feierlichen Einzug hielt. 
& waren ſechs Picadores auf birren hochbeinigen Kleppern, bie 
lange Sanze in ber Fauſt und hoch erhoben; ihnen folgte ein 
Dubzend Chulos, Banberilleros, zwei „Degen“, das bloke Schwert 
in ber Hand, ben rothen Mantel. auf bem rechten Arm tragend, 
unb. Hinter biefen feritt ein Gachetero, d. i. ber Mann, ber dazu 
beftimmt ift, mit einem lurzen dolchartigen Meffer in geroiffen Fällen 
dem Stiere ben Gnadenſtoß zu geben. Der Zug wurde beſchloſſen 


18% Siebentea-Rapitel, 


duch ein Geſpann von bei Monltineen.imit bunten Gefegink;; 
welche voll. Meifinggiergken,. Meine Glocken. nad. rolher Qua: 
Bingen. Rif bem.Ropfgsftefle und · auf dem Rücken Arfandew ich: Eletie' 
gelbe Fahnchen. Diefe Maulthier ſund dagu heftimmt bis: getöhleter 
Stiege. aus der Artua zu ſchlaifen, Wwas dummer: imnwollxianSalop 
geſchichtz ieht aben gingen jie- nabirkicherweife: im Schrittyndoth· 
waren 03 feurige Thiere, welche laumr gehalten: werden konuton und fs: 
oft fie einen Seitan ſpruug viachten oder borwarts ſchoſfen bewegien· 
fich luſtig die Fahnchen an. dem Geſchiree Hirten bie Meffingfiidt‘ 
und Yingekten die Schellen, was ſich gar nicht übeb:andruäen, 
In geweſſenem Schritt und. mit‘ ſilz othobenen Kopfen ginhen 
bie Mitglieber bes Quadrilla kif,bor die Lone: des Ayuntamienus 
und. bes tommandirenden Geuerala / und: mnchten:beiber: Vehorben 
eine feierliche Verbengung; darauf, nätten die Alguacils "eins paar⸗ 
Schritte. von, Iutbläßten. ihr Haupt und einer ibatt um die Erlanb · 


niß zum Beginne des Gefechtsa — eine Aereinotie;.tueldhe won; jebem:: 
Stiergefechte Kalk mit mehr, bald mit weniger Foruilichleib wor ſich · 


geht, Zur Antwert darauf wird von dem Milcakhen der Schluffel 
zum Thierzwinger hinabgeworfen. Es iſt dies wie die Ouvbrture vor 
einer Opey ‚nah. bie Mufmerkjamteit des Publikums iſt wahrend der⸗ 


ſelben vielleicht gzit andaren Gegenſtäuden beſchäftigt. Kaum. aber 
hat die Behbrde durch · Hinabwerſen / des Schlaſſels erlanbt, bad; daa 
Gefecht, beginne ſo Fintt. das Hachen abid Spuchen dew guſchauee 
zum leiſeſten Geflüſter und gleich darauf. zux tiefften Etille hevab 
Die Algugcils haben, ben; Ring werlaffen, die Maulahlere findithnen: 






tingelad und raſſelnd im Gnlop.gefolgt, hier Picatoies haben <A; 
in der Arcua veriheilt, wahrend jie ſich im «Setiel‘ehtun in hie Hohe 
heben und die Lanze feſter faffen. Die bunde Schaar der Chulbs am: 
Banberilero® pertheilt ſich an. der; Schranke: Kiew‘ fliehen: sine; und 


brei beieinander, doxt ein ‚einzelnen; “ein -pahr ;hüpfer mgh ;nmie:” 
zur Probe, üher bey Bretterzaun hinüber in ‚ben Gang; afleiaber:- 


affettizen ‚oder. fühlen wirklich die größte. Meicgiktigleik:: 1; 


In diefem Augenblice ſchmettert von der Mäfttirihime hetabb 








Ein Stiergefet. 185 


eine Ersatpeimfanfure;:in höchfler Glivoretung klopfen bie Herzen vor 
aohniaulend Befcjasern, diellaicht eiae Sekunde lang herrſcht Toblen · 
ſuulle jm gangen- Kaufe: — bann-Dffueb ſich lantſam I Lhire ‘de 
Zwingers und hen: Eitier „fiinzt heron 

... Merath. dennauegegebenen Progtimirme yne diſer ai aumpfer 
den Nanrm Canario. "Ex tanz zieaclich groh und fiel, von ſchwarz ⸗ 
aan Farbe/ mit mächtigen, Aber: anderlhalb Schuh aus einander 
ſlaheudan Horuern. > Au dem / dunkten Bruinger' tn: ben hellen and 
glanenden Ring tretend; ſchien bas Thier geblendet zu ſein und 
blieb nach kurzen Bauf:plöplich. ſtehen; wobei «3 nuch allen Seiten 
wie perwundert umſchaute. Die Picadores fahten He Ganzen feſter, 
ſjaben nach den Tuchern mit welchen bie Augen ihrer Pferde der 
bunden waren, und wäleten fich zum Angriffe Dochſchien ber 
Shin; durchaus Leiste‘ Luft gu: haben, mit. Einem von ihnen anzu⸗ 
binhen; ‚vielmehr. marıbie.er fich, nachdem. ex-einige:Geheitte vor⸗ 
waris ıgethan,..gemhdhläch in -umb [him dehin zurltägeen. zu 
woellen,Avo rer hargelonnnen· — eine: Beivegung;;- weldje unter den 
Zufhamern tmıfenbftinnniges Hohngeſchrei und Pfeifen hervorrief. 
Eines der Pienbores. galopirie ihm entgegen, ſtellte ſich vor bei - 
Zroissgen:aaf und ber Gitier, dem amıf-biefe- Wet: der- Rucczug abge: 
ſchnitten war und der fich won" eimer- langen Range bedroht fah, 
muhte ſich uechaedrumgen zur MWehr ſaben. Gr ſenlte ben’ Kopf, 
ſcharxte ein: pam Mal; mit den Vorderfuhhen im Sande und ging, 
abeu ones grehe ‚Kitengie,'msf des: Picabor- 168. Dieſet Tegte feine 
Kange: ein, vitt:ähtn ‚endgegen mb. beudäle ihm einer küchtigen Stoß 
in das rechte Schulierblait bet, woburch fich Ganario 'beranfaßt 
Tab, aheurala amıputeieen‘ und ſchleriger als vorhin feinen Räd- 
zug anzuiteten. Um feine Reputation war es aber jeht ſchon voll · 
flänpig geiepehent,. er ¶wurde ais Feigling verſcheieen urib am den 
Beneamunigen, die mit lauter Stinenie auf das arme Thier herab ⸗ 
geſchleudert murden/ haätte man eine ſchoöne Auswahl ſpaniſcher 
Schimpfwoͤrter ſhudixen ldemen. Der Stier uber ſchien it der That 
nicht DaB geringſte Ehrgefuhl zu Haben; denn er wich ben Picadores 


186 Eiebentes Kapitel, 


ans unb nur mit Mühe und Noth wurden ihm noch ein paar Baur 
genfliche beigebracht. Auch bie Ghules.beuüßten fich umlauft, feine 
Kampfluft aufzuſtacheln: Cauario blieb unbeweglich Für Alles. Ber 
geblich flatterten im bie Inmifarbigen Tücher dahendiwriſe um die 
Angen; ja, vergeblich fahte einer ber Kuhnſten ſein Horn und. Lich 
fich eine Strecke von ihm fortreißen, Der Stier erregte mım Zeichen 
bes Mibfallens und gab feinem ber Toveros Gelegenheit, ſich einige 
Bravos zu erwerben. Nur ein einziges Mal lachte das Pachlikua 
laut hinaus, aber bie Veraulaſſung Kiezu war werleend. für den 
armen Canario. Der Cachetexo hatte fich nämlich. feines Schweifes 
bemächtigt und ließ fich jo eine Zeit lang bon dem AängRlich hin 
und ber galopivenden Thiere buxch ben Ring ſchleppen. 

Als man aus Allem dem erſah, ba fo gar nichts wit Canario 
anzufangen ſei, erſchienen die Bauderilleros mit ihren Turzen Pfeilen, 
und in wenigen Augenbliden ftaten wenigſtens ein Duhend in 
feiner Haut, Jetzt fiug mir das Schauſpiol an klaglich und me 
angenehm zu iwerben; denn Canario, der ſo gar keine Veranlafſung 
zu ber ſchlechten Behandlung gab, die man ihm angedeihen ließ, 
erzegte vollſtändig mein Mitleiben. Ungeſtraft und ohne Muhe wuv- 
ben ihm bie Banberilfos eingeſtohen umb bei. jedem neuen Eiſen, 
das in feine Haut drang, Tprigte das Bfut heraus und brüllte das 
Thier vor Schmerzen. Aber alle Bein, bie ihm augelhan wurde, 
tar nicht im Stande, feinen: Muth zu entflammen und ihn: zu einen 
neuen Angriffe zu beivegen. Das Hohngeichrei des Volles verman- 
belte fich jeßt in wahres Toben; hie und dort ſprang Gier mit 
funtel uden diugen in Die Höfe, ballte bie Fauſte und drohle gegen Des 
unglucklichen Stier hinab; auch das weibliche Geſchlecht ſchonte ih 
nicht und von ſehr fchönen Rippen extönten unſchone Worte gemzg, 
Endlich ſchrieen ein paar Stimmen von, oben herab: „wer! 
Feuer!“ und gleich darauf wiederholten. Tauſende biefen Ruf. 

Schon oft hatte ich jagen Hören, daß das erſte Stiergefecht, 
welchem man beiwohne, einen widerwärtigen Eindrud hervorrufe. 
Und ich fand dies volllommen beftätigt, Doch mochte wohl bie · 


Ein Stiergefecht. 187 


Wehr loſiglelt des armen Opfers ba’ unten biel hierzu beitragen und 
ich bin-Kbergeugt, ton der Stier ein tüchtiger Kerl geweſen wäre, 
zu Anfang ein paar Picabores überrannt, ſowle einige Pferde aus⸗ 
geweibet Hätte, fa würbe auf uns fein Brüllen und das Blut, wel- 
dhe8: von feinen Korper Herabtvopfte, die weniger Eindruck gemacht 
haben, Der Wıf des Publikums: „Feuer! Feuerl“ verlangt, daß 
flait der gewähntidhen Bandetillos bem Thiere fogenannte Feuer⸗ 
pfelle eingeftohen werden. Dieſe haben ebenfalls Wiberhaten, damit 
fe in der Haut fleden bleiben, find aber ftatt: de flatternden Bas 
pietes mit Schiwärmern, kleinen Kanonenſchlagen unb dergleichen 
Tönen. Eachen · umgeben, bie durch eine Pulverleitumg verbunden 
find und fich entzlinben, ſobald der Pfeil dem Thiere eingeſtoßen 
iſt. Wie das Thier von dem Kuallen auf allen Seiten, fowie von 
ben Brandwunden toll gemacht wird, kann mam fich leicht denken. 
Einen Augenblick blieb Canarlo wie betänbt ſtehen, als die erſten 
Sqhwarmer auf ſeine Haut Io®plagten, dann aber fing er an, 
tlaglich zu Grillen, weißer Schaum drang aus feinem weit gedff⸗ 
neten Maule und mit hoch erhobenem Schweife rasie er in toffen 
Sprungen burch ben Ring. Man Hätte glauben konnen, jeht werde end⸗ 
lich ein vergiveifelter Kampf beginnen; aber weit entfernt: nachdem bie 
leyte Süßfegeplagt und das lehte Pulber verpufft war, legte fich auch 
ſeine Angſt wiedet, denn nur dieſe Kette ihn umhergetrieben, und ex 
Rab da uitib gefenktem Kopf und Schweif — ein trautiger Aublick. 
MB,“ bie wir zum erflen Mal einem Stiergefecht belwohnten, 
Hatte biefer Aufang noch weniger gefällen, als ben Spaniern; na—⸗ 
menilich machten auf uns bie Fenerpfeile einen widerwaͤrtigen Ein⸗ 
druck, Fe verſengten Haar und Haut und erregten einen unange 
nehanen Vrandegeruch Gin Zvompelenftofs rief einen ber „Degen® 
in den Ring und auf bie ſchon vben beſchriebene Art trat er von 
ber Seite herein. Es war ein: Hibfäfer twohlgewachſener Mann 
mit kraftigem Norperbau und ſehr energiſchem Geſichtsausdrucke; 
ee ſchritt anf die Loge bes lommemdirenden Generals zu, grüßte 
denſelben, ſowie das Ayuntamiento zierlich mit feinem Begen mb 


188 Siebeutes Rapttel, 


Wanıbbe ſich Dazanf gegen den Stier ¶ Dieter: frb 
tung umb Angfb’unfähig, fich "gie tühten, 
8. ber, Eipaba. feiert Wiberfkatıb gi fl 
reihen Mandel zu wirberhollen Maten im‘ a | 
vergebens] «+ der-Gtier woncdie lauum ſeinen Rhf a 
Eibe da langam bei 'Mran :uhaftveckte; Ütmitl> er Megkiifht Bu 
gwilchen hei Gitmense bie: iaban he State Tl "end Wen ir | 
beintgung: nächte," und: basan flüräte.ibi wie por I 
Tohkagen;: anf; der Stelle:tobt nieder ee * J 
sr Yeht neben. ſich bie. Thore auf.ruuſerer vechten · Saie re 
Mau lhiemejpenm tachte Kerein," Her! tobte Sller· wurke kit Bi 
Hinterfuhen an wire Vraie Befefkigt; "harten ging s im vollen 19 | 
einmal; im Kreiſe herum und zutm Thore Hirndns, BBMSienBCherien 
fiek-bie Muß ımit einen: haſtigen Poll ehr (in: bier: bauſchen bet! 
Ange, übertämten bie lauten Befehtapfangen? bie dein’ uungkacclichen 
Canario immer noch nochgerufen / wirden. Auch > bie YChmrhht" 
ſchien er gu hedatemn¶ dahz Ale: Te. wenig Widerſtanib wei ib: 
dehßhalb ihre Gewandtheit nicht Hatte zeigen Können. * a 
. Die Stelle, aufmweldier bed Suſer geſatlen/ wutde es 
beheit ,.um.hie Whatfiur" gu: ertilgen, sub mach Jade PLANER” 
Pauſe belrat. ber giyeite. Euler den · Namfpleche Er chichz Goniaiee. 
und ſein ·erſies Auftrelen Anz -ein:tbielbenfpuichenbes' unb’Iteug ih: 
ein gelndes Handellatſchen sehn." Ich mtık: Hier, vorinußfägieten un: 
bei. ben. Stiergeſechten der Diletlanteit meifieus ſogenunnte Noratie 
hen, Kampfplat betreten; has: find nomlicht Gtierer:kleiufe dur 
nqchſten Iahes-gw den: anderen: Stierefechten ·tuchtig ein wiirbeie· 
obgleich ein guter und Träftägen. Novilis Kein: zu verachtender Weg“ 
ner if, ſo haben ſienndoch begscflicheetveife nid ia Hl 
heit und Unbandigleit dex älteren. Stiere n 
Durch ben Vorgang mit dem unglucklichen Gate) Min 
bie Chulos Aber alle Mahen ſicher getvwrben"zir: ſein; dean Ra," 
wie es beim Erſchaunen eines neuen Stlers NRetel Aft;s fich: heoduch 
tend andalichſt an die Schranken zu Yaktens;: fanden Ferusbdiinkunt! 




















Ein Stiergefecht. 189 


Planbepnh, in, Bruppen, bei / einander einige ſogar in ‚ber Nähe. ben 
o.. Coractro, bem. in. biafem Augenblide ‚daR, Thor gedffuei 
iwar zwar kleiner, aber auch uiierichten, als ſein Vorgänger 
und hei ih Ingleich. hei Anfang. des Mefnchted mia-eitı Heime 
tügktjpher. Burſche· Harulos und wuhis ning er; einige · Echritte 
vorwãria and ich · hieltn ihn daher für nicht beſſer ala Canaris; 
hoch. Ängte, min. mes, Wachharein aldes Habikus- bi. Gtierplafen: 
„Der. ifbeguf;.Tchen Gig, :toie. feine ‚feisen.: Wagen · funkeln.“ Nud⸗ 
ber Mann Hatte Recht; denn Caracero, .bexfich, wie geſagt, wit 
größter. Kuhe einer ber Gruppen genahert hatte, ſtürzie wen mit 
Einem Mala wie tull und: twithenh ‚gegen: bie GhmfuB Kin, -wad 
eine, elgemeine.unb Höcft;ergäpliche Flucht zur Folge hatte. Nuch 
allen Richtungen ftoben ſeine leichtfichigen Gegner aus einander 
und die meiſten iberipyaugen die Schranken anit einer außerordent ⸗ 
lichen Behendigleit. Hie und: baiberfihlug Fich andy Einen und 








fiek--Hoit ‚auf: bie ‚Bike, -aisf- einen anbenem Theil des Körpers —: 


eig Mangel on Cewandiheit, eis ein baniez Gohngelichaer 
zur Folge hatte.  : 
Der Glier : hatte: autterdefſen Bi bach Chulen aufs Nern ger 


mann, vwelijennehür: fo dicht vor ſeinem Zwinger geſtanden, und 


verolaie fie mib,foleper. Gafktunb-buofenbev'@hberbe,. ba: Viele 
am dom -MPuhläfum. fich Hafb: von. fen: Sthen erhoben und dem 


inexeſſnten Anfemge⸗atheniles zullchauten: Die Drei:-fkoden nature 


licherneife in: onlleu! Flucht aus einamdei, boch veſaun ſich Cora⸗ 
can Keinen Augenblice und verfolgte einen in ſo tollen Laufe/ ba’ 
djeſer ſich nut wetten: kounte/ iudem ex ‚nicht ohne Geiſtesgegenwart 
dem · Stier feinen Mantel zwiſchen bis Fahe warf. Deffen ungeachtet 
Tante: aber daR: Thier mit dem Chulo faſt zu gleicher Zeit am der 
Schranke an und es war kein Zoll breit Reim’ mehe zwiſchen ben 
Hornarn Coneceras usb beat · ſeidenen Beinen’ bes Shure, als dieſer 
erſchrickt.· auud athemlos · aber die Schranken flog. Mancher ber Zu⸗ 
ſchauee undaauch ich glaubte, der Sich deo Thleres habe Ihm: 
nechachotfen, aber dem war zus Gläde:micht ſo; ber Mann war 


190 Siebentes Kapitel, 


unverlegt, doch ſchien mir fein Lachen einigermaßen ‚erkünftelt zu 
fein. Mein Racbar fogte mir: „Gätte: ber ‚Stiex smwei:fahe 
mehr, ſo würde das ein fehe ſchönes, ernfthaftes Gefecht. werben; 
fa aber werden die Diletiauten jchou mit ihm fertig werden“ 
Coracero, ber mitten in ber Bahn ftanb, betrachtete ſich feine 
Feinde ringa uuiher. Schon mehrere Mile: hatte er einun Sprung 


rechts oder lints gethau, ſo oft fich einer ber Chulod blitken eh 


unb ibm, freilich auf jehe weite Entfernung; eines ber Lauten Ban: 
ten Tucher entgegenwarf, fich auch langiam gegen bie Picabores 
gewandt, Der, welcher ihm ginachſt fand, ritt nun dem Thlere 
enigegen und legte feine Sarıze ein. Der Stier nahni die Hernus ⸗ 
forderung an, ſenlte die Horuer und rannte in vollem Vaufe gegen 
den Picador an. Ein tuchtiger Stoß mit ber Lamze, den das 
Thier beim Zuſamenſtoß erhielt, machte es einen Autzeciblick ſiutzen; 
doch erneuerte es im naͤchſten Moment feinen Angriff. um fo: ef: 
tiger, und wahrſcheinlich hatte derſelbe mit dem Tobeidea: Nfordes 
geendigt, wenn nicht mehrere Ghukod dem Picabor zu Hilfs ge 
Iommen waren und bie Aufmerlſamkeit bes Stiers von ihin abge 
lenkt hätten, Bei einem. gewöhnlichen Stiergeſechte hätte man ben 
Stier feinen Kampf mit bem Picabor ruhig ausfechten laſſen ab 
es wäre wider bie Regel geweſen, bem Picabor zu Hilfe: zu tms 
men, che Rob und Reiter im Sande gelogen, Aber bie Mficionabos 
ſchonten begreiflicherweiſe ihre Pferde. So außerordentlich ver- 
wegen dieſelben bei dem erſlen Stier annbergalspirt. waren umb 
ihm Stiche nach allen Seiten beigebracht. halten, um ſo mehr maß 
men fie ſich jept in Acht; doch muhten alle vier nach 'ehnander 
toenigfiena einmal ein Rencontte mit ihm beſtehen nnd drei waren 
auch fo glüdlich, ihm einen tüchtigen Lanzenſtoß beizubeingen, der 
ihn für ben Augenblick zurtitrieb. Auch warsı "die Chulvs und 
Vanderilleros gleid) bei bet Hanb. Bei dem vierten ging ei-übtigens 
nicht fo gut, eigentlich für die Zuſchauer Keffer, deun es flok Blnt, 
1003 bei einem Stiergefedht immer bie Gauptjadie üb :Det biste 
Picador ſchien mix ein fChmäcee Pferd zu Haben als bie anderem, 


Ein Stiergejedt. 191 


ex ſelbſt aber mar ein umterjepter, biefer Kerl, ber, wenn er in bem 
Ringe galopirte, beftändig fo komiſche Bewegungen machte, da viele 
as dem Publitum in lautes Gelächter ausbrachen und ihn mit 
allerlei freundichaftkichen Benennungen belegten. Endlich ritt auch ex 
gegen Gorasıso on unb babel miegte ſich der Picador jo komiſch im 
Satte Sin und Her, daß er durch allgemeine Heiterkeit und einiges 
Gindellntfägen belohnt ‚warche.: Doch wäre es fihe ihn viel beffer 
geweſen, wenn er genan auf feinen Feind Achtung gegeben hätte ; 
taum hatte der. Picabor nämlich feine Lanze eingelegt, jo war ber 
Stier auch ſchon Diet bei ihm, indem ex die Banze unterlief und nun 
ınit- einem Eräftigen Aulaufe feine Hörner dem armen Pferde in bie 
Geite bohrte, Jo daß es fih Hoch aufbäumte, banıt aber gufammen- 
brach und mit feinem Reiter in den Sand rollle. Wie immer, zum 
Gi für den Pirador, ließ nun ber Stier ſeine ganze Wuth an 
ben mgküdlichen gefallenen Pferde auß, ohne ben Reiter weiter zu 
beachten, wodurch dieſer Zeit belam, auß:dem Sattel zu Klettern 
und mit Beihilfe einiger Bauderilleros langſam deson zu Hinten. 
Der Stier zerfleiſchte untexdeffemdnd Pferd jo lauge, als dieſes 
noch ein Lebenẽheichen von ſich geb; dann waubte er ſich abermals 
gegen die übrigen drei Picadores und ſchien ihnen einen Kampf 
anzubieten. Doch Hatte keiner der Aficionados, durch ben Vorgang 
mik ben Kameraden gewißigt, beſondere Luſt, fi mit ihm ferner 
in einen ernfilichen. Kampf einäulaffen. Sie umritten ihn im Galop, 
brachten ihm auch hie und ba einen leichten Lanzenſtich bei, waren 
aber dabei ſo glücklich, ſeinen Hornern zu entgehen. Es war kein 
rechter Ernſt bei der Sache und wäre das Stiergefecht nicht von 
MDilettauten unternommen worden, jo hätte man von dem Publikum 
ein ſchones -Gepfeife vernommen: 
+ -Kmhläch rief die Trouipete die Banderilleros herbei und hiedurch 
wurde das Gchaufpiel eiwas belebten, Wie jchen bemerkt, ſchieuen 
hie Pieadores ihre Pferde geſchont zu Haben und hatten ſich ſomit 
eine kleine Bloße gegeben, mas nun bie Banderilleros buch ihr 
niemlich tolltuhues Spiel mit dem Stier wieber gut machen) zu 


192 Siebentes Kapitel, 


wollen ſchienen. Es war nicht leicht, dem wilden Thiere beizullanmen; 
und Coraeero hatte die ſchlimme Gewohaheit, ſich immer einen Ein⸗ 
zelnen aus feinen Ungreifern herauszuleſen und denſelben, vhne fich 
durch Mantelſchwenken irre machen zu laſſen, bis sum: die Schtanke 
zu verfolgen. Ein paar entkamen nux mit genauer Roth anb Ehuer, 
ber vor dem Thiere nieberflürgte, ſchien verloren: zu ſein, iwäͤre es 
auch wahrſcheinlich geweſen, wenn nicht in dieſem. Augeulblide ein 
Banberillo tief in ben Hals bes Thieves gedrunigen wäre, wodurch 
es fich wuthend auf die Seite wendte und dem Ricdergeſtucien 
‚Zeit ließ, auf ſeine Fühe zu ſpringen und haben’ zu lauſen 
nterdeſſen war bie Zeit ſchen ziemlich vorgerückt; der helle 
Sonnenſtreifen, ber auf dem Haufe Ing, hatte fich ſchonſehr ein⸗ 
porgehoben, wehhalb denn ·auch, um das Schauſpiel micht zur ſehr 
in bie Lauge zu ziehen, ehe noch der Stier Zeichen nos Mubig· 
keit gegeben, der Eſpada in-bie Schranke trai. Es war das ein 
anderer, als ber, welcher den erſſen Stier ‚gefällt “Hatte;: doch ktam 
ex nicht allein, ſondern gegen ale Regeln in Begleitung von drei 
bis vier Chulos und Banderilleros — eine Bonfichtamageegel, bie 
ihm Übrigens ſehr wenig Half; denn ber- Eher war feiner nicht 
ſo bald anfichtig geworben, als ex mit den Vorberfäßen: zu ſchär⸗ 
zen begann, den Kopf ſenlend ein paar Schritte wäfwärtd trat 
und dasın fo twütßend auf die Gruppe: Ioäftitegte, :bafy biele- ans 
einander Rob und ſich in ſchönen Sägen über: bie. Schranken vet 
tete, wobei ber Eſpada ſelbſt einer ber Beichtfikigften war ab’ - 
noch dabei das Ungluck hatte, jeuſeits der / Schmnken mit · Schtweri 
und Mantel wie ein Mehlſack niederguſturzen. Dieſed Mal fpurte das 
Publikum weder Pfeifen noch Ziſchen, was dert Degen fo’ eaporte⸗ 
daß er auf derſelben Stelle in den Ring zurüchſprang uind men allein 
dem Stiere gegemüber trat, wofüx er denn auch mit einem tauſend⸗ 
ftinnmigen Bravo belohnt wurde. Die Ehulcs wrfihienen:übriges:: 
auch gleich wieder im Ring und Gier, der ſich bei: allen Ainpfer 
durch feine Verwegenheit hervorgelhan hatte, lenkte die Aufueerkſambeit⸗ 
be Tieres auf fich, wodurch es dem Efpaba möglich warbe, ſich dem 


Ein Stiergefecht. 193 


Stiexe gm ‚nähern und ihm den Degen bis an das Seft in den 
Nacken zu. flohen. Zum erſten Male brüllte das Thier Taut auf 
und · da es zu gleicher "Zeit heflig auf die Seite ſprang, To mußte 
der · Einada Degen und Griff ſahren lufſen, mit welchen denn auch 
das Thier wie toll im. Krelſe umherraſte. 

EA war bied ein hahlicher Anblick· das Blut’ rann ſtromweiſe 
aus ber Wunde und zuweilen blieb der Stier, wie von furcht⸗ 
barem · Echmerz’gepeimigt; pibhhlich ſtehen, ſcharrte mit ben Fühen 
und wandie fich dann um, feinen vauf auf's Neue beginnend. 
Unterbeffen-Hatte- fich der Cſpada ein neues Schwert reichen lafſen 
und jeht war 23 en leicht, dem Stiere nahe zu Tommen, bet ſchon 
durch Schumerz und Btatderluſt slemlich erſchopft war. Obgleich 
Eorntero noch immer feinen Angrrifern bereltwillig entgegenftitczte, 
jo ‚Hatten doch -jeine Beweguugen ehe an Schnelligleit verloren, 
wehhalb es dem Eſpada leichter gelang; auch den zweiten Degen 
bis an das Heft in ben: Rüden bes Thieres zu flohen. Aber auch 
dieſer Stoß war nicht glücdkicher als ber erfie; dei Stier ſtürzte 
nicht zuſammen, vielmehr wandie er ſich klaglich brülllend um, 
machte ein paar vaſende Säfte und umkreiste noch einmal den gan⸗ 





zen Ming, che er, wie betäubt, dicht under umferen Sihen ſtehen 


blieb. Jeht erſt fing ex am · zu wanten, das Bat ſchoß ihm 
ſtrowweiſe aus dem Maule und Lange noch ſchwanlle er Hin und 
Her, ehe: en gufammenbruch. ° Der: Gachetexo anubte Hinzutreten und 
ihm wit: ſeinem · kurzen Meſſer ben eigentlichen Todesſtoß geben. 
Mir war es Himanf: recht angenehm,’ bafı "daß folgende 

Geiecht ein unkkutigeß. ſein ſollie. Der britte Stier, Goldabo, 
folſlte wech. portugteftichen Welle betaupft werden, die darki befteht, 
Daß das Thier in den Ring gelaſſen/ von den Chulos gereizt und 
geneilt und dann von dieſen und ben Vanderilleros mit ben Han⸗ 
hᷣerr. eiugejangen, geſtellt und nach dem Zwinger zurücgebracht 

ind. Da’ aber der Stier bei feiner Kraft und Wildheit und mit 

inen langen und ſpien Hornern ohne Venqua erenn ein zu 
| Haalander's Werl AXII. 





194 Siebentes Kapitel. 


umgleidjer Kämpfer fein würde, fo befeftigte man anf den Spthen 
feiner Hörner außgepolfterte Teberne Kugeln, wodurch allerdings die 
Gefährlichkeit bed Stoßes vermindert wird; doch erforbert biefe Art 
des Kampfes immer noch große Borficht, Gewanbtheit amd Kraft, 
Soldado war ein ziemlich Feäftiger Burſche mit: Langen’ Hörmern, 
welche aber forgfältig umwickell und oben mit großen Knöpfen ver⸗ 
fehen waren. Die Chulos und Banderilleros befanden ſich ohne 
bie Picadores im Ringe, umgaben ben Stier ſogleich und nedten 
ihm auf Die verwegenſte Art. Das Thier ſchien indefſen ebenfo 
wenig zum Spaß aufgelegt zu fein als feitt Vorgänger, ımb ba 
fich feine Teichtfükigen Gegner noch weniger in At nahmen 
und nicht fo häufig die tettende Schranke auffuchten, ſo kamen 
einige in ſehr unangenehme Berllftung mit ben Hoörnern des Gol- 
babo. Einen fahte das Thier in bet Mühe des Gofengırete& und 
ſchleuderte ihn mehrere Schritt weit jo nachdrudlich in den Sand, 
daß ber Chulo ein paar Setimden Yang unbeweglich ‘Tlegen’'BLeb. 
Einem andern ging es noch jchlimmer. Diefer hatte den Stier 
über alle Gebühr genedft und wurde nun, ohne daß fich das Thier 
don den übrigen irre machen Lich, fo Bartnätig an bie Schranten 
verfolgt, daß er nicht mehr Zeit Hatte, ſich hinüber zu ſchwingen. 
Hie und ba hörte man ſchon einen Angſtſchrei ımter ben Juſchamern 
und es war ein unbefaglicher Anblich als man Jah, wie der Etier | 
mit voller Kraft gegen ben Chulo und die Bretterſchranle arinmıte. 
Obgleich die Hörner umwickelt waren, Hätte doch ber-Stoß den 
Chulo unfehlbar zerquetſchen müfjen, wenn er nicht das Gläd ge 
habt Hätte, bon dem Gtiere zwiſchen bie Hörer gefazt an erben. | 
Aber er verdiente dieſes Gluck durch feine Geiftesgegenwart; dem , 
da er wohl wußte, ber Stier werde fich nicht mit dem efmzle 
Stoße begnügen, fo fahte er mit fait übermenſchlicher Kraft 
Hörer, nicht um ben Stier zurlictzuhalten, was unmdalich 
täre, ſondern um fich bon demfelben in bie Höhe ſchleudern 
laſſen und fo dem fidjeren Tode zu entgehen. Died geſchah 
auch, und gleich darauf ſtog ber Thulo rückwäris uber ben Sti 


Ein Stiergefecht. 195 


isn ben Ring zuxlet, too ex übrigens auf bem Sande Liegen blieb 
und weggetragen werben mußte. So viel wir fpäter hörten, kam 
ex mit einer zerbrocjenen Rippe bavon. 

- Eine Bariante dieſes gewagten Gpperimentes, welches der 
Chulo. ausführle, tommt in den Annalen der Tauromachia zu⸗ 
weilen, aber ſehr felten vor, Heißt daun Salto sobre testuz (ber 
Sprung über ‚ben Kopf des Gegners), wo nämlich ber an bie 
Wand gebrängte Toreador in dem Augenblide, wenn ber Stier ben 
Kopf fentt, um ihn au fpießen, feinen Fuß zwiſchen bie Hörner 
des Thieres jeßt, und, von ber Todesangſt getrieben, über ihn Hine 
wegipringt. Gin Vorgänger von Montes, ich glaube ber ebenfo 
berüßinte Fraucisco Romerp, kam übrigens dabei auf eine fchred- 
liche Urt uw’3 Leben. Cuendia in jeinem Buche über Spanien 
exaahlt biefe traurige Kataſtrophe auf folgende Weile: 

„Es wax nad einer, glänzenden Corrida, die der Hof mit 
feiner Gegenwart beehrle, al ber tapfere Eſpada zwiſchen ben Toro 
und las Tablas geriet. Ras Tablas nennt man die Bretterein⸗ 
faſſung des Cirkus, über welche ber Torero manchmal mit einem 
Spꝛuuge ſehen muß, um fein Leben zu retten. Monles Vorgänger 
war in der höchften Gefahr; zu nahe an ben Tablas, um einen 
Anlauf zu nehmen, viefeicht auch zu flolz, um die Flucht zu er⸗ 
greifen, entfchließt ex ſich Taltblütig zum Salto sobre testuz. In 
dem Yugenblide nämlich, wo ber Stier fi bemäthigte und 
‚bie Horner jenkte, um ihn zu fpieken, feßte er zwiſchen dieſe Hör: 

ner an bie Stien des Thieres ſeinen Zub und führte mit unglaubs 
Hide Gfmondihein unb Hanrfkräubender Küfnheit ben gefährlichen 
Sprung. a. Das unbaxmherzige aber gerechte Publikum erfüllte 
hen Cirlus foglei mit einem Schrei ber Bewunderung. Unglüd- 

Uücherweiſe Lit ‚ber König am Zerftreutgeit und Hatte daher von 
ber werkwürdigen ‚Scene, nichts geſehen. Seine Majeftät hört 
aber das Beifallsgeſchrei des Volls und will bie Urſache wiſſen. 
Darauf erzahlt man ihr bie Helbenthat des Torero. 
»Da capo!« ſagte ber König; „er mach' es noch einmal‘ 


196 Siebentes Rapitel, 


Wahrſcheinlich glaubte Seine Majefttt damit ben Torens 
eine große Ehre zu erweiſen. 

„Der Torero gehorchte! . 

Was er einmal, getrieben von ber Dobelgeſſehr mb ii einem 
Augenblice raſender Begeifterung, glücklich gewagt Hafte, dad Willie 
er jeht auß übertriebenem Gehorſam gegen ben König und aus 
verblendetem Ehrgeiz noch eimmal' improvifiren. Auch Hielt'ex fich 
nicht an die Regeln ber Kunſt. Der Stier ſtellte fich nicht wie 
das erfte Mal, Statt den Kopf zum Gtoße gu ſenken unb- in 
biefer Haltung anzurennen — eine Bewegung , ‘auf Bie ber Kopf⸗ 
ſprung berechnet ift, der in bieſem Fall den Torendor Hinter dem 
Stier zur Erbe ſendet, wo er; Dank ſeiner Geſchicklichteit, mit ge: 
zaben Beinen ben Boden erreicht — ſtatt beffen Kalte bie Beftie 
Halt gemacht und in dem Angenbfide, wo ber Fuß ihre Gliche 
berüßete, ben Kopf euporgeworfen, Jo bat; der Toreabor das Gleich 
gewicht verlor und — fiel. 

„Ein Angftſchrei erſchallt, die Verſammlung ghe liauſt ein 
Zobesfchauer! Der Stier rennt nicht mehr; er trabt langſam, mit 
erhobene Haupt, das Auge in Flammen, rings um die Arena, 
als wollte ex ben entfegten Zufchanern feinen Siegeskranz zeigen, 
ben blutigen Kranz, ben ex fich aus ben Eingetveiben feines Feindes 
gewunben Hatte. er unglückliche Toreador lag geipießt auf den 
Hörmern und zappelte vergebend, um fich loszumachen, iuid wand 
und krämmte fich im Krampf und in ben Aengſten bes Tobet. Ex war 
mit ganzem ſchwerem Leibe auf bie Spipen gefallen und daran Hängen 
geblieben. Das Nebrige that die Wuth bes gereizten Thieres.“ 

Der unangenehme Vorfall, von welchem wir vorhin erzählt, 
verminderte indefien burchans nicht ben Mebermuth der Anderen 
und ber bımte glänzende Schwatm war dem tiere nun ſo dicht 
auf bem Leibe, daß ex fich ihrer kaum zu erwehren Im Gtaribe war. 
Freilich purzelten bald recht, bald Links einige ither dinaitber Hin, 
denen ber Stier mit einer raſchen Seitenbewegung zu male: kam; 
doch ſprangen fie lachend twieber auf, um ihre Tindiſche Neckerei 





Ein Stiergefeht, 197 


mit dem, Tiere — anders Kann man es wahrhaftig nicht nennen — 
fortzufegen. Schon lange Hatten ein paar darnach geftzebt, ihm die 
bunte Schleife zu entreiken, bie auf feinem Rüden befeftigt war; 
dech Hatte Soldado bis jeßt alle ‚dergleichen. vertrauliche Annahe - 
zungen jehr übel aufgenommen und bald flog Der rechts, Jener 
lints in ben Sand, Endlich gelang. es Einem, die Schleife zu er— 
Bafchen, wofür er von ben Zuſchauern durch ein unendliches Bravo 
belohnt wurde. Gin Anderer hatte unterbeffen fein Sadtuch aus 
ber Taſche gezogen und ließ es fich von bem wild daherſtürzenden 
Thiere vermittelft des Hornes aus ber Hand reifen, Lief aber gleich 
wieder hintendrein und war fo glücklich, es nun feinerfeits dem 
Thiere wieber abzunehmen. Schon vorhin erwähnte ich eines Chulo, 
der fich durch feine Kühnheit auszeichnete. Diefer erſchien mit einer 
langen Springftange im Ringe und wir wußten lange nicht, was 
ex bamit wolle; endlich aber erfpähte er einen günftigen Augenblick, 
wo das Thier gerade eine Sekunde ftil fand, ſtühte feine Stange 
auf ben Boben und ſchwang fich in getwaltigem Sprunge über ben 
Stier hinüber, Un einem Male hatte er übrigend nicht gemug, 
boch ware es beffer geivefen, wenn ex ſich bamit Pegnügt Hätte; 
benm beim zweiten Mal, al? ex gerabe fprang, ‚machte Solbado 
eine Geitenbeiwegung, ſtieß am die Stange und ber Chulo, ber ges 
rade im der Luft ſchwebte, fiel .gemau auf ben Rüden und zwiſchen 
bie Hörner des Stiers. Daß ihm biefer zu einem neuen und kräf⸗ 
ligeren Aufſchmung verhalf, brauchen wir eigentlich nicht. zu Tagen: 
bei ah Fuß hoch warf ihn Soldado in bie Luft und eß war ein 
Glüd, daß er inmitten einer Gruppe feiner Kameraden niederfiel, 
bie ihn auffingen und fo .einigermaßen den Sturz ſchwächten. 
Dieſes ganze Echaufpiel an fich war übrigens komiſch genug 
und aud) intereffant, Die gewandten Leute im ihren bunten Ko— 
ſtümen in immerwährenber Bewegung, ‚bald auseinanderfahrend, 
Halb fi wieder zufammendrängenb, dazwiſchen ben dunkeln, faft 
ſchwaxzen Stier, der fich jet Unis wandte, dann gerabenus ftürgte, 
um fi an ber anderen Seite bed Ringes, auf's Neue von den 


198 Siebentes Kapitel. 


gellfarbigen Tüchern geneift wieder zu wenben — es mar eine 


Scene vol Leben und Bewegung. Hauptfächli nahın es fich 
seht gut amd, wenn ein einzelner Chulo, vor dem Stier fliehend, 
demſelben den laugen Mantel zwiſchen bie Vorderfühe ſchieuderte 
was ben Stier meiſtens einen Augenblick aufhlelt, indem er ges 
wöhnlich das Zeug mit ben Hoͤrnern zerzauste, ‚che er aufs Neue 
feine Verfolgung begann. 

Alles Bisherige war inbeffen nur Vorſpiel geweſen. Seht war⸗ 
fen bie Kämpfer ihre Mäntel über bie Schranke und fingen ar, 
ben Stier ernfllich zu flellen, was damit begann, daß fich zwei 
nah langeren fruchtlofen Verſuchen endlich an den Schweif des 
Thieres Höngten, Soldabo nahm dies jeboch jehr Abel auf und 
rasle mit feinen Anhängfeln in fo tollem Lauf durch den Ring, 
daß fie im wahren Sinne des Wortes geichleift wurben und am 
Enbe wieder loslaſſen mußten. Ein paar Anderen erging e nicht 
beffer und einem dritten Paar gelang es nur daburch, ben wüthen⸗ 
ben Zauıf des Thieres zu hemmen, dah fid) zugleich bier ihrer Sa: 
mexaben je zwei und zwei zu gleicher Zeit an die Hörner bes 
Stiers Yängten. Dies machte Solbabo einen Augenblid fluhig, 
und nun hatte er fein Spiel verloren, Wie toll ftürzten alle 
übrigen Chulos und Banberilleros. auf ihn zu, fahten Schweif, 
Ohren, Hörner, Fuhe und nachdem fich der Gtier noch einige Mi⸗ 
nuten mit aller Kraft gewehrt, wobei mancher feiner Angreifer 
tuchtig zuſammengeprellt wurbe, ftanb er wie ein Lamm und mußte 
es geichehen Yafien, daß ihn feine Sieger. triumphirenb im Schritt 
durch den ganzen Ring führten unter ſchallendem Händeklatſchen 
and tanfenbftimmigem Freudenruf ber Zufchauer. : 

Bon bem vierten Kampfe, in welchem ber Stier Sigero, auf: 
trat, ift nichts zu Jagen, als daß dieſes Thier noch ſchlechter tar, 
als der unglüdliche Canario. Er fiel unrühmlich, ohne einem Pferbe 
auch nur bie Haut gerigt zu haben, unter bem Meſſer des Cachetero. 
Damit mar bad Stiergefeht zu Ende, und wenn es. auch Tein 

„ glängenbes, d. 5. blutiges genannt werben Konnte, jo Hatte e& doch 


Ein Stiergefedt. 199 


für uns ben Vorteil, dab wir den Gang und das Weſen eines 
ſolchen Kampfes in diefen paar Stimben beſſer kennen lernten, als 
durch eine Menge Beichreibungen, die toir früher geleſen. 

Das Stiergefecht, für welches Heutzutage alle Klaffen des ſpa⸗ 
niſchen Volles die größte Leidenſchaft zeigen, gehörte ſchon feit ur⸗ 
altey Zeiten mit zum Ruhm und Glanz des Landes. Man ift ungewih 
darüber, woher biefe Volfsbeluftigung eigentlich ſtammt; Einige wol ⸗ 
len biefelbe von ben Cirkusſpielen der Römer herleiten, Anbere ans 
ber Gothenzeit, wieder Andere erflären fie fire eine uralte Iberifche 
Sitte; gewiß if, daß fle ſchon zur Maurenzeit ein vitterfiches Ver⸗ 
gnügen war, dem fi} damals bie Bornehmften des Landes Hin« 
gaben. Auf der Bivarrambla in Granada Jah man ſchon bie Ritter 
Zegris wie Abenceragen, unter ber Regierung Muley Haſſans, bes 
Waters bes Iehten Königs Boabdil, gegen ben Stier in die Schranken 
treten. Am Tpäteren chriſtlichen Hofe Spaniens thaten bie größten 
Helden, damaliger Zeit baffelbe und Don Guzman, ber Eid, Don 
Sebaſtian, König von Portugal, und Karl V. gehörten zu den Tühnfien 
Zoreroß, Dagegen fuchten auch manche Herrſcher die Stiergefechte 
zu unterbrüden, fo Iſabella J, welche nie einen Sterplat- beindite 
und während deren Regierungszeit die Hörner bes Thieres mit Ku⸗ 
geln verfehen fein mußten, um bie Kraft des Stoßes zu brechen; 
und während Philipp IV. noch in höchf eigener Perſon den Gtier- 
plafı Deteat, zeigte fid) Philipp V. ala enticjiebenfter Wegner bieles 
Tpanifggen Nationalvergnügend. Obglei er & nicht au verbieten 
wagte, fa gerieth boch bie Tauromachia während feiner Regierungd: 
zeit fo in Verfall, bafz fie aus einer „noblen Pafflom“ ein beſoldetes 
Handwerk wurde. Damit änderte fich auch das ganze Weſen bes 
Stierfampfes und ftatt daß früher ein einzelmer Reiter auf gutem 
flartem Pferde dem Thiere mit Jagbſpich und Schwert entgegentrat, 


erſchien jebt die Onadrilla in ihrer heutigen Zufammenfehung: bie 


Picadores, Banderilleros und zuleht der Eſpada, welcher dem Stier 
31 Fuß entgegentritt, um ihn Auge gegen Auge mit einem Degens 
ſtoß zu töbten. Nur zuweilen noch trafen bornehme Liebhaber mit 


— —— 





200 Siebented Kapitel, 
den „Leuten dom Handwerk“ in die Schranken ober wurden Gtier 
gefäte, wie das ebenbeihriebene in Bamelona ; von Aficionadez 
puros (eifrigen Dilettanten) in Ecene gelekt. J . 
Wie ich ſchon Eingangs dieſes Kapitels vemerrte, werden die 
Stiergefite in Spanien nur in ben Grihjahe> und Sommer 
monaten, von Mai bis Ende September, abge! 
denn Leider auf unferer Reife durch Spanien teines ber glänzenden, 
8.4, Blutige, zu eben Belamen; man fake anf ein Stierarfeht 
in Madrid zur Zeit ber Geburt der Prigelfin- am TO. Jarııt 
doch rede e8 dur ben gleid Darauf erfolgten Tod berfelben I” 
Hinbert, Obgleich fic; alle Stiengefehte mehe ober minber gleichen, 
fo Tommen doch dureh bie ZWilfeit eines Stiees, feLDFE buch Bu 
fäigleiten oft bie intereffanteften Wötehölungen vor. SP erzatu 
Rocau in feinem vorkefffigen „Reielehen in Spanien” dar der 
@pifobe eines Stiergefechts zu Mobrib, welche mir intereffont genug 
efeint, um fie im Muspuge mitzuteilen, Ein füteiter, Fir 
Sir, {m der Mt ie Der oben befricbene Ganacin, uf ben [rg 
Seurcpfeile nit bie geringfie iebung anähkten, wurde mit ON 
Dei gehept unb dann Bud einen fhfäcternähigen Begenfob in 
die Weichen ſchimpflich getötet, B 
«Da Publitum war nad) immer mit der Hundshoh, einer 
Ieße jeltemen Ecjaufpiefe, Kefiäftigt,” To ezatit Rodhaı vol feft 
Ohme Bemertt zu erben, Tangfamen, aber fißenen Gange br Mr 
Stier in den Ring fepritt, [amarbroun von Barbe, flet, Hinten 
niebriger gebaut ald born, hie Hörer fir: gu 
geſtellt, um mic; eines Seßtboben her zu 
biemen. it — a ae Eimiläloge 





| 
| 


Ein Stiergefecht. 201 


en 
nn Deine, fötnang. SSuxdit und Ereden bereiten in dem ganı 
Venen t und p, h H . 
Ferm SU aren forigehintt, und fie übereiften fich nicht, vom 
Deep gr , 
Fey Tor r Shiex tar Meifter bes Plaher, ben er Tautfcgmaubend 
on 


um 
Sn ig Tem arrS. CEmbiii vitt br vece Picabor.auf einem 


u aaa were Yofpie beide Hhener vis an die Munzel 
Pe ipferDeS. Daz fd wib ufbhumte und ber Picader 
Rn ya rezz Ders Haben mirde, wir ie wit ein von! 
Gngesmwefere. sit fıtmer Geifesgegentuart alte ber 

Neore IEALe mit ber anze ah, während der Gaul 


> 
— 


202 Siebentes Kapitel, 


lerzengerade auf ben Hinterbeinen fland, und ber Stier, durch bie 
nene Wunde noch wüthenber geworden, führte Stoß auf Stoß gegen 
ben Bauch und gegen bie Seite be Pferdes, bis es am Boden lag, und 
auch dann noch wühlte ex mit grimmiger Wolluſt in feinen Eingeinei- 
ben, Der Enthufiasınua bes Publitums, der bei biefem Anblicke oz 
brach, läßt fich nicht beſchreiben. Barbaro! barbaro! rief-man von 
allen Seiten im Tone der Begeifterung und mit verklärtem Geſichte. 
Diefed Wort, weit entfernt, ein Vorwurf zu fein, if bei ſolchen Gr- 
legenheilen der Höchfte Ausdruck des Beifall, e if der Superlatin bon 
Bravo, Que barbaridad! ruft man bewunderud, wenn ber Degen bem 
Stiere das Eifen Bis an das Heft zwiſchen bie Schultern Ttöht, 
„Der Picador war in ber augenfcheinlichften Gefahr. Er Ing 
einen Schritt weit von dem Pferde auf dem Sande, feine mit Baum 
wolle fteif auägefütterten Lederhoſen machten es ihm unmöglich, raſch 
aufzuſpringen und davon zu Laufen, und er wagte nicht, ſich au 
rüßven, um bie Aufmexfjamfeit des Stier nicht auf fich zu ziehen. 
Nach einer langen peinlichen Minute — peinlich für den Pirador, . 
nicht für die Zufchauer, im Gegentheil — wagten fich endlich ein 
paar Chulos ihrem Kameraden zur Hilfe heran und ber Stier Lich 
das zerfeßte und zegungalofe Pferd Liegen, um auf jene ſchnellfühigen 
Gegner. Jagd zu machen. Exft auf das ſtürmiſche Verlangen bes 
Publikums erichienen neue Pferde in dem Ringe, von denen ber 
‚Stier in wenigen Augenblicken noch brei außteibete, ohne daß feine 
Kraft und feine Kampfluſt beihald abnahm. Ich glaube, er würde 
ben ganzen Stall be Empreſſario geleert Haben, wenn ben. Pico: 
dores, don denen Übrigens auch zwei im ſchweren Falle Schaden 
genommen Hatten, nicht der Muth aufgegangen wäre. Gegen alle 
Regel des Spiels rief bie Trompete bie Banderilleros, ehe ber Stier 
daB minbefte Zeichen der Mattigkeit oder der Flauheit gegeben Hatte. 
Mit Müße und Noth wurde ihm ein einziges Paar Banberillas 
beigebracht und dann erſchien ber Eipaba, hen ber Stier bald als 
feinen Hauptfeind auß ben übrigen herauserfannte. Ohne bie Heraus⸗ 
forderungen des Degend abzuwarien, lief er aus freien Stüden 





Ein Stiergefecht. 203 


gegen benfelben am, umb zwar mit fo drohender Miene, daß ber 
Gpuba, ſtatt ben Feind fichenden Fußes zu erwarten, wie ein 
Wimdfpiel davon rannte, Mantel und Echtvert wegwarf und in 
angftvoffet "Haft über bie Schranken ſprang. Gellendes Pfeifen, 
Ziſchen unb Hohngefchrei begleiteten ihn auf feiner ſchimpflichen 
Zlucht. Sel es Furcht ober Scham, ber entflohene Degen kam nicht 
wieder zum Vorſchrin und ſtatt feiner trat der „Chiclanero“ auf 
bie Bühne, nicht ber große D. Francisco Montes, ber gleichfalls 
aus Chiclana iſt, aber ein twitrbiger Landsmann und Nebenbuhler 
des großen Montes, Redondo geheifen, Im kurzem Tanzmelſter— 
ſchritt ging er quer durch die Bahn, ohne auch nur einen Seiten ⸗ 
blick auf ben Stier zu werfen, um mit zierlicher Verbeugung ben 
Alcalben und dad Ayuntamiento zu grüßen. Daun wandte ex fich 
delafien gegen den Stier, ber ihn inzwiſchen ſchon auf das Korn 
genommen Hatte, Die beiben Gegner kamen fi) auf halbem Wege 
entgegen, ber Stier biefes Mal mit verfaltener, berechnender Bos- 
* Heit und Ber Degen, troh feiner affektfrten Gelafſenheit mit- unver- 
tennbarer Spannung 'aller feiner moraliſchen Kraͤfte. Als ex dem 
Stier Aug in Auge auf drei Schritte gegenüberftand, warf Chiela⸗ 
nero feine Mübe ab, um freier zu fein, nahm den Degen, ben er 
518 dahin nachläffig in ber linken Hand getragen Hatte, ſtoßfertig 
dr die Rechte, und fing an mit ber Linken den rothen Mantel 
(obex vielmehr das rothe Tuch, das don dem Mantel nur noch ben 
Namen bat und das an einem kurzen Schafte wie eine Fahne bes 
feftigt iM) vor bem Geſichte des Stiers Hin und her zu bewegen. 
Dieſer zielte einige Sekunden mit ben Augen, bog dann ben Körper 
etwas zurüd und erreichte mit einem Sahe das rothe Tuch; ber 
Mann war mit einer leichten Seitenbewegung dem Stoße ausge: 
wichen. Beide Kampfer, als ob fie beide auf dieſes Fechterſtück ein- 
geübt twären, wandten fich gleichzeitig mm nud daſſelbe Spiel begann 
zum zweiten und zum beiten Male. Als fie ſich zum bierten Gange 
anfchiekten, Jah man lelcht aus ber veränderten Haltung des Eſpada, 
daß bieß ber letzle fein follte, Der Ehielanero mar um eine Spanne 


204 Siebentes Kapitel. 


arbher geworden, er trug ben Kopf mit einem unglaublichen Aus 
drude von Stolz, ſein Auge flammte und er Vegte die Hand fefter an 
ben Griff des Degens. Jeht nahm ber Stier feinen Ankauf, und 
im Sprunge felbft fuhr ifmm-da2’ Elfen wie ein Vithſiraht in bie 
Wurzel bes Nackens. Er Grad; unlker diefem Meiſterſtoße zu ben 
Füßen des Siegers zuſammen und nach einem einzigen Zücken lag 
ex tobt auf dem Boden. Auf den jandhzenden Zarif, mit; be bad 
Publikum diefen Schwertſtreich belehnte, würden Liszt und Rubini 
eiferſuchtig ſein. Viele der Zuſchauer, nicht zufrieden ihre Hüte zu 
ſchwenken, ſchleuberlen fie weit in den Ring hinein. Gin ſolcher 
Ausgang bed Kampfes iſt in der That außerſt ſelten. Bon vierzig 
bis fünfzig Stieren habe ich nur dieſen einzigen auf ben erſten 
Stoß fallen ſehen. Die erfte Wunde ift allerdings zuweilen töbte 
lich, aber der Stier lauft gemögnikhimbeh mehrere Minuten ober 
auch BViertelftunden lang mit dem Degen im Naden umher, Der 
Stoß zwifchen: bie Hörner, ber wie ein elektriſcher Schlag tötet, 
laßt fi nur daun anbringen, wenn ber Slier bereils fo weit: ex 
ſchöpft ift, daß ber Efpaba ganz nahe vor ihn Hintreten und mit 
aller Muhe zielen darf, Deßhalb ift diefer Stoß niemals ber erſte. 
In Sevilla fah ich von Montes zwei Stiere auf biefe Weife töbten, 
been ee zubor ben Degen eine Elle tief in ben Leib gerannt Hatte. 
Der Stier fland dor ihm, faft unfähig ſich zu rühren, Montes bog 
fich mit lang auögeftredftem Arm nach ihm hinüber, ſuchte init der 
Degenfpike die töbtliche Stelle und auf eine Kleine Handbewegung 
nach vorn fiel der Stier zur Erde, wie vom Blitze erſchlagen. In 
Madtid iſt dieſer Stoß. ausſchliehlich dem Knechte votbehalten, ber 
dem Stiere mit dent Meffer ben Garaus macht, wenn er halblodt 
am Boden Liegt, Ein: Eſpada, der Miene machte, einen ſchwerver- 
twundeten, aber noch aufrecht · flehenden Stier nach „ber Waſe von 
Sevilla“ zn töbten, mußte dem proteftirenden Geſchrei des Publikans 
weichen. Der Vewegtrund zu dieſer leidenſchaftlichen Einwede koumte 
kein anderer fein, als bie Luſt ander Verlängerung bes Todes⸗ 
lampfes des armen Thieres, daB wahrhaftig nichts. Drametifches 


Ein Stiergefecht. 206 


Hatte, Der Stier fühlt den Tod in ‚ben Eingetveiben, ex ift unfäßig 
zum Angriff, unfähig zur Vertheidigung, einer ber Chulos darf ihn 
ungeitraft am Beine faffen, ein andexer zerxt ihn am Schwanze. 
Mit Mühe hat er fich bis jetzt aufrecht erhalten, er fängt an au tau⸗ 
wieln wie ein Betxunleuer, bad Blut ſchiehzt ihm armdick aus dem Maule, 
bie Beine verſagen ihm den Dienſt, es finkt in bie Kniee, rafft ſich 
wieder auf, macht noch ein paar Schritte und Rürzt von Neuem zu Bo- 
den. Und waͤhrend der Stier diefen Todedlampf Läpft, ſpielt bie 
Nilitäymufit die Inflige Polka auf, ba? Publikum jubelt und bie 
Dnabrillg.tanzt um ige Schlachtopfer einen Kannibalenveigen.“ 


Achtes Rapitel. 
Ein Veſuch auf. dem Montferret, 


Rad dem Montferrot! Ber Ommibus diarlo. Spaniſqhe Faprgelegengeiten und 
bee Beipammemg.: Majoral und Bag. "Wırjeuthalt am Tore. Spaniſche Sand» 
fragen und gahet auf denfelßen. „Eiparraguern. liegemedel, Unfere erfle 
Zartane. Pradtvoter Anblit des Montferrat. Gefährliger Ritt zu Gel. Blie 
im das XHal. Mnblil de Moers. Tiefe Erle und Ruinen. Die ärnliäe 
Bermdeuberberge. Maleriiie Ueberssfte deR Mlaflers: Der freundlige Prior. 
Die —— Rue und Geben, Der unergeftühe Rlonganten. 
Biwelunbfiebzig Iahre In diefer Ginfamteit. Meg nach der Epipe der Berges. 
Sin Sandmann bei gefägtkigem Rürge. Die Einfedelcen. Der Belfengarten. 
©t. Geronimo. Die Ramen unfeier Sieben. . Cine Frügmelle. Die Bolen des 
heiligen Berges. 


Wenn man ſich aus ber Jugendzeit ber Sagen und Geſchichten 
eriumert, welche man von den geheiligten Bergen, bew Sinai, dem 
Karel, gehört, fo tritt einem zugleih das phantaſtiſche Bild des 
Montjerrat lebendig vor die Seele, Man entfinnt ſich ber Erzaͤhlung 
vou dem Marienbild, das dort in einer Höhle aufgefunden wurde, 
baß man zu deſſen Verehrung ein grohes Kloſter baute und daß der 
Ruf der Wunder, die Hier geſchehen, tauſend und aber tauſend von 
Andachtigen auf bie Höhe biefer Felſen zog — Bettler wie Konige. 


206 Achtes Kapitel, 


Wie gern hörten wir nicht von den Kixfiehlern,. bie an berjchjebenen 
Stellen des Bergs in lleinen Kapellen ihre Lebenägeit verbrachten 
unb glaubten fo feft der Tradition, bie uns fagte,.bie Spihe des 
Montferrat, bie wir Beute. in fo wunderlicher Geflalt zerflüftet 
ſehen, fei exft zerriſſen worden in ber Tpbeäftunde Jeſu Chriſtij. 
Den Sinai hatte ich — wenn auch qus weiler Entfernung — 
gefehen, auf. bem Karmel eine Nacht zugebracht und hier in Bar 
celoua befand ich mich Wenige Stunden Wegt vom Monijerrat 
entfernt, weßhalb begreiflicherweiſe der Wunſch in mir vege wurde, 
demſelben einen Beſuch zu machen. Wie aber hier in Spazien über: 
haupt ſehr wenig zur Bequemlichkeit der Reifenben gethan iſt und 
am allerwenigften, um auf angenehme Art von einem Ort zum 
andern zu gelangen, fo mußte man fich, um dieſe Tour zu machen, 
entfäjliehen, einen Omnibus biario zu Denußen, ber zur Hödhft un: 
pafienden Zeit, nämlich Nachts um 2 Uhr, von Barselana abgeht, 
Natürlicherweiſe ift hiedurch Die ganze Racht wendozben, denn 
man lann dem Schlaf nicht gebieten, daß ex um 10 Uhr Komme 
und und für ein paax Stunden mit feinem erquidenden Schleier 
bedecle. Ein junger Däne, ber mit uns die Tour machen mollte, 
Sorſchelt umb ich Hatten und das Coupe des bejagten Omnibus ger 
nommen und ala wir gegen halb 2 Uhr durch bie Gafſen Barce- 
Iona’3 nad) dem Ort der Abfahrt gingen, kann ich nicht fagen, daß 
die Stabt, troß ber ungewöhnlichen Stunde, menſchenleer ober ſtill 
geweſen · wãre; auf der Rambla braunten noch immer heil und luſtig 
bie Gasflammen und zahlreiche Nachtſchwärmer trieben fich dort 
umher, in ihre Mäntel eingehüllt, pfeifend, fingend. und lachend. 
Der Aublick des Omnibus flöhte und ein geheime Grauen 
ein: er war eng, alt und hinfällig, namentlich; aber ſchien bad Coupe 
nur für drei Zwerge wit ſehr unbebeutenden. Beinen eingerichtet 
zu fein; die Beipangung wäre für Deutjchlandg gute Wege wahr⸗ 
Haft verſchweuderiſch geweſen, fünf Eräftige Maulthiere ftauben vor 
dem Wagen, bie ungedulbig hin⸗ und hertzaten; und auf dem Pflofter 
ſcharrten. Die Beſchirrung biefer Zugthiere in Spanien iſj höchſt 





Ein Beſuch auf dem Montferrat, 207 


einfach, denn obgleich bie Kopfgeftelle reich mit rothen Ouaſten und 
“Heinen Gloden verſehen find, haben nur bie Stangenpferde Zügel, 
welche der Mahoral, ber born anf einem Banket ber bem Coupé 
ſiht, in der Hand Hält. Zur Leitung ber vordern Thiere hat er 
einen Adjntaunten, beit Zagal, gewöhnlich ein aufgefchuffener Bengel 
von vierzehn bis ſechzehn Jahren, Ber jenen "Bla auf dem Tritt: 
brett bes benannten Bankets hat. Der Zagal iſt Peitſche und Zügel 
au gleicher Zeit; er ſchreit bein vorderen Thieren zu, fie follen rechts oder 
links gehen, unb wenn eine einfache Ermahnung nicht fruchtet, jo 
Hat ex die Taſche do Heiner Sieine, bie er mit geſchictem Wurf 
den Thieren an eine kihliche Stelle des Korpers wirft; und in bem 
"Tall, daß das Maulthier, welches die Spike führt, Anwandlungen 
von Eigenfinn zeigt, ſpringt er behende bon feinem Sihz herab, eilt vorne 
Hin unb übervaföht ba® betreffende mit Eräftigen Peitſchenſchiagen. Der 
Zagal ift in diefen Dienfkleifturigen unermüdlich, ſtundenlang fiht er 
nicht eine Minute ruhig auf feinem Plaßz: jegt $pringt er auf ben Bo: 
den, um das ganze Geſpann ber Reihe nach mit feiner Peitfche zu be⸗ 
dienen; gleich nachher Hüpft er wieder auf feinen Siß und wenn bie 
Hand ruht, iſt dafür feine Zunge um fo thätiger. Bald ſchmeichelt 
er den Thieren, bald Aberhäuft er fie mit ben ehrenrlhrigften Schimpf 
worten, unb Die Maulthiere verfichen jebes feiner Worte, jeben 
Zungenfchlag, benn wenn fie in biefem Augenblick etwas fangfam 
ben Berg hinantraben und ber Zagal läßt anf einmal durch die 
Stille ber Racht Jein lauttönendes: Hatia, Hatla! erſchallen, fo ſcheint 
Re neuer Lebensnmth zu durchſtrͤmen, Re heben Köpfe und Weine, 
Glocken und Meffinggefchter klingeln und vaffeln, in vollem Galop 
jagen fie dahin, jo daß ber morſche, feufzende Wagen wie ein Bes 
trunfener in ben tiefen Löchern der Strahe Bin» und herwankt und 
dem armen michtefpanifchen Paſſagier Hören und Gehen vergeht, 
Punkt 2 Uhr etterten wir alfo im unſer Coupe Hineln and 
nachdem ſich unſer Düne ſowie Horſchelt niebergelaffen Hatten, war 
Laum noch vᷣlah abrig fir ein fechejahriges Sind, weicher für meine 
etwas breite Geſtalt genügen follte. Der Mayoral zuckte die Achſel, 


208 After Kapitel 


ſchob mich Hinein, ſchloß ben Schlag, und da faßen wir neben eine 
ander eingeleilt, ohne die Möglichkeit der geringſten Berwegung: 
Was den Sig anbelangt, jo. Hätte man fich ‚dad am Ende ſchon 
gefallen laſſen Tönen, aber bie. Beine waren noch ſchlimmer darau; 
ber Lange Horſchelt machte die fehrerklichfien Verſuche, ohne 3: einem 
angenehmen oder glüdlichen Reſultat zu. gelangen, Die: Abfahrt 
war ziemlid) pünktlich, der Zagal. bediente - Die Maulihiere mit 


einigen kräftigen Hieben unb dahin vaffelten wir durch enge Strahtn 


nach ber Puerta de Santa Madrona. Doc) waren wir nicht ſo glück⸗ 
lich, dieſes Thor baldigſt pafficen zu Lönnen und die offene Bande 
ſtraße zu erreichen, Dieffeits defſelben hielt plöpkich unfer Oumihus 
und als ich zum Wagenfenſter hinausſchaute, bemetkte ich, daß die 
ganze Strafe vor ung mit Fuhrwerken gleich dem. unfrigen voll⸗ 
gepfropft war, Bon Barcelana aus gehen mehrere Poſten unb Ver⸗ 
bindungswagen für benachbarte Stäbte: zwiſchen ein und zivei Nix 
Nachts ab, und da e für den ſpaniſchen Thorwächter zu mühſam 
twäre, jedem einzelnen aufzuſchließen, jo wartet ex bis eine: häbſche 
Anzahl beifammen ift, um fie bar alle miteinander hinauazulaffen. 
So Lange wir hielten, ſchloſſen fi} immer neue Wägen und Om: 
nibuſſe an ung an, mit ſechs, acht bis zehn Maulthieren beipamt. 
Obgleich wir faft eine Halbe Stunde warteten, muß ich bach zur 


Ehre ber Spanier geftehen, dab. fein Wort bes Mifvergnügen? lant 
wurde und fich Jeder ruhig in fein Geſchick ergab. Endlich wurden 


wir erlöst, man öffnete bad Thor und auf einem fürdjtexlichen Weg 
durch bie Feſtungswerke der Stadt, wobei ber Wagen bald rechts, 
bald Yints in fußtiefe Löcher hineinkrachte, gelangten wie in's Freit 
und zollten auf ber Löniglichen Landſtraße von Mabrid gen Ehparn ⸗ 
guera, Unfer Wagen war jehr befeft, im Interieur ſecht Perfanen, 
im Coupe drei und auf bem Banket, wo nur für ebenſo viele Plag 


war, wechfelte die Zahl der Mitreifenden beftändig zwiſchen fünf und - 


ſechs, don denen begreiflicherweiſe bie an ben beiden Enden formlich 
rechts und links überhingen; ich habe ben. Zagal Hier nicht mit 
gerechnet, denn dieſer arme Teufel Hatte feinen Plah ‚bald auf. bem 


...... — 


Ein Beſuch auf dem Montferrat, 209 


Zxittbreit, bald auf der Straße und bald in der Ruft, benn ex 
brachte wenigftend ein Viertheil des Wegs mit Auf» und Abfpringen 
zu. Der Mayoral dagegen war eine dicke Stanbesperfon, bie gra: 
vitãtiſch ſthen blieb, im brauner Fade, vother Mühe, ein Tuch um 
ben Hals geſchlungen und um die Schultern bie vielfarbige ſpa— 
niſche Decke, welche die Stelle bes Mantels vertritt. 

So xollien wir bafin in dien Staubwolken, bie mau mehr 
fühlte als jah, über ums den wunderbar Haren ſüdlichen Himmel 
mit fimtelnten Sternen ; aber unfer Coupé zu drei Perfonen war 
eine vollftändige Marterkammer, bazır die fürchterlichen Gtöße bes 
Wagens, das ewige Geſchrei des Zagals, hinter um aus bem Interieux 
bie Düfte verfehiebener Ziviebelforten, von born ber ſchlechte Geruch 
ber Papiercigarren unjerex ſechs Aubenpaffagiere; es war in ber 
That eine unerquidliche Nacht, und wenn ich, was jeden Augenblick 
gejchah, auß einem Leichten Halbſchlummer aufgefchreift wurrbe, jo hörte 
ich, wie Horſchelt in der andern Eike traurige Betrachtungen anftelfte 
über die Luſt des Reifen im Allgemeinen, fowie über den Unter- 
Ichieb zwiſchen einem deutſchen Bett und einem ſpaniſchen Eil- 
wagen. 

Man lann gerade nicht fagen, daß die Straße durchgängig ſchlecht 
geweſen fei, nur in ber Nahe ber Dörfer fanden fich Immer verdrießliche 
Stellen, wo man jeden Augenblick befürchtete, Hier miüffe ber ſchwere 
Wagen nothivenbig ſteclen bleiben; um unangenehmſten jedoch waren 
kleinere umb größere Flufſe und Bäche, bie wir zu paffiren Hatten, 
dent bier fehlten regelmäßig bie Brüden, d. h. wir fahen viefenhafte 
Trummer berfelben hoch neben aus erhporragen, wärend wir tiefunten 
durch eine Furt bad Waffer paffitten. Bei biefen Veranlaffungen zeigte 
fich übrigens ber Zagat in feiner ganzen Gröhe, Sowie wir zum Fluß⸗ 
ufer in ſcharfen Trab hinabfuhren, verſchwander plotzlich von feinem 
Sitz, und wenn unten bie Manltiereeinen Augenblick zauderten, in das 
Wafter hineinzuſehen, richtete er eine Unzahl Prügel auf bie 
armer biete, fo ba fie in großen Shen durch bie Furt eilten, 

Hedliuder'n Werte. XKIL 14 


210 Achtes Kapitel, 


wobei da3 Waſſer an ben Wagenfenftern emporiprigte und biefer 
verdachtig Hin: und herſchwanlte. Freund Zagal hing jeht wie 
eine Kae irgendwo am Wagen feſt, um, ſowie wir das gegen⸗ 
feitige ſteile Ufer erreichten, zur höchſt unangenehmen Ueberraſchung 
ber Maulthiere gleich wieder bei der Hand zu ſie. 

Gegen vier Uhr Morgens fpannten wir in einem elenben 
Dorfe um, widelten uns fefter in unfere Mäntel, denn obgleich 
es ben erften Theil ber Nacht — es war vom fiebenten auf den 
achten Dezember — ziemlich warm geivefen, kam doch jeht dom 
den Gebirgen Her eine ſcharfe Morgenluft, bie und bei ber ſchlech⸗ 
tem Beſchaffenheit ber Wagenfenfter froftig burdibrang. Auch wurde 
& fo duntel, daß man vom Weg und dev Gegend nichts „mehe 
ſehen konnte. Um ſechs Uhr kamen wir in bie Berge Hinein, und 
da es auf und ab beſtändig in ſcharfem Trab oder Galop ging, 
To waren bie Bewegungen des Wagen? noch unangenehmer, ‚das 
Geſchrei des Zagal tioch Heftiger ala früher. CB ift eigentflinfich, 
da bei dem fpanifchen Poften der Mayoral und Zagal nicht auf 
jeber Station gewechſelt werben,” ſondern daß biefelben felbft 
während einer ganzen Reife, wenn fie auch vierundzwanzig Stuns 
den dauert, ben Wagen begleiten, ja in Barcelona zeigte man ung 
einen Poftillon, der ſchon mehrere Male die ganze Reife nach Madrid 
und zurück, beflänbig auf dem Vorderpferd weitend, bier Tage und 
vier Nächte, gemacht Hatte. “ 

Nach unferer nächtlichen Fahrt kam ber Morgen prachtvoll Herauf. 
Im Often erſchien der Himmel glühend roth angeſtrahlt, und ee die 
Sonne erſchien, goffen ihre Strahlen über bie bisher dunkle Luft einen 
glängenbenvioletten Schimmer, ber fichringsam Horlzont au elnem malt⸗ 
ten gelben Lichtſtreifen verdichtele. Als es ſo hell geworden war, daß wir 
die Gegenſtande rings herum erkennen konnten, ſahen wir mit Ders 
guügen ben für uns fo gänzlich fremden Charakter ber Landſchaft. Die 
Berge rechts und links ſowie bie wellenförmigen Felder Hatten eine 
braunrothe Farbe, auf welchen fich das Grangeim der Ollvenbaume 
einförmig abgelchnete, Die ganze Landſchaft ſchien gexkffftet, zertiffen 








Ein Beſuch auf dem Montjerrat, 211 


und feinig; Yegteres find auch alle Felder in der That, und es 
gehört der umermübliche Fleiß der Gatalonier dazır, die, wie das 
Sprichwort fagt, ſelbſt aug Steinen Brod zu machen willen, um 
Biefen Gründen elwas abzugtoingen. Die Straße, auf der wir fuhren, 
wat breit, ziemlich eben, aber ſchlecht unterhalten; gelber tiefer 
Sand wechſelte mit rauhen Steinen und Kiefeln ab, und fie ſelbſt 
Yief in den eigenſinnigſten Windungen, ſich bald rechts, bald links 
drehend, en heller Streifen über die bunfleren Anhöhen dahin. Fiir 
uns war die Einfaffung ihrer Hohen Seitenwände ſehr intereffant, 
denn fig beſtand aus prächtigen großen Aloen, welche mit ihren 
Hlaugtänen, ſpihigen, drohend emporgefeßrten Blättern eine undurch⸗ 

> Dringfiche Cinzäunung für bie Felder bilden, und fich fo trobig 
und tet auf dem dunkelblauen Himmel abzeichuen. 

"08 wir und noch in der Morgenbämmerung gegen fieben Uhr 
Eyparraquera näherten, begegnefen und einige Gendarmen, welche 
mehrere höchſi verbächtig und wild aufegende Kerle transportirten, 

wahrſcheinlich Räuber, die bei Ausübung ihres Jauberen Handwerls 
auf der Landſtraße geftört worden waren. Der Mayoral wenige 
ſteus beanttvortete unſere Frage auf bie, gleichgiltigfte. Art mit 
"dem einzigen Wort: Ladrones. Gfparraguera, welches wir um fleben 

Uhr erreichten, und wo der Omnibus bleibt, iſt ein Meines ſchmuhiges 
Dorf, aber mit maffiven fteinernen Häufern, nalürlicherweiſe vor 
jebem Fenſter der im Spanien unentbehrliche eiferne Balkon. 
Zur Zeit de Unakhängigfeitsteieges 1808 fielen hier zahlreiche 
Gefechte vor, und bie Exbitterung, mit’ ber bie Franzofen und Spa 
nier gegen einander kampflen, zeigte fich noch lange nachfer in ber 
grenzenlofen Verwuſtung ber ganzen Gegend. In ber Hauptlirche 
mit einem hubſchen Thurm, wurde nach ber exften Zerftörung bes 
Mofters. auf bem Montferrat dad mwunbertfätige Marienbild lange 
Jahre aufbewahrt, BR 

Der Oumibus ſehte und vor einer Poſada ab, deren innere 

Raumlichteiten große Aehnlichkeit mit einem Stall Hatten, doch that 

ung ein fladerndes Kaminfeuer in einem finftern Winlel ſehr wohl, 





212 Achtes Kapitel, 


und wir Yießen uns ba behaglich burchwärmen, toährend eine fiber 
ans dicke Wirthin unfer Frühftück bereitete. Sieh beftiend nach 
ſpaniſcher Landesfltte aus einer, übrigens vortrefflichen, Dicker ſchwar⸗ 
zen Chokolade mit gerbſtelem Brod: Kaffee zu verlangen muß man 
fich felbft im den geöften Sladten nicht beigehen laffen denn man 
erhält unter dieſem Namen eine kraftloſe, grane Brühe, beten Ge— 
ſchmack unter aller Beſchreibung iſt; friſche Butter gehört Hier-eben- 
falls zur Sage, und was man in dem Arkikel anfgekifct erhätt, 
ift Schweinefett mit Saffran gelb gefächt. Daß man indefſen fiber 
all etwas lernen kann, fanden wir auch In hiefiger Poſada, denn 
wir entdeckten im Gaſtzimmer derſelben eine ſtnnreiche Art von 
Fliegenwedeln. An langen, über dem Tiſch von ber Decke herab: 
hangenden Stangen waren große Facher von Papier befeſtigt, welche, 
in Bewegung geſetzt, bie zudringlichen Inſekten vertreiben. 

Um von Hier an ben Fuß bes Berges nach einem kleinen Neſt, 
Colbata, zit gelangen, braucht man eine Stunde, und nimmt da⸗ 
zu eine Tartane. Dies iſt ein zweiräbriger Karren, mit einem Tuch 
bededt und ein paar gepolfterten Sihen. In die Gabel wird ein 
Maufthier gefpannt; der Kutſcher Täuft nebenher, ober‘ ſpringt 
auch zuweilen, wenn er fein Thier durch Hiebe und Geſchrei ih 
Trab ober Galop verjegt, auf ein kleines viereckiges Polſter, das 
auf dem rechten Deichfeldaum angebracht ift. Auf biefe Art ver 
forgt, krollten wir zum Thor hinaus unter den tollſten Springen 
und Stößen unferes federloſen Fuhrwerls. Schon von Ejparra- 
guera Hatten wir im Grauen des Morgens rieſenhafte ſeltſame 
Felfenmaffen bemerkt, bie faft ohme Mebergang ſchrvff vor ung aus 
dem leichthügeligen Terrain emporftiegen — ber Montferrat. Jet 
Hatten wir ihm Dicht dor Augen, und erflaunten über feine Felt: 
famen willfürlichen Formen, Unten fcheinen koloffale Blocke anf 
einander gethürmt zu fein, ein Felſenberg auf dem andern, und 
oben Hat die Natur in muthwilliger Laune Cylinder und ab⸗ 
geftumpfte Stegel aufgeſeht, die in ben ſonderbarſten Baden und 
Spipen emporragen, Die Färbung des Bergs am Keutigen Morgen 


Ein Befud auf dem Montferrat. 213 


Bei Flarem Himmel und glängendem Sonnenlichte war überrajchend 
and prächtig. Aus dem rothbrauuen Terrain mit gelben und grünen 
Streifen erhob er ſich mit der grauen Grundfarbe feiner Steinmaffen, 
bie durch Schluchten, durch Riffe und Sprünge in bem Geflein, durch 
har, Grün einer wenn gleich {päxliggen Begetation und durch hie Schatz 
ten ber vorliegenden Blöce und Kegel mannigfaltig und maleriſch 
ſchattirt war, Auf die heruorfpringenden Ecken goß bie Sonne ihr 
zofiges Licht, und indem ſich dafjelge dort mit dem Hellen und 
dunleln Tönen des Berges. mifchte, erſchien bie Felſenmaſſe ganz iiber 
‚gpffen mit einem unausſprechlich warmen, xöthlich pigletten Schimmer. 

Golbata, dicht am Zube des Berges, beſteht aus einigen ivenigen 
äymlicher Häyfern, und man miethet Hier Maulthiere ober, Ejel, 
um. fich ſelbſt und fein Gepär,bis zum Slofter tragen zu laſſen. 
Unfer Däne und ich bedienten una zweier lehztgenannier Reitthiere, 
GBarſchelt aber nahm den Weg unter die Füße, und {a flolperten 
wir unter Begleitung zweier alten Weiber aus dem Dörfcen durch 
deſſen leere und holperige Gaſſen. Anfänglich geht es ziemlich ge⸗ 
mãhigt aufwärts, mar befindet ſich faſt noch in der Ebene, bie 
den Selienkegel von allen. Seiten Hügelig umgibt. Wir hatten Bier 
weichen Sandboden, Dlivenbäume und wieder die malerifchen Ein- 
faffungen dev Gelder mit Aloeftauben. Kaum aber beginnt mar 
am den Berg jelbft Hinaufgufletteru, jo verändert ſich auch mit 
einem Mal ſein ganzer Charakter. Ein ſchmaler, vielleicht vier Fuß 
breiter Weg, bededt mit Felsſtücken und Steingeröll, begiunt im 
einer Schlucht niemlich Keil aufwaͤrts zu fleigen, um im Grund 
berjefben ſich rechts ‚wenbend an einer mächtigen Felſenwand hin— 
zulauſen, in welche er mähfam gehauen iſt. So geht die Steigung 
aufwärts, bald im Zickzack an siner faft ſenkrechten Wand empor, 
‚bald. am dem. unten Maſſen ‚des Berges in weiten Kreiſen hin, 
wobei ber Pfab, wenn man rückwärts ſchaut, nur wie ein bünner 
Heller Faden augficht, der vielfa um bie grauen Maffen gefchluns 
gen ift. Ich Habe, auf meinen Reifen manche gefährliche Wege ger 
macht, aber Teinen ſchlimmern al diefen; Kald war unfer Pfad mit 


214 Achtes Kapitel, 


Steinen beberft, bie unter den Tritten unferer Ejel beflänbig nadh« 
gaben und nicht felten neben una in die Ziefe tollten, bald bildete 
ex förmliche Stufen und führte gleich darauf über glatte Steinplatten . 
weg, anf denen bes Huf ber armen Thiere unter und gar keinen 
Halt hatte. Bon Geländern ober ſouſtigem Schuß it durchweg 
teine Rede, und da ber Gel in feinem Eigenfinn beftänbig auf 
bem auberſten Rand bes Weges dahin geht, fo Ding man faft 
immer mit bem Halben Theil des Körpers über Abgräuden, bie 
mehrere Hundert Fuß tief neben uns gäßnten, während auf ber 
anbern Seite bie ſeukrechte Felſenwand ebenfo Hoch emporragte. 
Belohnend ift übrigend bie Ausſicht, bie man bei ben meilten- 
Wenbungen des Weged auf das Thal unter fich genieht, und die, 
ie höfer man fleigt, immer reicher unb großartiger wird. Bald 
verſchwinden bie einzelnen Linien bex Felder und Wege, bie Olipen- 
bäume bemerll man nur noch, wo fie in großen Gruppen bei - 
einander fteen, unb einzelne Häufer finb faft nicht mehr zu unter: 
ſchelden von bem felfigen Grund, auf weldem fie gebaut find. 
Hügel au Hügel bildet bie Landſchaſt durchgängig in xöthlich gelber 
Farbe; nur hie und ba fieht man hellgelbe oder grüne Streifen, 
große Walbungen ober Sandbrüche, und zuweilen das Glihern 
bes Sonuenlichts auf ixgenb einem einſamen Waffer. Einen eigen« - 
thümlichen, ja melancholiſchen Eindruck machten auf mich bläuliche 
Rauchwolken aus für und unfichtbaren Käufern ,. bie hie und da 
aus bem Thal emporftiegen und langſam und allmählig vergehend 
die Spipe eines Hügels umkveisten, Und wie ſtill und feierlich 
war es bier oben in ber gewaltigen Ratux, wie ſeltſam und koloſ⸗ 
jal trennt fich ein Fels von bem andern, während man immer, 
hoͤher fleigt! Die Wand, bie, von unten geiehen, ein zufammen« 
hangendes, wenn auch zerklüfteted Ganzed zu bilben ſcheint, beſteht 
ans rieſenhaften Blöden, was wir beutsich ſahen, ſobald wix-über 
ihnen angelangt waren. Bor uns hatten wir jet eine gewaltige 
Schlucht, man Tönnte fie ein Thal nennen, am beven anderer Seite 
“ch bie Felſen ſcharf und ſpiß emporheben, Da ſich der Pfad, auf 





Ein Beſuch auf bem Montferrat. 215 


bem wir ritten, hier um ein paar Fuß erweiterte, fo ließen wir 
bie Thiere einen Augenblick Halten, und unfer Führer aus Bar 
celona erzählte uns von einem Geſchühkampf, welcher auf dieſer 
Stelle zwiſchen Spaniern und Franzoſen im Jahr 1808 ftattfand, 
und wãhrend bie legten mit einer ihnen gegenüberliegenden Batterie 
befehäftigt taten, wurden fie von Hinten überfallen und mußten 
tobt: und lebendig in bie gräßliche Tiefe vor ihnen hinab, gefolgt 
und zerſchmeltert don ihren eigenen Gejchühen, weiche ihnen bie 
Spanier nachwãlzten. 

Zuweilen führt der Pfad eine Zeillang abwärts, um auf den 
Grund einer Schlucht zu gelangen, von bem fich bie nächſte Höhe 
wieder beffer erfteigen Tat. Ach Habe felten ein Gebirge gefehen, 
deſſen Vegetation in ben Hefern Thellen ſo dürftig geweſen wäre 
wie die melften Partieen des Montferrat; niedere Buchsbaum⸗ 
ftränche und Gebirgskrauter wachſen zuweilen am Wege, und ziehen 
fich im den Spalten. ber Felſen aufwärts; nianchmal much, aber 
jelten, erreichten wit eine Stelle, too bie graue Wand nit ſaftigem 
Grün freundlicher bekleidel war, too ſchone, zierliche Eriken blähten, 
auch eine Art Rhobdodendron mit dien Blumenknoſpen, und blaue 
Glockenblumen von bem Geftein herabnickten. 

Die eigentliche und jo überaus ſonderbare Form des Mont: 
fereat ifE übrigens hier in feinen untern Theilen noch nicht zu ers 
kennen; die Spike bes Berges Hält fich befländig dor unfern Blichen 
verborgen, und was wir jeht, ſchon ziemlich Hoch geftiegen, von 
ihm unter und neben ung erblickten, trägt einem eher heimathlichen 
alß' fremden Charakter. Diejelben Gebirgsformationen wie Bier 
findet man im Harz, in einigen Theilen ber ſachſiſchen Schweiz, 
ja im Siebengebirge am Rhein, wenn man bein Drachenfels erfleigt 
und vom Mein abgewendet in bie Thäler ſchaut, nur muß man 
fie bie dortigen bieten Vaumgruppen hinwegbenken. 

Nachdem wir zwei Stunden emporgefkiegen waren, Tief ber eg 
eine Zeitlang eben Hin, neigte fich fodann abtwärts, unb toit erreichten 
ein Meines, mit geharenen Steinen eingefahtes Vedken vol Maren 


216 Achtes Kapitel 


grünen Wafferd, dad recht ſtill und einfam unter einer fenfgchten 
Felawand Tag, worauf wir noch wenige Gehritte weiter machten; 
um eine ſcharfe Ecke des Gebirges bogen und das Hloſter bes Mont⸗ 
ferrat vor uns liegen ſahen — hier in diefer Eindde ein gewaltiger, 
unvergeßlicher Anblid, Zu unferer Rechten und vor und fie} dat 
Gebirge einige tauſend Fuß ſenkrecht in ben Slobregat hinab, m 
am ber andern Seite in einer ebenfo Toloffalen Felswand wieder 
emporzufteigen. An biefer tief unter una Lagen bie Kloſtergebäude 
gefämiegt, dor fi die gerade hinabgehende Wand, Hinter. Rd 
ungeheure Felsmaſſen, deren Spigen drohend überzuhängen ſchienen. 
Untegelmäig ohne Zufammenhang Hingebaute Häufer fanden ba 
bei einamber, aus ihnen Kerborragenb zwei gelbe majeftätijche Ger 
bãude mit vielen Fenſtern, die Hohe und Lange Fronte una zu⸗ 
getehrt, das eigentliche Klofter, über welche hinweg der nicht ſehr 
Hofe Thurm Kervorfgaut. Wir Kielten eine Zeitlang auf biefer 
Stelle, um un® dad vor Augen liegende eigenthümliche Bilb recht 
in’B Gedächtniß zu prägen. Ruhig und ernft Lagen alle Gebäude 
ba, faft umbeimlich in dieſer Debe und Einfomteit, ohne Zeichen 
irgendwelchen Verkehrs und Lebens, und wenn man auch nicht 
ſchon von bier bie Zerftörungen berjelben bemerkte, fo Hatte doch 
das Ganze etwas Verlafjenes und Ruinenhaftes, Als wir lang⸗ 
ſam Hinabftiegen und dem Kloſter näher kamen, bemerlten wir 
deutlich einzelne Wände, bie ohne Verbindung mit ben andern bar 


fanden, eingeftrzte Thorbogen, zertrümmerte Dächer. Bor der 


Einfahrt, deren Thor aus wenigen Brettern beſtand und in roſtigen 
Angeln Hing, befand fi} ein Meiner übertwölbter Waferbehälter, 
beffen Quelle verfiegt ſchien, und an dem nur uoch an ber äußern 
Band mit melancholiſchem Schall einzelne Waffertxopfen in.ein 
zertrümmertes Becken niederfielen. 

Wir brauchten keine Glocke zu ziehen, um in ben M lofterhof 
einzutreten, Alles war weit geöffnet, und der einzige Bant,: ber- 
unfern Eintritt begrüßte, war ba Klappen her Hufe unferex 
Thiere auf bem Pflafter und ber Widerhall ber eigenen Stimme. 





Ein Beſuch auf dem Montjerrat, 217 


Die Berflörung bed Kloſters batirt ſich belanntlich aus dem 
VBefreiungätrieg von 1808. Bei dem erften Veſuch Hatten bie Franz 
zoſen, da fie Hier auf feinen Miderftand fliehen, das Kloſter verſchont; 
doch als fie abzogen, machten bie Spanier einen Waffenplatz aus dem- 
ſelben, den die franzöflfchen Truppen gegen das Ende bes Kriegs flürme 
tem und einnahmen, worauf fie ben Verſuch machten, die feſten Ge: 
baude in- die Quft zu ſprengen und dem Erdboden gleich zu machen; 
body rettete die Stärke der Mauern das Kloſter von dem gänalichen 
Untergang, unb nad) der Rückkehr Ferdinand's VII. bauten die Mönche 
fleidig an der Wiederherftellung ihres Haufe. 1820 zum zweiten 
Mal vertrieben, begannen fie die Reftauration des Kloſters 1823 wieder, 
welche, foweit die jpärlichen Mittel es erlaubten, bis 1835 forts 
geiebt, aber burch den allgemeinen Aloflerfturm in Spanien abermals 
unterbrochen wurde, und es auch wohl für immer bleiben wird. 

Früher wurden alle Pilger und Fremden, die den Montſerrat 
befuchten, von den Mönchen mit Herzlicher Gaſtfreundſchaft auf- 
genommen; man fand hier ein eigenes jehr anftänbiges Fremden⸗ 
haus und wurde aus ber Moflerküche gefpeiät. Wei der Armuth) in: 
deſſen, in welche das früher fo reiche Kloſter verfiel, mußte biefe 
Gaſifreundſchaft natürlicherweife aufhören, und von da an richtete 
fich ein Gafiwirh auf dem Heiligen Berg ein, bei dem die Frem⸗ 
den für Geld und gute Worte, wie auch anderivärts, ein Unter 
Lommen: fanden. OB nun biefer Wirth im ber That glänzende 
Geſchafte gemacht, Kin id} nicht im Stande anzugeben, die Regie: 
zung ‚aber Hatte diefen Glauben, und Yegte ihm dor nicht Langer 
Zeit eine Abgabe von jährlich 500 Thlen. auf, und befahl im 
Welgerungsfal bie Herberge zu Tehließen. Lehleres iſt nun nicht 
vollſtandig geſchehen, obgleich die Steuer begreiflicherweiſe auch 
nicht bezahlt wurde, und fo befteht denn hier oben auf dem Mont» 
ſerrat für die hungrigen und burfligen Fremden eigentlich fo gut wie 
gar Teine Herberge. Man Hatte uns ſchon in Golbata einen Wink ges 
geben; Proviant mitzunehmen, doch war die Probe, die man und von 
dem Eßbaren da umten gab, fo ſchlecht, daß wir lieber den Beſchlußz 


218 Achtes Kapitel. 


faßten, es wit bes halbgeſchloſſenen Wirthahaus da obeh zu wer: 
fuchen, und wir thaten davan wicht ımrecht, denn wir fanden Bob, 
Käfe und Wein, und Abends ein einfaches Mahl, bei welchtni freilich 
alles Fleiſch ſchlte. In einen fichengebliebenen Flügel des Moſtec 
unter lauter Ruinen, wurde fir uns ein Zimmier aufgeſchloffen, auch 
Betten hergerichtet, und ſo befanden wir uns denn, gegemlibei ber prachl⸗ 
vollſten Ausſicht, wie: ich. lange keine mehr geſehen, beſtens berforgt: 
Das Kloſler in ſeiner jefigen Geſialt iſt eine der mitileriſch⸗ 
ſten Ruinen, bie man ſehen kann, bie umliegenden Häuſer, mit 
einziger Ausnahme ber Herberge, find nur vier Wände, ohne Dad 
und Fenſter; aus ben lehtern wärhft Epheu hervor umb-Fchrüdt 
freundlich die zertxummerten und zerztffenen Mauern. Großefleinetie 
Waſſerbehalter find Iser und ſtaubig; denn bie Vellung aus "bein 
Felſen ift zerflött, und einzelne Zxopfen, bie herabrieſeln ; näßrei' 
ſchmarohende Schlingpflanzen, bie jet: die Stelle bet Haren Fluth 
einnehmen unb ihre wehenden Ranlen über den Rapb' der Vaſftas 
hexabhängen Iaffen, : Eine ber Haupimanern, die friher den Sdkoftdi- 
Hof umgaben, iſt gauglich eingeſtürzt und Lät;; wie bavch eine 
tlaffende Wunde, den Blick in das todte Innere dringen ; hie unh dar 
befinden ſich noch kleine Theile des Kreuzganges, eingelne Saulen⸗ 
denen bie „verbindenden. Wagen fehlen  Zxauewib ſteht im Vothof 
eine ziexliche Rogenmwand, "zwei Reihen ſchlanler "Shufen'Abereisie: 
ander, bie aber nicht mehr ‚wie früher in ein Gemach führen, dein 
das dahinterliegende Gebänbe Hi‘ abgejpxenge, und‘ !bundg: "bit: 
leichten zierlichen Bogen , :bevem-Berzierumgen: hie und bu zerftött 
und bie in eingelnen- Tiheilen vom Pulver geſchwäczt ſtnd, blickt 
man in ben: Haren Tag hinaus, in die großartige Welahegendi" 
Ein Heiner Brunnen: in:eigenthämlicher Geſtalt, des dauoriftehty"- 
iſt ollein noch gut erhalten und ſcheint heute och den -MRbirigen“ 
zu dienen, bagegen find andereHeine Bauwerke im Hof/ Ntſchen; 
in denen Geiligenbilber fanden, Grabmäler- 1; dgl; bes allgemaici 
nen Verwuftung nicht entgangen, und bielen nit hertbgeſtürzien 
Statuen, mit zerbtochenen Säulen und zerſtörten Inſchriften chr 











Ein Beſuch auf dem Montjerrat. 219 


trauriges Bild. Wirklich maleriſch ſchön war das klare Sonnen⸗ 
licht im feiner Verbindung mit dieſen Ruinen, wo es durch bie 
zerriſſenen Gewoölbe glänzend hereindrung, hier bie hellſten Richt: 
tone bildend, daneben Lie. ſellſamfien tieſdunleln Schatten. 

Alle Gebaude find aus einem rölhlich gelben Stein gebaut, 
welcher durch dad Sonnenlicht eine unausſprechlich warme Fürs 
bung, anuniramt; der äußere: Hof ’erichten hiedurch in einzelnen 
Theilen wie veugofbet; über ihnen ſpanute ſich der liefblaue Himmel, 
und berabhängenbe Ephenrauten, bie oben auf ben Mauern touch 
fen, ‚glängten im jaftigſten und friſcheſten Grin, 

. Nachdem wir in unferm Zimmer eine Meine Weile geraftet, 
erſchien ber Prior des Kloſters, ein: freundlicher liebenswurdiger 
Maun in den Funfgigen, welcher ſich langere Zeit In Salzburg 
und ‚Wien aufgehalten uud geläufig Deuiſch ſprach. Er führte ung 
durch · die Kloſtertrümmer, an deren Wiederherſtellung oder viel- 
mehr: Exheltung, joviel es die Ariuth ber Mönche erlaubt, immer 
nos gearbeitet wind; am-verichiedenen Gteflen ſahen wir Haufen 
von Barkfteinen und Kalt, hier eine Mauer anagubellern, dort einen 
Bogen vor ‚gänzlichem Ginfurz'zu bewahren. Die Kirche des Klo⸗ 
ſiers ift in ihrem Innern nothdurftig wieber hergeſtellt, doch find 
die Mauern, bie früher mik buntfärbigem Marmor bedeckt waren, 
jeßt einfach weiß getüncht, und der Hochallar, auf welchem bad 
mwunberthätige Maderinenbild ſteht, wird bon ein paar ürmlichen 
Meifinalampen beleuchtet, ſtalt daß früher Bier auf achtzig filber 
nen. Veuchtern Tag und Racht ſchwere Wachskerzen brannten, 

Durch · die Salriſtei fliegen wir in ein kleines Gemach hinter 
bem- Hochaltar, deſſen Feufter mit other Seide verhängt waren, 
Wo: Bund geſtattet Wurde, das Maxienbilb' näher zu beirmchten: 
Die -Gtodue iſt beinahe lebensgroß, wicht chne Kunſt aus bunfel- 
farbenen Holz geſchnitzt, welches wit ber- Zeit ganz ſchwarz geioorben 
iſt, und aus dem bie Helfen -glängenben Augenfonberbar herborleuchten; 
fie ift befleibet mit: puädgtigeh ſeldenen und golbgeftichten Gewändern 
und trägt an- ben Armen und Fingern Geſchmeide von Gold mit 


220 Achtes Kapitel. 1 


eblen Steinen beickt, von benen einiges noch aus jehr alter Zeit 
herzurühren jeheint, Die Mabonne Hält in, ihren Armen das 
Sejustind. 

Bon, hier aus führte ums bey Prior in bie oben. Theile de 
Kloſters, und zeigte una im DBorübergehen feine Wohnung, ‚sine 
Zimmer mit einfargen weißen Kallwänden, einer Heinen Bibliptfet, 
einem Schreibliſch mit Büchern und Papieren, und sinigen mathe⸗ 
matifchen Juftrumenten. Eo beſcheiden biefe Klauſe auch ivar, fo 
war fie dod) getvih für den Bewohner ein lieber angenefuer Auf 
enthalt in dieſer Stille und Einfamteit, und mit ber herclichſten Ause 
ficht auf das geaßartige Felſengebirg und das jehäne Thal des Llob⸗ 
regat. Wir lehnten lange au dem eiſernen Balkon, ber in jchwindeln⸗ 
der Höhe über der ſenlktechten wohl taufend Fuß hohen Felswand 
Bing; wir träumten von ber. Welt, die mit ihren Leiden und Freuden 
tief zu unfern Füßen lag uud begtiffen, baß ein Herz, welches ge 
Titten und fich verlegt und wund von ihr zurückgezogen, hier, wenn 
auch wiggt glücklich fein, doch ſeine Ruhe wieder finden Tann. 

Indem ung der gute Prior herumführte und und bald von 
diefem bald. von jenem Fenſter die Yusficht zeigte, machte er es 
wie die Kinder: er hob has Schönfte. und Beſte bis zuletzt auf, 
und dieß war baa, Kleine Aloftergärtihen , das bie. Mönche bem 
Felſen abgerungen, indem fie mühjam bie. Exbe hinauftrugen, um | 
dort duftendg Kräuter und Blumen zu pflanzen. Ich ‚habe in 
der That nie einen wunderbareren Heinen heimlichen Plah, aeſehen; | 
Tang und ſchmal lief biefer Garten an ber Felswand hin,.um ‚fie 
am Enhe zw verlaffen, und auf eine kleine Gallerig yach,-einem 
vorſpringenden Punkt des Gebirgs zu führen... der zum Spagzier⸗ 
gang, beuuft wurde, und in feiner, einfachen. Schönheit Alles übers 
traf In der, Mitte beſand ſich in den Fels gehauen ein grohes 
Beden mit klarem und jo zuhigern Waſſer, Dub fich die darũ ber 
hängenben Felſenlronen quf s Deutlihfte ‚bayiır abipiegelieu. Fis 
Trünzmer eine? Heinen hart angehauten Hänächens enthielten. ein 
aertrimmertes. Echdpfrad, deſſen zerxifiene. Kette. Bil, | Jciwer und 


Ein Beſuch auf bem Montferrat, 221 


traurig in das Waffer herabhing. Die Terrafſe, welche dieſes 
Becken unigab, hing buchſtäblich in der Luft über dem tiefen Thal; 
ein eiſernes Geländer zwiſchen ihr und der unermehlichen Tiefe 
war Sie unb ba unterbeodjen durch Piedeftale, auf denen Toloffale 
Helligenbilder aus Stein gehauen ftanben, welche ſich ernſt und 
geröuttig von ber Luft abhoben, und wohl ſchon Jahrhunderte als 
treue Wächter bes Kloſters in das Thal hinabſchaulen. Die Sonne 
warf Helle Achtmafſen anf’ Kopf und Bruft der Figuren, während 
anf ihrer ſchattigen Rückſeite ber blaue Buftteflex Ing. Bor und 
breitete fi in unermehlicher Weite dns Thal aus, Berg an Berg 
und die Schlangentwindungen des Llobregat erfſchienen zu unfern 
Füßen dunkelgrün und glänzend, während fie weit hinaus wie ein 
bütmer Silberfaden gligerten und leuchtelen und aus ber dunkeln 
Lanbſchaft hervorblickten bis am das Meet, das, von der Sonne 
angefktafilt, nur eine gewaltige Maffe von Glanz, Licht und Flim⸗ 
mer war,“ 

Bon bein herrlichen Punkt’ zurücktehrend, beſahen wir gern 
die Kleinen Blumenenlagen des Priors, Die er mit beſonderer Liebe 
zeigte. Da blüßten noch Eriten, Verbenen und Rufen. Bon 
letztern verſprach er und auf morgen früh einen Strauß für unfere 
Lieben zu Haufe; hoch pfluckte er jeht ſchon buftende Aränter fire 
Jeben, bie wir zur Erinnerung im unfere Tafdjerbüdger legten. 
Wirklich llebreich war bie Pflege, bie er bier einem kränklichen 
Eitronenbaum twlbmete, ber mit gelben welken Blättern in einer 
Niſche ſtand, nur der Sonme zugaͤnglich, ſonſt vor Talten Winden 
geichüßt, und den ex Abend mit Strohdecken verhüllte. Che wir 
den Garten verließen, warfen wir noch einem Blick hinüber anf 
die Zerraffe mit ben Steinfiguren, too jeht ein paar ber Berebitinere 
möndge in ihren ſchwarzen Gewaͤndern aufs und abgingen, und 
die Stimmung des Ganzen dadurch noch feierlicher machten. Wahr: 
Haft rühtend erſchien und ein alter Monch, der am ber Felſen ⸗ 
wand neben · dem Waſſerbeden Jah, an einet Stelle, wo Die Summe 
gerade Thre warmen Sttahlen hinwarf. Er Halte ein’ Tuch Uber 


222 Achtes Kapitel, 


bad Geficht gebedft, umb ein Buch, in dem er geleſen, ruhtte auf 
feinem Schooß. Der Maun war 82 Jahre alt, nnd ald Chor: 
Inabe. von zehn Jahren hieher auf den Moniſerrat eelomuien — 
welch ein Leben! 

Untexbeffen war es beinahe 2 Uhr getoocden, und ber Fuihrer 


Hatte uns ſchan mehrere Mal in ben ſchouſten Naturbebeachtuuigen 


durch bie Mahnung gefiört: e8 fet-jeht. endlich Zeit zur Spihe des 
Berges aufzubrechen. denn er. fir ſeinen Theil habe keine Luſt den 
gefügclichen Weg. in Dunkel zuxüdzulegen, und ſo nahmen wir 
benn vorfäufig von bem guten Prior Abſchied und verlleßen ben 
To lieben Moftergarten. 

Bor der Pojaba fanden wir zu unferer großen Verwide 
zung einen deuiſchen Landemann, ber ſoeben zu EXT bon Col⸗ 
data heraufgekommen war, und unn in unſerer Gefellſcherft bie 
obern Felspartien befuchen wollte. Er ſagte nicht, woher er komme, 
doch nachdem er und werfichert, der Weg hier hinauf ſel poltzei⸗ 
widrig, unanſtäudig mb ſchauderds, twußten wir, dahß er dem Land 
enlſproſſen war, wo aus Hefem Ganb keine Felſen emporragen. 
nebrigens benahm er fich ſehr anftändig und wohlerzogen, wehhalb 
wir ung ſeine Bogleilung gern gefallen ließen. 

Sobald wir daB Thor bed Klofters verlaſſen Hatten, wandte 
fich der Führer nad} einer Schlucht, die von faſt ſenkrechten Pel: 
fen umgeben war, und In ber wir um vergebens nach einem Weg ober 
Pfad umfahen. Um anfwärt zu kommen, bedienten wir md 
berm auch einer tiefen Spalte in bem Geflein, in welche hie und 
da eine Stufe gehauen ivar,- wobei man bie Hände gebrauchen 
mußte, um fi an den glatten Wänden in die Höhe zu helfen. 
Die Abwechfelung, welche biefer Pfab darbot, war, -daf er zu: 
teilen um einen fyelötegel herumbog, der neben uns ſchroff in bie 
Tiefe abfiel, unb wo einer bem andern kopfſchüttelnd nachfolgte, 
ſchuchtern in den Abgrund blidend, wobet man die Fußſpitzen in 
Yaum bemerfbare Löcher und Schrammen fehte. Glacklicherweiſe 
waren diefe Stellen Kurz, und dann ging es wieder an ben Steinen 





Ein Beſuch anf dem Montjerrat, 223 


‚gufimärts über vierlelſtundenlange Felſentreppen. Endlich er⸗ 
‚reiten wir einen kleinen Ablatz von vielleicht ſechs Fuß im 
Quadrat, wo wir einen Angenblid ausruhen fometen.-..Mit ſtark⸗ 

klopfendem Herzen blickte ich rückwärts; denn ich mutß geſtehen, 

der beſchwerliche Marſch hatte. wich augeſtrengt. Schon lagen bie 

Aloſtergebaude tief undex uma, eine rothliche Maſſe zwiſchen ben 

grauem Felſen. Unſer narbdestticher Samdsmann war ſchon feit 

lãngerer Zeit ſehr ſtill geworden obgleich er anfänglich feine Lun⸗ 

‚gen. mit witzigen Bemerkungen ‚übermäßig angeſtrengt und mehr ⸗ 

mals ‚gefragt, Hatte: ob das. der ganze gefährliche Weg ſei. Er 
war ber lehte, ber zu und Hinauffletterte, ‚smb- Ließ fich egenblick⸗ 

lich in ſichtlicher Verſtimmung auf den Voden nieber, wobei er 

vexſtohlenerweiſe wroſtloſe Blicke auf bie Hohe über und warf. 

Was ihm auf der Setle leg, merkten wir Ale, doch Hätten wir 

nicht geglaubt, daß er ſchon jo bald Anſtalten zum Umlehren 

machen würde. Dieſe beſtanden darin, befi er feine beiden Seiten 

feſthielt und iüber furchtbares Seitenſtechen klagte; auch affettirte 

ex ein, omindſes Kopfweh, und. Hagte überhaupt fo lange fort, bis 

wir ihm riethen, bie - Tour. zur Gpige des Montferrat auf ein 

andermal zu verſchieben — ‚ein Vorſchlag, den er auch bereitwillig 

ergriff, worauf er plöplich feine gute Saume wieder erhielt. Er 

meinte freilig, auf ben Bergen je} Freiheit, umb der Hauch ber 
Grufte dringe micht- hinauf auf bie. Spike hiefer Felſen, wo es auf 

Ehre magnifigue fein mühte, aber. ex: wolle nichtsdeſtoweniger fich 
fie und. aufopfern, indem ex zum Kloſter zurücklehre und dort auf 

den Ahend ein herrliches Efſen beſtelle. Nach einigen Derficherungen, 

daß der Weg abmarls wahrſcheinlich teufekmähig jchtuer zu finden jet, 

verließ er ua, und rutſchto die Felſen wieder hinab doch hielt er 
hundert. Schuß tiefer uochmgls an, ‚indem er uns zurief: wir 
möchten. doch den. naͤchſten Eremiten freundlich von. ihm grüßßen. 

So waren wir deun wieder auf ualere frihere Gefellichaft redu⸗ 

zixt, unſer Däne, Horſchelt und ich. Noch eine Halbe Stunde ging 

eg nun in berfelben Axt, wie ich eben beſchrieben, aufwärts; ich 


224 Achted Kapitel, 


weiß; nicht, foll ich jagen, daß bet Weg eigentlich halsbrechend und 
gefährlich war; für jemand mit ficheen Fiber und gutem Auge diel ⸗ 
leicht nicht; wer aber die geringfie Anlage zum Schwindel Hat, fell 
ja biefe Paxtie nicht machen. Beſtändig führte unter Pfad an 
fleilen und tiefen Abgründen Kin, wo es genug ivar, anf einer ber 
ausgehauenen Stufen zu gleiten sbex auf einen Lodern Stein zu 
treten, um das Gleichgewicht zu verlieren und aladann ohne Reis 
tung in bie Ziefe Hinabzuftürzen. 

Mit dem. erſten größern Abſaßz des Gebirgs erveichten wir 
eine ber dreizehn Ginfiedeleien des Montferrat, die aber jeit dir 
Franzoſenzeit ale in Trümmern liegen. So eine Fleine Kapelle mit 
ber Wohnung bes Eremiten ift in Ihrem Verfall ein rührendes Bilb, 
namentlich die, welche wir foeben betraten. Sie Ing an einem 
Telfenabhang, und man erblickte noch beutlich bie Mamern de 
Kicchleind, ja bie Stelle, too fich der Mitar befunden, und daneben 
die Wohnung bes Eremiten. Alles war aus rothlichem Stein 
ziemlich feſt gebaut, und die meiften Gemädher mit Getodlben- ver 
ſehen, bie aber eingeſtürzt find, und der Sonne, dem Wind und 
dem Regen Ginlab geftatten. Nicht weit vom bem Leinen Haufe 
war roh in ben Zelfen eine Steinbank gearbeitet, wo der Bewohner 
deffelben gewiß Lange Gtunben geieffen, um in bie wilde Felde 
partie vor fich Hinabzuftarven. 

Don hier aus geht ber Weg eine Zeitlang fanfter antegenb fort 
durch ein ziemlich breites Thal, wo wir don Zeit zu Zeit in ber 
Telfen gearbeitete Mulden fahen, bie gewiß dazu bienten, das Regen⸗ 
waller für bie Einfiedelelen anzufammeln, doch kbmmt es auch ber 
Vegetation zu Nuke, die mit einem Mal bier üppiger aufwächst als 
wohl taufenb Fuß tiefer, Wir mußten und auf unferem jepigen Wege 
oft mühfem durch daB fechs BIS acht Fuß Hofe Buchabaumgeftrüpp 
buxcharbeiten und zerkraten manche duftende SPräuter, manche bütfeje 
Bergblume, Schlingpflanzen verfchiedener Art Hlekterten von bier an 
ben grauen Felſen empor und nifteten ſich dort in Schluchten und 
Riffen ein, wodurch oft bie wunderlichſten Zeichnungen entſtanden. 





Ein Befud auf bem Montferrat. 205 


Bad ‚fliegen. wir an der Thalwand wieder hinauf und warfen 
arım einen Blich ruckwärts, derm das dichte grüne" Gebüſch Hier 
zwiſchen kolofſalen Steinmaſſen nam fich gar lieblich und freund⸗ 
lich au, Abermals ging der Weg eine Strecke Lang ſtark aufwäͤrts, 
und wurde mit: jeder Winnie fleiler. Wir umſchritten einen Segel 
von · ſeltjamer Goran; und ‚Hatten plölich, auf beurfelben angekom⸗ 
men, einen her merlwürdigſten Anblide vor uns. Auf einmal 
waren bie bisherigen Felswande verſchwuuben, und ftatt ihrer fah 
man unzählige rieſenhafte Steingeftakten, Thurme, Segel, Figuren 
in ber feltfamften Bildung am ben Simmel emporragen. Es Ift 
gerade, als ſeien biefe Maſſen vielleicht im einftigen fläffig glügen- 
ben Zuſtande aus der harten Schale des Berge empowgeſpritzt wor⸗ 
deu und. plöplich.erfaltet; wenn man Blei in Waffer gießt, fo 
Bringt. der Zufall.oft ahnliche ſeltſame Bilbungen hervor. Man 
Klik. ſiaunend an biefen Rieſengeſtalten in bie Höhe, und braucht 
der Phantafie nicht viel zugumuthen, am Bauwerke, Menſchen und 
Khiergeftalten zu eriemnen. Vor uns tagt ein Tempeiban mit 
Kuppeln und Thürmen in die Höhe, gegen den unfere größten 
Kirchen klein ericheiuen würden; ihn umgeben Opferaltäre in ben 
gewaltigften Dimenfionen, einzelne glakte riefenhafte Felskegel, 
Meilenzeiger, Säulen mit Kapitäl und Piedeſtal; gleich daneben 
fieht man deutliche Riefengeftalten, fihend, liegend und ſtehend, nach- 
denlend das Haupt geneigt, tie mit einander ſprechend ober auf 
mertjam in bie Tiefe blidenb. Deutlich ſahen wir unter und eine 
Sphine auf dem Felſen ruhend, und über ihr auf gewaltigen 
Blöden Lang ausgeſtreckt eine.-Bigantengeftalt, die hinabzulaufchen 
ſchien. Unverkeunbar und wahrhaft ſchen in Form und Haltung 
erſchien und eine ſihende Figur, weich in Tange Gewänber brapirt 
mit ber phrygiſchen Düpe auf dem Kopf, bie über ihre zechte 
Schulter Hin. den Blick abwandte; ſouderbarerweiſe bildeten einige 
Geſteauche einen förmlicgen Kranz, den fie auf bem Schoohe Hielt, 


und ebenfo hatte. fie einige Grün im der hexabhängenken Linken 
Kgadländer's Merle. XXI. 1 


4 


226. Achter Kapitel. 


Hand, Und; komtiche Figuren waren / hier zu erlenuen: ein past 
dickbauchige alte Herren, ſowie eine felle unterjeßte Geſtalt mit boßle 
Tommen ausgeprägten · Augm und Naſe, die nur den Mund ein 
bietes Tuch geichlsmgen Hatte, Andere Formationen diefex Himmel 
hohen Seljen find über affe Beichreibung abenteuerlich, ſo zygank 
lich an der Norhjeitz, wo ber Berg feinen Raman Montferrat, (ge 
Fägter Berg) gewih mit bem vollſten Recht: nerbient;.. hier Tänpie 
man wirklich auf ben Glauben tommen, als haben ſich einſtens bir 
Zitanen bamit beluſtigt, eine viele hunderl Zub hohe und breite 
Felſenwand in faft gleicgförmige. Theile zu zerſägen. 

‚Nachdem wir und längere Zeit am Anblick dieſer Steinwelt 
ergögt, mußten wir noch eine Diertelftunde höher fleigen , aim den 
äußerjten Gipfel St; Geronimo. zu erreichen. Hier Befinben. ſich 
bie Meberbleibfel einer, Rapelle der. heil. Sungfvan , :gupt: axe 
durch einen morſchen Bogen berbuuben, durch welchen aan zchon 
von Weiten ben Blauen Himmel. fieht. Die Ausficht, die in 
hier oben. nach allen MWeltgegenben Kat, iſt unermeßlich, und. 
wurde und bag Glück zu Theil, fie bei, einem vollkommen: Hawn 
Zage aufs Umfasiendfte. genishen zu Lönmen. Rings gu - umlem 
Güßen ag wie.eine Sandlarte ganz. Gatalonien und. ein Theil her 
ehemaligen Königreiche Uraganien und Valengia quögebseitet, Gegen 
Norboften ift der Horigput begrenzt durch deu. majeftätiiegen «Bug 
der, Pygenäen, bie fich mit, Schnee bedeckt in. einem. weißen iumge 
heuern Streifen von fünfzig bis ſechzig Stunten, Länge daft: 
ziehen; nach Sübwehten Hin erſchaut man bad Meer, und blaͤuliche 
Punkte in, ber glänzenden Flulh bezeichnen bie baleariſchen Joheln. 

Wir Hatten fafl, zwei Stunden gebraucht, ma..dem- Berg au 
erfteigen, und Ingerten. un® ziemlich eumlidet nor. dem kleinen 
Mauerwerk mit dem Blick nach Nordoſten, wo ‚hinaus: ja-ıbie.geir 
math lag, und bedauerlen zur bei dem Aublick all des Scheeen 
hier, daß wir nicht im Stande feien, es unſern Lieben zu Haue 
ebenfalls ‚zu zeigen; doch unterlichhen wir nicht, eine Sunnenung 
an dieſe Hier oben zurückzulafſen. Bebor wir wieder ‚Hinakffingen, 


Ein Beſuch aufbem Montferrat, 27 


gruß jeder bon ım® in einen Stein der alten Kapelle Namen ein, 
bie: ihm Lieb und theuer waren. Da mögen fie fiehen in ber Gluth 
ber Sonne, in Wind und Regen, und wenn nad) Tangen Jahren 
Die’ lehte Spur von ihnen verſchwunden iſt, ſo find wir ſelber alt 
geworden, verwittert unter des Lebens Sonnenſchein, Sturm und 
Regen; manch tiefer Rib in unſern Herzen mag vernarbt, manche 
ſchon klingende Saite bis dahin geiprungen fein, oder ihren Wohl: 
Bang verloren haben; vielleicht aber andy find Inte in jene Har- 
monie getretem, die in und ertönt, wenn traurige Erinnerungen 
langſam verſchwunden find, wie bie Schrift auf dieſem Stein. 
So langſam und wllhſam wir aufwäris geſtiegen waren, fo 
raſch und mit großen Sprüngen kamen wir abwäris; alle bie 
Gegenflänbe, bei denen wir vorhin flaumend Tängere Zeit verweilt, 
Faden wir jet wie im Flug noch einmal wieder, bie Riefengefell- 
ſchaft, die ſeltſamen Bauwerle das ſchone grune Thal, bie erſte 
Einfiebelei. Wenn auch ber Weg im Herabſteigen noch gefähr⸗ 
licher erſchien, fo trieb doch unſer Führer, ber Hereinbredhenden 
Dämmersumg wegen, getvaltig vorwärts, und fpringenb, rutſchend, 
auch · zuweilen Veicht Yinfallenb, erreichten wir Bald bie Gtelle, wo 
vor einigen Stunden unſer norbdentfäger Landsmann umgekehrt tar. 
Da aber von hier ab der Pfad immer bicht an den Ahgränden und 
anf glatten Feldtreppen nieberführte, amd; ber Blick wegen ber 
hereindrechenden Nacht ſchon unficher wurde, jo mußten wir lang ⸗ 
jamer kleitern, was mir fr meine Perfon, ich geflehe es, gar nicht 
-mangenehm war, denn mein Tritt war nicht mehr ganz ſicher 
und es fing an, mir vor den Augen zu flimmern. Ohne Wiſall 
erreichten wir Inbeffen ben Klofterhof, wo wir unfern Landsmann 
wieberfanden, deſſen Kopfweh bebeutenb nachgelaſſen Hatte, und der 
nebſt vielen Magen, daß kein Veefftent aufzutreiben ſei, je nicht 
einmal ein elendes Huhn zu erhalten wäre, uns nıit großer Ruhm ⸗ 
vebigleit die Verſicherung gab, er Habe in Betreff ber Zubereitung 
unſeres Effens bem Wirth einige Anweiſungen gegeben, bie wir 
- rachfee wicht dermiffen toben, Nun weiß id) nidjt, ob biefe Ans 


228 Achtes Kapitel, 


welſungen an fich ſchlecht waren, ober ob fie der Koch nicht ber 
folgt. Genug, unfere Mahlzeit war ſehr mangelhaft, und daß Ge 
ficht unſeres freiwilligen Blichen- Intendanten verlängerte ſich zuſe hends 
Zuerſt Hatten wir weiße Bohnen mit Eſſig und Del, bann Nds 
mit geröftetem Stodflid, twomtt das Ganze fein Bewerben’ hatte. 
Doch Hielten wir und an bie ungefimftelten Landesprodulte: . Vrob, 
Mandeln und Bein, und waren babei heiter und guter Dinge, 

Ehe wir und in unſer Schlafzimmer zurückzogen, machlen wir 
noch einen Gang durch das Kloſter und die Ruinen, bie jeht im 
helfen Mondſchein nicht weniger ſchön, als in der Tagesbeleudhtumg 
erſchienen. Unſer Führer, ſowie ber Prior, ber ung eine gute 
Nacht winrfchte, erfuchten uns, dad Zimmer forgfältig zu verſchließen, 
bemm, wie er fagte, triehe fidh befiandig allerlei derdachtiges Ger 
findel in ben Bergen umher, Die beſchwerliche Tome Hatte und 
Übrigens ſehr müde gemacht und gab und einen ruhigen, feſten 
Schlaf, doch erwachten wir glucklicherweiſe vor Tagesanbruch, um 
bie Sonne glilhend roth, prachtig gerade vor unferem Fenſter auf 
gehen zu ſehen. 

Um fieben Uhr erflangen bie Glocken bes Moflers ruhig und 
feierlich durch dem fehömen klaren Morgen, unb mit ben erſten 
Xönen berjelben, die hier in ber Eimfamteit das Herz unwillkurlich 
weich und empfänglid; ſtimmen, kam ber gute Prior‘ in unfer 
Zelle und Ind uns ein, ber Felhmeffe in ber Kioſterlirche beizu ⸗ 
wohnen. Der Chor derſelben Ing noch In tiefer Dunteiett :be, 
nur fparfam erhelll von beit wenigen Sampen am Wilde ber Mutter 
Gottes und einzelnen Kerzen, bie foeben von Chortnabent-arkgeziin: 
bet wurden; durch die Fenfter der Emporkicdje Bagegen Hehroazımm 
fon Helleß, freundliches Vorgenlicht in bie büftern, Ballenden 
Räume, Nach der Heiligen Handlung überreichte der Prior jedem 
don und einige buftenbe Rofen, die er ſchon feig Morgens gepfläct 
umb bis zu diefem Augenbli in der Kleche niebergelegt Hatte; danm 
führte er uns auf unfere Bitte nochmald: in ſeinen Meinen, mir 
umbergehlichen Garten, Gleich ſchön, wie am geftiigen Tage, ‘m 





Ein Befuch auf dem Montferrat. 229 


ſchien doch Alles wieder anders durch bie verſchiedene Beleuchtung; 
two gefleen glühendes Licht neben tiefem Schallen gelegen, war 
Beute die Sonne noch nieht. Hingebrungen und erwartend ihren 
länzenben Kuh bedeckte unten die Schluchten und Thäler ein tiefe 
bisletter Duht, feschte Nebel erhoben fich langſam und Zreisten 
feierlich ,: luftigen Schleiern ‚gleich, um bie zadfigten Felſen. So 
jeher unker Fuhrer zum Aufbruch drängte, fo wurde es doch faft 
neun Uhr, ehe wir uns losreihzen kounten von dem Kloſter des 
Montijerrat und ſeinem tohrdigen Prior, bes und liebgewonuen zu 
Haben ſchien. Doc; mußten wir beihalb auch in geöfter Eile den 
Nückweg machen, um bie Zattane nicht zu verfäumen, bie jeit halb 
eilf Uhr am Fuß des Berges auf und wartete. Unfer kundiger 
Fuhrer nie übrigens allerlei angenehme, geradeausgehende Zub: 
pfade, eigenilich Wege lonnie man es nicht nennen, benn es waren 
meiſtens abfcpüäfige. Felſen mit Steingerdlle bebeckt, auf benen wir 
inbeffen xnticjenb.unb fpeisgenb in kueger Zeit zux Ebene hinablamen. 

Im Eolbata machten wir eine Raft, um ein ſehr geringes 
Vreübftüd einzunehmen. Mit Hilfe eines Dittionärs und Volabulars 
Yanberwälichten wir zu uuferem Privatvergnügen .ein entjehliches 
Spanifd mit der Wirthin und ihren beiden Töchtern; nur Horſchelt 
nahm keinen Theil an der Unterhaltung, wogegen er dem Früh: 
Päd eifeiger zuſprach, was endlich bie Wirkhin zu ber Trage ver- 
onlaßte:.ob ex micht auch irgend ein Wort Spaniſch wüßte. Darauf 
entgegnete ich ihr: es fei.eigentlich traurig für und, aber, wenn 
man'bie Umftänbe keune, verzeihlich, daß ex uns mit ber Sprache 
do im Stich laſſe, indem ex bach ein Spanier fei, und noch dazu 
aus Mabrib, ber aber ber Dame feinen Herzens das Gelübde gelhan, 
"Fe auf feinen Reifen nie mit einem andern weiblichen Weſen zu 
unterhalten. 

: Kente Morgen that uns ber Poſtmeiſter von Eiparraguera 
bie Ehre an, eigenhändig bie Tartane zu Ienten, welche uns dahin 
zurückbrachte. Der Ommibus dort war ebenfo befeßt, wie auf der 
Herfahrt; im faufenden Galop fuhren bie Maulthiere mit uns 


230 Achtes Kapitel, 


davon, baf dad Wagengeftell krachte; es war ganz diefelbe Geſchichte, 
wie geftern Nacht, nur bab.ieje am hellen Tage bie Miühfeligkeiten 
und das Reifeungemad; mit feöhlicerem Muth ertrugen. Der 
Mayoral rauchte eine :Gigarıs- um bie unbe, bes. Zagal flog auf 
und ab unb erwies jebem ber Maulthiere mit Steinen und Peitſche 
taufend Heine Aufmerkfamteiten. Uebrigens fuhren tote langſamer 
als in der Nacht, denn bie Strafe war bedeckt mit Fuhrwerlen 
aller Art; Hodjaufgepadten Karren mit ſechs. acht, zehn Maub 
thieren beſpannt, mußten wir bald redhts, Bald links answeichen 
Poſtwagen, in dichte Staubwolken eingehülft, radten an uns vor⸗ 
über, um im tollen Wetteifer unſeres Zagals mit dem andern 
gleich darauf wieder von und überholt zu: werben, Je näher wie 
Barcelona kamen, um fo maleriſcher war bie Strafe belebt, day 
Barmen bie Fuhganger mit ber rothen uud blauen. Manig, eingelne 
auf fehönen SPferben vorbeigalopirende Bauern," Weiber mit bunte 
farbigen Kopftuchern und hie und ba Navarwfetr, höne . Kuäftige 
Geflalten wit der rothen ober weißen Bois auf dem Kopf, in 
brauner Jarke, eine farbige Decke auf ber Hinten - Gehulter unb 
einem hellen Gürtel. Asch entlaſſene Solbaten begegueten and.in 
großer Anzahl, Halb milidäriſch gekleibet, alle mit einem briten 
Rofadand über ber Bruft, au dem ſie eine lange Blechlapſel tragen, 
worin ſich ‚bee Abſchied befand, B 

Nachdem wir in ben Feftungtimesten Barelonıs; bie- wie 
gegen färf: Me erreichten, noch einige Mal ba: fehe ernſtliche Ver⸗ 
twirelungen mit anbern ——*— gerathen waren, ſchaulelten 
wir bei einbrechender Dämmerung durch die Straßen, ‚ziemlich mihe 
und abgefpannt, doch aufs Gochſte befritbigt tie ame‘ run 
auf. ben Montſerrat. 





Nach Valencia, 231 


‚ er Nenntes Kapitel. 
m Bon Bareelode nad Valencia. 


Auf nah, — Veroeblichez Warten auf den Bareino. Deutſche und ſpanlſche 

Einwagen. Dir Defantero, "Ung'üdsfäne.” Nadtfahrten. Meipnazisppantaften. 

— Win Angenehmt Bißder and der heimath. fe Legen im Graben. 

Laragona. "Eleubt pantfie Dädter, "KrtımTdenttigen Raftanier, an: bed Edto 

Stepub!: Ampofe Gin Gineffäes Diner. Laadhäuſat und Palmen. ‚Der Weg 

un. Merz, Säredliceg Uuglüd eines Gilwagens. Ein merfoürdiger Unfall, 
Murviebro. "Die Querta: 


Der Zicrunetheubtnena in „Prtsiofe* hat gul "den und be 
fehlen :: „Auf nach Balenria!* er woran die ſchlachten ſpaniſchen Stra⸗ 
Bert gewöhnt; brauchte sun feine Zelte abzujchlagen; ſie aufladen zu lafſen, 
und Toimste daun mit der ſchbnen Fienelofn und unter dan Mlängen der 
wizenben Weber'ſchen Muſik zufrieden feines Weges ziehen. „Hätte 
ex aber, wie wir, in Baucclona gefeffen, vergeblich murf ein Schiff war⸗ 
tenb, und mit bee untröftlächen Vetficherunig aller Reiſenden, bie. Wege 
nach ber altım.‚Stabt bes Eid feien ſelbfi für hier augenblicklich in 
troſtloſemn Buftende, fo wände ex jein: Auf nach Balencie !* in etwas 
semähigterem Ton gerufen Haben, Der „Berreina“, ein ſpaniſcher 
Dampfer, obgleich er ſchon feit Langer Zeit. an allen Straßeneclen 
vermittelſt großer Zettel dugegeigt wat, wollte immer nicht erſcheinen; 
ein auderes Schiff war ſchon gax wicht im Ausſicht, denn bie Linie 
von Marjeille nach Cabig- wurde im gegenwäxtägem Wugenblid ſehr 
wangelhaft befahren, teil, wexfchiebene Dampfer beim ſtürmiſchen 
MWetter deB Hoberaberd mehr oder minder Schaden genommen hatten, 
und in Marjeille behufs ber Ausbefferung zurückbehalten wurden. 
Bon Valencia kam faft jebe Woche ein Schiff, aber umgekehrt wollten 
für ung norbiveftlich am Horizont feine tröftenden Rauchwolken ers 
ſcheinen. So mußten wir und benn entichließen, bie Fahrt über 
Taragona zu Sand zu machen. In unferem Hotel, ber Fonda bel 
Oriente, war das Bureau ber Diligencen, und ich, der ſo oft Nach« 


232 Neuntes Kapitel 


mittags mit Inlereffe und vielem Mitgefühl arme Reifenbe wie 
Häringe in den Wagenlaſten einprefien ſah, mußte enblich daſſelbe 
mit mir gefchehen laſſen. Oberbaurath Leins umb ich hatten bag 
Eoupe genommen, Horjchelt jaß an ber Hintern Thür bes omnibns- 
ahnlichen Interieurs, und fo wurden wir am einundztwanzigften 
Dezember, um drei Uhr Nachmittags, im vollen Galop von acht 
Maulthieren aus bem Haufe und ber Stadt befördert, 

Unfer Weg füßete durch bie Puerta bel Monjuich, vor welcher 
wir Abfchied von bem Meer nahmen, wenn auch nur für kurze 
Zeit, und xecht3 an ber Stadtmauer dahin fuhren, bis zur großen 
Straße nach Madrid, die wir aber nach einigen Stunden ebenfalls 
verliegen, um aladann füdweſtlich unfern Weg zu verfolgen. Die 
Vandſtrahe ließ fich übrigens anfänglich gar nicht fo ſchlinn an, 
wie wir und gedacht; fie mar ſehr breit, auch ziemkich eben, und 
da ber Mayoral mit großer Geſchicllichteit verbächtige Löcher zur 
Rechten und zur Linken glücklich zu verineiben wußte, fo wäre bie 
Fahrt gar nicht unbehaglich geweſen, mem nicht daB: Kutfihixen 
der Spanier an fich bie Nerven in einer beflänbigen Aufregung 
erhielte. Bei uns in Deutſchland find Kondukteure, Poſtillous 
Pferde, Wagen, Paſſagiere und Straßen gewiſſeruiaßen vernünftige 
Geſchöͤpfe, die ſich verflehen und in einauder zufügen wiſfſen; der 
Schwager Hat feine vier Pferde in der Hand und fährt feinen für 
liden Trab, wo es bie Straße erlaubt; der Pafjagier iſt beruhigt, 
denn ex weiß, der Wagen wird einem Stein uber Loch auszuweichrn 
wiſſen, er kann ſich ſogar ſorglos zum Schlag hinausbeugen, und 
wenn ihm feine Reiſemühe zuſälligerweiſe abfällt, fo wich der Kom 
dulteur einen Augenblick anhalten; man iſt mithandelnde Perfen, 
und das gibt und ein Gefühl der Behaglichkeit und Sicherheit. 
‚Hier aber ift man ber Poft wie ein Paket übergeben wotden; mar 
wird an Ort und Beftimmung befördert; ob man umverſehrt ober 
zerſchlagen und zerſchunden anlommt, darım kümmert ſich fein 
Menſch. Die ſpaniſchen Eikwagen haben unter Undevem:die ange 
nehme Einrichtung, daß fich nur auf des linben Seite Thitren ber 


Nah Balencia. 238 


Finden; wirft man aljo zufalligerweiſe dorthin um, fo befindet ſich 
ein wohlbeleibter Reifender fürmlich tie in einer Mausfalle. Das 
Geſpaun habe ich ſchon in einem früßesen Bericht beſchrieben. 
Der Mayoral Hält nur bie Zügel ber beiben Stangenpferde, die 
mittleren ſechs Thiere folgen dem Delantero, einem Buben bon 
nicht über zwölf Jahren, ber alfo alle zehn Maulthiere und das 
Geſchick des Wagens im feiner ſchwachen Hand Hält; meiſtens reitet 
ex anf einem Pferd, ba ein folches lenkbarer iſt. Man nimmt zu 
bielem gefährlichen Gefchäft bed Vorreitens biefe jungen Burſche, 
weil daB Thier fie leiter tragen kan, und weil fie die Gefahr, 
ber fie beftändig außgefeßt finb, nicht jo keunen und adhten; benn 
ſturzt das Pferd unter bem Delantero zufammen, namentlich bei 
einer abjcgäffigen Stelle, fo fegen nicht jelten bie anderen Tiere 
über ihn hinweg, und er ift in ben meiften Fallen verloren. 

In Barcelona wurde mir eine ſcheuerliche Gefchichte ber Art 
erzahlt, wo ein Mahoral einen eigenen Sohn überfuht, ber von 
bem ſchweren Magen augeunblicklich getöbtet wurde, Zabel reiten . 
biefe Boftillone nicht bloß eine Station, fondern, wenn nicht die 
ganze Reife von mehreren Tagen, doch meiftens bis zur nächflen 
gröbern Stadt, jelten unter vierandzwanzig Stunden. Unſer Te 
Iantero war ein ſchmaͤchtiges Burſchchen von vielleicht elf Jahren 
umb einem feinen blaffen und ausdrucksvollen Gefiht, ein wahres 
Kind; doch als man ihm aufs Pferd geholfen, zundete er fich fein 
Cigarito an, und fort ging es im fawfenben Galop. Ich habe 
ihn etwas genauer befchrieben, weil ex uns fpäter in ber Nacht, 
im wahren Sinne bes Worts, in eine jehr unangenehme Verwicke- 
lung brachte. Umfere Reifegefellichaft im Innern des Wagens, das 
nach Art der Omnibuffe eingerichtet ift, beftanb meiftend aus Männern 
im Mantel ober in ber Manta, mit bem andaluſiſchen Hut auf 
dem Kopf, Eine einzige Senora füße mit und, eine Fran mit 
einem nicht jährigen Kind an ber Bruft, defſen fämmmtliche Kleine 
Angelegenheiten fie vor ben Augen und Nafen der übrigen Paſſa— 
giere auf die ungezwungenfte Art bon der Welt beforgte, 


234 Neuntes Rapitel, 


Nach ber zweiten Gtation fuhren wis in bie Berge. hinein, 
unb hier war bie Strafe nicht nur ſchön augelegt ſondem auch für. 
hier gut unterhalten; gewiß ſehr zum Kummer unſerer Mauliiene, 
denn ber Zagal erſchopfte fi) in Aufmerkſamleiten für fie ud fo 
fuhren wir mit aurkeuedentlicher Gtnelligteit- bahn. : Der Tag 
war klar und wunderſchon und bie Laudſchaft mannigfaltig beleht, 
Es iſt eigenthumlich / wie in Catalonien, namentlich des Abende, 
der rothe Grund. der Eade nom Soanenlicht ſo warm und ſchom 
beleuchtet wird. Das Sand ſcheint ordentlich bie glänzenden Strahlen 
aufgufaugen, um fie barauf jelbfkleuchtend wieber von Fich zw. gebenz 
babei iſt Hier bie Formation ber Berge malerifch ſchön, den Thaͤlern 
fehlt es nicht an Vegetation, und die Anhöhen- find hie und da 
gekrönt mit Kirchen, Ruinen und alten Schlöffern. Ad, wenn es 
nur beim Reifen, namentlich bei den: Gilmagenfafeten, keine Macht 
gäbe, bie mit ihrem ſonſt fo traulichen Duulel .finftere Schleier 
über Berg und Thal zieht, und unſere Gedanken; bie. jo_gexue aus⸗ 
wärt umherſchweifen, um fich am Anblick dex Herzlichen Natur 
immer wieder neuer und lebendiger zu geftalten, in unſer Juneres 
zurückſcheucht, wo fie dann, ermübel, » gern ernft und > Baia 
werben. - Vergeblices Wunſchen l 


And din be Bene a iin, 





Das. that fie denn auch am heutigen Abend mit.oller Pracht, in⸗ 
dem fie bie Höhen rings um uns her vergolbete, und im Widex ⸗ 
ſchein die ſchon hunteln Thäler mit einem freundlichen violelten 
Duft bedachte. Abenbnebel ſtiegen hie und da auf, bie Paflagiere 
neben dem Mayoral widelten fich jefter in bie Manta, ber Bagal 
ang ein mulandpolifches Sieb unb unfere Maulthiere hörte man 
mehr ala man fie ſah an bem vieltönigen. @eflingel ihrer, Gläct-, 
en und ben Meifingzieraten ihres Geſchirrs. Bald murbe. e3 
fo buntel, ba Berg und Thal fi taum nod; von einanber under: 
ſcheiden Tiefen, und bie Kellere Landſtraße lief in einem, einfdemigen 


x 





Rad Balencia, 235 


Streifen vor und dahin; zuweilen blißte im ber Ferne ein Licht 
auf, zuweilen leuchtele neben uns auf dunklem Grund bie Kleine 
Fläche einer Waſſerlache, in welcher fich der Himmel twiberfpiegelte, 
Letzterer hielt am Tängften mit gewohnter Treue und Liebe bei ung 
ans, und ſpannte ſich noch klar über ber Banbfehuft, als biefe ſchon 
Kängft in tiefe Dunkelheit verbüllt war. Es gibt Farbungen dort 
‚oben, bie man zu geiviffen Zeiten immer wieder fieht und die uns 
wie ‚ber Klang eines Liebe, -wie ein freundliches Wort an ange 
nehme Stunden erinnern; fo war es mir Heute Abend, Doch un 
biefen Erinnerungen nachhängen zu können, mußte id; meine Ges 
danken zurückrufen, die Augen ſchließen und wußle num gleich, wo 
ich denſelben gelben Streifen am Horizont Halb von Wolfen ver⸗ 
beckt ſchon gejehen Habe — war es doch vor einem Jahr an dem⸗ 
Telben Heutigen Tag, einige Abende vor Weihnachten. Doch ſaß 
ich damals nicht im finftern Eilwagen, fonbern ich eilte nach Haufe 
und befand mich bort in einem freundlich erhellten Gemach, das 
185 jet wieber lebhaſt vor mie fah, ſowie ich bie Augen floh. 
Auf dem Tiſch fand der Tannenbaum bereit? halb bekleidet mit 
feinem Schmud, benn auf ber einen Seite ſchimmerten zmifchen 
den grünen Nadeln ſchon filberne und golbene Rüffe hervor; auch 
glänzende Glagkugeln und zierlich gefcjnittene Nehe von buntem 
Bapier Bingen gleich Guirlanden an ben Zweigen; an ber andern 
Seite waren meine Buben beſchäftigt. Bon ben Ieuchtenden Augen 
und lachenden Lippen aufgefordert, verſtand ich mich gem dazu, 
ebenfalls Hand art das große Werk zu legen. Eben ſchickte ich 
mich an, in Gedanken nämlich, eine fehöne Fahne von Rauſchgolb 
außzufehnteiben, ala ber Poſtwagen fo gewaltig auf das Pflafter 
Heß, klirrte und vaffelte, daß er mich unangenehm in meinen 
lleben Träumen unterbrach. Mir hatten bie Station Villafranca 
erreicht, wo bie Pferde gewechfelt wurben und neue Paflagiere 
aufftiegen, in der That aufftiegen, benn da ber ganze Wagen 
unten befegt war, fo wurbe eine Leiter angelegt, umb eine Frau 
mit ihrem Säugling, ſowie ein paar Guardia's Eiviles, ob zu 


236 Neuntes Kapitel, 


ihrem oder unferem Schuß, weiß ich wicht, kletterten auf bie 
Imperiale. 

Es war da oben ein recht ſchwanker und luftiger Sig, ich 
Hatte fo meine Gedanken für die arme Frau im alle des Um: 
werfens bes Magens; unfer Anerbieten, einen .ber Pläge im Conpé 
einzunehmen, verwarf fie inbeffen, und ſchien ſich gar ‚nicht ‚unbe 
haglich droben zwiſchen den beiden bewaffneten Männern zu fühlen; 
biefe waren feſt in ihre dunfelm Mäntel gewickelt und Hatten ben 
breiezfigen mit Wachstuch überzogenen Gut auf bem Kopf, während 
ihre Langen Flinten drohend zu beiden Seiten hinaußraglen. So 
fuhren wir denn weiter einem Stück des Wegs entgegen, das und 
ſchon in Barcelona als unangenehm geichildert war, und es ver 
diente ben Ruf in der That; denn kaum Hatten wir ben Oxt 
Yinter uns, jo begann bie Poſtkutſche ſich auf eine höchſt verbädge 
tige Urt in Seitenbeivegungen zu ergehen; bald fanfen wir anf 
bie rechte, Bald auf bie linke Seite, wobei das Gejchrei des Mayaral 
und Zagal immer Yauter und lauter wurde. Wären fie wenigſtens 
ruhig im Schritt gefahren, jo Hätte man, ſich dach mit einer. ger 
wiſſen Beruhigung in fein Schieffal gefunden; aber fo murben bie 
Maulthiere mit aller Kraft der ungen unb Peitſchen vorwärts 
getrieben, und riffen ben Wagen in die Köcher hinein und wieder 
Heraus, dab das ganze Geftel Frachte und man ſich jeden Augen 
blick wunderte, wie Achſen, Räber und Wagen noch zuſammer 
hielten. Das ging eine Stunde fo fort, worauf der Wagen anfing 
langſamer und weniger zu ſchwanken, bie Räder .gleichjürmiger 
vollten und das Geflingel der MaultGiere wieder in einem auge 
nehmern Takt ging. Leider ift es wir verfogt,.in dem Magen; zn 
ſchlafen, d. h. bei den Längften angeltzengteften Touren iſt e8-.mir 
Taum vergönnt, während ber Morgenbämmerung eine Halbe Stunde 
oder fo etwas leicht zu ſchlummern. Da ift es deun fo. natürlich, 
daß man Liebe Geinnerungen hervorruft, um bie Langen ‚Stunden 
ber Nacht zu verürgen, und ich begann, bie Augen ſchließend, wieder 
an ben freundlichen Lichterglang zu benten, an, ‚bie zoufchenper 





Nach Valencia, 237 


Tannenzweige, zwiſchen denen dießmal flatt ber vergoldeten Aepfel 
und Nüffe bie firahlenden Augen meiner lieben Kinder hervor—⸗ 
leuchteten — da mit einem Male erklang das Geſchrei des Mayoral 
und des Zagal auf eine eigenthümliche und erſchreckte Art: wir 
tollten gerade auf einer ziemlich glatten Stelle des Wegs etwas 
auftwärts und hatter neben uns vedjt und links tiefe Gräben; 
ber Delontero mit feiner Kinderſtimme fließ ein Angſtgefchrei aus 
und inene Träume flatterten bavon, Sicht: und Goldglanz und 
ff? bie Tieben Gefichter, Da ich die Tinfe Ede des Coupé's Hatte 
und eines ber Fenſter geöffnet war, fo bog ich mich ſchnell hinaus 
und ſah, wie unfer Vorreiter Kehrt gemacht hatte und im vollen 
Galop bel unferem vigenen Wagen vorübertam. Da aber an ber 
Seite auf ber Strafe felbft fein Plak war, fo fürzten feine 
hiere in ben Gaben hinab; ihm folgten bie ſechs Mittelgefpanne, 
alle fielen übereinander her, ftürzten zufammen, rafften fi) wieber 
anf und xiffen endlich die Maulthiere an ber Meichfel mit fich 
herum, dieſe den Wagen, ber nun glücklicherweiſe faft ganz gerade 
mit den Vorberrädern in ben Graben gezogen wurde, Daß er 
nicht ganz zum Sturz kam, dankten wir ben beiben geftlirzten 
Thieren an ber Deichfel, die fich fo in ihre Geſchirre verwickelt 
Hatten, daß fie, troß vieler vergeblichen Verfuche, nicht aufgufpringen 
im Stande waren. Das Geſchrei umferer Paflagiere hinten im 
Wagen, bie nicht fahen was vorging, namentlich aber der beiden 
Weiber, wovon bie eine mit ihrem Säugling oben auf bem Wagen 
in der größten Gefahr ſchwebte, kann man ſich Teicht denken. Die 
Sorglofigkeit ber ſpaniſchen Fuhrlente bewährte ich Hier aufs 
Glängendfte; e8 wolfte mix nämlich nicht gelingen, die alte toftige 
Thurklinke aufzudrehen, es bedurfte mehrmaligen Erſuchens, ehe 
dieß von außen geſchah. Die Guarbia's Civiles waren von oben 
herabgeſprungen und da ich zufällig an ber Seite des Wagens 
fand, jo nahm ich das Leine Mind der Spanierin in Empfang, 
das fie mir in eim Tuch gewicelt weinend herabreichte. Neben 
uns im Graben herrſchte eine unbeſchreibliche Verwirrung ;'e8 war 








FEFFIFTEEER 
ul 904 1: 
A HAHN il 
Hl 








Nach Palencia. 239 


Taragona iſt reich daran. Soll «3. doch in früßeren Zeiten eine 
Million Einwohner gehabt haben, beren Zahl jet auf 10,000 zu- 
Tammmengefihmolgen iſt. 

„ &8 war ein Mr, aIB wir dor dem Parador be Ind Diligencias 
hiellen wo wireine ſchlechte Tafel und eine ſehr geſchwätzige Spanierin 
fanden, auch muhlen wir die in Del gekochten und reichlich mit 
Enoblauch geivärzten Speiſen thener genug bezahlen. Im Som⸗ 
mer, 190 die Vandſtrahen trocken und beſſer finb und der Eilwagen 
behhalb ſchneller zu fahren Im Stand ift, werben dem Reiſenden 
in den größern Stäbten unterwegs ÖfterB langere Naften gegönnt, 
mm ihn ausruhen zu Taffer von der Hihe und dem unerträglicien 
‚Staub in biefer Jahresgeit. Jeht Dagegen werben dieſe Kalte ber 
Beutend abgekürzt und Höcftens alle zwölf Stunden einmal eine 
Stunde zum Ausruhen vergönnt; meiſtens find aber auch bie Dörfer, 
durch welche mar kam, fo über alle Beſchrelbung ſchmutzig und 
ãarmlich, dab man gem auf ein Verweilen in denſelben verzichtet, 
mar in dev Türkei erinnere ich mich, ähnliche Häufer und Ortſchaften 

geſehen zu haben. Die Wohnungen bort wie Hier find aus Lehm 
aufgeführt, natürlicherweiſe ohne Glasfenſter umb zerbrochene Höl- 
zerne Baden hängen dor ben unregelmäßigen Heinen und großen 
Oeffnungen, das Innere aber iff fürchterlich; man begnügt fich gern 
mit dem erſten Blick, wenn man allenfalls in eine biefer Hutten 
eintritt, um ſich eine glühende Kohle für die Cigarre geben zu 
laffen. Im Allgemeinen if das Ankommen in einem ſpaniſchen 
Dorf; im leinern, ſelbſt in geößern Städten eine Oual für ben 
Reiſenden, denn iſt auherhalb derfelben ber Weg ſchon ſehr ſchlecht, 
ſo iſt er zwiſchen den Häauſern faſt unfahrbar; ſowie man bie 
erſteren erreicht, finkt dee Wagen bis ar bie Achſen in ben Koth, 
nmergrundliche vöcher konnen nur durch die ärcherſie Geſchicklichteit 
bes Mayoral vermieben werben, oder bie mit lautem Geſchrei und 
Peltſchenhieben gejagten Maulthiere relhßen bie Kutfche hindurch, 
ſo daß man fich oft mit den Händen ſeſthalten muß, um nicht ben 
Kopf am der Dede zu zerftoßen. Man findet das ubtigens durch 





298 Neuntes Kapitel, 


ein große verwickelie Maffe von Maulthieren und Geſchirren; glück⸗ 
licherweiſe Hatte der arme Heine Delantexo Leinen Schaden gelitten, 
ex hinkte herbei, wir hatten ihm im Verdacht, er habe auf feinem 
Dierb geichlafen, doch entgegnete ev: onsallob malos, — no he 
dormidot 

Wir legten alle hilfreiche Hand am, um bie Maulifien von 
ihrem Geſchirr zu befreien und nach einem halbſtandigen Aufent 
halt war unfer Geſpann wieder fo weit in Ordaung,. hab wir 
unſern Weg fortjepen Tomnten. in ſolch plöglices Umtehren ber 
vorderen Thiere fol übrigens nicht Telten vorkommen, unb gleich 
auf ber nächften Station geſchah das abermals, glücklicherweiſe 
aber noch vor bem Poftgebäube, imo mehrere Knechte bereit fhanben, 
bie eigenfirmigen Thiere mit tücptigen Hieben zurecht bringend. 
Gegen zehn Uhr Abend näherte fih bie Straße dem Meer wieder, 
auch mar ber Monb unterbeflen aufgegangen, fo daß wir bon. ber 
‚Höße, auf der wir fuhren, bie hellbeglaͤnzte Fluth weit überjehen 
Ionnten, Taxagona, bie alte Römerftadt, erreichten wir um Mikter- 
nacht, unb was wir von ihrer Bage im hellen Mondlicht ſahen, 
war jo maleriſch jchön, daß wir ſehr bedauerten, nicht einen, Tag 
daſelbſt zubringen zu können. Ghe wir bie Stadt erzeichten,. Lief 
ber Weg eben längs dem Meer bahin und dann mit einem Dal 
ziemlich fteil aufwärts, um fich darauf an ben weißen Felſen em: 
poxzuwinden, auf denen Taragona liegt. Links ſenklen fich &iefe 
Schluchten an's Geftabe hinab, auf denen dunkle Schatten Tagen; 
die See war ruhig wie ein Spiegel, fo daß das Licht des Mon« 
bes. nicht auf ben Wellen gliperte, ſondern der lange Streiſen, ben 
es bildete, wie leuchtendes, blank polites Silber ausſah; zuweilen 
wurde bie Ausficht vechts und Links durch gewaltige Trümmer 
Haufen, durch Häuſermaſſen und Wälle verdeckt, und ber Magen 
raſſelte und bräßnte gewaltig hindurch. Es war mie eine Art 
Vorſtadt, die wir paffirt Hatten, doch konnien wir bei ber unge 
wiſſen Helle nicht genau unterjcheiben, ob wir Ruinen ober ber 
vohnte Häufer Hinter uns Kiehen; ich ‘glaube. das Erſiere, denn 


d 


Rad; Balencia. 289 


Zaragone iA reich daran. Goll:'c3. doch in früßeren Zeiten eine 
Million Einwohner gehabt haben, beren Zahl jet auf 10,000 zu- 
ſeimmengeſchmolzen ift. 

, & war ein Uhr, als wir dor dem Parador de lad Diligencias 
hielten too wie eim ſchlchie Tafel und eine ehe gefäitnäige Spemerin 
funden, auch mußten" wir bie irt- Del geforhten und reichlich mit 
Knoblauch geivärzten Speilen thener genug bezahlen. Im Some 
inte, 106 die Vanbſteahen trocken und beſſer finb unb’ber Eilwagen 
deßhalb ſchneller zu fahren im Stand tft, werben dem Reiſenden 
in ben gtöhern Gtäbten unterwegs bfters Tängere Raften gegönnt, 
um ihn ausruhen zu laſſen von der Hiße und bem unerträglichen 
Staub in dieſer Jahreszeit. Jeht dagegen merben biefe Halte ber 
deutend abgekürzt und höchſtens alle zwoͤlf Stunden einmal eine 
Etmbe zum Ausruhen vergönnt; meiftens find aber auch bie Dörfer, 
durch welche mar kam, fo über alle Beichreibung fehmupig und 
ärnilih, dah men gen anf ein Verweilen im denſelben verzichtet, 
nur in dee Turkei erimmere ich mich, ähnliche Häufer und Ortſchaften 
gelegen zu haben. Die Wohnungen dort wie Hier find aus vehm 
aufgefuhrt, natilrlichertweife ohne Glasfenſter und zerbrochene höl⸗ 
zerne Laden Hängen dor ben unregelmäßigen kleinen und großen 
Oeffnungen, das Jrmere aber iſt fürchterlich; man begnügt fich gern 
mit dem erften Blick, wenn man allenfalls in eine diefer Hütten 
eintritt, um ſich eine glühende Kohle fir die Eigarre geben zu 
lafſen. Im Allgemeinen iſt das Ankommen In einem ſpaniſchen 
Dorf, in lleinern, ſelbſt in großern Gtäbten eine Oual für ben 
Reiſenden, deun iſt außerhalb derſelben ber Weg ſchon ſehr ſchlecht, 
fo iſt er zwiſchen den Häufern faſt unfahrbar; ſowie man bie 
erſteren erreicht, finkt der Wagen bis am bie Achſen in ben Koth, 

mmergrundliche Löcher Lrmen nur durch die Auferfie Geſchicklichteit 
bes Mayoral vermieden werden, ober bie mit lautem Geſchrei und 
Veitſchenhieben gejagten Maulthiere relßen die Kutfche hindurch, 
ſo be man fi oft mit ben Händen feſthalten muß, um nicht den 
Kopf ar'ber Dede zu zerſtohen. Man findet das übrigend durch 


240 Neuntes Kapitel, 


ganz Spanien, und ber Grund dieſer ſchrecklichen Vertvahrlofung 
in ben Straßen ber Dörfer und Städte ſoll darin liegen, daß bie 
Behörden der Iehtern mit ber Regierung beftändig Darüber im 
Streit find, wer eigentlich bie Verpflichtung Gabe, biefe Wege zu 
unterhalten; einer ſchiebt fie auf den andern, und ba dieſe Meinunge⸗ 
verſchiedenheit nie ausgeglichen wird, fo bleibt es, wie fo ande 
Hier, bei dem Alten, Schlechten. Die Bevöllerung ber Dörfer, 
namentlich ber Heinsren und entlegeneren, paht übrigens biz 
vortrefflich, und kaum verläßt man den Wagen, fo wird man um⸗ 
drängt von zerlumpten elenben Beftalten, bie mit ‚eines Kei uns 
unbelannten Ausdauer ihren Quarto zu exbetteln wiſſen. 

Eines ber ſchauerlichſten Neſter dieſer Art, ich glaube Prrello, 
emeichten wir Morgens gegen acht Uhr. Hier wurde umgelpanat, 
und wir begaunen unſere legte Station gegen ben Ebro his, der 
ſich ungefähr auf ber Hälfte unſeres Weges in's Merr ergieht, 
Glücklicherweiſe war der Tag Mar und heiter angebrochen, und 
erlaubte und eine weite Ausficht über Sand und Meer, jobald wir 
eine beträchtliche Höhe erftiegen hatten, zu ber eine jehr gut ange 
legte Strafe hinauffahrie Ein weites eigenthumliches Mumbge 
mälbe öffnete ſich hier unfern Blicken: weit vor ums fahen wir 
bie See, eine große Bucht in's Land herein bildend, welche am 
Horizont von langgeſtreckten Dünen begrenzt war, fo bat es ausſah, 
als hätten wir einen fehr außgebehnten Binnenſee vor und. Dort 
hinab fiel das Sand viele Stunden lang in einer ununterbrochenen 
tahlen und dden Ebene unendlich einförmig, aber großartig in feiner 
Dede, eine Haibe von röthlichem und gelblichem Boden mit magern 
Burbaumfträuchern beberft und Buſcheln ber Palmitos, die mit 
ihren fächerartigen Blättern von dunkelgrüner Farbe auf Lange 
Streifen Hin das Land bebeifen. Im vollen Trabe rollten wir hinab 
eine Stunde um bie andere, ohne daß wir ber Bucht drunten ober dert 
Thalgrund ſcheinbar and nur im mindeften näher gerückt toren. 
Ich erinnere mich lange nicht eitte Jo getvalige umb einförmige Fläche 
geiehen zu Haben. Der Wagen mit umferem Gefpann mußte darin 





Nah Balencia. 241 


wie ein Nichts erfcheinen, ımd ein einzelner Fußgänger, ber anfwäͤrts 
geftiegen wäre, hätte fi) unmöglich eines unbehaglichen Gefüßls ber 
Hilfiofigleit und Einſamleit erwehren Tonnen. Endlich nach breis 
ſtündigem Fahren erlannten wir in dem tiefen Streifen im Thal, 
bie wir Lange für ben Schatten eines Berges ober für eine Schlucht 
gehalten, Baumreihen und einzelne graue Häufer, bie uns anzeigten, 
daß wir una einer bewohnten Gegend, wahrſcheinlich dem Ebro 
mäberten, und fo war e8 denn audi. Ein paar Mal noch ging es 
Berg auf und ab, und dann ſahen wir ihn vor uns Liegen ben Strom 
mit bem folgen, woßlflingenben Nomen, ber ſchon fo vielfad; in 
Liedern befungen worben ift. Auch bie Dünen traten deutlicher her⸗ 
vor und zeigten fich fo Dicht um die Mündung gelagert, daß e8 jelbft 
einem Tleinen Fahrzenge kaum möglich geweſen wäre, durch fie hin⸗ 
durch das offene Meer zu gewinnen. Aber ber Fluß felbft — unfere 
Blicke ſchweiften begierig umher, um bie Stelle zu finden: 
Wo die ſchattigen Kaftanien 
Era ba en ib; 

Du lieber Himmel, wir wären mit einer alten Birke oder mit einem. 
melancholiſchen Tannenbaum zufrieden getvefen! Aber kein Strauch⸗ 
wert, fein Grashalm wächst an diefen troftlofen Sandufern; jo weit 
wir bie Blide hinaufſandten, ſahen wir nichts als zwei kahle gelbe 
Streifen Landes, zwiſchen denen fi ein graues fchlammiges Waſſer 
langſam bahinwälzte. Das alfo war der Ebro, auf beffen Mare 
Fluthen wir uns fo jehr gefreut! Daß feine Ufer weiter Hinauf 
nicht viel maleriſcher und faftanienbefegter feien als Hier unten, 
verficherte und bereitwillig ein Iandeskundiger Spanier auf unfere 
Bitte, Apollo mag es bem Dichter verzeihen, ber einen Reim auf 
Spanien gefucht, und dafür Kaftanien gefunden hatte, von denen wir 
Teine Spur geſehen. 

Gegenüber dem Strom lag bie Heine Stadt Ampofta, bie in 


ihrer malerifchen Geftalt einen ſchwachen Erfak Dot Die hohen 
gadländer's Werke. XXII. 


242 Neuntes Kapitel, 


Mauern ihrer Hänfer fenkten fich 613 zum Waſſerſpiegel herab, und 
bildeten oben fo unregelmaßige Linien, daß fie von fer wie bie 
ausgezaclten Zinnen eines alten halkyerfallenen Kaſtells ausfahen. 
Dort ſollten wir nach zwolfftündigem Faſten unfer Mehl finden 
und wir hofften auf eine. gute Faähre, die den Eilwagen und muB 
überfegen tolixbe; aber wir waren ja in Spanien, im ſchoͤnen Saud 
bes Weins und ber Gelänge — und ber grundloſen Straßen und 
bruckenloſen Fluffe. Eine Führe war dorhanden, aber fie lag kur 
valid bei Ampoſta, weßhalb unfer Cilwageun dieſſeits bei einer elenden 
Holzbarade anhielt und unſere Koffer und Effekten abgeladen wurden. 
‚Hier war daß Nfer des Ebro beſonders unangenehm, denn mas ſank 
bis am bie Kndchel in ben Saub und Schlamm, durch wwelchen wir 
ein paar Hundert Schritte abwärts wateten, wo ein altes, gebrrch 
liches Boot lag, um umfere ganze Wagengeſellſchaft ühergtjekett. 
Wir Hatten übrigens von Glück zu jagen, daß der Waſſerſtand des 
Stroms Heute ziemlich niedrig und er vehhalb zahm und mild ner, 
benn ein Belaunter erzählte uns in Barcelona: er Habe hei Regen: 
wetter auf einer Reife hierher zweimal vierundzwanzig Stunden in 
ber obenerwähnten Hütte zubringen müffen. Obgleich unfer Boot 
ſehr überlaben war umd tief ging, erreichten wir doch glücklich Am- 
poſta, welche Stabt und armen Reiſenden zu fagen ſchien: wwärtet 
nur, ihr Habt mich von aufen ſchoͤn gefunden, ich will euch eure 
Illuſion ſchon benehmen. Und das that fie redlich — wie eine 
‚Heerbe Gänfe jehritten wir fluchend, einer hinter dem andern, bei 
bem Kothftrom vorbei, den man hier mit einer unglaublichen Khn⸗ 
heit eine Straße nannte. Da wir, um im den Gaſthof zu gelangen, 
Hinüber mußten, jo war es ein großes Glück, daß wir einen Orts, 
Tumbigen fanden, ber und eine Furt zeigte, denn font wäre ſicher 
lich noch eim Unglück geſchehen. Dem laſtanienrauſchenden Ufer, 
dem Strome ſelbſt und ber Stadt reihten fich Speiſeſaal und Eſen 
würdig an; erſterer war eine Dachtammer und das zweite war nach 
einem für unſere Mögen’ gänzlich unverftändlichen Gpeifegettel her 





Nah Valencia. 248 


gerichtet; mit Ausnahme eines ſchwindſüchtigen Huhns, welches in 
feinen lehten Behenäftunden ſehr viel Zwiebeln verzehrt zu Haben 
fehten, ift e8 unmbglich anzugeben, was wir eigentlich gegefien, 
63 tam ums bor, wie ein chinefiſches Cffen, wo Tunftreich zubereitete 
Rattenfhentel und Fiſchfloſſen eine Hauptrolle ſpielen follen. Ob 
gleich wir una Lange nad} einem Acht fpanifchen Eſſen geſehnnt, waren 
wir doch hier fo tief im die Bruhe gerathen, dah wir uns umenbe 
lich nach einem feften bekannter Sande ſehnlen, welches denn auch 
am Schluß in Geftalt von Brob und Schafläfe erſchien. 

Rach Einem einftünbigen Aufenthalt fepten wir unfere Reife 
anf ſchlimmeren Wegen als bisher fort, es ſchien Hier in den Yepten 
Zagen bedeutend gevegnet zu haben, wodurch der Weg völlig aufs 
gewelcht war unb bie Räber fußtiefe Gleife einſchnitten. Died hielt 
aber Wayoral ımb Zagal nicht ab, bie Maulthiere auf's Aeußerſte 
anzutreiben: namentlich wo ber Weg fich ſeulte, radten fie wie toll 
hinab, um mit dem nachrollenden ſchweren Wagen bie Anhöhe brüben 
im vollen Galop hinauffahren zu Können. Die Gegend Hatte hier 
einen fruchtbareren und freundlicheren Charalter, ald jenſeits bes 
Ebro; man ſah vortrefflich angebante Felder, bie und da Kleine 
Dörfer mit maleriſchen Kirchthurmen und oft einzelne Hühjche Lande 
Käufer, über welde meiſtens eine hohe ſchlante Palme fchügenb 
ihre Zweige ausſtrecte, bie Fruchte derſelben Bingen unter ber Krone 
in hellgelben Buſcheln und hie mb ba beſchäftigte man fich, um 
fie herunterzunehmen, was mittelfi einer langen Stange geſchah. 
Bald kam ber Abend, bie Gegenb verfigleierte fich langſam und 
allmählig und ich mußte mich darauf beſchranken, unfere Zugthiere 
und ben Mayoral zu beobachten, was mir anfänglich im Schein unſerer 
Wagenlaternen einige Unterhaltung verichaffte, bald aber wurde da 
Sicht berfelben ſchwächer und zuckte nur noch hie und da auf, bis 
es endlich ganz erlofch;.tuorauf wir in ber tiefften Dunkelheit da⸗ 
hinrollten, bie nur zuweilen unterbrodjen wurde von ben (unten, 
welche bie Hufeiſen unſerer Thiere and ben Steinen ſchlugen, ober 


J 
244 Neuntes Kapitel. 


wenn ſich die Außenpaffogiere eine Papiercigarre auzündeten, was 
übrigens Häufig genug geſchah. 

Gegen zehn Uhr erreichten wir bie Station, ein einzelſtehendes 
Haus, wo eine ziemlich fteil abgehende unb dehchalb einigermafe 
verrufene Schlucht beginmt. An ein Wiederanziinden ueſerer Bateren 
dachte man natürlicherweile nicht, und ſo galopirie .unfer Geſpaun 
in Die Zinftermiß dinein. Der Wagen vollte, trag feiner: zioch 
Hemmſchuhe · mit ber größten Geſchwindigkeit abwaris. Wie uuſer 
Weg eigentlich ging, lonnte ich nicht umierſcheiden, daß er abet 
‚ziemlich gefährlich war, ſah ich art feinen vielen zafchen Wesnbingen, 
ſowie an ſchwarzen Schatten neben mir, welche diefe Schluchten am» 
zeigten, auch an ber ſenkrechten Felſeuwand, bie wir sft fo nnhan | 
der linlen Seite baten, daß man fie fait mit ber Hand erreichen 
Konnte; zuweilen bei Biegungen ber Strahe freifte der Wagen daran 
und dann wurde fein Hintergeftell unfanft auf bie Seite geworfen. 
Faſt eine Stunde jagten wir fo abwärts, dann ging es wieber berg: ®' 
auf; es wurde etivaß heller und wir erreichten eine Stelle, wo ber 
Weg auf einex jenkrechten Felſenwaud jo dicht: längs dem Beer 
hinführte, daß man, dem Anſchein nach ohne große Mühe, von bem 
Wagenfenfter aus etwas in bie Flulh Hätte werfen: koͤnnen; getrennt 
waren wir von ihr nur durch die Ruinen einer niebrigen Mauer, 
die voll Köcher und Riffe war, durch welche man daB mm: erhellie 
Waſſer ſehen konnte, indem ber Monb ſoeben am Horizont empor⸗ 
ſtleg. Wie ich fo. an dem Wagenfenſter lehnte und auf. bie glänzende 
See ſchaute, dachte ich an ein furchtbares Unglüch, welches. bar einigen 
Jahren hier geſchehen und noch jo unvergeffem in der Erinnerung 
ber Poſlillone iſt, daß ſie beim uupannen bie. Eingelnhe ilen tem 
Reifenden gerne erzählen. 

Eines Abends nämlich Hatte die von Aupoſta kommende Dilie 
gence umgeipannt und war mit ihren 18. Paſſagieren, meter 
eine deutſche Familie mit ein paar Damen und Kinberk, :bie obre 
erwähnte Schlucht hinabgefahren; ein Heftige Getsittte-ttit Hacken 


Nah Valencia, 245 


Regengüffen entlub ſich gleich darauf über ber Gegend, ohne gerabe 
befondere Beſorgniß einzuflößen; einer ber Stallleute, bie bei jeber 
Station eine Strecke Wegs neben bein Wagen berlanfen, um bie 
Maulthiere anzutreiben, hatte bie Diligence beim Leuchten der Blitze 
noch «tief in der Schlucht fahren fehen, worauf fle in ber dunleln 
Nacht verſchwand — um nie toieber zum Vorſchein zu kommen, 
Mo fie mit ihren 18 unglädfichen Pafſagleren, Mayoral, Zagal, 
Delantero und Geſpann eigentlich verunglückt ift, weiß heute noch 
Niemand; man glaubt ein pidhlich angeſchwollenes fonft flles Berg« 
taffer Habe fie mit allem in bad Meer Kineingefpült, ober vielleicht 
auch finb anf dem Wege hoch über ber Ser, von bem id} focben ſprach, 
Die Thiere am Wagen durch baß Gewitter ſcheu getvorden und haben 
Die Diligence mit ſich Hinab in bie Tiefe geriffen, kurz man Hat nie 
wehe eine Spur von ihr gefehen. 

Glucklicherweiſe paſfirten wir biefe Stelle ohne den geringften 
Unfell, wie z. B. daB häufig vorlommenbe Gtürzen eines ber Thiere, 
was aber auch hier von ſchrecklichen Folgen hätte fein müffen, und 
erreichten um Mitternacht Gaftelion, wo wir abermals abgefüttert 
wunden unb zwar auf eine jo vortreffliche Art, dah wir das un: 
verftänbliche Effen von Ampofta gern barüber vergaßen. 

Im der nädhftfolgenden Station Hatten wir übrigens noch einen 
Heinen Unfall von fo außerorbentlicher Art, daß ich benfelben nicht 
unerteäpet Ioffen ann. Es war vor bem Pofthaus, und bie Straße 
viermal fo breit als gewoͤhnlich, eher ein Heiner Pla, aber von jo 
unergrumblichem Schmutz, daß ber Watzen bis an bie Achſen ein« 
jank und beim Aukommen nur im Schritt von den müden Thieren 
vor bad Gebäube geſchleppt werben konnte. Beim Abfahren wurde 
das gewöhnliche Manöver wiederholt und bie Pferde — wir Hatten 
ſchon jeit Eaftellona keine Maulthiere mehr — durch Peitſchenhiebe 
und Geſchrei jo angefeuert, daß fie ben ſchweren Wagen im Galop 
durch ben Schenuh bavongogen. Plbhlich abet hielten wir mit einem 
tuchtigen Ruck, vier der mittleren Pferde waren geftärzt, bie vordern 


246 Neuntes Kapitel, 


vier aber hatten mit Beihilfe der Stangenpferbe die Diligenre über 
bie geftürzten hinteggerifien, bie nun, una allen völlig unbegreiflidh, 
unter unferm eigenen Wagen Tagen. An ein Ausſteigen war nicht 
zu benten, benn man wäre bis an bie Kniee eingefunken! Glücdlicher⸗ 
weiſe kam man und vom Poſthaus zu Hilfe, aber e8 dauerte eine gute 
Zeit, ehe bie Vertoirrung unferes Geſpanns gelöst war, man mußte 
die Geſchirre aufſchnallen und bie geftürzten Thiere an Kopf und 
Schweif unter dem Wagen hervorziehen. Wäre in dieſem Augenblick 
etwas komiſch zu nermen geweſen, jo hätte e8 bie Stellung umjers 
Stangenhanbpferbes fein müflen, denn biefes ſaß wie ein Hund auf 
den Hinterbeinen, und zwar auf bem Hals eines ber andern geſtürzten 
Thiere. Ich bin feft überzeugt, da von ben des Roffelentens kundigen 
Leſern mancher ungläubig ben Kopf ſchutteln wird, doch bin ich im 
Stand, jedem Zweifel bie beften Zeugniffe für meine Worte zu 
verſchaffen. 

AB es endlich wieder Tag wurde — wir waren anhaltend ab— 
wärts gefahren — fahen wir abermals bad Meer zu unferer Linken, 
unb hatten ben Anfang ber Huerta erreicht, jenes baum⸗ und waffere 
reiche Gartenland, in dem Valencia Liegt. Die Felder waren hier 
ſchon und regelmäßig angebaut, mit nen aufkeimendem Grün bededt, 
‚ober mit Gemüfepflanzen, bie noch anf bie Ernte warteten, Weber 
bie, freilich Tahlen und knorrigen Schoffe ber Reben breiteten mächtige 
Rorleichen und Johannisbrodbaume ihre immergrlnen Blätter and, 
Balmen ftanben bald einzeln, Bald in Gruppen bei einander, und ans 
bem bunfeln Laube der Orangenbäume ſchimmerten freundlich bie gol= 
denen Früchte hervor. Die Huerta war fo liebenswürdig, ſich uns im 
recht ſchdnem Lichte zu zeigen, das fle freilich von ber eben aufs 
fleigenden Sonne entlehnte, aber mit heiter lachendem Geficht empfing. 
Bei Murbiedro, dem alten römiſchen Sagunt, ſpannten wir glädTicher- 
weile um, und Hatten deßhalb Zeit, das mächtige Kaſtell, hoch über 
dem Ort gelegen, weldes mit feinen Mauern, Thürmen und gewal⸗ 
tigen Gebäuden in großer Ausdehnung bem Laufe des Hügels folgt, 


Nah Valencia. 247 


zu bewundern, Es war von ber Sonne fo ſchon angeſtrahlt, und 
glängte in ben Iebendigften rothen und gelben Farben, bie ſich um 
To frifcher hervorhoben, als der Berg unterhalb mit einem Kranze von 
gelinen Bäumen und Sträuchern eingefaßt war. Beim Weiterfahren 
geigte fich bie Huerta wohl iu gleicher, aber doch in mannichfaltig 
wechjelnder Geftalt ; einzelne Häufer und Heine Dörfer erichienen zahl⸗ 
zeichen, und das fünftliche Bewäſſerungsſyſtem dieſer Ebene, das noch 
aus ber Araberzeit herftammt, kommt immer beutlicher und voxtrefflich 
unterhalten hervor, Die Felder find mit zahlreichen Waſſergräben 
durchſchnitten, die an der Straße, von wo ſich der Strom ergieht, 
Torgfältig mit rothen Biegeln eingefaßt find; Meine Brunnen von 
malerifcher Geftalt ſieht man auf allen Seiten; ein Pferb treibt das 
horizontale Rad, welches das Paternoſterwerl bewegt — eine verti ⸗ 
Zale, mit Zähnen verfehene Scheibe, über welche an Seilen ixdene 
Krüge laufen, bie das Waſſer unten ſchöpfen und oben in einer 
Rinne ausgießen. Mix waren diefe Brunnen alte, liebe Bekannte 
aus Syrien und Aegypten, wo ich an ihnen manden guten Trunk 
gethan, überhaupt trat mir der Orient in der Nähe von Valencia 
auf ber belebten Landſtraße wieder Har vor Augen. Die Tracht der 
Männer mit ihren weiten Hofen, ein Stüd Zeug um ben Leib ge— 
ſchlungen, Sandalen an den Fühen, und das bunte Taſchentuch auf 
dem Kopf, nach Axt eines Turbans umgewunden, erinnerte mich nicht 
minder lebhaft daran ala die Tracht mancher Weiber, ein einfaches 
blaues Gewand, ben Kopf nach Art der Araberinnen bedeckt, den 
Krug auf der Schulter. Nach kurzer Zeit reihten ſich bie bisher 
einzeln ſtehenden Käufer immer dichter zufammen; ber fluchenbe 
Mayoral mußte wegen der vielen Wagen, Karren und Packthiere, 
alle mit Gemitje ober fonftigen Sebengmitteln beladen, langſam fahren 
— noch eine Viertelftunde und wir hatten Valencia erreicht, wo 
wir vor bem Poſthof anhielten, Wagenund Pferde im grünen Straßen 
Ichlammüberzuge, wir ſelbſt aber nach achtundvierzigflünbiger Fahrt 
ziemlich müd und abgeipannt. 


248 Zehutes Kapitel, 


Zehutes Kapitel. 
Valencia. 


gelies Weiter, Gin Bad. Sqhmutige Strahen. Charalier der Etadt und iheer 

Bewohner. 1’%nyiencie. Die Wameba. Erinnerungen an den Gib. (EI Migue- 

Tate, WIE in die Guerta. Die arabijhe Bewäfferung. Gort de la Eko. Die 

Ratpebrale, Duenna und Escuedro. Die Gloriela. Ein freundlider Lanbsmamm. 

Der Beipnadptsmartt. Muft und Geſang. Eine todte Braut. Der Grao. Bund 

Häufer in der Querta, Ein unfäuldiger Raub. feier de Meihnachtänkene. 
Geinnerungen an Die Geimatg. 


\ 


Auf. dem Plahe bel Arzobispo in der Nähe ber Kathedrale vom 
Balencia liegt bie Fonda bel Cid, von aufen ein ziemlich unfchein- 
bares Haus, in welchem wir aber ein paar orbentliche Zimmer ex 
hielten, freilich mit ſpaniſchem Meublement: Binfenmatte, Rohrjeffel 
und Sopha; dazu ſchlecht geichloffene Balkonthüren und gänzlicer 
Mangel an jedem Seuerungämittel, Man ſoll das freilich in einem 
füblichen Sande wie Spanien nicht verlangen, aber es gibt doch Augen: 
blicke, namentlich am Abende, wo man fich ſelbſt in Valencia nach 
einem Kamine odex Braffero jehnt. Es war ein paar Tage vor Weile 
nachten, hatte tüchtig geregniet, und nun fpannte ſich über bie alte 
Stadt ein twolfenlofer tiefblauer Himmel auß, feine Hihe herabſendend, 
wohl aber einen fo eifigen Hauch ſpendend, daß in ben Zimmern einige 
Male nad Sonnenuntergang eine tüchtige Bewegung in Paletot und 
Gandſchuhen nöthig war, um ſich zu erwärmen. Bu Haufe Hätten 

wir eine folche Temperatur umbebingt ſehr kalt genannt, hier aber in 
Spanien, vor und Palmbäume und Orangen, wäre es unverzeihlich 
geweſen, bergleichen auch nur zu denken. 

Als wir in ber Fonda del Eid angekommen waren, nach zweimal 
vierundzwanzigſtundigem Fahren, liehen wie uns vom Lohnbedienten 
überreden, ein warmes Bad zunehmen, welches man, wie bad am Thor 


—— mit groben Buchftaben angekündigt ivar, im Haufe jelbft Haben Konnte. 


k 


Valencia. 249 


Jeben Reiſenden will ich aber feierlich verwarnt haben, falls er je im 
Winter nach Spanien tommt, diefen Babegelüften nachzugehen; bie 
Bäder befinden fich tief unten im Haufe, allerbings recht angenehm 
gewoärmtes Waffer in marmornen Wannen, aber in einem eisfalten 
Gerodibe mit underſchloſſenen Senfteröffnungen, fo daß man fich 
nad) dem Babe wahrhaft zäfmeflappernd in fein Leintuch wickeln 
mußte. Wir trugen auch Alle ein Meines Unwohlſein davon, welches 
übrigens unfer Düne und Horfchelt, der eine durch Morriſon'ſche 
Pillen, der Andere durch heißen Punſch vertrieb, 

Nach dem Bade kleideten wir und an, um einen Streifzug durch 
Balencia zu thun. In ber vortrefflichen Reifebefchreibung eines lieben 

* Freumbes Ta ich einftens mit großer Vefriebigung, baß Die ſchmalen 
Straßen, obgleich meiften® ımgepflaftert, in dem beften Zuſtande feien, 
ba fie weder durch ben Regen, noch durch ſchweres Fuhrwerk viel zu 
Yeiben hätten; das mag alferbing® für den Sommer pafien, für warmes 
und teodfene Wetter; heute aber — es Hatte, wie fchon bemerkt, mehrere 
Zage geregnet — waren biefe ungepflafterten Straßen zu Fuße nicht 
zu paffiren, ohne bis über die Knochel in den Koth zu gerathen, da⸗ 
au find die gepflafterten Trottoirs auf beiden Geiten Im zwei Zub 
Breit, und da die Valencianer beiderlei Geſchlechts auhßerordentlich 
zahlreich dor ihren Häufern zu fehen find, jo kamen wir zuweilen 
an Deftles, wo man Lange Zeit warten mußte, bis Einer nach dem 
Andern über eine ſchmale trockene Stelle gelangt war. 

Dabel ift bie Stabt em wahres Labyrinth und man findet Teine 
Straße, bie auch nur wenige Fuß gerade außliefe, fie bilden ewige 
Schlangenlinien, bald nach rechts, bald nach Linke, umd ba die Häufer 
mehr oder weniger einander gleichſehen, auch die meiften Strafen fo 
enge find, daß man nirgendwohin einen Ueberblick hat, um fich viel- 
Teicht nad einem benachbarten Thurm richten zu konnen, fo ift es ſehr 
ſchwer, Valencia ohne Führer zu durchwandern, wenn man nemlich 
den Zweck Hat, irgend ein beſtimmtes Gebäube zu erreichen. Beim 
Flaniren dagegen treibt man mit ber Strömung, und wenn man 


250 Zehntes Kapitel, 1 


auch am ein unbelauntes Geſtade geworfen wird, gibt es doch 
Mittel den Heimmeg zu finden. 

Die Strafen Valencia’3 haben einen ganz enigegengejegten Cha 
zafter zu denen von Barcelona; boxt find fie gepflaftert, mit hohes 
fleinernen Häufern beſeht, alle Fenſter mit Balkonen verjehen, welche 
anzeigen, ba bie Bewohner, und mehr noch die Bewohnerinnen. Ach 
gerne auswärts umfehen ober fich vom den brauken Wandelnden 
fehen laſſen. hier find es enge Gaflen aus unanjehnlicen Häuſern 
beftehend, die ſehr Häufig aus geftampftem Lehm gebaut find, und 
mit bürftigen Fenſtern verſehen, ſehr wenig verſprechen. Vergeſſen 
wir aber nicht, daß wir uns dem Süden Spaniens genähert, und 
uns in einer Stadt befinden, die lange von den Mauren behauptet 
wurde und dieſen Eroberern viel von ihren Einrichtungen verdankt, 
bie eben durch dieſes unſcheinbare Aeußere ber Häufer ſich als voll⸗ 
lommen orientaliſch darſtellt. Hier, wie in den großen Stäbten des 
Orients, z B. Damaskus, hat man auf breite Straßen verzichtet, 
um bafür größeren Raum für das häusliche Leben: zu erhalten, dav 
auf Hält ber Güblänber viel, und wenn twir bei dieſem oder jenem 
unſcheinbaren Thoxe ftehen bleiben und in das Junere blicken, jo 
bemerken wir einen geräumigen Hof mit murmelndem Wafſer, 
üppigem Pflanzenwuchſe, mit Bauben, zierlichen Bogengängen und 
Heinen, reizenden Gärten, 

Auch in dem Straßenleben treten und die Antlängean bie Mauren 
zeit wohl nirgends fo deutlich entgegen als hier. Die Landleute der 
Huerta Lönnten mit einer Heinen Zuthat jo volllommen orieutaliſch 
gemacht werben, daß fie, ohne Aufiehen zu erregen, in jeber Staht 
Syriens umberwanbeln Tönnten, Das charalteriſtiſche Stück der valeus 
cianiſchen Tracht find die ſogenaunten Zaraguelles, ſehr weite Bein: 
teiber bon weißer Leinwand, bie in vielen Falten bis an.bie Knier 
zeichen und faft außjehen ald trügen bie Leute gar Leine Beinkleider, 
ſondern nur ein Hemd. Die Waden bis tiber die Kuöchel und unter 
die Kniee find mit einer Art blauer Strümpfe bedeckt, bie Knie nadt, 





- Balencia. 251 


on ben Fühen Sandalen, tm ber Leib ein blauer ober rother 
Gurt (Faja); dazır eine kurze blaue ober grüne Jacke mit Schritren, 
eine weiße ober bunte Weſte mit Trobbelfnöpfen; bloße Bruft und 
Hals — umben Kopf turbanartig ein buntes Tuch — oft zugleich ein 
Hut mit breitem Rand unb hohem Kegel. Hiezu Kommt bei ben 
Reichen eine braune oder blane Eapa, bei den Aermeren eine weiße 
urtt bunten Streifen und Rändern durchtwirkte wollene Decke, nach 
Bedürfniß, aber immer maleriſch umgeſchlagen oder auf ber linken 
Schulter Hängend. Namentlich diefer Kelptere Theil des Anzuges, ber 
mit dem Burnus jo außerordentlich viel Aehnlichteit Yat, gibt dem 
Ganzen einen orientaliſchen Anſtrich; ſelbſt bie Schirrung der Pferbe 
und Maulthiere, unter benen man ausgezeichnet ſchöne Thiere ficht, 
erinnert mit ihrem vielem rothen Quaſtenwerk, mit ihren Meffing- 
zieraten, von Yangen, farbigen Troddeln, eigen geformten Gätteln 
und Steigbügeln an die Wüften Arabiend ımb ihre Bewohner. Die 
Zartana, bie in Valencia für Vornehm und Berifig das einzige Ber 
forderungsmittel bilbet, welche wie die Droſchlen bei uns in der Stadt 
fett benfißt werden, und ehenfo zu Ausflügen auf das Zanb, konnte 
man vielleicht von dem turliſchen Arrabat ableiten, dem faſt Apnlichen 
Fuhrwerke, wie es heute noch in Konflantinopel gebräuchlich iſt. 
Dort find dieſe Wagen freilich mit Ochſen beſpannt und find oft 
reich gefehnigt und mit Vergolbungen überladen und werben meiſtens 
von einem Neger, ber zu Fuß gebt, begleitet, während die ſpaniſche 
Tartaue ben Anforderungen unferer Zeit gemäß von außen glänzend, 
aber einfach lackirt ift, oben mit Wachstuch ober Leber überzogen, 
im Innern eine Einrichtung hat wie ein beutfcher Omnibus und 
von einem Kutſcher regiert wird, der auf einem Keinen Polſter, ge 
wöhnlidh aufbem rechten Gabelbaume, fitst. Man begegnet dieſen Tar⸗ 
tanen hier auf Schritt und Tritt, und bei ben engen Straßen geniren fie 
bie Fußgänger gewaltig. Wie eben bemerft, macht man in ihnen 
feine Beſuche, fährt in's Theater oder fieht fie in Langen Reihen 
bet ben nachmitiaglichen Spazierfahrten anf ber Alameda. 


252 Zehntes Kapitel, 


Es ift eigenthüntlich, daß Valentia von zwei ganz verſchledenen 
Menſchenraffen bewohnt zu fein ſcheint. Die eine, melde nament ⸗ 
lich in der amtern Vollsllafſe und ben Vewohneru der Huerta 
flart vertreien it, Hat ſchwarzes Haar, enggefchliptt, Hiyende Autzen 
bunkle Gefichtafarbe, unb-zeigt in Heer Pfpyfiognomie etwas Trohige; 
ja Wildes; bie andere — namentlich die Handwerler und Kauf 
lente — Haben einen. weichen, jaſt ſchlaffer Genchtzausdruc weihe 
Haut und blonde Haare. 

Das Getwißl auf ben: Stufen, nanenllich auf-bem grohen 
Marktplafe von Balencia wird belebt und waleriſch burch die faſt 
orientalifche Tracht der Sanblente aus ber nädjften: Umgebimg von 
Balencia, und durch bie gang derſchiedene, Acht ſpauiſche mit runder 
Jade und ſpihem Hut ber Mawlthiertreiber, bie von weiler her 
kommen, oder der Bauern, die von ben Geblrgen bei Cuenca nieder ⸗ 
fleigen. Was bie weibliche Bevölferung don Balenda :anbeldnge; 
fo findet man wẽaig ſchone Gefichter; auch die Gkpıteen ber Hiefigen 
Damen zeigem noch sicht jene Grazie und Leichtigkeit, welche men 
ben Andaluſterinnen nachrihmt. Die ſchwarze Mantille ift fat wie 
bie in Barcelona, tue hängt ber Schleier Hinten von Haartlamm 
herab: und zeigt Taille und Kopf fait anverhullt. Letzteret iſt tier 
in Spanien intereffunt, der Häufig blonden Haute wegen mb des 
blendend weißen Teintä, den man ſorſt in keiner fpanifchen Stabt ficht. 

Ueber bie Eigenſchaftan :ber Bewohner von Valenela ¶ Hört man 
don ihren übrigen Landsleuien nicht viel Gutes veben; bie Männer 
werben ala hinterliftig, feig und bluidurſtig bezeichnet, unb was die 
lchlere Eigenſchaft anbelangt, ſo that man chnen darin nicht nmtedht; 
wenn es wahr iſt, dab in ben Gitaßen von Valeneia jahrlich an 
funfzig Veuchelmorde verübt werden. Naturlich ſchieben die Gtahte 
bewohner die Schuld davon auf ihre Landsleute aus dev guuerta, bie 
fie als ein wildes und trotziges Volt ſchildecn, vor dem imett ſich in 
ieder Hinficht im Acht nehmen wäffe. "Def eine vielhundertjchrie 
Deindſchaft zwiſchen Stadt und Land beſteht, ift eicht zu Iumgnen, und 





Balencin, 253 


daa Mißtvauen der Erfieren ging fo weit, dah man, fo oft in 
Balencia Feuer ausbrach, eilig ſämmtliche Stabithore ſchloh, um 
bie Bauen abzuhalten, vom denen man vielleicht nicht mit Unrecht 
befürchtete, hab fie bie eniſtandene Verwirrung zum Morben und 
an. .allgemeiner Plünderumg benähen Lörnien, 

Valencia · iſt arm au audgegeichmeten Bauwerken; nur hie und 
ha bemerkt man, ein prachtnolles Gehkube, in Stein aufgeführt, 
einen Palaſt aus früherer Zeit Herftammenb, bex ſich, alt und ſchwatz 
geworben, zwiſchen den neueren Gebäuden zu verkriedhen ſcheint. 
Blidt man in ben dden ‚Hof, ſo entdedt man prachtvolle, breite 
Steintreppen, auf denen unſere Schritte unheimlich widerhallen, 
und aben angelommen, eröffnen fich dor unferem Blicke weite, ſtille 
Korriboxe und Zimmer, wit veich geſchnitzter Holzarbeit. Dex 
prachtigſte Palaft dieſer Axt iſt die Caſa confiftorinl oder !’Aublenzia, 
wo ſich bie Porträt? der Könige von Spanien befinden, jo wie 
im Saale der Cortes bemerlenäwerthe Fresken von Zarinena, bie 
von be herrlichſten Halgarbeiten an. Wänden mb Plafoud 
eingerahant find. Im unteren Stockwerle iſt das Selretariat des 
Gouvernements, two ſich eine ausgezeichnete Holzdede befindet, in 
bunflem Eichenholz gelchnißt und reich vergoldet. Die Plattform 
Hoc oben auf dieſem Palaft wit einer ſchönen Baluſtrade umgeben, 
gewährt einen relzenden Ueberblick über die Stadt. 

Dex grobe Marktplak, anf dem ben ganzen Tag ein reges Keben 
Derxicht, und too fich Käfer und Berlänfer um Zolofjale Haufen von 
Gerrhjen und Früchten aller Art drängen (unter Anderem ſah ich hier 
wahrheit ;wiefenhafte Zwiebel), ift mit alten, nicht unintereffanten 
Gebãnden umgeben, unter benen fich bie Sonja oder. Geitenhalle bes 
Tonder® auszeichnet; bey. ganze untere Raum bed Gebäudes ift hohl, 
mit Kreuzgewolben überbeekt, bie von ſehr jcplanten, ſpiralförmig ges 
wundenen Saͤulen getragen ivexden. Die Sorgfalt, mit der im Innern 
und Aenbern hie Gliederungen alter Thilr und Fennſteröffnungen 
behanbelt find, machen dieſen Bau zu einem ber intereflandeflen ber 


254 Zehntes Kapitel, 


fpätgothifchen Zeit. Der kleine Hof vom beiden im vechten Windel 
zuſammenftoßenden Flügeln des Haufen gebildet, Kiegt nach ri 
warts an zwei Geiten frei, als erhabene Ter vafſe mit fliehenhem 
Waſſer und Orangenbilſchen, und erhöht ben enenthumlihen Rei 
biefes ſeltſamen Bauwerks, 

Da ung ber Mare Himmel gleid) den erflen Tag unjerer Ar 
kunſt einen herrlichen Abenbberfpraih, fo befgjloifen toir einen Spaaier 
gang nad) der berühmten Alameda hinaus. Wir verliehen bie. Stabt 
durch das Thor el Saranos, das mit feinen ungehemten Mauer und 
gut erhaltenen Zinnen fo trotzig bafteht, al jei es geſtern beendigt 
worden; leider iſt es aber auch nicht fo alt, als wir eb wohl 
wünfchten, denn unſere Phantafie hätte gern feine Plattform mit 
ben Geftalten bed Campeador und feiner Familie belekt, bie ex ja 
auch auf einen ber Thürme Valeucia's führte, ala er ihnen das 
draußen lagernde zahlloſe Maurenheer zeigte. 


Allda ſahen fe zum weiten 

Der hinaus ve Mauren kommen, 

Sah'n mit großer El’ und Sorgfalt 

Sie een, ihre Zelte, 

FR riegagefchret und Trommeln, 
ſchrei und Pautenhall, 


Großer Schreden faht bie Mutter, 

Sole Gem ne u Behen 
nie 

Nie auf Einem Pl ab ln. 

„Hürchtet vie, ihr Sieben alle,“ 

Sprach der Eid, „fo Yang 1 ich Iebe, 

Nah’ euch keine Sorg' und Angft.“ 





Vom unfterblichen Eid, der Valencia Jo Yange mb kahn ver 
tHeibigte, und nach feinem Tode noch durch feinen bloßen Aublick die 
Mauren in bie Flucht ſchlug, ift aber Teiber nicht viel mehe Hier 


Balencia, 255 


vorhanden; nur fein Schwert zeigt man noch, ob echt, ob falſch, 
iſt die Frage, ſowie einen Thurm, In puerta bei Gib, durch welchen 
bee Gampeabor feinen Einzug in die Stabt hielt. Valencia war 
aber damals Zleiner, umb fo fteht biefer Thurm febt ziemlich weit 
entfernt von ben heutigen Mauern am Haufe ber Tempelherren; 
die Araber haben ihm erbaut und nannten ihn Mlebufat. Bon 
feinen Zinmen glöngte zuerſt das chriſtliche Kreuz dom Valencia. 

Aebrigens gibt es wohl feine Stadt, beren mittelalterliche 
Mauern und Thieme ringsum fo volltommen wohl erhalten find, 
wie bie von Balencia. Sie wurben von Peter dem Bierten um's 
Jahr 1850 erbaut, und weifen mit ihren Gethilemen, ihren außs 
und einfpringenben Winkeln, Wallgängen und Binnen fo vollkommen 
in eine anbere Zeit zurück, baf wir uns gar nicht wundern dürften, 
wenn uns dort an ber Ede ein Reiterzug begegnen würde, von 
Kopf bis zu Fuß geharnifcht, mit flatternden Fahren, wehenden 
Manteln und Helmbüfchen. Aber es ift ſehr fill dor ben Mauern 
von Valencia, und erft wenn wir una dem Guadalaviar, heutzu— 
tage gewöhnlich Turia genannt, nähern, an deffen Ufern die Alas 
meba Liegt, lenken wir twieber in ben Menſchenſtrom ein, der aus 
ben Thoren dorthin ober nach der Huerta hinausdringt. 

Die Alameda von Valencia ift eine bes ſchönſten Spaniens, 
und namentlich durch ihre Umgebung für und, bie wir eine ſolche 
nicht getwöhnt find, ſehr intereffant, Zwiſchen mehrfachen Baum: 
zeihen Hat fie zwei breite Fahrftraßen und viele mit großer Sorge 
unterhaltene Fußwege. Auf der einen Seite Haben wir den Fluß, 
ber freilich ſehr ftattliche Mferbauten hat, aber fo wenig Waſſer, 
daß man ben größten Theil des Jahres Taum ein paar Hemden 
darin wafchen kann; auf ber andern Geite zieht fich eine Reihe 
ſchoner Gärten mit reizenden Sandhäufern Hin, welche unfere Auf⸗ 
merkfamteit feſſelt durch mafienhafte Orangen: und Eitronenbäume 
und Büfche, deren tiefdunlles Raub von anderen, für ung eben jo 
Weltenen Pflangen, ſchattirt wird, unb bie übervogt find von hohen 


1 


256 Zehnted⸗Naͤpilel. J 


ſchlanken Palmen. Senden tote bie Blide veajib iiber th se 
hinuber, fo.zeichmet fich ſcharf auf dem ’-tiefblaie Weit 
bie charaltervolle Silhouette von Valencia vor 
Tonnte ich mich einer Idee nicht eriwehren, Die 
Reifen gefommen. „Wie off war. e8 mir beim Berrichten einer 
feltfanen Vergform, einer matertjchen Landſcha ſte einee Agentgdes 
üchen Stadt, ala Habe ich das ſchon einmal gefehent, wer ich aa 
vorher nie auf dem Punkte geweſen, ja wie hier ber’ Valerie 
eine Abbildung davon gefehen., Ich erinnerte mich" deutich bi 
einzelnen Weges, auf bem ich fehon gegangen, eines Gäkien;’za 
beffen Fenſter ich ſchon hinausgeſchaut, was mir fınmer"unmerkkirtiich 
war, und auf Neue unbegreiflich, hier beim Aublick von Valeneis 
Arm andern Morgen war unfer erfter Bang zur daͤthedtale Sie 
nur durch den erzbifhöflichen Pla von mıferein Gaſchofe getrenni 
Tag. Die vielen zahlreichen Bettler, die und hier bariinlidig wer 
folgten, find eine Erbſchaft, welche bie aufgehoßenen Klbſter ber 
Stadt Hinterlaffen Haben; namentlich in ber Nitge der Rreihen, ver 
Allem aber hier. bei ber Kathedrale muß man ein wahres DERIE-Hor 
ausgeſtreckten Händen paffiren, bis man zur Ehikee gelangt. Wle jeber 
Bettler feinen beftimmten Platz hat, der von ben andern reſpekliri 
wird, fo Bat er auch feine gewiſſen Geber- oder ‘feine Minbfcheft, 
bie ihn vor allen Andern beräcfichtigen. Sogar bei uns frembed 
Neifenden trat nach wenigen „Tagen, der gleiche Full ein, mib 
ich ging nie bei einer gewiſſen alten Frau vorliber, Me neben einem 
Pfeller gelauert daſaß, ohne ihr etwas zu geben. Ste Hatte zwei kleine 
Kinder bei fi, aus deren ſchoͤnen Gefitern mich fo friſche⸗ treußerzige 
Augen anlachten, daß ich nie vorbei konnte, ohne ſtehen zu bieiben. 
Die Kathedrale, ein Konglomerat don An⸗ ind Umbauten um 
ben alten Kern, im lateinlſchen Kreuz gebaut, über beffen Durrdhrite 
gung fid) eine großartige, achteckige Kuppel erhebt, hat diei Hauptein 
gänge, wovon ber weftliche, neben dem Hauptthiren ;„Miptelete" an ⸗ 
gebradite, weit gegen ben Kunſtwerth ber beiden andern altgothijſchen 








Valencia. 257 


‚m ben Sreuggiebeln befinhlichen zuridifieht, obwohl fie von ſchwer⸗ 
halligen Fornen find; er ift ein emtfehlicher Wuſt von verbrehten 
Saulen, auögesenkten Geſimſen und Zieraten, eine der üppigften 
Blüthen bes Zopfzeit. 

. Dad; noch von ber Kirche aus ber guten gothiſchen Zeit übrig 
Gebliebene ragt im Aeußern, ich möchte jagen fiegreich hervor über 
das aus allen Zeiten herrührende Ungefügte, doch ift biefe Miſchung 
verſchiedener Stile nicht umintereffant, unb eines ber allerreichften 
Bilder gewährt bie Kicche von ber Plaza mayor gefehen, wo bie 
beiben Tharme, das nörbliche Poxtal, ber zierliche Arkadenumbaı ber 
Abſibe aus der Zeit ber guten Renaifiance im Anſchluß an die hoch 
über bie. Straße mweggefprengte Brüde, bie nach ber Kapelle de los 
delemparados Hinüberfüßet, eine nach Maßen, Silhouette und Ders 
karzung bee Bitten jo bexsliche reiche Gruppe geben, baß man einen 
Decor ber. grohen Oper vom Paris zu fehen glaubt. 

Dad: Ueufere ber Kuppel des Kreuzes, Hoch emporgehoben bon 
einem .gehtedigen von Gerzlichen gothiſchen Fenſtern durchbrochenen 
Untertkeil, Hat ganz bie ähnliche Anordnung wie ber Obertheil des 
Migueleie, ber die geoße unb zenommixte Glocke, die Vela, trägt; 
üben ber oberfien Terraſſe bes Thurmes aber erhebt fich noch einmal 
eine malfive, iſolirte, mit Bogenöffnungen verfehene Wand zu noch 
weiteren Gloden, und zeichnet fich ber Umriß dieſes Thurms ſehr 
maleriſch auf ber Luft ab. 

Ihn exftieg ber Gib nach ber Einnahme von Valencia, um ſich 
in feinem neuen Befigtäum umzuſchauen, und Don Rodrigo Hatte 
Recht, denn mar hat vom hier oben einen entzückenden Anblie auf 
die Stabi und bie Huerta. Diefe Liegt rings um ung her, von 
einen Halblreife niedriger, aber felfiger Gebirge eingefehloffen, beffen 
eines Ende ubrdlich von Valencia von den Thürmen des Kaſtells von 
Murviedro, den Ruinen des alten Sagunts, gekrönt, das andere unter 
dem Namen Sierra de Santa Ana üblich von lncia ans 

botianderua Were. XXIl. 


17} Iehmernafter. 


. Meer Adht,: jo dah die RAR ais Geht SEP gamereineerge, 
in deren Die die Eräbt WalenendTiet, ettin Fee Begeiah von Fehlhn 
= @nbe enifernt. Diefer Maike i mp Alcih,"sirb re‘ Hi 
1: Sittergrunde mach Weſten fente‘ ſih das Geh ie dar geuft 
Alb des Guadaleniar Foldeii,SaUnänig "Hr tt bee er re | 
jener an · threm ſWitchſren Roande Reſpiſi 
deſcht in ber Möte hutt duichttcznunn 245 
Als haupimitlelpuutt "Be Bra —— en 
nun Valencla jeCb init Fineki- ntaelaueit mai a 


“Tiegen in wehteren Hatbfveifik and —— — * 
Andahl ftattüicher Dorfer mi: hoͤhen Kuchtteteiuen, wie Suce. 
Maniſes, Rnzafa, Chiriteila. Toirenta, Wenkkitier, Senden 
© weiterhin am nonblichen dtande ich Halbkceiſer Pitjoß, fit FRORBEERCALL: 

%ciea und im weſtlichen Gstergftuhtbe bie alte Stäit Strict: 

Dörfer aber Nidet Aleichfänfhufe den dichieren ker eiheh 
flöineven Hätten, bie reintich und ſehneeweißz aiis dei Eiäireh 
gelnen, wit bloßgrästen flachligen Wide eingeſahten Gürkin 
ſchiwern · Hie und ba erhebt ſich in:chryalnMegänbes grähilk Snüt- 
„Yeens ober ein Kloſter über:biefe Hallen oder ein Birfehel PENEEIE-Ane 

"Beige hoher; Bunte Oppefo über ba kreiächihe, gi 
der. Ebene, ara 

"Mut ber Gefaglen geht Mon Heiner; veh nv a une Äh: 
„Ti maleriſches Ganzes bilden kann, ind Bas ult jo” ie 
: bein. Yifd ganz an Wuffer fehlt. - DEF Meer nitimt” awar Did gie 

‚öfkliche Hälfte des Gefkchtatveifeglein, aber eh ML durch Bein gedkllen 
Strich einer fandigen Küfte begrenzt unib "tät wicht aut 
ber andem Hälfte Bis bieler'able, dögleid, ei Debtirtenber lu Fe 
buwfteömst, fehlt es — einige Wochen dh UIhteE ci 
faſt ganz an Waffer zu allen landſchaftlichen Wehuferi, eben wetl vus · 

jeibe aucſchliehztich andern Zwecken zugewendet ·wirb. Die giitze' An: 

= glaubliche Fruchtbarteit ber. Ebene don Valencia / die thr mil 



















ns aleneim.:5 259 


Ban ren Bam pin an 
‚ben He! Bamäffenıngäfplieme ‚ob, „mebusch has Waſſer ‚ed 
f ehr ‚van. Kowelen (acequias) und Heinen 






"Hinzeiöst. Diefe arabifcien Weierleikyuggn, toeläje bus Taflerzufäß: 
æyn, uhrgemauerte Aanäle, laufen oft aweir ober dreifach über ein- 
auder zund find inihrem Falle und ihrex Aufftauung fo vichtig beradg- 

We: hah. teylanb. Jahee iu dem, Gebrauch Teine Yenderung erzeugsen. 
Solcher Aberläffe — is Spaniſchen bebient man fich des Aus- 





bzulß sangrar ynb sangria in biefer Behentung — muß-ber Guada ⸗ 
Aapiar auf feinem ganzen Saufe now etwa fünfuabziwangig Leguas nicht 
„Aoeaiger old breifig edleiben, how benen, ichodh,mux bie at Ichten umb 
bedeutendſten der Huerta von Valencia zu Gute. kommen. — Sein 
„: Yönnber alſo, daß dex arme Strom in.ber beiken Jahreszeit kaum 
Zrafte ‚genug behalt, um einige Tropfen Waſfſer bis gu feiner Mit: 
dung zu fragen. Jene acht Rande fiunb weiprünglich größtenibehts 
das Wert der Uraber, allein ihrtn Nachlolgern, den arrageniſchen 
1, gebüßet jebenfallä bie fee, biehe Werte und bie gu deren 
‚möglighit gemeinfamer und ficheres Bersügung erfarberlichen geiehlicien 

imeichtungen und Verwaltungsart in ihrer urſprünglichen zierte 
waßigen Einfachtait fo viele Sahsfgusberte hiudurch unverkefet erhal · 
Erin ein Derbienft, das überall, beſonders auch in Spanien, 
Einrichtungen von vorne herein. dem Verfall geweiht. zu 
in een ſo ſelten iſt, als daß eine fo erfreuliche Ausnahme nicht 
Kervongehuben werden ‚mühte, 


Dur; einen —— bes Eroberers von Valencia, aurig 
Zadme von Arragon von 1280 überließ ex feinen Kampfgenoffen 
nnd den abrigen Anfiedlern aus Arragon ala Velohuung ihrer essen 
¶Dienfie die Betwäfferungägrähen ber Huerto als freieg Eigenthum; 
„hab fie das bejagte Mafies gebrauchen ſolllen in der Art wie es von 














260 Ze hnte ß Kahitel. 


Alters Her feſtgeſett und gebrauchlich war zur Zeit der St 
Seit der Beit iſt bie Verwaliung und —E—— her 
Verlheilung de Waſſers, die Entjcheitung aller dabei vor! 
Skeeitigfeiten ausſchliehlich in den— Händen, ber "babei bett 
Landleute / ohne bie geringfte Einmiſchung ei einer höheren oder 
behörbe; und vor bem aus Sanbleuten beftehenben- Berichte 
Sort de la Seo, verſchwindet jedes Hrivilegium, 
Grundbefiper in andern Verhaltnifſen genießen tag, wi 
Graude von Spanien. 

Die Cort be la Sen, das Woffeiigfebsgerät, fiel 
Zeilen jeben Donnerſtag, uud zwar an ber Haupithlire der Ke 
ihre Sihungen. Dieſer Ort der Zufammenkunft ſchrieb ſich 
der Moaurenzeit her, wo die mauriſchen Eroberer von Valent Ri] 
kier einfanben, um alle vorkommenden "Streitigkeiten. zu. Tetiälen, 
Dort trafen ſich Mäger, Beklagte und Zeugen, und bie, welche er 
lamen, breiteten ihre bunten, wollenen Deslen, bie ihnen heute od) 
Mantel, Stuhl, Bett und zum Staate bienent, ‚im Schaiten des Ir 
Portals ber Kirche auß, bie Dinge erwartend / bie Iommen na 
ie, welche fpäter aus der. hueria ober. vom Maxkl zu Fuß, anf 
Maulthieren ober Ejeln.anlangten,. wobei nicht ſelten awei unb 
auf einem Thier anritlen, mußten ſich ſchon bequemen, auf der 
beglängten Plaza mayor gegenüber ber Kirchlhilre zu warten, t 
Hauptjache war, biefe.nicht aus ben Augen zu verlieren, Die Meifirg 
diefer wartenben Menge find beivaffnet, und werin man fie 1.8777 
eigenthlimlichen Kleidung mit ben bunten, tıtrbanattigen ati 
da fauern ober auf dem Pferbe hängen ficht, fiber. ben Ge 
Thiere gebeugt, den bunten Mantel wie einen Burnus um Die 
dern, fo wird man, wie nirgends, an den Drieht erinnert. 

Mit dem Schlage zehn Me teitt in ber zahlreichen unb — 
durch nicht ſelten in Streit und Schelteit ausartendes Geſpräch vi 
fach bewegten unb Tauten Verfanimlung eine.tiefe Stille ein; die 
nere Pforte in den großen Thor ber Katgebrale öffnet Fich m | bie 




















Vgäreiela tt S 26 
Witz; hier’glte Landleute/ ehrwurbig anzuſchauen, mit“Tangerk, 
teetneifiem Hank, treten heraub, hinter ihnen im ſiadiiſcher Meibung 
ehr Eicribang, eſne Rolle Papter in ber Hand. Auf ihre Stäbe ger 
it, nurmern fie ein funzen Gebet, tnadhen. bann has Zeichen bes 
308, wobei die ganze verſammelte Menge ihrem Veifpiel folgt, und 
Taten fich anf, einer eigens bazu beſtimmten ſteinernen Bank nieber. 
"Göcriband” ſeht fich Jeittwärtß auf einen niebrigent Stein, breitet 
feine Papiere auf feinen Knieen aus, ſeht ein eines Dintenfaß nebert 
fich und fieht nach feiner Feder. Ginige Geiftfiche ober aribere ältere 
rd angefehenere Leute, wwelcht bie Richter in ihrer Nähe unter dem 
verſammelten Landvolk bemerken, treten Halb auf ihre Einladung, Halb 
Has Gewohnheitsrecht hervor und nehmen, jeboch in ziemenber Entferz 
kung, ebenfalls Unter dem Portal auf det fieinernen Bank Pick, ein 
Baar Kanalaufſeher (Celadores) treten heran, um ala Geridgtsbienet 
x Befehle des Gerichts getoäctig zu fein, und auf einen Wink bes Altes 
fen Richters ruft der erfle Gelador mit lauter Stimme: „Die Cort be 
Ya Geo biefes Tage ift eröffnet, in Gottes, Namen, Amen!" unb bie 
Persanbfungen beginnen. © . 
Die ftreitenden Parteien, ober ſolche, gegen bie bon Seiten bes 
Gelabares Klage erhoben wird, ſowie auch die Zeugen werben anf 
gerufen, treten unter das Portal vor, um anf bie Fragen ber Richter 
it antworten oder ihre Rechtfertigung vorzubringen, dann erfolgt nach, 
ke leifer Beratung der vier Richter das Urtheil, felten auf ge: 
|Eren Verordnungen, meiftens auf Herkommen oder Billigteit ges 
et; ber Escribano Hat, jehr gegen feine Neigung und den Ges 
brauch ober Mißbrauch, ber bei andern Gerichten herrſcht, nichts bei 
ber ganzen Sache zu thun, als dag Urtheil aufzuſchreiben und zu 
bealaubigen. Koſten find bei dem ganzen Verfahren feine, denn auch 
file den Escribano jelhft ift dieß Geſchäft eine Ehrenſache, die ihm 
Freilich eben Dadurch wieder anderweitigen Vorkheil bringt, als Veran⸗ 
laffung ober als Beweis deg Vertrauens ber Landleute. 
ſt das Urthell gefällt, welches enttveder bei Veeinträchtigungen 




























267° Zehnles Rapiter. 
des Nachbars dieſe aufhebt, fonft aber eine Gelhftrn 
ein Termin gejebt, big wann dem Nxifeilipruch Ge 
unb bis dahin ift ber Celabor angewviefen, Teinen Ktopfeit 

bie Gelber des Verurtheilten Taufen zu laffen. Die u 
veranlaßt Seben, dem ſchiedsrichterlichen Syruch 
nachzulommen. 

Nachbem wir uns droben auf dem une Yang 
Gegend umgeſchaut, auch mit etwas beſorgler Miene bie 
bededten Berge betrachtet, bie in ber Gegend von Cuenta — 
über welche und ber Weg nad) Madrid führt, ftiegen wit Wie era 

und traten in die Kirche, bie Heute, an einem Sonntage, mit wm 
gen angefüllt war. 

. Das Innere der, Kathedrale mit drei Bauptfeilfen, Ti 
mittlere ganz durch bie Silleria del coro eingenommen, iR, 
ihren alten Einzelnheiten mit Ausnahme des wunderjhönen } l 
anffahes, deſſen zahlreiche gothiſche Fenſter eine reiche Farbige ieh 
menge auf ben Hochaltar herabſenden, Nichts mehr erhalten. Suche 
einem Umbau aus ber Zeit der Renaiffance weichen müffen, ber, obihehl 
don geſchickter Hand geleitet, doch durch bie etwas gebrildten 2 
niffe den alten gothiſchen Bau zurlick winfdjen läht; aber reich 
ten Gemälden, prachtvoll in den Marmorn ber Pfeiler, Altäre, Vtb 
ber Böden, Metallgeländern, Bronzen und Vergoldungen macht 
Innere nichtbeftoweniger einen impofanten Eindruck, ben eine Miiie 
außen Herumliegender Kapellen und auch folcher, bie zum Thell in ber 
Mauerbide zwijſchen Mittel: und Seitenjchiff im Rüden ber Shorftäe 
angebracht find, Fräftig unterftüßt. Der neue Kepitelſaal m Yepr a ae 
bebeutenb und von nüchterner moderner Architettur, dafür ai ht 
alte ein wahres Kleinod; ganz unverſehrt erhalten, Herrlich, ſchlanl 
und wunderſchon gewölbt iſt er mir das Liebſte an der ganzen 
drale, ber Altar nimmt mit feinem Retabel eine der Wande ein, 

übertündht bie bloße Steinfarbe zeigen, gleich wie bie Steingetwöllie; hit 

vielen Heiligerffiguxen bes Altar8 auf Golbgrundunter ihren ülbbrbeichen 












eg 288, 


aeg Die ſchone Farbe ber alten Halaläjnihereien, bie Meifter«, 
—* der Steinſtulpturen find vom unvergleichlich wohllhuender 
—— und das gebrochene Licht in dieſem hehren Raum 
het ben Beiligen Schauer, mit dem man jedesmal auf’3 Neue bene, 
In ei. An den Wänden Befinden, fich mitunter ſehr ſchöne 
Den mei ber Erybiſchofe don Valencta. Zwei ungeheure Ketten, bie 
gerials bier anfgefiängt, find. erregten unfese Aufmertſamleit. unb ein 
Loire Geiftlicher, den wir darum fragten, gab una zur Anbwort, 
eine Trophae von dem. Hofer von Marfeille. 
en ee einer. panifijen Rirdie zut Zeit des Gottenbienfe, 
8 ber lebendigſten Bilder, die man ſehen kanu. Durch bie 
bunten Glosfeheiben dringt ſparliches Sicht herein und verbunfelt zu 
icher Zeit mit. dem Qualme des Weihrauchs ben ohnehin ſchatten ⸗ 
zeichen Ray zwiſchen ben bien lauern uub Pfeilern, Die Kerzen, 
am. Altar brennen dunkelroth und werfen Blienbe Streiflichter auf, 
de reichgeſtilten Getwänber ber fungirenben Geiſtlichkeit. Im 
gicchenſchiff Recht die Menge dicht gebrängt, bie Männer In ihrer man⸗ 
nigfaltigen bunten Tracht fo auffallend zwiſchen ben Weibern, bie in 
bunfler Basquina und meiften® ſchwarzer Mantille erſcheinen; unter, 
leyterer hervor glängen num freilich wieder die blendend welßen Ges 
fiter mit ben bůhenden Augen; unb bie johlloſen vergofbeten Fächer, 
bie man Überall fieht, und die in immerwährenber Bewegung find, er⸗ 
füllen ben dunkeln Raum mit einen wahren Sprüßregen bon Lichte 
gefuntel, Ueber die Menſchenmenge Hin braufen bie Töne ber gewal⸗ 
tigen Orgel, und wenn nun das Glodlein ertänt und Alles andachtig 
auf bie Kniee finkt, jo hören wir einen Herrlichen Choral, wahrhaft 
greifenb, yon vielen Bahftimmen vorgetragen. " 
‚ Nach ber Meſſe bilbet fich Hier in Valencia die ganze Gemeinde 
Bi einer Prozeffion, bie dem Sanctwartum folgend, in allen Räumen 
ber Kirche uncherwandelt. Die nicht fungtrende Geiftlichkeit, die ebene 
fans mitzieht, trägt Hier eigenthünlicher Weife Mranfiten Mäntel 
mit Roth angefchlagen. 








204 Zehutes⸗Napitel. 


Bwei Weſen von deuen wir vft gelelen und gehort; Mkicher 
lhenn urſprimglichen C hamller gematz sau: faft Yang" verſaaruu 
Sind, fieht man hier Kein. Mußgang: aus der Zinhe aoch in le 
Nachtlaugen: bie wuhlbekaumte und beruchtigte Denk art ini 
endeto. Sabailh hie Leiden Ingeltöne verclauhen find, eritfkchmi- Ms 
ber Kixche, und die Dlähmer. treten: ver. bötjelben zufanımen, in Diigd: 
men lleinen Gruppen (Eoxillo3); die Für das Mglicie Babe ieh: 
xien dot großer Wichtigkeit. find.‘ Sle erfchen gebiſſäcncuſfen S⸗ 
Kogssblätter anderex Cander als Quellen einer zallgeinäßten Vildeiag 
uch dffentlichen Meinung ·Der Ameibliche Theil. der Bapilllestcäber 
geht xuhig ang Hauje: die MWitter, neben iht zutreilen dir· Haus · 
vater, meiſtens aber ein geiſtlicher Herr: aus ber nähert Belauntfcieht 
und vor ihr in abſteigender Linie bie Tachter, von ber aikfgebläkten 
Romgfrau dis gun Heinften. Schweſerchen, das nicht nur in der Klei⸗ 
Bang, ber dunleln Baaquina, ber. Mamtille inib den bieten Schahchen 
als falt komiſches Ebenbild der Erwach ſenen erſcheint ſouberri rauch 
in ber. Art, wie fie ihr Behetttichlein tigt, ben Facher haubhabiund 
wiexlich einherichreltet, in bald feierlicher, bald ſchalthafter: Mieuchje 
nachdem ‚fie die Augen niederſchlagt aber: gelegentlich ſeitwarts auf · 
blihen Täßt.. Hinter der Familie nuu, iin angemefiener Eitfernung 

konunt einen ber beiden Weſen, van denen ich oben jprach beir2Boßl: 
habenden die Daenna oder: ber Escudero, hei ber ärmeien: Burgec 
frau oder der Handwerlerin bie Hausmagh, oder auch nur der S⸗ 
barſche, welch lehterem es aber nuu jehr ſchwer wird, ſelbſt beiifki: 
drohuug ber Hirten Strafen, ehrbat und anfänbig bntn n m 
chen: 


Wärenb ber Sommerzeit haben bie Epngiergänge berfänge 
Geſchlechts mit dem Veſuch ber Kirche für die heißen Kagesfäniiten 
ihr Ende erreicht, Strahßen und Pläße find alahenn wie ausgeſtorben, 
und erſt nach der Giefta zwiſchen fünf und ſechs Uhr Abends fangen 
die Straßen wieder an, fich zu bendkfern. Dann iſt auch grohe yatet 
auf ber Alameda, Bei, welcher ſich die Schönen ber Stadt auf acht 








Sr@nlekzing.,, 2% 


aurtiſch. Für die Aurfere- Seht unfichtbar, inähren Tattauen einfinden, 
nad Jon shusc zwei Reihen diejer nexfehloffenen, Tangiweifigen Fuhawerle 
Ach: im. Vangfosuen Schritt den Corfo auf⸗ aud ahbewegen. Ca ımıf 
var: jün:bie Anixenden ein. eigenthumliches Vergnügen fein, unſere 
:Bansıen wären ieinen Beip darin finden, in:ben unbeilflichen Rasen 
dthen zu werhenn, ach Nichta zu fehen. als den Rüden des eigene 
Ried: ned. Pitzbes, cher den Kohf · des nachfolgenden. Hat man 
Beh: anf Arte Art auf ber Alameda genug, gelangweilt, fo kehren bie 
Kationen, Bubgäiger und. Reiter nach ber Stobt.zurüd; vor dam 
1 Thon eigen bie: Damen aus / und ‚begeber ſich nach der Glonietn, 
inexi Heinen:zeigenben Garten. im Junern der Maunern, um bier zu 
- pe * — der Auſer va Ren 





ach Ban berkcjmänt Die-Spawiedi abesfali.nidt ben.tonımen, Gans 
enſchein. Da belebt fich die Glorieta getndänlich ſchon nach dem 
Nachnuttagẽgotlesdienſie. Go andy. Heute, wo wir dem Strom ber 
. Bixcgänger folgten, init dem wir bam auch glädlic} auf ber Glorieta 
Lndeten.· Es.iſt. bieß, ein wunder Play, war Hauſern umgeben; ich 
wechte ihm nik einem der. grohzen engliſchen Square vergleichen, nur 
„bob.twit hier. an ber prachtvollen Vegetation jegen,. wie weit wir 
Aller dm: Süben vorgerlickt find: Die Heine Parkanlage führt uns 
durch gefehlsungene Wege; jept zu dichlen Korbeorlauben, bann-zu Fü 
Saftenden ‚Drangenbüfen . mb fpäber- dagegen zu einer einſam 
Üehenden „ Marmorſtatue; das Ganze iſt von Platanen und 
Alazien überfchattet, und mit Kunft und Geſchmack angelegt ; einzelne 
: Bapkien. magjen. einen, berrafcjenben Gindruck wie eine vortrefflich 
zuauunengeftellie Thenterbekoratlon — ich Hoffe, durch dieſen Ws 
ruck nicht mißderſtanden zu werden, denn wenn auch bie Natur ven 
der Malerii nicht erreicht werben. kann, fo fieht man dagegen oft⸗ 
wals in der lehteren Zuſammenſtelluugen, bie man in ber erſteren 
ſchwer findet. Es war auf ber Gloriela ein Plah, den auch unfer 


286% Zehntesiinpitel, 


vortrefflichet Maler aind Reifehepleiter Sorſchelt geichnete : - Bine im 
Vordergruade ehe Paar arraugitte Bogen von Lorheer die fich übe: 
einer Fontadae woͤlbten.rechto ſcheben fich bie Orangenbliſche ane r 
ander und lichen eine einfem Marmoefigur ſohen, die unter einem; 
Dene von hochgendlbien Platamengweigen flanb; her Herbesren ud. 
Mokinen hincus · blutie das gelbe/ trobig bafkegenbe Citabtiken, ia 
beffen:antnüittelbuter: Rahe jene Glorfeta liegt. unb neben dieſenr ah 
mem durch geätne Zweige die den Garten um fiehenden· blendenh weiſen 
Hauer durch ichiumern deren Terraffenletaung fich banuwieder ſebrag · 
tig ſchon, ordentlich gläugend won dem tiefblauen Abendhimmel ·abheb. 
Zei unferem heutigen Diner it ber Fonda bei Cid fanden wir 
einen Fremden, den wir ſchon in Barcelona bemerkt, einen beschdire 
Herrn, welcher uns dort ſehr ſchweigſam gegmmäher Jah, unbmitbem wir 
mer wenige Worte wechſelten. Er war mit dem langſt erwarielen 
Barcino nad; Valencia gelommen und wollte, wie wir, nach Madrid. 
Doch hatte die groht Straße dahin, Über Cuenca, durch den vielen 
Sqhner, ber ansuahmöteie in dieſem Jahr gefallen war, fo ſehe ger 
litten, daß die Poften nie vegelmäßig ankamen. Gelbft ber Kurier 
war am Tage unferer Ankunft um zwolf Stunden zurlick, und, wie 
ed hieß , mehrere Male in ben Schmeemaffen ſteden geblieben, Auch 
hörten wir von einer Diligence, bie felt einigen Tagen fehle, und 
daran Früpften: fich Betrachtungen Über Gott- wei welche Unglaer · 
fälle, Rdubereien u. dal. Der deutſche Reifenbe, vom bem ich vorhin 
ſprach, ein Gert Heeren aus Hamburg, Hatte den Weg von Madrid 
hieher ſchon öfter gemadjt und fehlen genau die Schwierigleilen einer 
Fahrt zur Winterzeit zit kernen. Wenn mar gar nicht durchkonmnen 
Ian, imeinte er, umd baB kann ſchon auf eine Zeit don vier Wochen 
vorfommen, fo tft e8 für den, der nach Madrid muß und Andalufien 
ſehen till, das Befte, ben allerdings großen Umweg Aber Granchn zu 
machen; man Bat ja bis Malaga den Dampfer und von Grmmaba 
nach Madrid find Straßen und Meer und 2 
beffer eingerichtet. I - Be 








Bataftikgindse, 287° 


.Dieſer Rath ſchien uns Kidjt ſo N6el, doch hatte die Aupfhrung- 
far. uns bie große Schwierigteit ba; naſer Raifetafe wicht: han 
etngerichtet war — wir hatien namſich bie Albfitht gehabt, matt ein: 
paar Tage in Valencia zu Bleiben, um dann mitiber erſten Diligemer,; 
airdet wir gute Plähe erfielten, nach der Haupiflabt zu führen, „mo; 

{tk neue Gelber erheben konuten, ab dazu veſchts unfere Banrhhaft“ 
Frdbie Yin. In Spanien überflffige Gelber bei ſich zu führen, Be 
mẽeht · iurnier ralhſam, unh der worfichtige Keiſende verfieht fich mr 
mt dem Rothwendiden; biefimät aber waren wir u dorſichtig ger; 
wefen, und ſahen hier in Valencia feft, ohne ſichere Ausſicht, bald: 
wirder lodtommen zu Yrmen; ba nämlich, wie ich ſchon geſagt, 
Ewagen und NRurier chon ſeit Längerer Zeit fee utıegelmäßg am⸗ 
kamen ſo giengen fie auch nicht phuttlich ab, uind obenbrein war 
eine Menge Reifender zur Fehrt vorgemertt, bie ſchon weit 
Tättger als wir wartelen. 

Vorderhand ſaßen wir freilich recht gut aufgehoben im Gaſthof 
DEU Gib, und war es gerabe nicht unengenehen, Beim flacernden 
Kaminfeuer und einem Glaſe vortrefflichen Alicante über bie Gefahren 
Der borhaberben Reife zu fprechen. Horjchelt warf dabei bie bes hin, 
wir follten es doch umternehmen, die Tome über Genen nach Mabrid 
zit Pferde zu machen — ein Vorſchlag, ber mit anferordentlich gefiel, 
ber abet bon ber übrigen Tifehgeleltfejaft ala umausfährhar vertoorfere 
wurde. Ein junger Franzoſe, ber mit dabei war, wollte biefe Tour 
Anmal im Frühjahr bei befierer Jahreßzeit gemacht Haben, und er⸗ 
zählte To ſchreckliche Dinge davon, ba ung unglaublich erſchien, wie 
er nach allem Dem überhaupt noch am Beben fei. Auch Gere Heeren 
Het ums, einen ſolchen Entſchluß wicht zu faffen: er kenne bie Strahe 
genau, und ein folcher Ritt ſei namentlich ohne volllommene Kennts 
niß der vandesſprache nicht zu unternehmen. 

Sam daufe des Geſpraches erffärten tote unferem vortrefftichen 
Landsmann, wehhalb es fir und unangenehm fe, Hier in Valencia 
Yängere Zeit Liegen zu müflen, worauf er und, ben-ifen faſt gänzlich 








38 Zehntes: Napitel. 


Uinbelartieben, aufs Freuublichſte und Liebenzwurdigſte ſeine ziite 
Roffe zuc-Berfügung -fellte,. ein Anerbieten, das in De ah 
verborbenen Welt fo felten- vorkommt; und be3 wir ai 
abihigen Fall · mit grohem ‚Danke aumhmen - 7 
Men enigen Men mob Die mar Girben von ieh 
belebt unb glänzend beleuchtet, weßhalb wir noch einen Gatıy- tank; 
die Stadt madjten. Morgen wirt nänılid; der Heilige Weihnachts · 
abend, ;wehfalb ein großer Markt geholien wurhe, den namencuih 
bie Landleute aufs- Zahlreichſie. befuchten. Und erinnenen Dis 
auf einem geohen Rlahe aufgefcjlagenen Buden ‚mit threm Siehe 
ſchengewühl unb zahlloſen Lichtern ſo lebhaft an bie Zeimath;:gir 
Wie dort waren Kinderſpielwaaren die Hauptſache, alte liebe Bekaunle 
alis Nilenberg ; umb es · war intereffant,- zufehen, wenn fo ein Faraluu 
aus ber Huerla Vater, Mutter, auch wohl erwachſene Kinder/ in ifiem 
Faft orlentaliſchen Koflum, ſo Überbafcht lachelnd den geheimniſzwotle⸗ 
Vechauisnim eins hoternen Tambours anſtanulen der iacamcthig dit 
Keine hob und dazu ben belannten klimpernden Ton won -Fich:geb; 
odev wenn fie einen ehrlichen, deutſchen Havpelmann Die-bekannteit 
auherordenllichen Sprunge machen liehen. Start beſeht war dieſcr 
Weihnachtsmarlt mit Sudfruchten aller Art, an groben Sacwert unh 
Fineh Zuckerwaaren, in beren Anfertigung es namentlich die Malern 
daner zu einer großen Fettigleit gebracht Haben... echt Ipanifeh-tr 
ſchienen mir die Würden, in welchen zlemlich koh genibeitete Guiiarteu 
und Mandolinen der verſchiebenſten Größe verlauft wurden / Hier 
horte ich denn · auch zarın erſten Mal, ſeit wir in Spanien reisten / den 
Alang der Guitarren, begleitet: von einem in naſelndem Tou vorge · 
teageiten’ Volkeliede / wenn "nämlich die Käufer ihre Inſtramente 
verfuchten. . 

= Am Allgemeinen war es und aufgefallen, hier in Spaxie, be 
ſchonen Lande bes Weinz und ber Geſange, wie Mephiſtopheleß zu den 
Leipziger Studenten ſagt, fo wenig Spiel und Geſang zu fulden. 
Wenn mem von Italien kommt, iſt man darin verwöhnt, und wain 











1 Baleeka rs 268 


man auch bort keine Vollslieder :hörk--— die Italiener haben 
iaſt gar Jahre, — fo vernimmt man dagegen allabendlich auf Strahzen 
vnch Platzen, unmentlih, aber / am Ufer des Meewes, z, B. in Genua 
und Neapel, bie beliebleſten Chore und Arien auf jeder neuen Opez 
und vft von wahrhaft prachtvollen Stimmen, mit einer Ger igteit 
tzagen,.bie uns in: Grftannen: ſeht. er > 


feined Ohr für Mufit und Geſenge woher e& denn weh 
tonumn meg, ba ex eine Stimme fo wenig erſchallen Laßt, und bafı 
merahies „oft junge Leute beider Gefchlechter grughenmweile zufammens, 
ſihen und arbeiten firht, ohne daß ein Grferg oder ein died erjchallts 
An Abend des heutigen Weihmachtsmarlles vernahe man aus ben 
eigen Shaahen, bie auf ben Hlah miunden, wo bie Buden ſuandem 
wohl ein luſtiges Getöfe, auch Jubeln und Singen, lehleres waren 
abe mahr lurz abaebrvchene Ausrufungen; bie Eranbe begeichnenb üben 
ben. Mang der Guitareen und Panderos, bie fpanikhen Eihelfene 
tommeln, ‚bie fich bedeutend. hören Liehen zwiſchen dem Kuacken der 
Cafſtannelas und ben eigerthämbichen brummenden und ſchuarrenden 
Runen der Zamıbomda, Dieſes ſehr belichte Kinder · Inſtrument bes 
fleht aus · einer kleinen Art von Trommel, über die fintt des Kalb ⸗ 
fellz eine feuchte Schweinsblaſe gelpannt ‚if, in deren Mitie man ein 
Stür:Bofe aufrecht feſtbindet. Sowie nan die Hand an dieſem Rohre 
aufe -unbabgleitet, entftehen ſonderbare, wenn auch nicht gerade fahre: 
maſilaliſche Töne. - Mir rief der erſte Anblid der Zambomba 'in, 
Spanien anf’ Schhaftefte heimathliche Erirmerungen in’3 Gebächtnir, 
auch hei ans am Niederrhein haben die Kinder ein ähnliches Inſttument, 
welches ‚aber „Brummtopf“ genannt wird, freilich nicht jo wohl⸗ 
klingend wie das ſpaniſche, Zambomba“. Außer bem Geklimper dex 
Guitarren auf dem Jahrmarkt ſelbſt war ich ü berraſcht, auch noch an ⸗ 
dere Mufit auf dem Weihnachtsmarkt zuhören, bie einer Drehorgelnäm« 
lich / welche von einem kleinen Nanne getragen wurbde, beffen abgeſchabter 
und verblichener Auzug ehedem eine frangzoͤſiſche Uniform geweſen zu, 















1290 Zeutos Kapitel. 


Jain ſchlen·Dah die Ougel ſeaazeſſchen Mufyrungssfei, desums · 
"Id feinem Zweifel; vben im Kaſten aamnlich Jah man zwei Sieine 
Firuren, den giohen Kaiſer, ſowie eine Damız,. bie Kaiſerin Wie 
BVoniſe, die von einander weherüshigen Jhichied zu nehme ſchican, 
dern jeht Soßen‘ Velde bie Haude in;bie. He, uab bamisımnandte 
Rapoieon mit einen Tut dei Zapf anf bie Seite; ‚dazu jpigligihie 
Orgel -tigentil hochſt unpaflenb: bie Marſelllaiſe wu —— 
Bovn daſen wit. feinem fihönen Rafenig: - u 


; „„Mourir, pour la patrie.“ 


. ¶ Die Spenie/ Küken: Hbägens von biefer Orgelmasfik vcaig 
Robiz zu nehmen, -unb.: bev-amme- Framzoſe war Jehe ‚überusiht 
ab danlbar, dB wwir ihmn ein panc Heim. Sibermlingen i * 
Band ſchoben. — 
Auf rintdi une Bpegfnge m anbeen Kage af. ia 
‚eine kleince gieinlich derſtedt Legende Kircht, bie untere Aufingrkfenieit 
Auf fg zog, Weil fich vor bem Portal ein geoßer Haufen Balta.be: 
ſaud, und weil in den Tenachbnsien Gafien: lange Reihem. jematz: 
+ Brauner Tartanen ſtanden, Katſcher unid Bebiente in tiefer Txamer, and 
Ani deren Spihe ein weit weihen Hafen geſchmicler Seichentvngen, Bir 
verſuchten "08; duvch bie enfchemnesge zu drietzen und. bad -Mtuchete 
portal zu erreichen/ wad uns and) geßing; denn bie Spanien; unle 
diugi dos doſlich ſi Volt ber garen Walt; muachteis bereitwilligft Plat 
ba fle wothl jahen, buk wir Grembe waren. An ben Portale ſtaud 
ein Rixdgenblener, dee und mit einer forgublichen Haybbetneguung sin: 
lub, näher zu dreiin and einen ſchweren Thitchorheng aufheh. Wir 
teateit in die Kirche/ blicben aber aufs.Göchfte Abermufcht Auf: dye 
¶Echwelie flehen, Es tourebe hier An Zrauernutt gehalten; „a3 -Echiff 
der Kirche, ſounie Seitenglinge und Chor waren mit fchinargepp Tuche 
ausgeſchlagen; auf dem letzteren. welchet etwas erhüßt war, beſand ich 
ein zahlrriches Orcheſter und ein ſtarker Sangerchor, welche: ein Nee⸗ 
quiem auffüßeten, "beffen ergreiſende tumstige Klqunge Hef:au.Geizen 


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BER EL Yo 730 020 — 


vtangen⸗ Zutneiten fügte hie Oroel rät gevliuenf atlorden ain nad 
‚bat i fiel ein unfichthärer. Sagarchor · droben Tlegenir ein. In dem 
Eqhiffe aber befauden ſich Hunderte der gtüten und fläufften Wache: 
Herzen] diecien arlaphag zu angeben ſchieum deutlich lounien wir 





nſen Ange amd Lab die Bible nicht Aunchbehngen. int pen 
die Zuſchauer jo freundlich, und; Iemghun paxuuſchieken, Jon doß Ich 
endlich ganz in bie Nähe bes Sarkophages kam; ich trat aber fait er⸗ 
ſqhrect einen Schritt zur, — — denn ſo dichi vor mir, daß ich fie 
ait der Hand erreichen leunie / erhoh fich elat Eebaͤbunn, ein Lager 
aitt eichen ſchwarzen ſamritenen. Deden cherhanat, heran Fllen 
Branſen auf den Beden aeicten. und auf die lem Lager richie ein jungts 
wunderſchones tobted Madchen. Ihr Geficht war wie van veien 
eh, die Augen geichloſſen und bie Langen ſchaamen Wiewwern jo 
nihig geſenlt, das ‚man hatie glauben ſollen, fie, ſchlaſe mac: Auch 
von den feine Rippen Hatte bie. Ganb des Toder noch nicht die ftilche 
Abdfe wegheſtteift. Wie man una Tage; gehärte bie Verſterhene eicer 
bder erſten Yamilien Balensia’ an, war 16 Jahte.alk.geispxhen, und 
: 628 Bmantgeftorben. Ihr zeichen fehtunsges.Onar itug auch hen pr» 
-tentfrang unb einen Laugen Schleier, Dex um. ihren Körper bexumtfloh, 
ab den fie auf bar Bruſt gunſchen ben:aufemınngefelteien Gänhen 
HER. | Die ganze Seienlichfeit wor ergpeifech, Ande kit. Derfiehen Jo 
„tiefbeisegt die Kirche, ald häkten wire gelanut, das arue Mädchen, 
weisen än:dev Gülle.der Jugend, bea Glüces;und der Srhönkeit, four: 
tabittlich dahingerafft wurde. Au ber Thüze warf ich noch einen Blich 
Yacht, und jah es noch einm, daR ſchoue Geficht: der Tobten. Richter: 
"glaniz:umd, Rauch bildeten, eisen Baldacjür Kber'ihrem Oaudie, und 
der Iehiere ward oben augeſtrahlt von: einem Streiflicht der Sonne, 
weldgeb, durch ein, underhülltes Fenſter drang. ash den ohern Theil 
ber Dunklen Kirche jo mit glanzendem Lichte erfüllle, daß ein Paar 
»galdine: Engelöfiguren ‚über; ber Kungel an dem wehenden Rauche 


272 Zehntes Kapitel, 


umb bem hellen Schein wie lebend erſchienen, und fich herabbeugten 
über das fühöne Geficht der armen Geſtorbenen. 

Dieſe Art, die Todten in ber Kirche autzuſtellen, iſt in Valencia 
allgemein gebräuchlich und man Lam ſaſt keine Kirche betreten, ohne 
nicht oft auf abſchreclende Weiſe an bieSterblichteik erinnert zu werden. 

Schon feit mehreren Tagen hatten wir dem Heinen Dorfe Grao, 
ber Rhede von Valencia — einen Hafen klann man fie nicht nennen 
— umfern Befud; zugefagt. Mit ber Gifenbahn führt man in ein 
paar Minuten dahin, boch iſt das Warten auf bie Abfahrt über bie 
beftimmnte Zeit hinaus etwas nnangenchm. Mir fchien es faſt wie ein 
Omnibus, wo es erſt losgeht, wenn alle Platze befeht find. Die Wagen 
dieſer Eiſenbahn, meiſtens im Norbdeutfchland erbaut, find auch faft 
wie bie dorligen eingerichtet unb recht elegant. Endlich wurde mit 
einem großen Aufwand von Bärmen ber Angeftellten und Pfeifen 
ber Lokomotive das Zeichen zur Abfahrt gegeben und dann braudten 
wir dahin, um in viel weniger als Yu Stunde wieber auzuhalten, da 
wir Grao erreicht hatten. Es iſt dies ein gänzlich unbebentendes 
Dorf, beffen Häufer, eine einzige orbentliche Strafe bildenb; zufam- 
mengebrängt liegen am Landungsplatz ber weiten Meeresbucht, welche 
bie Rhede von Valencia vorftellt, Bon einem eigentlichen Hafen ift 
nichts vorhanden, und behhalb auch ber Molo, den wir vor und 
ſehen, ohne allen Nutzen. Die ſchwächſte Seebriefe regt bie Wellen zus 
nachſt bem Landungsplathze heftig auf und macht das Anlegen feihft 
von Heineren Fahrzeugen meiftens unbequem und häufig ſehr gefähe 
lich. Faſt bie Hälfte des Jahres über ift daB Landen in kleineren 
Schiffen faft unmöglich, und da man baffelbe oft erzwingen will und 
ma, fo falfen Häufig Unglädafälle vor. 'Die Dampfer und aubere 
Seeſchiffe ankern faft eine Stunde von Grao, und Paflagiere, Effekten 
und Wagen müffen in Heinen Booten an's Ufer geſchafft werden. 

Den Rüctorg nach Valencia machten wir zu Fuß. Man hat 
eine Heine halbe Stunbe bis zum Thore ber Stabt zu gehen, Die 
Fahrſtraße, welche nie befonbers gut fein Fo, war nad; bem Regen 





2 Balansier nz 273 


der vorigen Woche in ſehr erBäiemtichen Zaftande; doch befinden fich 
auf beiden Seiten ber Fehr ſchonen vierfochen Alleen rockene Wege 
Fir bie Jußtzanger. Rechts und links Hatten wir zuweilen Khöne 
Audſichten auf die anſtohenden Garien und die Huerta, deren Land⸗ 
hencjer / ich verfiehe daruntet diec Wohmmen ber gewöhnlichen Bauern, 
acherorbertflich maleriſch fiund· Von der. Sirahe Find bie Grundſtucke 
meiſtens geſchieben durch einen Graben und eine undurchdringlicht Heike 
ber gewaltigſten Aloen, deren eigentchumliche, Raxre, helbgruns Blaͤtler, 
wit tcharfeht Bpipen verſehen, als trohige Mächten die unbeſutt in: 
beingenden mit ſchmierzlichen. ja giftigen Wunden auelicweifen; dabei 
iſt ader bie icnd da · eine Jo freumblich; einen rieſenhaften 80 bis 40 
Sub hohen Bluthenſchaft emparzutreiben, befien weit ausgeſtrocte 
tdweige mit den rothgelben Bluthenbuſchen von zahlloſen Bienen und 
Sihäietterkingen ninfchteärmt find Ueber den vorhin erwahnien Gra⸗ 
den füßet ein Steg und durch eiue Fleinerne, don, Ephen umrantie 
Vforte; gewöhnlich mit einem Kreuze oder · Marjenbilde geſchmuckt. 
Tritt man In eine Jchaktige kuhle Neben la ube / deren vom leichlen buft 
auge ſchwach erzitternde Blätter im Herbſt ſo dicht über einander Lies 
gen, daß mer hie umd da ein bliſender Sonnenſtrahi durchdringen 
ranm, ſo daß es faſt ben Trauben, bie von umgetoöhnkicher Größe find, 
wiihfam wird,. fich dutchzubrechen. Am andern Ende dieſer Reben- 
laube — es iſt eigentlich mir ein dunkler Vaubgang — glängt bie 
teiße Wand des kletnen Hauschens uns entgegen, beflen Thure offen 
fleht und und einen Blick tm das reinliche Iunere erbaubl. Die Wände 
Find hier dor geſtampftem Behur; haben aber /durch einen weißen An⸗ 
‚wurd, ber beftänbig erneuert wird, ein frifches, freundliches Außfehen. 
Meiftens tft daB Haus it einer Terraffe bedeckt, fonft-aber. mit einem 
Moigen Dache, das aus Teichten Moheftähen beſteht. Wie überall in 
Spanien nimmt bie Rüdhe den größten Theil des Raumes für fich ip 
“Unıfpruch, Boch ift dieſe zu gleicher Zeit Wohnſtube für Ale und 
Schlafftube für bie Manner. Fenfter gibt es bier nicht und das Licht 
deingt durch die offene Thure herein; das Herdfener — auf einer 


Hadländer's Werke. XXI. 


Einrichtungen. Auf einem Paar Brettern, bie an der Wand an: 
gebracht find, befindet fid) das meiftens aus rothem oder gelbem 
Thon beftegende Küchengeſchirre; die Formen befielben find über 
aus zierlicd und weilen noch auf bie Zeit ber Araber, . zuweilen 
jogar auf die der Römer zurüd. In einer Eile befindet fich .ein 
für daß Heiße ſpaniſche Klima unentbehrliches Geräthe, ein Waſſer⸗ 
Trug von meiftens 4 Fuß Höhe, der außerdem noch 2 Fuß tief 
im Boden ſteckt und mit einem hölzernen Gerüft umgeben ift, auf 
dem fig eine Menge Trintgeſchirr in den verſchiedenſten Größen 
befindet, die den alten Waſſerkrug umgeben, wie Kinder und Entel 
das Haupt der Familie. Ein gewöhnlicher Tiſch und ein Paar 
Heine Schemel machen den übrigen Hausrath aus. In der ans 
ftoßenden kleinen Kammer finden ſich Kiften und Truhen, worin 
das Eigentum der Familie verwahrt wird, fowie ein Paar Betten 
für Frau und Töchter; neben dem Häuschen ift ein Leichtes Wetter 
dach, wo Maulthiere oder Eſel zugleich mit dem Ader: und Garten: 
geräthe untergebracht find. 

Ehe man von diefer Wohnung, Choza genannt, bie Felder 
betritt, tommt man gewöhnlich noch durch ein Kleines Garichen | 
wo ein ſchattiges Gebüſch von Granate und Feigenbäumen, Orau⸗ 
gen und Simonen, über welche ſich oft ein Paar fchlante Palmen 
erheben, ein veizendes Plägchen bildet, auf welchem ſich die Fa— 
milie nad) Sonnenuntergang zu berjammeln pflegt. In gay | 
Spanien gleicht übrigens eines dieſer Bauernhäufer dem andern, | 
weßhalb ich mir erlaubte, ein ſolches einmal ausführlicher zu bes 
ſchreiben. 

Die unmittelbar an die Straße von Grao nach Valencia 
ftoßenben Häufer waren indeffen minder maleriſch und glichen öfters 
aufs Genauefte unſern beutichen Bauernhäufern. Die Bewohner 
derjelben ſchienen heute ein eigentHümliches Treibjagen auf Wögel 
zu Halten, denn auf jedem Grundftüd ſtauden ein ‚paar Männer, 
die, ohne ſich gerade viel darum zu befümmern, welche Richtung 


274 Zehntes Kapitel, 
Steinplatte am oben und ebenfo einfach find auch alle übrigen . 
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