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Full text of "F.W. Hackländer's Werke"

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F. W. Hackländer’s Werke. 


F. W. Hackländer’s 


IS er 





Erſte Gefamnt - Ausgabe, 


s 
Fünfter Band, 


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Stuttgart. 
Verlag von Adolph Krabbe. 
1855. 


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Schnellpreſſendruck der J. ®. Sprandel'ſchen Officin In Stuttgart. 


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Ihmueı iltiilvn. 


Wachtftubennbenteuer. 


——— 


Zweiter Theil, 


Erſtes Kapitel. 


Worin der geneigte Lefer eine Poſt⸗Wachtſtube kennen lernt und vielleicht eine alte 
Belanntfhaft erneuert — gewiß etwas Seltenes für ein erftes Kapitel. 


Es ift in den meiften großen Pofthöfen ein Winkel, ein heim 
lihes Pläpchen, das der oberflächlichen Beſchauung fremd bleibt 
und dad fich nur dem Blide eines Gingeweihten in feiner ganzen 
Anmuth und Lieblicykeit offenbart. Es ift dies nicht des Paflagier- 
“ Zimmers troftlofe Einſamkeit mit vier grau angeitrichenen Wänden, 
einem fajt durchgerutſchten ledernen Sopha, einem übermäßig gros 
Ben Dfen mit übermäßig Meinem euer darin, mit einem trübe 
glimmenden, herabgefommenen Talglicht und einem verdrießlich außs 
jehenden, ebenfalld herabgefommenen Kellner. Nein, es ift nit 
diejer Schredend- Aufenthalt für alle unglüdlichen Reifenden: der 
Plag, den wir meinen, iſt die Poftwachtftube, ein gerade nicht bes 
jonders großes Gemach, gewöhnlich hinter der Packkammer gelegen 
und auf der anderen Seite an die Expeditions-Zimmer ftoßend. 
Ter Eingang zur Padfammer befteht in der Regel aus einer Glas» 
thüre, in der fih oben ein Zenfterchen öffnen läßt und vermittelit 
deſſen der Wachthabende und Auffichtführende ſich mit den Pads 
knechten zu veritändigen im Stande ift. 

Diefe Poſtwachtſtube kann fi) nur des Abends fehen lafien. 
Eie erhielt bei ihrer Erſchaffung fein Zenfter und ift deßhalb 


8 Grftes Kapitel. 


nur wohnlich und traufich, wenn der Talglichter Schein die Wänd 
erhellt. Diefe Wände find gefchmüdt mit einem Poft-Neglemeni 
einem. Brief» und PadetsTarif und einigen großen Nägeln, aı 
welchen bier Rod und Müpe des Wachthabenden, dort eine überau 
lange Papierfcheere und ein Knäul Bindfaden hängt. 

Bon dem Ameublement. und fonftiger Verzierung läßt fih nic 
viel fagen; ſie beſtehen aus einer alten hölzernen Kifte, die al 
Heu⸗, Stroh: und Papierkorb dient, ferner aus einen wadelige 
Zifche, aus einem großen ledernen Lehnſtuhle, und endlich ans dei 
Portrait ded General: PBoft-Directors Excellenz. 

Es iſt Abends zehn Uhr. Der Pofthof, der noch vor eine 
Biertelftunde mit Wagen, mit fehütteluden, fhnaubenden Pierder 
mit ungeduldig fchreienden Gonducteuren, mit fchluchzenden un 
lachenden Paſſagieren angefüllt war, bat fih nun nady allen Rid 
tungen entleert. Die Poftillone auf ihren Pferden blafen, Di 
Poſtuhr ſchlägt langfam und feierlich zehn Mal, der exgpedirent 
Serretär ruft fein „Fertig!“ die Wache haltenden Hunde auf de 
Wagendächern Mäffen, als fähen fie fich jetzt ſchon durch eine L 
gion Räuber beunruhigt, und fo ſchwankt einer der fchweren Kaſte 
nah dem anderen durch das Thor, der eine hierhin, der. ande: 
dorthin. Man hört eine Zeit lang das Knallen der Peitfche: 
dad Rollen der Räder, auch vielleicht das fchmetternde Horn di 
Poſtillons, der durch die finfteren Straßen reitend und au de 
Zenftern hinauf blinzelnd in einer gewifien Dachfammer ein Li 
erblickt — dem gilt fein Blaſen; für fie, Die droben wacht, ertd 
durch die ftille Nacht das Lied: 


Es reiten drei Reiter zum Thore hinaus — Ade! 


Auf dem Pofthofe, von dem wir zu fprechen die Ehre habe 
wurde es mittlerweile ruhig und ftill; die Uhr fchlägt ein Viert 
auf Eilf, und der wachthabende Parmeifter fann bis Mitternad 
wo wieder einige Pads und Eilwagen abgehen, ruhig träume 


Eine Pof-Wactitube, 9 


Seine Gejchäfte find beforgt; in der anftoßenden Packkammer Tiegen 
jämmtliche Pakete, groß und Mein, wohlgeordnet nach den verichies 
denen Stationen neben einander, und die dazu gehörigen Begleit« 
Ihriften und Frachtbriefe, ebenfo forgfälttg gefchichtet, neben ihm 
auf dem Tifch. 

Der Wachthabende hier ift ein Mann an die Bierzig, groß 
und ſchlank, faft mager zu nennen. Er trägt eine graue Militärs 
bofe, darüber das blaue Collet der Poft-Eonducteure, und auf der 
Bruft neben dem filbernen Adler an den drei Ketten bat er die 
goldene Schnalle, wodurch wir die Gewißheit erhalten, daß er fünf 
zehn Jahre lang in irgend einem Regiment oder einer Artilleries 
Brigade gedient. Wir willen nicht, woher es fommt, aber es tft 
etwad anßerordentlich Würdevolles in der ganzen Haltung und 
den Bewegungen diefed Mannes, ja, in feiner Art, zu fißen, wie 
er den Kopf aufftüßt, wie er das ernfte, nachdenkende Haupt in 
die Hand gelegt hat. Da gibt er uns auf dem alten Lehnſtuhle 
jo ein befanntes Bild: der linke Fuß, etwas zurüdgezogen, erreicht 
faſt die Sproffen des Stuhles, der rechte, auf ein mächtiges Paket 
in ſchwarzem Wachstuche aufgeftellt, zeigt und ein außerordentlich 
fpipes Knie, fo fpiß, daß es feine Bekleidung zu durchbohren droht, 
was auch unfehlbar gefchehen müßte, wenn die Hofen mit Steegen 
verfehen wären. So aber ziehen diefe fich durch Die ungeheure 
Anftrengung nur unten Erampfhaft in die Höhe und zeigen über 
einem Paar blank gewichäter Stiefel die hierzu gehörigen, aber 
fehr fuchfigen Schäfte. Er hält ein außerordentlic großes Bud, 
eine Art Foliant, auf den Oberfchenkel geitügt, mit der rechten 
Hand aufrecht; und der Kopf, den, wie wir ſchon bemerften, die 
linke Hand unterftügt, ift den großen Blättern des Buches zuges 
wendet, 

Der Mann Scheint eifrig zu leſen; doc, ift dies eigentlich zu 
wenig gefagt: er feheint, verfunten in feine Leetüre, font für 
nichts im der ganzen weiten Welt in dieſem Augeublicke Interejie 


10 Erites Kapitel. 


zu haben. — Und diefes Geficht, ed paßt volllommen zu der gan 
zen nachdenklicdhen Haltung des Körpers. Die hohe Stirn, Deren 


: Grenzen nad) oben wegen Haarmangeld nicht mehr genau zu bes 


ſtimmen find, und die fi wie eine Waldlichtung faft bie zu den 
bufchigen Abhängen des Hinterfopfes fanft hin verliert, endet nad) 
unten in ein Paar dichter Augenbrauen, welche finfter die erniten, 
aber gutmürhigen Augen überfchatten. Die Nafe ift lang und fpig 
und wendet ſich drehend den Zeilen zu, bald nach rechts, bald nad) 
lints, den Tefenden Augen folgend. Der Schnurrbart ift gewöhn⸗ 
lich militäriſch verjchnitten, Doch verrathen die Spipen defjelben eine 
fühne Neigung nach aufwärts; der Mund iſt feit zufammengefnif 
fen, wahrſcheinlich in Folge der ſchlechten Lectüre. 

Sept erinnern wir uns auch plöglich, wen diejed ganze Bild 
ähnlich fieht. Ja, es tit Don Quixote, wie er den Amadid von 
Gallien liest. — Doch der Wachthabende zeritört uns dieſes Bild 
im Augenblicde wieder, indem er dad Buch zujanımenklappt, es nes 
ben fih auf den Tiſch Tegt, dann die Talgkerze in dem eijernen 
Zeuchter pugt und auf feine Zafchenuhr fieht, welche halb Eilf ans 
zeigt. Darauf erhebt er fich, Iegt feine Hände auf den Rüden zu» 
ſammen und geht mit großen Schritten in dem kleinen Gemade 
auf und ab. Der Raum der Wachtſtube ift fo beſchränkt, daß der 
Packtmeiſter nah dem vierten Schritt jedesmal wieder umkehren 
muß. 

Obgleich fich der zufammengefniffene Mund etwas geöffnet hat, 
obgleich die Augenbrauen nicht mehr finiter und drohend herab 
hängen, fo lagert doch noch ein tiefer Ernft und eine gewiſſe 
Schwermuth auf den Zügen des langen Manned. An der Glass 
thüre zur Packkammer bleibt er endlich ftehen, jchlägt Die Arme 
über einander und blickt nachdenkend auf den großen Haufen von 
Paketen: und Kiften aller Art. „Das habe ich mir früher alles fo 
poetifh und ſchön gedacht,“ ſagte er nach einer längeren Baufe 
mit leiſer Stimme, „fo den Vermittler der ganzen Welt zu machen, 


Eine Poſt-Wachtſtube. 11 


und wenn man gewiſſer Maßen Phantafie hat, fo kann man fi 
bei dem Anblick diefer Heinen fehwarzen und grauen Dinge gewifs 
fer feltfamer Gedanken nicht erwehren; da gehen Zettel und Briefe 
durch meine Hand und fließen in alle Welt hinaus — dem Einen 
bringen fie Luft und Freude, dem Anderen Kummer und Schmerz. 
Und doch iſt nichts reell Poetifches dabei! Es ift ein höchſt lang⸗ 
weiliges, trübes Leben! Ja, wenn man den Poftdienft fo von 
Weitem anfieht — die dahin eilenden Wagen; der Eonducteur, in 
feine Ede gedrüdt, raucht eine der vortrefflichen Gigarren feines 
Pafiagierd; oder der Ruhetag in einer fremden Stadt, wo man 
behaglich und wohlgemuth einherfpaziert und all das Merkwürdige 
mit Muße anfhaut, ja, das find die Lichtfeiten davon, und an die 
dacht’ ich nur, als ich den Rod mit dem fchwarzen Kragen auszog, 
ald ich den Säbel abfchnallte und von meinem Gefchüße, der Mi⸗ 
nerva, Abfchied nahm. Jept iſt Alles ganz anders geworden, und 
ald ih noh im Eilwagen fuhr und zuweilen, wie es fich ges 
tade traf, über eine Chauſſee fam, durch ein luftiges Manöver bins 
dur, und rechts und links die weißen Staubmaſſen aufwirbelten, 
da wollte mir die Sehnfucht fchter dad Herz zerbrechen, wenn ich 
fo aus den dichten Rauchwolken hindurch in weiter Ferne an irgend 
einem Waldfaume das Glänzen der Geſchützrohre ſah, oder wenn 
quer vor mir über die Landſtraße hinweg eine reitende Batterie 
dahinflog. — Ja, es gibt auf diejer Welt nichts Schöneres , als 
eine reitende Batterie, und e3 war mir in folchen Augenbliden, als - 
zög' es mich Nachts zu dem Kutfchensenfter hinaus und als ge= 
hörte ich immer noch dazu und fei nur zufällig zu fpät gefommen; 
— was aber während meiner Dienftzeit nie vorgefommen,“ febte 
er mit großer Wichtigkeit hinzu und ftrich fich mit der rechten Hand 
über die Augen. 

Draußen wurde in diefem Augenblide die äußere Thüre ber 
Packkammer geöffnet, und der Conducteur, der einen Zwölfuhr- 
Bagen zu fahren hatte, fam in die Wachtſtube, um mit dem Col— 


14 Erftes Kapitel. 


horizontale Bewegung mit der Hand, wodurch er augenfcheinlich 
ausdrüden wollte: die Sache tft abgemadht! 

Es entftand hiedurch eine längere Paufe, und nach derfelben 
legte der Eondueteur fein rechted Bein anf das linke, fchlug die 
Arme über einander und ſah den gegenüber Sigenden feſt an. 
Der Spig machte es gerade fo, nur mit dem Unterfchiede, daß er 
feine Beine nicht über einander ſchlug, fondern fie der größeren 
Bequemlichkeit halber weit von fih ab ftredte. — „Ich möchte nur 
wiflen,“ fagte jegt der Conducteur, „weßhalb Sie fi in der That 
überzeugt haben, daß feine Poeſie mehr auf Erden tft? Ich kann 
das nicht glauben; denn wenn ich fo ein Zeitungsblatt durchleſe 
oder bei den Bücherläden vorbeifahre, fo fehe ich eine folch unges 
heure Menge von Poefle, daß es mir oft ganz übel zu Muth wers 
den könnte.“ 

Das trübe Lächeln auf den Zügen des Packmeiſters vewandelte 
fi) nad diefen Worten in ein mitletdiges. Gr zog feine Achfeln 
in die Höhe und entgegnete: „Wenn ich vorhin fagte, es ſei keine 
Poeſie mehr auf Erden, fo wollte ich darunter verftanden haben, 
es fei fein Gefühl für Poefle mehr vorhanden.“ 

„Ja fo! ja ſo! — Bei den Zeusen im Allgemeinen, wad man 
Publikum nennt, da mögen Ste gewmiß Recht haben; aber bei denen, 
die fich mit Poefie abgeben müſſen, bei den Zeitungsfchreibern und 
Buchhändlern, da muß doc noch ein ſchönes Stüd Poeſie zu finden 
fein.“ 

„Wie ſehr Sie namentlich in lepterem Punkte Unrecht haben, 
will ich Ihnen beftens beweifen, wenn Ste nämlich Zeit haben, 
mich anzuhören.“ 

Statt aller Antwort 309 der Conducteur aud feiner Taſche 
ein ledernes Uhren⸗Futteral heraus, eine dicke, unbehülfliche Ma- 
fhine, aus welder nur das Zifferblatt hervor fah, warf auf letz⸗ 
teres einen prüfenden Blil und bemerkte dann: „Ich babe noch 
volle achtundzwanzig Minuten Zeit.“ 


Eine Poſt-Wachtſtube. 15 


„Don jeher,“ fagte der Packmeiſter, „fühlte ich einen Drang 
zu etwas Höherem in mir und haßte alles Gemeine. Schon in 
jenen Tagen, wo ich zum Militärdienft tauglich befunden wurde 
und wo fih alle Anderen entjeglich fürdhteten, man möge fie 
zur Artillerie einfchreiben, meldete ich mic gerade zu dieſer Waffe 
und war ſtolz darauf, ald man mic, derfeßben zutheilte. Ich war 
Artillerift mit Leib und Seele, und in einem halben Jahre erreichte 
ih das Höchfte, was Rekruten⸗Ehrgeiz verlangen kann — ich wurde 
zur reitenden Artillerie verſetzt. Ich weiß noch ganz genau, wie 
Tages vorher, als es fo halb und halb befannt geworden war, 
wir follten die tüchtigften Leute zur reitenden Batterie abgeben 
und ich fei unter diefen, wie ich mir damals einen Schleppfäbel 
borgte und mit demfelben Mirrend durch die dunfeln Straßen 
ſchritt. — Es war das ein ſchöner Moment!“ 

„Aber da befamen Sie ja ein Pferd zu pußen?“ meinte der 
Conducteur. 

„Freilich zu putzen,“ fuhr der Packmeiſter fort. „Aber auch 
eins zum Reiten,“ ſetzte er ſtolz hinzu. — „Nun ſtudirte ich aufs 
Eifrigſte den Leitfaden für Artillerie⸗Wiſſenſchaften, exereirte mit 
einer wahren Begeiſterung und hatte in kurzer Zeit meinen Dienſt 
inne, wie der älteſte Kanonier. Aal würde ich auch Bombardier, 
die erfte Stufe auf der Leiter zur höchſten Macht. Ic hoffte es 
zum Offizier bringen zu können, doch andere Umftände ließen mid 
nicht weiter daran denken. Ich fah leider ein, daß meine Schul 
bildung in der Jugend nicht der Art vorbereitet worden fei, um 
fie ald Fundament zu einem bdereinftigen Examen betrachten zu 
finnen. Ich dachte nicht weiter an die Epauletten und befchloß, 
es zu machen, wie jener große Römer fo treffend jagt: Aut Caesar, 
aut nihil! das heißt auf Deutfch: Xieber ein großer Unteroffizier, 
ald ein Meiner Lieutenant. — Und alfo gefhah es, und ich fann 
mit großem Stolze fagen, daß tch meinen eigenen Erwartungen 
ntfprach und denen meiner. Vorgefepten. Orden und Ehrenzeichen 


16 Erſtes Kapitel. _ 


fonnte ich freilich dafür keine befommen, aber allen, die damals 
bei der Brigade waren, wird der große Moment unvergeplich fein, 
ald wir bei einer Schießübung nad einer Rotonde mit fünfzig- 
pfündigen Bomben warfen und ich das Glück Hatte, nicht nur 
unter acht Schuß ſechs hinein zu bringen, fondern ald obendrein 
dad Inglaubliche geſchah, daß mein vierter Wurf die Rlaggenftange 
mitten in der Rotonde herab riß. — — — — Da ritt unfer 
alter Dberft von T. — Gott mög’ ihn felig haben! er konnte fehr 
grob fein, und hatte das in derfelben Biertelftunde an einem uns 
alüdjeligen Lieutenant bewiefen, aus deſſen Mörfer-Batterie eine 
Bombe zwijchen die Diftanz flog, die ftatt mit Ausſtoß mit Spring- 
ladung verjehen war — da alfo ritt der alte T. auf mich zu, nahme 
feinen Federhut ab und fagte: „Nu, et {8 nur gut, dat ed neben 
ſolche Offiziere noch fo refpeftable Interoffiziere gibt!“ Und daranf 
reichte er nıir die Hand, und ich muß Ihnen geftehen, Tiebiter 
Eonducteur, wad mir nie gefchab, gefchah mir in dieſem Augen⸗ 
blide: mir liefen ein paar Thränen über die Baden herab.” 

„Ja, das war auch fehr ſchön,“ entgegnete der Andere; „das 
hätte mich auch unfinnig gefreut.“ 

„Ob! — Und wie!“ gab der Pardmeiiter zur Antwort; „ich 
erfand mir auch für jenen glorreichen Tag ein eigenes Erinnerungs⸗ 
zeichen, über das Manche freilich damals gelacht; Doch hat mid 
dieſes Lachen nie gefchmerzt. Ich machte mir nämlich von weißem 
Leder einen Meinen Stern und fchrieb darauf hin: 

Unter acht Wurf ſechs geglüdt — 

Mir der Oberft die Hand gedrüdt — 

Die Kameraden mic ftolz angeblidt. 
Dann fam Datum und Jahreszahl, und diefen Stern nähte ich mir 
innerhalb des Collets gerade auf die Stelle, wo man einen Dr 
denöftern zu tragen pflegt. Jener Händedruck hatte mich geadelt; 
mein eigenes Bewußtfein gab die Erlaubnig, mich ſelbſt, wenn aud 
unfichtbar für Andere, zu dekoriren.“ 


Eine Poſt⸗-Wachtſtube. 17 


„Da hatten Sie volllonmen Recht,” fagte der Conducteur 
mit wichtiger Miene; „wenn das während eines Krieges gefchab, 
fo konnte Ihnen das allgemeine Ehrenzeichen Doch nicht entgehen.“ 

„Das dachte ich auch,“ antwortete der wachthabende Padmeis 
fter, febte aber mit trüber Stimme hinzu: „Leider war's Friedens⸗ 
zeit, und ich mußte den fchwarzen Kragen ablegen, ohne den ernft- 
lich gemeinten Kanonenfhuß zu erleben.” 


Zweites Kapitel. 


Sandeit von Redacteuren und Buchhändlern, und zeigt, wie wenig Poefie überhaupt bei ben 
Menfchen zu finden If. 


„Doh bin ich ganz von dem Faden meiner Erzählung abges 
fommen,“ fuhr der Padmeiiter nach einem Augenblide tiefen Nachs 
finnens fort. — „Alfo von der Poefle der Redacteure und Bud 
händler fprachen wir ?” 

„Die keine Poefie verftänden,” ergänzte der Conducteur. 

„So war's! — Als ih nun ſah, daß ih wohl Zeit meines 
Lebens Unteroffizier bleiben würde, nahm mein Geiſt eine andere 
Richtung und ich begann in meinen Freiftunden mic mit poetis 
hen Gedanken zu befafien. Mein erſtes Gedicht galt meinem 
Pferde; es waren da fehr fchöne Reime anzubringen: Pferd — 
Werth — ehrt — mehrt — nährt und Herd. Es war dies fein 
unfauberes Stüd Arbeit, doch hatten wir damals bei der Batterie 
einen nafeweifen Freiwilligen — H. hieß er, ein vorlauter Burſche, 
fonft ein guter Kerl — der nannte mein Gedicht, als ich mich ihm 
anvertraute und es ihm vorlas, eine Pferdö-Poefie, was mich fehr 
darniederdrüdte; doch ſchreckte mich das nicht ab, auf dem einmal 

Halländers Werte. V. 2 


18 Zweites Kapitel. 


betretenen Wege fortzufahren. Ich machte Gedichte über all 
Mögliche; ich fchrieb fie ſauber ab und hatte bald zwei gan 
Bände beifammen, die ich beftändig bei mir führte, den ein 
Band in dem linken PiltolensHalfter, den anderen in dem Mantı 
fad, weßhalb der Herr Hauptmann, wenn er gut gelaunt war, me 
Pferd, den Cato, nur Pegafus nannte. — Darauf fam eine ſti 
betrübte Zeit: ich verließ die Batterie⸗Brigade, ich hatte fünfzel 
Jahre gedient und befam eine Stelle als Poſt⸗Conducteur. A 
fänglih kam mir dies fehr poetifch vor, beſonders das beitändi 
Hins und Herfahren in dem gut gepolfterten Eilwagen. Doch 
war viel Geſchrei und wenig Wolle; vorn getrommelt und hi 
ten feine Soldaten.” 

. „Das weiß Gott!“ feufzte der Andere; „ed gibt gar kei 
Irinfgelder mehr. Wenn man gegen fo einen Paflagier noch 
artig tit, wenn man ihm Nachtſack und Hutichachtel noch fo bere 
willig erlaubt in das Cabriolet zu nehmen, daß man felbft kar 
fiten fann, wenn man ihm. einmal umd andere euer für Cigarr 
und Pfeife macht, 's ift Alles einerlei: einen böflichen Dank, al 
fein Trinkgeld.“ 

„3a, ja,” bekräftigte der Pacmeifter düfter, „wie ich vorl 
gejagt: es hat alle Poefie aufgehört.” 

„Sept haben Sie aber einen angenehmen Poſten,“ fuhr 
Eonducteur fort; „nicht mehr dad ewige Herumrutfchen auf 
Chauſſee, nur bie und da eine Meine Wache, und einen befje 
Gehalt.“ 

„Allerdings,“ entgegnete der Packmeiſter; „aber dafür a 
die langweiligſte Beichäftigung, die man ſich denken kann: Pa 
zu ordnen und eingufchreiben den ganzen lieben Tag hindu 
Anfänglich hat ed mid, amüfirt, die Krachtbriefe zu leſen und d« 
darüber nachzudenken, was wohl in den Paketen fein könne, 
mentlich zur Weihnachtszeit. Da kommen viermal fo viel als jo 
groß und Mein, leicht und ſchwer, die meiften mit geſtickten Sac 





Redarteure und Buchhändler... 19 


und Ähnlichen Schnurpfeifereien. — — Aber laſſen Ste mich wie« 
der auf meine Gedichte zurückkommen: ald ih nun Conducteur 
war, hatte ich feine Zeit, etwas dafür zu thun, und erft ala ich 
nah C. in die Packkammer verſetzt wurde, fand ich Luft und Muße, 
die beiden Bände nochmal fauber abzufchreiben, fie wieder durchzus 
ſehen und zu corrigiren. Ich Hatte jet den großen Entfchluß ges 
faßt, damit vor die Deffentlichkeit zu treten, und wandte mich zu 
biefem Zwecke an den Redacteur eines geachteten Blattes , der zu⸗ 
weilen Gedichte abdrudt. Ic fandte ihm aus beiden Bänden eine 
Auswahl zu, ich verfah fie mit lieblichen und paflenden Motto’s. 
Denn ih wußte, der Redacteur liebte dergleichen; und als ich num 
ſehr lange. Zeit vergeblich aufeine Antwort gewartet, ging ich eines 
Zages bin, dem Redactenr einen Befuch zu machen. Ich traf ihn 
in feinem Studierzimmer. Es war ein kurzer dider Mann mit 
einem rothen Schlafrod, einer ziemlich langen Rafe und auf ders 
jelben einer Brille, durch welche er mic, einen Augenblid anfah 
und alddann meine Berbeugung mit einem kurzen Kopfniden be⸗ 
antwortete. Er tauchte eine lange Pfeife und befchäftigte fidh ges 
rade damit, im Zimmer mit großen Schritten auf und ab zu gehen. 
Ih theilte dieſe Befchäftigung und lief ebenfalls mit ihm auf und 
ab. Als wir auf folde Art das Zimmer viermal gemefjen hatten 
— ich brauchte dazu fechözehn Schritte, Meiner ald meine gewöhns 
lihen, denn der Redartenr hatte fehr kurze Beine, — da faßte ich 
mir endlich Muth und fagte, ich fet gelommen, mic nach dem Schick⸗ 
fal meiner Gedichte zu erkundigen.“ — „Ja fo! Ihre Gedichte!“ 
verjegte der Redacteur; „ja, ich habe fie freilich gelefen, über Feld⸗ 
dienft im Allgemeinen — recht gut; über Behandlung der Pferde — 
mit vielem Gefühl gefchrieben; dann die vernagelte Kanone — 
enthält viel Poeſie.“ — Ich verbeugte mich unendlich gefchmeichelt. 
— „Aber,“ fuhr er fort, „diefe Gedichte befinden fi in fo ſchöner 
chronologiſcher Ordnung, daß es ſchade wäre, fie aus ihrem Zus 
fammenhange herausgureißen, wirklich ſchade. Die Poefien find 


20 Zweites Kapitel. 


recht gut, aber wenn Sie meinem Rathe folgen würden, fo follte: 
Sie keines davon einzeln abdruden lafien, Sie follten das Ganz 
einem Buchhändler anbieten. Gewiß, das wäre befier!“ — Be 
biefen Worten waren wir auf unferem Zimmer-Spagiergange in di 
Nähe eined Schreibtifches gefommen, und da nahm er ein Pate: 
hen in die Hand, das ich augenblicklich als meine Gedichte erfannt: 
Ih muß geftehen, wenn ich auch gar zu gern einzelne der Gedich 
in dem geachteten Journale abgedrudt gefehen hätte, namentlich d 
vernagelte Kanone, fo nahm ich doch das Wort des Redacteur 
meine Gedichte fogleih gefammelt erfcheinen zu laſſen, ald baa 
Münze, und das fchmeichelte mir. Ich kannte damals noch nic 
die Arglift der Menfchen. Als wir nun wieder an feine Zimm« 
thür gelangt waren, drüdte er mir mit ungemeiner Geſchwindi 
feit jened Paketchen in die Hand, nidte abermals mit dem Kop 
und ich befand mich auf dem Gange, ohne eigentlich zu wifi 
wie das fo fchnell gelommen fe. — — — 

„Ein Buchhändler alfo! Ich hatte mit folchen Herrn noch 
zu thun gehabt, befaß aber noch einen großen Reſpekt vor ihn 
Wir hatten bei der Batterie einen einjährigen Freiwilligen, 
war Buchhändlers Behülfe und außerordentlich belefen. Er 
und fchöne Bücher, war felbft voll Poefie, konnte aber den Di 
nicht lernen. Auch hatte er frumme Beine, fchielte ein wenig 
wurde deßhalb zur Infanterie verfegt. — Doch genug davon! 
Hatte alfo beichlofien, einen Buchhändler aufzufuhen, und 
fhaffte mir zu dem Zwede eine Adreſſe. An den bedeuten! 
wandte ich mich natürlicher Weife zuerft, der wohnte in einem 
Ben, prächtigen Haufe. Doc konnte ich hier nicht einmal bis 
Vorzimmer gelangen. Ein langer, magerer Bedienter, der 
fhwer zu hören fchien, verfiherte mir mehrere Male, fein Her 
audgegangen, und als ich ihm bei einem weiteren Befuche a 
traute, ich fei nicht blos Poſt⸗Conducteur, fondern auch wirk! 
Dichter, und wünfche angelegentlich gedrudt zu werden, da u 


Nedactenre und Buhhändler. 21 


der Bediente ein ungeheuer langes Geſicht und verſicherte mir hoch 
und theuer, ſein Herr habe plötzlich verreiſen müſſen und werde 
auch in den nächſten zehn Jahren wahrſcheinlich nicht zurückkehren. 

„So lange zu warten, hielt ich für unndthig und beſchloß, 
einige Stufen tiefer hinab zu ſteigen und mich an einen jungen 
ſtrebſamen Buchhändler zu wenden, der dafür bekannt war, daß er 
aufkeimende Talente gern unterſtütze, der keinen Livree⸗Bedienten 
befaß und auch kein Geld, um fo große Reifen zu unternehmen. 
Zu dem Manne ging ih alfo eines Tages hin. Meine beiden 
Bände Gedichte, fauber in blaues Papier eingefchlagen, trug id 
unter dem Arme. Ich hatte mich in GivilsKieidung geworfen, das 
mit der Buchhändler nicht auf die Idee kommen follte, als hätte 
mein Befuch den Zwed, ihm irgend etwas Poftliches zu überbrin« 
gen. Er hatte fein Bureau in einem SHinterhaufe, unten roch ed 
ſehr gut nach friſch gedrudtem Papier, und ich ftieg eine hühners 
leiterartige Treppe hinauf zum Comptoir. An der Thür defjelben 
machte ich Halt, z0g meinen Hemdfragen and Tageslicht, drehte 
den Schnurrbart etwas in die Höhe und Elopfte an. 

„Herein! hieß es. 

„Ih klopfte aus Befcheidenheit zum zweiten Male, und erit 
als drinnen nochmals Herein! gerufen wurde, öffnete ich die Thür 
und trat in das Zimmer. 

„Der Buchhändler fa an feinem Pulte; ein Keiner, blafier, 
wadeliger, aber noch junger Herr mit einer fpigen Nafe und nur 
wenig Haar. Er hörte zu fchreiben auf, als er meiner anfichtig 
wurde, hüpfte von feinem Drehſtuhle herunter, fuhr fih mit der 
rechten Hand durch feine Haarrefte und wünfchte zu wiffen, womit 
er dienen könne. Der Mann hatte eine recht unbedeutende Stimme, 
überhaupt keine imponirende Perfönlichkeit, und das machte mir 
Muth, mit drei großen Schritten auf ihn zuzugehen und ihn freund» 
ih lächelnd zu betrachten, während ich ihm meine beiden Bände 
Gedichte übergab. Der Buchhändler — er reichte mir, unter und 


22. Zweites Kapitel. 


gefagt, höchſtens bis zum vierten Uniformsknopſe — nahm die 
Bücher aus meiner Hand, fuhr fi) mit den fünf Fingern abermals 
durch die Haare und blickte dabei angelegentlich nad einer Ede 
des Zimmerd. Da er Leptered während unferer Tinterredung ſehr 
häufig that, fo fah ich auch einmal verftohlen dahin und bemerkte 
einen Spiegel, in welchem er jeden Augenblid fein Geficht betrach 
tete. Doch war dies nicht. der Mühe werth. 

„Sp freundlih der Mann Anfangs war, fo nahm doch ſei— 
Geſicht plöglich etwas Peinliches, Befangened an, als er das blau 
Papier herunter nahm und den Titel meiner Werke las: Kanoneı 
lieder. Doch als er meined Namens anfichtig wurde, erheiter: 
fih feine Phyfiognomie wieder etwas, und er fagte: das wäre nic 
fo übel, Kanonenlieder Hingt ganz gut, und der Name, den S 
da gewählt, tft auch nicht fchleht — Kanonenlieder von Feod 
Dofe. — Dabei blidte er abermals in den Spiegel, um den pi 
figen Ausdrud feines Gefichtes zu bewundern, mit welchem er m 
fragte: aber haben Ste auch Erlaubniß, dieſen Ramen auf t 
Zitel zn feßen? 

„Meinen eigenen Namen? fragte ich erftaunt. 

„Der Buchhändler ſchüttelte lächelnd mit dem Kopfe und < 
mir zur Antwort: der Mann bier, um den es fidh handelt, iſt lär 
geftorben, war überhaupt wohl nur ein Phantafi»Bild — « 
Erfindung. 

„Bei diefen Worten ftand ich wie erftarrt. Ich wußte w 
daß jener vorwigige Freiwillige, von dem ich Ihnen vorhin erzä 
Einiges über mich hatte druden lafjen, doh nur die Wahr! 
das muß ich anerkennen. Und jegt wollte es diefer fnufprige B 
händler wagen, mid, felbft mir gegenüber für eine Erfindung, 
ein PhantafiesBild zu erflären! Herr! rief ih in voller Entrüit 
halten Sie mich für einen Narren? ſehe ih aus wie ein Phant 
Bild, wie eine Erfindung? 

„Er betrachtete mich Lächelnd von oben bis unten, und | 


Redacteure und Buchhändler. 93 


blingelte er feinem Spiegelbilde zu, als wollte er fagen: warte, 
dem wollen wir ſchon imponiren! Darauf hüpfte er wieder auf jels 
nen Drebftuhl hinauf, kratzte fich mit einer Feder an der Nafe 
herum und fagte fanft lächelnd: Sie wollen mid zum Belten ha⸗ 
ben, Herr . . . Ihren Namen weiß ih nit. 

„Feodor Dofe, verfegte ich würdevoll und groß. 

„Darauf fhüttelte er mit dem Kopfe und entgegnete: Sie 
wollen einen Spaß mit mir mahen. Feodor Dofe, Artilleries 
Unteroffizier, ftarb als Edenfteher in Berlin. So ftand ed vor 
nicht langer Zeit in unferen geachtetiten deutſchen Journalen zu 
leſen. 

„Das war zu viel! Herr Buchhändler, ſagte ich ihm, ich be 
fümmere mich den Teufel um Ihre geachteten deutfchen Fournale; 
aber Sie können mir glauben, daß ich weder Edenfteher war noch 
geſtorben bin. 

„Run, es iſt ja gut, es it ja gut! gab er mir hierauf 
zur Antwort und erfchrat vor feinem eigenen Bilde im Spiegel, 
das fehr ängftlih und kläglich ausfah; denn ich war ihm bei den 
eben gefprochenen Worten fehr nahe getreten, Laſſen Sie's nur 
gut fein, ich will ja Alles glauben, was Sie nur wünſchen. Ver⸗ 
trauen Sie mir Ihr Manufeript ein paar Tage an, und laſſen 
Sie mir Ihre Adrefie da, vielleicht läßt fid, etwas machen. Doc 
muß ih mir die Sache reiflic, überlegen. 

„Bas konnte ich thun? Ich vertraute ihm meine Manuferipte 
an und empfahl mic anfcheinend fehr ruhig, obgleich mich die 
ganze Geſchichte fehr erjchüttert, aufs Ziefite gefränft hatte Ich 
wartete drei bis vier Tage, dann erhielt ich nicht blos einen Brief 
des Buchhändlers, fondern auch meine Gedichte zurück.“ 

„Ah!“ fagte der Conducteur im bittern Tone getäufchter 
Erwartung. 

„Ja, meine Gedichte zurück,“ fuhr der Padmeifter mit tiefem 
Senfzer fort, „und mit welchem Briefe dazu! — Hier habe ich ihn, 


24 Zweites Kapitel. 


ih will Ihnen denfelben vorlefen.” — Bet diefen Worten zog er 
einen blauen Umſchlag aus der Tafche und entfaltete ein gelb ge— 
wordened Papier, welches darin verborgen war. 

„Berehrter Herr!“ fo fchrieb er an nich, „Sie beehrten mid 
mit der Uebergabe Ihrer Gedichte, und indem ich Ihnen für dieſes 
Zutrauen danke, fehe ich mich veranlaßt, Ihnen diefelben aus ver- 
fihiedenen Gründen anbei zurüd zu geben. Die unterzeichnete 
Buchhandlung tft erftens im gegenwärtigen Augenblide durch ein= 
gegangene Verbindlichfeiten fo befchäftigt, daß fie etwas Weiteres 
zu unternehmen außer Stande ift.“ — „So heißt e8 immer bei 
den Buchhändlern,“ unterbrach fi) der Vorlefer. — „Zweitens,“ 
fuhr er zu lefen fort, „babe ich nach reiflicher Durchficht der mir 
übergebenen Gedichte gefunden, daß fich diefelben in diefer Geftalt 
noch nicht recht zum Drude eignen, ed müßte noch bedeutend ge⸗ 
ändert und gefeilt werden. Der angenonmmene Name” — diefen Cap 
fa8 der Padmeifter im Tone höchſter Entrüäftung zweimal — 
„berechtigt zu Erwartungen, die in den vorliegenden beiden Bänden 
leider nicht erfüllt werden. Feodor Dofe, ald ein hochpoetiſches 
Gemäth bekannt, vol Empfänglichkeit für alles Gute und Schöne, 
würde, wenn er noch lebte, gewiß nicht Gedichte, wie 3. B. Nro. 10 
„Mittelarreft“ oder Nr. 12 „das verlorne Hufelfen“ anerkennen 
wollen. Mein Rath wäre, zu einem unferer deutfchen geachteten 
Journale zu gehen und dafjelbe um Aufnahme eined oder des ans 
dern dieſer Gedichte zu erfuhen. Mich damit 2c.” 

„Das heißt Zemanden von Pontius zu Pilatus fchiden,“ 
ſprach ärgerlich der Gonductenr. „Und haben Eie nie Schritte ge 
than, um diefem Buchhändler zu beweifen, daß Sie der echte und 
wirkliche Dofe find?” 

„Ih that fo,” antwortete der Packmeiſter mit gebeugtem Haupte. 
„Ih wandte mich fogar an einen Advofaten, der mir aber erklärte, 
daß fih da nichts machen ließe. Wenn es fi um die Erbfchaft 
irgend welcher Realitäten handelte, meinte er, fo würde es nidt 


Nedacteure und Buchhändler. 25 


ſchwer fein, die. Identität Ihrer Perſon zu beweifen; aber ungleich 
Ihwerer wird es fein, den Beweis zu führen, daß Sie mit jenem 
anderen Dofe, deſſen Thaten und Abenteuer befchrieben wurden, 
ein und dafjelbe Individuum find.“ 


„Für diefen Ausfpruch mußte ich dem Advofaten fünfundzwan⸗ 
zig Silbergrofchen bezahlen und ging zerfuirfcht und melandoliich 
nah Haufe. Bon meinen früheren Kameraden bat fich hieher an 
die äußerſte Grenze bis jept feiner verloren, der für mich zeugen 
fönnte. Und was würde mir auch ein folched Zengniß nüßen! 
Jenem fhändlihen Buchhändler gegenüber gar nihts! — — Ges 
dichte zu verfchmähen, in welhen „die vernagelte Kanone” vor⸗ 
fommt! Ich babe mich aber furchtbar an ihm geräcdt, indem ich 
ein Seitenftüd dazu fehrieb: „der vernagelte Buchhändler.“ Doc 
was half's? Es koſtete mich acht Silbergrojchen Inſertions-Gebühr, 
und er hat's gewiß nicht geleſen. Das iſt der Fluch der Poeſie, 
das iſt der Fluch eines großen Namens.“ 


Der Packmeiſter fügte feinen Kopf in die Hand und ſchwieg 
tief erſchüttert ftil. Auch der Conducteur ſprach eine Zeit lang 
gar nichts, und der Spig war das einzige Wefen, welches die pein⸗ 
liche Baufe, die nun entitand, dadurch unterbrach, daß er fich erhob, 
fih lang ausftredte, dann den Kopf fchüttelte und hierauf mit dem 
Echweif anhaltend webdelte, was fo viel fagen wollte, ald: er fange 
an, es bier langweilig zu finden, und wünſche eine angemefjene 
Unterhaftnng. 


„Apropos!“ fagte der Conducteur nach einer längeren Pauſe, 
„da fällt mir eben ein, ich erfuhr vorhin anf der Brief-Erpedition, 
dap einer Zhrer früheren Kameraden hieher ald Poft-Sehretär er: 
nannt wurde, ein ficherer Bombardier Zipfel. Haben Sie ihn 
nicht gekannt?“ 

„Tipfel?“ verfepte der Wachthabende nach einigem Weberlegen, 
während er an die Zimmerdecke blickte, „Zipfel? — Ta, ich erin⸗ 


- 4 


96 Drittes Kapitel. 


nere mich! Er war bei der Fuß-Artillerie, eine Offiziers⸗Pflanze, 
war vorden Schreiber bei einem Advokaten.“ 

„Und wird fo plößglic Sekretär?“ 

„PBrotectionen! — Wird irgend einen Bekannten haben, Der 
ihn gut empfohlen hat. — Und fommt bieher? Ei, ei!“ 

„Kann nıan mit ihm leben, läßt er fich ordentlich an?“ fragte 
der Conducteur. 

„So viel ih von ihm weiß,“ entgegnete Dofe „tfl er einer 
der ruhbigften, ja, faulften Menfchen, die es nur geben kann, einer, 
der nicht zwei Schritte geht, wenn das nicht abjolut nothwendig 
ift, und der gewiß nicht unnöthig von feinem Stuhle auffteht. Er 
war eine Zeit lang Schreiber bei der Geſchütz⸗Reviſions⸗Com⸗ 
pagnie. Das Schreiben machte ihm feine Mühe, das konnte er 
einen ganzen Tag aushalten; aber alle körperlichen Bewegungen 
haßte er; wenn ihm ein Blatt Papier herabfiel,. fo ſchrieb er lieber 
ein neues, ald daß er fich gebüdt hätte, um das alte aufzuheben. — 
Sp, fo! der fommt hieher? Nun, den Dienft wird er und nicht 
fauer machen, dafür fann ich einftehen.“ 


Drittes Kapitel. 


Der Palmeifter Dofe erhält einen ehemaligen Untergebenen zum Borgefebten, und was fidy 
weiter dabei ereignet. 


Es ift immer von großer Wichtigfett und gibt vielfachen ers 
göglichen Unterhaltungsitoff, wenn man vom Wetter reden Tann. 
In einem Zwiegeſpräch ift ein folches Thema freilich oft nicht noth- 
wendig und nicht einmal unterhaltend; für den Erzähler einer 
Heinen Gefchichte aber, wie vorliegende, ift es äußerft wichtig, 
feinem Leſer vom Wetter fprechen zu dürfen, namentlich zu Anfang 


Doſe's Untergebener als fein Borgefepter. 97 


eines Kapitels, welches im Freien beginnt. Wir erlauben uns alfo, 
davon zu fprechen. 

Der geneigte Xefer, der dem Erzähler gefolgt tft, befindet ſich 
in diefem Augenblide in jener unangenehmen Wettersllebergangss 
periode, wo ber überwundene Winter, indem er dem fiegreich einher⸗ 
jiehbenden und mächtig andringenden Frühling fliehend den Rüden 
tehrt, fih noch manchmal umwendet, um feinem Verfolger kalte 
Scnees und NRegenfchauer in das Angeficht zu werfen, und wo die 
entfefjelten Winde, noch ungehorfam den neuen Herricher, auf eigene 
Fauſt marodiren, die Leute plagen und den größtmdglichen Unfug 
treiben. Mit anderen Worten: e8 tft zu Ende März, und der uns 
glückliche Reifende, der nm diefe Zeit unterwegs tft, fieht fich ges 
nöthigt, alle Waffen bei fich zu führen, die zur Vertheidigung gegen 
des MWetterd Ungeſtüm nur erdacht find. Gegen die Kälte dienen 
ihm Paletot und Mantel, gegen das Schneewafler braucht er Fuß» 
fat und Weberfchuhe, gegen die himmlifchen Waſſer, die ihn auf fo 
vielerlet Arten beläftigen, Regenihirm und Wachstuchslleberzieber. 

Und mit allen dieſen Gefchichten verfehen figt der leidende 
geduldige Reiſende zu Sechs in einem Wagenkaſten, dicht zufammen» 
gepreßt, faft ohne alle Regungss und Bewegungsmöglichkeit. Die 
Fenfter des Wagens find verfchlofjen; denn wenn auch vom Himmel 
herab hie und da einige freundliche Sterne glänzen, fo dauert Dies 
dech um diefe Jahreszeit nicht lange. Man hört den Wind hinter 
fih drein brauſen, man fiebt den Poſtillon ſich niederduden und 
ängitlich feinen Hut fefthalten, während fein weiter, dunkler Mantel 
in die Höhe flattert. Schnee und Regen peitfchen den Wagen 
und Matfchen faufend und klirrend an Fenſter und Lederdad. Die 
Dierde ziehen ihre Schweife ein, und im Augenblide trieft das 
ganze Geſchirr, Wagen, Pferde, Boftillon, als feien fie eben aus 
dem Waſſer gezogen worden. Die Pafjagiere fipen in einem ents 
ſetzlichen Qualm, das Waſſer der Kleider und Pelze löst fich Durch 
Me Hige in Dämpfe auf, dazu der Athem der vielen Menſchen in 


28 Drittes Kapitel, 


dem Meinen Raume, fowie Tabaksqualm, der fih von heute Nach— 
mittag, wo bei offenem Fenſter und gutem Wetter geraucht werden 
durfte, feftgefept Hat — es iſt ein qualvoller Aufenthalt. Durch 
die lange Fahrt den ganzen Tag über find die Glieder wie gelähmt; 
da wird von allen Sechſen kein Geſpräch mehr gehört, da fien fie 
ſtumm mit der Geduld der Verzweiflung neben einander; die Zähne 
find auf einander gebiffen, der Körper folgt faſt willenlos den 
Stößen ded Wagens. Nur dad Auge iſt frei, und das Auge ſchaut 
gierig um fih und fucht durch die angelaufenen Scheiben ins rei 
zu dringen. Man hat die lehte Station hinter fi, und wenn fid 
jegt vechtd und links die Häufer am Wege mehren, und nah unt 
nach große ftädtifche Gebäude auftauchen, fo hat man die Hoffnung 
bald erlöst zu fein. Sept zittert ein Licht bei den trüben Wagen 
fenftern vorbei und fcheint rötlich und dunftig wie der Mond 
wenn er einen Hof hat; jetzt fieht man auf der anderen Seite aud 
eins, und nun auf diefer Seite wieder eind, und drüben mehrere. — 
Bott fei Dank! da huſcht ein großes Gebäude vorbei mit vielen 
erleuchteten Fenftern — eine Zabril. Man hört einen tiefe 
Seufzer der Befriedigung von einem Paſſagier, der die Gegen! 
kennt. — „Iſt das die Stadt?“ fragen die anderen Fünf. — „Ju 
wir find fogleich da,” ift die tröftliche Antwort. Und diefes Wor 
1ö8t plöglich die Zungen der bisher in flummes und trübes Nadı 
finnen verfunfen gewefenen Gefellfchaft. — Das war ein abfchen 
licher Weg. — Und eine lange Station. — Und dabei fo enge 
fehöfigige, miferable MenfchenquälungsAnftalten! — Meint den 
die Poit, man würde fich das immer fo gefallen laſſen? — Maı 
follte von allen Seiten und kräftig auf Abfchaffung diefer Marter 
farren antragen. — „Aber die Pot kann dies mit Einem Mal 
nicht ändern,” verfeßt eine fette Stimme, die man biäher nicht ge 
hört. Doch wird die fette Stimme übertönt von dem allgemeineı 
Nachegefchrei, und wenn man allen diefen Ausrufungen und Ber 
wänfchungen Glauben ſchenken wollte, fo könnte man erwarten 


Doſe's Untergebener als fein Vorgeſetzter. 29 


daß, fobald der Wagen ankommt, nicht nur der Poftmeifter ein 
Opfer diefer Volföwuth würde, fondern feine fämmtlichen Sefres 
täre fchmählih enden müßten zum abſchreckenden Beifpiele für 
andere, — Aber der Menfch vergißt die ausgeflandenen Leiden fo 
ſchnell! 

Jetzt klappern die Hufe der Pferde auf dem Pflaſter, der 
Wagen rollt dumpf raſſelnd durch die Straßen, und die Poeſie 
diefer Töne — Poeſie für arme Reiſende nämlich — befänftigt 
offenbar die empörten Gemüther. Dort iſt der Gaſthof zum Adler, 
wo der Eine einkehren wird, bier das große königliche Hotel, wo 
der Andere fchon feine Zimmer beitellt hat. Diefer denkt an feine 
Familie, die ihn erwartet, oder an Freunde, die er wieder fehen 
wird. Jenem fchwebt eine lange Speifes und Weinkarte vor Augen, 
und auf folche Art werden die wilden Gedanken friedlich und freund« 
ih. Der Poftmeifter wird nicht zerrifien, fämmtliche Sefretäre 
nicht gehängt, ja, der Eonducteur erhält von dem Einen oder dem 
Anderen noch ein anfländiged Trinkgeld, und nur ein einziger 
Paſſagier — er faß rüdwärts in der Mitte — ein biutdürftiger 
„Reifender in rotben Weinen,” verlangt das Beſchwerdebuch und 
Ihreibt hinein: „Der ganz gehorfamft Unterzeichnete erlaubt fich, 
Eine verehrliche Poftverwaltung geziemendft darauf aufmerkfam zu 
machen, daß zur Winterzeit, wo der Reifende durh Mäntel und 
Fußſäcke eingeengt tit; wohl die fechöfipigen Wagen zu befeitigen 
und dafür vierfißige zu nehmen fein dürften.“ — Diefer Mann tft 
der Einzige, der für die Xeiden feiner Mitmenfchen wirkt, und 
wenn er nachher in feinem Gaſthofe dem Oberkellner davon erzählt 
und demfelben verfichert, Die Seite des Befchwerdebuches werde der 
Poftmeifter nicht hinter den Spiegel fteden, fo zittern der Ober 
keiner und zwei Unterkellner, und das Stubenmädchen, das fpäter 
davon hört — ihr Schag iſt wirklicher fchmierender Poftgehülfe — 
ertundigt fich erfchredt, ob in einem folchen Kalle wohl das ganze 
Bofperfonal entlafien werden könnte, 


30 Drittes Kapitet. 


Alfo der Poftwagen kam glüdlih an, hatte auch nur zeb: 
Minuten verfäumt; es war faft ein Viertel vor zwölf Uhr. De 
Poftillon, der vom Pferde herunter fteigt, erſucht den Stallknecht 
der ihm audfpannen will, ein wenig auf die Seite zu treten 
„Wenn du da ftehen bleibft, mußt du erfaufen,“ fagt er, und nuı 
beugt er feinen Kopf etwas auf .die Seite, und aus der breite 
Krämpe des ladirten Hutes fließt das Regenwaſſer wie eine Hein 
Cascade auf den Boden. Dann überfieht er kopfſchüttelnd dei 
unendlihen Schmupüberzug, womit Pferde und Geſchirr beded 
find. Der dienftthuende Poftjpig tft ganz dunkelbraun geworden 
und feine Haare ftarren vor Schmuß und Waſſer. — „Das könnt 
einem 's Leben verleiden,” meint der Gonductenr, „fo ein Hunde 
wetter!” Und dabei bemüht er fih, die Briefs Pakete aus den 
Kaiten unter dem Sig hervorzuzichen. „Xeuchtet doch einmal or 
dentlich daher,“ ruft er dem Packknecht zu. Aber da tft fchwe 
leuchten: die Pferde dampfen, daß fie fat unfichtbar find, de 
Poſtillon hat ebenfalls einen Dunftfreis um fih, und die Paila 
giere, die noch allerlei in dem Wagen zu fuchen haben, treten zı 
wiederholten Malen zwifchen den Eonductenr und die Laterne. 

„Haft du nicht acht Paflagiere ?“ fragt den Ankommenden nuı 
der andere Conducteur, deſſen Belanntfchaft wir im vorigen Kapi 
tel im Wachtzimmer gemacht haben. 

„Beriteht ſich!“ entgegnet er verdrießlich. „Zwei im Cabriolet 
ſechs im Wagen.“ 

„Ans dem Wagen kamen aber erſt fünf; haſt du denn unter 
wegs einen verloren?“ 

„Et was, dummes Zeug!“ meint der Angelommene, „es wir) 
noch einer drin fteden. Richtig! ja, der wird's fein. — Ih hab 
auch einen neuen PoftsSefretär mitgebracht, ein wenig DIE un! 
unbeweglich, hat faft den ganzen Tag über gefchlafen, und als wi 
zum Mittagefien anbielten, ließ er fidh etwas Kaltes Inden Wageı 
bineingeben. Der wird euch Keine überflüffige Arbeit machen,“ — 


Dofe’3 Untergebener als fein Borgefepter. si 


Mit diefen Worten trat der Conducteur an den Schlag feines 
Bagens, taftete mit der Hand hinein, und als er höchſt wahrichein« 
li ergriffen, was er gefucht, wandte er fich lächelnd zu feinen 
Kollegen um und fagte: „Es tft fchon fo, er ift wieder feft einge, 
Ihlafen.“ — „He! Herr Sekretär!“ fchrie er in den Wagen hinein, 
„wollen Sie nicht gefälligft aufmachen? Wir find angelommen, 
Sie können ausfteigen.” 

„5a fo, Männelen ,“ gab die fette Stimme, die wir fchon 
während der Fahrt einmal gehört, von fi), „wir find wirklich ans 
gefommen ? in 2. angelommen? Nun, das freut mih! Wenn ich 
nur fhon aus dem Wagen wäre!“ 

„Dad Beſte wird fein,” fagte lachend der Conducteur, „Sie 
verfuchen e8 einmal und gehen mit Ihren Füßen voran.“ 

„Richtig, Männeken!“ erwiderte die fette Stimme. Ind 
dann hörte man, wie der Befiker derfelben fich mit einigermaßen 
Ihwerem Athem abmühte. Das Refultat diefer Bemühungen waren 
denn num auch zwei unfdrmliche Beine, die jet am Schlage zum 
Vorſchein kamen; unförmlich, weil fie mit großen Filzſtiefeln ver⸗ 
Iehen waren. „Seien Ste doch fo gut, Männelen,“ fagte darauf 
der Befiger der fetten Stimme und der unförmlichen Beine, „und 
ziehen Sie mir meine Filzſtiefel ein Bischen aus, dann wird fi 
die Sache ſchon nach und nad machen.“ 

Und fo gefchah es. Die Filzftiefel wurden befeitigt, die dars 
aus befreiten umbertappenden Füße auf das Trittbrett des Wagens 
dirkgirt; dann wurden zwei dicke Kniee fichtbar, und fomit wäre 
Mes gut gegangen, wenn der corpulente Paſſagier es nicht in dies 
ſem Augenblicke für rathfamer gehalten hätte, flatt vorwärts rüde 
wärts aus dem Magen zu fteigen, zu welchen Ende er fich gewalts 
ſam herum drehte und dadurch einen anderen Theil feines Körpers 
zum Vorſchein brachte, der fo colofjal war, daß beide Konducteure 
ſowie der Stallknecht in ein unauslöſchliches Gelächter. ausbrachen. 

Sept hatte diefer lebte Paflagier das Pflafter des Hofes er⸗ 


32 Drittes Kapitel. 


reicht, und ald er fih nun in feiner ganzen Größe und Breite d 
aufpflanzte, fchien er geneigt, jenes Lachen nicht ungnädig zu neh 
men, ja, es ſogar mit feinem eigenen freundlichen Lächeln zu be 
gleiten. Doc, blieben feine Züge Hierbei auf halbem Wege ftehen 
fein Mund fperrte fih verwunderungsvofl auf, und er fagte: „Ei 
der Taufend, wer hätte das gedacht!“ 

Nun hatte aber Niemand anders dieſen höchſten Brad de 
Berwunderung und Theilnahme erregt, als der Packmeiſter Feodo 
Doſe, der in ſeiner ganzen Länge vor den erſtaunten Augen de 
neuen Sekretärs unter der Thür der Packkammer erſchien. 

Auch Doſe ſchien nicht minder gerührt. Er fuhr mit der Han 
über fein langes, dürres Geſicht, und auf feinen Zügen malte fic 
eine wehmüthige Freude, als er fo plöpli dem alten Kamerade: 
gegenüber ftand. 

„Dofe!” ſprach der frühere Bombardier, jetzt Sekretär Zipfel 
„das hätte ich nicht erwartet, Sie bier zu finden. Wie find dem 
Sie hieher and Ende der Welt verfchlagen worden?“ 

„Das kam fo nach und nad,“ entgegnete wehmüthig der Pad 
meifter. „Zuerft fuhr ich aus der Nefidenz ab und zu, dann jchid! 
man mi weiter weg, und zulegt avancirte ich hieher als Pad 
meilter. Es iſt das freilich eine Beförderung; aber Unjereiner mi 
einen poetifchen Gemüth fit doch mehr an die großartigen Ginrid 
tungen der Reſidenz gebunden und fühlt fich hier fo unter de 
Bauern — unter und gefagt — durchaus unbehaglih, ganz un 
gar nicht an feinem Plap. — Uber kommen Sie dody von bei 
naſſen Boden binweg; in der Packkammer ift ed behaglich warn 
da künnen wir uns gegenfettig unfere Freude bezeugen, — Da i 
die Thür, Sie haben den Bortritt, Herr Poſt⸗Sekretär.“ — Dam 
falntirte deu Parmeifter feinem ehemaligen Kameraden und Iintel 
gebenen , jept feinem Borgefepten. Das iſt der Lauf der Bel 
und obgleich Dofe innig überzeugt war von der Gerechtigkeit un 
Unparteilichleit der Behörden, welche diefe Stellen zu beſetze 


Doſe's Untergebener als fein Borgelepter. 33 


pflegen, und er hieraus blos auf große, ihm bisher unbekannt ges 
bliebene Eigenfchaften des Bombardiers -Tipfel fchloß, fo ward doch 
fein an fi ſchon gefränktes Gemüth durch diefe Anftellung noch 
tiefer verleßt. 

Da faßen nun die Beiden in der Padlammer einander gegen⸗ 
über, ald der Mitternacht» Wagen endlich abgefahren war, und 
Hatten Muße genug, fich Über vergangene Zeiten zu unterhalten. 
Der Bombardier behauptete, den Tag über fo durch einander ges 
[hüttelt worden zu fein, daß ihm noch lange fein Schlaf in die 
Augen fomme; die Wahrheit aber war, wie wir bereits wifjen, daß 
er während der Fahrt, mit Ausnahme der Eſſenszeit, im Ganzen 
nicht eine halbe Stunde gewacht. 

Ein ſchläfriger Kellner aus der Pajlagierftube, den Doſe ber: 
bei gerufen, brachte ein paar Gläfer Punfc und ließ alsdaun die 
beiden Waffengefährten allein. Der Poftillon war begreiflicher 
Beife noch ausgegangen. Der Conducteur nebit Poftipig, welce 
vorhin Dofe noch Gefellfchaft geleitet, fchaukelten im eben abges 
fabrenen Wagen, und auf diefe Art berrfchte im der Packtammer 
Ruhe und Friede. 

Der neue Poſtſchreiber Tipfel hatte den Lehnſtuhl feines Freun- 
de eingenommen, fein Haupt hatte er auf das Seitenpolfter ge 
legt; feine Füße hatten ihre Stügpunkte gefunden auf einem Paket 
in Wachspapier, in welches die nägelbefchlagenen Abfäge nach und 
nad ein paar Köcher bohrten, was übrigens in dieſem Falle weiter 
nichts zu fagen hatte; denn wie e& auf dem Begleitichein hieß, ging 
die Verpadung auf Gefahr des Abjenders. 

„3a, ja, fo geht's!“ ſprach der Sefretär nach einer längeren 
Paufe, während welcher er den Inhalt des Punfchglafes näher un- 
terſucht. „Da bin ich denn wieder in einem fcheinbar fehr ruhigen 
Hafen eingelaufen, einem ähnlichen, wie ich damals Teichtfinniger 
Reife verließ, als ih Soldat wurde.” 

Halläunners Werte. V. 8 


34 Drittes Kapitel, 


„Banz richtig,” bemerkte der Packmeiſter Dofe, „Sie waren 
Schreiber bei einem Advolaten und wollten Offizier werden.” 

„Wie fo Mancher,“ entgegnete Zipfel. „Aber Biele find Des 
rufen und Wenige anderlefen. Ich glaube, fo heißt der Spruch.” 

„Wenige, fehr Wenige,“ fagte Dofe melandolifh. — „Es ift 
mir noch wie heute, als Sie zur Batterie famen, und der Heine 9. 
und der weißköpfige R., und wo wir dazumal achtzehn Dffiziers- 
Pflanzen bei der einzigen Batterie hatten. Dadurch waren ſämmt⸗ 
fiche Unteroffiziere der Batterie geplagt und kamen in Schaden, 
bis auf den Lnteroffizier Linkſen, defien Frau als Marketenderin 
fungirte und von euch ein ſchönes Geld verdiente.“ 

„Das ift wahr,” antwortete Tipfel, „wenn fle überhaupt Geld 
befam, das heißt: ypnktlih ihr Geld bekam. Doch mußte fie oft 
lange Zeit warten.” — Der gewejene Bombardier fchaute angeles 
gentlih an die Dede; nicht ala ob er ſich an etwas eriunern wollte, 
fondern ald ob er die wenigen Gedanken, die fih bei ihm verfam- 
melten, wieder zu verabichieden gedächte. 


Viertes Kapitel. 


In Folge eines Austaufches militäriſcher und anderer Erinnerungen findet ſich der Packmeiſter 
Dose fehr aufgeregt, der Portichreiber Tipfel aber ſehr ſchlaͤfrig. 


„Kefen Ste auch bier zumellen Zeitungen?” fragte nach einer 
Weile der neue Poſtſchreiber. 

„Selten,” entgegnete Dofe, „ja, fo gut wie gar nidt; wenn 
ich darin was fuche, fo find es die Anzeigen, und da freue id mich 
jedesmal, wenn id einen befannten Namen finde und mich fo der 
alten guten Zeit erinnern Tann. Es war doch damals eine glüd- 
liche, Höchft vergnügte Zeit.“ 


Packtmeiſter Dofe ift fehr aufgeregt. 35 


„Was! fo lange wir dienten?“ fragte fat erfchroden der dide 
Boftfchreiber. 

Dofe nicte traurig mit. dem Kopfe, dann fuhr er ſich mit der 
Hand über Die Augen, und etwas, woran er in diefen Augenblide 
gedacht, brachte ein fchmerzliches Lächeln auf feinem mageren Ges 
fihte hervor. — „Was macht denn die Minerva?” fragte er 
endlich. 

„Die Minerva?” wiederholte der Boftichreiber und kniff dabei 
das linfe Auge zu, augenjcheinlich in der Abficht, nachdenklich aus⸗ 
zufeben. „War das ein Schab von Ihnen?“ 

„Das war mein Geſchütz,“ ſprach Doſe mit ziemlidy entrüftes 
tem Tone, „und, wenn Sie wollen, ald ſolches auch mein Schatz. 
— Aber man kann Ihnen dergleichen nicht übel nehmen,“ fuhr er 
lähelnd fort, „denn ich glaube, Sie haben in Ihrer ganzen Dienfts 
zeit nicht zehn Mal exercirt.“ 

„3a, das ift wahr,“ entgegnete ſchmunzelnd der geweſene Bom⸗ 
bardier. „Wenn die Andern draußen in der Kälte ſtanden oder 
in Schnee und Regen, da war ich droben bei meinem Feldwebel. 
Es war im Grund ein guter Kerl, der alte dicke Xöffel, und wenn 
wir fo recht fleißig waren, dann machte er gegen zehn Ihr feinen 
Wandſchrank anf, rief und zu: Batterie Halt! Im Avanciren progt 
ab! — Mit Kartätfchen geladen! — Feuer! Und dann warfen wir 
Feder und Papier bei Seite, und Jeder befam einen foliden Bits 
teren und ein Stück Brod und Käfe. — Dad waren die Sonnen 
blide meined Militärlebens.” 

„Lipfel, Zipfel!” fagte der Padmeilter. „Und bedenken Sie 
nun, jetzt find Sie Poftfchreiber geworden; Sie haben wahrhaftig 
mehr Glück ald Ber — — guügen.“ 

„Hatten auch unfere großen Plagen: die Wachen. Damit bes 
frafte und der dide Löffel, wenn wir etwas angeftellt hatten. Sie 
willen, er hatte fo eine dünne heifere Stimme; wenn er mich alfo 

auf dem Stri hatte, mußte ich ihm auf den EompagniesBefehl 








36 Viertes Kapitel. 


fegen: Zur Wache auf Fort Nr. IV — Bombardier Zipfel. Und 
wenn ich ihn erfchroden und fragend anfab, ſetzte er lächelnd Hinzu: 
Das maht gefund und verdünnt das Blut. Leider darf ich felbil 
feine Wache thun, deßhalb bin ich auch wahrhaftig fo gefährlich im 
Zunehmen begriffen. — Was konnte der aber im Efien nicht alles 
ertragen! — Apropos, Männeken!“ nnterbradh bier der Sekretär 
den Strom feiner Rede, „da wir gerade vom Efien reden, fo kann 
ih Sie verfichern, daß ich einen Mordhunger habe; wäre nicht ir 
gendwo etwas aufzutreiben? In dem Falle plaudere ich gern noch 
ein paar Stunden mit Ihnen; denn morgen,“ feßte er feufzend 
Hinzu, „fängt das Gejhäft an, und da wird's genug zu thun 
geben.“ 

Der Padmeifter rief abermals den fchläfrigen Kellner; doch 
war diefer junge Mann fo fchlaftrunfen, dag er faum auf feinen 
Füßen ftehen konnte, und als ihm Tipfel endlich verfländlich ge 
macht hatte, er folle etwas kaltes Fleifch und Brod bringen, irrte 
er wie eine geängftigte Fliege an den Wänden vorbei, und es war 
ihm längere Zeit unmöglich, die Deffnung, zu welcher er hereinges 
fommen, wieder zu erfennen. Doje half diefem mangelnden Be 
wußtfein auf etwas foldatifche Art nach, wodurd der Kellner eini- 
germaßen erfchrat, aber vollftändig aufwachte und hiedurch im 
Stande war, das Berlangte fchnell herbei zu bringen. 

Zipfel hatte unterdefien über etwas eifrig nachgedacht und 
fagte jebt: „Ich habe mich befonnen wegen der Minerva.“ 

„Run?“ fragte Dofe gefpannt. 

„Die Minerva,“ fuhr der Poftfchreiber fort, „wurde der Ge⸗ 
ſchütz⸗ Revifiond- Compagnie übergeben, welche ihr Geftel für fehr 
wadelig erklärte. Da ſich auch herausftellte, daß man ihr, um fie 
zum Felddienſt beizubehalten, ein neues Zündloch einfchrauben 
müſſe, fo wurde fie bei Seite geftellt und dient jept als Exercir⸗ 
Geſchuͤtz.“ 

„Was?“ rief der Packmeiſter wahrhaſt entrüſtet aus. „Die 


Padmeifter Dofe ift [ehr aufgeregt. 37 


Laffette der Minerva fet wadelig gewefen? Ic habe fie doch aus 
meinen Händen gegeben als eine der folideften Laffetten der gan 
zen Monarchie. — Die Minerva — Nr. 4 — der Stolz der Bat⸗ 
terie! Es gab nichts Untadelhafteres als dDiefes Stück mit Ber 
fyannung. 

„3a, fie hatte aber ein Unglüd bei dem letzten DMandver,” 
fuhr der Bombardier mit kaum vernehmlicher Stimme fort, denn 
er kaute an einem übergroßen Stück Kalbabraten. „Die Batterie 
follte über einen Graben fegen, und weiß der Himmel, wie Lad 
kam — kurz und gut, dad Geſchütz warf um.” 

„Mein Gefhlig!” rief ſchmerzvoll der Packmeiſter. 

„Die Deichfel brach, ein Rad auch, das weiß ich; Das Stangens 
Handpferd wurde bedeutend verlept.” 

„Der Kodmus?“ 

„Ih glaube, Männeken, daß er fo hieß. — Kurz, ed war ein 
Unglüdstag; auch der Gefhägführer ftürzte mit feinem Pferde, und 
dadurch verlegte es fich jo, daß es ausrangirt wurde.” 

„Mein Gato ausrangirt!” fagte Dofe und faltete, von tiefem 
Schmerz erfüllt, feine Hände. „Das erfte Dienftpferd der Ehriften- 
beit! Es geht zurüd mit der Monarchie. Das find böfe Vorzei⸗ 
den!" — Bei diefen Worten ſank der Padmeifter zerknirſcht auf 
feiner Kifte zufammen und hätte wahrfcheinlich fein Hanpt verhüllt, 
wenn die Schöße jeined Nodes nicht fo gar kurz gewefen wären. — 


„Und wie lange fam der Gefchügführer dafür aufs Holz?“ fragte 


er jodann nad) einer längeren Paufe mit tiefer Stimme. 

„Ich glaube, er wurde gar nicht beſtraft,“ entgegnete Zipfel, 
„nenn man fah die Sache als ein Unglüd an.“ 

„als ein Unglück?!“ wiederholte Dofe und blidte an die 
Dede empor, als wollte er fagen: Hörft du es auch, Herr des 
Himmeld und der Artillerie! — — Und nad einer längeren Paufe 
feßte er noch hinzu: „Zur Zeit unferes Oberften von T., dem 
Gott im Himmel ein großes Commando verleihen möge, wäre 


4 


38 Biertes Kapitel. 


das ter drei Tagen nicht abgegangen nebit einem Sclag auf 
den Czako und einigen Tauſend-Millionen-Hunden. Da hat ſich 
viel verändert!“ 

„Ia, fehr viel,“ antwortete Zipfel, „wir wollen fpäter darüber 
ſprechen.“ 

„Das kommt davon,“ fuhr Doſe fort, „weil man es den ge⸗ 
dienten Unteroffizieren ſo leicht macht, den Dienſt zu verlaſſen und 
eine Civil⸗Anſtellung zu bekommen. Hätte der Major freundſchaft⸗ 
lich zu mir geſagt: Doſe, Er iſt ein Narr! bleib' Er bei der Bat⸗ 
terie, ſolche Leute kann man nicht, entbehren: — ich wäre wahrs 
haftig nicht fortgegangen, Nro. 4 wäre nicht geſtürzt, Kosmus 
und Cato hätte man nicht ausrangirt, und die Minerva wäre 
nicht wackelig geworden! Aber da waren wir überflüſſig, da wur⸗ 
den die fchönen Batterleen demobil gemacht, da hieß ed: man 
muß die jungen Xeute avanciren laſſen. — Gott der Gerechte! 
Und wir gingen damals mit Vergnügen fort! Wenn man fo, "wie 
unfereing, etliche zwanzig Pferde unter Commando gehabt hat, 
und mit feinem Geſchütz ald unumſchränkter Herr auf einem Dorfe 
aflein lag, ftetd zu Gajt gebeten vom Bürgermeifter, vom Schul⸗ 
meifter, ja, zuweilen vom Pfarrer, und fol dann zurüd in die Ka⸗ 
ferne mit leerer Prope, ohne Kugels und Kartätichwagen, das 
tommt einem fchwer an. Unterſchrieb ich doch damals meine Raps 
porte: Feodor Dofe, Gefchügführer der vierten reitenden Batterle, 
zweite Abtheilung, fiebente Brigade, Gommandirender in Nieder: 
bühl. — Das war gerade fo, ald wenn der dfterreichifche General 
fchreibt: Commandirender in Siebenbürgen. — Und nun follte ich 
gar nichts mehr fein, vieleicht noch mein Geſchütz verlieren; denn 
ed hieß damals, wir follten nur vier Stüd befpannt haben. Es 
wäre mein Tod geweien, bei der Batterie zu Fuß herum zu laus 
fen; deßhalb zeigte ich auf meine filberne Schnalle und wurde als» 
bald Poſt⸗Condukteur.“ 

Der gewefene Bombardier vertilgte mit großer Aufmerkjams 


N 


Dadmeifter Dofe iſt fehr aufgeregt. 39 


feit die Refte von Brod und Kalbsbraten, und nagte dabei die 
Knochen jo rein ab, daß eine Maus nah ihm nicht fatt geworden 
wäre. Als dieſes Geſchäft beendigt war, ftieß er einen tiefen, 
nahdenklichen Seufzer aus, wälzte fich in dem Lehnſtuhl auf die 
tehte Seite, wodurch fi der Riß in dem Wachstuch⸗-Paket unter 
feinen Füßen bedeutend vergrößerte. — „Seien Sie froh,“ fagte 
er nach einiger Zeit, „daß Sie von der Batterie weg find! Es 
bat fih doch viel geändert. Später mehr davon.” 


„Ah ja,!” entgegnete Dofe mit fummervollem Geficht, „das 
erfährt man alles noch früh genug. Aber fagen Sie mir jegt vor 
allen Dingen, lieber Zipfel, wie find Ste eigentlich zur Poſtſchrei⸗ 
berei und hieher gefommen? Allen Refpelt vor Ihren Kenntntijen, 
aber dazu gehört doch ein Bischen Protektion.“ 


Bei diefen Worten kniff der dicke Bombardier Liftig Tachend 
fein linkes Auge zu, und er lachte dabei in der That mit dem 
ganzen Körper, denn dieſe fchwere Mafje zitterte dergeftalt, daß der 
Lehnſtuhl bedeutend ſchwankte. „Viel Letzteres,“ fagte er, nachdem 
er wieder zu Athen gefommen, „viel Protektion. Ich habe diefe 
Stelle dem dümmſten Streid nteined ganzen Lebens zu verdanfen, 
einer fehr unüberlegten Handlung, die aber durch Zuſammeutreffen 
verichiedenartiger Umftände zu einer außerordeutlich famojen wurde. 
Schade, dag Sie nie Zeitungen leſen, font hätten Sie darin 
eine Geſchichte leſen können, wie durch die Kaltblütigfeit, durch 
die Energie, durd das taftvolle Benehmen eine? /Bombardiers 
der Fuß⸗Artillerie ein entſprungener Ketten⸗Gefangener wieder bei— 
gebracht wurde.“ 

„Davon habe ich gehört,“ erwiderte Dofe. „Es hat mir's 
ein Poſt⸗College erzählt, der bier durchkam.“ 

„Run denn,“ fagte Zipfel und richtete jeinen Kopf mit der 
größten Anftrengung in die Höhe, welcher durch diefe, bei der 
Lage des Bombardierd fehr verdrehte Stellung ſich tief roth färbte: 


40 Diertes Kapttel. 


„diefer faltblätige, energifhe Mann mit dem taftoollen Benehmen 
war Niemand andere, als — ich ſelbſt.“ 

„Sie?“ rief erftaunt Doſe. „Es hieß aber doch bei der Ge⸗ 
fchichte, der Bombardier, dem dies gefchehen, ſei bei dDiefer Gelegen- 
heit von feiner Wache gelaufen.” 

„Nun ja, zufällig.” 

„Und habe defertiren wollen,“ fuhr der unerbittliche Dofe fort. 

„Ach was, Narrenpoijen!” verfeßte Tipfel. „Sehe ich ans wie 
Jemand, der defertiren will? — Aber Sie haben Recht, Dofe: 
man hat damals fo was gejagt. Ich wurde auch mit einem guten 
Freunde gehörig eingeftedt, und nur unferer genauen Belanntfchaft 
mit hochgeftellten Perfonen hatten wird zu danken, daß wir mit 
ein paar Tagen Arreft glüdlid, davon kamen.“ 

„Gi der Tauſend!“ entgegnete Doſe. „Und dieſe hohen Per— 
ſonen halfen Ihnen weiter?“ 

„So iſt's,“ gab der ehemalige Bombardier mit wichtiger Miene 
zur Antwort und verſuchte feine ſtrickartlge Halsbinde etwas in die 
Breite zu ziehen, was ihm aber nicht gelang, da fie von feinem 
feitten Unterkinn augenbliditch wieder „herab rutſchte. — „Bir 
waren bei dieſem Unternehmen unfer zwei betheiligt, ich und einer 
meiner Bekannten, ein ſicherer Bombardier Robert, von der reitenden 
Artillerie, unter uns geſagt, ein verfluchter Kerl; lief allen Mädchen 
nach und hatte erſtaunliches Glück bei ihnen. Nun ſehen Sie, bei 
ſo einer Geſchichte kam es vor, daß ich ihm zu Lieb meine Wache 
verließ — gewiß nur ihm zu Lieb! das konnte mir die ganze Bat⸗ 
terie bezeugen — und ich ſehe auch wahrhaftig nicht aus wie Je= 
mand, der einen ruhigen Poften, wie fo eine Wache, freiwillig ver- 
läßt. — Ih half ihm aljo, und dabei wurden wir erwifcht und 
eingeftedt. Diefe Xiebesgefchichte betraf aber die Tochter eines 
Mannes von großem Einfluffe; Robert, der verfluchte Kerl, wußte 
fi) obendrein einen Empfehlungsbrief an den Vater des Mädcheng 
zu verfchaffen, und dadurch fam er in's Haus hinein und ich aus 


Padmeifter Dofe if fehr aufgeregt. 41 


dem Unterſuchungs⸗Arreſt heraus. Ja, noch mehr; jener Herr 
empfahl mich der Poſt-⸗Verwaltung, und da bin ich nun hieher ges 
(hit worden, als wohlbeftaflter Sekretär.“ 

„Das find merkwürdige Gefchichten,“ ſprach Dofe lächelnd. 
„Das heiße ich Glück Haben! — Und der Andere?“ 

„Der Bombardier Robert wurde aus zweierlei Gründen aus 
C. fort nad) der Hauptftadt gefchiett, und das hatte der Papa jehr 
gut arrangirt. Erſtens follte er dem jungen Mädchen and den 
Augen kommen und zweitens was Tüchtiges lernen, um bald Offi⸗ 
zier zu werden. Er ijt jet auf der Artilleriefchule und wird näch⸗ 
Rens fein Examen machen können,“ 

„Alſo Doc dabei geblieben * Das ift recht von ihm.“ 

„Sa, er hatte alle guten Ausfichten,“ entgegnete- Tipfel. „Ih 
ſprach vorhin von Veränderungen, die bei uns vorgefallen.“ 

„Nun, was die Veränderungen anbelangt,“ verjepte Doſe vers 
ſtimmt, „die werden ihm nicht viel helfen.“ 

„Im Gegentheil,“ antwortete der ehemalige Bombardier ; „ihm. 
innen diefe Veränderungen wohl nützen, und freilich nichts. — 
Aber leſen Ste denn gar feine Zeitungen?“ 

Doſe ſchüttelte betrübt fein dDürres Haupt. 

„3a, in dem Falle wundert es' mich nicht, wenn Ste nichts 
erfahren,“ verfegte Tipfel. „Da unten tft einigermaßen der Teufel 
108; man ſpricht davon, und mit vieler Gewißheit, daß nächftens 
die vierte, die fechöte, die fiebente und achte Brigade mobil gemacht 
werden.“ 

Bei diefen Worten hätte man das Gefiht, die Haltung des 
ehemaligen Unteroffiziers jehen follen! Seine Angen, die er weit 
aufgerifien, funkelten in höchfter Freude, fein etwas zufammens 
geſunkener Körper richtete ſich ftraff in die Höhe, er erhob fich 
langlam von der Kifte, ſtellte fich aufrecht hin; den Heinen Finger 
der Linken an die Hofennaht haltend, fuhr er mit der Rechten 
militärifch grüßend an feine Stimm. Dabei fah er feinen Kameras 


423 Biertes Kapitel. 


den mit einem unansfprechlihen Blide an, und nachdem er ihn 
dergeftalt ein paar Sekunden lang figirt, fprach er mit tiefer, etwas 
zitternder Stimme: „Herr Poftichreiber, Sie find als ſolcher mein 
Borgefepter, und ein Vorgeſetzter darf um Alles in der Welt einem 
Untergebenen eine Unwahrbeit jagen, und ich bitte Sie nochmals, 
wiederholen Sie mir das Wort von vorhin und fagen Sie mir: 
ift e8 gewiß und wahrhaftig wahr, daß die Brigaden mobil ge- 
macht werden ?” 

Tipfel war nicht wenig erflaunt über das fonderbare Beneh⸗ 
men des Pachnmeiſters; doc beeilte er fich, ihm eine Antwort zu 
geben; denn Dofe blieb aufrecht vor ihm flchen, die Hand an den 
Kopf baltend, in der allermilitärijchiten Haltung, mit einem erwar- 
tungsvollen, fait ängftlichen Ausdrud in den Geſichtszügen. „Als 
lerdingd ijt e8 wahr, was ich vorhin gefagt,“ verficherte Tipfel; 
„die Batterien werden mobil gemacht und ziehen aus mit gefüllter 
Protze und Kartätfchenwagen; ja, was nocd mehr iſt: dieſe Ku⸗ 
gen und Kartätfchen werden wahrfcheinlich nächftend gebraucht 
werden.“ 

„And das iſt wahr, wirklich wahr?“ rief der ehemalige Unter⸗ 
offizier, und fein Auge leuchtete vor Freude und Luſt. 

„Gewiß; die Befehle zur Mobilmachung find fchon an das 
General⸗Commando gelangt.“ 

„Hurrah!“ fchrie nun Doje und warf feine Hände jubilirend 
in die Höhe; „abermals Hurrah! und zum dritten Mal Hurrah !“ 
And das fihrie er nicht fchüchtern hinaus, fondern jo laut und 
fräftig, Daß der wachthabende Sekretär nebenan erfchroden fein 
Tenfter öffnete, mit dem Kopfe herans fuhr und fragte, ob eine 
Näuberbande in die Packkammer eingebrochen fei. 

Dieje Frage beruhigte den aufgeregten Packmeiſter einiger: 
maßen und ließ ihn erwachen aus feinem Freudenraufche. Er fegte 
fid, wieder auf die Kifte nieder; doch konnte er fich nicht enthalten, 
mehrere Signale zum Angriff und heftigen Feuern vor fich hin zu 





Barmeifter Dofe ift fehr aufgeregt. 43 


brummen uud dazu mit den Füßen den Sturmmarjch zu trommeln, 
wie er es bei Mandvern von der Infanterie gehört. 

"Zipfel hatte ftill lächelnd diefem Paroxysmus zugefchaut und 
bildete ſich dabei ein, Dose fühle gerade wie er felbft und freue ſich 
fo unfinnig, weil er, in Anbetracht, das es da unten bald los⸗ 
sehen würde, fich glücklich fchäße, hier in der entfernten Gränzs 
fadt bei dem ruhigen Poftdienft fo weit vom Schuſſe zu fipen. 
&r Hatte gar keine Ahnung davon, welche Kampfbegierde in der 
Bruſt des chemaligen Gefhügführers wogte. — „Hier ift ein gan⸗ 
zes Paket Zeitungen,“ ſagte der Poſtſchreiber nach einer Paufe, 
‚ih babe fie zufällig mitgenommen, und Sie fünnen daraus den 
Gang der Begebenheiten lejen; es ift eine merkwürdige Gefchichte, 
ganz unglaublid.“ 

„Beben Sie her!” bat eifrig der Padmeiiter. 

„Da find fie, legen Sie's nur bin bis morgen, es tft jept 
wahrhaftig Zeit, daß man fih nad einem Bette umfieht. Der 
Kalbsbraten iſt verjchwunden, der Punſch ausgetrunfen. — Ich 
babe gut gegefien und gut getruufen, Männeken, jept tft es nicht 
mehr als billig, daß man nad, diefen Anftrengungen dem ermattes 
ten Körper einige Ruhe gönnt.” 

Dofe fand diefed Begehren des Kameraden volllommen gerechts 
fertigt; der fchlaftrunfene Kellner aus der Paſſagierſtube wurde 
zum dritten Male herbei bejchieden, und da neben dem Poftgebäude 
glücklicher Weiſe der erjte nnd beite Gafthof des Ortes lag, fo 

hatte Zipfel nicht weit zu gehen und lag fchon eine Biertelitunde 
Ipäter in feinem Bette, fchlief den Schlaf des Gerechten und ſchnarchte 
dazu, daß es Hang, als feien ein Dugend Schreiner bejchäftigt, 
"Ne hartnädigften und dickſten Mahagoni Blöde zu durchſägen — 
lauter Aſtknollen. 


44 Künftes Kapitel. 


Fünftes Kapitel. | 


Worin einiges von rem vergangenen Leben des Padmeitters vorfommt, fowie aud, we 
großen Entihinß derfeibe fapt. Der geneigte Leier mat ſchließlich die Bekanntſchaft ein 
bayonnetfechtenden Poftmeifters. 


Wir brauchen nicht erft zu fagen, daß Feodor Dofe unverhei 
rathet war; wer den Charakter und die erhabenen Gefinnungen 
fowie das hochyoetifche Gefühl diefes merkwürdigen Mannes etwal 
näher in's Auge gefaßt, wird unjere Anfiht volllommen theilen, 
daß ein ſolch hochftrebender Charakter nicht dazu geſchaffen ift, die 
Feſſeln des Eheſtandes zu tragen, ja, nicht einmal die Roſenketten 
der Liebe zu dulden. Dofe hatte bei feinem fünfzehnjährigen Mis 
fttärleben fowohl in dem Sarntfond-Orte den Eroberungs⸗Verſuchen 
unternehmender Köchinnen und beuteluftiger Dienftmädchen fiegreic 
widerftauden, als auch in den Gantonirungd-Quartiren den wirklich 
fattgehabten Anträgen einer Ecyulmeifters Tochter und einer une 
verföhnfichen Steuerbeamten-Wittmwe, die ihn ala zweites Opfer zu 
einem langfamen Martertode liebevoll erforen hatte. Als Dofe den 
Militärftand verließ, war er volllommen frei; fein weibliches Auge 
weinte ihm fanfte Thränen nad; feine Erinnerungen drüdte nichts 
als eine leichte, aber dennoch verdrießliche Geichichte mit einer tus 
gendhaften Wäfcherin, deren Schlingen und Banden er fih nur 
durch den bündigen Ausfpruch des franzöſiſchen Geſetzbuches ent⸗ 
309, unter defien Schuß er gelebt, geliebt und gefünbdigt. 

Wir wollen aber mit dem eben Gefagten den geneigten Leſer 
durchaus nicht auf Die Vermuthung bringen, als fei Dofe ein Weis 
berfeind, ein Berächter des fchönen Geſchlechts geweſen — im Ge⸗ 
gentheil: Dofe war galant, unternehmend, feurig, zuvorkommend; 
aber bei all diefen Punkten, die zur Angriffs-Theorie gehören, ver- 
gaß er dad Hauptaugenmerk eines Mugen Soldaten nicht und wußte 





Bom vergangenen Leben des Padmeifters. 45 


ih beftändig einen Mugen Rüdzug offen zu Halten. — Darauf 
ihr er mit dem Eilwagen, wie wir bereits wifien; er reiste Tag 
und Nacht; er machte den edlen, fürforglichen Ritter bei allen Da⸗ 
men, die fich feinem Schuße anvertrauten, er betrachtete fie ald ein 
ihm übergebened Heiligthbum, als unverleglich, kurz, wie alle übris 


gen ihm anvertrauten Poftftüde und Briefe, die man ebenfalls 


nicht angreifen darf, nicht unterfuchen, nicht durchlefen. Dofe war 
jartfühlender Conducteur in der weitelten Bedeutung des Wortes; 
ja, er ftellte eines Tages den Antrag, die PofteBerwaltung möge 
ihm geflatten, die Hemm-Mafchine feined Wagens ändern zu dür⸗ 
fen, indem er durch unvorfichtigen Gebrauch derjelben — fie war 
nämlich neben ihm unten am Sitze angebradht — in unangenehme, 
leicht zu mißdeutende Berührungen mit feinen weiblichen Paſſagie⸗ 
ion gerathen könne. Wir bezweifeln übrigens, ob die Pofts Behörde 
diefes Zartgefühl verflanden, und glauben, daß die vemm⸗Maſchine 
an ihrem alten Platze blieb. 

Da wurde Doſe zum Packmeiſter befördert und kam hieher in 
dieſe entlegene Grenzſtadt. Anfänglich verſprach er ſich von eben 
dieſer nahen Grenze eine Menge romantiſcher und hochpoetiſcher 
Abenteuer, Schleichhändler⸗-Romane, welche deu Räuber-Geſchichten 
fo ähnlich find, und dergleichen mehr. Doch fand er fi hierin, 
wie fo oft im Leben, bitter getäufcht, und das Städtchen — fein 
jepiger Aufenthaltsort — gehörte zu den allerprofatichften des Lan⸗ 
dei. Auch war die Lage durchaus nicht jo malerifch, wie Dofe's 
Dhantafie diefelbe für eine Grenzftadt unbedingt verlangte. Da 
war fein wilder Wald mit tiefen Schluchten, durch weldhe die 
Schmuggler, gefolgt von riefenhaften Hunden, auf und nieder klet⸗ 
terten; da war nichts als nüchterne Fruchtfelder, und was fie bier 
einen Wald uannten, das war eine Gruppe von ſechs Birken und 
einem Tannenbaum, in dejien Schatten Die Honoratioren des Sonns 
tags ihren Kaffee zu trinken pflegten. 

Dofe war bieher gekommen mit dem guten Vorſatze, Land und 


46 Fünftes Kapitel. 


Stadt umher wunderfhön zu finden. Er langte zur felben Nacht⸗ 
ftunde an, wie geftern der Bombardier Zipfel, und als der Pack- 
meifter am erften Morgen feines Hierfeins erwachte, fand er, daß 
der eben erwähnte Vorfag gänzlich unausführbar wäre. Wir kön⸗ 
nen- nicht verfchweigen, daß Doſe's Gemüth hierüber fehr betrübt 
war; fein Geift braudte Nahrung, feine Augen mußten etwas 
Schönes, Maleriſches fehen, fein poetifches Gefühl drohte bei dieſer 
Fruchtfelder- und Birken⸗Proſa unterzugehen. 

Dieſes Gefühl, verbunden mit der Erinnerung an feine früher 
fo angenehm verlebte Milttärzeit, Hatte ihm bald feinen jeßigen 
Aufenthalt, ja, feine Stellung unbehaglich gemacht. Nur die Frage: 
was beginnen, wenn er den Poftdienft verließ? war ihm bis heute 
zu beantworten unmöglich geweſen. Da brachte der harmloſe Tipfel 
mit feinem Bericht von’ der Mobilmahung der ſo geliebten Artils 
feriesBrigade den ehemaligen Iinteroffizier auf einmal mit fich ſelbſt 
in’d Klare. 

Am andern Morgen fchritt Dofe mit weiten Schritten in der 
Packkammer auf und ab. Erwar in der Nacht wo möglich um einen 
Zoll gewachſen. Zuweilen blieb er vor den Paketen ftehen, die fo 
hübſch geordnet auf Haufen dalagen, wandte ſich aber alsbald wie 
der verächtlich davon ab, drehte fih auf dem Abſatz herum, ſpuckte 
gelinde anf die Seite und fagte zu fih felber: „Das Vaterland 
ruft!“ — Und wie wir ſchon Eingangs diefes Kapitels dem geneig⸗ 
ten Leſer verficherten, fo fefjelte den Padmeifter nicht das Geringfte 
an die Meine Grenziladt, was ihn verhindert hätte, dieſem Rufe 
Folge zu leiſten. 

Der neue Poſt⸗Sekretär hatte ſich, weil er heute feinen Dienſt 
antreten mußte, ziemlich frühzeitig und ſeufzend dem Bette entwun⸗ 
den und ſortirte im Nebenzimmer Briefe und ſchrieb Begleitſcheine 
für die abfahrenden Conducteure, daß es eine Luſt und Freude war. 
Sein ſtilles, harmloſes Gemüth Hatte mit großem Wohlgefallen das 
einſame, geraͤuſchloſe Städtchen begriffen und war glücklich, ein 


Bom vergangenen Xeben des Padmeifters. 47 


Aſyl gefunden zu haben, wo. er ungeplagt von dem Geräufche der 
Belt, ſtill betrachtend leben, d. h. eijen, trinken und fchlafen 
fonnte, 

Dofe hatte ſchon mehrmals einen Schritt an den Schalter ges 
tban, um dem Freunde mitzutheilen, was ihn auf dem Herzen liege. 
Doch hatte ihn His jet der Reſpekt vor dem Borgefepten abgehals 
ten, den ehemaligen Kameraden anzurufen. Glücklicher Weiſe aber 
für ihn legte der Sekretär in diefem Augenblide die Feder nieder, 
rutfchte Außerft langſam von feinem Stuhle Herunter und trat an 
das Fenfter, welches in die Packkammer führte. Dofe näherte fidh 
alsbald und bat ihn, einen Augenblid in das Nebengemacd zu 
treten. Zipfel gehorchte, wenn auch langfam, und als er fich in 
dem Wachtzimmer auf dem großen Lehnftuhl niedergelaften, theilte 
Doje dem aufs höchfte überrafchten Poitichreiber feinen Entfchluß 
mit, den Civildienſt zu verlaſſen und zur Batterie zurüd zu ehren. 
Diejer, der fo etwas gar nicht begreifen konnte, ſah ihm bejorgt in 
die Augen, ob fih nit dort eine Spur auffeimenden Wahnfinns 
entdeden ließe. Aber der Blick des ehemaligen Unteroffizier war 
mbig, groß, edel. „Das Baterland ruft,“ fagte er, „und feinem 
Dienfte auf dem bfutigen Feld der Ehre werde ich mich tren und 
gewijjenhaft widmen.” 

Dagegen ließ fich nun nichts einwenden; Zipfel war überhaupt 
viel zu faul, um fid die Mühe zu geben, Jemanden von einem 
einmal gefaßten Entfchluffe abzubringen; ja, nidt einmal fi 
felbft mochte er bei ähnlichen Veranlaſſungen Borftellungen machen, 
und fo fam es denn oft, daß man bei ihm für Charakterſtärke ans 
ſah, was eigentlich nur übermäßige Faulheit war. 

„Rod im Laufe des heutigen Morgens,“ fuhr der Packmeiſter 
fort, „werde ich mich zum Herrn Poftmeifter begeben, um demfelben 
meinen Entfchluß fund zu thun. Ich bin überzeugt, es wird ihm 
ſchmeicheln, daß einer jeiner Beamten fi zum bevorſtehenden 
Kriege bei der Armee meldet. Und wenn er auch hieran feine 


N 


48 Fünftes Kapitel, 


‚große Freude hätte, fo läßt er mich Dennoch gern ziehen. Ih war 
ihm beſtändig ein großer Dorn im Auge, und es machte ihm einen 
großen Strich durch eine gewifie Rechnung, ala ich hieher ver- 
jegt wurde; denn meinen Poſten hatte er einem feiner Schüßlinge 
verſprochen.“ 

Tipfel, der den Entſchluß des Packmeiſters, ſeinen ſo behag⸗ 
lichen und angenehmen Poſtdienſt zu verlaſſen, für das größte Un⸗ 
glück anſah, das den ehemaligen Kameraden nur treffen könnte, 
hielt es für feine Pflicht, ihn wo möglich von dem Abgrunde zus 
rüdzuziehen, in welchen er mit gleichen Füßen fpringen wollte, 
und hätte ihm zu dem Zwede gern kräftige Gegenvorftellungen ges 
macht. Doch lag er zu behaglich in dem alten Lederſtuhle, und 
28 wäre in dieſem Augenblide wahrhaftig zu parteilich gegen feinen 
Geift gewefen, ihn fo ſehr anguftrengen, während der Körper behag⸗ 
lich ausruhte. Deßhalb begnügte er fich mit der einfachen Frage: 
„Aber, Dofe, haben Sie das ſich auch reiflich überlegt?“ | 

„Das werden Sie fogleich ſehen,“ erwiderte fehr ernſthaft Der 
Padmeifter. „Es ift die Stunde, wo man den Poftmeifter fprechen 
fann, und ich werde die Sache noch heute am Morgen in's Reine 
bringen, damit meiner Abreife. — noch heute Abend — nichts ente 
gegen fteht.“ 

‚Der Poſt⸗Sebkretaͤr hatte ſchon die Augen zu einem kleinen 
Schlafe geſchloſſen, ſonſt würde er ſich doch wohl laut verwundert 
haben. So aber begnügte er ſich mit einem gelinden Grunzen, 
welches vielleicht auch etwas heißen ſollte, was aber kein Menſch 
im Stande war, zu verſtehen. 

Doſe ließ ſich unterdeſſen bei dem Poſtmeiſter anmelden und 
wurde auch ſogleich vorgelaſſen. 

Dieſer war ein kleiner dicker Mann mit gewaltigem Bauch, 
den er des Morgens in einen rothſeidnen Schlafrock gehüllt hatte. 
Er war vordem Hauptmann bei der Infanterie gewefen, und da er 
dieſe Waffenart für die erſte unter allen anderen hielt, ſo wählte 





Bom vergangenen Xeben des Patkmeiſters. 49 


er auch feine Beamten möglicher Welfe darunter aus und war 
durchaus nicht zufrieden damit, daß man ihm zu Condukteuren, 
Bagenmelftern und dergleichen fo viele Iinteroffiztere von der Ars 
tifferie einfhob. Der Poftmeifter hieß Dachfinger, eigentlich Frei: 
herr von Dachfinger, obgleich weder auf der genaueften Poſt⸗ noch 
Zlurfarte die Güter verzeichnet waren, welche dad Glüdf hatten, 
ihre Namen dem Namen des PBoftmeifterd abgeben zu dürfen. Defien 
ungeachtet hieß die Poftmeifterin gnädige Frau und der fechsjährige 
Sprößling der Heine Here Baron. Wir müſſen aber dabei geftehen, 
daß legtere Benennung nicht vor den Ohren des Vaters gebraucht 
werden burfte; überhaupt war der Poftmeifter ein aufgelärter Mann, 
fehr befannt mit feinem Dienft und deßhalb außerordentlich gefchäßt 
von feinen Borgefepten. Da aber kein Menfh auf Ddiefer Welt 
vollfommen ift, fo hatte auch der Herr v. Dachfinger zwei Paffio- 
nen, zweit fchwache Seiten, zweit Stellen, wo er fterblih war. Das 
war erftensd eine LKeidenfchaft für Singvögel aller Art, und zwei- 
tend eine ihm von der Infanteriezeit nachgebliebene LXiebhaberet 
für das Bayonnetfechten. Letztere Kunft hielt er für die größte und 
wichtigſte auf Erden. Sein Bedienter, ein ehemaliger Infanterift, 
mußte des Poftmeifters Sohn darin unterrichten, und nebenbei 
gehörte es zu des Vaters Tiebften Studien, wenn er fich ebenfalls 
diefem angenehmen Zeitvertreib widmen Eonnte. 

Herr von Dachfinger hielt das Bayonnetfechten für die befte 
aller Bertheidigungsarten, uud er war faſt daran, zu glauben, Dies 
jelbe könne, wie einen Säbelbieb oder LZanzenftich, beinahe eine 
feindliche Kugel abwehren. Er Hatte fchon einmal daran gedacht, 
bei der General Poft-Direltion darauf anzutragen, ſämmtliche Con⸗ 
dufteur-Stellen mit des Bayonnetfechtens Tundigen Leuten zu bes 
ſetzen, um etwaigen Raubanfällen Fräftig begegnen zu können; nebens 
bei aber auch, um es einem Artilleriften oder Kavalleriften unmög⸗ 
lich zu machen, eine Condukteur⸗Stelle zu erhalten. 

Halländers Werte. V. 4 - 


50 Zünftes Kapitel. 


Der Poftmeifter war, als Dofe fi) anmelden ließ, gerade im 
Begriff, feinen Singvögeln ein Frühſtück zu reichen, und er ließ 
den Padmeifter augenbliclich eintreten. Dabei rauchte der Herr v. 
Dadhfinger aus .einer langen Pfeife, wie er beftändig zu thun 
pflegte, und dieſe fehr lange Pfeife hatte einen doppelten Zwed: 
denn wenn er auf und ab ging oder mit Jemand ſprach, fo ges 
brauchte er fie nebenbei, um die Griffe des Bayonnetfechtens mit 
derfelben durchzumachen. | 

Sobald Dofe eintrat, nahm der Poftmeifter eine Stellung zur 
Abwehr ein, indem er die Pfetfe vor die Bruft hielt, das Mund⸗ 
fü nach oben. Doſe trat militärifch grüßend näher, worauf der 
Poſtmeiſter diefen günftigen Moment nicht vorbeigehen laſſen konnte, 
ohne gegen die Bruft des Untergebenen einen Ausfall zu machen. 
Aus der erften Stellung ging er in einen Quartitoß über, ſprang 
darauf in eine kunftgerechte Abwehr, nahm alddann die zweite Stel- 
lung an und ſchulterte hierauf ruhig feine Pfeife. | 

Diefe Manöver, die Dofe längſt kannte, waren nicht im Stande, 
ihn einzufhüchtern, ja, fle ermuthigten ihn; denn er wußte, daß 
der Poſtmeiſter fi bei folhem Benehmen in recht guter Laune 
befand. 

„Der Herr Poftmeifter werden verzeihen,” fagte der Unterge— 
bene, „ich bin gefommen, um eine große Bitte vorzutragen.“ 

Herr v. Dachſinger that ein paar mächtige Züge aus der 
Pfeife und nahm diefelbe alsdann Teicht zur Abwehr vor ſich Hin. 

„Der Herr Poftmeifter werden wiffen,“ fuhr der ehemalige 
Unteroffizier fort, „daß da unten im Lande, wenn ich mir erlauben 
darf, mich fo auszudrücken, der Teufel los iſt.“ 

„3a, allerdings!“ antwortete der alfo Angeredete, und machte 
dabei einen wüthenden Ausfall mit Terzftoß nach links. 

„Die Armee wird auf den Kriegsfuß gefept, die Artillerie-Bri- 
gaden mobil gemacht, und man verlangt nad tüchtigen und lang⸗ 
gedienten Interoffizieren. \ | 


Vom vergangenen Xeben des Padmeifters, 51 


„3a, es wird was geben,“ verfeßte eifrig der Herr v. Dach⸗ 
finger, „und dann paflen Sie auf, mein lieber Dofe, welchen uns 
füglihden Nupen es haben wird, daß'unfere Infanterie jo vertraut 
nit dem Bayonnetfechten if. Die feindliche Kavallerie wird bies 
durch ganz unſchädlich. Haben Sie mich ſchon gefehen mit zwei 
Reitern fechten? Ich glaube, ich habe das einmal ausgeführt, 
fo lange Sie da find; ſich zwei Hufaren vom Leib zu Halten, iſt 
kine Kleinigkeit. Ohne Schuß — wohl verftanden! Denn mit 
Shuß nehme ich es mit dreien auf. — Haben Sie mid damals 
fechten ſehen?“ | 

„Zu Befehlen, Herr PRoftmeifter,“ antwortete Dofe. „Ich ers 
innere mich diejed Ereigniſſes.“ 

„Bar freilich nur Kleine Arbeit,“ fuhr der Chef fort, „Keine 
gewaudten Leute, keine flüchtigen Pferde; aber doch ſah man deut- 
lih den Segen diejer Fechtart.“ 

Dofe pflichtete den Worten des Borgejepten eifrigft bei, obgleich 
ter Vorfall, den derfelbe erwähnte, ihm damals feinen überaus 
günftigen Begriff von dem Bayonnetfechten beigebracht hatte. Zwei 
Tottillone, ehemalige Trainfoldaten, auf halb lahmen und ganz 
binden Pferden hatten natürlicher Weife mit der größten Schonung 
und Vorficht gegen ihren Vorgeſetzten mandvrirend mit diefen ges 
ſochten. 

„Man wird das erleben,“ ſagte ernſt der Poſtmeiſter, nachdem 
er ſeine Pfeife geſchultert, „man wird noch ſo weit kommen, der 
Artillerie ebenfalls die Gewehre wieder zu geben und fie ebenſo ge- 
nau in dieſer Fechtart zu unterrichten, wie in dem Bedienen ihrer 
Gefüge, — — Aber was haben Sie von mir gewollt? — Laſſen 
Sie hören!” 

„Sch erlaube mir, dem Herrn Poftmeifter zu fagen, dap ich 
gehört, man fuche, namentlich bei der Artillerie, alte, gediente Uns 
teroffiziere für den Dienft wieder zu gewinnen; deßhalb geht meine 
unterthänige Bitte an den Herrn Poftmeijter, mir einen vierzehn: 


\ 


52 Fünftes Kapitel. 


tägigen Urlaub nicht verweigern zu wollen, damit ich nad C. rei- 
fen kann zu meiner Brigade und dort den Berfuch machen, ob man 
mich wieder aufnimmt und einftellt.“ 

„Ah!“ erwiderte ihm raſch der Poftmeifter und berührte mit 
einem Duartftoß fanft die Bruſt feines Untergebenen ; „das nenne 
ih mir einen Löblichen Vorfag!“ 

„Und werden mir der Herr Poftmeifter diefen Urlaub nicht 
verweigern?“ 

„Wo denken Sie bin! das hieße ja gefrevelt gegen den Wunfch 
Sr. Majeftät unſeres allergnädigften Königs; folche wadere Män⸗ 
ner zurüdzubalten, wäre ja eine Sünde!“ 

Herr v. Dachſinger dachte neben diefen Worten, die ihm wirt: 
ih von Herzen kamen, auch daran, wie angenehm es fein würde, 
alsdann die Parmeiftersftelle mit einem des Bayonnetfechtens Fun- 
digen Anfanteriesiinteroffiztere befepen zu können. 

Er fehulterte feine Pfeife und ging einigemal im Zimmer auf 
und ab, immer dicht an den Wänden und tief in Gedanken. Plötz⸗ 
lich aber traverfirte er das Zimmer und trat vor den Packmeiſter 
bin, die Pfeife Hoch gehalten, zum Anſchlag bereit, wie es ein vor: 
fihtiger Tirailleur zu machen pflegt, der fih einem verdächtigen 
Gebüſche naht. „Teufel, Teufel!“ ſprach er nach einer Pauſe, „da 
fällt mir eben ein, daß es mir umerflärlich ift, woher Ste fo ge: 
nau wiffen können, daß ed drunten im Lande einigermaßen Spek—⸗ 
tafel gibt. Wir halten doch bier fo gut wie gar feine Zeitungen, 
und außerdem war idy bemüht, feine Nummer auszugeben, worin 
fih etwas befindet, dad den Leuten ihre Köpfe aufregen könnte. — 
Haben Sie Briefe?“ 

„Das nicht,” entgegnete Dofe etwas beunruhigt. „Doc traf 
geftern einer meiner Bekannten bier ein, der neuernannte Poſt⸗ 
Sekretär.“ 

„Und der hat Ihnen dieſe Neuigkeit mitgebracht?“ fragte 
eifrig der Vorgeſetzte, wobei er ſeine Pfeife mit beiden Händen raſch 


Bom vergangenen Leben des Podmeifters. 53 


und fo eiffertig und heftig erhob, als parire er einen Fräftigen Sä- 
beipieb, „Sch muß mich da vorfehen!” fagte er. „Zum Teufel 
auch! das könnten wir hier brauchen, wenn die Poft-Sefretäre ſelbſt 
fih unterfingen, dergleichen Nachrichten zu verbreiten! Tipfel ift 
von der Artillerie; ich möchte fagen, leider, und läßt ſich deßhalb 
leicht zu rafchen Handlungen hinreißen. Wäre er Infanterift, fo 
würde er dad Bayonnetfechten ftudirt haben, und diefe Kunft, mein 
‚ lieber Dofe, gibt dem Mann etwas Berfchloffenes, etwas Umſichti⸗ 
ges; fie wird bet einen braven Soldaten zur Leidenfchaft und geht 
jo zu fagen in Fleiſch und Blut über. Ein echter Bayonnetfechter 
it immer gerüftet, er fchaut beftändig rechts und links!“ — Der 
. Boftmetiter that alfo. — „Ja, zuweilen hiuter ſich!“ — Er wandte 
feinen Kopf mit einer erſchrecklichen Gefchwindigkeit um. — „Er 
if immer auf feiner Hut, ſtets fertig zum Ausfall nad) rechts, nach 
line, nad vorwärts, nach rückwärts. — So!“ — Und während 
Herr v. Dachſinger das fprach, fprang er mit einer merkwürdigen 
Dehendigkeit in die Höhe, ftieß mit der Pfeife nach allen Seiten 
ſo daß Dofe einen Schritt zurüdtrat, wandte ſich dann plötzlich 
um, um einen eind hinter fich niederzuftechen, wobei aber die 
Tabaksaſche umherflog und der rothfeidene Schlafro malerifch 
umberwallte, 

Dofe kannte diefe Ausbrüche feines Chef? und blieb vor ihm 
ſtehen mit einer unerfchütterlichen Ruhe. - 

„Ich werde,” fuhr Herr v. Dachfinger nad) einem augenblid- 
lien Stillfchweigen, in welchem er Athem fchöpfte, fort, „den 
Herrn Tipfel den Rath geben, einigen Unterricht bet mir zu nehmen. 
Sie, lieber Dofe, haben das leider verfäumt. Nun, Ste müffen 
ſehen, wie Ste fih ohne Bayonnetfechten durch diefes Leben zu 
ſchlagen im Stande find. Ihren Urlaub follen Sie haben, dazu 
ein Empfehlungsfchreiben an den mir unbekannten Chef Ihrer 
Brigade, fowie die Erlaubniß, bei Ihrer Reife den Padwagen zu 
benupen. — Gehen Ste mit Gott, und follten Sie je in ben 


54 Fünftes Kapitel. 


Fall kommen, irgend einem jungen Manne, der zum Militär ein- 
treten will, einen beilfamen Rath geben zu müflen, fo denten Sie 
an mid, und haben Sie Selbftüberwindung genug, diefem jungen 
Manne zu verfihern, daß das Bayonnet die erfte aller Waffen ift. 
— Leben Sie wohl!“ 

Dofe ergriff gerührt die dargebotene Hand feines Chefs, hatte 
Taft genug, den Singvögeln rings umher zum Abfchied einen weh- 
müthigen Blick zu ſchenken, dann wandte er fi echt militärifch um, 
und ſah, während er abging, wie Herr v. Dachfinger es nicht un- 
terlaffen konnte, mit der Pfeife einen fo wüthenden Stoß nad 
feinem Rüden zu führen, daß ihm im alle des Ernftes das Ba- 
vonnet mindeftend drei Zoll vorn zur Bruft heraus gedrungen 
wäre. 

Der Padmeifter traf nun feine Anftalten zur Abreiſe; er lieg 
unter der Obhut Tipfel's die Reichthümer, fo er fih im Poſtdienſt 
erworben, ald ein paar lange Pfeifen, Filzſchuhe, wenige Civil⸗ 
Mleiter und Poftuniformen, Schiller'd Gedichte und den höflifchen 
Proteus. Seine Leibwäſche padte er in einen Meinen Manteljad, 
das Manuſcript feiner eigenen Gedichte in eine Putztaſche, und 
Abends um acht Uhr — der Packwagen ging erft um Neun — 303 
Dofe mit einem gewiſſen behaglihen Schauer feine Unteroffiziere⸗ 
Uniform der fiebenten ArtillerieeBrigade, die er wie eine Reliquie 
aufbewahrt hatte, an. Dann umarmte er den Bombardier Zipfel, 
welcher den Berjud machte, ſehr betrübt andzujehen, flieg zu dem 
Gontufteur in dad Gabriclet de Gepädwagens und rajjelte mit 
demjelben zum Thore hinaus, 


Eine Bürgerwehr-Wachtſtube. 55 


Schötes Kapitel. 


Ein kurzes, aber doch wichtiges Kapitel; — handelt von einer Bürgerwehr⸗Wachtſtube. 


Der April bat feine Zaunen — ein wahrer Spruch, den kei⸗ 
ner der geneigten Leſer bezweifeln wird. Es gibt Monate diefes 
Namend vol Aprilwetter, die fih in ber angenehmen Abwechfelung 
zwifchen Regen und Schnee, Hagel und Froft gefallen. Es gibt 
aber audy wieder andere, welche ald Borboten des Frühlings ein 
füßes Gefiht machen, welche Blumen und Gräfer verführen, ihre 
Köpfe neugierig emporzuftreden, und welche die Lerchen veranlafien, 
jubilirend in die Höhe zu eigen, als fei es Mat und Juni und 
niemals Winter gewefen. 

So gelaunt war der April, in welchem wir uns erlauben, in 
Verlauf unferer Abentener den Leſer in eine herrliche Gegend zu 
führen, wo an den grünen Ufern des Rheines ſich am Fuß dunkler, 
feiler Feljen ein Städtchen Hinfchmiegt, ein Städtchen von wenig 
neuen Häufern und vielen alten, mit fpipen Giebeldächern, feltfam 
geformten Schornfteinen und weiten Einfahrten, die für das jegige 
Leben nicht recht mehr zu paſſen fcheinen. Rings herum laufen 
Mauern, tbeild gut erhalten, mit Zinnen verfehen, theild einges 
fürzt und fi alddann nur wenige Fuß über den Boden erheben. 
Diefe Manern umfangen das Städtchen wie mit einem fleinernen 
Gürtel, und da fie Hinter den Häufern zufammen laufen und fid 
zu einem alten Schlofie, das droben auf der Bergwand liegt, bins 
aufzuziehen, fo ſieht es gerade aus, als fei es eine Zierde, welche 
die alte Ruine droben am zwei gewaltigen fteinernen Ketten recht 
tofett in-das Thal herabhangen laſſe. 

Die Schloßruine ift von ziemlihem Umfange, aber Alles au 
derfelben bunt und malerifch über einander geftürzt. Thürme, von 
der Gewalt des Pulvers gefprengt und von Alter gefchwärzt, bes 
ſtehen nur noch aus großen Steinbroden, durch uralten Mörtel und 


56 Sechstes Kapitel. 


Kalk verbunden. Die Gräben find ausgefüllt mit dem Schutt Der 
Mauern, und von den Echloßgebäuden, die hier exiftirt haben, 
fteht nur noch ein einziger hoher Giebel, der vor dem Falle durch 
eine riefenhafte Eiche gefchägt tft, welche unter feinem Schuße empor⸗ 
gewachfen, nun ihm wieder ald Schug und Stüge dient. Dazwi— 
fchen wuchert überall Strauchwerf, Unfraut und Gpheu, welch letzte⸗ 
red in langen Linien über die Steinhaufen zieht und fich bier und 
da an einem noch ftehen gebliebenen Mauerwerk emporranft. 

Nach dem Städtchen, dem Rheine zu, fällt die Bergwand ziem— 
fich fteil ab, und iſt bier wenig von ehemaliger Fortification zu 
fehen ; nach dem Lande zu aber, das faft eben bis zu den Thoren 


des Schlofjes Liegt, find die oben erwähnten früher tiefen Gräben, 


fowie Ueberrefte von Brüdenpfeilern, ein Stüd Thorbogen und 
neben demfelben ein ziemlich erhaltenes Gewölbe, das man reſtau⸗ 
rirt Hatte, indem man es mit einem einzigen Meinen Fenfter verfehen, 
fowie mit einer Thür, die man fogar verriegeln konnte. Wegen 
des fchönen Wetterd aber, von dem wir vorbin fprachen, fteht diefe 
Thür weit offen und zeigt ein ziemlich kahles Gemach, dunkle 
Steinwände, an denen als einzige Verzierung eine fhlechte Litho⸗ 
graphie prangt, die einen Mann vorftellt, auf dem Kopfe einen 
Schlapphut mit großer Feder, angetban mit einer Bloufe, an den 
Füßen WBafleritiefel mit dicken Sohlen, einen Säbel an der Seite, 
Piftolen und Dolch im Gürtel. An Möbeln find bier ein Tiſch 
und einige Stühle vorhanden. 

Obgleich glänzender Sonnenfchein auf Berg und Thal lag und 
die erwachte Natur tief im Frieden athmete, ſah man doch auf dem 
freien Plage vor der Ruine und jenen alten Gewölbe feltfame 
. Priegerifche Vorkehrungen. Da befanden fi Leute in Gruppen 
von acht bi zehn Mann, die von anderen Leuten geplagt wurden, 
jene zierlihen Wendungen zu machen, welhe man Liuks⸗ und 
Rechtsum nennt. Da waren Andere, die fich verzweifelte Mühe 
gaben, ſich gerade zu ftreden, die Bruft heraus und den Baud) 





Eine Bürgerwehr Wachtſtube. 57 


hinein zu drüden, die Nafe fehr hoch zu halten und frampfhaft ein 
Gewehr zu fafien, das ihren Bewegungen fo gar nicht gehorchen zu 
wollen fchien. Es war dies eine eigenthümliche Spielerei, die aber 
mit großem Ernſt und mit feltener Gutmüthigkeit betrieben wurde, 
mit einer Gntmüthigfeit, welche das vortrefflichfte Zeugniß ablegte 
von dem guten fameradfchaftlichen Verhältnig, in dem Commandi⸗ 
vende und Commandirte zu einander ftanden. Man fah den guten 
Billen an den entjeglich geſtreckten Beinen, an der furchtbar heraus⸗ 
gedrädten Bruft, an der Höhlung, die hiedurch hinten auf dem 
Rücken entftand, fowie namentlich an den Schweißtropfen, die zahls 
teih von den Gefichtern der Betheiligten herab floſſen. Aber troß 
allen diefen Leiden bemerkte man auch deutlich eine ungeheure Ges 
nugthuung in den Mienen diefer alten Refruten, das Bewußtiein, 
für eine wichtige Sache zu exerciren, und dazu die freudige Hoff 
nung, morgen vielleicht felbft nach freier Wahl ald Commandirender 
dort zu ſtehen. Diefe Ausſicht ließ auch eine firenge Disciplin 
nicht zur gehörigen Reife gedeihen. Wohl fuhr bie und da einer 
der Exercirmeifter mit einem gutgemeinten „Kreugdonnerwetter“ 
dazwifchen, Doch Hatte diefer Ausdruck oftmals nur den einzigen 
Erfolg, daß der alſo Angeredete im Gliede den Kopf herumdrebte 
und leicht erwiderte: „Dös Schimpfen könne Se fich verfpare, Herr 
Rottemöfter!“ 
Das ging denn fo eine Zeit lang fort, dann aber nahın das 
Exerciren für heute, wie Alles auf diefer Welt, ein Ende, worauf 
die vierzig Mann, die diefes Gefchäft betrieben hatten, eine impo⸗ 
ſante Macht bildend, als Bataillon in einer Linie mit zwei Glies 
dern aufmarfchirten. Ungefähr zwölf Offiziere und Unteroffiziere 
vertheilten fich zwifchen und hinter der Front, und ein junger Mann 
von etwa fechsunddreißig Jahren mit großem, blondem Bart, 
Schlapphut und Hahnenfeder, ftellte fich ald Major vor der Front 
auf, zu feinen beiden Seiten zwei Hauptleute ohne Compagnieen 


58 Sechstes Kapitel. 


und hinter dieſen zwei Adjutanten, natürlicher Weife unberitten, 
aber mit vielverfprechenden Sporen an den Abfäpen. 

„Bataillon — ftillgeftanden !“ 

Das Bataillon rührte fih nicht, d. h. es ließ troß dieſes 
Commando Wortes Feine Aenderung in dem harmlofen Natur⸗Zu⸗ 
ftande eintreten, in welchem es fi) vorher ſchon befunden. Dort 
tagte fih Einer am Kopfe, bier Einer anderdwo; Der nahm das 
Gewehr auf die rechte Schulter, weil ihn die linke fchmerzte, Jener 
Hatte es fogar bei Fuß geftellt, da er im Augenblide beichäftigt 
war, feine Nafe zu pußen. 

Der Major vor der Front überihaute das Bataillon mit 
Wohlgefallen; er blidte die beiden Hauptleute an, ald wollte er 
fagen: Seht hin umd erflaunt. Dann rüdte er den Hut noch etwas 
weiter auf das rechte Ohr, legte die Hände auf dem Rüden zufam- 
men und fprah: „Bürger und Wehrmänner! Der lobenswerthe 
Eifer, mit: welchem ihr die Musfete in die Hand nahmet und euch 
in Reih' und Glied ftelltet, um einer verwilderten Soldateäfa zu 
zeigen, daß der freie Mann in wenig Tagen das erlernt, wozu der 
Geknechtete Jahre braucht, ift, wie wir alle.fehen, von beſtem Er- 
folge gekrönt worden. Ihr fteht da, obgleich an Zahl gering, doch 
eine Achtung gebietende Macht, eine Hand voll Sirieger, mit der 
ich, euer Major, unter dem Bewußtfein der gerechten Sache, gegen 
ein ganzes Regiment Söldner mich aufzuftellen anheiſchig machen 
würde. Es lebe das Bataillon!“ 

„Hoch!“ fchrieen die vierzig Mann. 

„Es lebe der Herr Major!” riefen die beiden Hauptleute. 

„Hoch!“ antwortete das Bataillon. 

„&8 leben die Hauptleute!“ ſchrie der Major. 

„Hoch!“ 

„Es leben die Lieutenants und Uuteroffiziere!“ rief nun der 
Flügelmann. 

„Hoch!“ ſchrieen der Major die Hauptleute und die übrige 





Eine Bürgerwehr-Wadtftube. 59 


Mannfchaft, wobei der Heine Tambour auf feiner Trommel wirbelte 
und lauter als alle Uebrigen ſchrie, bi8 er braun und blau im Ges 
fit wurde. 

„Bürger und Wehrmänner!“ fuhr Hierauf der Major fort, 
„es liegt und heute noch die Pflicht ob, ftellvertretende dritte und 
vierte Hauptleute, einen Batatillons-Schreiber und zwei Feldwebel 
zu erwählen. Hierzu iſt heute Abend Verſammlung im Grünen 
Baum.” 

„Sehr gute und billige Weine,“ fchallte eine tiefe Stimme, 
die dem Wirthe zum Grünen Banm angehörte, aus dem Bataillon. 

— „Bir find jegt fertig,“ nahm wieder der Major das Wort, 
„das Bataillon kann in die Quartiere zurücktreten; nur wünſchte 
ih, daß die zweite Compagnie noch ein wenig Wachtdienft übte 
und einen Unteroffizier und drei Mann hergäbe zu der jo nothwen- 
dig befundenen Beſetzung des alten Schloſſes. 

„Aber, Herr Major,“ Tieß fich eine Stimme aus dem Bataillon 
vernehmen, „ich glaube, wir könnten das alte Schloß ohne Wache 
laſſen. Da trägt und Niemand einen Stein weg.” 

„Die Landes-Vertheidigungs⸗-Commiſſion,“ verfeßte würdevoll 
der Commandant, „hat den Befehl gegeben, und diefer Befehl iſt 
nicht ohne Grund. Irgend ein Feind fünnte ſich des alten Schlofies 
bemächtigen, ſich da feſtſetzen und fo unfere freie und getreue Stadt 
dominieren.“ 

„Ah, gehen Sie doch, Herr Major!” ließ fi eine andere 
Stimme vernehmen: „dad glauben Sie ja felbft nicht. Ich für 
meine Berfon habe auch feine Zeit, heute Wache zu ſtehen.“ 

„Ich auch nicht! — Ih auch nicht!” ſchrie ein Dupend alt 
derer Stimmen. 

Und die Hauptleute und Lieutenants zuckten die Achjeln. 

„Es wäre am beften,“ flüfterte einer der Adjutanten feinem 
Chef zu, „daß man, wie auch geftern, Freiwillige zur Wache auf 


60 Sechstes Kapitel, 


tiefe. Es ift viel im Felde und in den Weinbergen zu thun: wenn 
wir fireng find, fo fpielen die Leute morgen nicht mehr mit.“ 

„Meinetwegen!” entgegnete der Major. „Alfo Freiwillige zur 
Wache vor! Ein Unteroffizier oder Gefreiter mit drei Mann!“ 

„Meifter Kaspar! Meifter Kaspar!“ fchrie es durch die Reihen 
des Bataillons. 

„Wird man von der BatatllondsKaffe verköftigt?“ fragte eine 
feine Stimme aus der hinterften Neihe des Tinten Flügels. 

„Das verfteht fih von felbft,“ antwortete der Major. „Es 
wird das gehalten wie immer — aus der Kriegs-Kaſſe.“ 

„Dann Tafte ich mir's gefallen!” erwiderte die feine Stimme. 
Und der Träger derfelben, ein Heiner, etwas gebrechliher Mann, 
wand fich durch die Reihen des Bataillons und trat vor die Front. 

Dies war Meifter Kaspar, feines Zeichens ein Schneider. Doch 
war ihm der Patriotismus in das Gefchäft gefchlagen, und feine 
Kunden, obgleich fehr zufrieden mit feinen hochherzigen und edlen 
Gefinnungen, waren ed nicht mit den langen Stichen feiner Nähte 
und wandten in ihrer Engberzigfeit ihre Kundfchaft einem reactio- 
nären Collegen zu, während aber ihr Herz warm und brüderlich für 
Meifter Kaspar zu ſchlagen fortfuhr. 

Die Folge hiervon war, dag Meifter Kaspar nach und nad 
verlumpte, und dadurch entwidelte fich bei ihm ein immer größerer 
Patriotismus, ja eine wahre Blutgier, weßhalb er denn auch geru 
die Wache im alten Schlofje bezog, auf einen Feind hoffend, der 
fih ihm zur Vernichtung entgegen ftellen werde. 

Die noch fehlenden drei Mann zur Wache wurden aus dem 
Heinen Tambour refrutirt, aus dem Kuhhirten-Subftituten, der zu 
gleicher Zeit fein Vieh und einen zu erwartenden Zeind beauflichti- 
gen konnte, und endlich aus einem Schreiber-Gehülfen des Notare, 
der augenblidlich nichts zu thun hatte und das Wachtbuch beforgen 
jollte, wofür er nicht auf Poften zu ziehen brauchte, 

So war diefer Landesiheil vor Ueberfall vollkommen gefchügt 


Eine Bürgerwehr-⸗Wachtſtube. 61 


und der Major fchidte fein Bataillon beruhigt nah dem Städts 
hen zurück. Das Gewehr wurde gefchultert, die Arme brüders 
ih verfchränft, und fo zogen fie hinab in fanger Linie, eine 
Sahne voran, und fangen; 


Gebt nur eure rothen NRäubermäntel ber; 

Das gibt rothe Hofen für ein freies Heer. 

Wir brauchen keine Fürften und feinen Adel mehr: — 
Alles ſei verfchmolzen zu einem freien Heer. 


Se mehr fih der Lärm ind Thal hinab zog, defto ruhiger 
wurde es droben auf der Schloßruine. Meifter Kaspar zog fi 
mit dem jungen Schreiber in. das Gewölbe zurüd, der Tambour 
tremulirte melancholifch auf feiner Trommel, und der junge Kubs 
birt hatte auf einem Meinen Borfprunge, wo er weit in das Land 
hinein fehen konnte, den Poften bezogen. In der Hand hatte er 
die Muskete, und gg unterfuchte forgfältig Die Schärfe des Bayonnets. 

Parole war: Frankfurt am Main! das Feldgefchrei: Halt oder 
ſtirb! 


Siebentes Kapitel. 


Der Packmeiſter Doſe zieht ruhig feines Weges, wird aber für ein ganzes Armee⸗Corpée 
gehalten und veranlagt einen fürdhterlichen Alarm. 


Mittlerweile hatte es ſich gefügt, daß der Wnteroffizier Dofe 
den Packwagen, in dem er zwei Nächte und einen Tag gefahren 
war, verließ und des fihönen Wetters halber, auch weil die Fahr⸗ 
frage beftändig im Zickzack bergauf und bergab Tief, zu Fuß feinen 
Veg fortfepte, um, das Land fo gerade wie möglich durchfchneidend, 
defto eher die Ufer des Rheines zu erreichen. Er wandelte fo im 


62 Siebentes Kapitel, 


Sonnenglange dahin, voll fchöner Hoffnungen, voll fühner Plane 
für die Zukunft. Seit er unterweges war, hatte er es für noth— 
wendig gefunden, fich ernftlich mit politifcher Literatur zu beichäfe 
tigen, und fah nun, daß im Baterlande, noch mehr aber in den 
Nachbarſtaaten deſſelben fi Manches veränderte, 

Nicht ein einziges Mal befchlich ihn der Gedanke, es fei dody 
vielleiht von einem fo alten Menfchen Teichtfinnig, eine geficherte 
Griftenz verlafien zu haben, um auf's Gerathewohl zu feiner Bat⸗ 
terie zurück zu kehren, ungewiß, ob dort ein Plag für ihn offen 
fei oder nicht. — Aber zurüdgewiefen konnte Feodor Dofe nicht 
werden, deſſen war er feft überzeugt. Ihm graute nur vor dem 
Gedanken, dag man ihn vielleicht einer Munitiond«Colonne oder 
einer Fuß⸗Batterie zutheilen könnte, — Einer Fuß-Batterie! Der 
Gedanke allein machte ihn nachfinnend und verdüjterte auf einen 
Augenbli fein Gemüth. Er follte den Schleppfäbel ablegen und 
die Gartouche, er follte Leute commandiren .mit weißleinenen Hofen 
ftatt dem glänzenden Lederbefaß, Fuhrleute mit Käfemefjern an der 
Seite?! — O nein! So hart würde ihn das Schickſal nicht 
beftrafen. Er hatte von jeher gegen dad Marfchiren eine Antipathie 
gefühlt, und fein heutiger ziemlich langer Spaziergang über endlofe 
Haiden und Felder war nicht im Stande, Diefelbe zu vermindern. 

Man hatte ihm am Morgen gejagt, bei rüftigem Ausfchreiten 
werde er zu guter Zeit Nachmittags den Rhein erreichen, um ald- 
dann auf einem Dampfboote bequem weiter hinab fahren zu können, 
und obgleich er fehr große Schritte gemacht, auch zur Mittagsftunde 
nur ein wenig geraftet, fo begann ſich doc fehon die Sonne zu 
fenten, und er fah noch immer nichts vor fih, als eine weite, 
wellenförmige Ebene. Wenn’ ed möglich gewefen wäre, daß Doſe's 
Muth fih hätte vermindern können, fo wäre das vielleicht gefchehen. 
Aber unverdrofien fehritt er darauf 108 — und fo mochte es vier 
Ahr Nachmittags geworden fein, als er einem Bauer begegnete, 


Dofe wird für ein Armee⸗Corps gehalten. 63 


der ihm auf fein Befragen einen dunklen Streifen am Horizont 
zeigte, das Ziel feiner Wünfche — das erfehnte Rheinthal. 

Nachdem Dofe noch eine halbe Stunde weiter gewandert war, 
fo daß er in der That erkennen konnte, vor ihm erleide das biöher 
einförmige Terrain eine Wuterbrehung durch Zelfen, Wald und 
Schluchten, als er ferner zu feiner unausfprechlichen Freude gerade 
vor fih die Ruine eines alten Schloſſes entdedte, das Wahrzeichen⸗ 
des romantijchen Nheinftromes, da ſchwoll fein Herz an, von einer 
unausfprechlichen Freude erfüllt. Vergeſſen war der langweilige 
Poftdienft mit Paketen, Adreſſen und Deklarationen, vergefien jenes 
einfame Grenzſtädtchen, verblichen die Bilder all der Bad» und 
Poftwagen, und alte, füße Erinnerungen fliegen in feiner Bruft 
empor; er fah in feinem Geifte die Rheinſtädte, die er Iuftig und 
wohlgemuth durchzogen, er fah den Wein im grünen Römer blinten, 
vor feinem Ohre vorbei klirrte und rafjelte die alte Batterie, die 
Pferde ſchnaubten und fchüttelten fi), in den engen Gaſſen dröhnten 
die fhweren Stüde auf dem Pflafter, neugierige Mädchengefichter 
bieten aus alten, grauen Häufern vor, er felbit — Dofe, der 
Gefhüpführer, hatte ftolz die rechte Hand auf die Hüfte geftemmt 
und zog ein wie ein römifcher Zriumphator, während die Kanoniere 
fangen: 

Friedrich Wilhelm fap im Wagen, 

Zog mit und in's Feld, 

Ueber fieben Jahr wollen wir Frankreich fchlagen, 
Zuftig und fröhlich fein, Juchhe! 

Zuftig und fröhlich fein. 

Diefe Erinnerungen überwältigten den langen Feodor; er ließ 
fi am Rande eines Meinen Grabens nieder, und da er ſich dabei 
zufällig auf etwas Hartes feßte, fo erinnerte er fich feiner Gedichte, 
die er in die Taſche geſteckt hatte, zog fie hervor und lad mit 
Begierde, zum Gott weiß wie vielten Male, fein vortreffliches, nie 
genug gewürdigtes Gedicht: Auf der Want. 


64 Siebentes Kapitel. 


Während Dofe fo, Halb Tiegend halb fißend, in feiner Ber: 
gangenheit wählte, faß ihm auf einer Entfernung von einer halben 
Stunde der Poften der alten Schloßruine gegenüber und befchäftigte 
fi) fehr mit der Gegenwart. Diesmal war der kleine Tambour 
aufgezogen und verzehrte, die Trommel neben ih, ein großes Stüd 
Brod mit Käfe. Dabei hielt er fcharfen Lugaus, und fo fam es 
denn, daß er, von der Sonne begänftigt, endlich die glänzenden 
Sendpfe von Dofe’3 Uniform entdeckte. Der Tambour ſchrak ordent⸗ 
lich zufammen, da nahm er feine Trommel auf, ſchlug einen Heinen 
Wirbel, worauf augenblidiih der Wacht⸗Commandant erfchien mit 
dem Schreiber und dem Kuhhirten. 

Richtig, ed Tieß fi nicht läugnen, daß fih dort über die 
Ebene heran etwas Verbächtiges bewege. Meifter Kaspar, der früher 
viel in Uniformen gearbeitet, ftrengte feine Augen übermäßig an, 
dann erbleichte er gelinde, machte mit der Hand ein Zeichen zum 
Stillſchweigen, und fagte: „Artillerie!“ Doch erholte ſich der 
Schneider bald wieder von feiner erften Beſtürzung und traf feine 
Anftalten wie ein Eluger Feldherr. Der Lauerpoften wurde in das 
Gemäner zurüdgezogen, der Schreiber verfaßte einen Beriht an 
das General⸗Commando drunten im Städtchen, und der Gehülfe 
des Kuhhirten wurde beauftragt, dieſe Depefche in der ſchnellſten 
Gangart dem Eommandirenden zu überbringen. 

Der Bericht Tautete ungefähr: „Schloß Steined, am 4. April. 
Auf Poften His vor wenigen Augenbliden nichts Neues, gegenwärtig 
aber Entdedung eines verdächtigen Feindes, der gegen und heran 
zieht. Zahl und Stärke find unmöglich anzugeben, da fich bis jept 
erft die Vorpoften entwidelt haben. Der unterzeichnete Wacht⸗Com⸗ 
mandant Hat fih aber durch den Augenfchein überzeugt, dag fi 
bei dem heranziehbenden Armee⸗Corps auch Artillerie befindet.“ 

Wir müſſen gefteben, daß der Kuhhirt Diefe Depefche zitternd 
dem Major überbrachte, dag der Major fie bebend lad, daß bie 
Hauptleute fchauderten, und daß fämmtliche Lieutenants einen wehs 





Dofe wird für ein Armeecorpsd gehalten. 65 


müthigen Blick gegen den blauen Abendhimmel richteten, einen 
Blick, in dem deutlich zu lefen war: „Herr, dein Wille geſchehe!“ 

Darauf wirbelte der ältere Zambour dumpf und gebeimnipvoll 
dad Zeichen zum Appel dur die Straßen des Städtdiend, auf 
welche fih Schon die Abendichatten niederließen. Das Bataillon 
trat nicht vollzählig zufammenz aber durch die Reihen deijelben 
ging die Schredensfunde von dem, was droben geichehen. Man 
geftand ſich achfelzudend, daß Meifter Kaspar jept fchon viele Chan⸗ 
cen babe, für das Vaterland gefallen zu fein; man ftedte die 
Köpfe zufammen und befchloß, dem Feinde, der mit fo großer 
Uebermacht daher fomme, fpähend entgegen zu geben, und dieſes 
Gefhäft follte von dem Major und den Hauptlenten in eigener 
Perfon vollführt werden. Hiermit war die übrige Mannfchaft voll 
kommen zufrieden, befhloß aber, auf alle Fälle beiſammen zu Diet 
ben, erwählte den Grünen Baum zum Hauptquartier und ver 
Ihanzte fih dort — — hinter Flafchen und Gläfer. 

Der Major und die beiden Hauptleute fliegen den Schloßherg 
hinan, und es war, als feien fie von einem gleichen Gefühle be— 
feelt, denn fie nahmen ftillichweigend die rothen Federn von ihren 
Hüten, ftedten die gleichfarbigen Schärpen forgfältig in die Tafche, 
und nahmen den bid daher fo martialifch umgefchnallten Degen 
feiht in die Hand, wie eine Sache, deren man fich bei vorkom⸗ 
mender Gelegenheit zu entledigen veranlagt fehen könnte. 

Der Wacht-Commandant droben hatte feine beiden Untergebe- 
nen zu fih in die Wachtftube genommen und fi darin verfchanzt 
fo gut wie möglich, den Tiſch vor die Thüre gerüdt, Bänke und 
Stühle darauf geftellt, vor allen Dingen aber die Lithographie von 
der Band entfernt, welche jenen wildausfehenden Mann mit dem 
großen Bart und Hut vorftellte. Es war von Meifter Kaspar 
nicht vorfichtig, fi fo der Gefahr bloß zu Stellen, im eigenen Haufe 
gefangen zu werden. Doch war der Moment zu überwältigend für 

Hadländers Werte. V. 5 


66 Siebentesd Kapitel. 


ihn ; er verlor feine gewöhnliche Umficht, er verläugnete in dieſem 
Augenblide ganz und gar fein Feldherrn⸗Talent. Der Schreiber: 
gehülfe ward in eine fchießfchartenähnliche Oeffnung geftellt, die fid 
neben dem Gingange befand, der Tambour an das einzige Zenfter 
ded Gewölbes, durch weiches man hinab auf den Rhein und das 
Städtchen fehen konnte. Der Erfte follte den anrüdenden Feind 
beobachten, der Zweite nach der fehnlichft erwarteten Hülfe aus⸗ 
fpähen. Beide fahen aber längere Zeit gar nichts; nur hörte der 
Zambour mit feinem geübten Ohr drunten einen leichten Trommel- 
wirbel, dann aber war und blich Alles ftill. Kein Waffengeklirr 
erfrente das Herz der Belagerten, keine muthigen Stimmen den 
Berg Heranfteigender, Stimmen ihrer Freunde, ihnen Troft und 
Hülfe bringend. 

Der Schreiber hatte fein Auge feſt an die Schiepicharte gelegt 
und bielt feine Hände auf dem Rüden. Auf einmal fing er an, 
mit den Armen wie ein Telegraph zu arbeiten ; auch fpreizte er Die | 
Finger weit von einander und jchloß fie frampfhaft wieder zus: 
fanınten. 

„Heh!“ Tagte der Wacht-Kommandant. 

„Sr kommt,” flüfterte der Zauerpoften. 

„Und keine Hülfe!“ rief der unglüdliche Schneider. — „Bat 
fehen Sie?“ | 

„Keine hundert Schritte von bier find ihre Tirailleurs; gerade 
vor mir ift einer, der ohne viel Befinnens direkt auf uns zu ſchrei⸗ 
tet; wenn ich nicht irre, trägt ex das Gewehr in der Hand, wie 
einen Spazierftod.” 

„Vielleicht entdeckt er unfern Aufenthaltsort nicht,” meinte der 
Warht-Commandant. „Und gewiß, fo wird es fein. Der Zeind 
wird feine Befagung in dem alten Schlofje vermuthen und ruhig 
den Weg nach der Stadt verfolgen. Wer weiß,” fegte er mit 

fänbigem Herzen hinzu, „vielleicht iſt e8 gerade unfer Glüd, daß 





Dofe wird für ein Armeecorps gehalten. 67 


wir und bier oben fo blodgeftellt befinden: wir werden überfehen 
und nicht mitgefangen und mitgehangen.“ 


Aber das Scidfal wollte es anderd. Die Geftalt draußen, 
die der LZauerpoften für ein Stüd feindlicher Tirailleurkette hielt, 
war Dofe, der mit dem beruhigtiten Gemüth auf die Ruine aufchritt, 
einzig in der Abficht, bei derfelben vielleicht einen Weg zu finden, 
der ihn zur Stadt hinabführe. Obgleich er fich dicht vor der Wacht⸗ 
Hubenthüre befand, fo war ed doch bereits zu dunkel, um etwas 
dergleichen erfennen zu können. Da ftieg der unglüdfelige Tambour 
von feinem Fenfter herab, um ebenfalld nach dem Feinde zu ſpähen, 
und vergaß feine Trommel, die er hinter fich auf den Boden gelegt. 
Sr ftolperte jo heftig darüber hin, daß er mit dem Bauch auf die 
Rundung fiel, vorn das Webergewicht erhielt und nun durch fein 
eigened Inftrument wie durd eine Walze fo unaufhaltfam vorwärts 
gerollt wurde, daß er, mit unwiderftehlicher Gewalt zwifchen bie 
Beine des Wacht⸗Commandanten getrieben, auch den Meifter Kaspar 
zu Zall brachte, was alles zufammen einen feltfamen. und unerbörten 
Spektakel verurfachte. 

Dofe blieb augenblidlich flehen und horchte. So gefund feine 

Phantafie war und jo muthig fein Herz, fo flußte er doch über 
diefe feltfamen Töne, trat aber dennoch ein paar Schritte näher 
und fam nun fo dicht an das Gewölbe heran, daß er die Thüre 
an demjelben entdedte. 
Das alles fah der Schreiber drinnen an feiner Schießfiharte. 
Er bemerkte, wie der Feind einen Angenblick im Begriffe war, 
wieder umzukehren. Aber aud nur einen Augenblid. Im nächften 
Iprang der Lauerpoſten bis an die entgegengefepte Wand des Ge- 
maches; dann ertönten langfam und feierlich drei heftige Schläge 
an die Thüre. 

„Es tft Alles vorbei!” fagte Meifter Kaspar, indem er rathlos 
um ſich ſchaute. „Wir haben und lange genug gehalten. Was 


68 Etiebentes Kapitel. 


Hilft alle fernere Gegenwehr? Ich muß das Schloß übergeben. 
Tambour, fchieb den Riegel zurück!“ 

Dies geihah, und dann wurde die Thüre von außen langfam 
aufgedrüdt, worauf die Wachthabenden einen fehr langen Mann 
vor derjelben bemerften, der fich aber hütete, in das dunkle Gemach 
einzutreten. 

„Wer tit da 2” rief Der draußen. 

„Bine fchwache Beſatzung,“ antwortete Meiiter Kaspar. „Nur 
dret armfelige Mann, die fi) aber ein wahred Vergnügen daraus 
machen, vor einen fo tapferen Feinde das Gewehr zu ftreden.“ 

„Was Befapung? Was Gewehr ftreden ?” ſagte der Andere. 
„Ih glaube, meine Herren da drinnen, ed wäre am aflerbeiten, 
wenn Sie ein wenig Licht machten, daß wir im Stande wären, 
uns gegenfeitia anzufhauen.“ 

„Der Befiegte muß den Sieger gehorchen,“ dachte Meiiter 
Kaspar und nahm aus feiner Weitentafche ein Streihhölschen, rieb 
es auf feinem fadenfcheinigen Beinfleid, zündete dann eine Talg— 
ferze an und beleuchtete fo das Gemach. 

„Gi der Tauſend!“ verfegte Dofe fonderbar lächelnd, ale er 
die drei Geſtalten bemerkte. „Iſt das bier vielleicht eine Räuber: 
höhle?“ — Er hätte fih wahrhaftig glücklich gefhäpt, wenn es io 
gewefen wäre. Denn mit welchen Gedichten würde er in einem 
ſolchen alle fein Manufeript bereichert haben! Aber fchon im 
nächſten Augenblicke klärte fih auf, wen er vor fih habe, und ber 
ehemalige Unteroffizier trat lachend und wohlgemuth in die Wacht⸗ 
ftube. 

Die Barrifade, aus Tifchen und Stühlen beftehend, die beim 
Deffnen der Thüre leicht bei Seite geichoben worden war, wurde 
jept hinmweggeräumt. Doſe ließ fih auf einen der Stühle nieder, 
wobei er aber ein gewaltiged Stüd Holz, das ihm zum Spazierftod 
diente, zwifchen die Beine nahm. 

Hatte fih der Schneider ſchon vorhin gewundert, daß fich der 





| Dofe wird für ein Armeecorps gehalten. 69 


Sieger fo rubig niederließ, fo ftieg fein Erftaunen aufs Höchſte, 
als ibn Dofe nun fragte, wie weit es zur Stadt hinab fei und 
ob fi) dort ein guted Gaſthaus befinde. Sa, fein Erflaunen vers 
wandelte fih langfam in Verwunderung, als ihm der Schreiber- 
gehülfe meldete, man fehe vom Feinde nichts mehr, und diefe Vers 
wunderung wurde zu einem leichten Anfluge von Muth, als ihm 
der Zambour in's Ohr flüfterte, er höre Leute den Berg herauf 
fleigen. 

„Baht! eine Räuberhöhle!“ ſagte Meiiter Kaspar, indem er 
fh langfaın nad) dem Eingange zurüdgog: „iehen wir vielleicht 
wie Räuber aus? ES tft in der That weit verbächtiger” — dabei 
hatte er die Thüre erreicht, — „wenn man fo allein im Lande 
berumftreicht,, freilich ohne Waffen, aber mit verdbächtigen Knoten⸗ 
Röden in der Hand.“ 

Dofe, in der Arglofigkeit feines Herzens, verficherte, ihn nicht 
zu verſtehen, und wandte fih nun an den Kleinen Tambour, um 
die gewünfchte Auskunft zu erhalten. Doc, entfchlüpfte ihm diefer 
ebenjo, wie der Wacht⸗-Commandant, nicht ohne feine Trommel mit» 
zunehmen. Ihnen folgte behende der junge Schreiber, und alle 
drei zogen fih etwas von dem Gewölbe zurüd den Schritten ente 
gegen, die man jeßt deutlich ankommen hörte. 

63 waren der Major, die Hanptleute und Lieutenants. Mei⸗ 
fer Kaspar, der immer noch etwas fchwer athmete, meldete mit 
großer Geläufigkeit, wie er einen Hinterhalt gelegt habe und wie er 
vermittelft defjelben einen wahrjcheinlid zu weit vorgefhobenen 
Poſten glüdlich eingefangen. 

„Wie ſtark ift diefer Poften ?” fragte ängftlich der Major. 

„Sreilih nur ein einziger Mann,” entgegnete der tapfere 
Schneider, „der aber bei feiner Körperlänge für drei gelten könnte.” 

„Ein einziger?" fagte der Major mit viel lauterer Stimme, 
worauf die Hauptleute „Hm! hm!“ machten und die Lieutenants 
fh ziemlich laut räufperten. Ueberdies war es merfnürbig, ja, 


— 


70 Achtes Kapitel, 


rührend anzufehen, wie dieſe Tapferen in feltener Uebereinſtimmung 
bandelten. Denn kaum hatte der Wachthabende feinen Bericht ges 
endigt, fo wurden, wie auf Commando, die Säbel wieder feiter 
gefhnaflt, Die Schärpen umgelegt, und ftolz flatterten abermals die 
rothgefärbten Hahnenfedern von den grauen Schlapphüten, 


Achtes Kapitel. 


Enthält fehr viel Lehrreichee über das Fraterniſiren, fowie das politifhe Glaubensbekenntniß 
des ehemaligen Unteroffljierd Dofe, artig in ein Gleichniß gekleidet. 


Wie wir dem geneigten Lefer ſchon im vorigen Kapitel berich- 
teten, hatte fi) Dofe, feit er den Poſtdienſt verlafien, fo viel ale 
möglih mit Politik beichäftigt, und da er nachgeholt, was er bis 
jegt verfäumt, fo wußte er nun ganz genau, weldhes Gewand. in 
Frankreich Mode geworden und wie fehr man fi in Deutfchland 
bemühte, die alten, ehrwürdigen Kleider nach jenem Schnitte ums 
ändern zu laſſen. Ferner hatte er einen ſchwachen Begriff von den 
Wünfchen des Volkes und eine dunkle, aber fehr traurige Idee von 
der Bürgerwehr. 

So ſaß er da in der Wachtſtube des alten Schloſſes, allein 
gelaſſen von den Bewohnern, und war als feinfühlender Mann 
ſchon im Begriffe, aufzuſtehen und ſich zu entfernen, als er mit 
Einemmal Waffengeklirr vernahm und vor feinen Augen eine Ges 
ſellſchaft auftauchen fah in für ihn unerkläͤtlichen und nicht zu be 
greifenden Anzügen. 

Der Major hatte feine ganze Faffung wieder gewonnen, warf 
ſich in die Bruft, fah den Unteroffizier fharf, ja, drobend an und 
jagte: „Mein Freund, woher des Weges?“ 

Dofe fchaute verwundert um ſich, grüßte aber deſſen ungead) 





Biel Lehrreiches über das Fraternifiren. 71 


tet militäriſch und entgegnete: „Ich habe geglaubt, nicht ſehr weit 
von C. entfernt zu ſein. Sollte ich aber zufällig in ein fremdes 
Land gerathen fein? Ich muß dies vorausſetzen, da ich die Herrn 
vor mir in Uniformen ſehe, die mir durchaus nicht bekannt find.“ 

„Aber wir kennen die Ihrige,“ gab der Major würdevoll zur 
Antwort und bob die Nafe in die Hübe. 

„Das will ich meinen und hoffe e8!“ verſetzte Dofe mit leuch- 
tendem Blick. „Iſt fie doch genug befannt, meine Uniform, könig⸗ 
lihe Artillerte, fiebente Brigade, der Rod meined Herrn und Kö⸗ 
nigs — Gott foll ihn erhalten! Aber,“ fegte er treuherzig lächelnd 
Hinzu, nehmen Sie mir nicht übel, das Gefchmud, das Sie tragen, 
it mir, wie gefagt, völlig unbelannt. Habe ich vielleicht die Ehre, 
eine Schügen-Compagnie vor mir zu fehen?“ 

„Bürgerwehr!“ ſprach ftolz der Major. Und die Lientenants 
hinter ihm hoben fi in die Höhe, um den vorwißigen Prager 
anfhauen zu können. „Bürgerwehr!” wiederholte der Comman⸗ 
dant, „und ich, der Major, frage deßhalb, wer Sie find und wo- 
ber Sie kommen. — Bielleiht Deſerteur?“ ſetzte er mit lauerndem 
Blicke hinzu. 

„Deferteur!“ wiederholte Feodor Dofe und erhob fi halb 
vom Stuhl, während er mit feiner Hand den flarfen Anotenftod 
jet umihloß. „Bürgerwehrmann, nehmen Ste fih in Acht! Ic 
muß geitehben, daß ich große Luſt in mir verfpüre, Sie für dieſe 
Beleidigung auf die fihöne rothe Feder zu fchlagen, mit Abficht 
nur auf die Feder; wenn ich zufälliger Weile etwas tiefer treffe, 
fann ich nicht dafür. — Deferteur!?“ 

„Sie brauchen fi) deßhalb nicht zu ereifern,“ verfeßte der Ma- 
jor, indem er einen Schritt zurücktrat, „es follte das feine Belei⸗ 
gung für Sie fein.“ | 

„Mich Deferteur nennen und keine Beleidigung?“ 

„Es gibt Umftände,“ antwortete der Commandant der Bürger- 
wehr, „wo man berechtigt tft, felne Ueberzeugung zu ändern, wo 


72 Adhtes Kapitel. 


man einen Weg verläßt, den man biöher gewandelt, da man ein= 
fiebt, daß er zur Unterdrückung feiner Mitmenjhen, zum eigenen 
Berderben führt.” 

„Das verftehe ih nicht,” fagte Dofe. Und er ſprach nicht 
Unwahrheit. 

Der Major war ein tapferer Mann, obgleich kein Diplomat. 
Er war das Schwert und der Arm; aber der Mann, welcher der 
Waffe die gehörige Richtung gab, fein erſter Adjutant, drängte ſich 
jetzt zum guten Glücke vor, um die gefährlich werdende Unterhaltung 
aus den Händen des kühnen, aber etwas unüberlegten Chefs zu 
nehmen. 

„Mein lieber Herr Unteroffizier,“ ſagte er mit lächelnder 
Miene, „wir ſehen Ihre Uniform, wir kennen ſie, wir achten dieſe 
Uniform; wir ſehen Ihr Geſicht, ein offenes, ehrliches Geſicht — 
Zutrauen einflößend, wir kennen Ihr Inneres durch dieſes Geſicht, 
wir heißen Sie an den Ufern des Rheines freudig willkommen.“ 

Doſe nickte mit dem Kopfe und dachte: „Der Mann drückt 
ſich etwas poetiſch und blumenreich aus, und durchaus nicht un⸗ 
freundlich. Hören wir ihn ruhig zu Ende.“ 

„Mein lieber Herr Unteroffizier,“ fuhr der Sprecher fort, 
„Sie find querfeldein daher gekommen, Sie reiſen in Urlaub, in 
Geſchäften, was weiß ich! Sie haben uns überraſcht — angenehm 
überraſcht. Wir freuen uns, Ste zu ſehen, Sie, ein Soldat gerade 
wie wir, wenn wir aud) von dem gewaltigen Kriegäheer St. Majeftät 
vielleicht nur eine fchwace Gopie find — nur Bürgerwehr. Dort 
unfer Chef; Sie werden mich vollfommen verftehen. Wir haben 
unruhige Zeiten, feine Befapung, deßhalb bewaffnet fih der Bür⸗ 
ger, um Deutfchland zu fchüßen, feinen heimathlichen Herd, Weib 
und Kind. Natürlich Liegt e8 in diefem Falle auch in unferem 
Intereſſe, die Polizei zu handhaben; daher die Frage unferes Chefs 
an Sie. — ber wie gefagt, Ste find uns auf alle Fälle willfom- 
men, ed fteht Ihnen jeded unjerer Häufer zu Gebot, Jeder von 


Biel Kehrreihes über das Fraternifiren. 13 


and wird fich eine Ehre daraus machen, Sie bei fi) zu beher- 
bergen.” 

Die Lieutenants nidten fi) bedeutfam zu, Meifter Kaspar 
ihaute mit einer wahren Verehrung auf den Adjutanten, und der 
Major, nachdem er einige Male verlegen gehuftet, fagte: „In der 
That, es ift fo, mein lieber Herr Unteroffizier. Wir treiben das 
Kriegshandwerk, es macht, wie Sie wifjen, den janfteften Menfchen 
rauh und unbeugfam. Aber, mein lieber Herr Unteroffizier, Ste 
ind uns willlommen, wahrhaftig, ſehr willfommen. Berlaffen wir 
dieſe Wadıtftube, folgen Sie uns hinab in den Grünen Baum, das 
ganze Bataillon wird fich freuen, einen tapferen Kameraden kennen 
zu lernen.” 

Dofe war zu gut für diefe Mittheilung, hatte audy zu lange 
als harmloſer Packmeiſter in jenem Grenzſtädtchen gelebt, um nicht 
Alles zu glauben, wad man ihm mit offener, ehrlicher Miene fagte. 
Gr nahm die dargebotene Hand des Majord, er nidte den Adjus 
tanten und den Offizieren freundlich zu und feine Begriffe über die 
Bürgerwehr begannen ſich bedeutend zu verbejiem. Der Mann 
vor ihm hieß nun einmal Major, wenn auch nur Major der Bürs 
gerweht. Er trug einen Offizierd-Säbel, er mußte aljo doch wohl 
irgend ein Recht auf diefe Charge haben. Doſe dachte an die 
Freicorpo während der vergangenen Feldzüge, an den tapferen 
Shi, der auch Major war; er fühlte in feinem Herzen, wie es 
doch rührend und fchön fei, daß diefe Männer Haus und Hof vers 
ließen, um an der Seite des wirklichen Militärs freudig gegen den 
gemeinfchaftlichen Feind zu ziehen. Er vergaß die barſche Anrede 
von vorhin, er vergaß jogar den Dejerteur und fagte, indem er fich 
in feiner ganzen Länge aufrichtete, indem er militäriſch grüßend 
daltand und den Sinotenftod wie einen Säbel an die linfe Seite 
hielt: „Herr Oberftwachtmetiter, Feodor Dofe, früher Unteroffizier 
in der reitenden Batterie Nro 4, und jetzt Packmeiſter in L., fommt 


74 Achtes Kapitel. 


in Urlaub von dort, um bei bevorflehender Mobilmahung in irgend 
eine Batterie wieder einzutreten.“ 

Der Major ftand finnend da. Noch nie war er, ein Demokrat 
vom reinften Wafler, fo fchön milttärifh gegrüßt worden. „Herr 
Oberſtwachtmeiſter“ Hatte man zu ihm gefagt. Es zudte feltfam in 
feinem Herzen, und wenn er dachte, dag in vier Wochen eine neue 
Wahl ſei, wo er vielleicht wieder zum Hauptmanne, zum Lieutenant 
oder gar zum Musfetier herabzufteigen babe, da fprach es in ihm, 
das einmal feit Beſtehende fei doch ſchön, und wenn er plöglich 
wirklicher Major geworden, folle ihn der Teufel holen, wenn nicht 
ein heiliges Kreuzdonnerwetter allen den Kerlen auf die Köpfe füh- 
ren werde, die mit dem Vorhandenen nicht zufrieden feien. 

Glücklicher Weife find alle Gedanken unfihtbar. Deßhalb 
ahmten die Hauptleute und Lientenants ihren Chef nad, indem fie 
dem Unteroffizier Dofe die Hand reichten, und es war ein Hände 
drüden und Fraternifiren, fo füß und lieblich angufehen, daß fogar 
der wachthabende Schneider ed nicht unterlaften konnte, herbeizu⸗ 
tommen, Doſe's Fauſt zu ſchütteln, dabet fprechend: „Und wir 
tonnten und einen Augenblid feindlich gegenüberftehen ?“ 

Der Major mahnte endlich zum Aufbruch nad dem Städtchen, 
um einen beiteren Abend im SKreife feines Bataillons und in dem 
Schatten des Grünen Baumes zuzubringen. Doch Dofe bat ehr- 
erbietigft, aber dringend, hier oben in der heimlichen Wachtitube zu 
bleiben. „So gut wie heute,“ fagte er feierlich, „ift e8 mir fchon 
lange nicht geworden. Gott, welche Poefie! Eine Wachtſtube in 
den Räumen eines alten Schlofjes! Es fipt fi fo behaglich bier 
in diefem ftillen Gemäuer, und wenn man zum Zenfter hinausfchaut, 
fo fiehbt man, wie fo wunderbar lieblidh der Rhein Tuntert im fils 
bernen Mondesglanze.“ 

Der Major aber war für den Grünen Baum. Richt fo der 
diplomatifche Adjutant, der auch jept wieder in's Mittel trat und 
feinem VBorgefepten einige Worte zuflüfterte. „Richtig! richtig!“ 


Biel Lehrreiches über das Fraternifiren, 75 


verfegte Hierauf der Commandirende; „ed gefchehe alfo nach Ihrem 
Bunfche, Herr Kamerad.” Worauf er zwei Lieutenants vorläufig 
zur Ehren⸗Geſellſchaft bei Dofe comimandirte und fih alsdann in 
Begleitung feines übrigen Stabes den Berg hinab begab. 

Der Adjutant hatte auch dieſesmal volllommen Recht. Seine 
Abfiht war, den vortrefflic ausfehenden Unteroffizier für Die gute 
Sahe zu gewinnen, ihn wenigftend zu vermögen, daß er eine Zeit 
‚ fang dableibe, um das Bataillon in militärifhe Zucht zu nehmen. 
Welcher Triumph, wenn das gelang! Selbſt die Kreisftadt Hatte 
einen folchen Exercirneifter nicht aufzuweifen. " Die bebalfen fi 
mit einem halbblinden und fehr lahmen Feldwebel von der Lands 
wehrs Infanterie. Hier aber hatte man einen Artilleriften; auf dem 
Rathhaufe befanden fi) zwei alte etjerne Kanonen, und ed war 
ihon lange der glühende Wunjch des Adjutanten gewefen, das alte 
Schloß droben zu befeftigen. Weßhalb aber diefer umfichtige Kriegs- 
mann darauf antrug, den ehemaligen Unteroffizier vor der Hand 
droben auf dem alten Schlofje zu laffen, war leicht begreiflih. Im 
Bataillon drunten gab es wilde, unvorfichtige Gemüther, die beim 
Anblide der Uniform in ihren Reden wahrfcheinlich feine Mäßigung 
gelannt und den guten Vorſatz des Fraternifirend durch ihre böſen 
Worte fo leicht zu nichte gemacht hätten. Die mußten inftruirt 
und ihnen vorgeftellt werden, wie wichtig es fet, den Unteroffizier 
da zu behalten. 

Die Abweſenheit des Majors dauerte übrigens nicht lange, und 
bald erfchien er wieder droben in der Ruine, nur gefolgt von feinen 
Hauptleuten. Zugleich aber erfchien mit ihm ein Kellner und Haus⸗ 
Incht des Grünen Baumes, zahlreiche Flafchen tragend und Schüfs 
jeln mit vielem falten Fleiſche, fowie auch Brod. 

Bir müflen geftehen, daß Dofe einen tüchtigen Zug that und 
fih überglüdlich fühlte. Ex fchaute vergnügt an den Wänden des 
Gewölbes empor. „Die Wachtftube einer Ritterburg!“ murmelte er 
in fi hinein; und vor feinem Geifte ſtiegen alte, vergangene Zei⸗ 


76 Achtes Kapitel. 


ten auf, und er dachte, wie hier die Schloßknechte gefeiten in Wehr 
und Waffen, wie fie vielleicht Landsknecht gefpielt oder gefnöchelt, 
und wie dazu die rothe Gluth einer Pechfadel geleuchtet. Dann 
war e8 ihm ordentlih, als höre er draußen einen lang gezogenen 
Hornton, als vernehme er, wie man die Zugbrüde niederlaffe, wie 
eine klirrende Reiterfchaar dDonnernd darüher hinfprenge, und wie im | 
Scheine bleiher Wachsfackeln die zarte Herrin des Schlofjed, ges 
folgt von Pagen, langfam die Treppen berabfchreite, dem Gemahl 
entgegen, der vergnügt heimkehrte von Schlacht und Sieg. 

Wie war er bei folhen Gedanken jo glücklich, den Poftkittel 
andgezogen zu haben und wieder jenem Iuftigen, glänzenden Stande 
anzugehören, der noch allein mit der alten vergangenen Nitterzeit 
einige Achnlichkeit hatte! 

Dazu nöthigte der Atjutant fleißig zum Trinten. Alles griff 
herzhaft zu, und man befand fih bald in einem gemütblichen, etwas 
erheiterten Zuftande. Der Major fonnte e8 nicht unterlaſſen, das 
Gefpräh auf die großen Fragen des Tages zu bringen, um dem 
politifhen Glauben des Interoffizierd auf den Zahn zu fühlen. 
Dod fuhr er erfchroden zurüd, denn er fand in Dofe einen jo 
großen Reaftionär, einen fo furchtbaren Bertheidiger alles Beſtehen⸗ 
den, daß ihm Die Haut fchauderte. Feodor war auf's kleinlichſte 
gegen alle Aenderungenz ja, er ging fo weit, zu behaupten, es fei 
traurig, daß man bei den Geſchützen die Percujfion eingeführt. Der 
alte Zuntenftod in feiner Einfachheit fei viel ficherer geweien und 
habe auch neben dem Abfenern des Geſchützes noch fonft auf vers 
Tchiedene praftifche Art dienen können. Aber, ſchloß er, ich nehme 
fogar die Pereuffion dankbar und gläubig hin, denn fie kommt von 
oben, und wad Se. Majeftät der König thut, das ziemt einem 
braven Soldaten nicht, zu befriteln. Se. Majeftät der König, da 
wir gerade von ihm fprechen, er lebe hoch! noch einmal und aber 
mals hoch! 

Dofe ſchrie für feine Perfon dieſes Hoc fo Fräftig hinaus, daß 





Viel Kehrreiches über das Fraternifiren. 77 


er unmöglich bemerken konnte, wie die ihm gegenüber Sipenden 
ziemlich Stumm blieben. Da fie aber ihre Mäuler vor Erftaunen 
weit aufrifien, fo vermuthete er, fie hätten das Ihrige bei dem 
Zoafte ebenfalld gethan, und fepte fein Glas ruhig vor fih nieder. 

Der Adjutant bemühte ſich, der Unterhaltung eine andere Wen⸗ 
dung zu geben, und ſprach von dem Nacbarftaate im Weiten und 
von den großen Veränderungen, die fi) Dort begeben. „Was mei- 
nen Sie, Herr Kamerad,“ fagte er, „wie wird das dort werden, und 
welchen Einfluß Tönnen diefe Umwälzungen auf uns haben?“ 

Dofe fchaute fchwärmerifh an die Dede, that einen langen 
Zug aus feinem Glafe und lächelte fein. „Das wird enden,“ ents 
gegnete er, „wie alle dergleichen Gefchichten endigen, zum großen 
Schaden derer, die ed angefangen. Es tft übrigens fchwer, fich 
mit kurzen und Maren Worten darüber audzufprechen; nur iſt mir 
auf meinem heutigen Marfche, als ich jo allein über die Felder zog, 
ein poetifches Gleichniß eingefallen, das mir hieher nicht ſchlecht zu 
vaſſen feheint.“ 

„Laſſen Ste hören,” fagte der Adjutant. 

„Ih muß vorausfchiden,“ erwiderte Dofe, und er ftrih feinen 
langen Schnurrbart horizontal auseinander, „daß ih in Gleich⸗ 
niffen nicht gerade ftark bin, und wenn das meinige Ihnen uns 
yafiend erfhheint, fo kann ich nichts dafür. Aber Sie follen es 
genießen. 

„Sehen Sie, da war eine Wittwe, die conmandirte ihr Haus⸗ 
weien und zu gleicher Zeit zwei Töchter, welche unter anderen fehr 
guten Eigenfchaften die außerordentlich ſchlechte hatten, nie früh— 
zeitig aufiteben zu wollen. Sie mochten gern lange Ichlafen, was 
ein großer Fehler ift, meine Herren. Denn man fagt nicht umfonft, 
um etwas zu erlangen oder Jemanden zu überliften, müſſe man 
früh aufftehen. | 

„Die Mutter aber war ftreng und hatte einen Hahn. — Ber 
geilen Sie das nicht, meine Herren, einen Hahn, wie Die ba brüs 


78 Ahtes Kapitel. 


ben auch einen gehabt haben. — Diefer Hahn nun war die lebendige 
Uhr der Wittwe und fo der Plagegeift der Töchter. Denn fobald 
Diefes Thier bei des Morgend frühefter Frühe fein majeftätifches 
Krähen anhub, vielleicht um vier, fünf Uhr, fo jagte die Wittwe 
ihre Töchter vom Bette empor. Ich weiß nicht, welches Mittel fie 
anwandte, ob fie ihnen die Bettdecke wegzog, oder die Wafjerflafche 
gebrauchte. Genug, fie mußten heraus und gingen, den Hahn ver 
wünfchend, an die Arbeit. Der Hahn war ihnen nun ein Dorn im 
Auge, und fie fingen an, zuerft über ihn zu murren, über ihn, den 
ewigen Ruheftörer, zu Elagen, und endlich verfchworen fie ſich gegen 
fein Leben. Wenn der Hahn nicht mehr da ift, ſprachen fie, fo 
werden wir e8 gut haben: wir werden fchlafen können, fo lange 
wir wollen, wir werden ein gemächliches Leben führen; darum nie 
der mit dem Hahn! à bas le Hahn! — er tft an allem Unheil 
ſchuld. — Und darauf wurde er umgebracht, und die Mädchen froh—⸗ 
Iodten ein paar Nächte, denn die Mutter verfchlief fih, und auch 
fie konnten ruhen bis an den hellen Tag.” . 

„Sehen Sie,” ſprach Tächelnd der Major, „wie hatten fie fo 
recht, den Hahn abzufchaffen!“ 

„Nur Geduld!“ gab feierlich der Unteroffizier zur Antwort. 
„Das Glück währte nur eine kurze Zeit. Die Wittwe, die bis jet 
bei Tagesanbruch von dem Hahne gewedt wurde, fing nun an, oft 
ſchon um Mitternaht oder um ein, zwei Uhr aus dem Schlafe zu 
erwachen, und dann behauptete fie, der Tag breche an. Bettdede 
oder Wafferflafche fpielte, die armen Mädchen mußten herans, mußs 
ten ſchon mitten in der Nacht an die Arbeit gehen und waren nut 
erit recht gefchunden und geplagt. Bergebens baten fie die Alte, 
doch einen neuen Hahn anzufchaffen, fie wollten ja gern dem erften 
Rufe defjelben folgen — die Mutter war nicht zu bewegen. Sie 
regierte fortan ohne Hahn, aber zum Kummer, zur Verzweiflung 
des ganzen Hausweſens.“ 

„Das Gleichniß wäre nicht ſchlecht, “” fagte ernft der Major, 





Biel Kehrreihes über das Fraternifiren. 79 


„aber es paßt nicht, mein lieber Unteroffizier. Der alte Hahn ift 
verfhwunden, und auch die Mutter wird ihr despotifches Regiment 
nicht fortfegen können! die Töchter, Knechte und Mägde, das Volk 
wird feinen Willen kundthun, und, um mit Ihren Worten zu 
fprechen, Bettdecke und Waflerflafche werden nimmer fpielen.“ 
„Zugeftanden!“ erwiderte Feodor Dofe groß und würdig. 
„Sie haben recht, die alte Mutter ift zu ſchwach, um das Haus⸗ 
weien, das, wie der Herr Oberftmachtmeifter eben fagte, ſich empörte, 
fortan im Zaume zu halten. Sie wird überwältigt, man wirft 
fie aus ihrem Schlafzimmer, e8 herrſcht eine neue Zeit des Glücks 
und des Vergnügens. Jeder thut, was er mag und will. Die 
Borräthe des Haufes werden verzehrt in Saus und Braus, die 
Knechte und Mägde trinken den beften Wein und fünımern ſich den 
Zeufel um die Befehle der beiden Töchter. Die Gänjemagd feht 
fih einen großen Hut mit Federn auf und liegt den ganzen Tag 
auf einem Kiſſen am Fenfter, um dem Kuhjungen zuzufchauen 
der das beite Pferd des Stalles fpazieren reitet. Die Mutter iſt 
geftorben in Kummer und Jammer, dad ganze Haus droht zu 
Grunde zu gehen. Da erfcheint irgend ein weitläufiger Ativer- 
wandter der Familie, der von dem Spektakel gehört hat, nnd fommt 
ind Haus, nm fich die Gefhhichte in der Nähe anzufehen. Er trägt 
beftändig Die Hände auf dem Rüden und hat Hinter feinem Rod 
etwas verborgen, was er erft enthüllen will, wenn es Zeit iſt. Er 
geht durch die Ställe, durch die Küche, befieht fi Keller und 
Speifefammer, ift leutſelig und freundlich, und fagt, als Better 
habe er das Recht, im Haufe ein Bischen mitfptelen zu dürfen, 
und wenn ihnen dad genehm wäre, fo wäre es ihm auch recht. 
Sie find damit zufrieden, fie Tafjen ihn mitfpielen, und fo fteigt er, 
Immer die Hände auf dem Rüden, aus dem Keller in Die Küche, 
ans der Küche in den erften Stock und fegt fih dort ruhig auf 
ein Sopha_ nieder. Da zieht er zum erſten Male die Hände 
hinter dem Rüden hervor, und zugleich das, was er unter dem 


80 Achtes Kapitel. 


Nod verborgen hat. Und was tft das? — Gin tüchtiger, folider 
Karrenfhwanz. Und den ninımt er Teicht in die rechte Hand und 
verfucht ihn an der Gänfemagd, die immer noch im Fenſter liest, 
und fpriht: Canaille, du gehörft in den Stall! Und fie eilt er 
fhroden hinab zu ihren Gänfen und Magt ihnen ihr Leid, ſowie 
auch dem Kubhirten, der entrüftet hinaufiteigt und über verlepte 
Boll! Souverainetät Hagt. 

„Aber der Farrenfchwanz ift feft und wird mit fchöner Kraft 
geführt. SHageldicht fallen die Streiche, und wo fih nur ein Kopf 
ungebührlih in die Höhe hebt, da faust der Farrenſchwanz nieder 
und gebietet folchergeftalt Ordnung und Ruhe in dem empörten 
Haufe. Darüber freuen fi die Nachbarn, klatſchen in die Hände 
und fagen: Der Better verfteht ed, das Haus feiner Berwandten 
in Rube zu bringen, und da er es verfteht und den Farrenſchwanz 
fo majeftätifch führt, bleibe er wohl da, uns für die Zukunft eine 
gute Xehre, allen unferen Töchtern aber, die nicht früh aufftehen 
wollen, zum abfchredenden Exempel. — In dem Haufe felbft aber 
wird es ſehr ruhig, und nur, wenn die alfo zur Ruhe Gebradhten 
allein find und den Farrenfchwanz nicht fehen, fenfzen fie vielleicht: 
Oh, wenn der alte Hahn noch lebte, oh, wenn noch die fanften 
Strafen der Bettdede und der Waſſerflaſche regierten !“ 

„Das iſt meine Anſicht!“ fagte ſtolz der Unteroffizier und 
fhlug mit der Kauft auf den Tifch; „To wird ed kommen, fo wahr 
ich Feodor Dofe heiße! Dieſes Gleichniß Habe ich theilweiſe er- 
funden, und ih bin flolz darauf. Wir hatten einft einen würdigen 
Chef — Gott hab’ ihn felig! — der fagte: Meine Brigade 
halten drei Dinge in Ordnung; das ift erſtens Ordnung, zwei⸗ 


tend Ordnung und drittens Ordnung. Und Ordnung muß fein; 


denn wenn ed auch anders eine Welle gut thut, fo kommt dod 


am Ende der Better mit dem Farrenſchwanz; das tft nun einmal 
der Lauf der Welt.“ 


Fortſetzung des Fraterniſirens. 81 


Neuntes Kapitel. 


Fortſeßung des Fraternifirens und in Folge davon eine Mittheifung aus den Poeficen des 
Batmeifters, ſowie eine Geiftergefchichte, welche leztere den wachthabenden Schneider auf’a 
Tieffte erſchüttert. 


Die Zuhörer fohwiegen fämmtlih ftil und Hatten über diefe 
Erzählung des Interoffizierd ihre eigenen Gedanken. Der kluge 
Adjutant, welcher einfah, dag bei fo verfchiedenen Meinungen und 
Anfihten aus einem fortgefeßten Geſpräche über das gleiche Thema 
nicht viel Erfprießliches heraustommen könne, änderte die Unter⸗ 
haltung und haranguirte zu gleicher Zeit den Iinteroffizier, indem 
er ihn bat, aus feinem vergangenen Militärleben Einiges zum 
Beten zu geben, — ein Borfchlag, den die Anderen fehr unter: 
füpten, befonders aber Meifter Kaspar, der Wachthabende, auf den 
die Gefchichte von dem Farrenſchwanz offenbar einen großen, aber 
keineswegs angenehmen Eindrud hervorgebradit. 

Feodor Dofe erklärte fich gern bereit, in feine Vergangenheit 
jurüd zu greifen und daraus irgend etwa zum Beſten zu geben. 
Er Schliff nachdenkend mit dem Finger auf dem Rande des grünen 
Beinrömerd, daß ed einen Hagenden Ton gab, wie der Seufzer 
eines gequälten Koboldes. — „Wie gern möchte ih vor Ihren 
Augen ein Iuftiges, lebendiges Mandverbild aufrollen!” fagte er 
nah einer Paufe. „Aber das Gemüth des Menfchen, namentlich 
ein poetifched wie dad meinige, tft abhängig von äußeren Eindrücden. 
Ich muß Ihnen geftchen, mein einfamer Spaziergang von heute, 
bie romantifche Lage des alten Schloſſes, das geifterhafte Licht des 
Mondes, wie es ind Rheinthal hinabwogt und überall alte Trümmer 
erleuchtet, hat mich feierlich geftimmt, und ich bin nur im Stande, 
Ihnen mit einer ernften, ja, einigermaßen unbeimlichen @efchichte 
au dienen.“ 

Gadländers Werte. V. 6 


89 Neuntes Kapitel. 


Dofe fah bei diefen Worten fragend um fi ber. Der Major 
nidte huldvoll mit dem Kopfe, die Offiziere murmelten ihren Beifall, 
und Meifter Kaspar, den ein gelinder Schauder überfchlih, rückte 
näher zu dem jungen Zambour, der fi auf feine Trommel ges 
fept hatte. 

Zuerft wurden die Gläfer voll gefchentt, worauf Dofe das fei- 
nige leer tran? und dann einen Augenblick in tiefen Gedanken vor 
fi) Hinftierte, mit einem Blide, der durch die Mauern und über 
dad Rheinthal weit weg in fremde Gegenden zu dringen fchien. 

„Bor langen Fahren, begann er alddann — ich war noch ein 
junger Menfch und kürzlich Bombardier bei einer reitenden Batterie 
geworden, — da hatten wir die alljährlichen Manöver bei W. 
Dort ift eine große Haide, viele Stunden lang, viele Stunden 
breit ; der Boden befteht aus Sand, tft nur bie und da mit mages 
rem Grad und Geftrüpp bededt, und die ganze Fläche eingefaßt 
mit verfrüppelten Zannen und Eichen; denn es wächst bier nichts 
gefcheidtes. Auf diefer Haide nun wurden — wie bemerlt — all: 
jährlich die großen Schiegühbungen abgehalten; da waren Kugel» 
fange, Scheiben, Beine Schanzen, und da wurde gefchofien mit 
vollen glühenden Kugeln, fowie geworfen mit Granaten und Bom⸗ 
ben, daß einem das Herz im Leibe lachte. Die ganze Gefchichte 
ſchloß nach circa fechs Wochen mit großen Mandvern und Paraden, 
welche leßtere meiftend von dem General⸗Inſpektor der Artillerie, 
dem Prinzen A., abgehalten wurden, Ich fehe noch wie heute Se. 
Königlihe Hoheit durch die Glieder reiten: er war ein großer 
Mann und der Einzige, der eine Generals⸗-Uniform der Artillerie 
trug ; er galoppirte auf einem prächtigen Pferde daher, fo daß fein 
weißer Federbufh im Winde flattertee Auf der Bruft hatte er 
unter Anderem einen vieredigen Stern, ber wegen feiner feltfamen 
Geſtalt meine Phantafie fehr befchäftigte. Der General⸗Inſpektor 
hatte immer eine große Suite hinter fih, Adjutanten, Stabs⸗Of⸗ 
figtere, Ordonnanzen von allen Graden bis zu Unteroffigieren und 


Fortſetzung des Fraterniſirens. 88 


Bombardieren der reitenden Artillerie herab, nnd zu den Letzteren 
hatte ich einſtmals das Glück commandirt zu werden. Es war Died 
ein ſehr angenehmer Dienſt, und wurden dazu nur intelligente 
junge Leute genommen; namentlich mußte man fertig mit der Feder 
umzugehen wiſſen; denn oftmals wurde man nach der Parkhütte 
geſchikt, — Gott! ich ſehe fie noch vor mir, wie geſtern, mit 
ihrem fpigen Dache und der Wetterfahne, die eine Kanone vorftellte 
— mie gefagt, dahin ging es oft, um Befehle mehrere Male ab- 
zufchreiben, die dann an die Abtheilungen und Batterien gegeben 
wurden. Wenn die Paraden beendigt waren, fo ritten wir eben- 
feld mit nah W., wo Se. Königliche Hoheit der General«Infpeltor 
fein Hauptquartier hatte.“ 

„Neunt man den General⸗Inſpektor nicht Excellenz 2” fragte 
der Major der Bürgerwehr, „wie alle anderen commandirenden 
Generale 2“ 

„Bott bewahre !" entgegnete wichtig der Unteroffizier; „der 
andere Titel gebt vor. Es fol in dem Kalle einmal eine gute 
Geſchichte mit Sr. Majeftät dem höchftjeligen Könige paſſirt fein, 
welchen nämlich ein einigermaßen ängftlicher Offizier, der eine Mel- 
dung zu machen hatte, mit „Excellenz“ ftatt mit „Majeftät“ an 
redete, worauf der König entgegnete : Laſſen wir dad, Herr Major 
— babe nicht die Excellenz, bin vom General-Major zum König 
avancirt. — Aber weiter! Die Ordonnanzen mußten alfo mit in's 
Hauptquartier, um vom General-Commando allenfalfige Befehle, 
fowie auch bedeutende Rafen an die verfchiedenen Batterien zu 
überbringen. Namentlich an leßteren hatte man oft ſtark zu tragen. 
Sp traf es auch mid eines Tages, daß tch hinter der Suite drein 
trabte, mußte aber ſtark zurüd bleiben, denn die Pferde der Of: 
figtere gingen mir zu ſchneidig, obgleih mein Roß — es war 
damald der Pluto — nicht zu verachten war. Der GeneralsIn- 
Ipektor wohnte in dem erften Gaſthofe — den Namen habe ich 
vergeſſen, — und da trieben wir uns denn in der Nähe umber, 


84 Neuntes Kapitel. 


bis wir abgefertigt wurden und unfere Befehle erhielten. Ich war 
für Die zweite Abtheilung commandirt, und unfer Major, der 
ebenfalld da war, fagte zu mir: Bombardier Dofe, Sie find ein 
gefcheidter junger Mann und zuverläſſig. Wenn Sie au den 
Abtheilungs⸗Befehl haben, fo reiten Sie doch nicht ab, ich bleibe 
heute in der Stadt und babe Ihnen privatim noch etwas für dad 
Abtheilungs-Eommando mitzugeben, eine Sache, über die ich erft 
mit Sr. Königlihen Hoheit fprechen muß. Und wann das geſche⸗ 
ben wird, weiß ich nicht recht zu beftimmen. Alfo kommen Sie 
nad zehn Uhr wieder daher, aber ohne Pferd. Berftanden? — 
Zu Befehl, Herr Oberftwachtmeifter ! 

„In der alten Stadt W. war ed an diefen Abend recht Iuftig, 
weßhalb ich über den erhaltenen Befehl durchaus nicht mißvergnügt 
war. Bor dem Hotel fland eine Mufitbande, auf den Straßen 
wogten zahlreiche Menfchen, die Artilleriesfaferne war illuminirt, 
fowie auch die Artilleriften, vom Kanonier bis zum Feldwebel 
aufwärtd. Nach zehn Uhr ging ich wieder zum Gafthofe Kin, ftellte 
mich an die Hausthüre und wartete. Es verging eine Biertelftunde 
und noch eine; “endlich gegen eilf Uhr kam der Major heraus, 
und wenn er fchon im gewöhnlichen Zuftande wegen feines heftigen 
Athmens und von dem beftändigen Bonfichblafen den Namen 
„Dampfſchiff“ erhalten Hatte, fo konnte er denfelben heute Abend 
mit doppeltem Rechte führen. Er war etwas echauffirt, Tachte mich 
freundlich an und puftete beftändig vor innerliher Gluth. Jetzt 
reiten Ste nah Haufe, fagte er, puh! nehmen Diefen Brief an 
Hauptmann S., madhen ihm ein Compliment, pub! und fagen 
ihm, es fei Alles in Ordnung. — Zu Befehl, Herr Oberſtwacht⸗ 
meifter! entgegnete ih. Nur möchte ich ganz gehorfamft gebeten 
haben, auf dem Briefe felbft zu bemerken, daß ich erft um eilf 
Uhr von hier abgeritten ; es könnte mir fonft wegen des Abthei⸗ 
Iungss Befehls Unannehmlichkeiten machen. — Da haben Sie Redt, 
entgegnete er. Ich reichte Ihm meinen Bleiftift, und er ſchrieb 








Fortſetzung des Fraternifirens, 85 


auf die Adreſſe: Der Meberbringer ift um eilf Uhr von W. abges 
titten. 

„Run war Alles in befter Ordnung ; ich holte den Pluto aus 
der Kaferne, nahın einen leichten Abfchiedstrunf und ritt im Schritt 
durd die noch belebten Straßen. Hinter dem dunklen Feſtungsthor 
aber, das fich fnarrend aufs und zubewegte, war ed einfam und 
til. Die fternenhelle Sommernacht mit untergehendem Mond warf 
ein ungewifjes Licht über alle Gegenflände rings umher. Es ges 
hörte ein geübtes Auge dazu, um die aus⸗ und einfpringenden 
Winkel der dreifachen Feſtungswerke zu erfennen, durch welche ich 
reiten mußte. Bald hatte ich die legte Brüde Hinter mir; ein 
Infantertes Boften, der auf dem Glacis bei den Paliſſaden fland, 
fagte mir gute Nacht, und ich trabte Durch die lange Allee dem 
Flüßchen 2. zu, das eine halbe Stunde vor der Feſtung vorbet- 
fließt. Links auf der Wiefe ftanden die etif Bäume, wo die eilf 
Offiziere des Schill’fchen Corps erſchoſſen wurden, und als ich fie 
fo im ungewiſſen Dämmerfchein erblidte, konnte ich ein gewiſſes, 
wehmüthiges, aber doch fehr poetifches Gefühl nicht unterdrüden. 
inter dem Zluffe flieg der Weg ziemlich ſtark aufwärts, beftand 
auch aus tiefem Sande, weßhalb ich Tangfam reiten mußte, Die 
Naht war lauwarm und wunderbar fchön. 

„Ein feiner Duft lag über der ganzen Landſchaft, wentgftene 
dort drunten in der Niederung, und zeigte alle Gegenftände wie 
durch durchfichtige graue Schleier. Je Höher ich aber aufwärts 
fieg, defto Marer wurde es, und als ich die Höhe erreicht hatte 
und durch einen dichten Tannenwald ritt, konnte ich ziemlich deut⸗ 
ih und weit vor mic hinſehen. Mein Pferd ging im Schritt ; 
id hatte ihm die Zügel auf den Hals gelegt, und mein Geift bes 
Ihäftigte fi mit einem Gedichte, eigentlich mit einer neuen Gat- 
tung von Poefle, welche ich erfunden und die mir einen großen 
Ruhm verfchaffen follte. Es war nämlich der Verfuch, den Reim, 
ſtatt ihn hinten anzubringen, vorn zu feßen.“ 


86 Nenntes Kapitel. 


„Sie find alfo Dichter ?“ fragte lächelnd der Adjutant. 

Der Unteroffizier griff an feine Rodihöße, wo er die beiden 
Manuferipte verwahrt, und erwiderte: „Schwahe Berfuhe, Herr 
Lieutenant, poetiiche Gedanken, die ich mir von Zeit zu Zeit auf 
ſchrieb.“ 

„Schon gedruckt ?“ 

Doſe's Augen funkelten bei dieſer Frage. „Bis jetzt noch 
nicht,“ gab er zur Antwort. „Die Zeiten find ſchlecht; die Bud 
händler unterftügen feine Talente mehr.“ 

„Dafür ließe fih vielleiht Rath ſchaffen,“ meinte nachdenkend 
der Adjutant, der ſichtlich erfreut war, endlich die fchwächlte Seite 
feines Gegenübers entdedt zu haben. 

Dofe's Hand fuhr zitternd im feine Rodtafche, ergriff Band 
eins und zerrte ihn hervor. 

„Und den fchönen Gedanken der vorn gereimten Berfe ließen 
Sie wieder fallen, befter Herr Unteroffizier ** fagte fchmeichelnd der 
Adjutant. „Zinden wir von diefer neuen und wirklich intereſſanten 
Gattung nichts in Ihren gefammelten Gedichten ?“ 

„Nur ein einziges,” entgegnete Zeodor, „indem er die Augen⸗ 
brauen in die Höhe zog. Nur ein einziges, Seite 44, alfo 
lfautend : | 

Sehnſucht an Daphne. 
Komm, fhwingende Turteltaube, in den 
Dom, wo die Säulen ftehen, wo aud 
Zromm die hriftlichen Seufzer flöten, 
Romsmantifch der Weihrauch verfächelt ! 
Vom Rofenftrauh nicht Lächelt der Ahorn — 
Drom ſchließ' mein Lied, gereimt hinten und vorn ! 

Als er died gelefen, ließ der Unteroffizier das Buch finten 
und ſah forfchend im Kreife umber. 

Der Adjutant applandirte laut und geräufchuoll und nahm das 
Manufeript mit einer gewiljen Ehrfurcht aus den Händen des Un⸗ 





Fortſetzung des Fraterniſirens. 87 


teroffiziers. „Laſſen Sie mir es einen halben Tag,“ ſagte er, 
„alsdann ſollen Sie eine und, wie ich glaube, befriedigende Ant⸗ 
wort haben.“ 

Feodor war überglücklich. Ihm ſchwindelte vor der Höhe, zu 
welcher er erhoben werden ſollte. Nicht mehr geheimer Dilettant, 
ſondern wirklich gedruckt werdender Dichter! Er ſchten in dieſem 
wichtigen Augenblicke für ſonſt nichts mehr Sinn zu haben, und 
wollte fich gerade über ſeine Werke in ein Langes und Breites 
auslaſſen, als ihm Meiſter Kaspar ſagte: „Verzeihen Ste, Herr 
Kamerad, — aber die Geihichte! Ste ritten gerade durch den 
dunkeln Wald — Gott! ich glaube, es kommen Räuber vor.” 

„3a, ja, die Geſchichte!“ riefen auch die anderen Anwefenden. 
Und Doje fah fich gezwungen, fortzufahren. 

„Der Wald,“ begann er alfo wieder, „mündete auf jene weite 
Haide, von der ich ſchon geſprochen. Ich mußte fie bei meinem 
nähtlichen Nitte unweit vom Artillerie-Parke quer durchreiten, um 
zu unjeren Quartieren zu gelangen. Diefen Weg hatte ich ſchon 
oft gemacht und kannte alfo die Richtung, welche ich zu nehmen 
hatte, genau. Es war dies ein befonderd ödes Stüd der Haide, 
entfernt von jeder menſchlichen Wohnung. Hier z0g fi der Tan⸗ 
nenwald am weiteften zurück. Wenn ich fo Morgens zu den Schieß⸗ 
übungen ritt, fo hatte ich oftmals ein Meines Kreuz bemerkt ; in 
den weichen Boden eingefunten, ragte es faum noch zwei Fuß über 
denjelben empor. Dichted Moos war um den grauen Stein ges 
wahjen, und wenn man es abfraßte, wie wir einftmals gethan, 
ſo lad man einen Namen, eine Zahrzahl, und der Name gehörte 
einem vormals berüchtigten Wilddiebe, und dad Datum zeigte den 
Tag an, wo man ihn auf diefer Stelle erfchofien gefunden.“ 

„Ih verließ alfo den Weg durch den Wald, und als ich auf 
die Haide kam, trabte ich Leicht weg. Ich weiß nicht, ob von euch 
Herten fhon Jemand nächtlicher Weile über eine Haide geritten 
iſt. Es befihleicht einen dabei ein unheimliches Gefühl. Der 


88 Neuntes Kapitel. 


Huffchlag des Pferdes Hingt hohl, als ritte man über einen Keller, 
und dann iſt der geringfte Hauch des Nachtwindes fo auffallend 
bemerkbar, ftreicht gefpenfterhaft über die Fläche daher, lüpft leicht 
die Mähne des Pferdes, fährt einem fanft durch's Geficht, als thue 
das eine unfihtbare Hand, .und nedt am Boden die dürren Sträus 
cher und Gräfer, wit denen er fo geheimnißvoll und dod hörbar 
flüftert.“ 

„Brrrr!“ machte der wachthabende Schneider. 

„Der Mond, obgleich am Untergehen, warf einen hellen Schein 
über die Haide vor mir. Rechts neben mir konnte ich die einzelnen 
Tannen erkennen, geradeaus am Horizont fogar den dunklen 
Streifen, wo fih binter Gebüfchen und Bäumen unfer Quartier 
befand, das doch noch eine gute Stunde entfernt war. Hierbei 
muß ich bemerken, dag ih an dem Abend durchaus nicht unheim⸗ 
lich aufgeregt war; ich dachte nur an meine Poefie. Der einzige 
Gedanke, der meine Phantafie unterbrach, war der: jegt wirjt du 
bald halben Wegs geritten fein, fogleich mußt du das Kreuz fehen 
— — — — da, mit Einemmale fah ich nun das Kreuz, nicht 
viel über hundert Schritte von mir. Uber dieſes Kreuz, beute 
Morgen kaum zwei Fuß aus dem Boden emporragend, war ger 
wachfen und ftand jegt wenigſtens ſechs Fuß über der Erde empor.“ 

„Der Teufel!” fagte der Major der Bürgerwehr. 

Meiſter Kaspar aber und der Tambour fchlofien ihre Glieder 
mit einer Genauigkeit, wie fie es auf dem Exercirplatze niemals gethan. 

„Das Kreuz war gewachlen,” fuhr Dofe fort, „und nun müßt 
ihr mir zugeben, daß ed in jedes Menfchen Bruft ein unheimliches 
Gefühl hervorzurufen im Stande tft, wenn fteinerne Kreuze, die 
lange Jahre auf einfamer Haide ruhig geftanden, nun in der Mits 
ternachtöftunde plöglich emporfchießen, wie Spargeln im Frühjahr. 
Ruhig nahm ich den Zügel meines Pferdes in die linke Hand, 
während ich mit der rechten meinen Säbel etwas foderte. und mich 
dann verlicherte, daß meine Piltole in dem Holfter ſtak. War es 





Fortſetzung des Fraternifirens. 89 


nun Diefer plögliche Zügeldrud, den der Pluto fpürte, oder was 
Anderes, genug, er hob Die Naſe in die Kuft, fchüttelte den Kopf 
zweifelnd wie ein Menſch hin und ber, und fiel vom Trab in einen 
langfamen Schritt.“ 

„Da ich um mid) her freie Ebene hatte, fo konnte ich mit der 
größten Bequemlichkeit das gefpenftige Kreuz auf eine halbe Meile ums 
reiten. Aber ein Unteroffizier von der Artillerie geht dem Teufel nicht 
aus dem Wege, Dephalb drückte ich dem Pluto die Schenkel feſt an und 
titt gerade aus. — Ihr werdet heute gerade fo gut überzeugt fein, wie 
ih e8 damals war, daß ein Kreuz unmöglich wachfen kann; fo 
fand ich es denn auch, als ich näher ritt, obgleich das, was ich 
fand, nicht weniger feltfam, ja unheimlich war. Der Stein war 
begreiflicher Weife nicht höher geworden, aber auf ihm hockte eine 
menfchliche Seftalt, die auf Augenblide ruhig faß, um gleich darauf 
die fonderbariten Stellungen anzunehmen, Bewegungen zu machen, 
wie ein wahnfliunig gewordener Telegraph. Bald fah. ich, daß das 
Ding vor mir einen Kopf hatte, bald fehlen dieſer von den Schul: 
tem verfchwunden zu fein. Sept ftredte es den rechten Arm aus, 
jegt den linken, darauf dad Bein der gleihen Seite, dann wieder 
dad andere. — Pluto fing an, ängſtlich zu werden, Er öffnete 
feine Nüftern, zog heftig die Luft an fih und drehte fih nad, allen 
Eeiten, ohne von der Stelle zu gehen. Das machte mid, ärgerlich. 
Ich nahm mich ſcharf zufammen, gab ihm ein paar kalte Eifen 
hinter den Bauchgurt, und nun machte .er ein paar Säße vorwärts, 
um daranf wie feftgenagelt mit weit vorgeſtrecktem Halfe ftehen zu 
bleiben. Unterdefien war ich aber fo nahe gekommen, daß ich Deuts 
ih jehen konnte vor mir auf dem Kreuze fiße ein Wefen von 
menihlicher Geftalt. Ich zog meine Piftole hervor, richtete mich 
in den Bügeln empor und rief ein lautes und kräftiges: Wer 
ut — — — 

„Da drehte die GBeftalt auf dem Kreuze ihren Kopf herum, 
jeigte mir ein eingefallenes, blaſſes und hageres Geficht, wahrhaft 


90 Neuntes Kapitel. 


geſpenſtig leuchtend in den legten Strahlen des Mondes, und ſchlug 
eine laute Zache auf, ein fchrillendes Gelächter — hi! hi! Bi! Hi! 
bi! — Das war zu viel für Pluto: er, eines der gehorſamſten 
und rubigiten Pferde der ganzen Artillerie, warf fich plößlich herum, 
that einen gewaltigen Riß und flog mit mir in wilden Sägen über 
die Ebene dahin. Gine gute Biertelitunde brauchte ich, ehe ich 
feiner wieder vollfommen Herr geworden. Und ala ich ihn darauf 
umwandte, um dad Kreuz wieder aufzujuchen, ging gerade der 
Mond am Horizont unter, und ed wurde fo dunkel, daß ich nur 
wenige Schritte. vor mich binfehen fonnte. Ich mußte das Aben- 
teuer auf fi beruhen lafien und froh jein, als es mir nad) einer 
Stunde Umherſchweifens gelang, endlich glüdlicher Weiſe den Weg 
aufzufinden, der mich nach meinem Beitimmungsort führte,“ 

Damit jchwieg der Erzähler und blidte ftolz im Kreife umber. 
Jedes Auge war feft auf ihn gefpannt, aber Niemand wagte es, 
die Stille zu unterbrechen, ald der Schneider, der ängftlich fragte: 
„Und das feltfame Weſen auf dem Kreuze war wirklich ein Ge 
ſpenſt? — Sie haben nichts mehr darüber gehört ?“ 

Dofe lächelte fanft vor fi) hin und fagte: „ES jet ferne von 
mir, daß ich Sie in einer unangenehmen Gewißheit laſſe, da Id 
Ihnen zu beweiien im Stande bin, daß jenes allerdings unheims 
lihe Weſen nichts Webernatürliches an fi) hatte.“ 

„Ah !* machten die Zuhörer. Und Meiſter Kaspar ſetzte leiſe 
hinzu: „Gott ſei gedankt, daß es ſo geendigt! Das hätte mir 
eine boͤſe Nacht verurſacht.“ 

„Den anderen Morgen,“ fuhr Feodor Dofe fort, „erzählte ich 
dad gehabte Abenteuer meinem Hauswirthe und erfuhr, daß fid 
jene Geftalt öfters fehen lafle, daß fie aber kein Geiſt fel, fondern | 
der wahnfinnige Sohn eines benachbarten Schullehrers, der fih 
zuweilen in Mondſchein⸗Nächten auf jenes Kreuz fege, um fo lange 
jene befchriebenen fonderbaren Bewegungen zu machen, bis der 


Fortſetzung des Fraternifirens. 91 


Mond untergegangen. — „Die Liebe, ach! die Liebe,“ ſetzte der 
Unteroffizier träumeriſch hinzu, „hat ihn fo weit gebradyt. —“ 

Unterdefjen war es fpät geworden, die Weinkrüge geleert, und 
der Major der Bürgerwehr machte den Borfchlag, jept nad dem 
Städtchen zurüdzutehren, welcher bereitwilligft angenommen wurde. 
Die Gefellichaft jtolperte den Berg hinab. Doſe wurde durch den 
freundlichen Adjutanten in ein gutes Quartier gebracht, und auf 
der alten Schloßruine blieb Niemand zurüd, als die Wache. 

Meijter Kaspar aber horchte, bis Die legten Schritte unten im 
Städtchen verflungen, bis der Nachtwächter die eilfte Stunde ge⸗ 
blafen; dann zog er den Poſten vor dem Gewehr ein, verrammelte 
die Thür mit den vorräthigen Mobilien und legte fi zum Schla⸗ 
jen nieder. Doch wollte der Schlummer lange nicht fommen, und 
als er endlich die müden Augen des Schneiders fchloß, träumte 
dieſem von fehredlichen Geſpenſter⸗Geſchichten, von ſeltſamen Geftal- 
tin ohne Köpfe, aber mit ſechs Paar Beinen und Armen. Gr 
verbrachte eine fehr unangenehme Nacht und fchwor hoch und thener, 
iobald nicht wieder auf Wache zu ziehen. 


Zehntes Kapitel. 


Tatbalt die Beichreibung eines Bürgerwehr⸗KValles mit voltsthümlicher Quadrille, au fonft 
noch viel Lehrreihes. — Später wird getrommelt. 


Der Adjutant der Bürgerwehr wußte nicht nur das Bataillon 
zu lenfen, fondern aud die ganze Stadt handelte nach feiner Ans 
gabe. Es war ihm vor allen Dingen darum zu thun, den tüchtigen 
Unteroffizier, der fih fo zufällig bier eingefunden, fo lange als 
möglich da zu behalten, ihn zuerft als Exercirmeifter zu gebrauden 
und ihn vielleicht nach und nad für feine Sache zu gewinnen, d. 5. 


92 Behntes Kapitel. 


nad) links herüberzuziehen. Da aber Dofe, wie wir wifjen, in 
feinen Anſichten völlig rechts überhing, fo mußte fih die ganze 
Stadt auf's Befte zufammennehmen, um ihm ihre wirklichen Gefin- 
nungen nicht zu verrathen. Dem’ Unteroffizier wurde erklärt, es 
handle fih nur darum, um bei einem wahrfcheinlid, ausbrechenden 
Kriege eine Meine Macht zu bilden, die im Stande fei, Geſetz um 
Ordnung aufrecht zu erhalten, und er thue ein gutes Werk, wenn 
er fih im Hinbli auf diefe lobenswerthe Abflcht der Organifation 
der Bürgerwehr eine kurze Weile annehme. 

Der Adjutant des Bataillond handelte nach den Befehlen und 
im Ginverftändnig mit einer unfichtbaren höheren Behörde, der 
Alles daran gelegen war, fich bei der Artillerie einige geheim 
Freunde zu erwerben. 

Dofe aber, den ed drängte, fobald als möglih nad C. zu 
fommen, war nicht leicht zum Dableiben zu vermögen, und der, 
Unteroffizier würde den beſten Worten, dem vortrefflicften 
Quartier nicht nachgegeben haben, hätte man dem Dichter nidt 
auf's Befte gefchmeichelt, indem man ihm das bier erfcheinende Lo 
falblatt zur Verfügung ftellte und am anderen Tage ſchon „Die 
vernagelte Kanone” darin abdrudte. Das war zu viel für Feodor's 
empfängliches Gemüth. Er fah ſich zum erften Male gedrudt. Da 
war fein Lieblings⸗Gedicht, überfchrieben: „Die vernagelte Kanone,” 
unterfchrieben: „Zeodor Dofe.” Ja, er war fo von Glück berauſcht, 
daß der Adjutant es noch am felben Abend wagen konnte, ihm mit 
fügen Worten Einiges von einem gefammten freien Deutfchland 
einzugeben, was Dofe wie eine unbelfannte Medizin binnahm, die 
allerdings unangenehm fehmede, aber vielleicht von befjerer Wirkung 
fein könne. Zu gleicher Zeit legte ihm der Adjutant ein Schreiben 
aus C. vor, worin es hieß, der Befehl zur Mobilmachung ſei noch 
nicht eingetroffen, mithin habe der Unteroffizier vollfommen Muße, 
noch eine Zeit lang in der Stadt zu bleiben. Da das Intelligenz 
biatt am anderen Zage Doſe's „Sehnfuht an Daphne” brachte, 





Ein Bürgerwehr-Ball. 93 


und der Dichter nicht umhin konnte, fich glücklich zu preifen, daß 
der glühendfte Wunfch feines Lebens jebt endlich in Erfüllung ges 
gangen, daß fich jept endlich die Prefie für ihn geöffnet, fo nahm 
der Adjutant hierbei Veranlafjung, von einem geheimen Befehle zu 
ſprechen, der es Militärperfonen überhaupt verböte, etwas drucken 
zu laſſen, und ging dann fehr geihidt auf Preß⸗-Verhältniſſe im 
Allgemeinen über, nannte das Beftehende eine Knechtſchaft, und 
wußte Die Ideen des armen Unteroffiziers für eine freie Preſſe zu 
ewärmen. 

Wenn nun Dofe als Menfch aus zwei Elementen, einem milis 
tärifchen und einem poetifchen beftehend, ſich unter dem Einflufie 
tes lepteren einer gewifjen Weichheit hingab, fo war er ald Unter⸗ 
offizier, um uns bildlich auszudrücken, wie von englifchem Gußſtahl 
und ließ diefe Schärfe und Härte das ganze Bataillon empfinden, 
wenn er es droben vor dem alten Schlofie in den Anfangsgründen 
ter edlen Kriegskunſt unterwies. Die Nitterburg hatte gewiß zu 
den Zeiten des wildeften Fauſtrechtes nicht fo viele fchlimme Worte 
gehört, als in diefen Tagen. Doſe ſchien feine Kreuzdonnerwetter, 
jeine Millionen und andere Hunde während der Poft-Dienftzeit bei 
fich felbft niedergelegt zu haben, um fie jet mit den reichlichften 
Zinfen wieder auszugeben. Die gute Bürgerwehr hatte bis jept 
keine Ahnung davon gehabt, welche Feinheiten im einfachen Rechtd- 
und Linksum verftekt lägen, — zierlihe Nünncen, die Dofe fi 
bemühte, zu Tage zu fördern. Seine Keidenfchaft war, die Wen⸗ 
tungen nach Zählen machen zu laſſen, und damit „zwiebelte“ er die 
Dürgerwehr, daß ihr Hören und Sehen verging. 

Bald ließen fi) auch deutliche Beweife großer Unzufriedenheit 
wahrnehmen, und wenn nicht Dofe mit einem fürchterlihen Eide 
geihworen hätte, dem, der das Maul aufthue, fobald er flillgeftan- 
den! commandirt, den Schädel einzufchlagen, fo würde er eines 
Tages einen offenen Ausbrudy der Menteret erlebt haben. So aber 
begnägten ſich die Bürgerwehrmänner mit hänfigem Krankfein, und 


94 Zehntes Kapttel. 





Dofe hatte noch nicht vier Tage lang feine Zuchtruthe gefchwungen, 
fo beftand das Batatllon auf dem Exercirplage nur noch aus dem 
Major, den Hauptleuten, den Lieutenants und einem halben Dupend 
unverwüftlicher Musketiere. 

Der Adjutant war in Verzweiflung; er hatte mit Vergnügen 
dte Fortfchritte bemerkt, welche die Mannfchaft gemacht, und mußte 
jept fehen, wie die Luft an der ganzen Bürgerwehr fo auffallend 
und unaufhaltfam abnahm. Sogar die abendliche Vefprechung im 
Grünen Baum war nit im Stande, die tapferen Kämpfer freund: 
fhaftlich zu verbinden; es bildeten fi) Gruppen an verfchiedenen 
Tiſchen, man fah auch bier eine Rechte und eine Linke, man fpradı 
von Tyrannei, flüfterte von erneuter Knechtſchaft, und ein paar vers 
wegene Intriganten bearbeiteten das Bataillon und fchlugen Neus 
wahlen vor, um andere Männer an's Ruder zr bringen, denen es 
Ernft fei mit dem wirklihen Kortfchritt, mit der Freiheit, mit der 
— Ordnung. 

Der Adjutant fah ein, dag er falfch mandvrirt, daß Bürger: 
wehr nimmer zu wirklihem Militär heranzubilden fei, und daß ihm 
das Schrediiche beuorftehe, feine Popularität zu verlieren. Er Hatte 
einen feterlichen Appel anfagen laflen; derfelbe wurde ſchwach befucht. 
Er hatte Bürgerwehr⸗Lieder gratis vertheilt und nichts Befondered 
damit bezwedt. Er Hatte die Anfertigung der neuen Fahne be 
fhleunigt; das Bataillon war fehr unvollzähltg erfchienen, um fie 
zu übernehmen. Er hatte fo große Hoffnungen gehegt, fo Schönes 
zu erringen geglaubt durch die Anwefenheit des Artillerie⸗Unteroffi⸗ 
ziers — Alles umfonft! Er hatte für die erhabene Sache nichts 
gewonnen, für fich felbft viel verloren; er mußte zu einem energi- 
[hen Mittel fchreiten, um feine Stellung wieder zu gewinnen; er 
wollte die Frauen und Mädchen des Ortes in's Intereſſe ziehen, um 
auf Die Männer zu wirken, er wollte einen Bürgerwehr-Bafl veran- 
falten; und er hatte das richtige Mittel gefunden. — diefe Idee 
fand allgemein Anklang. 


Ein Bürgerwehr-Ball. 95 


Das Lokal des Grünen Baumes, ein ziemlich großer Saal 
mit ein paar Nebenzimmern, wurde feitlich deforirt mit rothen Fah⸗ 
nen, mitgrünen Guirlanden und den Waffen des Bataillons, mittels 
welher man an der Meinen Seite des Saales eine große Trophäe 
errichtete, die fich im Glanze von ein paar Dutzend Talgkerzen recht 
ſtattlich ausnahm. Die Mufit des Städtchens, beſtehend aus einem 
Gontrebaß, zwei Biolinen und einer Elarinette, wurde durch die 
beiden Tambours verflärft und befand fi) auf einer Tribune, die 
gebildet worden, indem man Bretter über einige Fäſſer gelegt. 

Wir müſſen geftehen, daß die dee des Adjutanten im Städt- 
hen allgemeinen Anklang gefunden hatte. Die weißen Kleider 
‚ wurden hervorgefucht, mit rothen Schleifen verziert, zwei Damen 
erſchienen fogar in blutrothen Taffet gekleidet; und wir fünnen es 
feider nicht verfchweigen, daß ſich während des Nachmittags bie 
Mufik abquälte, die Marfeillaife zn ſpielen — freilich in fehr lang» 
jamem Tempo — denn mit diefer Melodie follte der Bürgerwehrs 
Ball durch eine Polonatfe eröffnet werden. 

Dofe war abgenupt, Dofe war eine gefallene Größe. Man 
duldete feine Uniform nur noch, weil er feierlich erklärt hatte, er 
reife morgen ab, indem er mit einer folhen „Schwefelbande,“ die 
keinen Drang zur Subordination in fih fühle, nichts mehr zu 
fhaffen Haben wolle. So fchnell ändern fih Zeiten und Menfchen. 
Bir können dabei nicht verfchweigen, daß neben dem linteroffizier 
Dofe auch der Poet Feodor Dofe auf's Tiefite gekränkt worden war. 
. Der Erftere hatte es nämlich für nöthig befunden, den Druder des 
Inteligenzblattes, der mit fehr roſtigem Gewehr angetreten war, 
einen unſauberen Schmierfinten zu nennen, woraus das Schredliche 
entſprang, daß am folgenden Tage eine Recenfion erſchien, welche 
das berühmte Gedicht: „Die vernagelte Kanone,“ für den miferabels 
ſten Schund erffärte. 

Irog allem dem hielt es der umfichtige Adjutant doc für Flug, 
niht gerade in offener Feindſchaft von dem Unteroffizier zu ſcheiden. 


96 Zehntes Kapitel. 


Es konnten Zeiten fonımen, wo — — und darum befchloß er, we 
nigftens für feine Perfon, Dofe bis zum lebten Augenblick aufs 
Treundfchaftlichite zu behandeln. Er ertheilte dem Druder von 
Batalllond wegen eine tüchtige Nafe, er lud den geihmähten Dich⸗ 
ter dringend zum Bürgerwehr-Balle ein, und Dofe veripradh zu 


fommen. | 
Aber nicht blos innerhalb der Stadtmauern bejchäftigte man 


fi) eifrig mit den Vorkehrungen zu diefem Feſte — nein, auch 
von auswärtd famen Theilnehmer und Theilnehmerinnen, letztere 
meiſtens in harmloſe Landfuhrwerke gepackt, mit aufgewickelten 
Haaren, auf dem Schooße ein großes Paket, worin ſich das weiße 
Ballkleid befand, ſowie Strümpfe und Schuhe. Das auswärtige 
männliche Geſchlecht beſtand meiſtens aus ſehr geſinnungstüchtigen 
Mitgliedern eines Seminars auf der anderen Rheinſeite, blutdür⸗ 
ſtigen jungen Leuten mit großen, drohenden Bärten und keck auf 
geſtülpten Schlapphüten. Dieſe fuhren in einem Boote über den 
Rhein, fie hatten zwifchen fich eine große rothe Fahne aufgeftedt 

und fangen: | 


Wenn die Fürften fragen: was macht Heder doch? 
Könnt ihr ihnen fagen: diefer hänget hoch — 
Aber nicht am Galgen, nicht an einem Strid, 
Sondern an der Spige — freier Republik! 


In dem Tanzſaale felbft hatte man eine gleiche Lithographie, 
wie eine droben in der Wachtftube prangte, aufgehängt, hier aber 
umgeben von einem Kranze von Bichenlaub, deutſcher Männer 
Kraftſymbol und Lieblingsbaum, bis zu feinen Früchten, den 
Eicheln, die man im Naturzuftande roh, fonft aber auch gebrannt 
und gemahlen ald Kaffee verzehrt. 

Obgleich der Zutritt in den Tanzſaal Nachmittags Niemand 
mehr geftattet war, fo hatte doch Doſe, der im Grünen Baum 
wohnte, hiervon eine Ausnahme gemacht, um ſich die Dekorationen, 


Ein Bürgerwehr- Ball. 97 


an welchen man den ganzen Tag über gehämmert, mit Muße anzus 
feben. Manches fam ihm bier fonderbar vor, und er fehüttelte ber 
denkfich fein langes Haupt. Unter Anderem vermißte er die Lan⸗ 
desfarben, fowie das Portrait feines Königs und Herrn, und fah 
dafür eine miferable Lithographie, die einen Mann darftellte, der 
einem Räuberhauptmanne wie ein Ei dem andern ähnlich fah. Doſe 
beſchloß trog allen dem, den Ball zu bejuchen. 

An der Haupt-Eingangsthüre befanden ſich zwei Schildwachen 
mit Säbel und Muskete aus der Bürgerwehr, neben ihnen der 
Raffier des Bataillons hinter einem Tiſchchen, auf welchem ein tiefer 
Suppenteller ftand, beftimmt, das Kintrittögeld und patriotifche 
Gaben in Empfang zu nehmen, die gefpendet wurden zum Velten 
der guten Sache, ſowie au, um dad rothe Baummwollenzeug für 
die Fahnen zu bezahlen. Wir müflen geftehen, daß fich der Teller 
mit Silbergeld füllte. Der Kaffier ſaß ftolz auf feinem Stubhle, 
mit einer weißen Halöbinde; er trommelte felbftgefällig mit den 
Fingern anf den Tiſch, und machte bie und da den beiden Schild» 
wachen ein geheimes Zeichen, fich gerade zu ftellen und das Gewehr 
anzuziehen, wenn nämlich Iemand fam, von dem anzunehmen war, 
dag er wenigftens einen halben Thaler opfern. würde. 

Der Ball begann um fieben Uhr mit dem Aufipielen des 
marſeiller Liedes, bei defjen Klängen fihdie ganze Gefellfchaft feier- 

ih durh den Saal und die beiden Nebenzimmer bewegte. Es 
wurde Died natürlicher Weiſe als Polonaife betrachtet, und dieſe 
ward angeführt von einem diden, bleichen, fchlagflüffigen Semina- 
tiften, der rothe® Haar, und Haldbinde, fowie Uhrband von derfels 
ben Farbe trug. Er blidte ſtolz um ſich ber, hatte feine Arme 
beffändig halb. gebogen und bob fie bei jedem Schritte ein paar 
Zoll empor, ungefähr fo, wie e8 ein junger fetter Pelikan mit fets 
nen Flügeln zu machen pflegt, ebe er ſich vom Boden erhebt. 

Der Semtuarik war Mitglied mehrerer geheimen Geſeuſchafien; 

-Gadländers Werte. V. 2 


98 Behntes Kapitel. 


er warb für die Freiheit bei allen Beranlafiungen, und da er Durch 
aufopfernden Xebenswandel fehr verſchuldet war, fo fehwärmte er 
unmäßig für das Gleichheitö- Prinzip. Er gehörte zu den Feſtord⸗ 
nern, ebenfo wie der Major, die Hauptleute, die Lieutenants, der 
Wachtmeiſter, Bataillonsfchreiter und Kaſſier, fowie noch eine ats 
dere, fehr dürre PBerfönlichkeit, der Tanzmeifter des Ortes, ein 
beruntergefommener Barbiergefelle und wüthender Demokrat. Alle 
diefe Feftordnner trugen rothe Binden am Arm, tranfen ihren Wein 
anf Koften der BataillondsKafje und gaben fich ein unerhörtes An⸗ 
feben. 

Nah der Polonatje rief der feſtordnende Tanzmeifter eine 
Duabdrille aus, — ein fremdes Wort, wofür ihn der fchlagflüffige 
Seminartit mit einem furdtbaren Blick beftrafte Dann brüllte 
der Letztere: „Ein Vierertanz, ihr Bürger!“ und ftellte fih als 
erſtes Paar auf. Sein Gegenüber war der Major, neben diefem 
der Adjutant, rechts zwei Hanptleute, links zwei Lieutenants; neben 
dem Seminariften befand ſich der Druder des Intelligenzblattes. 
Und fo fand bier eine vornehme, eine Honoratioren⸗Quadrille. 
Der Seminarift warf fi) in die Bruft, blickte ftolz auf den Tanz⸗ 
meifter und bedeutete ihm, zu fchweigen, er felbit wolle die Touren 
anrufen. 

Die Mufit begann, die üblichen Verbeugungen gegen die Das 
men wurden gemacht, wobet der Major zierlich mit dem Fuße bins 
tenaus fragte, der Adjutant die Hand auf's Herz legte, der Schlag⸗ 
flüffige gleichgültig den Kopf netgte und die Baden aufblies, und 
jeder der Hauptleute und Lieutenants fchon jept-den Daumen und 
Beigefinger der rechten Hand in die Weitentafche vergrub, wo fie 
bis zur Beendigung des ganzen Tanzes verblieben. Der Drucker 
allein hatte fein Gompliment zu Stande gebracht; denn in dem 
Augenblide, wo er dazu feinen Mund lächelnd fpibte, wie ein Kar 
pfen, entdedte er Zeodor Doſe's Geficht gerade ſich gegenüber, weh“ 
halb er ftatt jedes Complimentes ingrimmig auf die Seite ſpuckte. 


Gin Bürgerwehr-Ball. 99 


„Die Sklavenkette!“ brüllte nun der Seminariit, was fo viel 
beißen follte, als: Chaine anglaise. Und Alles gerieth in die 
lebhafteſte Bewegung. Damen und Herren wanden fi) durch einans 
der, die Kleider rauſchten, und die Muſik jammerte irgend eine 
{uftige Melodie. 

„Schüßt die Damen!” hieß es wieder, und Alles beugte fi 
zierfich vor⸗ und rüdwärts, nach rechts und nach links. 

„Die freie Deutfche Fauft!“ erjcholl ein neues Commando. 
Und trot dieſer deutfchepatriotifchen: Ueberfegung wurde doch das 
fanfte Tour de mains nad altherlömmlichen Regeln ausgeführt. 
Sp ging es fort, und der fchlagflüffige Seminarift gab den ver- 
fhiedenen Eommandoworten dur die Art, wie er fie ausſprach, 
eine mannigfaltige und nicht zu verfennende Bedeutung. Oft lie- 
pelte er leife, wenn er fagte: „Die Kette der Damen“, oder „Pros 
menade,“ was ihm zu überfepen überfläffig erichien. Bald aber 
zudten feine Arme, ald wollte er jept gerade zur Dede hinaufflie⸗ 
gen, und fein Mund öffnete fi weit, wenn er 3. B. rief: „wei 
. Tühn voran!“ oder „Sagt nach rechts und nad links!“ oder „Bes 
waffnet die rechte und linke Hand!” 

Der Glanzpunkt der Quadrille war übrigens, als er in der 
Tour Cavalier seul endlid mit berausforderndem Blide rief: „Der 
freie deutſche Mann allein!” und anmuthig vortänzelte, die Nafe 
Hoch, das Geſicht bläulich, das rothe Uhrband ſtolz um den Finger 
gewidelt. Es war dies ein großer Moment und wurde mit einem 
allgemeinen Händellatfchen begrüßt, das Jeden mit Ausnahme des 
Tangmeifter zu freuen fehlen, der vor Neid hätte berften mögen, 
daß ihm dieſe gefinnungstüchtigen und volföthümlichen Veränders 
ungen nicht eingefallen. 

Dofe, dem diefe ganze Geichichte fehr unbehaglich zu werden 
anfing, hätte fi) gern aus den Zimmern zurüdgezogen; doch da 
er heute Vormittags einen großen Spaziergang gemacht, um von 
der Spitze eines benachbarten höheren Felſens fehnfuchtsvoll das 


100 Behntes Kapitel. 


Rheintal hinabaubliden, To begann er jetzt ziemlihen Hunger 
zu verfpüren und mußte fi fchon entichließen, bier zu bleiben 
und bis zur Paufe zu warten, da heute Abend fonft im ganzen 
Haufe nichts zu erhalten war. Doc zog er ſich in das hinterſte 
Zimmer zurüd, ſetzte fih da in eine Ede und verfant in Träus 
mereien. 

Der Kaffier vorn an der Thür hatte feine Einnahmen ziemlich 
beendigt, denn es fam keine Seele weiter, um ihr Schärflein dar⸗ 
zubringen, weßhalb er die Silbermünzen in dem Suppenteller mit 
feinem Schnupftuch bededte und fich etwas zu efien bringen ließ. 
Gr verzehrte mit großem Appetit die Kalbs⸗Cotelette, die man ihm 
gebracht, jeßte den gebrauchten Teller auf fein Schnupftuch, und 
machte mit übrig gebliebener Sauce ein Kreuz auf diefen oberften 
Zeller, um damit anzuzeigen, daß man unter demfelben Schnupf- 
tuch und Geld ald umnverlegliches Eigenthum zu betrachten habe. 
Dann erhob er ſich in der ganzen Würde feines Amtes und fhritt 
in den Zanzfaal, ftolz erhaben, den Oberkörper auf den Hüften 
wiegend, den Kopf in der weißen Halsbinde drehend. Die beiden 
Schildwachen, obgleich heute Abend als Musfetiere fungirend, wa⸗ 
ven nicht8 deſto weniger freie Bürger der Stadt, und fie jahen dies 
ſes Aufpoftenftehen als eine große Gefälligkeit ihrerfeits an, die 
aber nothwendiger Weije ihre Grenzen haben müſſe. Deßhalb 
ftellten fie nad Abgang des Kaflierd ihre Gewehre in die Ede, 
ftälpten den Hut darauf und fingen ebenfalls an, zu ſoupiren, fo 
lange draußen noch der Tanz wogte und in der Küche noch etwas 
Gutes zu haben war. 

Jetzt näherte fich die erſte Abtheilung des Balles ihrem Ende 
und ſchloß mit einem Vernichtungs-Galopp, aus dem man deutlich 
die Klänge eines befannten Volksliedes heraushörte. Dann tra- 
ten die Paare aus einander, man ließ fih an den nod leer ſtehen⸗ 
den Tifchen nieder, Alles rief nah Wein und Speifen. Alles, ſa⸗ 
gen wir, mit Ausnahme des Kaſſiers; nicht, weil diefer ſchon four 


Ein Bürgerwehr-Ball. 101 


pirt hatte, ſondern weil er, an die Gingangsthüre zurückkehrend, 
dort weder Telier noch Geld mehr vorfand und verzweiflungsvoll 
nach feiner Kaffe fchrie. Die beiden Schildwachen , die befragt 
wurden, ſchauten fi) überrafcht an und verficherten, nicht das Ge⸗ 
ringfte zu wiflen. Sie wären nicht von dem Plape gewichen, wie 
der Herr Kaffler, fie hätten im Uebermaß des Pflihtgefühls fogar 
ftehend ihr Abendbrod verzehrt, und überhaupt hätte man ihnen 
feinen beflimmten Auftrag gegeben, über einen Zeller zu wachen, 
der mit zwei Sauceftrichen verfehen geweſen wäre. 

Es war ziemlich viel Geld in dem Teller vorhanden gewefen, 
und dad feltfane Verfchwinden deſſelben wurde bald im ganzen 
Saale befannt und machte keine geringe Beftürzung. Der Major 
ſchaute vornehm verweifend aus, der Adjutant mißtranifch, der 
ſchlagflüſſige Seminarift wüthend und der arme Kaffier höchſt uns 
glücklich. Der Seminarift, dem die fremde Uniform Doſe's ſchon 
fange ein Dorn im Auge gewefen, machte fich in feindjeligen Aus⸗ 
drücken Luft, fprach von den Livreen der Tyrannen, fowie ähnliches 
ungereimted Zeug, und berubigte fich erft wieder, als die lange 
Geſtalt des Unteroffiziers im Zanzfaale fihtbar wurde, der aus feis 
nem Winkel hervorkam, um fi) nach dem allgemeinen Lärmen zu 
erkundigen. 

Zwei Schildwachen bei einer Kafie und diefe Kaffe verfchwuns 
den, dad verurſachte ihm ein niederdrüdendes Gefühl. Wenn die 
beiden Musketiere auch. nur der Bürgerwehr angehörten, fo was 
ren fie do von ihm, von Feodor Doie, commandirt worden, und 
Das warf einen Schatten über fein Gemüth. Er wandte fich um, 
dte Arme verfchräntt, und befand fich gerade vis-A-vis dem jungen 
Schlagflüffigen, der ihn etwas herausfordernd von oben bis unten 
anſah. Dofe erwiederte diefen Blick, war aber fihneller damit zu 
Ende, denn der Seminartft war von fehr Meiner Geftalt. 

Der Unteroffizier zudte gleichgültig die Achfeln und wandte 
fi der Thüre zu, als wolle er hinausgehen. Der Andere trat ihm 


102 Behntes Kapitel. 


in den Weg. „Herr,“ fagte er, „Sie willen wahrfcheinlih nicht, 
was vorhin an der Thüre gefchehen ift! Man fchleicht fi) nicht fo 
and dem Zimmer, wenn Kaſſen fpurlos vom Tiſche verfchwinden. 
Man bleibt da, bis die Sache gehörig unterſucht ift.“ 

Dofe erblaßte vor ungeheurer Wuth, denn er begriff Die Rede 
des fchlagflüffigen Seminariften. Seine rechte Hand zudte in der 
Zuft, und wenn nicht der Adjutant dazmwifchen gefprungen wäre, fo 
hätten ſich die Finger im näcften Augenblide fehr unangenehm 
mit der rothen Halsbinde befchäftigt. 

„Schämen Ste ſich!“ fagte der Adjutant zu dem jungen Manne. 
„Was iſt das für eine Aufführung?“ Auf diefe Art dient man 
unferer Sache nit. — Befter Herr Unteroffizier, hören Sie nicht 
auf diefen unvorfichtigen jungen Menfchen!“ 

„Eindringlinge und Spione,” entgegnete der Schlagflüffige... 
und jept konnte ihn Die Perfon des Adjutanten nicht mehr befchü- 
Ben. Dofe redte fi etwas Weniges in die Höhe, beugte fi) da 
bet faft über den Adjutanten herüber, und ftredte den Seminariften 
mit einem einzigen Schlage zu Boden. Dann athmete er tief auf, 
30g feine Uniform um die Taille ein wenig herunter und blidte 
fragend rings umher. 

Obgleich fih der Seminarift im nächſten Augenblide wieber 
auf die Beine half und der Adjutant behauptete, Jener fei nur 
ansgeglitfcht, fo begann fih doch in dem Saale ein ımangenehmer 
Tumult zu erheben, aus dem heraus man deutlich die Worte vers 
nahm: „Werft ihn die Treppe hinab, werft ihn auf die Straße! 
— Wer weiß aud, wie dieſer Tumult geendigt hätte, wahrſchein⸗ 
lich mit einer fehr foliden Schlägerei, denn Dofe liehängelte fchon 
mit einem Stuhle in feiner Nähe, der fehr feite Beine zu haben 
fhien, ald der Wirth zum Grünen Baum haftig zwijchen die Strei> 
tenden flürzte, indem er ausrief: „Kein Wort weiter, ihr Herren, 
die Kafie ift wiedergefunden!" Ihm folgte der entzüdte Kaffier 
mit einem großen Zuber voll ſchmutzigen Spülwafjers, in das er, 


Ein Bürgerwehr- Ball. 103 


obgleich es fehr unangenchm roh, mit innigem Entzüden feine 
Naſe ftedte. 

Die Sache mit der verfchwundenen Kaffe war bald aufgellärt. 
Ein Dienſtmädchen des Haufes hatte die, wie fie glaubte, leeren 
Teller in die Küche genommen, fie dort in Waſſer verfenkt und 
ſtehen laſſen, und erit, als man die Teller wieder gebrauchte und 
abfpälte, fand fi die ganze Beſcherung, an der nicht ein Grojchen 
fehlte. Der überglückliche Kaffier predigte nach allen Richtungen 
Berföhnung, fagte dem jungen Semitnariften einige pafjende Worte 
und führte den Unteroffizier in das hintere Zimmer, wo erfich mit 
ihm bei einer Flaſche Wein feſtſetzte. 

Doſe's Gemüth war tief erfchüttert; er fing an, die Gefellfchaft 
zu erlennen, in der er ſich befand, er fing an, bier in dieſem Kreiſe 
für feine Uniform, für feine Treffen zu erröthen. Er war auf diefe 
Art ein einſylbiger Gefellfchafter, weßhalb ihn der Kaffier bald ver 
tieß und in den Zanzfaal zurückkehrte. Feodor fügte die Hand 
auf ein Fenftergefims, legte den Kopf darauf und hatte fchmerzliche 
Gedanken. BBie ein wilder, wüfter Traum erfchten ihm fein Aufent» 
Halt Hier in dem Städtchen, und er konnte oft nicht begreifen, was 
ihn hier zurüdhalte. Ach! die Kinder feiner Mnfe hatten es gethan, 
feine Poeſieen. Aber auch diejer Zauber fefielte ihn nicht mehr an 
den Ort, er follte ihm kein Capua werden, er wollte ihn morgen 
mit dem eriten Blide des jungen Tages verlafien. Hatte er doch 
fein Manufeript wieder, hatte er es doch durch einige vortreffliche 
Lieder vermehrt, ja, er hatte fogar einen Freiheitsgeſang gemadıt. 
Aber dies war ein harmlofes Lied, denn ed waren die Ergüſſe eines 
Unteroffizierd nach eben beitandenem dreitägigem Mittelarreft. 

Horh! was war das? Zäufchte fih Dofe oder vernahm er 
wirklich den Iufligen Schlag einer Trommel? 


104 Eilftes Kapitel. 


Eilftes Kapitel, 


Dom unglücklichen Kehraus des Bürgerwehr⸗Balles und von der Ankunft eines wirklichen 
Snfantertes2teutenants, in deffen Folge der fchlagflüifige Seminariſt und der Badmeifter 
Dofe arretirt werben, — furz aber michtig für Beamte der öffentlichen Macht. 


Nein, Dofe täuſchte fi) nicht! Am vor dem Lärmen der Tanz⸗ 
mufit im benachbarten Saale befjer hören zu können, öffnete er ein 
Hein wenig dad Kenfter, an dem er allein jaß, und lauſchte. Rich 
tig! da Hang ed wieder, fchon näher und deutlicher, aber immer 
noch fern auf der Landſtraße. Rataplan— Rataplan— plan—pları ! 

Zrommeljchlag und Hundegebell hört man in der Nadıt fehr 
weit, wenn man nicht gerade einen Eotillon tanzt. Aus dem letz⸗ 
teren Grunde fhien man auch drinnen im Tanzfaale nichts zu ver- 
nehmen; der Contrebaß grunste, die Violinen quieften, und die 
Elarinette jammerte dazwifchen immer fort ohne Aufhören, nur zus 
weilen übertönt von dem Geflampfe der Tanzenden, 

„Ei,“ dachte der Unteroffizier, „was fann das fein? Warum 
der Marfch einer Infanterie⸗Colonne bei fo fpäter Naht?“ — 68 
mochte etif Uhr fein. — Er laufchte abermals, doch hatte der Trom⸗ 
meljchlag aufgehört, und es fihien draußen ganz ruhig zu fein. 
Doch nur eine halbe Viertelſtunde lang; dann vernahm Feodor mit 
einem fcharfen geübten Chr Zritte vieler Menfchen, die fih anf 
der Landftraße in gleihem Schritt zu nähern ſchienen. Gr ſchüttelte 
den Kopf. Was konnte das bedeuten? — Stand die Ankunft des 
Militärs vielleiht im Zufammenhange mit einigen Bewohnern des 
Städtchend oder vielleiht gar mit dem Feſte felbit? — Was war 
zu thun? — Sollte Doſe fi auf fein Zimmer begeben oder da 
bleiben, wo er war, bier die Dinge, die da kommen jollten, ruhig 
abwarten? — Gr befchloß dad Letztere und blieb. 

Es war, als feien am heutigen Abend, vieleicht wegen des Feſtes, 
weder Nachtwächter noch Hunde auf der Straße; denn die erfteren 


Unglückliicher Kehraus des Bürgerwehr-Balles. 105 


machten keine Meldung und die letzteren bellten nicht einmal dem heran⸗ 
ziehenden Militär entgegen, weßhalb es denn auch begreiflich war, 
daß man im Tanzſaal hiervon keine Ahnung hatte. Hier wurde ſtark 
getanzt, gehörig dazu getrunken und viel gelärmt. Man erging ſich in 
heftigen Redensarten, in ſehr excentriſchen Toaſten, und namentlich 
zeichnete ſich der ſchlagflüſſige Seminariſt bei allem dem aus. Er 
hatte eben eine Rede gehalten zu Ehren der rothen Fahne, in wel⸗ 
cher außerordentlich viel Worte, wie: entwürdigende Knechtſchaft, ver⸗ 
dumpfende Unterdrückung und dergleichen, vorkamen. Er hatte dieſe 
Rede in der Nähe der Thüre gehalten, hatte ſie hauptſächlich an 
die beiden Bürgerwehrmänner gerichtet, die dort auf Poſten ſtanden, 
und war ſchließlich daran, ſie zu dem baldigſt bevorſtehenden Kam⸗ 
pfe auf's beſte zu ermahnen, daß ſie mit Gut und Blut vertheidi⸗ 
gen möchten die rothe Fahne und den heimiſchen Herd — als ſeine 
Naſe plötzlich lang und ſpitz wurde, ſeine Wangen von ziemlichem 
Roth im tiefe Bläfje übergingen und er mit gläſernem Blick durch Die 
Thüre auf den Gang hinausfchaute, als bemerke er dort ein Gejpenft. 

Und dert erfchienen auch in der That Gefpenfter, aber nicht, 
wie man fie fi} gewöhnlich vorftellt, in langen, weißen Gewändern 
mit eingefallenen Wangen; fondern die Geifter hier, die fih ruhig 
und ftill hinter den beiden Bürgerwehrmännern aufpflanzten, hatten 
blaue Röde, weißes Lederzeug, uud blanke Pidelhauben auf den 
Köpfen. Auch fahen ihre Gefichter fehr von Diefer Welt aus; ja, 
fie lächelten jehr freundlich, als fi) ihre Kameraden mit den Schlapp⸗ 
hüten nun ebenfall® umwandten und vor lauter Meberraichung die 
Gewehre finfen ließen. 

Der Seminarift flürzte in das Tanzgewühl zurüd, riß die 
Paare ans einander, und ein Wort, ein Fingerzeig reichte hin, um 
fämmtliche Mitglieder des Feites in Kenntniß zu ſetzen von dem, 
was fi draußen begeben. Die Muſik brad mit Einemmale ab, 
und Die Künftler felbit, indem fie ihre Inftrumente im Stiche 
ließen, fuchten ein Aſyl unter dem fchügenden Gerüſte. 


106 Eilftes Kapitel. 


Jetzt erfchien ein Offizier der Infanterie in den Saale, ge 
folgt von einigen Mann, das Gewehr im Arm, und fhritt lang- 
fam durch die erftaunten und erfchredten Gruppen. Der Erfte, der 
fi) fo weit wieder fammelte und faßte, um eine fehr ehrerbietige 
Frage zu ftellen, war der Wirth zum Grünen Baum, der fiy als 
folcher vorfteflte und nadı den Befehlen des Dffizierd fragte. Im 
diefem Augenblide machte der Bataillons⸗Adjutant fowie der ſchlag⸗ 
flüſſige Seminarift einen vergeblihen Berfuch, durch die Thüre zu 
entwifchen. Die beiden Schildwachen wiefen fie zurüd, worauf 
fih die Erſchrockenen in die dichtefte Gruppe der Umherſtehenden 
verloren und langfam gegen das hintere Zimmer manövrirten, um 
dort vielleicht zu entkommen. 

Der Gaftgeber zum Grünen Baum wandte fich aljo au ben 
Lieutenant und fragte ihn, womit er dienen Pänne. 

„Mein lieber Mann,* fagte diefer, „ich bin durchaus nicht 
gefommen, um Ihr heiteres Feſt zu ſtören; ja, ich betrachte fogar 
mit einigem Interefie diefen Saal, denn ich hoffe bier unter An- 
derem die Befanntfchaft zweter Herren zu machen, des Herrn Altuar 
D. und des Herrn Seminariften W. Sollten fi diefe Beiden 
vielleicht bier befinden ?“ 

Der Lientenant war ein einer, unterfepter Mann mit ſehr 
lebhaften Augen, einem außerordentlich freundlichen Geficht und 
fehr großem Schnurrbart. Er that gang, als wenn er bier zu 
Haufe wäre, legte die Hände auf den Nüden und ſchrin laugſam 
auf und ab. 

„Der Herr Aktuar D.?“ murmelte erſchrocken die Menge. 

„Unfer Adjutant?“ fepten einige Andere leife hinzu. 

„Sind dieſe Beiden nicht hier?“ fragte der Sientenant. „O, 
fie befinden ſich gewiß bier.” » 

„Sie waren bier,“ entgegnete der Wirth, der mit gehßer Gei⸗ 
ſtesgegenwart eine Serviette erwiſcht und fie um den linken Arm 
gehängt hatte. Es war ihm in dieſem Augenblide Alles daran 


— 


— 


Unglücklicher Kehraus bes Bürgerwehr⸗Balles. 107 


gelegen, nur als Gaſtgeber des Grünen Baumes zu erſcheinen. Er 
ſtand demüthig gebeugt wie ſein Oberkellner. — „Sie waren hier 
noch vor wenig Minuten.“ 

„In dem Falle find fie auch noch bier,“ verſetzte unerſchütter⸗ 
lich der Lientenant. „Dort, wo ich hereinkam, ſind fie nicht hinans.“ 
„Aber der Saal hat zwei Thüren,“ entgegnete der Wirth. 

„Auch dafür iſt geſorgt, mein lieber Mann,“ fuhr der Offizier 

ruhig fort. „Sch bitte alſo nur, gefälligſt Ihre Stimme erſchallen 
zu laſſen und die Namen der beiden Herren zn rufen.“ 

Dagegen war nicht viel einzuwenden, und die übrige Balls 
Geſellſchaft, ſehr glüdlich darüber, daß fie felbft von foichen Unan⸗ 
nehmlichkeiten verjchont geblieben, Bffnete raſch ihre Reihen, drehte 
fidh rechts und links, ſchaute Hinter fih und trat endlich fo aufs 
fallend vor zwei Herren in der binterften Ede des Saales zurüd, 
dag der Offizier augenbliclich wußte, er habe Die Rechten vor fidh. 
Er redete fie überaus freundlich an, bedanerte, ihr Vergnügen ftö- 
ven zu mäfien, da er einige Worte mit ihnen zu fprechen habe, 
und übergab fie einem Unteroffizier und zwei Mann, die fie augen- 

blicklich Hinmwegführten. 
| Hier war für Dofe, der fich ruhig im hinteren Zimmer hielt, 
der große Moment gefommen, wo ein hartes Schiefal, wenn es 
"gut gelaunt war, ruhig an ihm vorübergehen, oder, wo ihn das 
Berhängniß erfafien und zu Boden werfen Tonnte. 

Das Berhängniß war da in Seftalt des commandirenden Lieu⸗ 
tenauts, der fchon im Begriff war, fih nad gethaner Arbeit auf 
dem Abſatz herumzudrehen und das Haus zu verlaffen, wenn ihn 
nicht Dofes unerbittliches Schickſal veranlaßt hätte, ein paar Schritte 
vorzugehen, um einen Blick in das Hintere Zimmer zu werfen. 

Der Gaftgeber mit der Serviette auf dem Arm war an feiner 
Seite und machte feine Bewegung, den Offizier zurückzuhalten, denn 
er fah ſchadenfroh, was da erfolgen würde. 

Dofe hätte fich hinter die Thüre verſtecken können; doch fein 


* 


+08 Eilftes Kapitel. 


offenes und edles Gemüth dachte nicht daran. Er richtete ih in 
feiner ganzen Größe empor und fchante dem erflaunten Offizier feft 
in die Augen. 

„Bas tft das?“ fragte der commandirende Lieutenant, nnd fein 
freundliches Geſicht überzog fih zum erftenmal mit einem finfteren 
Schatten. — „Herrir! wie fommen Sie daher?“ 

Ehe aber Dofe antworten konnte, nahm der boshafte Wirth 
das Wort und fagte: „Herr Unteroffizier Dofe, fett einiger Zeit 
Ggercirmeifter des Bataillond, einer unferer beiten Freunde.“ 

Der alfo Borgeftellte zudte die Achſeln und meldete darauf 
dienftlich dem Offizier, daß er auf dem Wege let, fih nah C. zu 
begeben, um dort bei der erwarteten Mobilifirung der Artillerie 
Brigade eine pafjende Stelle zu finden. 

„Schon gut!“ fagte immer noch finfter der InfanteriesOffizier, 
indem er auf feinen blonden Schnurrbart big. „Interoffizier, Sie 
werden dieſem ‘Sergeanten folgen; das Weitere wird fih finden. 
68 müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wegen des verfluchten 
Fraternifirens nicht einmal ein Exempel flatuirt würde. Beim Zeus! 
Ein Unteroffizier der Artillerie ift Exercirmeifter diefes berüchtigten 
Bataillons und fipt harmlos und vergnägt unter der rothen Fahne 
Herrir! wenn Ihnen das nicht Ihre Irefien koſtet, gibt es keine 
Gerechtigkeit mehr auf der Welt.” — Damit drehte ſich der Lieute⸗ 
nant jegt wirklich auf dem Abfag herum und fchritt ſtolz durch den 
Saal, wo ihn die Anwejenden ehrerbietigft grüßten. 

Doſe, der, gefolgt von einem Sergeauten und zwei Mann, 
hinter ihm drein ging, ſah manche fchadenfrohe Blicke auf fi 
gerichtet. Ja, der Druder des Intelligenzblattes, der ihm den 
Schmierfinten nody lange nicht vergefien hatte, murmelte ihm halb: 
laut nad: „Run, Gott befohlen, das gibt jedenfalls neue Poefien! 


- 








Wachtſtube auf dem Rathhauſe mit Souper. 109 


Zwölftes Kapitel. 


Wachtſtube auf dem Rathhaufe mit Souper. Die bewaffnete Macht unterfuht den einen 
ihrer Gefangenen, worauf der Packmeiſter entlaflen wird und die Belanntichaft einer 
Tame in ſchwarzem Mantel madıt. 


Die Infanterie Abtheilung, welche fi fo unverhofft dem Städt: 
ben gemähert und den Bürgerwehrs Ball mit einem fo traurigen 
Kehraus geemdigt, beftand aus einem Zuge und wurde bet biefer 
Beranlaffung ausnahmsweiſe von zwei Offizieren befehligt. Den 


| jüngeren, welcher den Adjutanten und den Semtnariften verhaftet, 


lernten wir bereit kennen; der andere marfcirte aber vor das 
Rathhaus der Stadt, auf dem Marktplage gelegen, wo er die Sols 
daten den Tornifter ablegen Tieß und nach Jemand von der Behörde 
ihidte, um nah Vorſchrift Wein und Brod zu requiriren. 

Der Eommandirende wollte für die Hälfte der Nacht feine 
Nanuſchaft nicht einquartieren, und auch der Soldat, der wußte, 
dag er morgen fehr frühzeitig abmarfchiren follte, blieb Lieber bier 
in dem Kleidern bei feinen Waffen und einen guten Glafe Wein, 
um bei der Reveille gleich bereit zu fein. Für den Adjutanten und 
den Seminariften hatte man ein Zimmer im Rathhauſe geöffnet, 
an diefem ein leineres für Dofe, und der commandirende Offizier 
hatte fein Hauptquartier im Sigungsfaale des Gemeinderathes auf 
geſchlagen. 

Der ſtolze Name eines Saales war übrigens unpafiend für 
diefes Gemach. Es war nichts mehr und nichts weniger, als ein 
mäßig großes Zimmer mit dunklen Tapeten, einer alterhümlichen 
Decke von faft ſchwarz gewordenem Eichenholz und zwei hohen Fen⸗ 
fern, in denen man noch Weberrefte von Glasmalereien bemerkte, 
Das Amenblement beftand aus einem Tifche, der in der Mitte ftand 
und mit einem grünen Tuche behängt war, ferner aus Stühlen mit 
hoher Lehne, gewundenen Füßen und Armen, Sig und Rüden mit 


R 


110 " Bwölftes Kapitel. 


Leder überzogen, das, dunkelbraun und glänzend, Zeugniß ablegte 
von langjährigem Gebrauch und von den vielen Stunden, welde 
die Väter der Stadt, auf das Wohl der Bürgerfchaft bedacht, bier 
auf diefen Sitzen zugebracht hatten. 

Der alte Rathhausdiener hatte zitternd und zagend diefes Zim- 
mer aufgefchlojjen; er hatte zweit Talgkerzen angezündet und in dem 
Steinfamin aus trodenem Holz und Neifig ein Zeuer angemadıt. 
Seine Schlüffel hatten heftig geklappert, ald er den Adjutanten des 
Bürgerwehr- Bataillond und den Seminariften eingefchloifen, fos 
wie Doje in Sicherheit gebracht. Gr war aber jept erflarrt vor 
Schrecken, ald ihm der ältere Infanterie⸗Offizier befahl, den gewich—⸗ 
tigen Schlüſſelbund auf den grünen Tiſch niederzulegen. 

„Berzeihen Sie, Herr Hauptmann,“ hatte er gejagt und den 
Lieutenant In der Angft feines Herzens alſo avanciren lafjen, „ver 
zeihen Sie, aber es find aud die Schlüjjel des Archivs darunter, 
fowie die zu den Zimmern der Steuer-Abtheilung,“ 

Und hierauf hatte ihm der Lieutenant nur ein einziges Wort 
erwidert: „Dahin!“ fpracy er, indem er mit dem Finger auf den 
grünen Tiſch deutete; worauf der gewichtige Schlüfjelbund rafjelnd 
auf den bezeichneten Plap niedergelegt wurde. 

Der ältere Lieutenant, der bis jet allein in dem Rathhaus—⸗ 
zimmer war, hatte ed fih fo bequem wie möglich gemacht. Er war 
von fehr langer Geftalt, ziemlich ſchmächtig, hatte hellblondes Haar 
und fo gut wie gar keinen Schnurrbart. Er probirte mehrere Sef- 
jel, ehe er einen fand, der ihm bequem genug war; dann ftredte er 
fih in demfelben aus, legte die Iaugen Beine auf einen anderen 
Stuhl und fchob feine Hände In die Hofentafchen, wobel er fagte: 
„Das Ganze bier ift eigentlich ein fehr fchlechter Wig, ſchon oft da 
geweſen und mir über alle Maßen unangenehm.“ 

In diefem Augenblide öffnete fich Die Thüre, und der jüngere 
und Beinere Offizier mit dem freundlichen Gefichte und dem großen 
Schuurrbart trat lächelnd herein, fchritt auf feinen Borgejeßten zu 


Wachtſtube anf dem Rathhauſe mit Souper. 111 


und meldete, die Hand dienſtmäßig emporgehoben: „Ohne Schwie⸗ 
rigkeit arretirt Akttuar D.. Seminariſt W., ferner in Verhaft gebracht 
einen Unteroffizier von der Artillerie, der ſich unter ſehr verdäch— 
tigen Anzeichen bier aufgehalten. — Beim Zeus! er jcheint ſich 
‚bier umbergetrieben zu haben wie ſaures Bier.“ 
| „Gin Unteroffizier von der Artillerie?” fragte der Andere und 
ſenkte nachdenfend fein blaſſes Geſicht. „Davon fteht eigentlich 
‚nichts in unſerem Befehl. Und der Unteroffizier hat fi) bier um⸗ 
bergetrieben ?“ u 
„Ich erwifchte ihn im Tanzſaal, wo er famos ruhig unter 
einer bintrothen Fahne faß, und nahm ihn feit, als ich vernonmen, 
er halte ſich hier feit einiger Zeit ald Exerciermeiſter des Bataillon 
af — Beim Zend! das fehlen mir jehr wichtig.” 
| „Kieber Wortmann,“ antwortete der ältere Offizier, indem er 
den Kopf melancholifh auf die Hand ſtützte; „wollen Sie mir 
einen großen Gefallen tun? — Uber fie müffen mir meine Bitte 
‚nicht übel nehmen.” 
„NMit Bergnügen! — Sprechen Sie doh! — Beim Zeus! 
‚Ih will alles thun, was Sie wünſchen.“ 
„Sp laſſen Sie die beftändigen VBetheurungen weg, ſchwören 
Cie nicht immer beim Zeus. Das tft, auf Ehre! altmiodifch und 
ſchon hunderttaufend Mal da gewefen, alle diefe Zufäge: auf Ehre! 
af Seele! auf Größe! auf Taille! thun feine Wirkung mehr.“ 
„Sie kommen vielleicht ſchon im Meidinger vor?“ fagte las 
Hemd Wortmann. U 
„Mehr als das,” entgegnete ruhig dex ältere Lieutenant, „Mei⸗ 
dinger's Urgroßvater, wie ich aus einer alten Handſchrift erſehen, 
hatte es ſich angewöhnt, beſtändig zu ſagen: auf Ehre! oder meinet⸗ 
wegen auch: bein Zeus! Aber ſchon der Sohn, demnach der Groß⸗ 
vater unjeres Meidinger, ftrich das als gänzlich veraltet,” 
„Run, meinetwegen! Ich kaun aud, beim... Ia, fo! — id 


112 Zwölftes Kapitel. 


kann auch ohne diefe Beiworte leben! Darum keine Feindfchaft — 
auf Seele!“ 

Der lange Lieutenant 506 melancholiih den Kopf empor umd 
lächelte traurig. Dann fagte er nach einer Paufe: „Was meinen 
Sie, lieber Wortmann, werden wir ein Heines Souper befommen, 
oder lafjen uns die Demokraten verbungern ?* 

„Demokraten!“ lachte der Andere. „Im Gegentbeil, es find 
ganz gutgefinnte Bürger. Der BataillonssChef der Bürgerwehr 
zeigte mir den Weg hieher, während er mich feiner Freundſchaft 
verficherte; und der Saftgeber zum Grünen Baum jagte: ibn folle 
der Teufel holen, wenn er nicht mein unterthänigfter Diener fei — 
beim Jupiter! er will das mit einem foliden Nachteſſen beweijen, 
das gleich anfommen fol.“ 

„Schön!“ verjeßte der lange Offizier. „Vorher aber, glaube 
ih, könnte es nicht Schaden, wenn wir ein paar freundfchaftliche 
Worte mit dem Unteroffizier der Artillerie wechfelten. Diefer Herr 
muß doch einige Papiere bei fih haben, ein „Borzeiger dieſes“ — 
oder fo etwas.“ j 

„Richtig! — Laſſen wir ihn kommen! Hier fehe ich einen 
Glockenzug, ich hoffe, daß der Rathhausdiener auf diefen Klang 
drejfirt iſt.“ | 

„Ziehen Sie nur nicht zufällig an der Feuerglode! Es wäre 
wirflih neu und komiſch, wenn wir ihnen felbft die Sturmglode 
läuteten. Das wäre in der That ganz neu.“ 

„Unbeſorgt!“ antwortete Lieutenant Wortmann, indem er an 
der Klingel z0g, die einen ſchrillenden Ton von fih gab; worauf 
augenblidiich der Rathhausdiener erfchien. 

„Haben Sie drunten eine Wache eingerichtet?” fragte der lange 
"Offizier feinen Kameraden. 

Das verfteht ſich von felbft; es ift vor dem Rathhaufe eine 
alte Barade, unter der eine invalide Feuerſpritze ſteht. Das Ding 
babe ich zur. Hauptwache erhoben. Uuteroffizier Schmig I. iſt da 


L 


Wachtſtube auf dem Rathhauſe mit Souper 113 


mit ſechs Maun, ein Poiten vor dem Gewehr, einer bei den Ges 
fangenen.“ 

„Sehr qut!⸗ antwortete der lange Offizier. Darauf wandte 
er fih an den Rathhausdiener. „Nehmt Eure Schlüſſel,“ ſagte er 
zu diefem, „und bringt den Unteroffizier von der Artillerie da ber. 
— Berftanden?” 

„Sa wohl, Herr Hauptmann,“ erwiderte der ftädtifche Beamte. 
Dann ging er, mit dem Schlüjlelbund bewaffnet, eiligft zur Thüre 
binaud. 

Es dauerte auch nicht fange, fo fam er wieder zurüd; vor ihm 
ber fchritt Dofe ; er hatte den Kopf erhoben: er war noch groß im 
Unglüd. 

Der ältere Offizier änderte feine Stellung in fo weit, als er 
‚den Oberkörper etwas erhob und den einen Fuß vom Stuhle ber- 
abgleiten ließ. Lieutenant Wortmann Dagegen zog feine Schärpe 
glatt und hatte die Pidelhaube aufgeſetzt. 

„Mein Freund,“ fprach der Erftere zu Dofe, der fergengerade 
vor ihm Stand, „man bat Sie in einer fehr fonderbaren Verfafiung 
angetroffen, auf einem demokratiſchen Bürgerwehrballe, unter der 
rothen Fahne fißend. Herr, das ift fehr verdächtig. Wir Haben 
ed deßhalb für unfere Schuldigfeit gehalten, Ste feitzunehmen und 
nah C. zu bringen. Wenn Sie Übrigens etwas zu Ihrer — Recht⸗ 
fertigung bier angeben können, fo werden wir gern jede Notiz Das 
von nehmen.“ 

Dofe verbeugte ſich und verficherte, er müſſe allerdings geftehen, 
dak der Schein gegen ihn ſei. „Doc, nur der Schein,” feßte er 
mit fefter Stimme hinzu. „Es gibt {m Menſchenleben Augenblide, 
wo das Schickſal roh und kalt. . .“ 

„Laſſen Sie Ihre Eitate !” antwortete ber Lieutenant, „Haben 
Sie Papiere bei ſich?“ 

„Allerdings,“ entgegnete der Unteroffizier einigermaßen gekränkt, 

Hadläuders Werte. V. 8 


114 Zwoͤlftes Kapitel. 


indem er eine große Brieftafche herauszog und daraus den Urlaubs 
paß nahm, den er von dem Herrn Poftmeifter Dachſinger erhalten. 

„Diefes Papier ift ziemlih in Ordnung,“ ſprach der lange 
Dffizter, „und ich will auch zugeben, daß die Abficht recht lobens⸗ 
werth if. Aber warum begaben Sie fi nidt nah C., fondern 
bfieben hier in dem verrufenen Nefte Liegen 2“ 

„Das Städtchen lag auf meinem Wege, und ich hatte feine 
Idee davon, daß es verrufen fe. Als ich vor einigen Tagen ans 
fam, exercirte man droben die VBürgerwehr, und da die Leute ihre 
Sache herzlich ſchlecht machten, fo hielt ich es anfänglich für ein 
autes Werk, ihren Eifer zu unterftüßen.“ 

„Der Teufel auch !” fagte der Lieutenant Wortmann. 

„Sie fagten: anfänglih,” fuhr der andere Offizier fort. 
„Später aber änderten Ste Ihre Anfichten ?“ 

„Erſt geftern erfuhr ih Manches, was mir verdächtig vorfam. 
Und ich Hatte die Abfiht, morgen früh abzureifen.” 

„Das könnte glaubwürdig klingen, aber man wird Sie fragen, 
warum Sie gewartet, bis Sie von uns unter fehr erfchwerenden 
Umftänden gefunden wurden. Wenn man Sie nicht eine Zeit lang 
in den Arreft ſchickt oder dergleichen, fo werden Ste wenigftend 
Ihre Anftelung im Poftdienft verlieren. Ganz unmöglich aber 
wird es in jetziger Zeit fein, Sie bei einer Batterie einzutheilen.” 

Dofe war durch diefe Worte wie vernichtet. Er, einer ber 
loyalften Unterthanen, conjervattv bis zum Exceß, Soldat mit 
Leib und Seele, follte alfo feiner Treue verdächtig aus dem Poſt⸗ 
dienft geftoßen werden, and den Reiben der Armee geftrichen und 
fortan ein fchmachbeladenes Leben führen! — Das war zu viela 
einmal. Er griff an feine Stirne, die fih mit kaltem Schwel 
bededt Hatte; er nahm mit zitternder Hand feinen Paß aus de 
Händen des Offiziers zurüd, er verfuchte ed, ihn in feine Brieftaſch 
zu legen; aber feine Finger bebten dergeftalt, daß fie feinen © 
genftand zu halten vermochten, weßhalb der Paß und die Brieftaf 


Bachtitube auf dem Rathhaufe mit Souper 115 


auf den Boden fielen, und ietztere alsbald mehrere Papiere und 
Briefe zeigte, die fie enthielt. 

„Ah! Sie haben fonft noch Briefichaften ?* fagte aufmerkfam 
der Lientenant Wortmann. „Laflen Sie einmal fehen !“ 

Dofe bückte fi, hob Alles auf und legte es mit einem tiefen 
Seufzer auf den Tiſch. 

Der Lieutenant Wortmann nahm die Papiere in die Hand 
und blätterte fie Tangfam durch. Es war Schriftliches fowie Drud» 
fahen. Letztere entfaltete er angelegentlih, warf einen leichten 
Blick hinein, dann flog ein Lächeln über feine Züge. Er reichte 
Blatt für Blatt dem anderen Offizier. 

„Das find ja Gedichte,“ bemerkte diefer. 
„Bon mir,“ entgegnete Dofe mit leifer Stimme. 
„Die vernagelte Kanone, Sehnfuht an Daphne — was Teufel! 
find Poet ?“ 
„Schwache Verſuche, Herr Lieutenant.“ 
„Und hier ein Freiheits-Geſang. Ah! das iſt verdächtig!“ 
„Nach dem Arreſt!“ las der Offizier weiter. „Mir ſcheint, 
Sie haben für die Zukunft gedichtet.“ 

„pProphetiſch!“ ſagte Doſe mit tiefer Stimme und zuckte in 
ſtummer Verzweiflung die Achfeln. 

„Hier ift ein Brief,“ fuhr Lieutenant Wortmann fort. — „Ses 
ben Sie einmal, die Adrefje follten wir wahrhaftig kennen. — Sr. 
Sohwohlgeboren, dem Herrn Robert, wahrfcheinlich bei der 7. Ar: 
tillerie-Brigade.” 

„Laſſen Sie Doch fehen !“ rief eifrig der andere Offizier, indem 
er zum erftenmal von feinem Gleihmuthe zu kommen fehlen. „Ganz 
rihtig, an Robert. — Zum Henker! von wem tft der Brief, und 
wie fommt er in Ihre Hände?” 

„Er iſt nicht verfchlofien,“ fprach traurig der Unteroffizier. 
„Ich bitte, ihn zu lefen, vieleicht fpricht er für mich.“ 

Der Offizier öffnete das Papier und las: „Lieber Freund ! 


Si 


® 


116 Zwölftes Kapitel. 


Veberbringer und Borzeiger dieſes ift die poetiſche Dofe, von der 
du wahrjcheinlich ſchon bei der Brigade reden hörteft, einer der 
tüchtigften Ynteroffigiere und von fo mufterhaften patriotiſchen Ge 
finnungen, daß er, von einer Mobilmahung hörend, den Poftdienft 
verließ, um bei irgend einer Brigade wieder einzutreten. Thu für 
ihn, was du kannſt, er hat nur den einzigen großen Fehler, daß 
er es nämlich nicht unterlaffen kann, Gedichte zu machen. — Mir 
geht e3 ordentlih. Das Neft, wo ich mich befinde, ift Hein, aber 
ruhig, das Brod tft ordentlih, auch find zwei Mepger im Ort, 
weßhalb ich die Hoffnung habe, täglich frifches Fleiſch zu eflen. 
Unterweges hieher Ternte ich ein Bericht kennen, das man Katzen⸗ 
gefhret nennt und das dir fehmeden wird. Man fchneidet Falten 
Kalböhraten in eine Pfanne, thut Zwiebel, etwas Sped und But- 
ter dazu, läßt das Ganze braten und bringt es fledend mit der 
Pfanne auf den Tifh. Es prazelt und fingt noch eine Zeit lang, 
daher fommt der Name Kapengefchrei. — Nun Ade, lieber Robert, 
behalte lieb deinen Freund Zipfel, Poſt⸗Sekretär.“ 

„Zipfel,“ fagte nachdentend dey Lieutenant, nachdem er gele 
fen, „Zipfel — der Name ift mir nicht undbefannt. Erinnern Sie 
fih, wir haben ihn zufammen kennen gelernt.“ 

„Er war Bombardier bei der fiebenten Brigade,“ ermwiderte 
Dofe, „ein etwas dider, fehr ruhiger Mann.” 

„Richtig! richtig !” rief der ältere Lientenant. „Wir waren 
Abends in C. auf der Hauptwache, es find fehon einige Jahre her 
— ich war noch Fähnrich, — da wurde diefer Tipfel ald Arreftant 
gebracht, weil er feine Wache verlaffen. Robert hatte damals bei 
allen tollen Streichen die Hand mit im Spiele.“ 

„Der Herr Lientenant kennt alfo Herrn — — Robert 3” fragte 
ſchüchtern der Unteroffizier. 

„Ob ich ihn kenne! Er ift mein Better.” 

„Bott fei Dank!“ fuhr Dofe tief aufathmend fort ; „dann 
wird dieſes Empfehlungöfchreiben auch vielleicht einigermaßen em 





Bachtitube auf dem Rathhanfe mit Souper, 117 


piehlend für mich wirken, und Sie, Herr Lieutenant, werden zu 
der Anſicht kommen, daß ich nur unwiſſentlich gefehlt, und daß ich, 
wie ich Ihnen auf meine Ehre verfichern kann, feine Ahnung davon 
hatte, in welche Hände ich gerathen.” 

68 lag fo viel Ghrliches und Zreuherziges in den Mienen 
Doſe's, und das Schreiben Zipfels hatte fo zu feinen Gunſten ge 
wirft, deh der Lieutenant Wortmann die Achſeln zudte und mit 
einem Blick auf feinen Kameraden fagte: „Allerdings, in Aubes 
trat Diefes Schreibens . . .* 

„Könnten wir vielleicht das Unfrige thun,“ fuhr der andere 
Tffizier fort, „um Ihre unangenehme Sache nicht noch mehr zu 
verwickeln. Hier find Ihre Papiere, mein Freund, laſſen Sie ſich 
dies eine Lehre fein.“ 

„Und beherzigen vor allen Dingen das Sprüchwort,“ ſetzte 
Kieutenant Wortmann bei: „Sage mir, mit wem du umgehſt, fo 
will ich Dir fagen, wer du bift.” 

„Banz Meidinger,” murmelte der andere Offizier, machte Dofe 
ein leichtes Zeichen mit dem Kopfe und ſenkte alsdann denfelben 
wieder in Die Hand. 

Ber war frober als Feodor! Auf's Tiefite bewegt, packte er 
feine Papiere und feine Brieftafche, verforgte Diefelben zwifchen dem 
dritten und fünften Knopf der uniform, machte auf's zierlichfte 
Linksum kehrt! und ging durd die Thüre des Sipungsfaales. Er 
kam ſich wie neugeboren vor und flieg mit wahrhaft feligen Gefüh- 
len die Treppen des Nathhanfes hinab; er eilte durch die Straßen 
dahin wie Jemand, der jchon zehn Jahre gefefien und nun plötzlich 
wieder einmal den glänzenden Nachthimmel, Häuferr, Bäume und 
lebende Wefen fieht, feien e8 auch nur Hunde und Kapen. Wie 
hatte ihm geträumt von ſchwerem Gefängniß, von einer unendlichen 
Reihe dunkler Arrefttage, ja, vom Berlufte der National-Kofarde 
und von der grauen Maus ! 

Obgleich die Nacht etwas kühl war und jchon nahe an Mit 


118 Zwölftes Kapitel, 


ternacht, jo drängte es den Unteroffizier Doch nicht nach Haufe. Er 
ging bei den Thüren ded Gafthofes zum grünen Baum vorbei, der 
Ball fchien durch das unangenehme Ereigniß plößfich beendigt wor. 
den zu fein, die Zenfter ftanden offen, im Zanzfaale brannte ein 
einfames Licht, und nur aus dem hinteren Zimmer erichollen Stim- 
men ; dort hatte fich ein folider Reſt zurüdgezogen, um die fchreds 
liche Begebenhett zu befprechen. Dofe ging weiter, der Landſtraße 
zu; rechts fchob fi das Wafler des Nheines eine einzige dunlle 
Maſſe, hie und da mit Xichtftreifen durchzogen, langſam vorüber. 

Der Unteroffizier Durchfchritt das verfallene Stadtthor; draußen 
lagen nur einige Häufer, unter andern das Poftgebäude. Hier 
war noch Xeben ; aus der geöffneten Stallthüre glänzte noch Licht 
hervor, und eine Laterne, die dort herausfpazierte, wandelte nad 
dem Hauptgebäude und verfhwand hinter demfelben. Vor dem 
Hofthor ftanden einige Stallmechte, die Schnellpoft erwartend, die 
jeden Augenblick eintreffen konnte. Doſe's poetifches Gemüth liebte 
dieſes nächtliche gefchäftige Treiben ; er hörte fo gern das weither 
durch die Nacht tönende Pofthorn, er fah fo gern den verfchlofjenen 
Wagen anhalten, ihn öffnen und herausſteigen die verfchiedenen 
Menfchen, die mit fo mannigfaltigen Abfichten und Wünſchen zu 
fammengetommen waren, eine Strede mit einander fuhren, fih 
tennen lernten, um fi) am Ende der Station vielleicht auf Nims 
merwiederjehen zu trennen. 

Auf dem Pofthofe, fo lange er noch im Dienfte war, hatte er 
felten die Ankunft eines Wagens verfäumt. Er hatte die Phyfior 
gnomie der Ausfteigenden ftudirt und ſich aus denfelben lange fo 
beihafte Gefchichten zufammengefept. 

Dofe brauchte nicht lange auf die Ankunft des Eilmagens zu 
warten. Bald hörte man dad Signal des heranfahrenden Poftib 
lons, zuerft weit weg in einzelnen Tönen, dann immer näher, bie 
ganze Lieblichfeit der vorgetragenen Melodie. Hierauf vernahm 
man das Schnanben der Pferde, das Raſſeln der Ketten, dann das 





Wachtſtube auf dem Ratbhaufe mit Souper. 119 


Rollen der Räder und wenig Augenblide fpäter hielten die vier 
dampfenden Pferde mit dem fehweren Wagen vor dem Poftgebäube. 
Der Conducteur warf aus dem CabrioletsFenfter mehrere lederne 
Brieftajchen in die Hände desgefchieft auffangenden Poft-Offizianten, 
dann drüdte er den Schlag auf, fprang heraus und öffnete die 
Zhüren des inneren Wagens. Ein Poftillon mit blauer Blouſe, 
eine geſtrickte Schlafmüge auf dem Kopfe, war mit der brennenden 
Laterne erfchtenen und hielt fie nun fo hoch wie möglich, um den 
Ausfteigenden einiges Licht zu verfchaffen, vielleicht aber auch, um 
lich zu eigenem Vergnügen die Gefichter der Paſſagiere anzufchauen. 

Dofe hatte fi) hinter diefen Stallknecht poftirt. 

Der Wagen war fehr angefüllt. Als er aubielt und die darin 
Sipenden fih zum Ausſteigen anſchickten, klirrte und glänzte es 
bedeutend im Innern; dann entwidelte fi) aus dieſem Glanze 
und Klirren die Geftalt eined HufarensOffizierd mit Säbel und 
Säbeltafche, ferner Die eines Dragoners, während aus dem Cabriolet 
ein Hauptmann von der Artillerie mit einem Lieutenant heraus ges 
fprungen waren. 

„Ss eine nächtliche Fahrt ift unangenehm, werr weiß, wie 
ſehr!“ rief der ArtillerierHauptmann , ein ziemlich großer Mann, 
indem er ſich ftredte. 

Der Lieutenant der Artillerie eilte lachend an den Schlag 
des inneren Wagens, wo fich die Kavallerie auffallend bemühte, 
- einigen noch darin fipenden Perfonen das Ausfteigen zu erleichtern. 

Dofe ſah beim Schein der Laterne ein Meines Füßchen aus 
dem dunklen Wagen bervortauchen, dann fiel ein neidiſches Kleid 
berab, und im nächſten Augenblide ftand die Beſitzerin defjelben, 
eine Dame, in einen fohwarzen Mantel gebüflt, vor dem Wagen 
anf der Erde. — Der Dragoner fchien fie fo gut wie möglich un 
terhalten zu haben. Er ftellte fich wenigftens zwifchen fie und den 
Sufaren, richtete das lauteſte Wort an die Dame und verficherte 
auf Ehre, ed fei nun zwölf Uhr, der Wagen fahre erft um fünf 





120 Zwölftes Kapitel. 


Uhr weiter, und fie habe deßhalb vollkommen Zeit, ein paar Stuns 
den auszuruhen. „Es gibt doch wahrhaftig einen Gafthof in der 
Nähe!“ rief er mit Ungeduld aus. Iſt Niemand da, der uns 
binführt 2” 

Diefelbe Frage hatte bereits der Hauptmann der Artillerie ge: 
than, und Dofe hielt es nun für feine Pflicht, ſich bei dem Vorge⸗ 
feßten zu melden. 

„Ei der Taufend!“ rief der Artillerie-Offizier; „babe nicht ges 
wußt, daß bier Artillerte liegt. Oder woher fonft des Weges, 
Unteroffizier?” 

„Herr Hauptmann,“ meldete Dofe, „ih bin im Begriffe, nad) 
C. zu reifen, um mid dort zum Wiedereintritt zu melden.“ 

„Richtig, richtig, mein Lieber, es wird mobil gemadıt, wert 
weiß, wie bald! Haben Sie gute Papiere und können fid ſonſt 
ausweifen, fo melden Sie fi) in C. bei Hauptmann Stengel, reis 
tende Batterie Nr. 8; ich kann tüchtige, gediente Unteroffiziere 
brauchen, werr weiß, wie fehr! — Jetzt aber vor allen Dingen: 
wiflen Sie ein Obdach bier in der Nähe? Ich möchte was zu 
Nacht fpeifen, und die Herren Kameraden auch — werr weiß, wie 
bald!“ 

Dofe war entzückt und fchrieb fich den Namen des Haupt 
manns Stengel in das Innerfte feines dankbaren Herzend. „Gin 
Gaſthof,“ fagte er dann, „tft nicht weit von, da, Doch wird derjelbe 
ziemlich überfüllt fein, da heute dort ein Ball Statt fand. An 
Schlafzimmern wird’8 überhaupt jehr fehlen, denn Diefe wurden 
Schon feit einigen Tagen von Auswärtigen beitellt.“ 

„Ah! es denkt Niemand von und an’d Schlafen,“ erwieberte 
der Hauptmann, „nur ein Obdach, eine Flafche Wein und ber 
gleichen.“ 

Dofe dachte einen Augenblid nach. „In dem Falle,” verſetzte 
et, „werde ich mir erlauben, dem Herrn Hauptmann die Meldung 
zu machen, daß vor einer Stunde ein Zug Infanterie eintraf; die 





Wachtſtube auf dem Ratbhaufe mit Souper. 121 


Herren Lieutenants deſſelben befinden fih auf dem Natbhaufe in 
einem fehr angenehmen Zimmer,“ 

„Infanterie!“ rief der Hufaren-Offizier, der hinzu trat. „Was 
macht Infanterie hier? — Sind fie vielleicht ebenfalls von C.?“ 

„sh glaube fo,” entgegnete Dofe. 

„Deito beſſer!“ fagte der Artillerier-Hauptmann. „Da wollen 
wir die Herren Kameraden aufiuchen, und einen Trunk und einen 
Bien werden fie für uns jchon übrig haben. — Gehen wir, 
meine Herren!“ 

„Du gebft natürlich nicht mit,“ fprach der Hufar zu dem 
glüdlichen Dragoner, der eigenhändig einige pappdedelne Schadh- 
teln von dem Gonductenr in Empfang nahm und diefelben fo fanft 
wie möglich auf den Boden niederfegte.“ 

Die Dame fand einige Schritte davon in ihren fehwarzen 
Mantel gewidelt, den dichten Schleier vor dem Geſichte. 

„Geht nur voraus,“ entgegnete der Dragoner-Offizter; „id 
finde das Rathhaus fchon ohne euch, und werde mic zuerft be⸗ 
mühen, Madame für einige Stunden ein Quartier zu verichaffen. 
— Darf ih um Ihren Arm bitten?“ 

„Ich danke Ihnen vecht fehr, Herr Lieutenant,“ erwiderte die 
Berfchleierte. „Ich bitte recht fehr, Sie wollen Ihre Herren Ras 
meraden nicht verlajien.“ 

„Ah!“ meinte der Dragoner einigermaßen verblüfft. „Aber 
ed würde mir eine große Ehre fein.“ 

„Ich dankte wirklich,“ fagte die Dante troden, und fügte letfe 
Hinzu: „Was würde man von mir denken!“ 

„Sie haben Recht,” entgegnete der Offizier nach einer Meinen 
Paufe. Es fchien ihm ein Gedanke zu kommen. „So werden Sie 
mir wenigftend erlauben, daß ich diefen braven Unteroffizier bitte, 
Sie in den Gafthof zu begleiten. — Und ich werde Nachricht von 
Ihnen erhalten,” ſetzte er flüfternd hinzu. 

Die Dame warf forjchend einen Blid auf Doſe, der vortrat. 


122 Dreizehntes Kapitel. 


Mochte fie nun plößlih ein Zutrauen zu ihm fallen oder einen 
anderen Grund haben, genug, fie verbeugte fich leicht vor dem Dras 
goner-Öffizier und fohritt dem Thore zu. Doſe folgte ihr, ebenjo 
die Offiziere: denn man hatte vom Grünen Baum nur nody eine 
furze Strede zum Rathhauſe, daher fonnten fie bis zum Gaſthofe 
alle mit einander gehen. 

Bor der Thüre defjelben fagte der Dragoner zu dem Unteroffi⸗ 
zier mit leifer Stimme: „Sie werden mir Nachricht geben, mein 
Freund, ich bin nicht undankbar.“ 


Dreizehntes Kapitel, 


Worin ſich einige Freunde wieder finden, die fi befannte und unbelannte Geſchichten 
erzählen. — Schr viel Meidinger! 


Der Sipungsfaal im Rathhaufe oder, was er für Den heutigen | 
Abend war, die Wachtftube für die beiden commandirenden Lieu⸗ 
tenants, hatte fich unterdefien fehr angenehm verändert. Der Wirth 
ded Grünen Baumes war mit feinem Oberkellner erfchienen, und 
eine handfeſte Magd des Hauſes trug auf ihrem Kopfe ein Souper 
wenigftend für zwölf Mann; an dem dazu gehörigen Getränfe 
hätten fi) noch mehr fättigen können. Der Wirth dedte den Tifh, 
und während er Alles auf’3 Beſte aufitellte, war fein gejchmeidiges 
Wefen, ja, wir können jagen: feine Liebenswürdigkeit, über alle 
Beſchreibung erhaben. Sein Betragen war fo unterwürfig, daß 
es bei einem Polizei-Beamten Verdacht erregt hätte. Die harmlojen 
Offiziere aber fahen darin nur die Wirkung ihres energifchen Auf- 
treteng, unterflüßt vom Glanz der Bayonnette. Er verfudte 
während des Servirens das Gefpräch öfters auf den unglädliden 
Vorfall zu lenken, der fih in feinem Haufe begeben, und wenn 





Einige Freunde finden fid wieder. 123 


man ihm Glauben fchenfen wollte, jo war jener Abend bis zur 
Ankunft der Soldaten der nnglüdlichite feines Lebend. Ferner war 
er in Verzweiflung über die ſchreckliche Ausſchmückung feines Saale. 
Gr Haßte den Mann auf der Lithographie mit dem Federhute und 
den hohen Stiefeln, und was die rothe Farbe der Fahnen ande 
langte, fo war er in diefem Punkte ein volllommener Ochs; denn 
er behauptete, er habe fich beim Anblick derſelben nie einer gehei⸗ 
men Wuth erwehren fünnen. Auch von den beiden Gefangenen 
redete er, Doch alsdann zitterte feine Stimme, und er blickte unter 
den Augenbrauen forjchend die Dffiziere an. Er behauptete, den 
Seminariften gar nicht gefannt zu haben, und was den Aftuar an- 
belange, jo fei derfelbe fo felten in den Grünen Baum gelommen, 
daß er, der Wirth, jeden Augenblid im Stande jet, ihn mit einem 
Anderen zu verwecfeln. 

Die Lieutenants ließen ſich dieſes Geſpräch infofern ges - 
fallen, als während deſſelben eine gute Schüfiel um die andere 
aus dem Korbe der Magd hervortam. Das Souper für dad Co⸗ 
mits der Ballgefellfhaft fchien nicht zum Ausbruche gefommen, 
vielmehr hieher gewandert zu fein. Doc wollen wir dem geneigten 
Leſer nicht verfchweigen, daß die Hauptitüde fi in ihrer Aus» 
ihmüdung theilweife fehr geändert hatten. Zu Anfang waren 
iharlachfarbene Nüben und biutrothes Eingemachtes aller Art auf 
Salaten und Fleifchipeiien vorherrfchend gewefen, hatten aber jetzt 
janft grüner PBeterfilie und unjchuldig weißem Meerrettig Pla 
gemacht. Ja, bei dem Haupt⸗-Tafelſtück, einem Wildenfchweinstopf, 
der ftatt in Sulz in einem Hermelin prangte, kunſtreich & la ma- 
jonaise mit Trüffelftüden zufammengefept, trieb der Wirth die 
Selbftverleugnung fo weit, daß eben diefer Schweinstopf einen 
zu anderen Zweck beitimmten Kleinen Schlapphut trug und ſich mit 
zwei rothen Fahnen im Maul präfentirte, 

Die beiden Freunde liegen fih vor der befeßten Tafel nieder 
und thaten den aufgeftellten Gerichten alle mögliche Ehre an; 


124 Dreizehntes Kapitel, 


doc fahen fie den unglüdlihen Moment kommen, wo fie vom fer 
neren Angriff abftehen mußten, und das zu einer Zeit, wo noch fo 
viele frifche Truppen auf dem Tijche ftanden. Indeß half ihnen das 
gütige Schidfal aus dieſer Verlegenheit; denn kaum hatte der Kiente- 
nant Wortmann eine vortrefflihe Schüjjel gejulzter Salme im völlig. 
ften Unvermögen feufzend auf die Mitte des Tifches gefchoben, ale 
man auf der Treppe draußen laute Stinnmen, klirrende Schritte und 
das Raſſeln von Säbeln hörte. Es war dies ein eigenthümlicher, 
ja, faft beflemmender Moment. Woher diejes militärijche Getöje? 
Konnte nicht die Bürgerwehr benachbarter Orte aufgeboten worden 
fein, den Zug drunten überfallen haben uud nun im Begriffe ftehen, 
die Gefangenen zu befreien und die Offiziere an deren Stelle zu 
fepen? — Schauderdös! Die beiden Lieutenants langten nach ihren 
Pickelhauben, drüdten die Degen fefter an ſich und waren entfchlof 
fen, im Nothfalle Xeben und Souper bis auf den legten Bluts⸗ 
und Weintropfen zu vertheidigen. 

Da wurde die Thüre geöffnet, und ein ungeheured Gelächter 
drang in das Sitzungs⸗Zimmer. 

„Ra, das muß ich fagen,“ rief der Artilleriergauptmann, „die 
Herren Kameraden laſſen ſich's wohl fein, werr weiß, wie fehr! — 
Schau! ſchau! — O—0—0— oh! An Flickmaterial fehlt's nicht!“ — 
Damit ließ er jeine Augen vergnügt auf den Tifche umberfpazieren. 

Auch der Artillerie Lieutenant ergoß fi in Ausrufungen der 
Zreude, doc gemäßigter als fein Chef. Die Kavallerie aber jepte 
luftig in das Zimmer hinein, und der Hufar rief: „Aber das nenne 
ih, auf Taille! ein ungeheneres BZufammentreffen. Uuſer lieber 
Zreund, der lange Eduard!” 

Lieutenant Wortmann hatte pflichtjchuldigft feinem Vorgeſetz⸗ 
ten, dem Artillerie- Hauptmann, falutirt, wogegen der lange Eduard 
ein paar vergebliche Anftrengungen machte, um ſich von feinem 
Stuble zu erheben, Doc bat ihn der Hauptmann, fiben zu bleis 
ben, worauf er angenblidlich wieder in feinen Lederſtuhl zurädfiel. 


Einige Freunde finden fich wieder. 125 


„Hat man je fo etwas geſehen?“ rief der Dragoner-Offizier. 
„Iteffen wir und bier zuffällig in dieſem elenden Nefte! — Aber 
wad macht ihr bier? was thut die Infanterie drunten? — Was 
habt ihr auf dem Rathhauſe zu fchaffen? 

„Bor allen Dingen,” entgegnete ruhig und wichtig der ältere 
Infanteries Offizier, „laßt euch an dem ZTifche nieder und haut 
en. — Lieutenant Wortmann, machen Sie die Honneurd. Ich 
freue mich wahrhaftig, euch zu ſehen.“ 

„Sa, ja, fegen wir uns!“ fagte der Hauptmann von der Ar- 
tifferie und that alfo.” Seinem Beifpiele folgten die Anderen, und 
der Dragoner meinte, es ſei hohe Zeit zur Abfütterung, 

Während uun die neu Angelommenen dem aufgeftellten Souper 
ale Ehre anthaten, erzählte der fange Eduard mit furzen, aber 
beftimmten Worten, daß er hieher beordert fei, ein paar Berhaf- 
tungen vorzunehmen, und dag Wortmann und er fi dieſes Auf 
trages beſtens entledigt. 

„Ei, ei! Verhaftungen!“ verſetzte der Dragoner; „politiſche 
Arreſtanten! Haben ſich wohl nicht zur Wehr geſetzt, euch das Ein⸗ 
fangen nicht ſauer gemacht?“ 

„Durchaus nicht!“ meinte Wortmann. „Sie ergaben fich als⸗ 
bald in ihr Schickſal. Wird auch nicht zu traurig ſein, dieſes 
Schickſal; ſcheinen mir ein paar kleine, unbedeutende Lichter; 
wenigſtens dumm genug ſehen ſie aus. — Du lieber Gott! ich 
begreife nicht, wie man auf ſolche Schwätzer Gewicht legen kann.“ 

„Die Zeiten haben ſich geändert,“ ſprach mit vollen Backen 
kauend der ArtillerieHauptmann, „man muß jetzt Alles beobachten. 
Früher ließ man dergleichen oft ſagen, was fie wollten.“ 

„Kennt ihr die famoſe Gefchichte,“ rief der Hufar, „von jenem 
HandlungssReifenden, der ein unbändig loſes Maul hatte “ 

„Deren gibt ed fehr viele,“ entgegnete troden der Artilleries 
Lientenant. 


118 Zwölftes Kapitel. 


ternacht, jo drängte ed den Unteroffizier doch nicht nach Haufe. Ei 
ging bei den Thüren des GBafthofes zum grünen Baum vorbei, der 
Ball fchien Durch dad unangenehme Ereigniß plößlich beendigt wor 
den zu fein, die Fenſter ftanden offen, im Tanzſaale brannte ein 
einfames Licht, und nur aus dem hinteren Zimmer erfchollen Stim⸗ 
men ; dort hatte fich ein folider Reſt zurückgezogen, um die fchred- 
liche Begebenheit zu beiprehen. Dofe ging weiter, der Laudſtraße 
zu; rechts ſchob fi Das Waſſer des Nheines eine einzige duntle 
Mafje, bie und da mit Kichtftreifen durchzogen, langſam vorüber. 

Der Unteroffizier dDurchfchritt das verfallene Stadtthor; draußen 
lagen nur einige Häufer, unter andern das Poftgebäude. Hier 
war noch Xeben ; aus der geöffneten Stallthüre glänzte noch Licht 
hervor, und eine Laterne, die dort herausfpazierte, wandelte nad 
dem Hauptgebäude und verfchwand hinter demfelben. Bor dem 
Hofthor ftanden einige Stallknechte, die Schnellpoft erwartend, bie 
jeden Augenbli eintreffen konnte. Doſe's poetifches Gemüth liebte 
diefes nächtliche gefchäftige Treiben; er hörte fo gern das weither 
durch die Nacht tönende Pofthorn, er fah fo gern den verfchlofjenen 
Wagen anhalten, ihn öffnen und herausfteigen die verfchiedenen 
Menſchen, die mit fo mannigfaltigen Abfichten und Wünſchen zu 
fammengelommen waren, eine Strede mit einander fuhren, fih 
tennen lernten, um fihb am Ende der Station vielleicht auf Nim⸗ 
merwiederjehen zu trennen. 

Auf dem Poſthofe, fo lange er noch im Dienfte war, hatte er 
felten die Ankunft eines Wagens verfäumt. Er hatte die Phyſio⸗ 
gnomie der Ausfteigenden ftudirt und fich aus denfelben lange fa. 
beihafte @efchichten zufammengejept. 

Dofe brauchte nicht lange auf die Ankunft des Eilwagens zu 
warten. Bald hörte man das Signal des heranfahrenden Poſtil⸗ 
lons, zuerſt weit weg in einzelnen Tönen, dann immer näher, bie 
ganze Xieblichkeit der vorgetragenen Melodie. Hierauf vernahm 
man dad Schnauben der Pferde, das Nafjeln der Ketten, dann dad 











Wachtſtube anf dem Rathhauſe mit Soupet. 119 


Rollen der Räder und wenig Angenblide fpäter hielten die vier 
dampfenden Pferde mit dem ſchweren Wagen vor dem Poftgebäubde. 
Der Conductenr warf aus dem CabrioletsFenfter mehrere lederne 
Brieftafchen in die Hände des geſchickt auffangenden Poft-Offizianten, 
dann drüdte er den Schlag auf, ſprang heraus und öffnete die 
Ihüren des inneren Wagens. Ein Poftillon mit blauer Bloufe, 
eine geſtrickte Schlafmüge auf dem Kopfe, war mit der brennenden 
Raterne erfchtenen und hielt fie nun fo hoch wie möglich, um den 
Ausſteigenden einiges Licht zu verfchaffen, vielleicht aber auch, um 
fih zu eigenem Vergnügen die Gefichter der Pafjagiere anzufchauen. 

Dofe hatte fi, hinter dieſen Stallknecht poftirt. 

Der Wagen war fehr angefüllt. Als er anhielt und die darin 
Sigenden ſich zum Ausfteigen anfhidten, Elirrte und glänzte es 
bedeutend im Innern; dann entwidelte fi) aus dieſem Glanze 
und Klirren die Geftalt eined Hufaren-DOffizterd mit Säbel und 
Säbeltaſche, ferner die eines Dragoners, während aus dem Cabriolet 
ein Hauptmann von der Artillerie mit einem Lieutenant heraus ges 
ſprungen waren. 

„Ss eine nädhtlihe Fahrt iſt unangenehm, werr weiß, wie 
ſehr!“ rief der Artilleriesgauptmann , ein ziemlich großer Mann, 
indem er fich ftredte. 

Der Lieutenant der Artillerie eilte lachend an den Schlag 
des inneren Wagens, wo fich die Kavallerie auffallend bemühte, 


- einigen noch darin fipenden Perfoneu das Ausſteigen zu erleichtern. 


Dofe jah beim Schein der Laterne ein Feines Füßchen aus 
dem dunklen Wagen bervortauden, dann fiel ein netdifches Kleid 
herab, und im nächften Augenblide ftand die Befigerin defjelben, 
eine Dame, in einen fhwarzen Mantel gehüllt, vor dem Wagen 
auf der Erde. — Der Dragoner fchien fie fo gut wie möglich uns 
terhalten zu haben. Er ftellte ſich wenigftens zwifchen fie und den 
Hufaren, richtete das lauteſte Wort an die Dame und verficherte 
auf Ehre, es fei nun zwölf Uhr, der Wagen fahre erft um fünf 


120 Zwölftes Kapitel. 


Uhr weiter, und fie habe deßhalb volllommen Zeit, ein paar Stun 
den auszuruhen. „Es gibt doc wahrhaftig einen Gafthof im der 
Nähe!“ rief er mit Ungeduld aus. Iſt Niemand da, Der uns 
hinführt?“ 

Dieſelbe Frage hatte bereits der Hauptmann der Artillerie ges 
than, und Doſe hielt es nun für feine Pflicht, ſich bei dem Borges 
fegten zu melden. 

„Ei der Zaufend!“ rief der Artillerie Offizier; „habe nicht ge⸗ 
wußt, daß bier Artillerie liegt. Oder woher fonft des Weges, 
Unteroffizier?“ 

„Herr Hauptmann,“ meldete Dofe, „ih bin im Begriffe, nad 
C. zu reifen, um mic) dort zum Wiedereintritt zu melden.“ 

„Richtig, richtig, mein Lieber, ed wird mobil gemacht, werr 
weiß, wie bald! Haben Sie gute Papiere und können fidh fonft 
ausweifen, jo melden Sie fih in C. bei Hauptmann Stengel, reis 
tende Batterie Nr. 8; ich kann tüchtige, gediente Unteroffiziere 
brauchen , wert weiß, wie fehr! — Jept aber vor allen Dingen: 
wifien Sie ein Obdach hier in der Nähe? Ich möchte was zu 
Nacht fpelfen, und die Herren Kameraden auch — werr weiß, wie 
bald!“ 

Dofe war entzädt und fchrieb fih den Namen des Haupt: 
mauns Stengel in das Innerfte feines dankbaren Herzens. „Gin 
Gaſthof,“ fagte er dann, „ift nicht weit von, da, doch wird derjelbe 
ziemlich überfüllt fein, da heute dort ein Ball Statt fand. An 
Schlafzimmern wird's überhaupt ſehr fehlen, denn diefe wurden 
fhon fett einigen Tagen von Auswärtigen beitellt.“ 

„ab! es denkt Niemand von und an’d Schlafen,” erwiederte 
der Hauptmann, „nur ein Obdach, eine Flaſche Wein und der: 
gleichen.“ 

Dofe Dachte einen Augenblid nah. „In dem Falle,“ verfepte 
et, „werde ich mir erlauben, dem Herrn Hauptmann die Meldung 
zu machen, daß vor einer Stunde ein Zug Infanterie eintraf; Die 


Wachtftube auf dem Rathhauſe mit Souper. 191 


Herren Lieutenants deſſelben befinden fih auf dem Rathhauſe in 


; einem fehr angenehmen Zimmer,” 





— — 


„Infanterie!“ rief der Huſaren-Offizier, der hinzu trat. „Was 
macht Infanterie hier? — Sind ſie vielleicht ebenfalls von C.?“ 

„Ich glaube ſo,“ entgegnete Doſe. 

„Deſto beſſer!“ ſagte der ArtillerieHauptmann. „Da wollen 
wir die Herren Kameraden aufſuchen, und einen Trunk und einen 
Biſſen werden fie für uns ſchon übrig haben. — Gehen wir, 
meine Herren!” 

„Du gebft natürlih nicht mit,“ fprach der Hujar zu dem 
glüdlichen Dragoner, der eigenhändig einige pappdedelne Schadh- 
ten von dem Gonductenr in Empfang nahm und diefelben fo fanft 
wie möglich auf den Boden niederfegte,“ 

Die Dame ftand einige Schritte davon in ihren fchwarzen 
Mantel gewidelt, den dichten Schleier vor dem Gefichte. 

„Seht nur voraus,” entgegnete der Dragoner-Offizier; „ich 
finde das Rathhaus fchon ohue euch, und werde mich zuerft bes 
müben, Madame für einige Stunden ein Quartier zu verichaffen. 
— Darf ih um Ihren Arm bitten?“ 

„Sch dankte Ihnen recht fehr, Herr Lieutenant,“ erwiderte die 
Verfchleierte. „Sch bitte recht jehr, Sie wollen Ihre Herren Ka⸗ 
meraden nicht verlaſſen.“ 

„Ah!“ meinte der Dragoner einigermaßen verblüfft. „Aber 
es würde mir eine große Ehre ſein.“ 

„Ich danke wirklich,“ ſagte die Dame trocken, und fügte leiſe 
hinzu: „Was würde man von mir denken!“ 

„Sie haben Recht,“ entgegnete der Offizier nach einer kleinen 
Pauſe. Es ſchien ihm ein Gedanke zu kommen. „So werden Sie 
mir wenigſtens erlauben, daß ich dieſen braven Unteroffizier bitte, 
Sie in den Gaſthof zu begleiten. — Und ich werde Nachricht von 
Ihnen erhalten,“ ſetzte er flüſternd hinzu. 

Die Dame warf forſchend einen Blick auf Doſe, der vortrat. 


122 Dreizehntes Kapitel. 


Mochte fie nun plöpli ein Zutrauen zu ihm fallen oder einen 
anderen Grund haben, genug, fie verbeugte fih leicht vor dem Dra 
gonersÖffizier und fchritt dem Thore zu. Dofe folgte ihr, ebenſo 
die Offiziere: denn man hatte vom Grünen Baum nur noch eine 
kurze Strede zum Rathhauſe, daher konnten fie bis zum Gafthoie 
alle mit einander gehen. 

Bor der Thüre dejjelben fagte der Dragoner zu dem Unteroffis 
zier mit leifer Stimme: „Sie werden mir Nachricht geben, mein 
Freund, ich bin nicht undankbar.“ 


Dreizehntes Kapitel. 


Worin fib einige Freunde wieder finden, die fi befannte und unbefannte Geſchichten 
erzählen. — Sehr viel Meidinger ! 


Der Sigungsfaal im Rathhaufe oder, was er für den heutigen 
Abend war, die Wachtſtube für die beiden commandirenden Rieus 
tenants, hatte fich unterdefien fehr angenehm verändert. Der Wirth 
des Grünen Baumes war mit feinem Oberkellner erfchienen, und 
eine handfefte Magd des Haufes trug auf ihrem Kopfe ein Souper 
wenigftens für zwölf Mann; an dem dazu gehörigen Getränke 
hätten fich noch mehr fättigen können. Der Wirth dedte den Tifch, 
und während er Alles auf's Beſte aufitellte, war fein geichmeidiges 
Weſen, ja, wir können fagen: feine Liebenswürdigkeit, über alle 
Beſchreibung erhaben. Sein Betragen war fo unterwärfig, daß 
eö bei einem Polizei-Beamten Verdacht erregt hätte. Die harmloien 
Dffiziere aber fahen darin nur die Wirkung ihres energifchen Auf- 
treten, unterflüßt vom Glanz der Bayonnette. Er verfudte 
während des Servirend das Gefpräch öfters auf deu unglüdliden 
Borfall zu lenken, der fih in feinem Haufe begeben, und wenn 


Einige Freunde finden fich wieder. 123 


man ihm Glauben fchenfen wollte, fo war jener Abend bis zur 
Ankunft der Soldaten der unglüdlichite feines Lebens. Ferner war 
er in Berzweiflung über die fchredliche Ausfchmüdung feines Saales. 
Gr Haßte den Mann auf der Lithographie mit dem Federhute und 
den hohen Stiefeln, und was die rothe Farbe der Fahnen anbes 
langte, fo war er in diefem Punkte ein volllommener Ochs; denn 
er behauptete, er habe fih beim Anblick derjelben nie einer gehei⸗ 
men Wuth erwehren fünnen. Auch von den beiden Gefangenen 
tedete er, Doch alsdann zitterte feine Stimme, und er blidte unter 
den Augenbrauen forfchend die Offiziere an. Er behauptete, den 
Seminariften gar nicht gekannt zu haben, und was den Aktuar an« 
belange, fo fei derfelbe fo felten in den Grünen Baum gelommen, 
daß er, der Wirth, jeden Augenblid im Stande fet, ihn mit einem 
Anderen zu verwechfeln. 

Die LKieutenants ließen ſich diefes Geſpräch infofern ges - 
fallen, als während deſſelben eine gute Schüfiel um die andere 
aus dem Korbe der Magd hervorfam. Das Souper für dad Co⸗ 
mits der Ballgefellfchaft fchien nicht zum Ausbruche gefommen, 
vielmehr hieher gewandert zu fein. Doch wollen wir dem geneigten 
Xejer nicht verfehweigen, daß die Hauptftüde fih in ihrer Aus⸗ 
ſchmückung theilweife fehr geändert hatten. Zu Anfang waren 
iharlachfarbene Rüben und blutrothes Eingemachtes aller Art auf 
Salaten und Zleifchipeijen vorherrfchend gewefen, hatten aber jept 
janft grüner Peterfilie und unjchuldig weißem Meerrettig ‘Pla 
gemacht. Ja, bei dem Haupt⸗Tafelſtück, einem Wildenfchweinstopf, 
der ftatt in Sulz in einem Hermelin prangte, funftreidy & la ma- 
jonaise mit Trüffelftüden zufammengefeßt, trieb der Wirth die 
Selbftverleugnung fo weit, daß eben diefer Schweinskopf einen 
zu anderem Zweck beitimmten Beinen Schlapphut trug und fi mit 
zwei rothen Fahnen im Maul präjentirte. 

Die beiden Freunde ließen fi) vor der befegten Tafel nieder 
and thaten den aufgeftellten Gerichten alle mögliche Ehre an; 


124 Dreizehntes Kapitel. 


doch fahen fie den unglüdlihen Moment kommen, wo fie vom fer 
neren Angriff abftehen mußten, und das zu einer Zeit, wo noch fo 
viele frijche Truppen auf dem Tijche ftanden. Indeß half ihnen das 
gütige Schidfal aus dieſer Berlegeuheit; denn faum hatte der Lieute⸗ 
nant Wortmann eine vortreffliche Schüfjel gejulgter Salme im völlig: 
ften Unvermögen feufzend auf die Mitte des Tiſches gefchoben, als 
man auf der Treppe draußen laute Stinnmen, Nirrende Schritte und 
das Raſſeln von Säbeln hörte. Es war dies ein eigenthämlicher, 
ja, faft beflemmender Moment. Woher diefes militäriihe Getöſe? 
Konnte nicht die Bürgerwehr benachbarter Orte aufgeboten worden 
fein, den Zug drunten überfallen haben und nun im Begriffe ſtehen, 
die Sefangenen zu befreten nnd die Offiziere an deren Stelle zu 
fepen? — Schauderdös! Die beiden Lieutenantd laugten nach ihren 
Pickelhauben, drüdten die Degen fefter an fi und waren entfchlof 
fen, im Nothfalle Leben und Souper bis auf den legten Bluts⸗ 
und Weintropfen zu vertheidigen. | 

Da wurde Die Thüre geöffnet, und ein ungeheured Gelächter 
drang in das Sitzungs⸗Zimmer. 

„Ra, das muß ich ſagen,“ rief der Artillerieshauptmann, „die 
Herren Kameraden lajien ſich's wohl fein, werr weiß, wie fehr! — 
Schau! ſchau! — DO—0—0—oh! An Flickmaterial fehlt's nicht!“ — 
Damit ließ er jeine Augen vergnägt auf dem Tiſche umberfpazieren. 

Auch der Artillerie Lieutenant ergoß fih in Ausrufungen der 
Zreude, doch gemäßigter ald fein Chef. Die Kavallerie aber jepte 
luftig in das Zimmer hinein, und der Hufar rief: „Aber dad nenne 
ih, auf Zaille! ein ungeheueres Aufammentreffen. Uuſer Lieber 
Zreund, der lange Eduard!” 

Lieutenant Wortmann hatte pflichtfchuldigft feinem Vorgeſetz⸗ 
ten, dem Artillerie- Hauptmann, falutirt, wogegen der lange Eduard 
ein paar vergebliche Anftrengungen machte, um fich von feinem 
Stuhle zu erheben. Doc bat ihn der Hauptmann, fitzen zu blei⸗ 
ben, worauf er angenblidlich wieder in feinen Lederſtuhl zurückfiel. 


Einige Freunde finden fich wieder. 125 


„Hat man je fo etwas gefehen?“ rief der Dragoner-Offizter. 
„Iteffen wir uns hier zuffällig in diefen elenden Nefte! — Aber 
mad macht ihr bier? was thut die Infanterie drunten? — Was 
habt ihr auf dem Rathhaufe zu fchaffen? 

„Bor allen Dingen,“ entgegnete ruhig und wichtig der ältere 
Infanterie-Offizier, „laßt euch an dem ZTifche nieder und Haut 
ein. — Lieutenant Wortmann, machen Sie die Honneurs. Ich 
freue mich wahrhaftig, euch zu ſehen.“ 

„3a, ja, ſetzen wir uns!“ fagte der Hauptmann von der Ars 
tifferie und that alfo.” Seinem Betfpiele folgten die Anderen, und 
der Dragoner meinte, es ſei hohe Zeit zur Abfütterung. 

Während nun die neu Angefommenen dem aufgeftellten Souper 
alle Ehre anthaten, erzählte der lange Eduard mit kurzen, aber 
beftimmten Worten, daß er hieher beordert fei, ein paar Berhafz 
tungen vorzunehmen, und dag Wortmann und er fi) dieſes Auf- 
nages beitens entledigt. | 


„Ei, ei! Verhaftungen!“ verfeßte der Dragoner; „politifche 
Irreftanten! Haben fich wohl nicht zur Wehr gefebt, euch das Eins 
fangen nicht fauer gemacht?“ 

„Durchaus nicht!“ meinte Wortmann. „Ste ergaben fich alö- 
bald in ihr Schickſal. Wird auch nicht zu traurig fein, diefes 
Schickſal; ſcheinen mir ein paar Eleine, unbedeutende Lichter; 
menigftend dumm genug fehen fie aus. — Du lieber Gott! id 
begreife nicht, wie man auf ſolche Schwäßer Gewicht legen Tann.“ 

„Die Zeiten. haben fid) geändert,“ ſprach mit vollen Baden 
fauend der Artilleries-Hauptmann, „man muß jebt Alles beobachten. 
Früher ließ man dergleichen oft fagen, was fie wollten.“ 

„Kennt ihr die famofe Gefchichte,” rief der Hufar, „von jenem 
Handlungs-Reifenden, der ein unbändig Iofes Maul hatte 2“ 

„Deren gibt es fehr viele,” entgegnete troden der Artilleries 
Lieutenant. 


al 


126 Dreizehntes Kapitel. 


„Aber in politieis,“ fuhr der Hufar fort. „Und dieſer Kerl 
fonnte unbeläftigt thun und reden, was er wollte.” 

„DS Gott!” feufzte der lange Eduard. „Haben Sie es fid 
denn noch nicht abgewöhnt, immerwährend die alten Gefchichten zu 
erzählen ?“ | 

„Rimm dich mit Eduard in Acht,” verfebte lachend der Dra⸗ 
goner, „du magft ihm erzählen, was du willft, er hat es alles 
ſchon im Meidinger gelefen.“ 

„Die eben angefangene Anekdote,” erwiderte der ältere Infan» 
terie-Dffigier, „iteht Schon in der erften Ausgabe.“ 

” ‚Aber ich kenne fie nicht,“ fagte treuberzig und tief aufath- 
mend der ArtillerieeHauptmann. 

Der lange Eduard warf ihm einen Blid zu, der einigermafen 
verächtlich ausſah. Dann wandte er ſich zu dem Hufaren und 
forah: „Ich Tann Sie verfihern, es fteht in der erften Ausgabe. 
Der Handlungsreifende hatte in feinem Paß irgendwo ein faum 
bemerkbares Zeichen, und als er eines Tages wegen ſehr unziem⸗ 
licher Neden auf die Polizei geladen wurde, entließ ihn der Com⸗ 
miffär, ald er jenes Zeichen gefehen, mit einem freundlichen Xäs 
heln. — Sie können geben, fagte er, Sie find in Ihrem Pafle ala 
unfhädliher Schwätzer bezeichnet. — Ganz Meidinger!“ 

„Aber nicht ſchlecht,“ entgegnete der Hauptmann der Artillerie, 
indem er fi) ein großes Glas Wein eingoß. 

„Jetzt wiflen Sie, meine Herren, was wir hier machen,” fagte 
Lieutenant Wortmann. „Nun ift die Reihe an Ihnen; weßhalb 
feben wir bier fo unverhofft Artillerie und Kavallerie?“ 

„Ab, der Teufel! das ift fehr einfach!” meinte der Artillerie 
Hauptmann von Stengel; „Mitglieder der großen Remonte⸗Com⸗ 
miffion. Wir haben dad Land bereist und uns nad Pferden ums 
geſehen.“ 

„Alſo glaubt man wirklich, daß es losgeht?“ fragte der lange 
Eduard. 





Einige Freunde finden ſich wieder. 127 


„Keine Frage mehr!“ entgegnete der Hauptmann, indem er 
fi) feinen langen blonden Schnurrbart abwifchte. „In vier Wos 
hen find wir mobil und dann geht's in's Feld. AH! ich freue 

| mid darauf.“ | 

| „Da haben Sie's gut, Herr Kamerad,“ fagte der Hufar. 

„Ein Hauptmann der Artillerie ift ein wirklich Commandirender, 
wie der Chef des Armee⸗Corps. Reſpekt vor einer reitenden Bats 
terie! Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich Diogenes fein.“ 

„Run, ihr Herren habt euch nicht zu beflagen,” meinte Eduard. 
„Schon beim Regiment zu Pferde immer beweglich, könnt ihr es 

aushalten, habt ihr aber gar das Glüd, zu Ordonnanz-Öffizieren 
‚ gemacht zu werden und in der großen Suite mitzureiten, fo gibt's 
Arbeit und Ehren genug.“ 

„Das tft wahr,” verfeßte der Dragoner. „Als Galoppin vers 
wendet zu werden, danach habe ich fehon oft getrachtet; aber mir 
tes noch nie fo gut geworden. — Da unfer Freund, auf den 
haben fie es förmlich abgefehen.“ 

„Es tit wahr,” entgegnete der Hufar, indem er feinen Schnurr⸗ 
bart in die Höhe drehte, „darin habe ich Glück gehabt, War ich 
doh bei den Tepten großen Manövern beftändig in der Allerhöchs 
ten Suite. Apropos! da paffirte und eines Tages eine ganz uns 

| geheure Geſchichte.“ 

Der lange Eduard ſchaute unruhig empor. 

| „O unbeforgt!” lachte der Erzähler, der diefen Blick fah, 
„zehn Flaſchen Champagner, daß die Geſchichte neu ift! Eines 
Tages reiten wir alfo 108, der commandirende Herr auf feinem 
ſtarken Pferde voraus, aber ſchneidig wie ein junger Huſaren⸗Offi⸗ 
zier. Die ganze Suite zog fih artig aus einander. Natürlicher 
Beife konnte ich mich auf meinen Rappen verlafien und war fo 
weit vorn, als es der Anftand erlaubte. Bon den alten Stabs⸗ 
Offizieren pufteten manche ganz gewaltig, aber das halfalles nichts, 
vorwärts ging's über Gräben und Heden. Auf einmal parirt ber 


128 Dreizehntes Kapitel. 


Herr vorn an der Spige fein Pferd, bumms! da ftanden wir; ne 
ben uns im Graben liegt ein Artillerift, fehr bleich, marode, mit 
geſchloſſenen Augen.“ 

„Natürlich muß ed immer ein Artillerift fein!“ ſagte einigerma⸗ 
ßen vikirt der Hauptmann von Stengel. 

„Es war in der Nähe einer Batterie,“ entgegnete der Huſar 
fortfahrend. — „Was macht der Mann da? rief Se. Majeſtät, er 
ſcheint krank zu ſein; man mache ihm vorn den Kragen auf! Nun 
ftand, wie fchon gejagt, nicht weit davon eine Batterie — natürlich 
eine Fußbatterie,“ feßte der Erzähler lächelnd Hinzu. „Raum ſah 
nun der Hauptmann derfelben das ganze hohe und zahlreiche Ge: 
folge unten am Graben halten, fo fepte er fein Pferd in Galopy, 
was das gute Thier auch nach einigem Widerftreben that, und 
fam in Garriere auf und zu. Auf taufend Schritt Diftang hob er 
ſchon die Hand zum Gruß empor.” 

„Starte Entfernung,” meinte nachdenkend der Artillerierkiens 
tenant. — „Zaufend Schritt — ein halber Zoll Erhöhung.“ 

„So kam er heran, parirte neben dem Graben fein Pferd 
gar nicht fchlecht, daß ich einen Augenblick denke, der Gaul bricht 
fein Kreuz und der Hauptmann kommt zu Zuß vor Sr. Majeftät 
an. — Nun? fragten Allerhöchftdiefelden. — Maj— fiiteet! mel 
det der Artillerie Offizier mit unglaublich jcharfer Betonung und 
großer Anftrengung, d'rrr Mann bat hundert und zwanzig Pflau- 
men gegefien! — Ab, das ift viel! entgegnete der Herr, indem 
er fein Pferd wieder in Galopp fegte. Dann lafien Sie ihm bins 
ten aufmachen. — Ihr könnt euch denken, daß fi) das ganze Ge: 
folge mit einem geheimen, aber unauslöfchlichen Gelächter entfernte. 
— — Nun, Eduard, habe ich gewonnen oder verloren?“ 

„Ei, mein Freund,“ verfepte ruhig der Angeredete, „gedrudt 
las ich diefe Gefchichte noch nicht, aber e8 wäre möglich, dap Mei⸗ 
dinger fie gefannt und nicht pikant genug zur Aufnahme gefunden 
hätte, — Uber fie ift nicht ganz fchlecht.“ 


Einige Freunde finden fich wieder. 129 


„Eduard wird immer fchärfer,“ meinte lachend der Huſar; 
„bald fange ich an, mich zu fürdten, in feiner Gegenwart die befte 
Geſchichte zu erzählen.“ 

„Das macht das Alter,“ ſagte lachend der Dragoner⸗Offizier. 
„Eduard wird bedächtig, die Zeiten liegen binter ihm, wo er feis 
nem Better Robert half, die Beine von defien Rappen roth zu 
färben. 


Sein Herbft ift gefommen ; 
Die Blätter fallen ab von den Bäumen. 


Dei dieſen letzten Worten legte der alſo Sprechende feine 
Hand fanft anf das Haupthaar des langen Eduard, das freilich 
nit mehr in jener Fülle üppiger Locken prangte, wie damals, als 
er das Porteepee erhielt und Fähnrich wurde. 

Mittlerweile war dem Souper alle Ehre angethan worden; 
der Hauptmann von Stengel lehnte fih beruhigt in den alten Xe- 
derſtuhl zurück, und fein Lieutenant in derfelben Stellung blidte 
nachdenkend in die Höhe; er war in ein tiefes Nachfinnen verſun⸗ 
fen über eine neue Art Brandröhren für Bomben und Granaten. 
Die Unterhaltung gerieth demgemäß in's Stoden und wurde nur 
nah einiger Zeit wieder anfgefrifcht durch einen tiefen Seufzer 
des Dragoner- Offiziers, während er unruhig und erwartungsvoll 
nad der Thüre blickte. 

Der Hufar aber, der diefen Blick bemerkte und wie in frühes 
ten Zeiten immer noch für die Hugenotten fehwärmte, wandte 
fh an ihn und fang mit Beziehung auf die nächtliche Fahrt im 
Gilwagen: 

Sagt, wer war denn diefe Schöne? 


Borauf der ArtillerierHauptmann lächelnd fein Haupt umwondte 

und diefelbe Frage, ohne zu fingen, in guter Profa von fi) gab. 

Der Dragoner zudte ſeufzend die Achfeln. „Weiß a denn?“ 
Hadländers Werte. V. 


130 Dreizehntes Kapitel. 


fagte er; „fie fam in D. zu uns, als es fhon recht dunkel war, 
ich konnte ihr Geficht nicht ſehen.“ 

„Aber du haft Routine in dergleichen und fprachft mit ihr fo 
angelegentlih, daß du wenigftens wiffen mußt, ob ſte jung ober | 
alt iſt.“ 

„Ih vermuthe allerdings das Erſtere,“ antwortete der Dra- 
goner, indem er mit der Hand durch das Haar fuhr. „Es wehte 
mich der Hauch der Jugend an.” 

„Die alten brennen auch viel Tangfamer,” warf träumeriſch der 
Artillerie Lieutenant dazwifchen, denn er dachte an die Brand- 
röhren. 
„Der Teufel au, Tieber Herr Kamerad!” antwortete eini⸗ 
germaßen pifirt der Dragoner, „wer hat Ihnen denn anvertraut, 
ob die junge Dame fchnell oder langſam, oder ob fie überhaupt 
entbrannte?“ 

„Wa—a— 8?” fragte eritaunt der Artillerift. 

Doch der Hufar fam ihm zu Hülfe „Na,“ fagte er lachend, 
„du willſt doch uns nicht abläugnen, daß da eine Meine Gefchichte 
arrangirt wurde? Gigentlich hätte der Plab gegenüber mir ges 
bührt; ich hatte Nr. 3. Aber ich bin ein viel zu guter Kerl für 
diefe Welt. Es wäre anftändig von dir, wenn du ein Biechen be⸗ 
kennen wollteſt. 

„Ja, ja, bekennen,“ entgegnete Herr von Stengel, „werr weiß, 
wie ſehr! Ah, der Teufel, das war 'ne ſchöne Gelegenheit — an 
Flickmaterial fehlt's nicht!“ 

„Wie weit kamſt du mit ihr?“ fragte der Huſar mit Pathos. 

„Ich drücke ab, oder — bekenne.“ 

Der lange Eduard hatte melancholiſch fein Haupt in die Hand 
finten laſſen; jetzt erhob er es plötzlich und fagte mit fanfter, leiſer 
Stimme: „Ih bin einmal in Schwaben gereiöt im Eilwagen, na= 
türlicher Weife bei Nacht. Mir gegenüber ſaß eine Beamten-Tocı- 
ker, fie gehörte zur jechsten Rangklaſſe, denn man brachte fie mit 


Einige Freunde finden fidh wieder. 131 


einer MeffingsZaterne auf die Poft, in welcher zwei Wachskerzen 
brannten. — Das ijt nämlich dort das Unterfcheidungszeichen; in 
China leiſten Knöpfe und Pfauenfedern denjelben Dienft. Auch 
hatte die Beamten-Tochter einen offiziellen Liebhaber , der fie an 
den Eilmagen begleitete. — Sie kam mir gegenüber zu fißen, und 
in joldhen Fällen — das könnt ihr mir glauben — bin ich der 
diöfretefte Menfch, den es gibt. Ich fchräufte meine langen Füße 
ein, fo gut wie möglich; ich haſſe alle Zudringlichkeit. Endlich 
aber konnte ich es nicht mehr aushalten, ich mußte mir etwas Luft 
verichaffen und war glüdlich, auf fein Hindernig, feinen Wider: 
Rand zu stoßen. Da ih demnach zu meinem großen Eritaunen 
entdedte, daß der Platz vor mir frei und unbenugt war, fo ſah ich 
mid) endlich veranlagt, meine ziemlich langen Beine fo weit als 
möglih auszuftreden und fchlief fo herrlich die ganze Nacht.“ 

„Und die BeamtensTochter ?” fragte neugierig der Hufar. 
„Hatte fie gar feine Füße?“ 

„> ja,“ antwortete der lange Eduard nach einer Baufe ſchwär⸗ 
meriſch, „fie Hatte fogar zwei. Um aber nicht in unangenehme 
Berührung zu fommen, hatte fie diefelben auf den Sig heraufge- 
jogen und faß die ganze Nacht darauf.” 

„Teufel!“ fagte lachend der Dragoner, „das nenne ich eine 
jonderbare eigennüßige Idee.“ 

„Und ich,” antwortete der Erzähler, „nenne es ſchwäbiſchen 
Heroismng ; denn die arme Perfon brauchte am anderen Morgen 
eine gute Zeit, um nur wieder vernünftig auftreten zu können. 
Sie verficherte mich auch im Laufe des Tages, fie fei ganz främ- 
pfig geworden.“ 

„Sp, das hat fie Ihnen anvertraut? — Alſo wurdet ihr 
jpäter gute Freunde 2“ meinte Iachend der Hufar. 

„Nachdem fie deine Unwiderftehlichkeit eingejehen,” fagte der 
Dragoner. 

„Darüber ſchweigt die Geſchichte,“ antwortete der lange Eduard. 


132 Bierzehntes Kapitel, 


Hier wurde die Unterhaltung für einen Augenblick unterbrochen, 
denn man hörte draußen im Gange baftige Schritte. Dann öffnete 
der Rathhausdiener fehnel die Thüre, und der Interoffizier Dofe 
trat ein, nicht mit feiner gewöhnlichen Ruhe, feiner befannten Si- 
herheit, fondern etwas bleich, aufgeregt und mit ſchnellen Schritten. 

Der Dragoner-Offizier erhob fi) vom Tifche, um die Meldung 
Dofe'd, die, wie er glaubte, ihn allein anginge, in Empfang zu 
nehmen. 


Vierzehntes Kapitel. 


Feodor Dofe macht auf der Rathhaus⸗Wachtſtube eine Meldung. In Folge derfelben erfährt 
man, dag der Seminarift entfioden und der Schneider arretirt iR. — Militärifhe Beſetzung 
des Marktplatzes und große Entwidinng der bewaffneten Macht. 


Unteroffizier Dofe ſchien den fragenden Blid des Dragoner- 
Offiziers nicht zu verftehen, fondern wandte fich zum Tiſche und 
trat dicht vor den commandirenden Infanterie⸗Lieutenant in der 
dDienftlichften Haltung, den Kopf aufrecht, den Beinen Zinger an 
der Hojennaht. 

Der lange Eduard blickte kaum in die Höhe; doch Lieutenant 
Wortmann fragte eifrig, was es gebe. 

„Es find ja heute Abend,“ Sprach haſtig Dofe, „während bes 
BürgerwehrsBalles zwei Leute verhaftet worden, angeblich Aktuar 
D. und Seminariſt W.“ 

„So iſt es,“ erwiderte Lieutenant Wortmann. „Warum an⸗ 
geblich? Die Verhafteten ſitzen in gutem Gewahrſam bier an.“ 

„Das iſt unmöglich,“ fuhr der Unteroffizier fort; „ich kenne 
die Beiden zu genau; der Aktunar iſt Adjutant des Bataillons bier, 
ih habe ihn faft täglich gefprochen, und mit dem Anderen fam id 
in noch nähere Berührung. Ich muß alio wohl Beide kennen.” 

„Run, und was weiter ?” fragte der InfanteriesÖffizier. 


Dofe meldet aufder Rathhaus⸗Wachtſtube. 133 


„Dh, Herr Lieutenant, verzeihen Sie mir,“ fuhr Doſe mit 
ängftlichem Gefichte fort, „wie Sie wifien, befand ich mich gerade 
im hinteren Zimmer des Gafthofes, als vorn die Verhaftung und 
— Verwechslung vor fih ging. Hätte ich es gefehen, fo würde 
ih e8 gewiß nicht geduldet haben.“ 

„Der Unteroffizier fpricht von einer Verwechslung,“ fprach der 
lange Eduard. „Er fol fih deutlich ausdrücken.“ 

„Run, was haben Sie denn zu melden ?“ 
„Sch babe alfo zu melden,“ fagte der Unteroffizier mit dem 
gemefjenften Tone, „daß fih der Aktuar D. und der Seminarift 
W. in Freiheit befinden. Der Xeptere ift eben über den Rhein 
ipedirt worden, der Erftere muß irgendwo im Safthaufe zum Grü⸗ 

nen Baum verftedt fein.“ 

„Ale Teufel!“ fluchte der Lieutenant Wortmann. „Ilnters 
Offizier, wenn Sie recht gefehen haben, wen haben wir dann bier 
im Gefängnifje ?“ 

„Bielleiht Niemanden ,“ meinte der ArtillerierHanptmann. 
„Diefe Demokraten find pfiffig, werr weiß wie ſehr! an Flickmate⸗ 
tigt fehlt's ihnen auch nicht, und fo hilft einer dem anderen. Ab, 
das ift eine wahre Schwefelbande !“ 

„DaB Ding muß unterfucht werden,“ verfebte Lieutenant 
Bortmann, „und ſogleich!“ — Er zog die bewußte Klingel, und 
der Rathhausdiener erſchien. „Wo find die beiden Gefangenen ?“ 
fragte der jüngere Iufanterie-Offizter alddanı. 

„In ihrem Zimmer, zu Befehl des Herrn Lieutenant.“ 

„But! Was meinen Sie —” er wandte fi an feinen älteren 
Kameraden — „follen wir nicht ein wenig zu ihnen gehen und fie 
infpiciren 2 Wenn der Unteroffizier Recht hätte, e8 wäre eine ver: 
drießliche Geſchichte.“ 

„Ich halte es für beffer, wenn wir fie hieher kommen laſſen,“ 
entfchted der lange Eduard. „Es ift Doc bequemer.“ 

„Run, meinetwegen !" meinte Wortmann. „Doch will ich 


134 Bierzehntes Kapitel. 


ſelbſt mitgehen und fie bieher holen; ich kann die Gefchichte nicht 
glauben.“ 

Diefen Moment hatte der Dragoner:Öffizier benupt, um eine 
Heine leife Frage an den Unteroffizier zu flellen. 

„Ro. 16,” hatte Dofe ebenfo leiſe geantwortet, nicht ohne 
eine gewijje Berlegenheit verbergen zu können. 

Darauf war der Kavallerie-Offizier volllommen geräufchlos und 
unbemerft entfhwunden. 

Einen Augenblid nachher erjchten der InfanteriesÖffizgier mit 
den beiden Arreftanten. Sie fahen fehr niedergefchlagen aus, und 
der ältere von ihnen ſchien fogar den Verſuch machen zu wollen, 
feinen trodenen Augen einige Thränen zu entprefien. Doch wollte 
dies nicht recht gelingen. 

Dofe fuhr zurüd, ald er die beiden XArreftanten fah. 

Der lange Eduard, der die ganze Würde des Augenblids 
fühlte, richtete fih in feinem Xehnftuhle empor, winkte den beiden 
Demokraten, näher zu treten, z0g fein Taſchenbuch heraus, als 
handle es fih um ein Protokoll, und fragte mit fehr würdevoller 
Stimme: „Wer von Ihnen ift Altuar D.?“ 

Die beiden Gefangenen fahen einander an und gaben keine 
Antwort. 

„Oder der Seminarift W.?“ fuhr der Inquirent fort. 

Auch diesmal gab keiner eine Antwort, und Dofe, der faum 
an fich zu halten im Stande war, wollte eben vortreten, als der 
ältere der Arreftanten mit recht Fläglicher Geberde die Hände faltete 
und fagte: „Ad, Herr Jefus, befter Herr Lieutenant, ich fie jept 
Schon feit zwei Stunden in dem dunklen Zimmer und möchte wifien, 
was ich eigentlich verbrochen habe. Es tft hart, wenn man uns 
fchuldiger Weife nicht ruhig in feinem Bette fchlafen Tann, und 
dann fürchte ich mih auch im Finftern, und tch habe das Recht 
dazu.” 

„Der hat ein Recht, fich zu fürchten,“ fagte lachend der Hu⸗ 


mt 5 ud U o — —— — — — — 


Doſe meldet auf der Rathhaus-⸗Wachtſtube. 135 


farene Offizier. „Ich möchte wiſſen, wer ihm dieſes Recht gege- 
ben bat.“ 

„Sa, ich babe diefes Recht,“ fuhr der Gefangene weinerlich 
fort, „und ich bin nicht blos Bürgerwehrmann, fondern auch meis 
ned Zeichens ein Schneider; und ic möchte willen, was ich vers 
brochen habe.“ 

„Ein Schneider!” rief Lieutenant Wortmann entrüftet. 

„Das iſt ne ſchöne Geſchichte,“ fagte lachend der Artilleries 
Hauptmann, „da. haben Sie ftatt eines Aktuars einen Schneider 
eingefangen.“ 

„Das ift am Ende ganz glei,” entgegnete Lieutenant Wort: 
mann. „Mit gefangen, mit gehangen. Warum bat er fich nicht 
früher gemeldet, warum hat er nicht gejagt, wer er iſt!“ 

„Ah, du gütiger Gott!“ jammerte Meijter Kaspar, „das habe ich 
aufdem ganzen Herweg gethan ; ich Habe dem Unteroffizier, der uns bes 
gleitete, gefagt: Ich bin nicht der Rechte, ihr habt wahrhaftig den Fals 
ihen erwifcht. Ach, es hat ja alles nichts geholfen! Er lachte mir unter 
die Nafe und ſagte: Das wäre ſchon gut, in ſolchen Fällen wäre 
Alles unfchuldig, und Keiner wollte der Nechte fein.“ 

Der lange Eduard hatte fein Haupt wieder auf die Hand ges 
fügt, blickte melanchelifh in die Höhe und fragte den Unteroffizier, 
ob er die Leute kenne, 

„Allerdings,“ fagte Dofe, „der Eine ift der Schneidernietiter 
Kaspar nnd der Andere ein Schreibergehülfe.“ 

Lieutenant Wortmann preßte die Zähne auf einander, ihn är- 
gerten vor Allem die lachenden Blicke des Artillerier-Hanptmanns 
und des Huſaren⸗Offiziers. „Haben dieſe Leute,” fragte er nad 
einer Baufe, „irgend eine Achnlichkeit mit jenen beiden Anderen?“ 

„Richt die geringſte,“ entgegnete Dofe; „der Altuar tft fait 
um einen Kopf größer als der Schneider, und der Seminarift hat 
etwas Anfgefchwollenes ; er ift wenigftens zweimal fo dick wie der 
Schreibergehülfe.“ 


136 Bierzehntes Kapitel. 


„Das ift eine Berhöhnung aller öffentlichen Gewalt !- fprad | 


fehr erbost Lieutenant Wortmann, und feine Augen glänzten, aber 
nicht, wie früher, vor Vergnügen. „Der Wirth zum Grünen 
Baum bat mir diefe Beiden bezeichnet. An ihn werde ich mid 
halten.” 

„Das zieht der Wirth gerade in Abrede,“ erlaubte fih Dofe 





zu fagen. „Ich hörte vorhin zufällig eine Unterredbung, worin er 


verjicherte, er babe zu Niemand gefagt: das iſt Der oder Der, 
fondern der Herr Lientenant hätten fidy) die Beiden da —“ hier 
ftodte Dofe. 

„Run?“ rief Wortmann. 

„Als paſſend ſelbſt ausgeſucht,“ entgegnete der Unteroffizier 
mit einem ſtarken Achſelzucken. 

„Bei meiner armen Seele,“ rief der InfanteriesOffizier ganz 
erhigt, „das fol ihnen nicht jo hingehen! Sie glauben alfo, Uu⸗ 
teroffizier, daß der Aktuar noch in der Stadt iſt ?“ 

„Sch möchte fogar behaupten,“ erwiderte Dofe, „daß er ſich 
im Grünen Baum veritedt hält.“ 

„Und der Andere ?“ 

„Der ift längft über den Rhein hinüber, da Hilft fein Nach—⸗ 
ſetzen.“ 

„Aber den Einen müſſen wir haben!“ ſagte Lieutenant Wort- 
mann. „Das tft doch aud Ihre Anficht ?” wandte ex fih an den 
langen Eduard. 

„Allerdings,“ entgegnete diefer ; „aber man muß dabei vor: 
fihtig zu Werke gehen. Glaubt mir, ich pflege eine Sade genau 
zu überlegen. Bor allen Dingen führt mir den ehrlichen Schneider 
und den vortrefflihen Schreiber in's Gewahrſam zurüd, und zu- 
gleich mit den Beiden fperrt mir den braven Rathhausdiener eben- 
falls ein. Darauf befehlt dem Poften, der draußen vor dem Fenſter 
fteht, jobald Einer die Najenipige hervorftredt oder ein Wort auf 
die Straße fpricht, angefhlagen — Feuerrrr!“ 


Dofe meldet auf der Rathhaus-⸗Wachtſtube. 137 


Der Schneider fuhr zufammen, als empfinde er ſchon irgendwo 
eine Kugel. 

„Iſt das gefchehen,“ fuhr der Wachthabende fort, „fo werden 
wir weiter fehen. Unteroffizier Dofe, thun Sie mir den Gefallen 
und fchließen Sie die Gefangenen ein.“ 

„Haltet euch ruhig, ihr Leute,“ fagte der Artillerieshauptmann, 
„enft könnte ed euch fchlimm gehen, werr weiß wie fehr!“ 

Dofe nahm die Schlüffel fowie ein Licht vom Tifche und 
brachte die Gefangenen in ihr Zimmer. Er unterließ nicht, die 
Tenfter zu unterfuchen und, als er Alles in Ordnung gefunden, 
den Arteftanten zu fagen, fie möchten ſich um ihrer eigenen Se 
ligleit wegen ruhig verhalten und fich unter keiner Bedingung dem 
Fenſter nähern. - „Denn der Poſten draußen,“ fügte er wichtig bei, 
„hat einen. verzweifelt feharfen Befehl, und feine Muskete ift vor- 
trefflih geladen.“ — So unterrichtet, zogen ſich die drei Unglück⸗ 
lihen in die Ede des Gemaches zurüd, welche am weiteften von 
dem Fenfter lag, und kauerten fich dort zufanımen wie erjchredte 
Shafe, wenn draußen vor der Hürde ein Wolf umgeht. 

Dofe kehrte in die Wachtſtube zurück. 

Der lange Eduard Hatte indefien feine Anficht auseinander 
geſetzt, welche dahin ging, fich eine halbe Stunde ruhig zu ver: 
halten, alddanı den Gafthof zum Grünen Baum zu umitellen und 
fh fo des Aktuars zu bemächtigen. 

Dofe näherte fi) dem Tiſche und meldete, während er die 
Shlüffel vor den commandirenden Offizier niederlegte, daß die 
Gefangenen beſtens eingefchlofjen feien. Darauf erlaubte er fich 
eine Bemerkung. „Herr Lieutenant,“ ſprach er, „drunten auf der 
Bade ift ein ewiges Ab⸗ und Zugehen von Leuten aus der Stadt; 
man kann nichts dagegen fagen, fie fprechen mit den Soldaten, 
wenden fich auch wohl an den Unteroffizier der Wache und wollen 
offenbar erfahren, ob es hier oben bereits entdedt, daß man die 
Faljhen verhaftet. Ich erlaube mir, zu fagen, daß man fie vor 


138 Bierzehntes Kapitel. 


allen Dingen in tiefer Unwiſſenheit erhalten muß. Das Volk bier 
hält gegen uns feit zufammen, fie treiben ſich da unten blos herum, 
um jede Bewegung der Truppen zu erfpäben, und werden, fobald 
Sie eine ſtarke Patronille abjhiden, augenblicklich voraudeilen und 
den Grünen Baum in Allarn bringen.“ 

„Die Anficht ift fehr richtig,” erwiderte der Artillerie Haupt: 
mann. „Gut gedadht, Unteroffizier! Ihr Beiragen gefällt mir, 
vergeflen Sie in C. nicht: Hauptmann von Stengel.“ 

„Ich finde aud, dag er Recht hat,“ meinte Lieutenant Worts 
mann. „Dod iſt bier eine Schwierigkeit: ich tenne das verfluchte 
Zerrain nicht.“ 

„Aber ich kenne es,“ verfehte Dofe, indem er fich ftolz aufs 
richtete. „Dürfte ich mir erlauben, einige Anordnungen vorzu: 
fhlagen, jo glaube ich verfprechen zu können, daß wir ohne Lärm, 
ohne das geringfte Aufſehen den Grünen Baum umftellen können.“ 

„Laſſen Ste hören!“ 

„Das Rathhaus, in dem wir und befinden, liegt am Markt⸗ 
plaße; auf denfelben münden drei Straßen, geradeaus führt zum 

Grünen Baum, rechts und links in die Stadt. Diele drei Wege 
nun müfjen in aller Stille befegt werden, und man muß im Aus 
genblide, wo ich mit der Patrouille abmarjchire, jeden Anderen 
zurüdweifen, damit mir Keiner vorauslaufen kann.” 

„Sehr gut!” bemerkte Lieutenant Wortmann. 

„Auf Befehl des Herrn Lieutenants,“ fuhr Dofe fort, „werde 
ih mich alfo drunten in die Wachiftube begeben und den Unters 
offizier inftruiren, Daß ich die Patrouille führen werde.“ 

„Ich werde Sie begleiten, damit er Ihnen glaubt,“ fagte der 
jüngere InfanteriesOffizier; „der Schmig tft von altem Schlag und 
geht gern ficher.“ 

Dofe erlaubte fih, eine zuftimmende, wenn and nicht ganz 
militärifche Verbeugung zu machen. . 

„Kerner will ich, ſpazieren gehend an drei Straßen Doppel 


Dofe meldet auf der Rathhaus-Wachtſtube. 139 


poften aufitellen, die Niemanden als die Batronille paffiren laſſen,“ 
fuhr Lieutenant Wortmann fort, — „Gehen wir! — Aber Sie 


: haben keine Waffen!“ wandte er fi) an den Interoffizier. 








Diefer fchante im Zimmer umber, als juche er etwas, das ihm 
dienen könne. 

Doc meinte der Hufaren-Offizier lachend, dem fei abzuhelfen, 
und er wolle gern zu der famofen Befchichte feinen Säbel herleihen. 

Doje erftarrte vor Glück und Ueberrafhung. Er, vor ein paar 
Stunden noch Arreftant und auf dem Wege zu fchlimmen Dingen, 
batte fi feinen Vorgeſetzten uüglich zu machen gewußt, er follte 
dazu helfen, einen wichtigen Gefangenen beizubringen, und dazu 
einen Offizier» Säbel führen. Er ergriff mit zitternder Hand die 
fine Kuppel, und nachdem er die Säbeltafche Loögefchnallt und die 
Kuppel mit einiger Anftrengung befeftigt, löste er ehrfurchtsvoll 
dad filberne Porteepee von dem Griffe und legte es auf den Tifch. 
Hierauf 309 er ein paar weiße wafchlederne Handfchuhe an, brachte 
den Gäbel gerade an die linke Seite und trat vor den commans 
direnden InfanteriesOffizter, wobet er fich fertig zum Dienft meldete. 
Dofe machte alle dieſe Bewegungen fo correct und gut milttäriich, 
daß namentlich der Artillerie-Hauptmann feine Freude an ihm hatte. 

„Der Offigiers Säbel iſt eine gute Vorbedeutung,“ fagte er; 
„wenn wir in den Krieg fommen — bo! — da kann Ihnen das 
Porteepee noch werden; werr weiß wie bald!“ 

Damit ſchloß fi die Thüre hinter den Beiden; fie gingen 


einen finfteren Gang hinab, dann eine Treppe und traten darauf 
dr Ihüre des Rathhauſes hinaus auf den Marktplap. 


140 Bünfzehntes Kapitel, 


Zünfzehntes Kapitel. 


Sortfegung des Dorigen in der Wachtſtube des alten Sprikenhaufed: — Der Dragoner 
Offijier madt feltiame Entdeckungen und fommt in den Grünen Baum, ohne vorderhand 
auf einen grünen Zweig zu fommen. 


Das Lokal, in weldem Unteroffizier Schmik I. als Wacht⸗ 
habender regierte, war natürlider Weiſe nicht fo behaglich einge 
richtet, al8 das der commandirenden Lieutenants. Doc, hatte auch 
bier Natur und Kunft Einiges gethan. Das ehemalige Spripen- 
haus der Stadt, dicht beim Rathhauſe gelegen, war zur Wachtſtube 
umgewandelt worden; man hatte einen Tifch, fowie ein paar Stühle 
bereingefchafft, hatte einige Bretter über den defekten Kaften einer 
alten Feuerfprige gelegt, die im Winkel Stand, und jo cine Art 
Pritfhe gebildet; man hatte vor die offenftehenden vergitterten 
Fenfter, an denen die Läden fehlten, ein paar Mäntel kunftriid 
befeftigt, und ald nun auf dem Zifche ein Zalglicht angezündet war, 
als Papier, Feder und Dinte gebradht worden, ſetzte fi der Mut:r- 
offizier Schmig I. in ftiller Majeftät vor diefen Tiih und ſchrieb 
auf einen weißen Bogen Papier: 

„Wache im Sprigenhaufe. Auf Wache ein Unteroffizier und 
jchd Mann. Neues wurde mir von dem vorigen Wadıt-E omman- 
danten nichts übergeben, da ein folcher nicht vorhanden.“ 

Darauf hatte der Commandirende zu Nacht geipeist, und wir 
müſſen geftehen, daß fich andy hier der Wirth zum Grünen Baum 
in’s Mittel gefchlagen und mit dem Wachthabenden fraternifirt, 
indem er ibm ein paar Flaſchen ordentlichen Weined, fowie einen 
funftreichverzierten Kartoffel-Salat und Balten Kalbsbraten vorgefebt. 

Unteroffizier Schmig war aber nit der Mann, der ſich durh 
folhhe Beweife von Zuneigung im Geringften rühren ließ. Er 
hatte dem Kellner, der ihm dies alles gebracht, würdevoll gedankt 
und ihn darauf fo freundfih wie möglih zur Thüre hinaus: 


Der Dragoner⸗Offizier maht Entdedungen. 141 


begleitet. Dabei war Schmig I. ein vorfihtiger Soldat, der aber 
ſchreckkliche Xegriffe von den Demokraten im Allgemeinen hegte. 
Gr fieß den Härings-⸗Salat und den Kalbabraten unberührt ftehen, 
dad heißt, er für feine Perfon aß nicht eher davon, als bis zwei 
Mann der Wade, die mit lüfternen Blicken den Tifch anfchauten, 
die Gerichte tief und genau unterfucht hatten und fich hierauf feine 
verdächtigen Symptome einftellten; als die beiden Musketiere pus 
deimohl blieben und nur ein großes Verlangen nad mehr an den 
Zag legten, ließ fich der commandirende Unteroffizier herbei, die 
Speifen nun ebenfalls felbft und nicht ohne Gründlichkeit zu ver- 
ſuchen. Was den Wein anbelangte, fo verließ er ſich auf feine 
Nafe und Zunge, und da er auch hierin nichts Verdächtiges ent» 
deckte, fo hatte er bald eine Flaſche geleert und begab fich mit gu⸗ 
tem Willen an die zweite, 

Die Soldaten draußen, die man ebenfalls nicht vergefien hatte, 


| lagerten auf den Treppen des Rathhaufes und dachten nur zuweilen 


fröftelnd am die Kaferne in E., wo fo viele gute vortreffliche Betten 
in dieſem Augenblide leer ftanden. 

Dofe hatte die Wahrheit gefagt: es trieben ſich immer einige 
von den Bürgern auf dem Marktplape und zwifchen den Soldaten 
umber. Doc, konnte man nicht dagegen machen, da fie ein gänz- 
lih unverdächtiges Syftem des Fraternifirens beobachteten. Wenn 
fie ih zuweilen Kragen erlaubten, fo betrafen diefelben begretflicher 
Beife die beiden Gefangenen droben und ihre etwaige Beftimmung 
für morgen. 

Jede Compagnie, ja, fat jeder Zug bat feinen Spaßmadher, 
der von allen Kameraden als folder anerkannt wird und dem fein 
Anderer zu widerfprechen wagt. Der, welcher ſich nun bier auf 
dem- Rathhausplape befand, verficherte den Fragenden, die beiden 
Gefangenen würden morgen nach C. transportirt, müßten dort ein 
leihtes Berhör beftehen und kämen alddann unbedingt in die Des 
mohraten- Mühle. „Wißt ihr,” fagte er, „in die, welche im Hofe 


142 Sünfzehntes Kapitel. 


der Kaferne von St. Agatha fteht; zur linken Thüre werden fie 
hinelngeführt, und wenn fie umgearbeitet find, fallen fie rechts wir 
der heraus.” 

„Uud wie werben fie umgearbeitet?” fragte ein neugieria.. 
Soldat. 

„Das kann ich fo genau nicht angeben, denn ich habe nid: in 
das Innere der Mafchine fehen können; aber man wirft allerlei zu 
ihnen hinein, Prügel, Ketten, Orden oder Geld. Eins davon hilft 
gewiß.“ 

„Lieber Freund,“ fagte einer der Bürger, der mit den Eol- 
daten fprady, „was machen die beiden Gefangenen droben? find fie 
ruhig, Iamentiren fie, haben fie ein Verhör beftehen müſſen?“ 

„Das weiß ich alles nicht,” entgegnete der Andere. „Nur 
vorhin blickte ich zufällig zum Schtũſſelloch hinein, und da ſah ich 
— es hat mich erſchreckt.“ 

„Nun, was ſahen Sie?“ 

„Es iſt wahrhaftig beſſer, ich ſage es nicht.“ 

„Aber wir bitten Sie darum!“ 

„Nun, meinetwegen denn, wenn euch ein Gefallen damit ge⸗ 
ſchieht — aber es iſt eine finſtere Geſchichte; als ich nämlich ſo 
hineinſah, bemerkte ich — nicht das Geringſte, denn es war ganz 
dunkel im Zimmer.” 

„Ah!“ machten die Zuhörer verblüfft, und vie Soldaten 
lachten ſo laut, daß es über den Marktplatz hinſchallte und Un⸗ 
teroffizier Schmig I. vor die Wachtflube trat, um zu ſehen, was 
es gäbe. 

„Diefer Moment fehlen den Bürgern befonderd günſtig, mit 
dem Wachthhabenden ein paar Worte zu fprehen. Doc wurden 
fie nicht befonderd gnädig angehört, vielmehr zudte der Unteroffi⸗ 
zier ftatt aller Antwort mit den Achſeln und biidte alddann zum 
Sternenhimmel empor, der fich in felbiger Nacht Mar umd heiter 
über Alle ausfpannte. 





Der Dragonets-Dffizier macht Entdedungen. 143 


In diefem Augenblide traten Lieutenant Wortmann und Dofe 
aus der Thüre des Rathhauſes, worauf die Bürger fich ſogleich in 
den tieferen Schatten hinter dem Spritzenhauſe zurüdzogen. %eo- 
dor Dofe hatte aber dieſe Bewegung deutlich gefehen und war auf 
feiner Hut. Ohne fi den Anfchein zu geben, als achte er befon- 
derd darauf, fah er recht gut, wie die Bürger — es waren ihrer 
zwei — um dad Spripenhaus Iugten. 

Lieutenant Wortmann that, wie verabredet, und befegte, ſpa⸗ 
zieren gehend, die Straßen, die auf den Marktplatz mündeten. 
An zweien flanden bereits die Doppelyoften, da bemerkte Dofe, 
wie die beiden Bürger, diefe Manöver verftehbend, langſam hinter 
dem Sprigenhaufe her durch die dritte Straße davon fehleichen 
wollten. Mit Einem Sprunge kam er ihnen zuvor, pflanzte fi 
mitten in ihrem Wege auf und rief ihnen ein lautes: „Zurück!“ 
entgegen. Die Beiden biieben dicht vor dem Iinteroffizier, wie 
fett gebannt, ftehen, und Dofe fah zu feiner Genugthuung, daß er 
es mit zwei guten Bekannten zn thun habe, mit dem Major des 
Bürgerwehr-Bataillons und mit dem Druder des Intelligenzblattes, 
zwei politifchen Größen biefiger Stadt. 

Es Hatte aber noch Keiner diefer Drei Zeit gehabt, fih zu 
verfländigen, als Lientenant Wortmann auch an der dritten Straße 
die beiden Poſten aufftellte und ihnen bis auf Weiteres den Befehl 


gab, Niemanden zu geftatten, den Marktplatz zu verlafien. „Sollte 


man Gewalt anwenden wollen,” ſetzte er rubig hinzu, „fo habt ihr 
oben an Eurem Gewehr wohl ein paar Zoll falten Eiſens für 
einen guten Freund übrig.” 

ALS dieſe Angelegenheit beforgt war, erfuchte Dofe die beis 
den Herren höflichſt, fih in der Nähe der Wachtſtube aufhalten 


zu wollen ; „denn, fagte er, der Befehl ift fireng, und wenn Ste - 


vieleicht den Verſuch machten, in eines der umliegenden Hänfer 
zu {chlüpfen, fo thäte es mir leid, wenn Ihnen irgend ein Unglüd 
palfirte.“ 


4 





144 Sünfzehntes Kapitel. 


„Sie haben ganz recht,” febte Lieutenant Wortmann hinzu, | 
„ich hätte das bald vergejien. — Unteroffizier Schmig, laſſen Sie 
dieſe beiden Herren beauffichtigen und ftellen Sie einen Bolten vor 
die Thüre des Rathhauſes, es darf Niemand hinein.“ 

Die Abfperrung des Marktplatzes hatte ſich übrigens recht 
praktiſch erwiefen und ein ziemliches Refultat geliefert: ungefähr 
ein Dugend der gefinnungstüchtigften Bürgerwehrmänner fah man 
hier plöglich eingefchlofien, ein artiges Heines Beobachtungs⸗Corps, 
und wenn fi) aud die meiften geduldig in ihr Schidfal ergaben, 
fo waren doch ein paar, die anhuben zu fprechen von dem Rechte 
freier Bürger, fi zu verfammeln, und was dergleichen mehr war, 
— Aeußerungen, die aber plöglich und energifch unterdrüdt wurden. 
Auf welche Art konnte mann nicht fehen, da es auf dem Martir 
plage zu dunkel war. 

Lieutenant Wortmann hatte unterdefien aus fechszehu Mann 
eine Patrouille gebildet, die vom Interoffizier Dofe hinweggeführt 
wurde. Er nahm nicht den geraden Weg zum Grünen Baum, 
fondern die Straße links, 308 fih dann wieder rechts zu dem 
Gaſthofe hin und mandvrirte fo ug und vorfidhtig, daß dieſer 
in weniger als einer Viertelitunde förmlich umftellt war. Die Sol- 
daten hatten Befehl, Jedermann hinein, aber Niemand heraus zu 
lafien.. — — 

Der Dragoneroffizier hatte, wie ſich der geneigte Leer erinnern 
wird, die Wachtftube im Rathhaufe verlafien, nachdem Doſe ein- 
getreten war. Gr war fo geräufchlos wie möglich davon geſchll⸗ 
hen. Seinen Säbel hakte er wohlweislich 108 und fteflte ihn in 
eine Ede des Zimmers. Er ging über den Eorridor Die Treppen 
hinab, und ald er auf den Marftplag kam, blidte er fcharf um fid, 
um den Weg nad dem Grünen Baum nicht zu verfehlen. Der 
Dragoner-Öffizier war ein tapferer, unternehmender junger Mann; 
er hatte droben gehört, dag man den Unrechten zum Gefangenen 
gemacht, Daß der Nechte wahrfcheintih noch im Gaſthofe verftedt 


Der Dragoner-Dffizier maht Entdedungen 145 


fei, und da es unfere Pflicht ala Erzähler ift, von unferen Bekann⸗ 
ten nur Gutes zu fagen, fo fprechen wir die Vermuthung aus, 
er habe ſich blos nad dem Grünen Baum begeben, um jenen Ges 
fangenen ganz allein zur Haft zu bringen. Er benahm fi audı 
vollflommen fo, wie Jemand, der einen Anderen überrafchen will; 
er fhlich fo Leife wie möglich an der einen Häuferreihe dahin, und 
als er in die Nähe des Gafthofes kam, blieb er irgendwo im tiefen 
Schatten ftehen, um ſich die Gelegenheit anzufchauen. 

Der untere Stod ded Grünen Baumes, namentlich die hin- 
teren Schenkzimmer waren noch von Kichtern erhellt, auch fah man 
zuweilen Jemanden an das Kenfter treten und auf die Straße Hin 
ausfhauen. Die Hausthüre fand weit offen, und der Offizier, der 
fi in der Berlängerung des Ganges aufftellte, bemerkte, daß im 
Hintergrund defjelben die Treppe war, fchwach beleuchtet von einer 
erfterbenden Dellampe. Das Haus war, wie gefagt, in den unteren 
Räumen nod) voll Xeben, im Hofe nebenan knurrte zuweilen die 
gewaltige Stimme ded Kettenhundes, und der Offizier überlegte, 
daß ed einiger Maßen zu unangenehmen Begegnungen führen füunte, 
wenn er ſich jo allein und unbewaffnet in dieſes Hauptquartier der 
Demokraten einfchlihe, um — eined ihrer Häupter gefangen zu 
nehmen. Dod gerade dad Gewagte des Unternehmens trieb ihn 
an, ed zu beftehen ; ihm war ein aufregendes Abenteuer lieber, ats 
eines, dad fo ganz glatt und eben abzugeben verfpridt. Er 
avancirte im dichten Schatten an die Thüre, erftieg eilig die Treppe 
und tanchte Teile und geräuſchlos in den dunklen Gang bis zur 
Hauptireppe, wo die trübe Dellampe brannte, die er aber fogleich 
anslöfchte, 

Die Treppen hinauf zu fleigen, Hatte er weiter keine Schwies 
rigkeiten; er faßte das Geländer, um feinen Schritt zu dämpfen, 
ließ es aber 108, da dafjelbe, alt und morſch, zu krachen anfing. 
Die Stiege wandte fich rechts herum, dann befand er ſich im erften 

Hadländers Werte. V. _ Bu 10 


146 Fünfzehntes Kapitel. 


Stod. Hier fand der Offizier auf einem Meinen Veſtibül, auf 
welches zwei lange Gänge im rechten Winkel mündeten, an denen 
die Gaftzimmer lagen; wenigftens waren alle Thüren numerirt. 
Der Dragoner bemerkte dies alles beim Schein einer Talgterze, 
die auf einem Zifchchen neben der Treppe ftand; doch gab fie nur 
eine zweifelhafte Helle, denn fle war in den meffingnen Leuchter 
hineingebrannt, und die trübe, röthliche Flamme glänzte oben durd) 
ein paar Deffnungen, wie das Licht auf einem Leuchthurme Für 
den unternehmenden jungen Mann war dies in der That eine lei- 
tende Helle, denn er Tonnte mit Einem Blick das ganze Terrain 
überfehen. Neben dem Tiſchchen war eine Thüre mit „Hier“: bes 
zeichnet; unter dieſem „Hier“ befand fi ein großes Xoch, durch 
welches man bequen auf die beiden Gänge biiden konnte. Das 
alles überdachte der Dragoner, denn ihm war ein Berfted höchſt 
erwänfcht, da er in diefem Augenblide zu vernehmen glaubte, wie 
der Schläffel in irgend einer Thüre herumgedreht würde. Im 
Nu war er eingetreten, [hob einen fchügenden Riegel vor und 
rekognoſscirte. Wenn er feine Augen anftrengte — und das that 
er, — fo konnte er die weißen Zahlen auf den Thüren leſen. 
Links von ibm am Ende des Ganges mußte fih Nro. 1 befin 
den, vor ihm war 8, 9, 10, aljo rechts die fechöte Thür mußte 
16 fetn. 

Er ſah diefe Thüre, ohne die Nummern Tefen zu können. 

In Betreff des Schlüffelumdrehens Hatte er fih nit ge 
täuſcht. Es war bier oben fo ftil, daß er daB Knarren bed 
Schloſſes deutlich hören konnte; er ließ feinen Blick über beide 
Gänge gleiten, um zu fehen, welche Thüre geöffnet würde, — — 
Ah! Nro. 16 ließ jept einen Heinen Lichtfpalt anf den Gorridor 
fallen. Das traf fih auffallend günftig; oder war font hier etwas 
vorgefallen? — Kam er vielleicht zu fpät? Wir müſſen geftehen, 
daß er in größter Spannung auf jene Thüre blickte, die fich lang⸗ 
fam öffnete. 





| 


Der Dragoner-DOffizter maht Entdedungen. 147 


Roh eine Sekunde, und — fie trat heraus, Die Dame, die 
ihm gegenüber im Eilwagen gefeflen; fie hatte ihr ſchwarzes Kleid 
an, und nur den Mantel und den Hut mit dem Schleier abgelegt 
Sie hielt das Licht vor fih, die Hand zwifchen dem Geſicht und 
der Flamme, und fpähte aufmerkffam auf den leeren Gang hinaus. 
Der Dragoner-Öffizier, von dem Schein geblendet, Tonnte auch 
jebt ihre Züge noch nicht erfennen. Sie ging langfam nad der 
Treppe, gewiß in der Abficht, das Stubenmädchen zu rufen, um 
fih zu erkundigen, wie viel Uhr es fet, gewiß nur in diefer Abficht. 
Als fie nahe an dem Tifchchen angefommen war, ließ fie langſam 
die Hand mit dem Lichte finten, — ein Augenblid, dem der junge 
Mann mit der größten Spannung entgegen ſah. — Wenn man 
eine angenehme Stimme hört, einen elaftifchen Körper flieht, fo 
hegt man die ausfchweifendften Erwartungen von der Form und 
der Geftalt ded dazu gehörigen Gefichted. So erging ed dem 
DragonersOffizier. Er konnte nicht erwarten, bi8 die Hand mit 
dem Lichte niederfant, His der tiefe Schatten verfchwunden war von 
dem Geficht feiner Dame. Waren die Augen blau oder braun? — 
Der fanften Stimme nach mußten fie blau fein, die Kippen Dagegen 
tofig und fchwellend. — Jetzt wichen alle Schatten. — Was war 
da8? — Die Augen waren nicht blau, fondern grau, die Lippen 
nicht friſch und ſchwellend, fondern troß ihrer Dünne faltig und 
zufammengetniffen, das ganze Beficht vertrodnet und unbedingt einer 
fehr alten Jungfer angehörend. 

Mochte nun der DragonersOffigter bei diefer fchredlichen Täus 
[hung einen tiefen Seufzer ausgeftoßen, oder mochten feine Augen 
durh das erwähnte runde Zoch geivenftig auf den Gang hinaus 
gefhaut Haben, — genug, die Dame blieb auf einmal zufanmens 
fahrend ſtehen, blickte entjeßt vor fich hin, borchte einen Augen» 
blick aufmerkſam und kehrte alddann mit eiligen Schritten in ihr 
Zimmer zuräd, machte haftig die Thüre hinter fi zu, und der 


148 Künfzebntes Kapitel. 


Dragonersöffizier vernahm mit großer Befriedigung, wie fie den 
Schlüffel zweimal im Schloffe herumdrehte. 

„Dem wäre ich glüdlih entgangen!" feufzste er. „Dieled 
Abenteuer hat nit ſchön geendigt, und Doc ift noch nichts ver 
Ioren ; ich fchleiche zu meinen Kameraden zurüd, die mich kaum 
werden vermipt haben, und entgebe fo allen Spöttereien. 

Darauf war er im Begriffe, den Riegel von der Thüre zurüd 
zu fhieben, als er drunten die Stimme des Wirthes vernahm, 
diefelbe Stimme, die ihn auf dem Rathhauſe fo fanft gefragt, ob 
ihm etwas von dieſem gefulzten Schweinsfopf gefällig ſei. Doch 
hatte fie jeßt einen ganz andern Klang und alle Unterwärfigfeit 
abgefhättelt. „Soll Die da draußen auf dem Marltplage,“ fagte 
er, „ein fiediges Donnerwetter regieren! Scide ſchon zwei Leute 
hinaus, und Keiner kommt zurück, auch der Major nit; da müſ—⸗ 
fen wir aufpallen, das hat was zu bedeuten. He, Friedrich, hol 
den großen Hund herein und fchließe mir die Hausthüre. Es tft 
immer befier, wenn man hinter Schloß und Riegel abwartet, was 
da kommt. — Seien Ste unbeforgt,” fagte er darauf mit leiferer 
Stimme zu Jemand, der bei ihm zu fein fchien, „ed müßte doch 
mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht im Stande wären, Sie in 
dem weitläufigen Haufe zu verbergen. Aber nur mich machen lafs 
fen! Bergefien Ste nur die ZimmersNummer nit. Auf Nro. 16 
ift eine Fremde, 17 tft neutraler Grund, und von da ftehen die 
Ihüren bis zu 21 offen. In 21 iſt, wie Sie wiflen, das bemwußte 
Kenfter, welches gang gefahrlos auf das Dad des Nebenhauies 
führt. Anfänglich aber find Sie hier unten ficherer.” 

„Aber die Mädchen auf Nro. 182 fagte eine andere Stimme. 

„Sie glühen für die gute Sache,” entgegnete ernft der Wirth 
zum Grünen Baum, und obgleich nicht aus hieſiger Stadt, werden 
fie do fo aufopfernd wie möglich Alles zu Ihrer Rettung beis 
tragen.” 


„Teufel!“ dachte der Offizier in feinem Verſtecke, „es gibt doc 





Der DragonersOffizier maht Entdedungen. 149 


Momente, wo ed nicht fo gar unangenehm fein kann, wenn man 
einen politifchen Flüchtling vorftellt. Aber Eins ift fiher, ich fitze 
hier in einer donnermäßigen Patſche: die Thüre zu, der Hofhund 
los; wir wollen ſehen, wie wir uns da herausfinden.“ 

Unten hatte unterdeſſen der Wirth noch einige weniger bedeu⸗ 
tende Befehle gegeben, und dann ſtieg er allein die Treppen herauf. 
Das Licht auf dem Tiſchchen droben hob er in die Höhe, ſchnäuzte 
es in Ermangelung einer Lichtfcheere mit den Fingern und verfuchte 
ed dann, die Thüre zu öffnen, auf welcher „Hier“ ſtand. Natür⸗ 
licher Weiſe öffnete fie fi) nicht, und der Wirth flieg die Treppe 
zum zweiten Stockwerk hinauf. 

Eine qualvolle PViertelftunde verging für den Eingefperrten 
dranten; im Haufe war Alles todt und fill; aud von der Straße 
herauf drang nicht gas geringfte Geräufh. Es war in dem Ge- 
made ein eines Fenſter, durch welches der unglückliche junge 
Mann zum Deftern angelegentlid, hinaus blidte; doc fah er nichts 
als Häufer und dunkle Umriſſe, ein paar noch ziemlich Table Bäume, 
fih finfter Jegen den Nachthimmel abhebend, und nur ein einziges 
Ral glaubte er etwas gefehen zu haben, wie das jchwache Leuchten 
eines Gewehrlaufes. 

Der Wirth, der offenbar eine Infpeltion durch das ganze Haus 
gemacht Hatte, kam nad) einiger Zeit wieder die Treppen herab, 
und mochte er num einen gelinden Verdacht haben, oder fid auch 
auf dem erften Stod überzeugen wollen, daß nirgend wo ein Ber 
täther Taufche, genug, er kam gleich wieder an die Thüre des Ver⸗ 
eds und rüttelte daran, zuerft leife, dann heftiger, und als der 
Riegel nicht weggezogen wurde, rief er, ob Jemand da ſei. Auch 
legte er das Gefiht an die runde Deffnung. 

Dem Offizier zuckten Die Finger, und er befand fi in großer 
Verfuhung, dem neugierigen Wirth einen tüchtigen Nafenftüber 
zu verfeßen. Doc wäre ihm dieſes Vergnügen vielleicht theuer zu 
Reben gekommen. Er verhielt fi) alfo ruhig, und nach einigen 


150 Fünfzehntes Kapitel. 


Augenbliden zog der Wirth ab, ftieg die Treppen hinunter, und 
man hörte ihn nad den Hausknecht Chriſtoph verlangen, weldhem 
er den Befehl gab, ein großes Brechelfen zu nehmen. 

Dies war ein entfcheidender Moment. Der Eingefperrte droben 
hatte begreiflicher Weiſe nicht Luſt, fich in einer fo fchlechten Falle 
fangen zu laſſen, wie die war, wo er fi befand. Der Wirth fowie 
Ehriftoph mit dem Brecheifen konnten jeden Augenblick ericheinen. — 
Wohin aber? die Thüre Nro. 16 war glüdlicher Weife doppelt 
verſchloſſen. Aber daneben Nro. 17 hatte der Wirth als neutralen 
Grund bezeichnet; wenn er dad nun für die eine Partei war, fo 
mußte er es auch für die andere fein, „Im Nothfall,“ fo dachte 
der DragonersÖffizter, „ſchleiche ich mich Durch Nro. 18 bis 21, 
kann dort den Zag abwarten oder die Patrouille, mit der der lange 
Eduard jedenfalls das Haus unterſuchen lafien wird.” 

Es war die höchſte Zeit. Kaum hatte er fein Verſteck verlafien, 
fo hörte er auch fchon, wie fich zweier Männer Zritte unten der 
Treppe näherten. Raſch verließ er fein Verſteck, drückte die Thür 
hinter fich zu, fchob den äußeren Riegel vor, und fchlid über den 
Bang auf Nro. 17. Da er ein junger Mann mit großer Geiſtes⸗ 
gegenwart war, fo öffnete er Nro. 17 geräufchvoll und fchloß ebenfo 
geräufchvoll wieder hinter fi) zu. Und daran hatte er volllommen 
recht gethan; denn der Wirth, der dieſes Geräufd gehört, ohne zu 
fehen, welche Thüre fih geichlofien, glaubte Alles auf natürlichem 
Wege zugegangen und kehrte, nachdem er die bewußte Thüre offen 
gefunden, beruhigt in die unteren Zimmer zurück. 

Der DragonersÖffizier aber befand fih in Nro. 17, einem 
vollkommen dunkeln Gemach, und blieb laufchend an der Thüre 
ftehen; denn es war ihm gerade, als höre er im Rebenzimmer, in 
Nro. 18, leife Stimmen zufammen flüftern. 





Wachtfiubenabentener. 


Dritter Thetl, 


Erftes Kapitel. 


Ter Dragoner-Offlzter wird für einen Demokraten gehalten, fraternifirt mit den Töchtern des 
| Sandes und erlebt eine Geſchichte, wie fie nur in ganz dunfeln Zimmern vorlommen fann. 





| Wir glauben fchon bemerkt zu haben, daß der Dragoner-Offis 
jier ein unternehmender junger Mann war, und müflen hinzuſetzen, 
daß Gefahren, die vor ihm aufftiegen, feinen Muth entflammten, 
Ratt ihn zu dämpfen. Er hatte in der heutigen Nacht einiges Glück 
gehabt; er war glücklich einem Verſteck, der ihnim Falle der Entdedung 
| mit Lächerlichleit bedrohte, entronnen. Er befand fid, jept in einem 
anſtändigen Zimmer und hatte zwifchen fi) und den Gang einen 
tüchtigen Riegel gefchoben. Da es nun hier in dem Zimmer höchſt 
langweilig war, und ſich aud außer einem wadeligen Robrituhl 
feine bequeme Sipgelegenbeit fand, fo befchloß er, das Terrain zu 
telognosciren, und näherte fi) der Nebenthüre. Glüdlicher Weife 
aber überdachte er in diefem Augenblide den Anzug, in weldem er 
. fh befand, den Waffenrod mit den glänzenden Knöpfen und Epau⸗ 
letten, und fagte ſich felber, daß, wenn er weiter vordringe, ihn 
der geringfte Lichtftrahl, der auf feinen Kleidern wiederglänzte, aus 
einem Berfolgten zu einem Verfolger machen und einen gewaltigen 
Hülferuf herbeiführen würde. 
Es war, wie wir wifjen, noch im Monat April, und der Offi- 
zier, der feiner ſchlanken Taille zu lieb die läftige Hülle des Pa⸗ 
letots und Mantels fchente, trug unter der enggemachten Uniform 


154 Erftes Kapitel. Ä 


einen anliegenden Rod von fchwarzer Seide, wie ihn die Tſcher⸗ 
feflen zu tragen pflegen. Es war dad damals Mode bei den Ka 
valleriesRegimentern. 

Der junge Mann zog aljo feinen Waffenrod aus, hängte ihn 
über den Stuhl und näherte fi alsdann der Ihüre des Neben 
zimmers, wo er letje anklopfte. 


Das Zifcheln und Flüftern hörte mit einem Male auf, und es 
wurde todtenftill nebenan. 


Er klopfte abermals und etwas lauter, und darauf vernahm 
er ein umnbeftimmtes Geräufh. Es war gerade, ald würde ein 
Stuhl gerüdt, oder als krache irgend ein anderes Möbel; auch 
begann das Flüftern wieder, und als er fein Ohr an das Schlüſſel⸗ 
od) legte, fonnte er einige Worte vernehmen. — „Was thun wir?“ 
fragte eine Stimme. — „O Gott! D Gott,“ antwortete eine ans 
dere, „den Ball vergefie ich in meinem ganzen Leben nicht!“ Und 
eine dritte Stimme fepte hinzu: „Auf jeden Fall müſſen wir erw 
fahren, wer da iſt.“ 

Es find, wie der Wirth gefagt, nur Mädchen im Zimmer 
ſprach der Dragoner- Offizier zu fich felber. Und damit klopfte er 
abermals, 


„So frag’ doch, was man will!“ fagte eine Stimme. — „I 
nicht!” antwortete eine andere; „und ih in alle Ewigkeit nicht!“ | 
eine dritte, 


„Run, dann will ich's thun,“ fuhr die erfte fort, „wir find 
ja zu drei, und was wir thun, gefchieht, weil wir es nun einmal 
veriprochen.“ 

„Das tft eine ſchlimme Demokratin,“ meinte der Offizier 
„gegen die zu mandvriren ift Pflicht und Schuldigkeit.“ | 

„Ber ift da?“ | 

„Run, ich bin’s, Ste wiſſen's ja,“ 

„Aber was wollen Sie denn eigentlich 3“ 





ſchloſſen. 


Der Dragoner⸗Offizier ein Demokrat. 155 


„Das iſt doch ſehr einfach: das Militär umſtellt den Hof, ich 
fann nur durch Ihr Zimmer in das Nebenhaus gelangen.“ 

„Das ift richtig,“ meinte eine andere Stimme. Und dadurd 
ermuthigt, drüdte der Offizier auf die Thüre; aber fie war vers 


„Machen wir Licht?“ fprach die erfte Stimme. 

„Nein, nein! gewiß nicht!” antwortete die andere. 

Jetzt vernahm man ein leiſes krachendes Geräufh, dann ein 
Rauſchen wie von Kleidern, ein Schlurfen wie von einem Pantoffel, 


den man ſucht, und dann tappte es langſam nach der Thüre; der 


Riegel wurde zurückgezogen, die Thüre geöffnet, und eine warme 





ı angenehme Atmofphäre drang dem Dffizier entgegen. Im Bor: 


immer war es ziemlich fühl geweſen. Raſch fchlüpfte er durdy bie 
Thüre, faßte nach der Klinke des Schloſſes und fing dort, was er 


ı gedacht, eine Eleine, warme Hand. Es war feine Schuldigfeit, 


einige Dankſagungen zu flammeln, und er that das in der zierlich 


Ren, befcheidenften Weiſe und mit wohlgefegten Worten. 

„Wir haben verfprochen, Ihnen zu helfen,“ fagte die Stimme, 
ter die weiche und warme Hand angehörte, „und wir wollen es 
tcht gern thun. Uber jeßt machen Sie, daß Ste von bier fort 
tommen; dort die Ihüre des Nebenzinmers ift offen, wir wollen 
jogleih Hinter Ihnen verriegeln.“ 

„Ah! fo iſt e8 in der That nicht gemeint,“ entgegnete der 
Offiziet mit feiner fanfteften Stimme. „Die Flucht durch jene 
Jimmerreihe und dann zum Fenfter hinaus auf das Dad) des 
Rahbarhaufes iſt nur das legte verzweifelte Mittel. Glauben Sie 
mir feit, mein Fräulein, das Hans ift mit Diefen verfluchten Muss 
Ietieren umftellt, die haben jedes Fenfter im Auge, und defien bin 
ih gewiß, fowie ich mich nur dort drüben blicken laſſe, liege ich 
auf dem Pflafter, ehe man Drei zählen kann. — Aber das thut- 
nihts, ich gehe Lieber in meinen Tod, als daß ich Ihre Güte miß⸗ 
brauchen ſollte.“ 


156 Erites Kapitel. 


Er brachte den weichen Fingern des Mädchens einen gelinden 
Drud des Dante bei, und daranf wollte er fie fahren laſſen. 
Dod kam es nicht fo weit, denn fie fagte haftig: „Aber um Got- 
te8 willen, wenn Sie nicht zum Fenſter hinaus auf das Nachbar⸗ 
dach Elettern wollen, ich bitte Ste, was foll dann gefchehen?” 

„Oh!“ entgegnete der Offizier fi Tächelnd über fein gutes 
Glück, „das Hinausklettern bleibt nicht aus; nur fol das zulept 
vor fi) gehen, wenn alle anderen Mittel verfucht find.“ 

„Und diefe anderen Mittel?“ 

„Sie verjprachen mir großmütbig Ihren Schuß, unfer Wirth 
hat e8 mir gefagt, und ich vertraue darauf; es bat das einige Un- 
annehmlichkeiten für Sie, aber was ift zu machen?“ 

„Run, bitte, fprechen Sie, was foll denn gefchehen?” 

„Bor allen Dingen flehe id Sie an, mich ruhig hier zu lafien, 
bis die Soldaten wirflih anfangen, daB Haus zu unterfuchen. 
Vielleicht, daß fie nicht in diefes Zimmer kommen; follte dies aber 
geichehen, fo bleibt mir nichts übrig, als der Weg durch's Fenſter 
auf die Nachbardächer.“ 

„Fürchterlich!“ fagte das junge Mädchen an der Thüre, und 
die beiden andern Stimmen meinten ängftlih: „Was? bier in mus 
ferem Zimmer bleiben, die ganze Naht? Das geht nit an! — 
Nicht wahr, Sophie?“ 

Alfo die Hand, die ich gefaßt habe, gehört einer Sophie, dadıte 
der Dragoner⸗Offizier. Run, fie wird ihrem Namen Ehre machen 
und weile fein. 

Die drei Mädchen, Die fo unvermuthet in dieſes Abenteuer 
verwicdelt wurden, hatten am Abend auf dem Balle in Tanzen ihr 
Mögliches getban, und erhißt, aufgeregt, wie fie waren, trug der 
dringende Wunſch des Wirthes, ihren Bekannten, den Altuar, der 
guten Sache wegen zu retten, nicht dazu bei, ihre Nerven zu be 
ruhigen, Die Hand des jungen Mädchens an der Thüre zitterte 





Der Dragonersöffizier ein Demokrat. 157 


merklich; Doch fühlte der Dragoner-Dffizier ans diefem Zittern deut⸗ 
ih, daß fie ihn nicht verlafien, daß fie ihn befchügen würde. 

Es trat eine längere Paufe des Schweigens ein, und endlich 
jagte eine der anderen Stimmen: „OD, liebe Sophie, e8 foll gefche- 
ben, wie du willſt.“ 

„3a, ja,“ entgegnete Die andere, „du haft mit dem Wirth ges 
ſprochen, wir wollen dir in Allem folgen — auch bift du die Er: 
fahrenere, die Aeltere.“ 

„zenfel!“ dachte der DragonersÖffizier, „follte meine Bewohne⸗ 
rin von Nr. 18, meine Beſchützerin, Achnlichkeit mit meiner Neiſe⸗ 
gefüährtin auf Nr. 16 haben? Das wäre gar zu fhrediih! — Er 
wagte e8, wie durch ungefähr, fanft den Arm zu berühren, der zu 
jener Heinen Hand gehörte, er that das und fühlte fih wunderfan 
beruhigt. — „Faſſen Sie einen Entſchluß,“ ſprach er nach einer 
Pauſe, „befehlen Sie über mich; was e8 auch fet, ich will es thun; 
jagen Sie mid) hinweg, gut, ich gebe und überliefere mich denen, 
die mich ſuchen.“ 

„Rein, nein!“ verfegte Fräulein Sophie, „wir wollen nicht 
Ihr Unglüd; aber Sie könnten wohl in dem Borzimmer bleiben, 
da wird Sie auch fo leicht Niemand fuchen, und ift dies doch der 
Fall, fo haben Sie immer Zeit, durch unfer Zimmer Ihren Weg 
zu fuchen.“ ’ 
| „Sie wollen es fo,” fagte mit einem tiefen Seufzer der junge 
Mann, „wohlan, es fe! Was kann es Sie im Grunde auch küm⸗ 
mern, ob ich entdedt werde? Das Borzimmer liegt neben Nr. 16, 
dort wohnt eine Dame, die heute Nacht mit Offizieren gefommen 
üt, fie muß mid) hören, ich mag mich fo leife verhalten wie mög⸗ 
ih, und dann bin ich verloren.“ 

„Nein, nein! das fol nicht fein!“ erwiderte eifrig das Mäds 
ben an der Thüre; „fo bleiben Sie denn in Gotted Namen da 
Reben — oder nein, gehen Sie einen Augenblid in's Vorzimmer 
und kommen dann gleich wieder.“ 


158 Erſtes Kapitel. 


„Bie Sie befehlen.” Doc ehe der Offizier diefem Befehle: 
wirklich Folge leiftete, nahm er die Kleine Hand fachte von der 
Thürklinke weg, führte fie an feine Lippen und drüdte einen Teilen, 
aber nicht defto weniger fehr innigen Kuß darauf. Dann ſchlüpfte 
er in’d Vorzimmer, .und als er die Thüre hinter fich zugezogen, 
vernahm er jenes Rafcheln und Schlurfen wieder, ſowie daß Teile 
Krachen eines Möbels — dann war Alles ftill. 

Das war ein eigenes Abenteuer, fo reizend in Geheimniß und 
Dunkel gehült. Was hätte der Eindringling nicht für einen klei⸗ 
nen Lichtftrahl gegeben! für den geringften Schein, um Perfonen 
und Gegenftände zu fehen! Aber im Borzimmer war es dunkel, 
und in dem Schlafzimmer; wohin er jebt zurüdtrat, noch mehr. 
Es befand fi da ein einziges Fenfter mit einem dicken grünen 
Borhange, der herabgelaffen war; die tiefite Stille berrfchte in dem 
Gemach. Man hörte nicht einen einzigen Athemzug der drei Mäds 
hen. — Warten wir einen Augenblid, dachte er Offizier und lehnte 
fih mit dem Rüden an die Wand. 

Bon dem unteren Stockwerke herauf hörte man zuweilen das 
Gemurmel von Stimmen oder dad Zurückrücken eines Stuhles, 
von der Straße aber nichts, als das Knurren eines benachbarten 
Hofhundes, der unruhig bald hierhin, bald dorthin zu laufen fchien; 
denn er witterte wahrfcheinlich die verdächtigen Gäſte, welcde bas 
Haus umftellten. | 

Nach einer Pauſe fagte der Offizier: „Darf ich mich nicht mit 
Ihrer Erlaubnig ein wenig niederfegen?“ 

Eine Stimme zu feiner Rechten unterdrücdte ein leiſes Laden, 
eine andere links ebenfalls, und die ihm bekannte Stimme, welde 
von gerade vor ihm ber zu kommen jchlen, fagte: „Segen Sie fid 
auf einen Stuhl, wenn Ste einen leer finden.“ 

Durch diefes Lachen und diefe Antwort hatte er das Schlacht: 
feld rekognoscirt. Links befand fich eine der jungen Damen, rechts 
die andere, und vor ihm Fräulein Sophie. Er taftete nach einem 








‘ 


Der Dragoner⸗Offizier ein Demofrat, 159 


Stuhl neben fih, fand ihn aber mit mannigfaltigen Begenftänden 
bededt. Auf der Lehne hing ein Blumenkranz, baufchige und 
fnatternde Kleidungsftüde auf dem Sitze; und ald er das fanft 
etwas zufammenrüden wollte, fiel ein anderer Gegenftand auf den 
Boden, den er rafch wieder aufhob. Doc hatte diefer Gegenftand 
äine lange Schnur, die fich hartnädig und tückiſch um feine Sporen» 
räder feftihlang. Er braudıte eine Heine Weile, da loszukommen, 
und während deflen lachte ed ebenfalls rechts und Links neben ihm, 
aber fo unterdrädt und gedämpft, als babe man fih ein Schnupfs 
tuh oder einen Bettzipfel in den Mund geflopft. Dem jungen 
Panne war ed natürlicher Weife nicht um das Niederfigen zu thun; 
er ſeufzte tief auf und ſprach: „Ich will Ste nicht derangiren. Ad, 
wenn ich nur wüßte, wie fich alles das entwiceln foll, wenn ich 
nur vorausfehen könnte, was die nächfte Stunde bringt!“ 

Es erfolgte keine Antwort. 

„Sie haben ſchon fo viel für mich gethan,“ fuhr der Offizier 
fort, „daß ich faſt zu fchüchtern bin, Sie noch um Weiteres zu 
bitten. Aber ih muß doch wahrhaftig für den Fall der Noth 
wiffen, wo die Thüre zum anderen Zimmer tft; wenn ich mid) 
fräter plöglich entfernen muß, fo könnte e8 leicht ein Geräuſch 
geben.” ” 

Es erfolgte eine Zeit lang wieder feine Antwort; dann aber 
fagte die bekannte Stimme: „Die andere Thüre iſt gerade vor 
Ihnen, das Fenfter müfjen Sie links laſſen und gerade aus gehen.“ 
— Der Dragoner that, wie ihm geheißen, nur daß er, feinem 
Ohre folgend, ein wenig halblinks marſchirte. 

„Mehr nach rechts!” verfegte ängftlich die Stimme, „viel mehr 
nach rechts!“ 

„Ah ſo!“ entgegnete er, machte auch die entſprechende Bewe⸗ 
gung, manövrirte aber ſo geſchickt, daß er endlich — es war ſo 
gar dunkel — an das Kopfende eines Bettes ſtieß. „Ich habe 


160 Erftes Kapitel. 


die Thüre,“ ſagte er, „Dante! O, wenn die Geſchichte ſchon glüd- 
lich vorbei wäre!“ 

„Das wünfchen wir auch!“ antwortete ed gedämpft und leiſe. 

„Solhe Momente find fürdhterlich,” entgegnete er; „aber für 
Sie, meine Damen, mehr als für mich.“ — Er beungte den Kopf 
nieder. „Fräulein Sophie,” flüfterte er, „wie fol id Ihnen danken 
für das, was Sie mir gethan!“ 

Da wurde draußen an die Thüre von Nr. 17 ziemlich heftig 
geflopft. Natürlih gab Niemand eine Antwort, doch hörte das 
Klopfen deßhalb nicht auf. 

„Sie find e8,” fagte eines der anderen Mädchen; „um Gottes 
willen, was wird ed geben!“ | 

Der junge Offizier war guporgefahren und laufchte aufmerkſam. 
„Das fft fein Militär,” erwiderte er nach einer Pauſe, „die würden 
nicht fo ruhig über den Gang daher jchleichen.“ | 

„So geben Sie doch und fragen, was man will!“ meinte 
die Stimme von eben mit etwas weinerlihem Tone. „Du lieber 
Gott! das foll mir eine Lehre fein!“ 

Sept vernahm man die Stimme des Wirthes, welcher Draußen 
rief: „So machen Sie doch nur auf; es tft wahrhaftig nothwendig! 
Das Haus iſt mit Wachen umftellt, und wie mir der Chriftoph 
eben fagte, marſchirt eine Patronille vom Marktplage hierher.” 

„So laßt mich doch herein!” bat eine andere Stimme. 

„Ja, was fol denn das wieder?” fragte ängftliih das Mädchen. 
in der linken Ede. „Wer will denn noch mehr herein? Nein, jetzt 
tft’ 8 genug; fo was tft mir in meinem ganzen Zeben noch nicht 
widerfahren!“ | 

„Wie gefagt,” ließ fich jebt wieder der Wirth hören: „das 
ganze Haus tft umftellt. Fräulein Sophie, machen Sie Ihre Thüre 
auf und lafien Sie unferen unglüdlichen Freund hinein.“ 

„3a, wir haben ihn ja ſchon!“ antwortete eine Stimme aus 





Der Dragonersöffizgter ein Demofrat. 161 


der rechten Ede. Und Sophie fepte mit ganz leiſer Stimme hinzu: 
„Um Gottes willen! was fol das bedeuten?“ 

„Machen Sie auf! machen Ste auf!“ ertönte es abermals 
von drangen. „Sie müflen ihn bei ſich gut und ficher verfteden; 
er wird gar nicht mehr in das Nachbarhaus hinüber fönnen. Man 
fieht drangen überall in der Dunkelheit die Gewehre bligen.“ 

Sophie machte eine raiche Bewegung, Doch der Offizier beugte 
fih nieder, faßte leicht ihren Arm und fagte fo leiſe, dag es nur 
ihr verftändlih war: „Hören Sie mid eine Sekunde, aber kein 
lautes Wort, keinen Schrei!" — Er mußte eine Heine Lüge erfinden, 
und er that es auf eine fee und für fein Alter recht geſchickte 
Art. — „IH bin nicht der,” fagte er, „für den Ste mich halten. 
Aber um Ihrer ſelbſt willen fill! Ihre Freundinnen müfjen glauben, 
ich ſei es; o Sophie, verzeihen Sie mir diefen Schritt! Ich fah 
Sie heute Abend bei dem Balle, ohne daß Sie mich bemerkt; ich 
bin vollkommen fremd hier; ja, ich fah Sie, Sophie, und obgleich 
wur kurze Zeit, ich konnte Ste nicht vergefjen, ich fchlich mich hier 
ein, um Sie einen Augenblid zu fprechen. Aber feien Sie Klug, 
verftändig, ich werde mich entfernen; Niemand fol diefen Schritt 
erfahren 1“ 

Das Mädchen zitterte heftig und ftieß einen leichten Seufzer 
aus. Doc müſſen wir geftehen, daß troß der namenlofen Angft, 
die fie erfaßte, in ihrem Geifte all die fremden Gefichter auftauchten, 
die fie heute Abend vielleicht gefehen. Aber keines paßte zu diefer 
verwegenen That und zu diefen fo feltfam klingenden Worten, feine 
der Bürgerwehr-Bhyfiognomieen mit ihren herausfordernden Bärten. 

Der Offizier erhob fich jebt raſch und fagte zu den beiden 
anderen Mädchen: „Bleiben Sie ruhig, es tft nur ein Mißver- 
Rändnig. Ich will es draußen gefchwind aufklären.” — Damit 
ging er gelaffen in das Borzimmer, drüdte die Thüre hinter fi 
zu und dachte bei fih: Ich bin nicht ausgefchidt, den zu fangen, 
weiß überhaupt nicht, ob es der Rechte ift; ich will ihn auch nicht 

Gadländere Werte. V. 11 


162 Erites Kapitel. 


xetten, nur ihm nicht verraten. — Dann trat er an bie Thüre, 
Die auf den Gang führte, fchob den Riegel leife zurüd und öffnete 
einen Heinen Spalt, fo daß Jemand durchſchlüpfen konute. Augen- 
blicklich wand fich auch eine männliche Geftalt in das Zimmer; 
eine andere wollte folgen. Doc drüdte er die Thüre wieder in's 
Schloß und ſchob den Riegel vor. 

Der Eingetretene blieb einen Augenblid ungewiß in der Dun» 
kelheit ſtehen, doch ſchrak er fehr zufammen, als ihn der Offizier 
feſt am Arme faßte und in die andere Ede des Zimmers zog. 
„Herr!“ fagte der Dragoner zu ihm mit leifer Stimme, „wer Sie 
auch fein mögen und was Sie hier wollen, es gibt nur Ein Mittel, 
das Ihnen nüglich fein kann. Stellen Sie fi ruhig hinter die 
Ihüre, und wad gefchehen mag, fprechen Sie kein Wort, machen 
Sie feine Bewegung ; man will Ihnen wohl, nur müſſen Sie Ihr 
Ghrenwort geben, dag Sie mich nicht gefehen.* 

Den Adjutanten und Aktuar Happten die Zähne zufammen. 
Da drinnen follten nur drei Mädchen fein, und bier fprach eine 
männlihe Stimme mit ibm. Doch die Stimme wieberholte Leife 
und dringend : „Beben Sie Ihr Ehrenwort, und dann hinter die 
Thüre!“ 

„Ich gebe es,“ erwiderte der erſchrockene Adjutant, und dann 
drückte er ſich in die bezeichnete Ecke. Seine Augen aber hielt er 
begreiflicher Weiſe offen, und als er nun ſah, wie der andere Mann, 
der im Zimmer war, gelafjen ein Kleidungsftüd von dem Stuhle 
nahm und ed anzog, und als er num ferner bemerkte, daß jenes 
Kleidungsſtück eine Offiziers Uniform war, da ‘wollten ibm die 
Kniee zufammenkniden ; er ballte die Fäufte und fprach zähneknir⸗ 
{hend zu fich felber: „Ha, tram’ einer diefen Weibern! Da ftiden 
fie Fahnen für und, rothe Schärpen, da ſchwören fie Haß und 
Wuth gegen die frehen Söldner, fchwärmen für die Freiheit und 
lafien fich Inechten von den Schlinmften der Schlimmen ! D, ihr 
Demokratinnen!“ — Sa, die Angit, die er am heutigen Abend 


Der Dragoner-DOffizier ein Demofrat, 163 


andgeftanden, und der eiferfüchtige Abfchen, den er in diefem Au⸗ 
genblide empfand, ließ ihn beinahe die ganze Partei haſſen; er 
fühlte eine faft monarchiſche Regung in feinem YBufen, wozu er 
aber ingrimmig feufzte: „Und drei jo fhöne Mädchen !” 

Der Dragoner hatte feine Toilette beendigt, horchte auf den 
Gang, wo wieder Alles ftill geworden war, dann fagte er warnend 
zu dem Altuar: „Keinen Laut!“ und fchlüpfte abermals in das 
Rebenzimmer, um Abſchied zu nehmen. ' 

„Run, was iſt's?“ flüfterten die beiden Stimmen rechts und 
links. 

„Alles in Ordnung,“ entgegnete er. „Halten Sie ſich ruhig, 
ich glanbe Ihnen verſprechen zu können, daß, wenn das Militär 
tommt, dieſes Zimmer nicht unterſucht werden ſoll. Lieber will 
ih mich felbft opfern. — Sophie,” febte er darauf mit ganz leijer 
Stimme hinzu, „verzeihen Sie mir, ich verlafje Sie, doch reichen 
Sie mir zum Abſchied Ihre Hand.” — Sie that das — obgleich 
widerfitebend ; er erfaßte ihre Hand und drüdte einen leichten Kuß 
daranf. „Ich werde Sie nicht vergefjen, „fuhr er fort, „halten Sie 
mich nicht im fhlimmen Andenken, und follte Jemand zu Ihnen 
fagen: Schuß den Berfolgten! fo bin ich e8, der Sie wieder ers 
faunt bat." — Mit eiligen Schritten und, wir müſſen es geitehen, 
mit einem feltfamen Gefühl im: Herzen, ging er dann zur Thüre 
hinaus. 

Der Adjutant fland noch regungslos in feiner Ede, doc 
borchte er aufmerkfam und ftieß einen leichten Seufzer aus; aud 
der Offizier Taufchte aufmerkfam ; denn draußen auf der Straße vers 
nahm man durch die Stille der Nacht gleichförmige, nicht zu ver⸗ 
teuuende Schritte. An das Fenfter eilend, bemerkte er eine Pas 
tronifle, die fi) dem Haufe näherte, geführt von jenem langen 
Unteroffizier der Artillerie; einige Offiziere folgten. Bald hörte 
man, wie an die Haudthüre geflopft wurde; dann wurden in dem 
unteren Stodwerfe haftig Stühle gerüdt, hierauf Die Hausthüre 


164 Erftes Kapitel. 


geöffnet, der Inurrende Hund befchwichtigt, und dann vernahm matt 
Stimmen, worauf feite Schritte und leiſes Klirren von Waffen in 
den unteren Räumen gehört wurden. Ginige Zeit nachher tram⸗ 
pelte ed auf der Treppe, und der Wirth fagte: „Wenn Sie den 
Gaſthof unterfuchen müſſen, fo fann ich nichts dagegen haben, 
doch find einige Fremde da, auch Damen, die Sie dod gewiß 
nicht ftören wollen.“ 

„Es thut mir fehr leid,” vernahm man jegt die Stimme des 
langen Eduard, „aber ihr fpielt ja alle unter Einer Dede, und 
deßhalb muß ic) dieſe Dede aufheben, ſchonungslos und ohne An- 
fehen der Perfon. Lieutenant Wortmann, ftellen Sie einen Poiten 
vor jede Zimmerthüre! Der Unteroffizier Dofe, der den Mann 
fennt, und ich, wir wollen jeden Raum unterfuchen.“ 

„Sch bin verloren !* feufzte der Aktuar in feiner Ede; denn 
man vernahm den Schritt der Infanteriften, welche den erhaltenen 


Befehl ausführten. Danach blieb er eine Zeit lang ruhig, man 


hörte nur das Geräufh von Thüren, die aufe und zugefchlofien 
wurden, immer näher fommen. 

„Roc nicht !” fagte der Dragoner-Öffizier. 

„Hier find wir an Nro. 16,” verfeßte lachend der lange Eduard. 
„Sollen wir auch bier unterfuhen? Es thut mir nur um meinen 
Freund leid. — Jetzt vernahn man, wie aud diefe Thüre geöffnet 
wurde, dann hörte man den langen Eduard überrafcht ausrufen: 
„Ab, der TZaufend ! Schlafen Sie ruhig weiter, Madame.“ Darauf 
fprad) eine andere Stimme: „Das tft eine merkwürdige Naht, — 
werr weiß, wie fehr !“ 

Der ganze Trupp ſtand jept ſtill vor Nro. 17. Der Adjutant 
bebte, der Dragoner faßte ruhig den Riegel der Thüre. 

„Neo. 17 iſt ein leeres Vorzimmer,“ vernahm man jeßt die 
Stimme des Wirthes, einigermaßen ſchwach und unbeftimmt ; „da 
nebenan in Ar. 18 fehlafen drei junge Damen, Töchter benachbar- 
ter Gutöbefiger, die den heutigen Ball mitgemacht,“ 


Der Dragoner-Dffizier ein Demokrat. 165: 


„Zunge Demokratinnen,“ fagte Lieutenant Wortmann. „Da 
müffen wir unbedingt unterfuchen.” — Er verfuchte e8, die Thüre 
zu öffnen. 

„Ste tft von innen verfchloffen,“ vernahm man die lachende 
Stimme ded Hufaren-Offizierd. „Aufgemacht !” fuhr er fort, indem 
er heftiger klopfte. 

„Gemach! gemach !” meinte der lange Eduard. „Die Solda- 
ten follen zurüdtreten. Man muß doch eine gewifle Schonung 
beobachten. Meine Damen !” rief er aledann, „ich bitte, zu öffnen 
wir müflen diefes Zimmer unterfuchen.“ 


Es erfolgte natürlich Feine Antwort, nur der Wirth fagte in 
Todesangft: „Ich bitte Sie, Herr Hauptmann, es find drei junge 
unfhuldige Mädchen.“ 


„Klopfen Ste an die Nebenthüre,“ entgegnete der Infanterie 
Offizier, „fie mögen fih anziehen, wir wollen gern warten. Dem 
weiblichen Gefchlechte jede Schonung.” 

Der Wirth that, wie ihm gcheißen; doch faum hatte er fid) 
entfernt, fo hörte man in Nr. 17 Tangfam den Riegel zurück fchie- 
ben, die Thüre öffnete ſich weit, ließ den Glanz der Lichter herein- 
fallen und zeigte ein vollkommen leeres Gemach. Dofe wollte auf 
den Wink feines Vorgeſetzten eintreten, um auch das Nebenzimmer 
zu unterfuchen ; doch prallten er und der lange Eduard, der Hu— 
farensOffizgier und der Hauptmann von Stengel erſchreckt zurüd, 
ald hätten fie ein Gefpenft gefehen ; denn aus der Ede hinter der 
Ihüre trat thr vermißter Freund, der Dragoner-Offizier, Tächelnd 
und heiter gegen fie vor und fagte rückwärts gewendet, che er die 
Ihüre in's Schloß zog: „Bitte, fihieben Sie den Riegel wieder 
vor“ Was auch augenblidlich geſchah. 

„Du bier?“ rief der lange Eduard mit einem Eritaunen, wie 
es fih felten auf diefem ruhigen Geficht zeigte. 

„In der That, ich bin es,“ entgegnete der Dragoner lachend, 


166 Erſtes Kapitel. 


„Aber ich finde es von euch wenig kameradfchaftlich, einem nicht 
einmal ein bischen Nachtruhe zu gönnen.“ 


„Were weiß, wie fehr!“ fügte überrafht der Hauptmann 
Stengel bei. 


„Du wart in dem Zimmer, in den Zimmern 17 und 18? — 
Du ? Dh! das ift über alle Befchreibung.” 


„Dad iſt eine Gefchichte,” meinte der HufarensOffizier, wie 
ich ſie noch nie erlebt habe.“ 


„Eduard findet ſie vielleicht ganz Meidinger!“ lachte der Dra⸗ 
goner. 


„Gott ſoll mich bewahren!“ entgegnete der Infanterie⸗Offi⸗ 
zier. „Wenn ſo etwas Meidinger wäre, ſo ſähe es ſchrecklich bei 
uns aus.“ 


„Aber jetzt kommt bier weg!“ bat dringend der } Andere; 
„macht kein weiteres Aufheben !“ 

„Nr. 19, 20, 21 und 22 find vollfommen Teer!“ meldete der 
Unteroffizier der Infanterie, und darauf bin Tieß ſich der lange 
Eduard von feinem Freunde mechantfch die Treppen hinab führen. 
Lientenant Wortmann zog die ausgeftellten Poften zurüd, indem 
er fagte: „Das ift eine ganz verfluchte Gefchichte !“ 

Es gibt Erlebnifie, über u. man den beften Fteunden ges 
genüber erflaunen muß — und fo erging ed dem langen Eduard 
nach vollendeter fruchtlofer Hausfuhung, als die Offiziere auf der 
Treppe des Grünen Baums flanden und Lieutenant Wortmann die 
Musketiere drunten zufammentreten ließ. — Eduard ordnete ftills 
fchweigend Schärpe und Degen, blidte an den dämmernden Himmel 
empor und erit, als er den Augen des Dragoners begegnete, der 
ſchwärmeriſch und tief nachdentend an dem dunkeln Fenſter hin 
auffab, Eonnte er ſich eines langen Seufzers nicht erwehren. — 
Darauf aber reichte er dem glüdlichen Kameraden die Hand und 
fagte: „Lieber Freund, es gibt Sachen, die ungeheuer Meidinge 


Der DragonersDOffizier ein Demokrat, 167 


rich find und einem doc, wieder ald ganz nene erfcheinen. — Lebe 
wohl,” — — 

Am Schluſſe diefed Kapitels müſſen wir dem geneigten Leſer 
verſichern, daß Meifter Kaspar und der Schreibereigehülfe, ſowie 
| auch der Rathhausdiener alsbald aus ihrem Gewahrfam entlaffen 
- wurden, daß der Zug Infanterie beim Grauen der Morgendämmes 

rung hinweg marſchirte, daß die ſechs Offiziere freundfchaftlichen 
Abfchied von einander nahmen, worauf die Artillerie und Kavallerie 
den Eilwagen, der abfahren wollte, wieder beftiegen. Sie hatten 
fih aber zufammen in das Innere des Wagens gefeht und ließen 
die Dame im fchwarzen Mantel und Schleier allein bei dem Con⸗ 
ductene im Eoupe. Wenige Schritte von der Stadt rafjelten fie 
in vollem Trabe bei der marfchirenden Infanterie vorbei, nnd als 
der lange Eduard, der an der Spige ging, melandolifch fein 
Haupt erhob und ihnen zurief: „Ob! 05!“ firedten die vier im 
Wagen ihre Hände zum Fenfter hinaus und entgegneten: „Auf 
Biederfehen in C.!“ — 

Unteroffizier Feodor Dofe aber hatte fi) dem Eonducteur als 
College zu erkennen gegeben und faß neben dem Poftillon, der vom 
Bode fuhr. 


Zweites Kapitel. 


Erzahlt dem geneigten Leſer, wer die ſchwarze Dame eigentlich war, melhet eiwas vom 
vergangenen Reben derfelben und berichtet fchlieglich die glückliche Ankunft in G. 


Waͤhrend die Offiziere im Wagen viel und luſtig fprachen, 
über die Abenteuer der vergangenen Nacht, wobei aber der Dragos 
ner Offizier nur zuweilen etwad ahnen ließ durch einen Blid, 
dur ein Wort, während uuterdejien Dofe neben dem Poftillor 


— FAR 





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168 Zweites Kapitel. 


von den Eriegerifchen Ausſichten der Zeit fprach, fehien die ältliche 
Dame im Coup eined leichten Morgenfchlummers zu genießen. 
Sie hatte den Schleier dicht und feſt um ihr Seficht gezogen, lehnte 
fich tief in Die Ede und athmete taktgerecht und harmoniſch. Der 
Gonductenr machte es in der andern Ede ebenfo. Doch erfreute 
fih die Dame keines feften Schlummers; fie richtete fich oftmals 
in die Höhe, hob den Schleier empor, blickte in die Gegend, weldye 
ſich allmälig erhellte, und feufzte tief. 


Endlich begannen die höchſten Spipen der Berge ſich zu ver: 
golden, und zu gleicher Zeit füllte fih Pas Rheinthal mit einem 
feinen Duft, der aber bald von den Sonnenftrahlen herab gedrüdt 
wurde und als leichter Thau auf den Boden, fowie auf das Leder 
des dahinrollenden Eilwagens niederfiel. 


Bald kam die Station, der Conducteur erwachte ein paar Minus 
ten vorher, warf feinen Pelz ab und fchaute mit ziemlich nüchter- 
nem Blick auf die glänzenden Fluten des Stromed. „Ja ja,” fagte 
er und dehnte fich, fo weit Died der enge Raum des Wagens ger 
ftattete, „jeßt find wir fogleih in U., Madame, wo die Pafjagiere 
ihren Kaffee nehmen können.“ 


Sp war eö denn auch; fie erreichten U. ein Feines Städtchen, 
in kurzer Zeit, und dort flieg Alles aus. Der Dragoneroffizier 
wäre lieber figen geblieben, denn er fürchtete fih, die Dame von 
Nro. 16 wieder zu fehen; doc Liegen ihm die Kameraden feine 
Nuhe, und fo mußte er mit in das Gaftzimmer treten und das 
Schickſal fügte e8, daß er gerade gegenüber der ſchwarzen Dame zu 
figen fam, und als fie beim Beginn des Frühſtücks ihren fchwar- 
zen Schleier erhob, konnte fih der Dragoner eines äußerft freund- 
lichen Blicdes nicht erwehren, den ihm der Hufarenoffizier zumarf, 
wobei ihn diefer leife fragte, ob die drei fchönen Mädchen im 


* ‚Grünen Baum vielleicht von demfelben Alter gewefen wären. Der 


Artillerie Hauptmann v. Stengel machte den Galanten und bediente 





Die ſchwarze Dame. 169 


Die Dame, wobei er fi) dunkel erinnerte, fie fchon irgendwo ges 
fehen zu haben — werr weiß wie ſehr! 

„Das ift wohl möglich ‚“ antwortete diefe, indem fie dankend 
Zuder und Milch nahm; „Sie werden vielleiht in C. meinen 
Bruder kennen — Regierungsrath B.“ 


„Ab, der Taufend !* fagte der Artilleriehanptmann und vers 
beugte fi ; „das will ich meinen, wir fpielten auf dem Gafino 
manche Partie Whiſt mit einander. Habe ihn aud einige Male 
beſucht, am Petriplatz Nro. 10.” 

„Ganz richtig,” entgegnete Die Dame. 

„Regterungdratb B. — Petriplag Nro. 10,” dachte der Hus 
faren- Offizier und erinnerte fich diefer beiden Namen, und daß 
fie mit irgend etwas im Zufammenhange ftänden, was ihm früher 
einmal paffirt oder was man ihm erzählt. Gewiß das Leptere, 
date der Hufar und nachdem er ſich einen Augenblid befonnen, 
ihwebte ihm das Bild des Tangen Eduard vor und eine feltfame 
Geidhichte, die ihm diefer einftens erzählt. Doc konnte fie der 
Sufaren-Dffizier nicht mehr recht zufammenbringen, nur fo viel 
erinnerte er fich, daß es ſich um eine hübſche Blondine gehandelt,“ 
um eine alte Zante, um weſtphäliſchen Schinken, einen Liebesbrief, 
Rüdesheimer und einen entfprungenen Kettengefangenen. 

Die ſchwarze Dame dem Hufaren-Öffizier gegenüber hatte, 
einige graue Stellen abgerechnet, durchaus kein helles Haar; fie 
war alfo nicht die Blondine, viel wahrfcheinlicher die Tante, 
und der Offizier, um etwas zu fprechen, erfundigte fid) nach dem 
Befinden des Herrn Megierungsrathes und nach dem feiner ſchö— 
nen Fräulein Tochter, Die Tante — denn fie war e8 — ver» 
ficherte daukend, fo viel fie aus Briefen wiffe, befinden fich Beide 
recht wohl. 

„Sie, meine Gnädige,” bemerkte Hauptmann v. Stengel 
— er wollte eigentlich fagen: gnädige Frau, doch da er nicht im 


170 Zweites Kapitel. 


Klaren war, gebrauchte er nur das Prädifat, — „Sie find [chen 
längere Zeit auf Reifen ?“ 

„Ih war über zwei Jahre von €. entfernt,“ antwortete Die 
ſchwarze Dame und ein aufmerkfamer Beobachter hätte gehört, wie 
fie einen leifen Seufzer ausftieß; „ich war bei meiner Schweiter, 
die ein Gut am Mittelrhein bewohnt. Ich hatte einmal Luft, Die 
Einſamkeit des Landlebens zu genießen.“ 

„Da hatten Sie Recht,“ ſprach Hauptmann von Stengel; 
„Bott, dieſes Zandieben hat etwas ungeheuer Reizendes !- 

„Run, wir werden bald Belegenheit bekommen, es zu verfuchen,“ 
meinte der Huſaren⸗Offizier. „Es wird nicht lange dauern, ſo 
verlafien wir die dumpfen Kafernen und ziehen mit dem Frühling 
hinaus in das heilfame, blühende Land.” 

„Glauben Sie wirtlih an einen Krieg?“ fragte ängftlich die 
ſchwarze Dame. 

. „Wohl möglich!“ fagte der Hauptmann von Stengel achſel⸗ 

zudend; „die Mobilmahungen werden in zu großartigem Maß— 
ftabe betrieben, ald daß es fih um eine bloße Demonftration 
handelte.” 

„Hurrah!“ rief lachend der Dragoner-Öffizier, der auch nicht 
ganz als ftumme Perfon da fiben wollte. „Ah! das wird ein 
herrliches Leben werden; ich ſehe mich fchon an der Spipe meiner 
Reiterfhwadron! Richt't euch! — Gewehr auf! Zur Attaque vor 
wärts! der Hufſchmid Hinter die Front!“ 

„Der Doctor faßt frampfhaft die Mähne,“ lachte der Huſaren⸗ 
Offizier. 

„Der Auditeur flüchtet zum Padwagen,“ fuhr der Dragoner 
fort. — „Marſch! marſch!“ 

Die Dame war zufammengezudt, ald der Dragoner den Audi⸗ 
teur zum Padwagen verwies. Sie kämpfte augenfcheinlidh einen 
tiefen Schmerz zugleih mit dem legten Stüd Butterbrod nieder, 
das fie fo eben in den Mund geitedt. 


Die [hwarze Dame. 171 


„Meine Herren!“ rief der Eonductenr zur Stubenthüre herein; 
„ed ift Zeit, wir müflen abfahren!“ 

Alles erhob fih, Jeder nahm feinen Pla wieder ein, und 
wenig Augenblide darauf rollte der Eilwagen welter. 

Die Offiziere im Innern plaudertn, die Dame hatte fich tief 
inihre Ede zurüdgezogen und dachte eifrigft nach; — viel Pers 
gangenes, wenig Zukünftiges. „Der Aubditeur zum Gepäd!" hatte 
der DragonersÖffizier gefagt, ach ja! zum Gepäd, mit aller Liebe, 
aller Hoffnung, und das alles, wegen des Eigenfinnes eines Bruders, 
der fi) eingebildet, eine junge Dame von über PBierzig und 
ein Jüngling von über Zwanzig feten, was diefes Alter anbelangt, 
von zu großer Berfchiedenheit. Vielleicht erinnert fid) der geneigte 
Leſer noch, wie heftig die Tante den Auditeur Schmidt geliebt, 
wie fich diefe Liebe eine. Zeit lang Bahn gebrochen durch alle Hin, 
derniffe und das Paar zu Zufammenfünften geführt, deren eine. 
aber für ihn, den Geliebten, nicht fonderlih angenehm geendet. 
Der Bruder der Tante, der würdige Regierungsrath, hatte gut 
vernünftige Vorftellungen machen und den Beiden mit Beifpielen 
zu beweifen, daß ein ſolches Verhäftnig in alle Ewigkeit keine 
guten Früchte tragen könne — umfonft! die Tante war zu reich, 
und der junge Mann liebte zu heftig, um der Vernunft Gehör zu 
geben. 

Bir müſſen leider geftehen, daß die Zufammenkünfte zwifchen 
dem Anditenr Schmidt und der alten Zante noch eine Zeit lang 
fortdauerten, ein fchlechtes Beifpiel, das auch den guten Sitten 
der Meinen Panline hätte gefährlich werden können, wenn deren 
Herzensreinheit und natürlicher Verſtand nicht fo groß gewefen wären. 
Da aber Pauline bet vielen Gelegenheiten bereitwilligft beide Augen 
zudrüdte, fo mußte fih die Tante zuweilen durch ein kleines Blin- 
jeln revandhiren, ein Blinzeln, das fie alddann verhinderte, genau 
zu jeben, wenn der damalige Bombardier Nobert, der feit jener 
Kataftrophe das Haus des Regierungsrathes zuweilen befuchen 


1723 Zweites Kapitel, 


durfte, beim Abfchiednehmen Die Hand der Tiebenswärdigen Blon- 
dine gar zu lange fefthielt, oder e8 fogar wagte, einen Ring an 





diefer Hand ganz dicht unter die Augen zu bringen, um Hand und. 
Ring — — näher betrachten zu können, denn wir wollen nichts 


Schlimmeres vorausfepen. 
Wie aber in diefer verderbten Welt nichts Gutes und Schönes 


verborgen bleibt, fo kam auch der Regierungsrath eines Tagd zu⸗ 
fälliger Weiſe hinter die Zufammenkünfte der Tante mit dem Herrn 


Auditenr. Es erfolgte nun eine Kleine Scene, bei welcher der Re- 
gierungsrath ſich bemühte, fo grimmig wie möglich auszufehen, zu 
welchem Zwed er fein Kinn tief in die Halsbinde vergrub. Darauf 
hielt er feiner ehrwürdigen Schweiter noch einmal die ganze Lächer- 


lichkeit ihres Liebeshandeld vor Augen und bemerkte ihr am Schluffe, 
daß ed von der Tante fehr wohl gethan fei, für eine Zeit lang’ 


ihre Schwefter zu befuchen, die wie wir bereits wifien, auf einem 
Gute am Mittelrhein wohnte. Dieſesmal ſprach der Bruder fo 
überzeugend, und mit fo viel Kraft und Nachdruck, daß fi die 
Tante veranlaßt ſah, einige Zage darauf ihre Koffer paden zu 
lafjen und abzureifen. 


Der Herr Auditeur Schmidt benahm fich Hierauf fehlimmer, 


als man von ihm erwartet hatte. Da er einmal den Schleichweg 
durch die Küche kannte, fo benupte er denfelben eines Abends nad 
der Abreife der Tante und erſchien plößlich vor der erfchrecdten 
Pauline, wo er fidh Die übergroße Freiheit nahm, ihr verfichern 
zu wollen, e8 fallen ihm jeßt, feit die Tante entfernt fet, die Schup⸗ 
pen von den Augen, und er begreife es nicht, wie man nach einem 
untergehenden Monde habe blidden können, wenn die aufiteigende 
Sonne anfange fihtbar zu werden. 

Man kann fid übrigens denken, wie diefes trenlofe Gefaſel 
aufgenommen wurde. Den Auditeur Schmidt mußte man energijc 
abgefertigt haben, denn er ſah fich veranlaßt, das Haus fo ge 
ſchwind zu verlafien, daß ererft demfelben gegenüber auf einem Ed: 


Die ſchwarze Dame, 173 


ſtein am Plage, wo er ſich erfchöpft niederließ, zur vollkommenen 
Befinnung gelangte. 

Es war dies derfelbe verhängnigvolle Edftein, auf weldem 
der große Kanonier Schulten den Rüdesheimer und den weftfälifchen 
Schinken verzehrte und wo der ehemalige Bombardier Zipfel fei- 
ner Zeit verzweiflungsvoll einfah, daß er ſich in Abgabe der beiden 
Briefe geirrt. 

Was nun den Auditene Schmidt anbelangt, fo verfhwand er 

ebenfalls fchnellftens von diefem Edfteine, nachdem er einen legten 
umd fangen Bli zu den Zenftern emporgeworfen, wo er fo glück⸗ 
Lid, hätte fein können. Er hatte anfänglich die Abſicht, dad Schick⸗ 
Tal des feligen Toggenburgers zu wiederholen, doch fannte er die 
biefige Polizei und war überzeugt, fie würde ihm feine Zeit zum 
Sterben laſſen, ihn vielmehr verdienter Maßen in irgend ein Nar⸗ 
zenhbaus abführen. Deßhalb verfchwand er von dem Echſteine, 
vom Betriplage, ja, aus dem ganzen Stadtviertel; auch blieb er 
eine Zeit lang über fein ferneres Schickſal im Dunkeln, bis man 
endlich im einer Zeitung eine Anzeige lad, worin der Auditeur 
Schmidt feine Verbindung mit Fräulein So und So, der Tochter 
eined wohlhabenden Kleidermachers, Freunden und Bekannten be⸗ 
ſtens anzeigte. 

Dieſes Zeitungsblatt hatte der Regierungsrath ſeiner Schwe⸗ 
ſter mit einigen tröftenden Worten zugeſchickt und fie zu gleicher 
Zeit erfucht, jet wieder fein Haus mit ihrer Gegenwart zu ers 
frenen. Und dies war der Grund, weßhalb die Tante fih auf der 
Rüdreife nah C. befand. 

Trotz der Trennung von einigen Jahren war ihr Herz noch 
einigermaßen ergriffen, und fle las das Zeitungsblatt zum Deftern 
durch. Sa, fie hatte e8 aufammengefaltet und zu anderen vergilb- 
ten Papieren gelegt, zu trodnen Blumen und dergleichen mehr, 
und fie machte ſich nun während der Fahrt dad wehmüthige Vers 
gnügen, diefe alten Blätter durchzulefen. Als fie damit zu Ende 


174 Zweites Kapitel. 


war, legte fie die Briefe forgfältig zufammen, widelte das Zeis 
tungsblatt darum, und da der Wagen gerade dicht an ben Ufern 
des Rheines fuhr, fo faßte fie den heldenmüthigen Entfchluß, die 
fen Zeugen ihrer Liebe und früherer glüdlicherer Tage ein ſtilles 
Grab zu gönnen in den Fluten des fchönen grünen Stromes. 
Sie that alfo — dad Päckchen flog ind Waſſer und ſchwamm lang 
fam mitten in demfelben hinab; die Tante fchaute ihm wehmüthig 
nach, und in ihrer lebhaften Phantafle dachte fie daran, daß Diele 
Pfänder ihrer Liebe vielleicht ruhig hinabſchwimmen würden durch 
Rhein und Dfiel ind Meer, dag es möglich fei, ein günftiger Wind 
fafle fie dort und treibe fie weit hinaus in den Dcean, Tag und 
Naht, Wochen und Monate lang, und Tafie fie endlih auf Um⸗ 
wegen an irgend eine Inſel gelangen, wo ein träumerifcher ſchwar⸗ 
zer Züngling unter Eocosnuß- Bäumen und Palmen fiße und dad 
Päckchen mit der Hand auffange. Vielleicht hatte der gefühlvolle 
Canibale irgendwie Deutfch gelernt und lad nun mit großer Bes 
friedigung diefen Heinen Noman. Das Herz des jungen Regerd 
erglühte von einer ihm biöher unbekannten Liebe; er dachte vielleicht 
an die alte Tante und declamirte in der klagvollen binterindifchen 
Meberfeßung : | 


Ein Fihtenbaum fteht einfam 
Im Norden auf kahler Höh', 
Ihn fchläfert — mit weißer Dede 
Umhüllen ihn Eis und Schnee. 
Er träumt von einer Palme 
Im fernen Morgenland, 
Die einfam und fchweigend trauert 
An brennender Felfenwand. 


Unterdeflen roflte der Eilwagen fort, wie er es jeden Tag zu 
machen pflegt. 
Dofe vorn auf dem Bock hatte die Arme über einander ge 


Die fhwarze Dame. 175 


Ihlagen und blicte finnend rechts und links um fih, er kam jept 
in die Gegend, die er früher als Conducteur befahren, und hier 
war ihm jedes Haus, jeder Baum, ja jeder Stein befannt. Er 
ihwelgte in Erinnerungen und poetifchen Gedanken, Die Offiziere 
im Innern ded Wagens rauchten erfchredlich viel Cigarren, und der 
Eouducteur ſah häufig auf feine Uhr. . 

So erreichten fie C., raſſelten über Brüden, durch Thore, durch 
die engen, gewundenen Straßen und hielten endlich vor dem Poſt⸗ 
hofe. Dofe fpraug von feinem Sig, öffnete den Schlag und ließ 
die Offiziere ausfteigen; der Conductenr hob die alte Tante hers 
aus; doc hatte er fie faum auf den Boden niedergefept, als fie 
laut und lachend von einer jungen Dame umarmt wurde, die bei 
Ankunft der Poft aus ihrem Wagen fprang und nun die Tante 
herzlich an fih drüdte und fie küßte. Ein ältlicher Herr, der 
ebenfalls zum Borfihein kam, fchüttelte ihr beide Hände, gab dem 
Eonducteur feine Adrefje und führte die Tante zu feinem Wagen. 
Der Herr hatte ein freundliches und würdevolles Anſehen, und 
wenn er fprach, vergrub er häufig fein Kinn in ein großes Tuch, 
dad er um den Hals geichlungen Hatte. Die junge Dame hatte 
ein offenes, Liebes Gefichtchen, fchönes blondes Haar und war von 
einer liebenswürdigen Lebendigkeit; fie lachte und plauderte in 
Einem fort, fie ftreichelte der alten Tante häufig über das Ges 
fiht oder die Arme und ſchien voll Freude, fie endlich wieder zu 
chen. 

Ald die Drei beilammen im Wagen faßen, mußte diefer 
noch einen Augenblid auf das Gepäd der Tante warten, und da 
ereignete es fih, daß plöglich ein junger Offizier erfchien in der 
Uniform der reitenden Artillerie, der an den noch geöffneten Schlag 
trat und freundlich hinein grüßte. Die Tante blicdte verwundert 
auf dieſes Geſicht, das ihr nicht unbekannt ſchien; der alte Herr 
nidte ihm freundlich zu, und die Heine blonde Dame hatte die 


176 Zweites Kapitel. 


Keckheit, dem Offizier vor dem Papa beide Händchen entgegen zu 
ftreden, die er eifrigft küßte. 

Die Tante blidte ihren Bruder fragend und erflaunt an, wor: 
auf der alte Herr den Offizier mit den Worten vorftellte: „Xieute 
nant Robert, einer unferer guten Freunde.” 

Warum lachte Pauline in dieſem Augenblice ſo luſtig? Warum 
fhlug fie mit der Hand fo nedifch auf das feidene Wagentifjen, 
daß es klatſchte? Warum zudte es auf dem Geſichte des Artillerie: 
Dffizierd wie eine Iuftige Erinnerung? — Der Regierungsrath 
wußte es nicht, die Tante dachte nicht daran, fonft. hätte es ihr 
Herz zerriffen. 

63 war dies ja derfelbe Wagen, den einit der Bombardier 
Robert mit einer unbefchreiblichen Keckheit beftiegen, derfelbe Was 
gen, wo er Paulinen zum erften Male gefeben. — — 

Er rollte indefien durch die Straßen dahin nad dem Petri⸗ 
plag; Pauline hatte ſich in ihre Ecke gedrüct und lachte immerfort 
in fi) hinein; fie ftampfte mit ihren Füßchen auf den Bodenteppich 
und dachte freudig und glücklich an jene Fahrt, au ihren Schreden, 
als fie das Licht angezündet, an das Wachöfigurens@abinet und an 
den Zorn der armen Zante. 

Der Artillerie Offizier war unterdeffen zu feinen Kameraden 
auf dem Pofthofe getreten, und Alle waren erfreut, fich bier gegeu⸗ 
feitig zu finden. 

„Apropos! Robert,” fagte der Hufaren-Offizier zu ihm, „deut 
Dir nur, wen wir geftern Nachts trafen, mit wen wir gemeinfchaft- 
lid) eine ganze Reihe von Abenteuern beftanden? — Deinen Bel 
ter, den langen Eduard.” 

„Ss, fo! Ihr habt ihn gefehen?“ antwortete der Lieutenant 
Robert; „mir ift es noch nicht fo gut geworden, ich kam erft vor 
drei Tagen bier an, hatte aber natürlicher Weife in den erften Zu 
gen Wichtigers zu thun, als nach ihm zu fehen.“ 

„Degreiflicher Weife!“ fpöttelte der Dragoner, indem er mit 


Die ſchwarze Dame. 177 


den Augen der Richtung folgte, mach welder der Wagen vers 
(hwunden. 

„Und als ich ihn nun geftern aufjuchen wollte, war er ſpurlos 
verfchwunden. Nun, er kommt alfo wieder?“ 

„Bahrfcheinlich morgen gegen Abend; er wird einen guten 
Marſch machen und fi unterwegs nicht aufhalten. — Werden wir 
und irgendwo fehen?“ 

„Bas meint ihr,” verfegte Lieutenant Robert, „wenn wir ihn 
anf der Hauptwache am Südthor, wo er einpafliren muß, erwarte 
ten? Kommt alfo dahin, ihr follt fehen, was er und für Abentener 
mittheilt.” 

„Ganz recht!’ erwiderten die Anderen und verließen mit einem 
freundlichen Abſchiedswort den Pofthof. 

Der Hauptmann von Stengel allein hatte noch mit feinem 
Gepäcke zu thun und blieb deßhalb zurück, Dofe bei ihm, der noch 
nicht den pafjenden Moment gefunden hatte, fich zu verabfchieden. 

„Ah, mein befter Unteroffizier!” fagte der Hauptmann, „hier 
it der Lieutenant Robert, an den Sie einen Brief abzugeben 
haben,“ | 

„An mich?” fragte der Artillerie Offizier. 

„Bon dem jepigen Poſt⸗Sekretär Zipfel!“ meldete Dofe in 
der beiten Haltung. 

„Ah! von ihm?“ ſprach Tachend Robert. „Nun, ich danke 
Ihnen recht fehr. . Bitte, befuchen Sie mich diefer Tage, Ste müfs 
jen mir recht viel von dem diden guten Kerl erzählen.“ 

„Und meine Wohnung werden Sie fi wohl merken,” fagte 
Hauptmann von Stengel, „Morgen früh nm neun Uhr zum 
Rapport; ich werde Sie einkleiden laſſen, werr weiß, wie bald! 
An Flickmaterial ſehlt's nicht, und wir brauchen gute Unteroffiziere.“ 

Somit trennten fi) Alle für heute, und Dofe, ganz glücklich, 
jeinen Wunſch erreicht zu haben, fchritt ſtolz und aufrecht durd die 

dadlaͤnders Werke. V. 12 


— 


178 Drittes Kapitel. 


bekannten Straßen einem kleinen Gaſthauſe zu, „Zur alten Ka⸗ 
none,“ wo er früher zn Mittag gefpeist und das er jegt mit fei- 
ner Gegenwart zu beehren gedachte. 


Drittes Kapitel. 


Woraus wir erſehen, das fi ſogar eine Offtzier⸗Wachtſtube im Laufe der Seit einigermaßen 
verändern kann. — Der lange Eduard erzählt eine intereſſante Geſchichte, wird aber vom 
ceommandirenden Unteroffljier der Hauptwache unterbrochen. 


Die allgemeine Stube der Hauptwahe am * * Thore hatte 
fi feit langen Jahren nicht verändert. Es gebt diefen Lokalen 
wie den Fahnen des Regiments: die Leute fommen und gehen, die 
Fahne bleibt. So auch in der Wachtſtube: Pritfhe, Tiſch, ja, 
Waſſerkrug und Wachtbuch, und wenn leßteres vollgefchrieben und 
eriterer je unterdefjen zerbrochen war, fo wurden diefe beiden Stüde 
durch ganz Ähnliche wieder erfegt und änderten nichts an dem Ins 
nern der Wachtſtube. 

Es ift ein eigenes Gefühl, wenn man nad langer Zeit ein 
ſolches Lokal wieder betritt, in dem man einftend gelebt und ge 
litten. Man kann fih nirgendwo die Vergangenheit befier zurück⸗ 
rufen als bier. Da fipt der Unteroffizier vor dem beſchmutzten und 
beftaubten Buche auf derfelben Stelle wie ehemald. Es tft aud 
gerade noch fo eine Geftalt, mit demfelben Gefiht, den gleichen 
Nedensarten; denn das erbt fich fort mit der Fahne von Generation 
zu Generation. Dort in dem Winkel fpielen Infanteriften mit 
Karten, daneben fißen Dragoner, den Kopf auf ihren Säbel ge⸗ 
fügt, und unterhalten fich leiſe. Derfelbe Duft herrfcht hier wie 
damald und kommt unferen Gedanken zu Hülfe; dort bricht ein 
Sonnenftrahl herein in's Lokal, und er malt auf der Pritfche ges 


Eduard erzählt eine intereffante Geſchichte. 179 


nan dafjelbe glänzende Dreiert wie damals. Iſt es möglich, Liegen 
Jahre dazwifchen, feit du hier zum letztenmale auds und eingingeft? 
oder bift du eben erft ausgetreten und meldeft dich nun dem Unters 
offizier zurüd? — 

In der Offizier: Stube dagegen machten fich Heine, wenn aud) 
unbedeutende, Veränderungen bemerkbar, Veränderungen, die aber 
nur ein geübtes Auge erkennen konnte. Da war zum Beifpiel die 
Lithographie, auf welcher der Infanterift in Parade⸗Uniform zu 
feben war, dem fein Lieutenant das richtige Präfentiren beibringt, 
verihwunden; da fehlte das flarfgebrauchte Handtuch, an dem uns 
ten der Spiegel befeftigt war, und vor Allem vermigte man dich, 
freundlihe Guitarre mit dem abgefchoffenen himmelblauen Bande! 
Die Zeit war ernfter geworden, die Wacht Inftruftion Tag da im 
correkten feften Einbande; das Dintenfaß, fonft von Tabaks⸗ und 
Eigarrenafche umgeben, jah nicht mehr aus wie eine verfchüttete 
Stadt, fondern zeigte fi ftolz und in fehwarzen Xade glänzend 
ald das wichtige Möbel, das es eigentlich war. Bon den Wänden 
endlich waren zwei mit großen Landkarten bededt, auf der einen 
Seite das ganze Deutichland, auf der anderen das engere Vaterland. 
Auf erfterem ſah man unterfchiedliche Striche, Märfche und Auf 
Rellungen bezeichnet; denn man wußte fihon, wohin die allgemeine 
Mobilmachung zielte und auf welchem Fleck deutfcher Erde die Ka> 
nonen anfangen follten zu brummen. Man war, wie gejagt, im 
Ganzen ernfter und gefepter geworden; vorderhand patfchten hier 
feine Karten und Happerten feine Würfel mehr, und feit die Gui⸗ 
tarre verfchwunden, hatte der Poften vor dem Gewehr ferner nicht 
die Zerſtreuung, in ftiller Nacht eines jener fanften Lieder zu hören, 
die in früheren glüdlicheren Tagen fo oft dad Herz feiner Bors 
Hänger erquickt. 

Die Wachtftube war übrigens am heutigen Abend ebenfo bes 
nht, wie damals, ala wir ihre erfte Befanntfchaft machten. Der 
geneigte Leſer wird fich erinnern, daß ſich die Offiziere geftern auf 


180 Drittes Kapitel. 


dem Pofthofe verabredeten, einander in der Wachtſtube zu treffen 
und den Einzug des langen Eduard nicht zu verfäumen. Da ſaßen 
fie num beieinander auf dem alten Sopha und den defelten Stühlen 
und unterhielten fi), jo gut e8 gehen mochte. 


Der Wachthabende, erft vor Furzer Zeit vom eldwebel zum 
Lieutenant avancirt und heute zum erftenmale ala Offizier auf die 
fer Wache, war ein firenger, dienfteifriger Charakter, und wenn ihm 
auch der Beſuch der jungen vornehmen Offiziere fehmeichelte, fo 
ließ er e8 doch nur fehr ungern geichehen, daß feine Wachtſtube 
Durch irgend etwas, wie zu ftarkes Trinken oder hohes Kartenfpiel, 
entweibt würde. Der Lieutenant Schmauder war eine hohe, dürre 
Geftalt mit einer fehr beträchtlichen knöchernen Nafe und darunter 
mit einem röthlichen, firuppigen Schnurrbart, der weit und drohend 
vorftand. Seine Schärpe hatte er feſt umgezogen wie zur, Pa 
vade, und den Helm nahm er zuweilen vom Kopfe, und immer 
verftohlener Weife, um fich des blaucarrirten Sadtuched in dem- 
felben zu bedienen. — Die anderen Offiziere, Die beiden Dragoner- 
und HufarensZieutenants, fowie Lieutenant Robert, hatten um den 
Tiſch Plap. genommen, und letzterer beendigte eben die Lektüre 
einer Zeitung, woraus er einige Stellen laut vorgetragen, dann 
faltete er das Blatt zufammen und ftedte ed in die Tafche. 

„Nach meiner Berechnung,” fagte der Hufaren-Dffizier, „kann 
Eduard vor zwei Stunden nicht bier fein.“ 

„Das ift eine lange Zeit,“ meinte Robert. „Wenn wir nur 
unterdefien einen Whift machen könnten. Was meinen Sie dazu, 
Herr Kamerad?“ Damit wandte er fi) an den Wachthabenden. 

„Ich Kenne dad Spiel nicht,“ entgegnete Lieutenant Schmau 
der; „auch befinden fich feine Karten bier.“ 


„Dem wäre abzubelfen,“ erwiderte der Hufar. „Man ſchickt 
nur in die Stadt; wenige Schritte vom Thor, in der Goldenen 
Sans fann man genug haben.“ . 





Eduard erzählt eine intereffante Gefhihte. 181 


„Das wäre am beiten,“ mifchte fih nun der Dragoner-Dffizier 
in das Geſpräch. 

Der Lieutenant Schmauder wurde offenbar unruhig bei diefem 
Vorſchlage. „Verzeihen Ste mir,” fprach er, „aber e8 wäre wahrs 
haftig Doch nicht angenehm, wenn der Hauptmann der Ronde käme 


und und bier beim Kartenfpiel überrafchte.” 


Ber ift’3 heute?“ 

„Hauptmann E.“ 

„D, haben Sie defjentwegen feine Furcht!“ fuhr der Dragoner 
fort, „Der fpielt felbft Teidenjchaftlich.” 

„Sa, vielleicht zu Haufe,” entgegnete ängftlih Herr Schmau⸗ 
der; „aber doch wohl nicht auf der Wache,“ 

„A—ah ſo —o —o!“ 

„Wiſſen Sie was, meine Herren!“ ſagte Lieutenant Schmau⸗ 
der nach einer kleinen Pauſe, „wenn Sie ſpielen wollen, ſo möchte 
ich Ihnen eine Partie Domino vorſchlagen, ich habe die Steine 
dazu hier in der Schublade des Tiſches.“ 

„Domino?“ rief der Huſaren⸗Offizier. „Pfui Teufel!“ 

Der Dragoner zuckte verächtlich die Achſeln. Doch Lieutenant 
Robert verſetzte: „Was ſollen wir machen? Wenn der Teufel 
hungrig ift, begnügt er fi mit Fliegen. Her mit dem Domino!“ 

Der Wachthabende brachte eilfertig ein Käftchen zum Vorſchein 
und fegte die Steine auf den Tifch aus, 

„sd weiß aber in der That fein Spiel, das man zu Pier 
jpielen kann,” fagte Robert. — „Wifien Sie eins?“ 

„O ja,“ antwortete flatt des Wachthabenden nachläſſig der 
Tragoner-Offizier. „Es gibt deren mehrere: der ſcheußliche Ema- 
nuel und die etwas befiere Einundfiebenziger⸗Partie.“ 

„Die Einundfiebenziger- Partie,“ meinte der Hufaren » Offizier 
„beun man fie mit Chikanen fpielt, fonımt gleich nach dem falfchen 
Würfeln und Stehlen.“ 


182 Drittes Kapitel, 


„Aber man muß ehrlich anfegen,“ erwiderte Robert lachend, 
„Wir fpielen e8 ohne alle Chikanen, nicht wahr, Herr Kamerad?“ 

„Der Meinung bin ich auch!” entgegnete Herr Schmauber. 

Und darauf befam jeder ſechs Steine; wer zuerft den höchſten 
aufhob, hatte Die Pofe, und das Spiel beganı. 

Wir wifien nicht, ob der geneigte Lefer die Einnndfiebenziger 
Partie kennt. Es ift dies eines der harmlofeiten und langweiligiten 
Spiele, die e8 gibt. Man glaubt, es fei von einem Arzt erfunden 
worden, der für feine Kranken alle und jede Aufregung vermeiden 
wollte. Man fipt dabei um einen kleinen Tiſch, fchaut einander, 
fo gut es gehen will, in die Steine, und macht ſich dabei das uns 
fhuldige Vergnügen, dem Nebenfigenden, fo es geht, die doppelten 
audzufchliegen; man ftreitet fi um die Poſe, da Jeder natürlicher 
Weiſe immer audfegen will; man fptelt e8 ohne alle und jede Rüds 
fiht, ohne Zartgefühl, fo eigennügig wie möglih. Man nennt «8 
auch das Spiel der Montenegrinerz deun wie und ein großer deut 
ſcher fehr ehrwürdiger Gelehrter verſicherte, iſt es das Lieblingsſpiel 
des Vladika von Montenegro, und er pflegt es nach Tiſch mit ſei⸗ 
nen Vaſallen zu ſpielen. 

Hier in der Wachtſtube wurde es übrigens nicht mit großer 
Lebhaftigkeit geſpielt, und nach einer halben Stunde verſicherte der 
Huſaren⸗Offizier, es ſei ihm in der That unmöglich, dieſe langwei⸗ 
ligen Steine länger anzuſehen. Man warf fie denn zufammen und 
wollte eben eine Eonverfation beginnen, als man vor dem Thore | 
feichten Trommelfchlag hörte. Dann vernahm man den feften Tritt 
einer Infanteriemaffe auf der Brüde, und gleich darauf wurde bie 
Mache in’® Gewehr gerufen. Alles ftürzte hinaus. Lieutenant 
Schmauder ordnete Die Neihen der Wachtmannfchaft, und die beiden 
Kavallerie» Offiziere, fowie Robert, eilten der heranziehenden Ins | 
fanterie entgegen und drüdten dem Offizier an der Spipe herzlich 
die Hand. 

Der lange Eduard war nicht weniger erftaunt, hier die Freunde 





Eduard erzählt eine intereffante Gefhichte. 183 


zu finden, und als fie ihm fagten, fie hätten ihn bier erwartet, um 
noch ein paar Stunden auf der Wachtftube mit ihm zu verplau- 
bern, heiterte ſich ſein ernftes Geftcht merklich auf, und nur als er den 
Rientenant Schmauder erblidte, flog ein Heiner Schatten über daf- 
ſelbe. Nichtödeftoweniger aber übergab er dem Lieutenant Wort 
mann den Befehl über die Mannfchaft, um fie in die Kaferne zu 
führen, und trat mit den Freunden in die Offizier Wachtftube. - 


Eduard hatte dort fett Tanger Zeit keinen Dienft mehr gethan, und 
die neuen Einrichtungen des Lokals, unter Anderem die Landkarten, 
vor Allem aber der Anblid der Dominofteine, fihtenen ihn frofttg 
anzuwehen. Er ftemmte beide Arme in feine dünnen Seiten, fah 
ih kopffhüttelnd rings um und fagte dann zum wuchthabenden 
Offizier, der zufällig von feiner Compagnie war: „Lieber Schmau⸗ 
der, Sie find ein Mann, der den Dienft kennt, wie Keiner; aber 
wenn man Offizier ift, fo muß man fi) auch bemühen, die Kar 
meraden, Die einen befuchen, gaftfreundlich aufzunehmen. Mir tft 
ed gerade, als wenn Sie heute Ihre erſte Wache unter dem Titel 
eined Töniglichen Zientenants thäten. Erinnern Sie fih vielleicht 
noch jener Zeit, wo Sie überhaupt Ihre erfte Wache thaten, und 
was an jenem denfwürdigen Tage vorfiel? Sie Ieifteten Ihren 
Ginftand, und die ganze Wachtmannfchaft war damals influfive 
Unteroffizier in einem fo erheiterten Zuftande, daß man dem vifl- 
tirenden Fähnrich, nämlich zufälliger Weife mir, die Antwort gab: 
Alles befinde fich Erenzfidel und fihere fich den Henker um Haupt- 
und Neben-Ronden.” 


„Das ift ganz richtig,“ ftammelte Herr Schmauder ; „aber das 
waren Iugendftreihe — —“ 


„Die auch nicht wiederholt werden follen,” ſprach würdevoll 
der fange Eduard. „Doch, da Sie heute hier Ihre erfte Wache 
thun, fo kann eine Heine Erheiterung ebenfalls nicht fchaden, 
zu der wir — wohl verftanden ! — Sie, unferen neuen Kameras 





184 Drittes Kapitel. 


den, freundlid zu Gaſt laden. Ich denke, das wäre abgemadıt ; 
jeßt lafien Ste einmal einen der Leute hereinkommen.“ 

Der wachthabende Offizier fügte fich achfelzudend dDiefem Wunſche. 
Der lange Eduard ließ fich herab, eigenhändig einen Bon zu fchrei- 
ben, und eine halbe Stunde nachher dampfte ein jo wohlriechender 
Punſch in der Offizier-Wachtſtube, daß ſich felbit das Geficht des 
Lientenantd Schmauder liebreich verzog, und fi fogar die alten 
Landkarten an der Band zu freuen jchienen. — Die Anwejenden 
ftießen freundlich mit den Gläfern au, und nachdem der lange 
Eduard einige Schauder überwunden, die der abendlihe Marfch in 
ihm hervorgebracht, konnte er ſich jept aus Herzensgrund freuen, 
feinen Better Robert mit jo frifchen, nagelneuen Epauletten vor 
fich zu fehen. — „Wir wollen nicht fragen, wie es dir ergangen 
tit, lieber Junge,” fagte er; „du warft auf der hohen Schule wie 
die Anderen, haft einigermaßen fludirt, dein Examen gemacht uud 
bift Offizier geworden. Das tft eine alltägliche Gefchichte.“ 

„30, lieber Freund,“ verfepte Robert lachend, „ganz Mei⸗ 
dinger,” | 

„Ich verfichere dich, du biſt Meidinger,” entgegnete ernit der 
lange Eduard, „du treibit mit dem Namen dieſes edlen Mannes 
einen wahren Mißbrauch. Dank übrigens Gott, daß du glüdlich 
durch's Examen geihlüpft bill. Davon bin ich feit überzeugt, cs 
bat gewiß nur fo eben ausgereicht, es war auch nicht die Idee 
mehr übrig.“ 

„Das ift wahr: fie haben mir tüchtig zur Ader gelaflen.“ 

„Er ging hinweg,” bemerkte lachend der Dragoner-Üffizier, 
„vollkommen leer, ganz wie eine audgepreßte Gitrone.“ 

„Meidinger !” murmelte Eduard vor fih Hin und ließ den 
Kopf melanholifch in die Hand ſinken. — „Haft du auch,“ jagte 
er nad) einer Paufe zu Robert, „von unjeren Abenteuern dort oben 
in dem verfluchten Nefte gehört ?“ 

„Da erinnert du mich an was Schönes !" antwortete laut 


Eduard erzählt eine Interefjante Geſchichte. 185 


lachend der Andere; „ihr habt da fchöne Gefchäfte gemacht! Fangt 
mir da zwei Domofraten ein, und als ihr die Sache bei Licht 
beſeht, ift eö ein harmlofer Schneider und ein trauriger Schreiber. 
Da hätte man was Reitendes binfchiefen jollen.“ 

„Mein lieber Freund,“ fagte der lange Eduard nicht ohne eine - 


gewiſſe Größe, „du bift fehr platt von der hohen Schule zurüdges 
kommen. — Uber bei allem dem,“ fuhr er nach einer Meinen Paufe 





lächelnd fort, „war e8 doc, eine verfluchte Geſchichte, viel Unan⸗ 
genehmes, aber auch Angenehmes.“ 
„Das gute Souper ?” meinte lauernd der Dragoner. 
„Ssa—-a—a—a! das Souper,“ verjegte Eduard, „aber vor 
allen Dingen der geftrige Marſchtag. Wenn einer von euch mir 
eine fehr gute Cigarre gibt, fo erzähle ich euch davon. Aber es 


: muß was Vorzügliches fein.“ 


„Beſſer als deine eigenen,“ erwiderte der Dragoner, indem er 
jein Etuis hervor z0g, „feine Negalia canatlleros,“ 
„Pfui Teufel über eure fchlechten Witze!“ ſprach fat betrübt 


der lange Eduard. „Jetzt find wir faum am Mobilwerden, und 


ihr feid fchon fo verwildert. Was fol das werden, wenn ihr erft 
ein paar Zage in Feindesland marſchirt ſeid!“ 

„Wie du geflern und vorgeftern.“ 

„Allerdings. Aber jegt paßt mir auf: Alfo gleich hinter dem 
berühmten Orte, wo die nächtliche Gefchichte paſſirt ift, kamt ihr 
bei mir vorüber, flolz zu Wagen, während ich demüthig zu Fuß 
ging. Dafür aber war ich im königlichen Dienfte und hätte euch 
anhalten können, um nad der Nichtigkeit eurer Urlaubspäſſe zu 
iehen ; aber ihr faht mir wahrhaftig nicht wichtig genug dazu aus. 
sh zog aljo ruhig meines Weges, der Tambour machte bie und 
da mit feiner Trommel einen anftändigen Spektakel, die Soldaten . 
rien ihre Wige und fangen Lieder, ich zählte die Wegfteine und 
berechnete, wie weit ich noch nach F. habe, wo mich die Marfchs 
route für den heutigen Tag hinwies, Wir hatten faft Die ganze 


186 Drittes Kapitel. 


breite Ehaufiee für uns allein, da uns zu Fuß oder zu Wagen 
wenig begegnete. Gegen zehn Uhr Morgend hörten wir einen 
Wagen hinter uns drein rollen, er konnte aus dem verdächtigen 
Drte kommen, und Wortmann war dafür, ihn anzubalten, um 
nachzuſehen, wer ſich tarin fände. Es konnte ja vielleicht einer 
verkleidet darin fein.“ 

„Als Schneider,“ fagte der Dragoner lachend. 

„Richtig, oder als font was,” antwortete ruhig der lange 
Eduard, wobet er fonderbar lächelnd drein ſchaute. — „Alfo der 
Wagen fam näher, meine Soldaten marfhirten in diefem Augen» 
biide dem Befehle Wortmanus gemäß fo die ganze Breite ver 
Chauſſee einnehmend, daB der Wagen, der ziemlih raſch fuhr, 
fobald er uns erreichte, still halten mußte und die Pferde nur im 
Schritte vorwärts fonnten. Wortmann und ich traten zu beiden 
Seiten Mn den Schlag und eganinirten den Kutſcher, wo er ber 
fäme. — Bon jenem Orte, wo auch wir her famen, berichtete er 
treuberzig ; fein Fuhrwerk war ein ziemlich anftändiger Charabauc 
mit Henfterledern, die feit zugezogen waren. Unferer Aufforderung 
gemäß, dieſelben zu Öffnen, flieg er vom Bode herunter und ſchob 
eines zurück. Wir blidten in den Wagen — es faßen drei jehr 
hübſche Mädchen darin.” | 

„Der Teufel auch!“ meinte der HufarensOffizier. 

„Drei hübfche Mädchen ?“ fragte aufmerkfam der Dragoner. 

„Drei fehr hübſche Mädchen !* wiederholte der lange Eduard. 
„Zwei mit dunklen Haaren, fchönen bligenden Augen, runden 
freundlichen Gefihtern, die dritte, von einem fuperben Blond, ein 
volles üppiges Haar, wie ich felten was gefehen, dabei ein ſchnee⸗ 
weißer Zeint, und, was wunderbar war, hiezu dunkle ftrahlende 
Augen. Alle drei waren, wie gefagt, fehr fchön, aber die Blonde 
rührte augenblicklich mein Herz. Ich muß geftehen, lange nidt 
fah ich etwas Rrifcheres von Augen, Gefichtsfarbe und Lippen. 
Was den Wuchs der drei Damen anbelangt, fo war das in Dem 





Eduard erzählt eine intereffante Geſchichte. 187 


engen Wagen fehr fchwer zu beurtheifen ; aber ihr wißt, daß ich 
Kenner bin, und ich hätte ſchon im erften Augenblide einen feier 
lichen Schwur ablegen wollen, daß ihre Formen tadellos feien. 
Die Beiden mit dem dunklen Haar ſchlank, vielleicht etwas mager, 
die Blonde aber ſchlank und voll. Ahr kennt das.“ 

„Run?“ fragte eifrig der Dragoner ; „und du fprachft mit 
Ihnen ?“ 

„Du Tennft mich,“ erwiderte der lange Eduard; „ich ſprach 
mit ihnen zierlich und galant, wie es die Verhältniſſe erheifchten ; 
in den wenigen Worten, die ich ihnen zu fagen gendthigt war, 
soncentrirte ich eine unfinnige Mafje von Liebenswürdigkeit. Ich 
entfhuldigte mich über dieſes Anhalten auf offener Landſtraße, 
indem ich von der vergangenen Nacht fprad und den feltfamen 
Umftänden, unter welchen uns diefelbe verfloſſen.“ 


„Du ſprachſt alfo von der vergangenen Nacht?“ fragte ber 
Tragoner-Offizier. 


„Allerdings. Und als ich davon ſprach, lachten zwei der 
jungen Damen ſchelmiſch in fi hinein; die dritte aber — ihr 
kennt meinen ſcharfen Blick — fuhr faum merklich zufammen und 
| blidte verwirrt und fanft erröthend in die Gegend hinaus.“ 

„Die der Eduard göttlich erzählt !“ meinte gezwungen lachend 
ter DragonersOffizier ; „außerordentlich Iebendig ; aber ich glaube, 
er erfindet. — So! fo! alſo eine von den beiden Mädchen mit 
ſchwarzen Haaren blickte verwirrt zum Fenſter hinaus ?“ 


„Das habe ich nicht geſagt,“ erwiderte der lange Eduard. 

„Alfo die Blonde war's ?“ fuhr der Andere fort. „Natürlich 
auf das Herz der Schönften haft du einigen Eindrud gemadt. O 
glückſeliger Kerl, der du bift !“ 

„Deine Verfuche, zu erfahren, welche der drei Damen verwirrt 
zum Zenfter hinaus ſah,“ fuhr der Erzähler fort, „find in der 
Ihat fo unendlich Meidinger, daß ich laut darüber lachen möchte, 


04 


188 Drittes Kapitel. 


Genug, Eine fhaute hinaus, aber weldhe, das ift mein Ge 
beimniß.“ 

„Man mag fagen, wad man will,“ warf der HufarensOffizier 
dazwifchen, „Eduard ift ein verfluchter Kerl. — Aber fahren Sie 
fort, wir befommen nody mehr zu hören.” 

„Wir machten natürlicher Weife unfere Berbeugung, die Sol: 
daten zogen fih rechts und lin, und der Wagen feßte feinen 
Weg fort. Im Augenblide, als die Pferde anzogen, fagte eine 
der drei Damen: „Aber Sophie, das find Gefchichten !“ 

„Sophie?“ rief der Dragoner-Öffizier, fich vergeffend. 

„Sophie,“ wiederholte der fange Eduard mit einer gewifien 
Genugthuung und fah feinen Kameraden lächelnd an, während er 
ruhig fein Glas Punſch austrank. „Wir marfhirten alfo weiter, 
und es wurde ſtark Mittag, bis wir unfer Quartier, das Dörfchen 
F., erreichten. Ich zog mit Trommelſchlag ein, marfdirte vor 
das Haus des Bürgermetfterd, wo ich meine Quartiermacher traf 
und die Billete in Empfang nahm. Alles ging gut von Statten, 
ich felbft befam eine Anwelfung auf einen Herrn St., der nidt 
im Orte felbft, fondern einen halben Büchfenfchuß davon an den 
Ufern des Rheined wohnte, Ich ertheilte meine Befehle für den 
anderen Morgen, Ausmarfch Punkt fech8 Uhr, nahm einen Mann 
des Zuges mit mir und ging, mein Quartier aufzufudhen. Es 
war in der That nicht weit von dem Orte entfernt, ein hübſches, 
viererfiges weißes Haus anf einem Beinen Hügel, von zwei Seiten 
mit Ddichtbelaubten Bäumen umgeben und fo zu fagen mitten in 
Bärten und Weinbergen ftehbend. Ich fhlenderte langſam hinauf; 
droben empfing mich ein Hund. mit wüthendem Gebell, und ein 
Knecht, der hinzu kam, befchwichtigte ihn mit den Worten: „Rus 
big, Fürft ! fiehſt du nicht, daß es nur ein Offizier iſt?“ 

„Alle Wetter!“ rief der Hufaren-Dffizier. „Dem Kerl hätte 
ich gleich einen halben Zug in die Speifelammer gelegt.“ 

„Und wozu?” fragte der lange Eduard ruhig und mit wahrer 


= 





Eduard erzählt eine iIntereffante Geſchichte. 189 


Größe. „Um den Herrn des Hundes zu beftrafen, falls er nicht 
tedlich, fondern röthlich ſei? — Bott bewahre! Ich hatte mir vors 
genommen, ihn mit Liebenswürbigkeit zu erdrüden, mit ihm im 
guten Sinne des Wortes zu fraternifiren. Diefer Hauseigenthümer 
ftand unterdeffen unter der Thüre, die Arme in die Seiten geftemmt, 
und betrachtete mich mit finfterem Blide. — Einquartierung? rief 
es; das fehlt und noh! Wo ift Ihr Billet? — Ich überreichte 
es ihm. — Bir haben feinen Plag, fagte er. — Ih bin mit Als 
iem zufrieden. — In diefem Augenblide nun entwidelte ich mit 
der freundlichften Miene von der Welt eine glänzende Beredtfam- 
fit; ih ſprach fehr viel gut Gedachtes mit einigem geiftreichen 
Unfinn. 3a, ich brachte e8 fo weit, dem alten Demokraten ein klei⸗ 
nes Lächeln abzundthigen; dann zudte er die Achfeln und befahl 
dad blaue Zimmer für mich. Diefes, meine Wohnung, war ans 
fändig möblirt, die Fenſter gingen auf den Rhein; doch hielt ich 
mih nicht lange da auf. Ich ging in den Garten und traf den 
alten Demokraten, wie er Befehle ertheilte. Ich war in dem Aus 
genblicke ganz Landwirth, ich erfundigte mich leidenschaftlich nad 
der beften Art des Weinbaues und wagte dabei einige gelinde 
Zweifel audzudrüden, ob auch bier wohl Sorten von vorzüglicher 
Snalität wüchfen. — Das will ich meinen, fagte mein Wirth; 
bier wächst ein berühmter Tropfen, — Ich zweifelte mit aller Ber 
fheidenheit. — Das will ich Ihnen gleich bei Tiſche beweifen, 
verfeßte er, umd würde es noch vorher thun, aber ich fürchte, Sie 
Tonnen die Kellerluft nicht ertragen. — Das war ein Wort zu 
feiner Zeit. Ich bat ihn, es auf eine Probe ankommen zu laſſen, 
und darauf bolte er Tächelnd einen großen Schlüffelbund. Wir 
ſtiegen die Treppe hinab, ich triumphirend, denn nun hatte id} ges 
wonnened Spiel. Alle Rheinländer find, wie ihr wißt, in Einem 
Punkte volllommene Drientalen; denn Habt ihr mit dem Araber 
eine Pfeife geraucht, fo ift er euer Freund: ebenfo der Rheinläns 


190 Drittes Kapitel. 


der, wenn er euch in feinen Keller führt und dort ein gutes Glas 
für euch abzieht.“ 

„Aber die Weinprobe!“ ſagte lächelnd Lieutenant Robert. 
„Wie bift du dabei beftanden ?“ 

„Ohne Vebertreibung glorios; mit jedem Glas, das ich Hins 
unter laufen ließ, flieg ich in der Achtung meines demofratifchen 
Wirthes, und als ich fogar einen ſtarken Sechöundvierziger drei» 
mal verfuchte, ſah er mich gerührt an und meinte, es gäbe doch 
tüchtige Offiziere bei der königlichen Armee.“ 

„Es ift wirklich traurig,“ meinte der Huſaren⸗Offizier, „da 
gibt e8, auf Ehre! Leute, die bilden fi) ein, wir lebten ſtellen⸗ 
weife nur von Butterbrod und Thee.“ 

„Endlich fliegen wir die Treppen des Kellerö wieder hinauf,“ 
fuhr der Erzähler fort. „Die Natur ſah ungeheuer freundlich aus, 
und die Sonne fehlen fo Heil und glühend, daß unfere Nafen ganz 
davon geröthet waren. Sept follte zu Mittag gefpeiöt werden; 
mein Wirth und ich, wir waren ſchon fo gute Freunde geworden, 
dag wir Arm in Arm die Treppen hinauf gingen. Arm in Arm, 
fage ich; aber denkt euch meine Meberrafchung! als fi die Thüre 
des Speijezimmers öffnet, fehe ich vor mir" — 

„Run?“ rief der Dragoner ahnungsvoll. 

Doch hatte der lange Eduard nicht Zeit, der Gefellfchaft zu 
fügen, was ihn fo fehr überrafchte, als fi) die Thüre des Speifes 
zimmers geöffnet hatte; denn die Thüre zum Offizier⸗-Wachtzimmer 
öffnete fich ebenfalls, und der commandirende Unteroffizier der 
Hauptwache trat, um etwas zu melden, herein. 


Mißbrauch der Patrouilien-Zettel. 191 


Diertes Kapitel. 


dandelt vom Mißbrauch der PatrouiffensZettel, von der Unbefonnenbeit junger Wachthabender 
und einer Arreftation, die zu feinem Reſultate führt. 


Der Lientenant Schmauder hatte fowohl am Punſche wie an 
ver Erzählung innigen Theil genommen , weßhalb er den eingetres 
tenen Unteroffizier auch nicht gerade mit dem freundlichften Blicke 
fragte, was er denn eigentlich wolle. 

„Herr Lieutenant !” meldete diefer, „jo eben fommt eine Pas 
ttonifle vom... . [hen Thor und gibt den PatrouillensZettel zum 
Unterzeichnen bei mir in der Wachtſtube ab. Wie ich ihn entfalte, 
ſehe ich diefen Brief bier vor mir.“ 

Damit übergab er dem wachthabenden Offizier ein Papier, 
das diefer entfaltete und alddann fiufter hinein blicke. 

„Bad haben Sie, Herr Kamerad?” fragte Lieutenant Ros 
bert, der ihm zunächſt ſaß. „Zeufel! das ift ja fein Patrouillens 
Zettel.“ 

„Allerdings iſt es Fein Patrouillen » Zettel,“ entgegnete 
Schmauder, „aber der Henker mag wiflen, was der Wiſch befagen 
wi!“ 

„Laßt doch einmal fehen,” meinte der lange Eduard und 
nahm Das Papier aus den Händen ded Wachthabenden. Dann 
warf er einen Blick hinein und lächelte fanft vor fih bin, „Ich 
will euch fagen, was das tft,“ ſprach er nad einer Pauſe, „das iſt 
eine Gorrefpodenz per Patrouille, wie man fie Nachts und in der 
Langeweile der Wachtſtube wohl zu machen pflegt. Gott! wir has 
ben das feiner Zeit auch gethan. — Wie ift die Unterſchrift? — 
Bombardier Reuter.“ 

„Ab! von der Artillerie ?” fagte Lieutenant Schmauder. „Die 
Herren treiben immer abfonderliche Späffe. — Und der Patroniflen 
Zettel?“ fragte er den Unteroffizier. 


192 Biertes Kapitel. 


„Bar ebenfalls dabei,“ meldete diefer. 

„Und in Ordnung?“ 

„Vollkommen.“ | 

„Diefer Bombardier Reuter,” meinte der lange Eduard, „bat 
die Wache am E... Thore. Sein Frennd, an den der Brief 
gerichtet ift, befindet fi) draußen auf dem Fort Nr. IV. Nun mas 
chen fie alfo den harmloſen Scherz und correfpondiren per Pa 
tronifle zufammen. Da der Brief offen iſt, wollen wir lefen, was 
er ſchreibt.“ ! 

„Aber,“ fügte der Dragoner-Öffizier hinzu, „was wir lejen, 
bleibt ganz unter und. Wir nehmen feine Notiz davon.“ 

„Berfteht fi!” fagten Alle. Lieutenant Schmauder that das 
mit einigem Widerſtreben. 

Der lange Eduard las alſo den Brief: 

„Liebe Seele!“ 

„Es ift etwas verdammt Lungweilige® um das Wachethun, 
namentlih an einem von den Thoren, wo ich mich gerade befinde. 
Hier hat man bei Tag und Nacht feine Ruhe; fo lange es heil iſt, 
laufen .die Offiziere aud und ein, man meint, das alte Thor fei 
ein Bienenftod geworden. Dazu Offiziere du jour, daß man dei 
Teufels wird, und wenn ed dunkel geworden ift, wimmelt es von 
Haupt =» und Bifitir- Ronden und von Patrouillen aller Art, und 
läßt einen nicht fchlafen, wie Die Flöhe bei Nacht. Doch zur Sadıe! 
Borhin war F. bei mir und bat mich um Gottes willen, das bei 
wußte Ständchen Do heute Nacht vor fih gehen zu laſſen. Der 
Kerl ift ein Narr, das habe ich ihm auch gefagt; ich bin auf Wache, 
du bift auf Wache, und wenn die beiden Anderen noch heranzu— 
fhleppen find, danıit das Quartett vollzähfig würde, wie fönnten wit 
dich herbringen von deinem verfluchten Kort Nr. A! F. ift übrigeni 
ganz außer fih: das Mädchen reidt morgen ab, fagt er, und oben: 
drein fei er geftern in den Fall gekommen, auf ein Ständen an— 
zufpielen, ein Gedanke, der fie mit Entzücken erfüllt habe. Id 





Mißbrauch der Patronillensgettel. 193 


weiß, du ziehft nie ohne deinen Orpheus auf Wache, der langwei⸗ 
lige Kerl wünfht Nr. 6, Nr. 20 und Nr. 32. Dann könnten wir 
noch zu guter Legt ihm das famofe: 


Sie war ein Kind vor wenig Tagen, 
Sie ift es nicht mehr, wahrlid nein! 


machen, das paßt auf alle Zuftände. Nun überlege dir die Sade; 
um eilf.Uhr follte Die Gefchichte vor fich geben. Ich meines Theils 
fönnte fchon etwas riöfiren, denn das Haus, wo fie wohnt, tft 
nur zwei Schritte von dem Thore entfernt. Alfo, Bruderherz, ges 
hab dich wohl. — Apropos! vor der Ronde bift du ficher, der 
Lientenant Schnabelinsti I. that fo, ald wenn er zu dir hinaus 
wollte, ich ließ ihn aber beobachten, doch wandte er fih vor dem 
Ihore rechts ftatt linfd; er wird zum M. . . . Thore wieder in die 
Stadt hinein fein.“ 

„Das ift doch zu arg!“ fagte Lieutenant Schmauder mit ges 
echter Entrüftung. „Eine ſolche Verhöhnung alles Dienſtes, eine 
foihe Nacläffigkeit ift nicht zu verzeihen. Dan follte das zur 
Anzeige bringen.“ 

„Briefgeheimnig!” erwiederte lachend der Dragoner-Offizier; 
„und dann haben wir und auch gegenfeitig verfprochen, deſſen, was 
wir lefen würden, in feiner Weife weiter zu gedenken; ed wäre 
Unrecht von und.” 

„Aber der Dienft, meine Herren!" verfeßte eifrig der Wacht» 
habende. „Denken Sie fih nur, wenn ein foldher Fall bei aus» 
brehendem Krieg vor fich ginge. Nachläffigkeit im Wachtdienft ! 
Kann nicht durch den Keichtfinn eined Einzelnen ein ganzes Corps 
zu Grunde gehen?“ 

„Seiten Sie unbeforgt!” entgegnete der lange Eduard. „Ich 
weiß Leute, die fich in Friedenszeiten ähnliche Gefchichten zu Schul» 
den kommen ließen, die aber — das kann ich Sie verfihern — 


wenn es einmal im Ernſte gilt, fi) in Stüde hauen ließen, ehe fie 
Hadlländers Werte. V. 18 


: 194 Viertes Kapitel. 


von ihrem Poften wichen. Laffen wir den jungen Leuten ihre 
Streihe; wir haben in unferer Jugend auch getollt.“ 

„Aber man fann fo etwas nicht dulden.“ 

„Wenn e3 Dienftlich gemeldet wird, freilich nicht. Aber und 
geht die Gefchichte weiter nichts an; fie fpielen eines Heinen Ver⸗ 
gnügens halber Teichtfinniger Weiſe um vierzehn Tage Arreft.“ 

„Ih möchte nur willen, was der Audere antwortet,“ fagte der 
Huſaren⸗Offizier. 

„Das wird nicht ſchwer zu erfahren ſein,“ meinte der Wacht⸗ 
habende. „Die Patrouille muß wieder durch dieſes Thor zurück, 
und da wollen wir ſchon ſehen, was fie bringt.“ 

„Aber fie wird draußen plaudern.” 

„Daran habe ich auch gedacht,“ meinte Lieutenant Schmauder. 
„Deßhalb will ich ein paar zuverläffige Leute hinaus fchiden, auf 
die ich mich verlafien Tann.” — Er fagte dem Unteroffizier einige 
Worte, worauf diefer abtrat. 

„Da fteht noch ein Poftferiptum!“ rief lachend der lange 
Eduard. „Soll ih das auch leſen?“ 

„Natürlich!“ antworteten die Anderen. 

„Aber vergeht nicht, wir verfprachen, durchaus feine Notiz 
von dem zu nehmen, was in dem Briefe fteht.“ 

„Das verfteht fih von felbft.“ 

„Schließlich fchreibt alfo der wachthabende Bombardier vom 
GE... . Thore: Geh nicht zum H . . . Thor hinein, oder follteft 
du es doch thun, nimm dich vor dem Offizier in Acht, der dort auf 
der Wache fit.“ 

„Ah!“ machte Lientenant Schmauder. 

„Das ift fo eine alte Feldwebeld-Natur, die durchaus feinen 
Spaß verfteht, hat äußerlich und innerlich viel Aehnlichkeit mit 
einem Bleiſtift, fchreibt alles auf, was er hört und fieht. Sagte 
mir heute Morgen bein Abmarjch auf dem Paradeplage, ich jollte 
nich in Acht nehmen, ic} fei von der Artillerie und verftände deß⸗ 


Mißbrauch der PatrouillensZetiel, 195 


halb verflucht wenig von Wachtdienft. — Run, der foll und nicht 
fangen! Ich bin feft überzeugt, daß bei feiner Geburt au ſchon 
gefhoflen wurde, Schmauder heißt — — — — er, werr weiß, wie 
jebr! wie Hauptmann von Stengel zu fagen pflegt, und an Zlids 
material fehlt's bei ihm auch nicht.“ 

„Ab, das iſt zu ſtark!“ machte der Wachthabende, im höchften 
Grade entrüftet. 

„Scherze! Scherze !” fagte der Dragoner-Offizier, „wie wir fie 
feiner Zeit alle gemacht haben.“ 

„Sch nicht!“ betheuerte Lieutenant Schmauder. „Gott fol 
mich bewahren! Ich babe mich dergleichen nie unterflanden, und 
man follte eigentlich das Papier an die Commandantur fchiden, 
Wahrhaftig, ich würde ernftlich darauf antragen,, wenn es nicht 
gerade mich felbit beträfe.“ 

„Da es Sie nun aber felbft betrifft,” erwiderte fehr ernft der 
lange Eduard, „fo werden Sie um fo eher geneigt fein, zu vers 
zeihen.“ 

„Bas hat er denn eigentlich mit dem Flickmaterial ſagen wols 
Im? Das habe ich nicht reiht verftanden,“ fuhr ärgerlich der wacht⸗ 
babende Offizier fort. 

„O, das bat weiter nichts auf fich,” entgegnete lachend Lieu⸗ 
tenant Robert, „Das ift fo'ne Redensart unfers Hauptmanns von 
Stengel, die in der ganzen Brigade befannt ift; denn er hat fie 
einmal an einem ſchönen Tage vor dem Inſpecteur ausgekramt, als ihn 
diefer General wegen der ſchnellen und pünktlichen Bewegung feiner 
Batterie belobte, ihm darauf befahl, in Karriere vorzugehen und die 
große Scheibe mit Kartätjchen zu bedienen. Es Tag ein tiefer 
Graben vor der Batterie, und der General meinte, der würde fo 
brave Reiter und tüchtige Kanoniere nicht geniren, worauf der 
Hauptmann freudig ausrief: O, Excellenz, daran fehlt’3 nicht, wir 
tommen hinüber, an Flickmaterial fehlt's nicht. Batterie marſch! 
marſch!“ 


196 Viertes Kapitel. 


Alle lachten, und fogar Lieutenant Schmauder Tächelte ein 
wenig. 

„Es ift eigenthümlich,“ fagte der lange Eduard mit fanfter, 
rubiger Stimme, „wie ſich Xeute dergleichen angewöhnen können. 
Da babe ich einen alten Major gefannt — er tft jegt zur himm⸗ 
lifchen Kriegsreferve verfeßt — der konnte es nicht unterlaſſen, 
allen Befehlen, die er erließ, beizufügen: wie das denn auch nicht 
anders fein kann! Und das hat er fidh fehr angemöhnt. Eines Ta- 
ges zankte er fi ein wenig mit einem anderen Bataillone-Eoms 
mandeur wegen einiger Evolutionen, die man am Morgen beim 
Exerciren gemacht hatte, und fagte im Eifer des Geſprächs: Wenn 
ih das commandirt hätte, Herr Kamerad, fo wäre ich ja ein 
wahres Rindvieh — — Wie das denn auch nicht’anders fein kann!“ 
fegte er brummend hinzu. 

„D, Eduard!” antwortete laut lachend Lieutenant Robert; 
„dieſe Gefchichte befaß der Urgroßvater des feligen Meidinger ſchon 
handſchriftlich. Aber er ſchämte fi, fie druden zu laſſen.“ 

„Dann bewies Meidinger,“ verfeßte der Erzähler, „in dem 
Angenblide wenig Geſchmack, denn die Geſchichte iſt nicht ſchlecht.“ 

„Aber du haſt ſchon viel beſſere gemacht,“ meinte der Andere. 

„Laßt das jetzt gut fein,“ erwiderte der Dragoner-Dffizier. 
„Wir find ganz von der vortrefflichen Gefchichte abgefommen, die 
und Eduard erzählte. Schenkt eure Gläfer vol und laßt uns anf 
merkfam zuhören.” 

So gefhah es denn and. Auf's Neue wurde Punfh einge 
goſſen, der Unteroffizier von der Wache hatte den bewußten Brief 
abgeholt, und Eduard fuhr in feiner Erzählung fort: 

„Die TIhüre des Speifezimmers öffnete fih alfo, und ih fah 
vor mir die drei jungen Damen, die ich am Morgen in ihrem Wagen 
gefehen und gefprochen.“ 

„Das habe ich mir gedacht,” fagte der Dragoner. 

„Ratürlicherweife war ich überrafcht,, faßte mich aber gleich 


_ Mißbraud der Patrouillen-Zettel, 197 


wieder und entwidelte, als wir uns zu Tiſch fegten, eine Liebens⸗ 
würdigfeit, deren ich mich faum ſelbſt fähig gehalten. Ih ſaß 
da wie die Dorne zwifchen Rofen, rechts und links eines der 
hübfhen Mädchen, mir gegenüber Die dritte und der Papa.” 

„Bar er der Papa von allen dreien?“ fragte der Dragoner. 

„Das wird ſich fpäter finden,“ erwiderte der fange Eduard 
fortfahrend. „Ihr mögt denken, wa8 ihr wollt, idy war der Gegen 
Rand gefpanntefter Aufmerkjamfeit der drei jungen Damen, naments 
lih Einer derfelben.“ 

„Das kann ich mir denken,“ feufzte der Dragoners-Öffizier im 

fih hinein. — „Dh! e8 muß die Blonde geweien fein!“ 
« „Unfer Gefpräd drehte fich meiſtens um die vergangene Radıt. 
Mein Wirth hatte einen Bruder in dem bewußten Orte, zu dem 
man die Mädchen geſchickt, damit fie ſich wieder einmal recht aus» 
tanzen könnten. Er hätte, fagte er, wenig Rückſicht darauf genoms 
men, welche politifche Partei gerade diefen Ball arrangirt, fo arg 
jei e8 mit ihm doc) gerade nicht. Weberhaupt verfiherte er mich, 
er jet freilich ein Mann des Fortjchrittes, aber Fein Demofrat. 
Doch ſetzte er lächelnd hinzu, tft in meinem Haufe die Demokratie 
flark vertreten: meine beiden Töchter denken natürlich wie ich, aber 
dort meine Nichte, Die aud dem Oberlande bier zu Beſuch ift, ges 
bört einer Familie an, die völlig links überhängt. 

„Alfo die Eine war eine Nichte?“ fragte der Dragoner. — 
„Bielleicht die Blonde?“ 

„Eine von den Dreien,“ entgegnete der unerbittlihe Eduard 
und fuhr fort: „Darauf erzählten fie mir, wie der Lieutenant Worts 
mann den Ball unterbrochen habe, und wie er die Beiden arretirt, 
wie darauf Alles aus geweſen ſei und fich jedes ängftlich zu Bette 
begeben, und wie fie die ganze Nacht ohne Licht zugebracht, damit 
man glauben möge, ihr Zimmer fei unbewohnt. Bon mir wollten 
fie Dagegen wiften, wie ſtark unfere Truppenmacht gewefen, wer fle 
commandirt und ob ich mich ſelbſt im Gaſthofe eine Zeit lang 


198 Bierted Kapitel, 


aufgehalten. Das Leptere fchien namentlich die Nichte fehr zu. 
interefliren; denn ich muß geftehen, fie Taufchte meinen Worten 
mit der größten Aufmerkſamkeit, und dabei wurde fie bald blaß, 
bald roth.“ . 

„Natürlicher Weile,“ fprach ärgerlich der Dragoner, „warft 
du, wie bei jeder Gelegenheit der Haupthahn, hHatteft Alles allein 
gethban und warft überall ſelbſt geweſen.“ 

„Meiner Treu’, ich hatte gute Xuft dazu, und wenn du mein 
Freund nicht wäreft, fo hätte ih mich für dich ausgegeben. 
Wahrhaftig nur aus Areundfchaft ſprach. ich von einem anderen 
Offiziere, der ebenfalls die Nacht bei und zugebradht, von einem 
liebenswürdigen Offizier, von der Perle des ganzen Dragoners 
Regiments.” 

„D, Eduard, wir kennen Sie!” fagte der Hufar. „Sie hatten 
anfänglich große Xuft, das bewußte Abenteuer beftanden zu haben, 
Ste bauten auf das dunkle Zimmer und hatten fogar verfudht, Die 
Stimme unferes Freundes da ein wenig nachzumachen. Seien Sie 
pffenherzig, fo wollen wir Ihnen Hergeben.“ 

„Es iſt etwas Wahres darat, was ihr fagt, meine Kreunde,“ 
entgegnete lächelnd der lange Ednard. „Randen wir uns nicht zu=- 
fammen in Kriegözeiten, was fonnte es „Hm fhaden, wenn ich fein 
Nachfolger wurde?“ 

„Und das verfuchteft du in der That? geringe Seele!“ fagte 
der Dragoner-Offizier. 

Der lange Eduard zudte die Achfeln und entgegnete: „Wenn 
ihr mich nur nicht immer unterbrechen wollte! Ih war ja im 
Zuge, euch Alles fo offenherzig zu erzählen. Man war wahrhaftig 
geneigt, mich anfänglich für einen Anderen zu nehmen, wenigftens 
zwei der Mädchen, die Nichte weniger. Die fah mich öfters ver- 
ſtohlen an und fchüttelte leicht den Kopf. 

„ag!“ ſprach entzüdt der Dragoner zu fich felber, „es war bie 
Nichte!“ 





Mißbrauch der Patrouillen⸗Zettel. 199 


„Endlich fragte fie mich, nachdem fie lange über etwas nach⸗ 
gedaht — und fie that diefe Frage mit einigem Widerftreben, 
ih möchte faft fagen, mit bebenden Lippen — : „Und was würden 
Sie gethan haben, wenn wir zur Flucht der beiden Männer behälfs 
lich gewefen und Ihnen nun fo als Feindinnen gegenüber getre 
ten wären ?« 

„Und darauf antworteteft du?” fragte gefpannt der Dragoner. 

„Darauf antwortete ich: Meine Damen, es würde mir fehr 
leid thun, gegen das ſchöne Geſchlecht Hart aufzutreten, aber in 
dem Falle hätte ich Sie da behalten müfjen, bis fih die Sache 
aufgeklärt.“ 

„Ha! ba! ha!“ lachte der Dragoner⸗Ofſizier; „das antworteteft 
du? Du haft deine Sache gut gemacht.“ 

„Das meinten die jungen Damen nicht,“ fagte fein Tächelnd 
Eduard; denn die Nichte entgegnete mir, ich ſei nicht der Rechte, 
dem fie fih anvertrauen könne, und fie fet erfreut darüber, mir 
in der vergangenen Nacht Feinen Anlaß zu Mißtrauen gegeben zu 
haben.“ 


„And das troß aller Ihrer Liebenswürdigkeit ?“ lachte der 


Huſar. „Armer Eduard! Die Nichte muß ein felſenhartes Herz 
haben. Und ſo brachten Sie Ihren Tag zu in Einſamkeit und 
Unſchuld, wie es einem Lieutenant von der Infanterie zukommt?“ 

„Nicht fo ganz” meinte der alſo Verhöhnte. „Wißt ihk viel— 
leicht nicht, daß jeder Erzähler etwas für ſich behält, meiſtens das 
Beſte, was er die Zuhörer nur ahnen läßt. So viel kann ich euch 
verſichern, ich erlebte eine angenehme — — einen angenehmen 
Nachmittag und Abend, wollte ich fagen, auf dem Heinen Landgute.“ 
— Dabei warf er aus feinen Augenwinkeln einen Tächelnden Blick 
“auf den Dragoner-Offizier. 

„Aber wie tft es denn eigentlich mit den beiden Gefangenen 
geworden?” fragte Lieutenant Robert. "„Keine Spur mehr von 
den Rechten ?« 


’ 


200 Biertes Kapitel. 


„Mit den Rechten hat er Unglück,“ entgegnete lächelnd ber 
Dragoner-Offizier. „Er kommt immer an die Unrechten.“ 

„Teufel! wenn ich mir denka,“ fagte Lieutenant Nobert, „daß 
das nach B. berichtet wird, das kann dir in deiner Karriere fchaden. 
Man wird dir nicht nur Nachläffigkeit im Dienft vorwerfen, fondern 
fogar Sympathieen für die Schneider und Schreiber, für die Ge 
fährlichften unter den Gefährlichen.” 

„Welchen Tag haben wir heute?“ fprach verächtlich Lächelnd 
der lange Eduard. 


„Es iſt Mittwoch,” entgegnete Robert. 


„Bott der Gerechte! erſt Mittwoch und ſchon fo ſchlechte Witze! 
Nobert, du biſt in B. ungeheuer verwildert.“ | 

„Was will er damit fagen?“ fragte der Hufaren-Offizier. 

„Es tft etwas Meidinger,“ erwiderte der ArtilleriesZieutenaut, 
„aber doch nicht ganz ſchlecht. Eduard behauptet -nämlich, ich 
mahe mir Sonntagd meine Wige für Die ganze Woche voraus 
und fange fie nun an zu gebrauchen, natürlich die beften zuerft, 
und fo blieben denn die fchlechteften für die legten Tage der Woche. 
Das ift feine geiftreiche Erfindung.“ 

„Aber von dir fo matt vorgetragen,” antwortete Eduard, „daß 
es Samftag Abend fein könnte, wo dir bekanntlich nicht mehr vie 
Spur-eined guten Einfalles übrig bleibt!“ 

In diefem Angenblide hörte man draußen vor der Wachtſtube 
laute Stimmen, Leuten angehörend, Die mit einander zu zanfen 
fhienen und die fo heftig durch einander fchrieen, daß fih der 
Wachthabende veranlaßt fah, nah der Urſache dieſes ſeltſamen 
Lärmens zu forſchen. | 

Doch kaum hatte er die Ihüre des Wachtlokals geöffnet, fo 
näherten fi die Stimmen, und gleich darauf ſah man vor der 
Thüre Gewehrläufe glänzen, hörte die Kolben auf den Boden nies 
berfegen und ſah in der erften Linie der Herandrängenden einen 





| 
! 


Mißbrauch der Patrouillen»Zettel, 201 


Kerl, der gewaltium der Offizier Wachtftube genähert wurde, indem 
ein PolizeisBeamter aus allen Kräften hinten an ihm ſchob. 
Der Gefchobene hatte beide Hände in Die Hofentafchen geftedt, 


 atrug den Hut etwas auf der rechten Seite, aber ſtark vornüber, 


und lehnte fi mit feltfam lächelndem Gefiht fo weit rüdwärts, 
daß ihm der Polizei: Beamte nicht nur hereinfchieben, fondern auch 
in feinen Armen aufhalten mußte. So famen die Beiden nur 
langfam vorwärts, und ed dauerte eine Weile, ehe der Arreflant in 
dad Zimmer gefchoben war. 

Diefer war eigentlich eine komiſche Geftalt: fehr Hein und 
unterjegt, waren ihm doc fämmtliche Kleidungsftüde zu kurz und . 
zu eng. Die grauen Hofen zogen fich unten beträchtlich in die 
Höhe und oben ftark in die Tiefe. Gin fchwarzer Brad, fchief zus 
gefnöpft, zeigte ein gelbes Hemd und einen einzigen Hofenträger; 
tie Halsbinde war ſchwarz und firidartig und rahmte einen Kopf 
ein, der pfiffig lächelnd drein fehaute und deflen ruhige Züge weder 
Angft noch Erſtaunen ausdrüdten. 

Die Thüre ſchloß fih hinter dem PolizeisBeamten, der feinem 
Arreftanten den Hut vom Kopfe nahm und ihm in die Hand geben 
wollte. Da diefer aber hartnädig feine Hände in den Hofentafchen . 
behielt, fo drüdte er ihm denſelben zwifcken einen Arm, wodurd 
die Geſtalt etwas ungleich Komifcheres erhielt. 

„In der Hahnenftraße,“ veferirte der Polizeis-Beamte, „war ein 
Meiner Auflauf und eine unbedeutende Schlägerei, dabei wurde natürs 
licher Weiſe geichrieen und gelärmt, aber ganz in der hergebrachten 
Weiſe; da vernahmen wir aufeinmal eine Stimme in der Rachbarfchaft, 
weldye beftändig ſchrie: So ift es recht, Freunde und Mitbürger, das 
Volk will frei fein! Schlagt eure Angreifer nieder! feine Knechtſchaft 
mehr? Freiheit für und alle: So ſchrie ed mit einzelnen Zwifchens 
paufen mit einer heiferen, grungenden Stimme, und lange wußten wir 
nicht, woher diefe Worte famen. Wir fahen nad den Zenftern 
Binauf, und endlich bemerkte ich an einer Straßenerde, in einer 


202 vBViertes Kapitel. 


Niſche, wo früher irgend ein Heiliger geflanden, diefe Figur, wie 
fie hier vor Ihnen ftebt, die Hände in die Tafche geftedt und immer 
fortfchreiend: So iſt e8 recht, das Volt muß frei fein!“ 

Ein verächtliches Lächeln umfpielte bei diefer Erzählung die 
Züge des Angeklagten. Er nickte fogar einige Male mit dem Kopfe 
und ſchien fehr zufrieden mit dem, was er gethan. | 

„Ber find Sie?” fragte der Wachthabende. 

„Ein freier Dann!“ war die Antwort. 

Worauf fih der lange Eduard nicht enthalten Fonnte, zur fagen, 
er verfenne offenbar die Verhältniffe, in denen er ih im Augen 
blicke befinde. 

„Ein freier Mann,“ wiederholte der Angeklagte, „wenn auch 
in Ketten und in Banden.“ 

„Man bat Sie in der Hahnenſtraße auf einem Eckſtein ſtehend 
gefunden,” fuhr Herr Schmauder fort, „in einer Nifhe, wo Sie 
Ihre Perfon verbargen und von dort aus das Volk anfzuwiegeln 
verfuchten, indem Sie fchrieen: Schlagt zu! fo iſt ed recht, das 
Bolt muß frei fein!“ 

„Das ift alles wahr,“ verjegte der Angellagte, indem er ftolz 
den Kopf erhob. | 

„And Sie riefen die eben bemerkten Worte in der Abficht, 
den Tumult zu vergrößern und Ihre Mitbürger zu nnüberlegten 
Handlungen fortzureipen?“ 

„Richt fo ganz!“ entgegnete der Angellagte mit einen pfif- 
figen Lächeln. „Wiſſen Sie, Herr Lieytenant, der Tumult konnte 
eigentlich nicht: größer werden, die Kerle fchlugen fih — ed war 
an der großen Bterbrauerei — tüchtig genug herum; doch ſchlugen 
fie fih wegen feiner großartigen Idee; ed war nichts Bollstihä m- 
liches, nichts Freifinniges dabei; e8 war nur der elende Drang 
gemeiner Seelen, einander das Nafenbein zu zerfchlagen. Mein 
Zweck ift ein weit edlerer, ich haſſe folche gemeine Ausbrüdhe Der 
Volkswuth.“ 








Borberett. 3. Feldzug. WahtfiubensAbentenuer. 211 


acht Feldgefhüge in einer Reihe ftehend, feldkriegsmäßig verpadt, 
fogar das Futter auf die Prope gebunden. Auch bier ein Poiten, 
der wo möglich mit noch größerer Wichtigkeit auf und ab marſchirt, 
und der häufig zu den Fenſtern empor fchaut, wo die Kameraden 
in luſtigem Geplauder auf die Kanonen fehen. Die Schildwadhe 
ſpäht namentlich aufmerffam, ob fich zwifchen den lachenden Köpfen 
dort oben nicht ein verdächtiger Tabaksdampf herausringelt; — 
das Tabakrauchen ift nämlich heute fireng verboten, denn die Pro⸗ 
gen der Stüde im Hofe find mit fharfer Munition beladen. 

Berlafien wir den Hof wieder und gehen hinter das Fort, fo 
bemerfen wir auf taufend Schritt weiter in dad Land hinein, und 
alfo um fo viel ferner von der Stadt, ein kleines graues Gebäude, 
defien Dach mit einem hohen Blipableiter verfehen ift, und um 
das fi rings Hohe NRafenwälle erheben — ein Haupt-Pulver- 
Magazin und Laboratorium. Hente ift e8 umgeben von bunten 
Uniformen, und da ed nun Feierabend ift, fchwärmen die Artiffes 
rilten aus der engen Oeffnung hervor, wie die Bienen aus ihrem 
Korbe. Auch Wagen werden von zwei Pferden gegen das Fort 
geführt, Tange blaue Fahrzeuge mit hohen Rädern, Gartouche- und 
Granat⸗Wagen, die dort verpadt wurden. Auf dem Glacis des 
Forts fteht Schon eine hübfche Anzahl derjelben, aud) Vorraths- und 
Pack⸗Wagen aller Art, Alles feldkriegsmäßig verpadt; daneben ſo⸗ 
gar die Feldfihmiede, ein bis jept fat fabelhaftes Geräth; Denn 
man fah fie nur in dem Batterie-Magazine oder beim Unterrichte. 
Auch iſt Alles hier fo neu und glänzend, fo ungebraudht und frifch, 
wie das lederne Schurzfell des Battertefchmiedes, der Kohlen in 
die Behältniffe padt und den großen Blasbalg einfchmiert, damit 
er feiner Zeit recht brauchbar fei. Die verſchiedenen Lnteroffiziere 
und Gefhügführer fehen Die Cartouche- und Kugel» Wagen noch⸗ 
mals an und rütteln an den einzelnen Schüffen, ob fie auch recht 
feft im Werge liegen. 


Eine lange, und wohlbefannte Geftaft ſteht zu Ddemfelben 


204 Viertes Kapitel. 


den. Diefe Geliebte aber hat einen Freiheitsdrang in fi, Dr, 
außerordentlich und erſtaunlich iſt.“ 

„Wo dient diefe Geliebte?” fragte raſch der PoligeisBeamte. 

„Sie dient nicht, Herr Commiſſär,“ entgegnete der Andere und 
machte ein fonderbar fpiped Maul gegen den Beamten. — „Sie 
ſitzt. — 

„Im Zuchthaufe vielleicht?“ 

„Bitte um Entfhuldigung! — nein; auf ihrem Eigenthum. 
Sie liebt die Freiheit und mich; doch ftrebte fie danach, mid, groß, 
zu ſehen. Herodes, fagte fie — ich heiße nämlich Herodes, Hen 
Lieutenant — mache dir einen Namen, werde berühmt und ich bin 
die Deinige. Nun iſt e8 aber eine eigene Sache damit, fich einen 
Namen zu machen.“ 

Die umftehenden Offiziere, fowie der Polizei-Commiſſär fahen | 
fih einigermaßen erſtaunt an. 

Ein jeltfames Feuer blipte aus dem Auge des Arreftanten; er 
309 die Augenbrauen hoch empor und fuhr wie nachdenkend fort: 
„Zum Abgeordneten bin ich zu ehrlih, Minifter kann ih nidt 
werden, denn der enge Kragen der Uniform thut mir weh und er⸗ 
innert mid an fo Manches. Alſo ſprach fie zu mir: Zeichne did 
dadurch aus, daß man dich arretirt, werde ein Martyrer für die 
Freiheit, und ich willige ein, deine Königin zu fein.“ 

„Ei der Tauſend!“ verfepte der Polizei-Beamte lächelnd, in 
dem er den Offizieren ein Zeichen machte; „Eure Herrlichkeit wollen 
und nur verfpotten und fcheinen incognito hier zu fein.“ 

„Wenn ich das wirklich bin, fo geziemt ed meinen Unter: 
thanen nicht, den Schleier dieſes Incognito lüften zu wollen. Ge 
nug — man arretire mich, man fprenge in der Stadt aus: ber 
große Herodes iſt arretirt worden, und Sie werden die Folgen 
diefes Greignifjes fchon fehen.“ | 

„Nun, wenn Sie das fo dringend wünſchen,“ fagte der Polizeis 
Beamte, „fo fommen Sie nur mit mir. Ih will Eure Herrlichkeit 








Mißbrauch der Patrouillen-Zettel. 207 


Der Huſaren⸗Offizier, der durchaus keine Luſt hatte, dem bei⸗ 
zupflichten, zuckte ernfthaft die Achſeln. 

Ebenſo machte es der Dragoner, und Lieutenant Robert ſagte: 
„Es gibt in der That ſolch' merkwürdige Naturen.“ 

„Ich habe einen Bombardier der Artillerie gekannt,“ ſagte der 
lange Eduard ruhig und bedächtig, „den verkannte die ganze Bat—⸗ 
tere. Er war nie zu Haufe, fam immer nad) den Zapfenftreich, 
und doch fah ihn Niemand in einem Wirthshauſe; das war ein 
Räthſel für alle feine Kameraden und für die Offiziere. Er hieß 
Peter Schmig und war überhaupt eine träumerifche Natur; pünfts 
ih in feinem Dienſt, war er in feinen Freiftunden beitändig ver- 
ihbwunden. Man fing ſchon an, ihm allerhand böje Gefcichten 
unterzufchieben, man hielt ihn für fähig, eim verfluchter Kerl zu 
fein, wie Sie vorhin den Friedrich Wilhelm Hornemann, und 
mdlih . . + 

„Run denn, was ward?“ 

„Endlich erfuhr man, womit Peter Schmig feine Freiftunden 
zubrachte. Er lernte Hunde fcheeren und brachte es darin zu einer 
joihen Bolllommenheit, daß er nicht blos für die Xientenants, 
jondern auch für den Hauptmann fcheeren durfte, Das iſt eine 
‚ganz wahre Geſchichte, und der Peter Schmig lebt noch.“ 
| Damit war der lange Eduard aufgeftanden, hatte feine Schärpe 
zurecht gezogen und ſetzte die Pidelhaube auf, Er blinzelte aus 
tem Tinten Augenwintel dem Kavallerie-Offiziere, fowie Robert zur, 
worauf fich der Letztere plößlich dieſer fonderbaren Gefchichte zu 
erinnern ſchien und beiftimmend mit dem Kopfe nickte. 

Darauf erhoben fi) die Bäfte, un Hach Haufe zu gehen. 

Der Ilnteroffigter der Wache nahm den Brief und den Pas 
'trouiflen= Zettel, widelte Beides zufammen und fchicte es zu dem 

Gommandanten des E.... Thores. Hätte er nur den Patrouillen⸗ 
Bettel etwas genauer angefehen, fo würde er in der Ede defjelben 
die artige Zeichnung eines Seläingerjeliebers mit ſechs Blättern 


| 


206 Viertes Kapitel, 


„Mein liebes Bruderherz!“ 


(So fchrieb der Wachthabende vom Fort Nr. IV, ein wohlbe: 
ftallter Bice-Bombardier.) 

„Ih erhielt dein Schreiben per Patrouille und muß geftehen, 
zu meinem nicht geringen Schreden. Ein folches Unternehmen 
gegen die praktiſchen und beiljamen Regeln des Wachtdienſtes iſt 
ganz unerhört; eine Patrouifle ift doch wahrhaftig kein Briefträger 
und wurde nicht erfunden, um Privat-Correfpondenzen zu beforgen. 
Doh genug davon! Erlaß mir aber die fpezielle Beantwortung 
deines Schreibend. Du mutheft mir Sraufames zu — Oh! — 
oh! nieine beiden Kanontere können dir morgen bezeugen. daß id 
faft geweint habe. Kein Wort mehr darüber; du Fennft mid. 
Uebrigens bin ich wie immer 

„dein wohlmeinender Freund, College und Mitbedienfteter 
Friedrih Wilhelm Hornemann, 
Vice Bombardier in St. Königl, Maj. 7. Artillerie: 
Brigade und Wachthabender in des Forts Nr. IV 
wallumgrängten Mauern.“ 


„Nachſchrift. Wenn Du die chriftlihen Abendftunden mit 
auf Wache haft, fo fchide fie mir durch die nächfte Patrouille. Das 
könnte vielleicht nicht verboten fein. Was unfern würdigen 
Eommandanten der Hauptwache anbelangt, fo mer!’ Dir meinen 
Leibſpruch: 

Spiele nicht mit Schießgewehr, 
Denn es fühlt wie du den Schmerz; 
10%, Uhr Nachts.“ 

Sp lad der Lieutenant Schmauder, und dann fchaute er d 
Reihe nach die Kameraden an, während er fagte: „Ich glaube, d 
Friedrih Wilhelm Hornemann ift ein verfluchter Kerl, auf 
man ein Auge haben follte,“ 











| Vorbereit. 3. Feldzug. Wachtſtuben-Abentener. 209 


Fünftes Kapitel. 


Vorbereitungen zum Feldzuge und Wachtſtuben⸗Abenteuer, aus welchen wir erfahren, daß 
Juno keinen Anſtand hatte und Jupiter betrunken war. 


Schon einmal folgte uns der freundliche Leſer in einige der 
kleinen Wachtſtuben, wie fie die um eine bedeutende Feſtung liegen⸗ 
den kleinen detachirten ortd bieten. Damals aber war ed Wins 
ter, die Mauern ded Forts ragten dunkelgrau aus der weißen 
Schneedecke empor, welche die Feine Feſtung rings umgab; von der 
volfreihen Stadt bemerkte man nichts, ald den Glanz einiger Xich- 
ter, und allenfalld der Poiten vor dem Gewehr, wenn er einen 
Augenblid ftille ftand, ein eigened Sumfjen und Rauſchen, wie 
man ed in der Nähe großer Städte hört. Damals war die Wacht: 
tube recht einfam; zwei Kanoniere faßen um den Ofen, der wacht- 
babende Bombardier lag auf einer Bank ausgeftredt, und rings 
umber war es fo ftill und ruhig, daß man den Schnee von drauf 
fen Enirfchen hörte, wenn die Schildwache auf und ab fchritt, und 
tag man dad Saufen dee Nachtwindes vernahm, der mit den fahlen 
Aeſten der Birken und Ulmen jpielte, 

Daran denke, lieber Leſer, und du wirft finden, daß, wenn 
auch der Ort derjelbe geblichen iſt, fi Doch Alles wie mit einem 
Zauberſchlage verändert hat. 

63 ijt Frühliug geworden, verfchwunden Das weiße Leichen: 
tud, das die Erde bededte, und im faftigen, neu aufiprofienden 
Grün liegt dad Fort mit feinen gewaltigen Mauern in einem klei— 
nen Walde, der in diefer Zeit anfängt, fi) auf's wunderbarfte zu 
beleben. Zweige der Bänme, noch vor wenigen Tagen kahl und 
nadt, fo daß man das Fort in ihrer Mitte deutlich erkennen fonnte, 
fangen, von Weiten gejehen, an, ſich mit einem leichten Dufte 
zu befleiden. Diefer Duft gleicht zuerft einem grauen, durchſich⸗ 
tigen Schleier, der aber allmälig dichter wird und die Farbe 


wechſelt. Heute fpielt das Grau in's Nöthliche, morgen beffeidet 
Gadländers Werte. V. 14 


"210 - Zünftes Kapitel. 


ed fich mit einem violetten Schimmer; diefer dunkelt täglich mehr 
zufammen und verfchwindet endlich in einer Schattirung von Blau 
und Grün, — zwei Zöne, die mit einander zu kämpfen fcheinen, 
und von denen endlich der leßtere die Oberhand behält; Grün if 
Sieger — Grün, dad Zeichen des Frühlings. Und diefen Sieg 
ſchmettern unzählige Lerchen, wenn fie empor fteigen aus den 
dampfenden Xeldern, in die Luft empor, und fagen es all’ dem 
Heinen gedrüdten Bolfe an, das fi bis jept ängſtlich erwartend 
verbarg unter der Schnee- und Eis⸗Decke. Wie purzeln nun die 
Blätter in Iugendfener aus der umfchlingenden dunkeln Knospe; in 
einer Nacht haben fie fich geftredt und gedehnt, Haben das dürre Holz 
bededt und das altegraue Kort miteinem grünen Schleier umzogen. 

Da liegt ed nun vor und im freien Felde, und über den 
Bäumen empor ragt der Hauptthurm mit feinen Zinnen und der 
Zahne, die Iuftig im Winde flattert. Da liegt ed, auf den flam- 
menden Horizont, wo die Sonne eben untergeht, ſchwarz und mais 
jenhaft abgezeichnet; da liegt es, nicht mehr ftill und einfam wie 
damals, todt, vergeflen, fondern voll Leben und Getreibe, voll lu⸗ 
ftiger Bewegung. 

Es ift etwas Zauberhaftes um fo eine zwifchen Grün verſteckte 
Feſtung. Wie in einem Parke fchlängeln fih die Wege friedlich 
und harmlos hinan, und erit beim „Wer da?“ der Schildwade 
führt der Unbekannte zuſammen, und fieht erſchreckt, daß er fich einem 
verbotenen Terrain genähert. Aber wir, der Leſer und der Erzäh⸗ 
ler, dürfen hinein, wir find ja alte Bekannte, 

Der Poſten am Ende des Glacis, ein reitender Artillerift, 
dDiefes Mal aber zu Fuß, hat den Säbel leicht im Arme, die Pi 
ckelhaube kühn auf Das Ohr gefchoben und macht ein martialiiches 
Geſicht. Gehen wir weiter, wir werden fchon erfahren, weßhald 
er mit fo viel militärifhem Stolz feinen Poſten verfieht. Dort 
liegt der Hof der Heinen Feſtung vor uns, aber nicht mehr in der 
alten Einfanfeit, leer und öde, fondern der erftaunte Blick bemerkt 





Borbereit. 3. Feldzug. Wahtftubens Abenteuer. 211 


acht Feldgefchüge im einer Reihe ftehend, feldkriegsmäßig verpadt, 
fogar das Futter auf die Prope gebunden. Auch hier ein Poſten, 
der wo möglich mit noch größerer Wichtigkeit auf und ab marſchirt, 
und der häufig zu den Fenftern empor fchaut, wo die Kameraden 
in Iufligem Geplauder auf die Kanonen fehen. Die Schildwache 
fpäht namentlich aufmerkfam, ob fich zwiichen den lachenden Köpfen 
dort oben nicht ein verdächtiger Tabaksdampf herausringelt; — 
das Tabakrauchen ift nämlich heute ftreng verboten, denn die Pros 
gen der Stüde im Hofe find mit ſcharfer Munition beladen. 

Berlafien wir den Hof wieder und gehen hinter das Fort, fo 
bemerfen wir auf taufend Schritt weiter in das Land hinein, und 
alio um fo viel ferner von der Stadt, ein Feines graues Gebäude, 
defien Dach mit einem hohen Blipableiter verfehen ift, und um 
das fih rings Hohe Raſenwälle erheben — ein Haupt-Pulvers 
Magazin und Laboratorium. Hente tft e8 umgeben von bunten 
Uniformen, und da ed num Feierabend ift, ſchwärmen die XArtilles 
titten aus der engen Oeffnung hervor, wie die Bienen aus ihrem 
Korbe. Auch Wagen werden von zwei Pferden gegen das Fort 
geführt, Tange blaue Fahrzeuge mit hohen Rädern, Gartouches und 
Granat: Wagen, die dort verpadt wurden. Auf dem Glacid des 
Forts fteht fchon eine hübfche Anzahl derjelben, and) Vorraths⸗ und 
Pack-Wagen aller Art, Alles feldfriegsmäßig verpadt; daneben fo= 
gar die Feldfchmiede, ein bis jept faft fabelhaftes Geräth; denn 
man fah fie nur in dem Batterie Magazine oder beim Unterrichte. 
Anh ift Alles hier fo nen und glänzend, fo ungebraucht und frifch, 
wie das lederne Schurzfell des Batteriefchmiedes, der Kohlen in 
die Behältniffe padt und den großen Blasbalg einfchmiert, damit 
er feiner Zeit recht brauchbar fei. Die verfchiedenen Linteroffiziere 
und Gefchügführer fehen die Cartouche- und Kugel: Wagen noch 
mald an und rätteln an den einzelnen Schüifen, ob fie auch recht 
jet im Werge liegen. 


Eine lange, und wohlbefannte Geſtalt fteht zu demfelben 


212 Fünftes Kapitel. 


Zwecke auf den Speichen eines Rades und überblickt prüfend die 
hübſchen Granaten, wie fie fo zierlich neben einander liegen, die 
Zünderköpfe auf's befte gerichtet, die weißen Kreuze überall fight: 
bar, und von der Kugel felbft nur eine Heine fchwarze glänzende 
Fläche. — „Das iſt Die Poeſie des Militärftandes,“ fagt die lange 
Perſon und breitet eigenhändig die fhügende Dede über die Mu- 
nition, fchließt den Dedel des Wagens und ſpringt auf die Erde herab. 

Der Leſer wird uns erlauben, day wir ihm in diefer langen 
Geftalt unferen alten Belannten, den nunmehrigen Feuerwerker 
Dofe, vorftellen. Er ift als folcher bei der Batterie eingetheilt 
worden und hat die große Ehre, der reitenden Batterie erfte Haus 
bipe zu commandiren. 

Feodor Dofe hat den Säbel in der Koppel feftgehängt und 
in den Bügel feiner Waffe einen Schlüſſelbund befeftigt,, den er 
nun ablöst und den Granatwagen ſchließt. Dann nimnt er den 
Säbel unter den Arm, inftruirt nochmals den Poften und geht in 
das Innere des Forts zurüd. 

Wir brauchen wohl nicht erit zu fagen, daß die reitende Bat: 
terie des Hauptmanns Stengel hier in dem Fort cöncentrirt wurde, 
um morgen nit dem Früheſten abaumarjchiren, nicht zu einem 
friedlichen Mandver, fondern zu Kampf und Sieg. Die Soldaten 
haben ihre Mantelfäde gepadt, haben zurückgelaſſen und verabſchie— 
det, was ihnen für einen Feldzug mitzuführen zu befchwerlich il: 
überflüffige Kleidungsſtücke, überflüffige Wäfche — überflüffige Ge 
Tiebten. Diefe drei Artikel verlaffen nach einem traurigen Abjchiede 
das Fort, und die lepteren ziehen fich fchluchzend nach der Stadt 
zurück. Was von Unmilitärifhem zurückbleibt, iſt vielleicht eine 
alte Mutter oder ein alter Vater, die ihren Sohn mit ſich hinaus— 
ziehen bis dahin, wo dad Glacis aufhört und die weite Ebene an— 
fängt. Hier fegen fie fich neben einander hin zwifchen die auffei- 
menden Blumen und fihauen lange, ohne ein Wort zu fprecden, 
weit, weit hinaus, bis wo fih am Horizont einige Bäume abzeich- 


—im —— 


Vorbereit. z. Feldzug. Wachtſtuben⸗-Abenteuer. 213 


nen. Dort liegt das heimatliche Dorf, wo vielleicht im gleichen 
Augenblicke thränenerfüllte Augen nach dem im Nebel verſchwinden⸗ 
den Fort blicken. 

„Du biſt nun einmal Soldat,“ ſagt der alte Vater nach einem 
laͤngeren Stillſchweigen, „und haſt deinem König Treue geſchworen, 
und du weißt deßhalb, was du zu thun haſt. Deine Sache iſt, 
blindlings dem Commandoworte zu gehorchen; das iſt deine Pflicht, 
ohne weitered Nachdenken, ohne Grübelei. And wer feine Pflicht 
thut, dem wird Gott helfen.“ 

Mit diefen Worten fteht der Alte auf, fehüttelt feinem Sohne 
die Hand und geht ohne Weitered von dannen, und der Soldat 
fhleiht über das Glacis nad) dem Fort; er blickt noch ein paar⸗ 
mal rũckwärts, doch bleibt er nicht Tange trübe geftimmt. Lachend 
empfangen ihn feine Kameraden, luſtig fehmettert die Trompete, 
denn von der Stadt herüber rollt dumpf der Trommelfchlag des 
Zapfenftreiches. 

Feuerwerker Dofe hatte feine Gefchäfte beendigt; fein Mans 
telfad war fo in vollfommenfter Ordnung, dag man ihn zum Mus 
fer in irgend einem nilitärifchen Mufeum hätte aufhängen fönnen. 
Da fehlte nichts, von der Montirung Nr. 2 an bis zum Näbs 
Apparat und Verbandzeug. Xepteres hatte Feodor mit einem wehs 
müthigen Gefühle zufammengepadt ; denn ald Mann von Phantafle 
dachte er bei ſich: Wenn diefe Meinen Röllchen einftens abgemwidelt 
werden, fo ift wahricheinlich Die Zeit vorbei, wo du in dieſem 
irdiſchen Jammerthale Gedichte madhteft. 

Aus früheren Kapiteln wifjen wir bereits, daß Dofe nicht in 
den Fall fam, von einer Geliebten Abichied nehmen zu müſſen; 
auch was den Bater Dofe oder die Mutter Dofe anbelangte, fo 
können wir nichts davon berichten und find nur dur dad Dar 
ein Feodor Doſe's überzeugt, daß demfelben einft ein elterliches 
Dofenpaar gelebt. So war Feodor einfam und allein, und wir 
haben ihn oft fagen hören, wenn zufällig die ganze Welt ausftürbe, 


214 Fünftes Kapitel. 


würde er nach der geſetzlichen Erbfolge nicht einen rothen Heller 
erhalten. 

Am heutigen Abend nun wandelte er durch das Thor der 
kleinen Feſtung in den Hof, und hier ſummte es noch wie in einem 
Bienenſchlage. Doſe begriff am allerbeſten dieſe Aufregung; denn 
auch er verſpürte am Vorabend des wichtigen Ausmarſches nicht 
die geringſte Luſt zum Schlafen und hätte um Alles in der Welt 
fein kleines Zimmer noch nicht aufſuchen mögen. 

Da es nun in dem ort fein Wirthshaus gab, fo wandte fid 
der Feuerwerker nach dem einzigen Berfammlungsorte, wo man fid 
zu einem leichten Geplauder zufammenfand — der Wachtſtube. 

Lieber Leſer! es tft diefelbe, die wir dir einft beichrieben 
haben, das Heine cafemattirte Gemach mit feinen grauen Wänden 
und dem einzigen Beinen vergitterten Fenſter — eigentlich nur eine 
mit Glas verfehene Schießſcharte. Am heutigen Abend aber hatte 
tie Wachtſtube etwas Heimliches, Freundlies; die Thüre nad 
den Hofe zu fand weit offen und zeigte die acht Gefchüge mit 
ihren blanken Rohren, die auf und ab wandelnden Poften und die 
Artilleriften, welche fih noch plaudernd hier und da anf dem Hofe 
umbertrieben. 

Da, wie Schon gefagt, mit allem Neberflüffigen nun aufgeräumt 
wurde, fo verbrannte man in dem Dfen der Wachtftube allerlei altes 
Holzwerk, wad dem Gewölbe eine angenehme Wärme gab, die man 
heute Abend leiden konnte; denn trogdem der Frühling anfing zu 
herrſchen, waren doc die Abende noch recht kühl. 

In der Wachtſtube war auserleſener Cercle. Die melften 
Gefhügführer hatten fich eingefunden und ſaßen in einer Reihe 
auf der Britfche. Ja, der Wachtmeifter verfhmähte es nicht, feine 
Eigarre zu rauchen, und fogar Lientenant L., den wir in Geſell⸗ 
fhaft des Hauptmanns Stengel kennen lernten, fland am Eingange, 
hie und da an dem Geſpräche Theil nehmend. 

Natürlich drebte ſich dieſes längere Zeit um den morgenden 


Borbereit. 3. Feldzug WadhtflubensAbentener 215 


Abmarſch, um die wahrfcheinlichen Ereignifie der nächſten Zeit, 
um Kampf und Sieg. Wir müfjen geftehen, daß unter all diefen 
Reuten nicht ein Ginziger war, der ſchon im wahren Sinne des 
Borted Pulver gerochen oder eine Kugel faufen gehört; dagegen 
brannten Alle vor Verlangen, bald einmal tüchtig in’s Gefecht zu 
tommen, um im Kriege.zu zeigen, daß fie auf dem Exercirplatze 
etwas Tüchtiged gelernt. 

Draußen vom Glacis herein hörte man die Schildwache ihr: 
„Halt! wer da?“ rufen, und dad galt meiltend berumftreichenden 
Kameraden, die ebenfalld noch nicht Luſt hatten, in die engen Stu» 
ben zurüd zu kehren; ed wurde indeß heute Abend darauf nicht fo 
ſtreug geſehen. Man merkte andy meiftens an dem Rufen des Pos 
ftens, dag er gut wußte, wen er vor fi) habe, denn gewöhnlich 
Hang ein Leichtes Lachen mit hindurch. — Jetzt aber mußte etwas 
Anderes kommen, denn der Auf war fefter, gemefjener, auch wieder: 
holte er fih in Furzer Zeit zweimal. Bald darauf hörte man 
Dierdegetrappel und bemerkte zwei Reiter, die in den Hof ritten. 
63 waren der Hauptmann der Batterie und Lieutenant Robert; 
Erſterer Behufs einer Meinen Infpection, Letzterer, weil er ebenfalls 
fein Quartier in dem Fort hatte und heute, an dem Tage vor dem 
Abmarfch, gleich nach dem Zapfenſtreich dort fein follte, wie es der 
Batteriechef gewünfcht. 

„Mir fiheint,” fagte der Hauptmann, „man ift bei guter Zeit 
fertig geworden ; die Gefchüge ftehen hübſch rangirt, ebenfo draußen 
unfer Keiner Munitionspark. So ein Anblid thut doch dem Hers 
zen wohl; werr weiß, wie fehr!“ 

Lientenant 2. verließ die Wachtfinbe und trat zu den beiden 
anderen Offizieren, indem er ihnen einen guten Abend wünfchte. 
— „Herr Hauptmann!“ meldete er darauf, „das Munitiond-Ber- 
paden hat ungefähr bis acht Uhr gedauert; jeder Wagen ift aber 
au jet in der beften Ordnung, — vortrefflihe Munition, ſchön 
und feit verpackt!“ 


916 Fünftes Kapitel. 


„Das glaube ich wohl,” ermwiderte ernft und ſtolz der Haupt⸗ 
mann; „habe ih mir doch auch die Sache fehr angelegen fein 
lafien, und was die Verpadung anbelangt, die mußte famos aus⸗— 
fallen, denn an Flickmaterial fehlt's nicht, und ich kenne meine Un— 
teroffiziere. — Was macht Dofe? Wie hat er feinen Granatwagen 
beforgt?“ 

„Bortrefflih, Herr Hauptmann! Der Feuerwerker ift ein 
wahrer Schatz für die Batterie; er fah überall nad, half au 
allen Fahrzeugen und ift wohl Urſache, daß wir fo früh fertig 
gemorden.” 

„9050!“ fagte der Haupimann, „das freut mich, werr weiß, 
wie fehr! Hab’ eine glüdliche Hand in folchen Dingen, kenne meine 
Leute; ich glaube überhaupt, daß die Batterie mit ihren Unters 
vffizieren gut verfehen ift, und das iſt eine große Hauptfade, meine 
Herren! Werr weiß, wie fehr! — Nun, halten Sie Alles bier 
außen in Ordnung, Vieutenant von L., ih muß noch zum Com⸗ 
mandirenden. Morgen früh um Fünf ſteht die Batterie befpannt 
auf dem Glacis; ich werde ſchon nach Bier herausfommen. Nun, 
Gott befohlen! Ah! heute Abend legen wir uns als Soldaten nies 
der — werr weiß, wie bald! und ftehen morgen als Krieger auf — 
werr weiß, wie ſehr!“ — Damit wandte er fein Pferd und ritt 
wieder zum Hofe hinaus. 

Hauptmann von Stengel war überhaupt ein fehr freundlicher 
Offizier, am heutigen Abend war er begreiflicher Weife befonders 
wohl gelaunt. Er gab der Schildwache draußen auf dem Gla⸗ 
cid noch einige gut gemeinte Verhaltungsregeln, erinnerte fie das 
ran, daß es ſchon halb und halb Krieg fei, und fchärfte ihr ein, 
forgfältig und „werr weiß, wie fehr,“ auf Alles rings umher Adı= 
tung zu geben. 

Die beiden anderen Offiziere gingen nad der Wadıtftube, wo 
ihr Eintritt einen allgemeinen Aufftand zur Folge hatte. Bald 
daranf waren die beiden einzigen Schemel für die Offiziere ſauber 


— — — 


Vorbereit. z. Feldzug Wachtſtuben⸗Abenteuer. 217 


abgewiſcht und der friſchen Luft halber nahe an die Thüre gerückt. 
Alles ließ ſich wieder nieder, doch wollte eine Converſation nicht 
gleich in Gang kommen. 

Lieutenant Robert lehnte mit über einander geſchlagenen Armen 
an der Mauer und dachte an jenen unvergeßlichen Abend, wo er 
ſeinen Freund Tipfel auf eben dieſer Wachtſtube beſucht, wie er da⸗ 
durch fo großes Unheil hervorgerufen und wie doch aus eben dies 
fem Unheil die Bekanntfchaft des Regierungsrathes und fein jegiges 
großes Glück entiprungen. Ja, großes Glück in der That; denn 
die Ermahnungen des alten Herrn hatten den damaligen Bombars 
dier vermocht, eine außerordentliche Thätigfeit zu entwideln, um 
etwas Nechtes zu lernen, und die Liebe zur Heinen Pauline, die 
ja erwidert wurde, hielt ihn aufrecht in mübevoflen, drüdenden Stun⸗ 


den und führte ihn zu dem erften Ziele, das er fid, vorgeftedt, zu 


den Epauletten. — Auch das zweite und fchönere Ziel, der Beſitz 


jenes liebenswürdigen Mädchens, mußte errungen werden, und bot 


nicht der bevorftehende Kampf hiezu die fchönfte Gelegenheit dar ? 
Eieg oder Tod! war fein Wahlſpruch. 

Die Unteroffiziere auf der Pritjche verhielten fi fchweigfam 
und überließen ihre Offiziere dem Nachdenken. Auch Lieutenant 
L. blickte ftarr vor fich nieder; Doch dachte er weniger an die foms 
mende Zeit: er grübelte über fein Lieblingsthema nad, die Brands 
töhren für Granaten und Bomben, und die Bereitung eined neuen 
unfehlbaren Satzes. 

Als Lientenant Robert im Rundlauf feiner Betrachtungen wies 
der in das Wachtlokal zurückkehrte, dachte er mit jener Zeit auch 
an den ehemaligen Commandanten bier, Bombardier Zipfel und 
natürlicher Weiſe an jenen Brief, den ihm Dofe gebracht, Dofe, der 
gerade vor ihm faß und den er, fett er wieder bei der Batterie war, 
nur flüchtig gefehen. 

„Ich hatte noch nicht einmal Zeit,” fagte der Offizier zu dem 
Feuerwerker, „Ihnen für den Brief zu danken, den Sie mir von 


218 Fünftes Kapitel. Ä 


unferem gemeinfchaftlichen Freund überbracht. Tipfel tft und bleibt 
einer der närrifchften Kerle, die es gibt; er ſchickt mir das Mezept 
zu einem neuen Gericht, das wir vielleicht nächſtens einmal vers 
Suchen können. Haben Sie dem jepigen Poftfecretär vielleicht einige 
Zeilen gefchrieben ?“ 

„Zu befehlen, ja!” entgegnete Dofe. „Ich meldete ihm meine 
glüdliche Ankunft, fowie auch, daß ich bei einer fo fhönen Batterie 
als Feuerwerker eingetheilt wurde.“ 

„Sie haben die erfte Haubige,“ fagte nachdentend Lieutenant 
L., indem er mit der Hand fein Kinn ftreichelte. „Ihun Sie mir 
Doch den Gefallen, Feuerwerker Dofe, und notiren mir vorkommen⸗ 
ven Falles fo genan ald möglich, wie bei dem jeßigen Branderfag 
Shre Granaten plagen und welche Unficherheiten fich bei dem Wer- 
fen herausſtellen.“ 

„Er ift wahrſcheinlich in der legten Zeit noch dider und fau⸗ 
er geworden,” fuhr Lieutenant Robert fort und meinte den Poit- 
Schreiber Tipfel. 

„Unbedingt viel fauler,“ entgegnete Sieutenant L.; „man muß 
ihn vafcher machen, indem man weniger Kohlen und mehr. Salpe⸗ 
ter zuſetzt.“ 

„Wem denn? unſerem Freunde Tipfel?“ 

„Bas gebt mich Tipfel an? Ich ſpreche von den Brandröhren. 
— Alſo denfen Sie an meinen Auftrag, Feuerwerker.“ 

Dofe verſprach es Lächelnd, und der Wachtmeiſter, Sowie ſämmt⸗ 
liche Unteroffiziere lachten ſtill in fich hinein. 

„Es ift mir doch gerade,“ meinte Lieutenant Robert nad einer 
Pauſe, „als babe ih Ste in früheren Jahren einmal gekannt, 
Feuerwerker Dofe, ald babe ich irgend eine Expedition, ein Com⸗ 
mando unter Ihren Befehlen mitgemadt. Erinnern Sie fi) nichts 
Davon?“ 

„O doch, Herr Lieutenant,“ entgegnete Feodor lächelnd. „Es 
find aber das fhon ein paar Jahre ber, Sie kamen ald Freiwil⸗ 


LU 2 
Borbereit. 3. Feldzug. WachtfinbensAbenteuer 219 


Tiger zur Fußbatterie Nr. 10, Ste hatten ausexercirt, und wünſch⸗ 
ten noch einmal dabei zu fein, wenn ftatt mit dem ledernen Pfropfen 


mit Cartouchen gefchofien würde. Die Mandverzeit Tag noch weit 


vor und, und ed fand ſich bald eine herrliche Belegenheit, Ihrem 


Wunſche zu willfahren.“ 


„Richtig! Bei einer Feierlichkeit rücdte Ihre Batterie zum 
Schießen aus.“ 

„Abends auf der Aheininfel,“ erwiderte Dofe. „Da wurden 
wir mit den Gefchügen placrt und mußten das Dampfboot falus 
tiren, welches mit Sr. Majeftät auf dem prachtvoll erleuchteten 


‚ Strome auf und ab fuhr. Der Hauptmann Feind commandirte 


damals unfere Batterie, und ich hätte faft um ein Haar wegen 
des Herrn Lieutenants meinen erften Arreft befommen ; wir ſchmug⸗ 
gelten Sie zu unferem Geſchütz — es war freilich dunkel, aber der 
Herr Hauptmann Feind erfannte Sie doch — Ste hatten gerade 
zu Ihrem großen Bergnügen abgefenert, und ich fehe noch deutlich, 
wie unfer BatteriesChef die Hand unter’ Collet ftedte und mit 
dem Fuße heftig aufzutreten begann, wie er that, wenn er fi 
erzürute.“ | 

„3a, ja, jept erinnere ich mich deutlich,” fagte Lieutenant 
Robert. „Doch Iegte in felbem Angenblide das königliche Dampf 


boot an die Infel, und Hauptmann Feind mußte zur Begrüßung 


an den Landungsplatz.“ 

„Sonft faßen wir Beide fe in Ar. 71/,.“- 

„Dei des Rattenkönigs Majeftät !* lachte Lieutenant Robert, 
„3a, ja, e8 fielen damals ſtarke Arrefte.“ 

„DaB Feſt auf der Rheininfel, von dem der Herr Lieutenant 
ſprachen,“ warf fhüchtern der Wachtmeifter ein, „ift noch lange 
Jahre in der Erinnerung der Batterie geblieben. Defjen wird ſich 
der Fenerwerfer auch erinnern.“ 

„Allerdings,“ entgegnete Dofe. „Man hatte die Infel auf 
fonderbare Art dekorirt. Bon Holz war eine große, halbrunde 


220 Fünftes Kapitel. 


Halle erbaut worden ; diefelbe follte den Olymp vorftellen und war 
deßhalb mit den Statuen fänmtlicher Götter auf's fchönfte verziert. 
Zu diefen Statuen aber hatte man die größten Leute eines der bier 
liegenden InfanteriesRegimenter genommen ; diefelben wurden weiß 
angezogen, mit gefteiften Draperieen verfehen und mit weiß bes 
malten Gefihtern auf die Poftamente geftelt. Auf dem rechten 
Flügel befand fih ein Himmellanger Unteroffizier, der den Herkules 
vorftellte und den Göttern zurief, fie follten ftille fteben, fobald 
fid) das königliche Dampfboot in der Zerne zeigte. Das gab nun 
allerhand merkwürdige Geihichten im Olymp; obgleih ed fireng 
verboten war, den Leuten etwas zu trinken zu geben, fo lange die 
Komddie dauerte, jo hatte fi) doch fo eine verfluchte Marketenderiu 
in die Nähe gefchlichen ; wie der Unteroffizier Herkules einmal 
einen Augenblick auf die Seite ging, tranken ſämmtliche Götter 
einen Schnaps um den andern. Namentlich thaten fi Jupiter und 
Benus hervor, und die Sache war noch lange nicht zu Ende, fo war 
die Benus fo vollkommen betrunten, daß man fie von hinten mit einen 
Strick an das Gerüſt feftbinden mußte. Bei Jupiter ging ed nod 
fhlimmer ; er behauptete, gang nüchtern zu fein und ſich fteif Halten 
zu fönnen, und er bielt fi) auch fo fteif und ſtreckte fich fo fürchter- 
lich vorn über, daß er auf einmal von feinen Poftamente herab 
auf die Rafe fiel. Dabei war aber am allerfomifchiten die Geftalt 
vom Herkules, der mit krampfhaft verzogenem Gefiht auf dem 

rechten Flügel ftand, die Augen furchtbar links verdreht, um feine 
Mannfchaft überblicken zu können, und den Göttern nun halbleife 
zurief, in der Richtung zu bleiben und vor oder zuräd zu kommen. 

Der Unteroffizier Herkules nahm die Sache haariharf und fchimpite 

Dabei wie ein Rohrſpatz; da hieß es z. B.: Soll doch ein Don⸗ 

nerwetter den Kerl, den Merkur, erſchlagen! Kann Er nidt die 

Nafe in der Höhe halten? — Pluto! Halt! Er das Ding nicht 

wie eine Miftgabel! Er fleht ja nicht auf Seines Vaters Dungs 

grube. — Und Er, Juno! fire’ Er feinen Bauch nicht jo vor! 


Borbereit. 3. Feldzug. Wadhtftuben- Abenteuer. 221 


| ih glaube, man bat die miferabeliten Kerle herausgeſucht, um den 
Olymp vorzuftellen ; lauter fo lange, fchlappe Zabander! Jetzt 
aufgepapt! Da kommt das königliche Dampfboot wieder.“ 

„And mußten die armen Teufel den ganzen Abend da ftehen?“ 
fragte Lieutenant L., der endlich feine Brandröhren fahren lich. 
| „D nein!“ antwortete Dofe, „fie durften fich häufig rühren ; 
nur wenn das Dampfiboot dicht vorbei fuhr, mußten fie ftill fteben. 
Auh war eine halbe Stunde Pauſe, da konnten fänmtliche Götter 
austreten und befamen einen Schoppen Wein und ein Butterbrod 
mit Käfe.“ 

„3a, ja, ich erinnere mich jeßt Deutlich,“ fagte Lieutenant 
| Robert; „auf der Rheininſel befand ſich ein Pavillon, wo bie 





hoͤchſten Herrfchaften fpäter ein Souper einnahmen, und die Webers 
teſte dieſes Soupersd erhielt die auf der Infel beichäftigte Mann⸗ 
ſchaft.“ 
| „Keider Gottes!” feufzte Feodor Doſe. „Denn darauf war e8 
in der That unmdglih, die Mannfchaft ohne Exceſſe in die Kas 
ferne zurüd zu bringen; die Götter des Olymps wurden auf der 
Infel felbft ausgezogen, aber in dem allgemeinen Wirrwarr hatte 
ı man nicht entdedt, daß der betrunkene Jupiter fehlte. Ihn fanden 
jpäter, als die Infanterie ſchon abmarjchirt war, die Kanoniere 
an einen Orte, den ich nicht nennen mag. Dort faß diefer wahns 
ſinnige Burfche und fang: „Hier fig’ ich auf Rafen mit Veilchen 
bekränzt.“ Und er konnte nichts Unpaſſenderes thun, denn von 
Veilchen war wahrhaftig keine Spur zu entdecken. Dann ermun⸗ 
terten ihn die Artilleriiten fo gut wie möglich und nahmen thn in 
feinem Eoftume mit nach der Stadt. Der Kerl mußte vorausmars 
fhiren und gewähr:e einen gräulichen Anblid; denn er fah aus 
wie ein Gefpenft, das zufälliger Weife in den Koth gefallen iſt.“ — 
In diefem Augenblide rief der Poſten draußen auf dem Glacis 
ein überlauted: „Halt! wer da 3° Dann hörte man Schritte auf 
der Brüde, der Poften im Hofe rief ebenfalls an, und eine Geftalt, 


220 Zünftes Kapitel. 


Halle erbaut worden; diefelbe follte den Olymp vorftellen und war 
deßhalb mit den Statuen fämmtlicher Götter aufs fchönfte verziert. 
Zu diefen Statuen aber hatte man die größten Xeute eines der bier 
liegenden InfanterierRegimenter genommen ; diefelben wurden weiß 
angezogen, mit gefteiften Draperieen verfehen und mit weiß be 
malten Gefichtern auf die Poſtamente geftellt. Auf dem rechten 
Flügel befand fih ein bimmellanger Unteroffizier, der den Herkules 
vorftellte nnd den Göttern zurief, fie jollten jtille ftehen, fobald 
fid} das königliche Dampfboot in der Ferne zeigte. Das gab nun 
allerhand merkwürdige Geichichten im Olymp; obgleich es fireng 
verboten war, den Leuten etwas zu trinken zu geben, fo lange die 
Komddie dauerte, fo hatte fi) doch fo eine verfluchte Marketenderin 
in die Nähe gefchlichen ; wie der Linteroffizier Herkules einmal 
einen Augenblid auf die Seite ging, trauken ſämmtliche Götter 
einen Schnaps um den andern. Namentlich thaten fih Jupiter und 
Benus hervor, und die Sache war noch lange nicht zu Ende, fo war 
die Benus fo vollkommen betrunten, daß man fie von hinten mit einem 
Strick an das Gerüſt feftbinden mußte. Bei Jupiter ging ed noch 
ſchlimmer; er behauptete, ganz nüchtern zu fein und fidh fteif halten 
zu können, und er bielt fi) auch fo fteif und ftredte ſich fo fürchter⸗ 
lih vorn über, daß er auf einmal von feinem Poftamente herab 
auf die Naſe fiel. Dabei war aber am allertomifchiten die Geftalt 
vom Herkules, der mit krampfhaft verzogenem Geficht auf dem 
rechten Flügel ftand, die Augen furchtbar links verdreht, um feine 
Mannfchaft überbliden zu können, und den Göttern nun halbleife 
zurief, in der Richtung zu bleiben und vor oder zurüd zu kommen. 
Der Unteroffizier Herkules nahm die Sache haarfcharf und fehimpite 
Dabei wie ein Rohrſpatz; da hieß es 3. B.: Soll dod ein Don⸗ 
nerwetter den Kerl, den Merkur, erfchlagen! Kann Er nicht die 
Nafe in der Höhe halten? — Bluto! halt’ Er das Ding nidt 
wie eine Miftgabel! Er ſteht ja nicht auf Seines Vaters Dung⸗ 
grube. — Und Er, Juno! fire’ Er feinen Bauch nit jo vor! 





| Das Haus auf dem Petriplap. 223 


lannte Lied: „Heute roth, morgen todt,“ im Munde eined tapferen 
LDffiziess — und dad war er — für nicht bedeutungslos hielt, 
meinte, e8 fei ihm an diefem Borabende wohl erlaubt, feine Liebe 
iu erflären und um eine glüdliche Zöfung derſelben zu bitten, 
wenn ein freundliches Schickſal fich ihm vielleicht geneigt zeigen 
wirde. Bon der Liebe Paulinens überzeugt, hatte er dem Regies 
rungörath einen falbungsvollen, vier Seiten langen Brief geſchrie⸗ 
ben, den obigen Gegenitand betreffend, worin er um eine Ent⸗ 
ihliegung bat, ob im glücklichen Falle etwas für ihn zu hoffen fei. 
Der junge Offizier nahm alfo den Brief aus den Händen des 
Ledienten und hielt fein Glück oder Unglüd einen Augenblid zwis 
iben feinen Fingern, ehe ex fich entfchließen konnte, das Siegel 
in öffnen. Dem geneigten Xejer ijt es gewiß in ähnlichen oder 
anderen Fällen auch ſchon fo ergangen. Robert näherte ſich endlich 
tief athmend einer der Laternen, welche den Hof erhellten, riß das 
Couvert ab und entfaltete den Brief. Es waren nur vier Zeilen, 
und in der erften leuchteten ihm die Worte entgegen: „unndthigen 
and ganz Überflüffigen Geſchichten.“ Gegen vier Seiten nur vier 
Zeilen könnten Jeden entmuthigen; entweder ift eine ſolche Ant 
wort ganz gut oder ganz fihleht. Glücklicher Weife war für Robert 
dad Erſtere der Fall, denn er las entzüdt. „Warum, lieber Freund, 
tiefe unnöthigen und ganz überflüffigen Gefchichten, warum einen 
Brief von vier Seiten, wenn man fil) mündlich ausſprechen kann? 
Ich habe keine Zeit, eine ähnliche Eorrefpondenz zu führen, und 
ihreibe Ihnen dephalb nur: kommen Sie — noch heute Abend, 
felbft wenn es fpät ift. Ihr väterlicher Freund.” 
Robert {hob diefen köftlichen Brief mit zitternden Zingern in 
fine Tafche, vertraute feinem Kameraden, dem Lieutenant L., au, 
er babe noch ein wichtiges Gefchäft in der Stadt abzumachen; 
dann ließ er fein Pferd fatteln, ſchwang fih hinauf und galcppirte 
über das Glacis hinweg nah dem H . . . Thore, das übrigens 
ſchon gejchloffen war. Die paar Minuten, die der Unteroffizier 





224 Sechſtes Kapitel. 


brauchte, um das Gitter zu Öffnen, däuchten dem Reiter eine 
Ewigkeit. Endlich drehte ed fih auf Imarrenden Angeln aus ein⸗— 
ander, der Offizier gab feinen Namen an und trabte in die Stadt. 


Es mochte zehn Ahr fein, die Straßen lagen ſchon ziemlid 
ftille. Die ereignißvofle Zeit, der Abmarſch der Truppen morgen 
ließen nicht wie fonft ein vergnügtes Leben gedeihen; nur die 
Wirthshäuſer waren noch geöffnet, und in einem derfelben, wo er 
bekannt war, fteflte der Artillerte- Offizier fein Pferd ein, dann bes 
gab er fih nad dem Petriplage. 

Sein Herz ſchlug ihm faft hörbar, als er jetzt denfelben erreicht: 
hatte und vor fih das Haus fah, das die Erfüllung feiner füpen 
Wünfche verbarg. Ach, wie lebhaft dachte er jenes Abende, wo er, 
ein einfacher Bombardier, an den erhellten Fenſtern hinaufge— 
fhmachtet und dann hinansgegangen war, um den dicken Bombars 
dier Tipfel als Liebesboten zu gebrauhen! Vorbei war fie, jene 
dunkle und doch Iuftige Zeit, und er trat rafh an dad Hans und 
zog die Klingel. — | 

Pauline befand fich mit ihrer Tante in dem und wohlbekanu⸗ 
ten Zimmer; nur batte die alte Dame diesmal den Plag vor dem. 
Kamine eingenommen, und die Feine blonde Nichte ſaß in der Ede 
des Sopha's, doch nie auf lange Zeit: jeden Augenblick fprang fie 
in die Höhe, bald um an dad Fenfter zu eilen, bald um einen 
Gang durch das Zimmer zu machen. Ihr Gefiht war ein wenig 
blaß, und fie athmete fchwerer ald gewöhnlich. 

„Es ift weit hinaus bis zu dem garftigen Fort,“ fagte das 
Mädchen nach einer Paufe, „und der Ehrijtian wird alt und kann 
nicht mehr fo gefchwind hereinlaufen.” 

„Alles geht feinen gewiejenen Weg,” verjeßte Die Tante, mit. 
melancholiſchem Tone. „Was für uns beftimmt tft, das trifft uns 
auch, früh oder ſpät.“ 

„Ah, Tante,“ antwortete Pauline, „Sie fprechen heute Abend 





Das Hand auf dem Petriplap. 225 


fo theilnahmlos! Ich weiß nicht, Sie wollen mich ängftigen.” — 
Dabei drüdte fie ihre linke Hand feſt auf das Herz. 

„Ih dich ängftigen ?” erwiderte die Dame ſcheinbar ers 
kannt. „Nein, was dich und mich ängftigt, find die Beitverhälts 
nie. Uebrigens,“ ſetzte fie mit fcharfem Tone Hinzu, „wenn man 
es nun einmal nicht anders thut und. fih am Vorabend eines Kries 
ges verlobt, da muß man fich wahrhaftig nit wundern, daß einen 
träbe Gedanken anwehen. Krieg und Tod, das liegt nah bei 
einander.“ 

„Das tft wahr,“ entgegnete Pauline mit tonlofer Stimme. 
„Aber Sie follten mir das nicht fo bitter ſagen; ich hoffe, und ich 
bin froh, daß ich hoffen kann.“ 

„Ich Hoffe auch,” fagte finfter die Tante, „Aber unfere Hoff: 
uungen treffen nicht zufammen.“ 

„Wie ſchon oft, liebe Tante,“ 

„Sa, wie fchon oft,” entgegnete die fo oft getäufchte alte 
Jungfer mit heftiger Stimme, „und ich hoffe, daß der liebe Gott 
wieder einmal auf feurigen Wolfen daherfährt in Seftalt des Kries 
ged, um ein wenig Rache zu üben an dem falfchen, meineidigen, 
miferablen Männergefchlecht,“ 

Trotz dieſer heftigen Rede der ältlichen Dame überflog doch 
ein leichtes Lächeln die Züge Paulinend. „Tante! Tante!” ſprach 
fie, „ift e8 auch recht, daß Ste, um einen Cinzigen zu beftrafen, 
Behe über dad ganze Geſchlecht Herabrufen? Oh! Ste follten das 
nit thun!“ 

„Einen einzigen?“ fragte die Tante und erhob ſich ernft und 
ſtreng. „Ich denke wahrhaftg an keinen Ginzelnen und denke nur 
an dad Allgemeine, an all das Unglück, das durch fie in die Welt 
gelommen. Und Strafe muß fein; aber wen fie trifft — mir ift 
ed gleich viel.” 

„Pfui, Tante!“ erwiderte das junge Mädchen. „Aber der 
liebe Gott wird Sie nicht hören, er ift mild und gut und barm⸗ 

Halländers Werte, V. 15 


224 Sechstes Kapitel. 


braudte, um das Gitter zu Öffnen, däuchten dem NReiter eine 
Ewigkeit, Endlich drehte es fih auf narrenden Angeln aus ein: 
ander, der Offizier gab feinen Namen an und trabte in die Stabt. 


Es mochte zehn Uhr fein, die Straßen lagen ſchon ziemlid 
ftile. Die ereignißvolle Zeit, der Abmarfch der Truppen morgen 
ließen nicht wie fonft ein vergnügtes Leben gedeihen; nur Die 
Wirthshäuſer waren noch geöffnet, und in einem derfelben, wo er 
befannt war, ftellte der Artillerie Offizier fein Pferd ein, dann ber 
gab er fih nach dem Petriplape. " 

Sein Herz fhlug ihm faft hörbar, als er jept denfelben erreicht 
hatte und vor fih das Haus fah, das die Erfüung feiner fühen 
Wünſche verbarg. Ach, wie lebhaft dachte er jened Abende, wo er, 
ein einfacher Bombardier, an den erhellten Fenſtern hinaufge— 
fhmachtet und dann hinandgegangen war, um den diden Bombars 
dier Zipfel als Liebesboten zu gebrauchen! Vorbei war fie, jene 
dunfle und Doc Tuftige Zeit, und er trat rafch an das Hand und 
308 die Klingel. — 

Pauline befand fich mit ihrer Tante in dem uns wohlbefann- 
ten Zimmer; nur hatte die alte Dame diesmal den Platz vor dem 
Kamine eingenommen, und die Heine blonde Nichte ſaß in der Ede 
des Sopha’s, doch nie auf Tange Zeit: jeden Augenblick fprang fie 
in die Höhe, bald um an dad Fenfter zu eilen, bald um einen 
Gang durch das Zimmer zu machen. Ihr Gefiht war ein wenig 
blaß, und fie athmete fehwerer ald gewöhnlich. 

„Es iſt weit hinaus bis zu dem garftigen Fort,“ fagte das 
Mädchen nach einer Paufe, „und der Chriſtian wird alt und kann 
nicht mehr fo gefchwind hereinlaufen.” 

„Alles geht feinen gewiejenen Weg,“ verfeßte Die Tante, mit 
melandolijchem Zone. „Was für uns beftimmt ift, das trifft und 
aud), früh oder ſpät.“ 

„Ah, Tante,“ antwortete Pauline, „Sie fprechen heute Abend 





{ 





Das Haus auf dem Petriplap. 225 


ſo theilnahmlos! Ich weiß nicht, Sie wollen mich ängftigen.” — 
Dabei drüdte fie ihre linke Hand feit auf das Herz. 

„Ih dic ängſtigen?“ erwiderte die Dante fcheinbar ers 
ſtaunt. „Nein, was dich und mich ängftigt, find die Zeitverhälts 
niffe. Uebrigens,“ feßte fie mit fcharfem Tone hinzu, „wenn man 
es ann einmal nicht anders thut und. fi am Vorabend eines Kries 
ges verlobt, da muß man fich wahrhaftig nicht wundern, daß einen 
trübe Gedanken anwehen. Krieg und Tod, das liegt nah bet 
einander.“ 

„Das ift wahr,“ entgegnete Pauline mit tonlofer Stimme. 
„Aber Ste follten mir das nicht fo bitter fagen; ich hoffe, und ich 
bin frob, daß ich hoffen kann.“ 

„Ich Hoffe auch,“ fagte finfter die Tante, „Aber unfere Hoff 
nungen treffen nicht aufammen.“ 

„Wie fchon oft, liebe Tante.“ 

„3a, wie ſchon oft,“ entgegnete Die fo oft getäufchte alte 
Jungfer mit heftiger Stimme, „und ich hoffe, daß der liche Gott 
wieder einmal auf feurigen Wolfen daberfährt in Geftalt des Siries 
ged, um ein wenig Race zu üben an dem falfchen, meineidigen, 
miferablen Männergefchlecht.“ 

Trotz dieſer heftigen Rede der ältlichen Dame überflog doch 
ein leichtes Lächeln die Züge Paulinend. „Tante! Tante!“ ſprach 
fie, „ift e8 auch recht, dag Sie, um einen Ginzigen zu beftrafen, 
Wehe über dad ganze Gefchlecht herabıufen? Oh! Sie follten das 
nicht thun!“ 

„Einen einzigen?“ fragte die Tante und erhob ſich ernſt und 
ſtreng. „Ich denke wahrhaftg an keinen Einzelnen und denke nur 
an das Allgemeine, an all das Unglück, das durch ſie in die Welt 
gekommen. Und Strafe muß ſein; aber wen ſie trifft — mir iſt 
es gleich viel.“ 

„Pfui, Tante!“ erwiderte das junge Mädchen. „Aber der 
liebe Bott wird Sie nicht hören, er tft mild und gut und barm⸗ 

Sadländers Werte, V. 15 


—— 


226 Sechsſstes Kapitel. 


herzig, und wird nicht einmal die Schuldigen beftrafen. lieber: 
haupt,” feßte fie mit ganz leiſer Stimme Hinzu, „gehen — die 
Auditeure nicht mit in die Schlacht.“ 

Mochte nun die Tante diefe Worte verftanden haben oder nicht, 
genug, fie lieg fich wieder in ihren Fauteuil nieder und nahm ein 
Buch von dem Kaminfimfe herab, fchwarz eingebunden mit Gold: 
Schnitt, worin fie einen Augenblid Tas, um im anderen Augenblide 
ſchwärmeriſch an die Dede emporzubliden, nach einer Nichtung Hin, 
wo über dem zweiten Stod, dem Dachboden und dem Dache ber 
glänzende Nachthimmel, aber für fie unfichtbar, ſtrahlte. 

Sn diefem Moment ertönte die Haudglode. 

Pauline blieb plöglich ftehen, Taufchte einen Augenblid, und 
als fie drunten eine Stimme vernahm, fagte fie faum hörbar: „Tante, 
er iſt's!“ 

„Meinetwegen!” entgegnete die alte Dame. 

„Aber, Tante,“ fuhr Pauline dringend fort, „Papa iſt 


nicht da.” 


„Wie immer, wenn was Wichtiges vorgeht,” verfeßte die Dame 
in ihrem Fauteuil. 
„Und ich Tann es ihm doch nicht ſelbſt ſagen, um was es ſich 


handelt. O, liebe Tante, ſeien Sie fo gut, vertreten Sie ein wenig 


- Mutterftelle bei mir.“ 


„Gott fol mich bewahren!” verfegte hartnädig die alte Jung 
fer. „Ich babe früher in gewiffen Beziehungen nicht bei dir 
Mutterftelle vertreten dürfen, fonft wäre Manches anderd gekommen. 
Und jept habe ich Leine Luft, es zu thun, du haft ohne mich einge: 
brockt, jegt ſpeiſe anch allein.” 

Damit öffnete fih die Ihüre, und der junge Mann, von dem 
man foeben gefprochen, trat herein; doch blieb er überrafcht auf 
der Schwelle ftehen, als er bemerkte, daß die Tante im Fauteuil 
ihm den Nüden bot und daß Pauline vor ihm fand, die Hände 
auf Die Bruſt gedrückt, bleich und zitternd, 





Das Haus auf dem Petriplap. 297 


„Guten Abend, meine Damen!“ fagte Robert und fepte kopf 
ſchüttelnd Hinzu: „Um Gottes willen! was ift denn bier vor» 
gefallen 2” 4 

„Gar nichts,“ verſetzte troden die Tante. 

„Bar nichts? Und Ihre Beſtürzung, Pauline?“ 

„Bar — nichts — Schlimmes — —“ erwiderte das Mädchen. 
„Bar — nichts — Schlimmes.“ Und dabei feufzte fie tief auf, 
und es war, als müſſe fie jedes Wort fich wie einen Stein vom 
Herzen wälzen. 

„Der Papa hat mir gefchrieben, und ich bin hier.“ 

„Der Papa — hat ihm — gefchrieben, Tante — und er tft 
bier,” fagte das arme Mädchen und wandte fich bittend gegen den 
Fauteuil. 

„Ja, er hat geſchrieben und iſt nicht hier,“ antwortete kalt 
wie vorhin die ältere Dame. 

„Sollte ſich vielleicht ſeine Anſicht gegen mich geändert ha⸗ 
ben?“ fragte erſchrocken der Offizier. 

„Nein! nein!“ rief jetzt heftig und wie aufwachend Pauline, 
indem fie ihm entgegeneilte und ihre beiden kleinen lieben Hände 
darreichte. „Nein! nein!“ fuhr fie fort, und ihr Auge glänzte, „er 
bat feine Anficht nicht geändert — aber e8 wurde mir fchwer, Ih— 
nen diefes zu fügen. — Ich bat die Tante, — aber — nun, warum 
fol ich e8 Ihnen nicht felbft fagen können! — Die Freude, die 
mein Herz erfüllt. Robert! — Ja, ich weiß, dag Sie mich lieben, 
Papa weiß es auch, — Papa hat Amen dazu gefagt — und nun 
bin ich Ihre Braut.“ 

Diefe Worte hatte das Mädchen anfänglich langſam, dann mit, 
Reigender Schnelligkeit und Heftigkeit gefprochen. Aber je fchneller 
fie ſprach, defto unficherer wurde ihre Stimme, defto heftiger erzit— 
texte ihr Körper, und als fie fagte: „nun bin ich Ihre Braut,“ 
Kürgten ihr die Thränen aus den Augen, und fie fing an zu weis 


228 Sechſstes Kapitel. 


nen und wäre vielleicht niebergeftürzt, wenn ber junge Mann fie 
nicht in feinen Armen aufgefangen hätte. 

Da er fie nun einmal in feinen Armen bielt, fo drüdte er fie 
recht feſt an ſich und beugte fich bernieder, um die Thränen von 
ihren Augen zu füflen. 

Die Tante blidte bei dieſer Scene nur ein einziges Maf halb 
verftohlen nad dem Paare um, und als fie die vielverfprechende 
Haltung defjelben bemerkte, machte fie abermals eine Heine Wendung 
mit ihrem Fauteuil und lad halblaut aus ihrem Buche: 


Der Sinne Luft und Schmerz 
Rührt leider unfer Herz, 
Reißt uns mit ftarfem Triebe 
Zu fchnöder Sündenliebe; 
Und wer vermag’ zu zählen, 
Wie oft wir vor dir fehlen! 

Der Regierungdrath war ein fehr guter Vater, aber er liebte 
es auch, die Leute in PVerlegenheit zu bringen. Deßhalb trat er 
erſt in diefem Augenblide händereichend und lächelnd in's Zimmer 
und fagte ziemlich laut: „Et, guten Abend!“ 

Doch das junge Mädchen, die würdige Tochter ihres Vaters, 
hatte ihr Gleichgewicht vollkommen wieder gefunden; fie nahm den 
Offizier bei der Hand, ſchritt grazids in die Mitte des Zimmers, 
und als fie fih fo aufgeftellt, daß fie jowohl von dem Regierungs⸗ 
rath, wie auch von der Tante gejehen werden konnte, machte fie 
einen fehr tiefen Knix und ſprach luſtig lachend: 


„Herr Lieutenant Robert 
und 
Fräulein Pauline B. 
empfehlen ſich einem verehrlichen Publikum 
als Verlobte.“ 


Das Haus an dem Petriplape war an dem heutigen Tage 








Das Haus anf dem Petriplap. 229 


eined der wenigen in der Stadt, wo ed luftig und vergnügt berging. 
Die Familie foupirte unter fih, und es gelang endlich auch den 
Nedereien des Bruders, die Schwefter der Heiterkeit wieder zuzu⸗ 
wenden. Wie ed von jeher der Brauch war, durften auch der Bes 
diente und die Magd zur Gratulation heraufkommen. Letztere war 
noch diefelbe, die damals in der Küche gefungen: 

Ei, fo komm doch ꝛc. — 


die den Bombardier Zipfel verläugnet und großes Unglüd hätte 
herbeiführen können, und auch wirklich herbeigeführt hatte. 
Pauline war ausgelafien wie eine junge glüdliche Frau. Als 
dad Defiert aufgetragen war, holte fie aus dem Nebenzimmer eine 
Meine Brieftafche hervor, nahm daraus ein vergilbtes Papier und 
entfaltete e8, indem fie ihr Kleines Näschen auf die poffirlichite Art 
von der Welt rümpfte. Dann las fie unter allgemeinem Lachen: 
„Da ih Ihre Rechnung von 1. v. M. unglüdlicher Weiſe 
verlegt habe, fo muß ich um eine neue bitten, ehe ich die Feine 
Summe bezahlen fann.. Zugleich bitte ich, dem Meberbringer zwei 
Flaſchen Nüdesheimer nnd drei Pfund weitfälifchen Schinken mits 
zugeben. Er wird Ihnen den Betrag dafür einhändigen. 
Bombardier R.“ 
„Notabene Da e8 mir fchon einige Male yalfirte, daß die 
Kanoniere von dem Geld, was man ihnen mitgab, verloren, fo 
bitte ih, mir morgen früh die Rechnung zu ſchicken, wo ich als⸗ 
dann nicht ermangeln werde.“ 


— — — — — — — — — — — — — — * 


Als Lieutenant Robert zu ſpäter Nachts oder vielmehr zu früs 
ber Morgenftunde den Familienkreis verließ, zeigte fich fchon ein 
heller Streifen im Often. Es bedurfte einiger Mühe, um den 
Hausknecht des Gaſthofes zu weden, wo er fein Pferd eingeftellt. 
An der Thorwache war ed außergewöhnlich ſtill; der Poften ging 
ſchläfrig auf und ab, in der Offizier⸗Wachtſtube zuckte ein erfter 


230 Schstes Kapitel. 


bendes Licht, und aus der Thüre des Zimmers für die Mannfchaft 
hörte man taktmäßiges und tiefes Geſchnarche. Selbſt der alte 
Unteroffizier, der das Gitter öffnete, hatte ein verichlafenes Geſicht, 
und als er aufihloß, fagte er: „Ich habe auch ein-Bischen Nachts 
ruhe gefucht, um meinen Kummer zu verfchlafen es ift ein wahres 
Unglück, unfer Bataillon bleibt bier. Nun — wie die Herren 
wollen! Aber die Füfiliere vom . . . ften Regiment hätten ſich 
auch nicht fchlecht gefchlagen. — Guten Morgen, Herr Lieutenant !“ 

Der Artillertes Offizier fprengte nach dem ort zurüd, flieg im 
Hofe vom Pferde und ließ diefes von Einem der Bachtmannfchaften 
in den Stall bringen. Hier fing e8 fchon an lebendig zu werden 
und aud in den Kafematten und auf den Gängen hörte man Säbel 
Hirren und luſtige Lieder fingen. 

Feodor Dofe, der ebenfalls die Nacht wenig gefchlafen, kam 
mit feinem Schlüffelbund am Säbel von den Munttiondwagen 
herein ; er hatte dort noch einmal Alles unterfuht. Er grüßte 
feinen Offizier und fagte: „Es ift doch heute ein anderes Gefühl, 
Herr Lieutenant, ald wenn man blos zu einem Manöver marfchirt. 
Sie werden hören, die Wagen und Propen merken e8 au ſchon, 
daß fie was Anderes in Xeibe haben, als Iumpige Mandver⸗Car⸗ 
touchen. Das wird artig auf dem Pflafter dröhnen und raſſeln, 
darin tft doc wirkliche Poeſie.“ 

„Sa, ja,“ entgegnete der Offizier Iachend. „Aber, um von 
Poeflen zu fpredhen, führen Ste Ihre Gedichte wieder bei fih im 
linten Piftolenholfter, wie gewöhnlich ?” 

„Allerdings, Herr Lieutenant,“ verfeßte würdevoll der Feuers 
werker ; „ich habe ja Plag in dem linken Piftolenholfter, denn ich 
bin ein mäßiger Mann, der keine Schnapsflafche bei fi führt.“ 

In diefem Augenblide hörte man in der Stadt an allen Eden 
die Neveille blafen und fchlagen. Der Trompeter im Fort fiel 
fuftig mit ein, die Poften auf dem Glacis wurden abgelöst, und 
bald darauf ritten die Fahrer, die in den benachbarten Dörfern 


— — 


Das Haus auf dem Petriplatz. 231 


mit ihren Pferden lagen, in das Fort ein, um Kanonen und 
Bagen zu beſpannen. Ein wenig ſpäter erſchien auch der Haupt⸗ 
mann Stengel in einem dicken, warmen Waffenrock, luſtig und 
guter Dinge. | ’ . 

Lieutenant Robert änderte ebenfalls in der Gefchwindigfeit 
feine Toilette, z0g dicke Stiefel und ſchwere Reithofen an, beftieg 
ein anderes Pferd, als das, welches ihn heute Nacht getragen, und 
titt zur Batterie hinaus, die vom Hauptmann Stengel draußen in 
zwei Linien aufgeftellt wurde. 

Es war eine prächtige Batterie, diefe reitende, Die Gefchüße 
im vortrefffichften Zuftande, die Pferde gefund und kräftig, und die 
Nannfchaft bereit, dem Teufel anf den Leib zu gehen. | 

Der Hauptmann jagte auf feinen Iangfchweifigen Rappen vor 
die Front, hob fich in den Bügeln empor und hielt feinen Leuten 
eine Fräftige Rede — werr weiß, wie fehr! und werr weiß, wie 
bald! Er verficherte ihnen, er wolle fle beftens führen, und fie 
hätten nichts zu thun, als beftens und fchnellitens zu gehorchen. 
Ruhig im Zielen, fchnel in Bewegungen, fagte er am Schluſſe, 
und fo nahe heran, wie möglich, — Jeder von euch hat gewiß den 
beiten Willen — an Flickmaterial fehlt's nicht, und wir wollen der 
fiebenten Artillerie-Brigade und unferem Köntg alle Ehre machen.“ 

Darauf wurde vom rechten Flügel abgebrochen, die Offiziere 
ließen Gefhüg und Wagen an fich vorbei ziehen, und der Haupts 
mann von Stengel rief ihnen zu: „Natürlicher Weiſe darf nicht 
geraucht werden, aber wenn ihr Luſt habt, zu fingen, fo ſoll mich’s 
recht freuen.“ 

Der Morgen war fchön, die Luft frifch und Mar, von Staub 
nicht viel zu fpüren, und deßhalb konnte man den Kehlen ſchon 
etwas zumuthen. Kaum hatte man die legten Häufer im Rüden, 
vor fih die lange Chauſſee, die nach dem Oberrhein hinauf führt, 
a8 die Reiter und Fahrer nach einer kurzen Verftändigung das 
Led anftimmten, mit dem fie gewöhnlich zum Mandver ausrädten. 


232 Stebentes Kapitel. 


Dod ed war, als wollten fie die Neden ihres Hauptmanns beaut⸗ 
worten, denn fie fingen mit dem zweiten Verfe an und fangen: 


Was einft wir befchworen 

Mit Herz und Mund und Hand, 
Zu Sterben für Köntg, 

Für Bott und Vaterland — 
Gebalten ſei's, 

Wie auch der Feind uns troßt, 
Wir halten ja den Shwur — 
Luſtig abgeprogt ! 


Siebentes Kapitel. 


Worin Der geneigte Lefer ohne Gefahr einem ziemlich bitzigen Gefechte beiwohnt. Feuer⸗ 
werfer Dofe wirft Granaten, und der DragonersÖffizier findet, daß dieſelben ſchauerlich 
eingefchlagen. , 


Das Leben Feodor Doſe's hatte an dem Tage, ald er in den 
Krieg zog, drei große Ereigniffe aufzuweifen, nad welchen er die 
verlebten Zahre einzurheilen pflegtes das war erſtens feine Geburt, 
injofern wichtig, als fie ihn in dieſes Jammerthal warf, zweitens 
der Tag, an welchem er unter das Militär trat, drittens endlich 
jene verbängnißvolle Stunde, wo ihm nebft feinem Abfchiede auch 
die Ausſicht auf eine Civilſtelle zu Theil wurde. Kleinerer Unter 
abtheilungen, als: die erfte Hofe, das erfte Tafchengeld, die erite 
file Neigung, der erfte Arreft oder die eriten goldenen Treffen, 
wollen wir gar nicht erwähnen: Es folgte das in chronologiicher 
Drdnung aufeinander, wie es in der Welt und beim Militär der 
Braud iſt. 

‚Sept aber fand der würdige Feuerwerker an dem vierten Haupt⸗ 





| Ein ziemlich hitziges Gefecht. 233 


abſchnitte — die Geburt ausgenommen, wohl dem wichtigften für 
ihn — dem Gefeht. Und als Dofe zum erſtenmale in's Feuer kam, 

da hatte er, wie bei fo manchen anderen Gelegenheiten, wirfliches 
Süd. Nicht als ob er mit feinem Gefchüge Wunder der Tapfers 
fit hätte tbun können oder einer großen Schlacht begewohnt hätte 
— nein, Doſe's erfter Kampf war ein Meines harmloſes Gefecht 
jwifchen weniger Infanterie und Kavallerie und ein paar Hundert 
Dann Zreifchaaren mit einigen Gefhügen. Das war bei Fan 
einem fchönen Sommertage, in einer reizenden Gegend mit Berg 
und Thal, Gebüfh, Wiefen und fließenden Bächen. Doſe's Herz 
war vol Freude; in der Aufftellung, die man ihn mit einer Haus 
ige nehmen ließ, Tag für ihn fo außerordentlich viel Poeſie. Sie 
befanden fi an der Biegung einer Schlucht, die in ein größeres 
Thal mündete, in welchem auf einer Heinen Anhöhe malerifch fchön 
ein Dorf Tag, über das eine alte finftere Schloßruine gebietend her: 
abblidte. Zwiſchen Dorf und Nuine, etwas feitwärts, befand fich 
ein fhönes Herrenhaus von weißem Stein, hellleuchtend zwiſchen 
den tiefgrünen Bäumen bervorfehend. Auf dem ziemlich flachen 
Dache dieſes Hauſes flatterte eine rothe Fahne. Dem guten Feuers 
werker erfchlen das anfänglich fo gar nicht Friegerifch, fo vollfommen 
mandverhaft. Die friichen grünen Wiefen vor den Gefhüpen, auf 
welchen der Sonnenſtrahl fpielte, wo bunte Schmetterlinge einander 
jagten, wo das Waſſer fo Mar und glänzend hindurchriefelte, dann 
die Berge zu beiden Seiten, die, mit Baum und Strauch bewachfen, 
in den mannigfattigften Farben prangten, der Gefang eines Vogels 
dazwiſchen, das alles war wie der tieffte Friede. 

Es war noch früh am Tage und der Befehl zum Angriff noch 
nicht gegeben. Wenn Dofe an die Biegung der Schlucht trat und 
tüfwärts fchaute, dann fah er feine Bedeckungs Mannſchaft, etwas 
Dragoner und einen Bug Infanterie, die mit der größten Ges 
mäthligkeit zufammenftanden und plauderten. Wir brauchen nicht 
in fagen, daß Dofe eigenhändig Proge und Laffettenkaften geöffnet, 


234 Stebentes Kapitel. 


Kugeln und Munition felbft gelodert und Alles auf's jorgfältigite 
nachgeſehen. Den Plag für fein Geſchütz hatte er fi) auf's ge: 
nauefte ausgeſucht; er ftand, wie gefagt, gerade an der Biegung 
der Schludt; Die Bergwand, welche dDiefe bildete, ſtreckte ſich wie 
ein niedriger Damm noch ein paar Schritte weit vor ihm bin und 
bededte fo die Haubige. Seinen Kanonteren hatte er Die beften 
Anordnungen gegeben über das Verhalten im Gefechte und hatte 
ihnen namentlih unerjchätterlihe Ruhe und Kaltblütigfeit anem⸗ 
pfoblen,, was fehr leicht ift, d. b. das Anempfehlen, wogegen aber 
die Ausführung immer etwas zu wünſchen übrig läßt. 

Die Soldaten fapen an der Bergwand und verzehrten das Früh⸗ 
ſtück, das fie fih mitgebradt, und felbft die Pferde thaten ganz 
beruhigt, fenkten ihre Köpfe und fuchten von dem faftigen Grafe 
zu ihren Füßen etwas zwifchen Stange und Zunge durchzubringen. 
Dofe ſaß auf einem alten Baumaſt; fein Herz von erhabenen Ge 
fühlen angefchwelt, hielt er Schloß, Dorf, fowie das Haus mit der 
rothen Fahne im Auge. 

Auf dem rechten Flügel der Gefehtsanftellung fiel jetzt plöß« 
ih der erſte Kanonenihuß, und das Echo rollte diefen Klang 
Donnerähnlich durch die Berge und Schlugten fort. Ihm folgte ein 
zweiter, dritter, dann mehrere nacheinander; drüben wurde ebenfalls 
geantwortet, das Hang dumpfer und hohler; dazwilchen hörte man 
einige Zeit fpäter das eigenthümliche Knallen der Büchfen und zus 
weilen einen Iuftigen Ton and irgend einem Zägerhorn, dann das 
Knattern der Gewehrfalven, einzelne Trommelwirbel, und fomit 
hatte die Sade ihren Anfang genommen. . 

Augenblidlih war bei der Mannfchaft in dem Heinen Wieſen⸗ 
thale alle forglofe und nadhläffige Haltung verfchwunden, das Eßbare 
aller Art wurde bei dem erften Kanonenſchuſſe fchleunigft zur Seite, 
geſteckt und wo noch ein paar Baden im heftigſten Kauen begriffen 
waren, da beeilte man fi) und würgte hinunter, daß es eine Freude: 
war; bie Pidelhaube wurde auf dem Kopfe feſtgedrückt, die Glieder! 


Ein ziemlich hitziges Gefeht. 235 


formirten ih ohne Befehl, und Alles wartete gefpannt und war 
auf den Kampf begierig. Die Kanoniere waren wahrhaftig nicht 
die Xepten, die fi an ihr Geſchütz begaben, fie fanden da wie 
an dem Paradeplage, Wifcher und Handfpeiche in den Händen, 
and concentrirten ihr fämmtliches Gefühl auf die Gehörwerkzeuge, 
am nit das leiſeſte Wort ihres Gefhüpführers zu überhören. 
doſes Bruft war zum Serfpringen voll von Erwartung und Kampf- 
uf; er überfah mit einem rafchen Blicke noch einmal die Stellung 
fi Protze und der Pferde, und als er Alles gut gededt aufs 
weielt fah, Ioderte er zum Weberfluß feinen Säbel in der Scheide, 
Mies die Baden auf und meldete ſich bet fich ſelbſt als volltom: 
nen fertig. 

' „Hören Sie, Feuerwerker,“ fagte Lieutenant L., der den 
Haubipenzug commandirte, „id brauche Ihnen keine Ruhe und 
Beſonnenheit anzuempfehlen; aber wenn e8 Ihnen möglich ift, fo 
dergeſſen Sie mir nicht, wenigſtens von einigen Würfen ruhig Die 
Ertundenzahl abzuzählen, von dem Moment des Losfeuerns, bis 
die Granate einfchlägt. Ste willen: eins — zwei — drei — vier 
-Pulsſchlag!“ 

„Zu Befehl, Herr Lieutenant,“ entgegnete der Feuerwerker, 
oßne recht bei der Sache zu fein; denn er horchte ängſtlich auf den 
Sunonendonner, der fich leider zu entfernen fchien. Er bemerkte 
das auch gegen feinen Offizier, der aber kopfſchüttelnd meinte: 

„Selen Sie ganz ruhig, wir befommen bier genug zu thun. Das 
ind heimtücifche Vurfche, die wir vor und haben! Wette ich doc 
Hundert gegen Eins, das Dorf und Schloß da vor uns ftedt voll 
Hannfhaft und Gefhügen. Bemerken Sie dort die rothe Fahne 
au dem weißen Haufe?“ 

„sh babe fchon lange darauf Achtung gegeben,” antwortete 
der Feuerwerker. 

⸗xvemerken Sie fonft nichts da droben? Sie haben doch 
Harfe Augen.“ 


236 Siebentes Kapitel. 


„Es Tiegt dies alles im Schatten. Doch warten Sie einen 
Augenblid, Herr Lieuntnant; Sie bemerken doch die Gartenmauer, 
die um das Haus herumläuft?“ 

„Allerdings.“ 

„Hinter dieſer Gartenmauer,“ fuhr Doſe fort, indem er mit 
der Hand feine Angen beſchattete, „meine ich immer etwas Glän⸗ 
zendes zu entdecken.“ 

„Ganz recht.“ 

„Sins — zwei — drei — vier glänzende Punkte.“ 

„Geſchütze, Feuerwerker — Geſchütze. Da wette ich eine ſchön 
gefühlte Granate gegen eine Flintenkugel — vier Gefchüge, wahr- 
ſcheinlich Zwölfpfünder.“ 

„In der That, es iſt möglich.“ 

„Da ſitzen ſie, hinter ihren Mauern lauernd; wir haben da 
vor uns das Centrum ihrer ganzen Aufſtellung und ſtehen vorder⸗ 
hand verflucht ſchwach dagegen.“ 

Mittlerweile war auch der commandirende Dragoner⸗Offizier, 
unfer Freund, längs der Bergwand näher geritten, um fich eben» 
falls vorn ein wenig umzuſchauen. 

„Run, Feuerwerker,“ fagte er zu Dofe, „befommen ‚wir bald 

was von Ihnen zu hören?” 
„Ih warte nur auf Befehl," antwortete Dofe lächelnd. — 
„Doch hören Sie —“ fuhr er heiter fort, und fein Geſicht übers 
fuhr ein freudiges Lächeln, — „der Spektakel vom rechten Ylügel 
fommt wieder näher.“ 

„Recht nahe,” fagte der Dragoner-Dffizier. „Gebe Gott, dab 
auch wir eine Heine Arbeit befommen.” 

„Ich wüßte was für euch," entgegnete lachend Lieutenant 2., 
„paßt auf!“ 

„Nun denn, fprehen Sie!” 

„Feuerwerker, wie weit ſchätzen Sie das Haus mit der rothen 

Fahne?“ 


Ein ziemlich hitziges Gefecht. 237 


„Nach meiner Berechnung find es zweitaufend Schritt, eher 
etwas mehr ald weniger.“ | 


„So wollen wir vorderhand die beiden Haubipen dahin rich⸗ 
ten laſſen.“ 

„Achtung!“ commandirte Dofe. - — „Mit Granaten geladen! 
— zweitaufend Schritt auf dad weiße Haus!” > 

„Sieben Achtel Pfund Ladung!” rief Numero vier, „und 
zwanzig Grad Erhöhung!” Behutfam legte Numero zwei feine 
Bulverfäde in das Geſchütz, der Bombardier fegte die Granate 
forgfältig ein, den Quadranten einen Augenblid auf — — eine 
halbe Minute lang waren fämmtliche Kanoniere um das Geſchütz 
in Bewegung, dann fprang Jeder wieder an feinen Platz, und 
Alles war fertig. " 

„Run, und meine Arbeit?” fragte lachend der Dragoners 
Offizier feinen Kameraden, der dem Gewühl um bad Gefhüg bes 
baglich zuſchaute. 

„Das tft einfach,” entgegnete der Artillerie Offizier. „Die 
Simmelfafermenter da oben werben fih Hinter ihrer Mauer ziens 
lich Iange halten. Sie fhenen nur die blanke Waffe; wenn wir 
alfo mit Gottes Hülfe ihnen ein paar hübſche Granaten in ihren 
Garten geworfen haben, fo wird die Infanterie zum Sturm vors 
rüden, und dann gebt ihr mit oder vielmehr voraus, Mid fol 
der Teufel holen, wenn da ein Dragonerfäbel nicht ein ebenfo gu⸗ 
tes Stück Arbeit macht, wie ein ehrliches Bayonnet.” 

„Der Teufel ja!“ entgegnete der DragonersÖffizier, und fein 
Gefiht glängte vor Vergnügen, „fo werde ich's machen. Freilich 
find wir zu eurer Dedung da, aber wenn die ganze Geſchichte 
vorwärts "geht, da wollen wir auch nicht dahinten bleiben. Doc 
ihr müßt und entbehren fünnen.“ 

„Lieber Freund,“ verfegte der Artiflerie- Offizier mit großem 
Selbiigefühl, „das find zwei reitende Gefchüge, die kommen überall 
duch, werden auch, wenn es vorwärts gebt, nicht weit hinter euch 


238 Stebented Kapitel. 


bleiben. — Hab’ mir auch ſchon links von dem Haufe eine Heine 
Aufftelung angefehen, von da werde ich fie mit Kartätfchen be» 
dienen.” 

„Gehen wir ein paar Schritte näher,“ meinte der Dragoner, 
indem er fein Pferd antrieb 5; „ich muß doch fehen, wo man am 
beiten da hinauf kommt.” — Und damit ritt er einige Schritte 
vorwärts. | 

„Nehmen Sie fih in Acht, Herr LKientenant,“ warnte ber 
Feuerwerker, „das Grobzeng da oben ſchießt mit feinen geftohle: 
nen Pulver herunter, fobald es eine ehrliche Uniform fieht.* 

Und Dofe hatte Recht. Kaum Hatte fi der Dragoner⸗Offizier 
ein paar Pferdelängen vorgewagt, fo bligte ed an dem weißen 
Haufe auf, eine Rauchmaffe qualmte empor, und zu gleicher Zeit 
fauste eine zwölfpfündige Kugel herüber, rip über dem Kopfe des 
Offiziers einen ſtarken Aft weg, ſchlug einige Schritte weiter auf 
den Boden nieder und ricochettirte daranf in zierlihen, immer 
Heineren Sätzen durch das Wiefenthal dahin. | 

Der Offizier warf fein Pferd herum und zog fich Hinter die 
Bergwand zurüd. | 

„Die Kugel war Ihnen ſchon nahe,” fagte Lieutenant 82. 

„Ein Zwölfpfünder,“ meinte Dofe. „Sie hatten vorhin voll 
kommen Recht, Herr Lientenant.* 

„Augeniheinlih haben fie droben Feine Haubitzen,“ entgeg⸗ 
nete diefer, „fonft könnten fie uns warm maden. Aber jebt, da 
fie uns angegriffen, will ich mich den Henker geniren, und nun 
wollen wir ihnen einige artige Granaten zufenden. — Richtung 
und Erhöhung genau ?“ 

„Alles in Ordnung, Herr Lieutenant ! 

„Run, dann geben Ste Feuer!“ 

„Erftes Geſchütz — Feuerrr!“ 

Mit dem ihr eigenthümlichen klingenden Schlag ſandte die 
Hanbitze ihre Granate in die Höhe, und athemlos blickte Alles zu 





Ein ziemlich hitziges Gefecht. 239 
der Kugel empor, die jetzt plößfich in der Luft fihtbar wurde und 


ſich nun zierlih und funkenſprühend herabneigte. 


„Famos!“ rief der Lieutenant von der Artillerie und machte 


einen Zuftfprung. — Die Kugel war hinter der Gartenmaner 


verſchwunden, und man hörte fie dort explodiren. 

„Zweites Gefhüg — Feuerrr!“ 

Diefe Granate nahm diefelbe Richtung und konnte möglicher 
Beife eine noch fhlimmere Wirkung üben, deun fie zerplagte, che 
fie über den Rand der Gartenmaner hinabſank. 

Einen Augenblid blieb man droben die Antwort ſchuldig; 
dann aber krachten zwei der Gefhüpe und fandten ihre zwölfpfün- - 
digen Kugeln mit ziemlicher Genauigkeit herüber. 

„Bemerken Sie wohl," rief Zeuerwerker Dofe, indem er der 
Richtung feines Geſchützes nahfah, „nur die beiden Geſchütze vom 
rechten und linken Xlügel droben haben geantwortet. In der Mitte 
mäflen unfere Granaten außerordentlich gewirkt haben.“ 

„Richtig! richtig! — Aber halten Sie nur um Alles in der 


Belt immer fer auf die Mitte! Solche Würfe wie die vorherigen. 


zwei find nicht zu bezahlen. — Keuerrr !“ 

Abermald entluden fih die Haubigen, und wenn and eine 
ter Granaten nicht mit demſelben Glücke hineinflog, denn fie fiel 
vor der Gartenmaner nieder, fo ſchlug Doc die andere in das Dadı 
des Hanfes ; man fah die Ziegel umberfliegen. 

„Bravo! bravo, ihr Leute!” rief der ArtileriesOffizier, 
„haltet euch wader! Jetzt antworten auch die mittleren Geſchütze. 
— — — Donnerwetter! das war gut gezielt 1” 

Eine zwölfpfündige Kugel riß den Anfapkolben von der Wis 
(herfiange ab. Numero eins, bie ſich übrigens fehr brav hielt, 
erbleichte ein Klein wenig. 

Dofe war aber auch in dieſem Moment ein großer Mann — 


ganz Feldherr- — Er fihnallte nicht nur eigenhändig den Vor— 


rathswiſcher los, fondern er ging auch unerfchroden drei, vier 


240 Siebentes Kapitel. 


Schritte vorwärts, ganz in's Freie, um, wie er fagte, wachzufeben, 


ob man an der Richtung nicht noch etwas Ändern könne, in Wahr⸗ 


heit aber, um feinen Leuten zu zeigen, daß man ſich wegen fo 


ein paar lumpigen Kugeln nicht zu fürchten brauche. Und das 
that feine gute Wirkung. Die Kanoniere ſchoſſen brav, ruhig und. 
faltbiütig, und ſchon nach einer Biertelftunde antworteten von den 


vier Gefhügen droben nur noch zwei. 


Mittlerweile war das Gefecht auf dem rechten Flügel näher. 
und näher gefommen ; man ſah überall zwifchen dem Laubholz 
und den Tannen Nauch emporfteigen, die Büchfenfchüffe knallten 


ftärker und flärfer, und ed dauerte Feine Viertelftunde mehr, da, 


bemerftie man am Fuß des Berges, auf dem die Ruine ftand, 
zwifchen diefem und dem Dorfe ein Gewimmel von Geftalten, die 
immer fenernd, aber eilig fih hinter die Häufer zurüdzogen. 
Das ftille Wieſenthal wurde nun mit Einemmale lebendig : von 
der Anhöhe herab drangen Iuftig und wohlgemuth ein paar Züge 
Jäger, febten in vollem Lauf durch das Thal und erfletterten 
unter freudigen Hurrahrufen die jenfeitige Anhöhe, un, einiger 
maßen durch die Bäume gededt, ſtürmend gegen das weiße Haus 
vorzudringen, Aus der Tiefe des Thales kamen in raſchem Trabe 


fech8 veitende Gefchüge, geführt von dem Hauptmann v. Stengel, 


der fich belobend über die fchöne Aufftellung der Haubigen und 
über das bisher Geleiftete ausſprach. 

Welch’ Leben war jegt wie mit einem Zauberfchlage fo plöß- 
lich zwifchen den engen Bergen entitanden! Das fuatterte umd 
rafjelte und Frachte duch einander! Dazwiſchen lärmten die Hörner 
von nah und fern und wirbelten die Trommeln auf allen Seiten. 

Das Geficht des Artillerie-Hauptmanns glänzte vor Kampfluſt 
und Freude. „Sie haben da ein braves Stück Arbeit gemacht!“ 
rief er dem Feuerwerker zu, indem er fein Pferd parirte; „das da 
oben fcheint mürbe zu fein, werr weiß, wie fehr! Noch ein paar 
tüchtige Würfe, und fie laufen auf der ganzen Linie,“ 








Ein ziemlich hitziges Gefecht. 241 


> 3 würde den Herrn Hauptmann um Erlaubnig bitten,“ 
fagte Kieutenant 2. eifrig, „noch ein paar Hundert Schritte vor⸗ 
jugeben ; bier links um die Bergwand iſt ein herrliches Plägchen, 
wir find jebt Doch zu weit von ihnen ab. 

„Richtig! richtig!" entgegnete der Hauptmann. „Laffen Sie 
aufprogen und vorwärts! Wir wollen ihnen frei auf der Ebene 
die Zähne weifen, werr weiß, wie bald!” 

Sogleih ftellten die Haubigen ihr Feuer ein, proßten auf 
und jagten gegen den Hügel, auf welchem das weiße Haus ftand, 
Das Plätzchen, das fih der Lieutenant 2. ausgeſucht hatte, war 
allerdings vortrefflich gelegen, und faum hatten die Haubigen und 
Kanonen Stellung gefaßt, fo wurde der Befehl gegeben, mit Kar- 
tätfchen zu laden, und in wenig Augenbliden fauste es über die 
GSartenmaner hinweg, daß Jedem das Herz im Leibe lachte. 

Der Feind, obgleich im erſten Momente beſtürzt über die 
Nähe der Batterie, fuhr indefjen mit feinen Gefhügen nicht fo " 
fhnell ab, wie man das dieſſeits wohl erwartet. Seine Stellung 
war auch außerordentlich feſt und haltbar; fie Hatten fi in die 
Gartenmauer ordentlihe Schiepfeharten gemacht und wurden jept 
von dem Kartätfchenfeuer weniger beläftigt, als vorhin von den 
Wurfgefchoffen, wogegen fie mit ihrem fchweren Galiber- die faft 
fret daſtehenden Gefhühe mit einem wahren Hagel von Eifen 
überjchütteten. Dies war das ſchlimmſte Moment des ganzen Ta- 
ges; die feindlichen Kugeln fehlugen zwifchen die Gefhüße und 
Dferde und verwundeten manchen braven Sanonier. Aber da man 
ſah, daß die Freunde flegreih von allen Seiten vordrangen, fo 
achtete man ein paar leichte Schrammen und Löcher nicht befonders. 

Dofe Hatte bei feinem Geſchütze ein erfchoffenes Pferd, das er 
angenblicklich ausfpannen und befeitigen Tieß. 

„Das tft ja wie ein Gewitter mit eifernen Schloſſen,“ rief 
ihm ein Bombardier zu, nachdem er, allerdings ein wenig Beftig, 


von der Richtmafchine zurüdgewichen, denn eine Kartätſchkugel 
Holländers Werke. V. 16 


242 Stebentes Kapitel. 


hatte ihm die Auffabftange faft unter der Nafe entzwei gerifien. 
— „Un der ift nichts mehr zu halten.“ 

„Deſto befjer I” verfeßte Dofe, „hervor mit dem Onadranten ! 
Hol’ der Teufel die Kartätfchen! Das iſt ohnedies ein unwürbiges 
Geſchoß für eine Haubiße; paßt mir auf, meine Jungen! Wir 
wollen einmal vom allgemeinen Befehl abweichen und ihnen in der 
Geſchwindigkeit noch ein paar Granaten zufenden. Aber das muß 
bei euch pünktlich gehen und ſchnell wie ein fledendes Donnerweiter. 
— Geladen! — Sehshundert Schritt auf die Gartenmaner. 
— He da, Schabel! wifch mir nur gehörig aus; ich will Dir was 
fagen, mein Sohn, dein Herumblinzeln verjagt feine Kugel. — 
Sp! fe drin gehalten. — Prrrdautz! was Teufel ift das? 
Schießen die Hallunfen wieder zur Veränderung mit Bolllugeln!“ 

„Am linken Borderrad der Proge hat es zwei Felgen mitge: 
nommen, das Rad wadelt,“ meldete ein Kanonier. 

„Es fol in’s Teufels Namen wadeln, wenn es nur hält bis 
wir fertig find,“ entgegnete Dofe. „It die Granate eingefept ? 
— Genau! — So! — Geſchütz — Feuer!“ 

Die Sranatefchlug herrlich ein. Ste mußtefaft auf eines der feind- 
lichen Gefhüge gefallen fein und war in der gehörigen Diftanz geplatzt. 
Wenige Sekunden nachher, welche Dofe dazu anwandte, auf's Neue zu 
laden, bemerkte man ein Durcheinanderlaufen in dem Hofe, dann wur: 
den die Gefchüge zurüdgezogen und verfchwanden hinter dem Haufe. 

„Bravo! bravo, Feuerwerker!“ rief Hauptmann v. Stengel, 
der herbeigeeilt war, „ein famofer Burf, sein fehr Schöner Wurf; 
werr weiß, wie ſehr!“ 

„Dank, Herr Hauptmann,“ fprach ruhig Dofe. „Habe noch 
einen zweiten auf der Pfanne.” — Damit warf er einen Blick auf 
das weiße Haus, hinter welchem fih der Feind eifigft zurüdzog. 
„Roc eine AchtelpfundsLadung drauf!“ rief er dann heiter, „wenn 
ed aud ein Bischen aufhält: Jetzt auf taufend Schritt hinabge⸗ 
ſchraubt, und nun — Feuerrr!“ 


Ein ziemlich hitziges Gefecht. 243 


Bei diefem letzten Worte Tieß Dofe fein Geſchütz im Stich 
und fprang einige Schritte weit den Hügel hinauf, um die Wir⸗ 
fung des Schufjes befjer zu ſehen. Ab! diefer kam zur rechten 
Bett, um die regellofe Flucht des Feindes hinter dem weißen Haufe, 
die Straße abwärts, noch toller zu machen. Trog den Feuerwerker 
nicht fein Auge, fo war ein tüchtiges Stüd der gefprungenen Ku⸗ 
geln zwifchen zwei Pferde Hineingefchlagen und hatte ein Geſchütz 
in den Graben gelegt. Doch war im nächſten Augenblide nicht 
viel mehr zu ſehen; die Batterie mußte ihr Feuer einftellen, um 
nicht die eigenen Jäger zu treffen, die jet in wilden Sprüngen 
gegen das Gehöft ftürmten, aus defien Fenftern und hinter der Gar: 
tenmauer ber der Feind noch ein tüchtiges Gewehrfeuer unterhielt, 

Der Dragoner-Offizier, der fange hinter der Batterie gehalten, 
hatte fein Vorhaben nicht vergefien. Ald er den Feind auf dem 
rechten Flügel fo unaufhaltfam fliehen ſah, und als auch feine 
Befürdtung für die Batterie mebr da war, ließ er fie unter dem 
Schutze des Zuges Infanterie, der nicht weit von ihr fland, drang 
mit feinen braven Reitern durch einen Waldweg über eine dicht 
bewachſene Höhe gegen das weiße Gebäude und langte mit den 
Jägern vor demfelben an. Hier aber gewann er mit feinen Reis 
tern einen Vorſprung; das Terrain ging fanft ab⸗ und aufwärts, 
und ohne fih fang um das feindliche Gewehrfener zu befümmern, 
warf er fih mit feinen Dragonern aus dem Gehölze hinaus und 
flürmte, den Säbel in der Zauft, das Gehöft. Die Feinde, die 
hinter ihrer fiheren Dedung wahrfcheinlich noch lange hervorge⸗ 
Thofjen hätten, waren beim Anbli der anftürmenden Reiter, des 
blanten, hochemporgefchwungenen Säbels und bei dem Hurrahrufe 
derfelben beftürzt geworden. Die meiften verließen Fenſter und 
Mauer, und nur die Kediten unter ihnen thaten noh ein paar 
wohlgeztelte Schüfje; dann verfuchten auch fie ihr Heil in der Flucht, 

Der DragonersDffizier hatte es aber nicht im Sinn, ihnen 
diefelbe fo gar Leicht zu machen; er ſchwenkte mit feinen Reitern 


244 | Stebentes Kapitel. 


um den Garten herum, bis an ein hintered Thor, wo er mit den | 
Zliehenden faft zu gleicher Zeit anfam. Da, beim Anblil der 


Reiter prallten die feindlichen Schügen erſchrocken auf und flüchte- 





ten nach dem Haufe zuräd, Doch Hatten fie ſich kaum wieder hin 


eingeworfen, als die Jäger von der anderen Seite ſchaarenweis 


über die Gartenmauer fprangen und ebenfalls in das Haus fürms 
ien, um den Feind, der ihnen manchen Kameraden verwundet, nies | 
derzumachen. DBergeblich fprang ein Jäger⸗Offizier zu gleicher Zeit 


mit ihnen die Treppen hinauf und fuchte die erhitzte Mannſchaft 
von unndthigem Blutvergießen abzuhalten. Die beiden Parteien 


waren fo erbittert auf einander, daß man keinen Pardon verlangte 
und gab, dag man fich vielmehr in Zimmern und Gängen herum= | 


flug; dazwifchen kamen zuweilen Schüffe und ſchallte wildes Ge⸗ 
fihrei in den Garten hinaus, j 

Der DragonersÖffisier warf fihb vom Pferde, nahm einige 
feiner beiten und ruhigften Leute und drang mit diefen zu Zuß 
ebenfalls in das Haus. Hier fand er Alles in der größten Ber: 
wirrung, in einem wilden, wüthenden Kampfe. — „Warum ergebt 
ihr euch nicht?” rief er einem feindlichen Infanteriften zu, der oben 
an der Treppe ftand, mit der linken Hand fein Gewehr hielt und 
fh mit der rechten an einem Pfoſten feſtklammerte. Statt aller 
Antwort blidte diefer den KavalleriesOffizier mit einem fchaner- 
lichen Blide flarr an, zudte dann leicht mit den Achfeln, ftieß einen 
tiefen Seufzer aus und ſank in die Kniee, worauf er todt die Trep⸗ 
pen hinabrollte. 

Die Dragoner ftürmten eilig in den erften Stod, traten eine 
zhüre ein und kamen zeitig genug, um ein Dußend feindlicher 
Schügen vor den anftürmenden Jägern zu reiten und zu Gefange- 
nen zu machen. 

Lieutenant v. W. Tieß fie durch feine Reiter hinabtranspors 
tiren und unterfuchte dann mit den Jäger⸗Offizieren das Haus, 
Sie fanden Überall Todte und Verwundete, namentlich in einem 


Ein ziemlich higiges Gefecht. 245 


größeren Zimmer des Erdgeſchoſſes, wo Doſe's zweite Granate 
durchgeſchlagen hatte. Dieſer Saal war durch eine ſpaniſche Wand 
in zwei Theile getheilt, hinter dieſer Abſcheidung vernahm der 
Dragoner⸗Offizier leiſes Schluchzen. Auf einer Matratze vor ders 
ſelben lag ein ſchwerverwundeter junger Mann, der matt den Kopf 
hetumdrehte und feinen Feind fragend anſah. 

„Ste werden ſogleich Hülfe erhalten,” ſagte der Dragoners 
Offizier. „Ich werde augenblicklich nah einem Arzte ſchicken. — 
Sind Sie ſchwer verwundet?” 

„Ih glaube wohl,” entgegnete matt der Andere, worauf er 
fhmerzlih die Lippen aufeinander bi, „Das Stüd einer Granate 
hat mir ſchwer die Seite verlegt. — Sind alle unfere Leute ges 
flüchtet?“ fragte er nach einer Pauſe. 

„Wir haben vielleicht einige zwanzig zu Gefangenen gemacht,” ers 
widerte Lieutenant v. W. 

„Zu Gefangenen ?" 

„Allerdings; Ste glauben doch wohl nicht, daß wir einen 
wehrlofen und eingefhlofienen Feind niedermahen? Ich bin übers 
zengt, Sie glauben das nicht.” 

Hinter dem Verſchlage hörte man einen tiefen Seufzer. 

Hiedurch aufmerkſam gemacht, fuhr der Dragoner-Offizier fort: 
„Wenn fih auch dort noch einige Ihrer Leute verborgen halten, 
fo mögen fie ruhig hervor kommen; es tft mein Grundfag, an dem 
ich feft und Heilig halte: Schuß den Wehrlofen und Ber: 
folgten, wo ich fie finde.“ 

In diefem Augenblide verwandelte fi der Seufzer hinter der 
fpanifhen Wand in einen leichten Aufſchrei — — einen Ton, der 
den Offizier heben machte. 

„Es find zwei Damen,” fprad der Berwundete. 

Lieutenant v. W. trat rafch Hinter den Verſchlag. Wir wol: 
len eingeftehen, daß fein Herz heftiger ſchlng, als vorhin bei der 
Altaque auf das Haus; er fah vor fi eine alte Dame, die in 


246 Siebentes Kapitel. 


einem Lehnſtuhle faß, zu ihren Füßen Iniete ein junges ſchönes 
Mädchen, welches die beiden Hände der alten Dame gefaßt hielt. 

Das junge Mädchen hatte lange, blonde, reiche Flechten und 
Locken, die.wahrfcheinlich von der Aufregung los gegangen waren 
‚und ihre Schultern und Bruft bededten. Sie wandte dem eintre- 
tenden Offizier mit einem feltfamen, erwartungsvollen Ausdrud ihr 
ſchönes Geficht entgegen, das ſich plößlich mit einer tiefen Nöthe 
bededte. 

Lieutenant v. W. blieb eine Feine Weile wie feftgebannt vor 
dieſer Gruppe flehen, dann verneigte er fi) vor den beiden Damen 
und wiederholte nur die drei Worte: „Schuß den Berfolgten,“ drei 
einfache Worte, die aber das Mädchen mit dem blonden Haar aufs 
tieffte zu erfchüttern ſchienen; denn ihr Geficht, vorher noch fo roth, 
wurde jept farblos und blaß, dann fenkte fie plöglich ihren Kopf 
in die Hände der alten Dame. 

„Womit kann ich Ihnen dienen?" fragte Lieutenant v. W. 
nach einer Paufe. „Wollen Sie hier in dem Haufe bieiben, oder 
wohin befehlen Sie ?* 

Die alte Dame fah dankbar zu dem feindlichen und doch fo 
überaus artigen Offizier auf; dann richtete fie das Mädchen in 
ihrem Schooß in die Höhe und erhob fich felbit, indem fie fagte: 
„Beruhige dich, Sophie.” Dann wandte fie fih mit den Worten 
an den Offizier: „Ich danke Ihnen, mein Herr, für die Artigkeit, 
mit der Sie Ihre Feinde behandeln; doch wenn wir aud durch 
die feltfame Lage, in der wir und befinden, zu Ihren Gegnern 
gehören, fo werden Sie dod, meinen Worten glauben, daß wir 
Ihres Schupes in feiner Beziehung unwerth find. Das Schickſal 
beftimmt den Menfchen, das unfrige war hart und traurig; der 
Berwundete, mit dem Sie vorhin fprachen, ift mein Sohn, der 
Bruder dieſes armen Mädchens.“ 

Lieutenant v. W. verbeugte fich leicht. 

„Sie find Sieger für Ihre Sache,” fuhr die alte Dame ſtolz 








Ein ziemlich hitziges Gefecht. 247 


fort; „wir find für die unfrige, die wahrhaftig nicht ſchlechter ift, 
leider unterlegen.” 

„Mama!” fagte das junge Mädchen in bittendem Tone. 

„Aber Sie find ein edler Sieger; ich danfe Ihnen, und wenn 
Sie uns nicht als Gefangene zu behalten wünfchen — ich weiß ja 
nicht, wie ftreng Ihre Befehle find, — fo bitte ih Sie, mich nad 

* .. bringen zu laſſen; es ift ein Landgut, eine halbe Stunde von 
bier, und unfere eigentliche Wohnung.” 

„Ste find vollkommen frei, meine Damen,” verfeßte der Dras 
goner-Öffizier, „und wenn ih Sie, um mich Ihres Ausdrudes 
zu bedienen, nad * . . bringen werde, fo gefchteht es nur, um 
Sie durch meinen Schuß vor allenfälligen Unannehmlichkeiten zu 
bewahren.” 

„Ich danke Ihnen,” entgegnete troden und ernft die alte Dame, 
„Aber mein Sohn — was wird mit ihm?“ 

„Ich erwarte nur den Bericht des Arztes, ob er zu transpors 
tiren tft, und in dem Falle wird er Sie begleiten und hat nur fein 
Ehrenwort zu geben, daß er ohne vorherige Anzeige das Landgut 
nicht verlaflen wird.“ 

Die alte Dame warf einen fchmerzlichen Blick gen Himmel, 
dann fagte fie mit leifem, aber bitterem Tone der Stimme: „Seien 
Sie unbeforgt, Ihre Kugel hat zu gut getroffen; mein unglückliches 
Kind wird jened Landgut Iebend nicht verlaffen. — Oh!" fuhr 
fie in Thränen ausbrehend fort, „könnte ich nur meinen fchwerften 
Fluch auf das Haupt desjenigen fehleudern, der jene niederträchtige 
Kugel herübergefandt!* 

Sp unangenehm der DragonersÖffizier auch von dem Schmerze 
der Mutter berührt war, fo konnte er ſich Doch nicht enthalten, in 
feinem Geiſte Urſache und Wirkung zufammen zu ftellen. Dort den 
langen Feuerwerker Dofe in feinem Dienfteifer, in feinem Glück 
über den ſchön gelungenen Wurf, hier den verwundeten jungen 
Mann, vielleicht der Stolz feiner Familie, in den fchönften Fahren 


248 Siebentes Kapitel. \ 


des Lebens niedergefchmettert. — „Ab, der Krieg ift ein hartes 
Handwerk,“ fprach er halblaut vor fi bin. Worauf die alte Dame 
die Zähne zufammenbiß und ihm das junge Mädchen einen Dans 
kenden Blick zumwarf. 

Der Arzt der reitenden Batterie war ſchnell auf dem Platze, 
er unterfuchte die Verwundeten, zuckte bei dem jungen Manne Die 
Achſeln und fagte leife zu dem Dragoner-Öffizier: „dem wird ein 
Transport nicht mehr viel fchaden.” Eine Tragbahre wurde im 
dem Haufe gefunden, und man legte den jungen Mann darauf, 
nachdem feine fchwere Wunde fo gut wie möglich verbunden war. 
Einige Knechte, die man In den Ställen und Sellern gefunden, 
faßten die Tragbahre an und verließen mit berfelben das Haus. 
Die Mutter hatte die Hand ihres Sohnes erfaßt und ging neben 
ihm her, das junge Mädchen folgte. 

Lieutenant v. W. nahm zwölf Mann feiner Dragoner und 
hielt e8 für feine Pflicht, die Gefangenen nach dem nahen Land⸗ 
haufe zu begleiten. Er ging an der Seite des jungen Mädchens 
und lieg fein Pferd folgen, deſſen Zügel er um die rechte Hand 
gefchlungen Hatte. Raſch fehritten die Träger voran, und nachdem 
man den Garten verlaffen, wandte man fich zwifchen die Berge 
hinein, ließ das Schlachtfeld Hinter fih und war in kurzer Zeit 
von dem dichten, frifchgrünen Walde umfangen, von der ruhigen, 
ſtillen Natur, und hätte es Teicht vergeffen können, daß nod 
vor einer halben Stunde diefe Berge wiederhallten vom Gewehr» 
feuer und Kanonendonner, Dort unten im Thale war der Krieg, 
bier der Friede. Wenn vorn die Träger, was öfters vorfam, an 
einer Biegung ded Weges auf Augenblicke verjchwanden, fo über: 
ließ fich der junge Offizier feinen Phantaflen und träumte fi in 
eine ganz andere Zeit und Umgebung hinein. Da war er allein 
mit dem jungen Mädchen unter den hohen Buchen und Eichen, fie 
machten einen harmlofen Spaziergang, und er vergaß völlig den 





Ein ziemlih hitziges Gefecht. 249 


heutigen Morgen, dachte nicht mehr daran, daß er erft vor Kurzem 
den Hochgefhwungenen Säbel in die Scheide geftedt. 

So leiten Herzens er einige Zeit neben der ſchönen Sophie 
dahin fchritt, fo ſchwer wurde es ihm, ein Gefpräc mit ihr ans 
zufnüpfen. Der biutige Tag däuchte ihm kein paſſendes Terrain, 
ebenfo wenig die Erinnerung an jene Nacht. Glüdlicherweife ge⸗ 
dachte er des Landhaufes am Rhein und des langen Eduard, und 
auf die Erzählung diefes würdigen Freundes fußend, fprad er 
von dem andern Tage jened Balled, von feinem Glüde, durch 
jene Einquartierung eine Nachricht von ihr erhalten zu haben, 
eine Nachricht, die ihn ganz entzüdt, da er daraus entnommen 
habe, man zürne ihm, dem Unbekannten, nicht wegen feiner vers 
wegenen Handlung. Wenn er auch dem, was er fagen wollte, 
auf einem großen Umwege näher gefhlichen war, fo erröthete und 
erblaßte das Mädchen doch abwechſelnd und beeilte ihre Schritte, 
um die Borausgegangenen einzuholen. 

„Seien Sie nicht fo graufam gegen mid !" bat der Dragoner- 
Offizier 5 „uns hat das Schidfal zweimal auf fo eigenthümliche 
Art zufammengeführt, daß man wahrhaftig glauben könnte, es 
habe dies nicht ohne Abficht gethan. Und Leider bedarf ich für 
beide Male Ihrer Berzeihung, mein Yräulein, und nur darum 
bitte ich.“ 

Das Mädchen erhob den Kopf und fah ihn mit ihren glän- 
enden dunkeln Augen eine Sekunde feſt an. — „Ich habe Ihnen 
uichts zu verzeihen,” fagte fie nach einer Paufe.. — „Damals, 
dad war eine unüberlegte Handlung, und heute — — nun, id) 
tönnte es faft fürein Unglüd halten, daß Sie uns feindlich gegen⸗ 
über ſtehen.“ 

„Ah! wenn Sie das wenigſtens für ein Unglück halten, ſo 
bin ich ſchon zufrieden, und ich danke Ihnen herzlich für dieſes 
Wort.“ 

Sophie ſah ihn treuherzig an, dann verſetzte fie raſch: „Sch 


250 Siebentes Kapitel, 


danke Ihnen recht ſehr, dag Sie fi meines Bruders und unſerer 
fo edelmüthig angenommen. Wir befanden uns in dem Haufe nad 
dem’ unglüdlichen Ausgange des Gefechts in einer tödtlichen Angſt, 
— als ih Ihre Stimme erkannte. . .* 

„ah! Ste erkannten meine Stimme ?“ 

„Jene Worte,“ fagte das Mädchen leicht erröthend, „da fühlte 
ih, daß wir gerettet feien.“ 

„Sie fühlten das, Sophie ?” 

„a, ich fühlte es,” antwortete das Mädchen und blickte den 
jungen Offizier mit einem unnennbar weichen Ausdrude an, und 
fagte zu mir: „wir find gerettet.“ 

„Alfo Sie gedachten meiner? Ja, Sie mußten meiner gedacht 
haben, wenn Sie die Stimme oder die Worte wieder erfannten !“ 

„Sa, — ich dachte vielleicht hie und da an Sie, und wohl 
nit an Sie; ich dachte an etwas Wefenlofes, an etwas, das Ih 
nie geſehen, ich dachte an drei Worte, an den Klang jener 
Stimme.“ 

„Und als ih nun vor Sie hintrat und jene drei Worte aus- 
fprah, war ich Ihnen fremd, oder wurde es Ihnen leicht, den 
Klang meiner Stimme mit meiner Perfon zu vereinigen ?“ 

„Ste waren unfer Retter,“ antwortete faum hörbar das Mäd— 
hen, „und ich fühle mich nicht unglüdlih, daß Sie gerade es 
waren. — — Doch endigen wir Diefe fonderbare Unterhaltung ; 
auch find wir am Ziele: dort vor und Itegt das Landhaus. Neh- 
men Sie nochmals meinen Dank, und laſſen Sie mich eilen, meine 
Mutter ift fchon weit voraus.” 

„Aber ich werde Sie wieder fehen, Sophie,” fagte drängend 
der Dragomer-Offizter, indem er eine ihrer Hände ergriff, „gewiß, 
ih werde Sie wieder fehen. Wir bleiben drüben ein paar Tage 
Itegen, und mein Pferd trägt mich in ‚einer Heinen Viertelftunde 
hieher.“ 

Lieutenant v. W. glaubte von den Fingern des jungen Mäd— 





Ein ziemlich hitziges Gefecht. 251 


chens einen leichten Drud zu fühlen; doc als er ihrem Blick bes 
gegnen wollte, war diefer feit nach dem Landhaufe gerichtet, und 
ohne fich umzuwenden, ſprach fie: „Leben Sie wohl — Sie müfs 
fen Alles vergefien. Denken Sie an den Krieg und daß wir 
Feinde find ; vor Allem aber merken Sie auf meine Worte: wagen 
Sie fi nie allein und unbefonnen in diefe Berge.” — Damit 
riß fie ihre Hand los und fprang den vorausgeeilten Trägern nad). 

„Ei!“ fagte der Dragouer-Offizier nach einer Paufe, während 
er ihr nachblickte, da fie fo Leicht und ſchlank dahinſchoß wie ein 
Reh, „ei, der Zaufend, fo Leicht gibt man ein folches Abentener 
nicht auf!” — Damit ordnete er das Sattelzeug feines Pferdes, 
ſchwang fih hinauf und trabte, von den Dragonern gefolgt, nad) 
dem weißen Haufe zurüd, 


Achtes Kapitel. 


Handelt vom Bivoualiren im Allgemeinen und zeigt, wie man in Friedenszeit felne Wade 
verlafien und doch ein braver Bombartier fein fann. 


Der Feuerwerker Dofe hatte einen glorreihen Tag verlebt; 
er war zum erften Male im euer gewefen, er hatte fich mit feinem 
Geſchütze tapfer gefchlagen, und man konnte nicht läugnen, ein 
Heine Lorbeerblatt des Siegerkranzes gebührte ihm. Dagegen 
waren die Verlufle, die er und das Geſchütz erlitten, nicht außer: 
ordentlich groß. Außer dem StangensHandpferde, das getöbtet 
worden, war nur eines der Bedienungs-Mannfchaften ziemlich ver- 
lept, dann hatten zwei Kanoniere nicht gerade bedeutende Schrams 
men erhalten, ihm felbit aber Hatte eine Kartätfchlugel die Parir- 
fange des Säbels zertrümmert und ihn an der Hüfte verlegt. 


Bon einigen Kafetten-Splittern und einem zerfchmetterten Wifcher 


[4 


252 Ahtes Kapitel. 


wollen wir gar nicht reden. Wichtiger waren die verlegten Felgen 
des Proßrades, und hierbei zeigte ſich Dofe auf dem Schlachtfelde 
in feiner ganzen Größe. Er war von jeher ein Freund von allen 
manoeuvres de force gewefen, und bier fühlte er fi ganz glücklich, 
das Erlernte praktifch anwenden zu können. 

Während die übrige Batterie abfuhr, um fih am Bivonakplatze 


aufzuftellen,, blieb Dofe allein zurück, befchiente die zerfprungenen 


Felgen und umwand fie fo fauber und feſt mit Striden, Daß es 
eine wahre Freude war, die fertige Arbeit zu fehen. 

Dofe hatte an dem Tage Glüd ; denn als Alles in Ordnung 
war und er fich auf das Pferd fchwang, um gegen das Dorf hinab 
zu reiten, begegnete er einem Trupp glänzender Offiziere, hohen 
und höchften Generalen und Commandeuren. Der Fenerwerfer 
meldete dienftmäßig die Urſache feines verfpäteten Einrückens, und 
die Haubige war augenblidlich von einem Kreife aufmerkffamer Zu⸗ 
fihauer umgeben, welche die entflandenen Schäden und ihre kunſt—⸗ 
volle Ausbefjerung in Augenfchein nahmen. Der vornehmfte und 
erſte der Offiziere, ein fchöner Mann mit einer hoben Geftalt, 
freundlichem Geſicht und prachtvollem blondem Schnurrbarte, ließ 
den Namen des Feuerwerkers notiren, der daranf feelenvergnügt 
feinen Weg fortfeßte. 

Auch Hauptmann von Stengel empfing Dofen freundlich, 
werr weiß, wie fehr! und verficherte ihm, er werde auf feine 
Beförderung antragen, were weiß, wie bald! 

Sämmtlihe Truppen Hatten fih unterdefien um das Dorf zus 
fammengezogen und theils in demfelben Quartiere erhalten, theils 
bivouakirten fie rings umher. Das Hauptquartier wurde in jenes 
weiße Haus verlegt, von defien Erftürmung wir Zeuge waren; 
ed war ein gut eingerichtete, großes Gebäude, Tag, wie ſchon 
bemerkt, auf einem Hügel, weßbalb man von ihm aus die Gegend 
rings umher überfehauen konnte. Bon hier num nahmen fich die 
Bivonaks und Kagerpläge der Soldaten, die Artillerie⸗Parks, die 








Dad Bivonakiren im Allgemeinen. 253 


KavalleriesPilets außerordentlih gut aus; jeder Truppentheil 
bildete einen eigenen, abgefchloffenen Theil, eine zahlreiche Familie, 
die eben anfing, fih häuslich einzurichten. 

Die Infanterie ordnete ihren Lagerplag am fchnelliten; denn 
fie brauchte nur den Tornifter abzufchnallen und ihn in Reihe und 
Glied zu legen, und hatte alsdann die volllommenfte Muße, ihr 
Holz, ihr Waſſer und ihre Lebensmittel zu fafjen. Bei ihr qualm⸗ 
ten auch zuerft die Feuer, wurden zuerft die großen Kefjel übers 
gehängt und eine gute Suppe gekocht. 

Die Kavallerie brauchte längere Zeit, um Pflöde eingufchlas 
gen, die Fourragirleinen herum zu ziehen und die Pferde mit den 
Striden daran zu binden, 

Die Artillerie mit ihren Kugeln» uud Granatwagen war ges 
nöthigt, Länger zu marſchiren und fich entfernter aufzuftellen. 
Rachden dies mit großer Genauigkeit und ziemlicher Umftändlichkeit 
gefchehen, wurde die Deichfelfpige durch einen in den Boden ges * 
ſchlagenen Pfahl befeitigt, die Pferde an die Deichfel und hinter 
das Geſchütz und die Wagen gebunden und darauf abgefattelt. 
Wenn auf diefe Art die Artillerie auh am längften gebraucht, 
ehe fie zur Ruhe kam, fo bot dagegen aud ihr Lager den male 
riſchſten Anblid, Die Geſchütze ftanden da ernſt und düſter in 
langer Reihe, um fie herum die fchüttelnden und fchnaubenden 
Pferde, Hinter ihnen die dunkeln Wagen, und zwifchen all’ dem 
das Gewühl der Kanoniere, die, nachdem fie Sattel und Zeug abs 
gelegt, zu einauder bin Ilefen, um fich über die Erlebniffe des 
Tages zu unterhalten. Gin anderer Theil befchäftigte fih au den 
Kochherden, die in ziemlicher Entfernung von der Batterie ange- 
legt waren, oder umflanden neugierig die Feldſchmiede, die von 
dem Batteriefchmied in Thätigkeit gefept wurde und deren großer 
Blasbalg auf und ab ächzte. 

Diefe Einzelheiten bemerkte man freilich aus der Entfernung 
nicht; doch bot dafür, von Weiten gefehen, die ganze Ebene eir 


054 | Achtes Kapitel. 


teged, Tebendiges Bild. Das Grün der Wiefen bie und da mit 
den Dunkeln, wimmelnden Seftalten bedeckt, große Flecken bildend, 


‚ rings herum die ernften Waldungen, vorhin fo Tebendig und ber 


wegt, jebt in tiefem Schweigen, faum unterbrochen durch den 

Schrei eines Raubvogels, das Dorf in der Mitte, beglänzt von 
der Abendfonne, mit feinen fpipen Giebeldächern und unzähligen 
Schornfteinen, aus denen bläuliher Rauch empor qualmte, und 
über Alles die alte Schloßruine, die fo finfter und graͤmlich auf 
dieſes Treiben herabzuſchauen ſchien. 

Die mannigfaltigſten Klänge belebten dieſes kriegeriſche Bild: 
der Jubelruf der Soldaten, ein in der Entfernung geſungenes Lied, 
das ſcharfe Raſſeln einer Trommel, irgend ein Horn⸗ und Trom⸗ 
peten⸗Signal, und endlich die Klänge einer prächtigen Militärmufik, 
die hell und luſtig von dem weißen Gebäude her über das Feld 
dahinſchallte. 

Das weiße Haus war übrigens der Mittelpunkt des ganzen 
Lagerlebens; mit feinem weiten Hofraume und Garten war es ein 
Bild im Kleinen von dem, was das Feld draußen im Großen war. 
Auch Hier lagerte Infanterie, Kavallerie und Artillerie, theils als 
Bedeckung des Hauptquartierd, theils als Neferve einer vorgefcho> 
benen Feldpoften- Kette. 

Wenn wir den geneigten Leſer tn den Hofraum dieſes Hanfes 
führen, fo gefchieht es, um dem Titel unferes Buches: „Wachtſtuben⸗ 
Abenteuer” einigermaßen getreu zu bjeiben. Wenn auch bier von 
feiner Wachtftube die Rede war, fo doch von einer Wache im groß: 
artigften Style, von der Wache einer Compagnie Garde⸗Landwehr 
und Lintens Infanterie, welche heute die fpezielle Bedeckung des 
Hauptquarttiers bildeten. So lange e8 Tag war, hatte dieſe Wache 
nicht viel Bemerkenswerthes: die Soldaten faßen auf den Treppen 
des Hauſes, oder lagerten ermüdet unter den großen Bäumen des 
Hofes, die Offiziere dagegen befanden ſich bei ihren Kameraden 
oder im Haufe, plauderten über allerlei Vorgefallenes und vernah⸗ 


Das Bivonakiren im Allgemeinen. 255 


men mit Interefie die Rapporte der verfchtedenen Truppentheile 
über die Erlebniffe des Tages, Als es aber Abend geworden war, 
ald man hörte, wie aus jedem Theile des Bivouaks die Retraite 
geichlagen und geblafen wurde, als es Immer mehr dunfelte und 
man auf der Ebene nichts mehr erkennen konnte, ala die euer 
der Soldaten und einzelne Kichter aus den Häufern des Dorfes, 
da begann auch der weite Hof eine ganz andere Geftalt anzunehmen. 
Die Soldaten hatten Feuer angezündet für fih und die Offiziere, 
und als die Flammen hoch emporloderten, die Wände des Haufes 
mit rothem magiſchem Schein bededten und die Bäume auf eigen- 
thümliche Art zu beleben fchienen — denn die heil angeftrahlten 
Blätter zitterten durcheinander bei jeder Bewegung der Flamme, 
und die Schatten an den weißen Mauern wehten in feltfamen For⸗ 
men bin und ber, wie dunkle Gefpenfter, — da belebte fich der 
Hof, man verließ die dunfeln unfreundlichen Zimmer und gruppirte 
fih um die Wachtfeuer plaudernd im Kreife, 

Um eined derfelben finden wir unfere Freunde wieder: den 
DragonersOffizier v.W., den Hufaren» Offizier, der Adjutantendienft 
im Hauptquartier errichtete, Lieutenant Robert, der die Gefchüße 
der Feldwacht commandirte, und den langen Eduard, der ſich hier 
als Wachthabender befand. Letzterer ſaß an einen Baumftamım 
gelehnt und machte in feiner ernften und würdigen Weiſe die Hon- 
neurd des Wachtfeuerd, d. h. er vertheilte die Pläße an demfelben, 
er fah darauf, daß fleißig Holz nachgelegt wurde, er hatte eine 
große Feuerzange neben fih, mit der er glühende Kohlen zum 
Anzünden der Pfeifen und Cigarren herumreichte, und wenn er 
die Hand hinter den Baum ausftredte, an dem er faß, fo gab ihm 
fein Burſche eine Klafche rothen Wein in die Hand, die er als- 
dann in zeitgemäßen und richtigen Panfen im Kreife umgehen Tief. 

Die meiften Offiziere befanden fich in der Mütze und ohne 
Waffen; nur der lange Eduard und der Dragoner-Offizter waren 
dienftmäßig gefleidet. Leßterer ftand aufrecht neben dem euer 


256 Achtes Kapitel. 


hatte beide Hände auf feinen Säbel geftügt und bfidte nachden⸗ 
Tend in die rothen Flammen. 

„Zu allem dem, was du heute erobert, gehört auch dein außer⸗ 
ordentliches Glück,“ fagte der Hufarens Offizier. „Alle Wetter! ſo 
was blüht unfer einem nidht. Kommt da mit feinem Zuge und 
kann da an der Erſtürmung eines verfchanzten Haufes Theil neh: 
men. Wem Gott wohl will, dem gibt er's im Schlafe.“ 

„Unberufen,“ antwortete ernft der Andere. 

„Und die Eroberung, die er gemacht bat!“ mifchte fih der 
‚lange Eduard in das Geſpräch. „Ich habe mir die Sache erzählen 
laſſen; doch möchte ich fie von dir hören, es Liegt noch ein gewiſſes 
Düfter darüber. Haben wir Hoffnung, daß du und daſſelbe auf- 
klärſt?“ — Bet diefen Worten blingelte er dem Freunde aus dem 
Angenwinfel zu, 

„Die Gefchichte tft fehr Hell und Mar,” gab der Dragoner zur 
Antwort, „Ich fand bier eine Mutter mit ihrer Tochter und einem 
auf den Tod verwundeten Sohne. Da wir feine Weiber zu Ger 
fangenen machen, fo Tieß ich alle drei nach einem nahegelegenen 
Landgute bringen.” 

„Doch hätte dir bald diefe ritterliche That eine artige Nafe 
eingetragen,” fagte Lieutenant Robert; „ih mußte drinnen im 
Dorfe ein paar Pferde requiriren und kam gerade dazu, wie fich 
der General v. H. über diefes Thema ausließ. 

„Nun?“ fragten die Offiziere. 

„Madame, die hier im Hauſe gefunden wurde, iſt die Frau 
des Gutbeſitzers D., die Eigenthümerin dieſes Landgutes und eine 
entſchiedene und gefährliche Anhängerin der anderen Partei. Der 
Gemahl iſt in Gefchäften abweſend, und fie fol, die Vertheidigung 
auf diefem Punkte faft ganz allein geleitet haben. u 

Der Dragonersöffizier blickte achfelzudend in die Höhe. 

„Aber fie Hat eine Tochter,“ bemerkte ruhig der Tange Eduard, 
„mit jehr ſchönem blondem Haar und ultra = confervativen Gefin⸗ 








Das Bivouakiren im Allgemeinen. 257 


uungen. Diefe Tochter. hat mit dem Kampfe nichts zu thun, denn 
fie iſt erſt ſeit Kurzem vom Mittelrhein gekommen, wo fie ſich Ver⸗ 
gmuͤgens halber aufgehalten.” 

„Kennen Sie diefelbe? fragte der Huſaren⸗Offizier. 

„Ich babe euch fchon einmal erzähft, Daß ich nach einer denk⸗ 
würdigen Nacht bei einem luſtigen Demokraten im Quartier. lag, 
wo wir guten Wein aus feinem Keller probirten und mit drei hüb⸗ 
{hen Mädchen dinirten.“ 

„Meidinger!” warf halb argerlich der Dragoner⸗Offizier das 
zwifchen. Die anderen Offiziere lachten, und der lange Eduard 
fuhr ruhig fort: 

„Es ift nicht ganz Meidinger, denn ich glaube, es wird noch 
Zortfeßungen haben, die für uns in der That recht neu und über: 
zafhend find.” 

Der DragonersDOffizier pfiff ftatt aller Antwort irgend eine 
Melodie und ftieg mit feiner Säbelfcheide auf die glähenden Holz⸗ 
ſtücke, daß Myriaden von Funken umherſtoben. 

Der Lieutenant Eduard ſtreckte die Hand hinter den Baum 
und brachte eine neue Flaſche zum Vorſchein, die er rechts herum⸗ 
gehen lieh. 

„Das war doc, heute ein recht angenehmer Tag," meinte der 
Sufar, nachdem er getrunken und fi den Schnurrbart mit der 
Hand abgewifht. „Habt ihr bei der Infanterie viele Verlufte 
gehabt!" 

„Unbedeutend” entgegnete der lange Eduard, „wenige Laute 
find verwundet und fehr leicht. Der Einzige, dem es fchlimmer 
ergangen, iſt der arme Lieutenant Schmauder; der Mann hat fein 
Gluck; er führte die Plänklerkette, und einer der erſten Schüſſe, 
die drüben [o&gehen, [hit ihm eine Kugel in die linke Seite. 

„Der arme Schmander!” fagte der Hufaren» Offizier. „Ers 
innert ihr euch woch des Punfches, den wir mit ihm auf der Haupt⸗ 
wache in C. tranken, wenige Tage vor dem Ausmarjch?r“ 

Hadländers Werke. V. 17 


258 Achtes Kapitel. 


„Es ift gut, daß ihr mich daran erinnert,“ sief, Lientenant 
Robert. „Bei der Yußs Artillerie hatten fie heute ebenfalls einen 
Berluft, der mit jenem Abend zufammenhängt. Ihr erinnert euch 
gewiß der Geſchichte mit den Patronuillen⸗Zetteln!“ 

„Verſteht ſich,“ erwiderte der lange Eduard: „die Correſpon⸗ 
denz der beiden Wachthabenden miteinander.” 

„Allerdings.“ 

„Run, der eine diefer Eorrefpondenten, der Commandirende 
auf dem Fort draußen, Hornemann hieß er, hat fih heute bei der 
Bedienung feines Geſchützes auf's Außerordentlichfte hervorgethan; 
die Details weiß ich nicht ganz genau, aber fo viel tft gewiß, daß 
diefer drave junge Mann tüdtig befördert worden wäre — wenn 
er nicht — : 

„Nun, wenn er niht —?“ fragten die Offiziere. 

„Wenn er nicht,“ fuhr Lieutenant Robert fehr ernft fort, „nes 
ben feinem Gefchüße gefallen wäre. Es war eine Iuftige, heitere 
Soldatenfeele, fröhlich und wohlgemuth, hat ſich aber geſchlagen, 
wie einer der Beſten.“ 

„Das thut mir in der That leid,“ verſetzte der Dragoner⸗ 
Offizier. „Armer junger Menſch! ſieht die Seinigen nicht wieder. 
Wer weiß, welch' treues Herz in dieſem Augenblicke an ihn denkt! 
Ja, das iſt der Krieg.“ 

„Und der Lieutenant Schmauder,“ warf der Hnſaren⸗Offizier 
dazwifchen. „Gott gebe ihm feinen Frieden! Aber davon bin id 
überzeugt, wenn die beiden fich jenfeits treffen, fo bekommt der 
arme Bombardier Doch noch einen Verweis, dag er einftens feine 
Wache verlajjen.* 

Der lange Eduard hatte die Flaſche von der linken Seite zurüd 
erhalten; er hielt den Reſt zwifchen feinem Auge und dem Wacht⸗ 
feuer, fo daß ſein Geſicht rörhlich angeftrahlt wurde, und ſprach 
nad) einer Pauſe: „Ic habe euch ja Damals fchon gefagt, daß die 
jungen Xeute, wenn file auch im Webermuthe und in Friedenszeiten 








Der Dragoner-Dffizier unterfudt die Vorpoſten. 259 


im Stande wären, ihre Wache zu verlafien, fih brav und- tüchtig 
benehmen würden, wenn es einmal gegen den Feind ginge. Der 
bier Hat’3 bewieſen; ich trinke den Reſt da auf fein Andenken; 
möge es ihm drüben gut werden!“ 

„Möge er feinen Frieden finden!“ fügte Lieutenant Nobert 
hinzu. 

„Obgleich er hier auf Erden einmal feine Wache verlaſſen.“ 

„Un einer Geliebten willen,“ ſprach nachdenkend der Dra—⸗ 
goner- Offizier. 

Worauf der lange Eduard den Reit der Flaſche austranf und 
fie dann hinter fih an die Mauer warf, daß fie in taufend Stüde 
zerfplitterte, 


Neuntes Kapitel. 


Der Dragoner-Dffigier unterfuht nächtlicher Weile die Borpoften, flieht eine buntfarbige 
Eorreiponden; mit rem Feinde und faßt feinen Entipluß, da er eine Verrätherei ahnt. 
Noch eine Zeit lang hatte ein lebhaftes Geſpräch und die Er- 
innerung an den vergangenen Tag den Schlaf von den Augen der 
Offiziere verfcheucht, die um Das Wachtfeuer jagen. Als aber die 
Eilf-Uhr-Ablöſung vorbei war, entfchuldigte fi) Einer nach dem 
Andern und ſchlich langſam davon, dem Hauje zu, um dort in 
irgend einem Winkel ein Bund Stroh oder eine Matraze zu finden. 
Selbit der lange Eduard blicte oft Minuten lang, ohne zu fprechen, 
in's Feuer, dann wurde fein Blick unfiher, die Augenlider ſanken 
ihm zu, fein Kopf vornüber, und erit, ald das Kinn auf die Bruft 
aufitieg, gab er einen Ton von fi, ſchrak in die Höhe und fagte 
fächelnd, indem er die Augen weit aufriß: „Was ich da geträumt, 
war ungeheuer Meidinger.“ 
Der Dragoner: Offizier war der Letzte, der am Feuer ſtehen 
blieb; doch endlich drüdte auch er feinen Helm feſt, hakte den Saͤ⸗ 


260 Neuntes Kapitel 


bei an der Koppel los nnd reichte dem Wachthabenden zum Ab⸗ 
ſchied die Hand. 

„Wo haft du dein Quartier?" fragte ihn der Lange Eduard, 
„Drunten im Dorf? Oder gebt du in's Bivouak?“ 

„Zar heute Nacht finde ich nirgendwo etwas, wo ich mein 
Haupt hinlegen kann,” entgegnete der Andere; „ich habe es für 
Lieutenant D., der ein wenig unwohl ift, übernommen, die Feld» 
wachen abznreiten, bin alfo im Dienſte fo gut wie du.“ 

„Da habe ich aber einen Kleinen Bortheil,” verſetzte der Lien⸗ 
tenant der Infanterie; „ich werde mir in der Ede des Hofes, wo 
die alte Linde ihren Schatten recht Licht Hinwirft, ein Bund Stroh 
ausbreiten laffen, Tas ich ausfindig gemacht, um ein paar Stunden 
zu fchlafen. Wenn du von deinem Nitte zurüdfommft, med’ mid 
auf. Ich brauche nur fehr wenig Schlaf, um mich zu reflauriren. 
Dann machen wir und einen Kaffee und erwarten den Morgen.” 

„Meinethalben, ich werde kommen, beneide dich auch ımm deine 
Ruhe nicht,” fagte der Kavallerie: Dffizier. „Mir ift mein Ritt 
recht lieb, ich würde die Nacht doch nicht gut ſchlafen. — alſo auf 
Wiederſehen!“ 

„Gute Nacht!“ 

Damit traf der Tauge Eduard alle Anftalten, um ein wenig 
auszuruhen; er poftirte einen Unteroffizier und ein Dutzend von 
der Wachtmannfhaft um das Feuer, zog ſich in den Schatten zurüd 
und wickelte fih dort in feinen Mantel, um den Schlaf des Gr 
rechten zu fchlafen. 

Der Dragoner» Offizier ging in den Garten des Hanfes, wo 
fih von feinen Leuten einige an einem Feuer aufblelten. Er fagte 
einem alten Unteroffizier Teife ein paar Worte, diefer legte die 
Hand an den Helm, winkte feinen Reitern hinweg und verſchwand 
mit ihnen im Dunkel des Gartens. Gleich . darauf hörte man 
aber das leiſe Wiebern und Schütteln von Pferden, ſowie das 
Klirren von Säbelſcheiden, die an Sattelwerk und Eporen ſchlugen. 











Der Dragoner-Offizier unterfucht die Borpoften. 261 


Daun tauchte aus dem Schatten ein Dragener mit einem Hands 
pferde hervor; Lieutenant v. W. ſchwang ſich leicht auf und ritt 
zu dem Hofthore hinaus, gefolgt von einem Trupp von ungefähr 
zehn Reitern. | 

Wie war die Nacht fo ſchön und ruhig! Auf ber Ebene ſchie⸗ 
nen die meiſten Wachtfeuer erloſchen zu ſein, nur hie und da be⸗ 
merkte man noch einen röthlichen Schein zwiſchen einer dunfleren 
Gruppe: wahrſcheinlich Soldaten, die dort noch faßen und zufams 
men plauderten. Der Offizier ritt mit feinen Dragonern den Hügel 
hinab, den er am Morgen binaufgeftürmt war; bald fam er an 
die Stelle, wo die Gefhüge zum letztenmal gehalten; rechts hatte 
er den Wald, der in tiefem, geheimnißgvollem Schweigen neben ihm 
leg. Nicht der geringite Laut unterbrach die Stillgg fein Zlüftern 
des Blattes, Fein Lispeln des Windes; es war eineruhlge, warme 
Sommernadt. Immer tiefer ritt er hinab und fam jegt auf den 
Grund des Wiefenthales, wo Dofe die erften Granaten geworfen 
and wo ihm die zwölfpfündige Kugel fo nahe gefommen war, In 
das enge Thal ritt er hinein und man hörte auf dem naſſen bes 
thauten Wiefenboden feinen Tritt der Pferde; fein Klirren der 
Baffen unterbrach die Ruhe; es war oftmals fo ftil, daß man 
das Riefeln des Baches hörte, wie feine Wellen über die glatten 
Kiefel dahinfhliffen. Bor ihnen lag die mit Laub» und Nadelholz 
bewachſene Anhöhe, welche das Heine Wiefenthal abfperrte, und 
weil bier unten Alles in fo tiefer Nacıt begraben Tag, fo bemerkte 
man um fo deutlicher dort den hellen, glänzenden Nachthimmel im 
weißblauen Lichte, auf dem ſich die dunklen Tannen fharf und 
zierlich abzeichneten, Der Mond begann aufzufleigen. | 

Ein fchmaler, fandiger Weg führte aus dem Wiefenthal au 
jene Anhöhe, über welde Die Vorpoſten⸗Kette lief. Je höher die 
Reiter emporftiegen, deſto Marer leuchtete ihnen der Himmel ent- 
gegen. Bald hatten fie den Berglamm erreicht, und ber Lieutes 
nant v. W. blieb einen Augenblick überrafcht ſtehen, Denn er ſchaute 


262 Neuntes Kapitel. 


vor fih in das weite Rheinthal voll phantaftifcher Nebel» und 
Schatten» Geftalten. Gewaltige filberdurchwebte Schleier bildeten 
das Mondliht und die auffteigenden Dünſte. Baumgruppen ftan« 
den dazwiſchen, wie geipenftige fchattenhafte Wefen mit lang aus« 
geitredten Armen, die jegt plöglich im wilden Tanze eingehalten 
und regungslos daftanden, als der Blid eines Sterblichen auf fie 
berniederfiel. Hell und glühend erhob fich drüben die Mondfcheibe, 
dad Geſicht der Nachtgöttin, die al’ diefen Spuf hervorruft, und 
von ihrem Haupte ſchienen j jene flatteruden Schleier auszugehen, Die 
das ganze Thal Üüberwallten und erſt weit in der Ferne endeten in 
einem langen, breiten filbernen Streifen. Das war aber in Wirklichkeit 
der Rhein, der dort ruhig und majeſtätiſch durch die Ebene floß. 
Der Offizier legte ſeinem Pferde die Zügel auf den Hals und 
blickte entzückt rings um ſich ber. Er war ſehr empfänglich für 
Naturſchönheiten, namentlich aber in der heutigen Nacht, wo ſein 
Herz aufgeregt war und heftiger ſchlug, wenn er an die Begegnung 
von hente Morgen dachte. Dort in der Mitte des ſtillen Waldes 
lag jenes Landhaus, umgeben von den kleinen Thälern, die ſehn⸗ 
ſüchtig auf den Kuß des Mondes zu harren ſchienen, um auch in 
ihrem Schooße ein mitternächtiges Leben entſtehen zu laſſen. Es 
iſt fo fhön, wenn man es mit anſieht, wie ſich der erſte Mond» 
ſtrahl durch Schluchten und Bäume hineinfchleicht in die ftillen 
Waldgründe, wie dann plötzlich das Waſſer erglänzt und aufzus 
jauchzen fcheint, wie fich rings umher fichte Geftalten erheben und 
über die ftrahlenden, thaubenegten Wiefengründe dahinzufchweben 
fheinen. Es ift fo beruhigend, dabei eines geliebten Wefens zu 
gedenken, das vielleicht In diefem Momente träumerifd die Aus 
gen Öffnet und heil erwacht, wenn ed das weiße Licht fieht, wie 
ed vor den Fenftern Einlaß begehrt, um Botfchaft zu bringen von 
dem, der dort auf der Höhe hält, defien Haar im Abendwinde 
flattert und der die Hand auf das Herz preßt, verfunken in tiefe, 
felige Gedanken. — Ja, diefe Gedanken find ed, die auf Mond« 


— 


Der Dragoner⸗Offizier unterſuchtedie Vorpoſten. 263 


ſtrahlen hinüberziehen und die hier und dort gleiche Gedanken 
erwecken; es iſt ein magnetiſcher Rapport, der ſich herſtellt zwiſchen 
zwei Weſen, die, beide zugleich aneinander denkend, in die helle 
Schelbe des Mondes blicken. 

Der Bergkamm, auf Dem jetzt die Dragoner ritten, Tief in 
einer Schlangenlinie, und auf den äußerften Punkten ftanden die 
Schildwachen. Hier waren ed Küraffiere, und fo ein einzelner Neis 
ter, wie er da hält, unbeweglih auf feinem Pferde im weißen 
Mantel mit dem ftrahlenden Helm und Harniih, gewährt einen 
phantaftifch ſchönen Yublid, Scharf fpäht er umher, doch nur mit 
dem Auge. Die linte Hand hält feft den Zügel, während die rechte 
mit dem kurzen Karabiner auf dem Sattelknopfe rubt. Jetzt fpipt 
das Pferd die Ohren und ſchnaubt oder wiehert leife, darauf wird 
es plöglich von den Reiter zufammengefaßt, wendet fi in der 
Gefhwindigkeit gegen die Ankommenden, und helle Blige flieben 
während Diefer Bewegung von dem blanken Bruftharnifch. 

„Halt! wer da?" 

Lieutenant v. W. ritt ein paar Schritte vorwärts, dann gab 
er Parole und Feldgefchrei; der Küraffier antwortete, und die Dras 
goner ritten vorüber. _ 

Der nächte Reiterpoften war durch das Anrufen fhon aufs 
merfjam geworden und ritt den Kameraden eine kurze Strede ents 
gegen. Dann rief auch er und antwortete ebenfalls, nachdem er 
dad Feldgefchrei gehört. 

So zogen die Dragoner eine halbe Stunde über den Berg⸗ 
kamm dahin, und alle die Reiterpoften, bei denen fie vorbeifamen, 
waren aufmerkjam und auf ihrer Hut: Der legte befand ſich un⸗ 
gefähr gegenüber der alten Ruine, die man aber nicht ſehen konnte, . 
weil das Thal und der Wald dazwifchen lagen. In der Schlucht, 
die zu jener hinaufführte, hatten Jäger die Wache und befanden 
fi bier fo verftecft wie möglich. Der Erfte, auf den die Patrouille 
flieg, fehnte an einer dien Eiche und war vom Stamme faynı zu 


264 Reuntes Kapitel. 


unterfcheidenz er hielt die Büchfe forgfältig an die Bruſt gebrädt, 
die rechte Hand unter den Schloſſe, die linfe oben an dem Kauf, 
— ein energifcher Heiner Kerl, und als er, „Haft, wer da? rief, 
bob fi der Kolben empor, und der Lauf fenkte fih, weßhalb fi 
der Dragoner-Offizter auch möglichft beeilte, das Erlennungswort 
zu geben. Mit fo einem blutdürfligen Jäger iſt nicht zu ſpaſſen, 
da heißt ed: fchnelle Antwort oder Jeerer Sattel; auch brummte er 
cin Weniges, nachdem die Reiter: Patrouille vorübergezogen war. 

Langſam flieg diefe wieder das Thal hinab, wurde überall 
von den Poften angerufen und fand fomit Alles in der beiten Ord⸗ 
nung. Da, wo. die Artillerie bivonalirte, erreichten die Dragoner 
mit ihrem Führer den Thalgrund. Hier fehlen ſich faft Alles, mit 
Ausnahme der Wachen, dem füßen Schafe zu überlafien; nur 
etwas abfeits bei der Keldfchmiede war es noch lebhaft und leben— 
dig. Da fenfzte der Blasbalg, und auf dem Kohlenherde fprühten 
die Funken empor. Mehrere Kanoniere waren an einem Rade 
befchäftigt, und eine lange Geftalt ftand dabei und fehlen die nothwen⸗ 
digen Befehle zu ertheilen — der Feuerwerker Dofe. Er mochte nicht 
eber ruhen, als bis fein zufammengefchofjenes Prograd wieder fo her⸗ 
geftellt war, Daß eö den ganzen Feldzug aushalten konnte. Der Waguer 
der Batterie hatte die Felgen vortrefflic gefchient, und darauf wur⸗ 
den etferne Bänder herumgezogen. Man war eben befchäftigt, das 
legte zu fchmieden, als Die Patrouille heranritt. Dofe wandte ſich aus 
genblicklich um und griff aus Übergroßer Vorſicht nach feinem Säbel. 

„Laſſen Sie nur ſtecken,“ rief lachend Lieutenant v. W. „Was 
Teufel ! arbeiten Sie noch fo fpät mit Feuer und Eifen ?” 

„Ab! Ste find es, Herr Lieutenant!” antwortete der Feuer⸗ 
werfer. „Ja, Ich bin bier noch immer befchäftigt, mein Nad zu 
flicken, was mir die verfluchten Kerle zufammengefchoffen. Morgm 
früh muß Alles in Ordnung fein, ich habe felbft einen nenen 
Wiſchkolben gefhnigt, und wenn wir abmarfchiren, kann ich getror 
ten Muthes melden: Bei meiner Haubige ift Alles in Ordnung,” 


Der DragonersOffizier unterfuct die Vorpoften, 265 


„Bravo! bravo!“ verfehte der Dragoner: Offizier. „Sie find 
immer bei der Hand. Man muß das dem General melden.“ 

Dofe ftieß einen leichten Senfzer aus. „Sagen Sie mir lieber,” 
fragte ev nach einer Panfe, „wie ed droben in dem weißen Haufe 
ausjah, als Sie hinein ritten, Ich wäre ebenfalls gern hinauf 
gelaufen, aber der Dienft — der Dienft !" 

„Nun, über das Scidfal Ihrer Kugeln können Sie fich bes 
ruhigen,“ fagte Lieutenant v. W, 

„Meiner Granaten,“ entgegnete ihm verbefiernd der euere 
werker. „Ja, ich möchte wohl wien, was aus ihnen geworden 
it. — Sehen Sie, Herr Lieutenant, fo eine Granate geht einem 
von Herzen weg, dad tft, ich möchte fagen, ein verftändiges Ge- 
ſchöpf, nicht gefühllos, wie fo eine dumme Vollkugel. So eine 
Granate will erzogen, ja gebildet fein, man reinigt fie, man pro= 
birt fie, fie wird mit Liebe und Sorgfalt gefüllt, man ſetzt vors 
fihtig den Zünder ein, rektifizixt fie auf’3 Genanefte, und ehe fie 
auffteigt, gibt ihr jeder brave Gefhügführer den Kugelfegen.“ 

„Pfui, das iſt ja heidniſch!“ 

„Aber nothwendig, Herr Lieutenant, ſehr nothwendig für den 
gemeinen Mann. Wenn wir Unteroffiziere nicht das Ding mit 
einer wahren Verehrung anfaſſen, ſo bekümmern ſie ſich den Teufel 
darum, ob die Zündmaſſe gehörig aufgekratzt und die weißen 
Kreuze gerade liegen.” 

„Kieber Dofe, Sie find ein tiefer Denfer 1“ 

„Bitte, Herr Lieutenant, das nicht; ich betreibe nur meine 
Kunft mit einiger Poefie. — — Und meine Granaten ?“ 

„Ueber das Schidfal Ihrer Granaten können Sie fi berur 
higen,“ erwiderte der Offizier, „die haben bei den Bertheidigern 
Ungeil genug angerichtet 5; eine derfelben, Die, welche dur das 
Dad in's Haus fchlug, koſtet wahrfiheinlich einem jungen Menfchen 
von guter Familie das Leben.“ 

„Bah! bah!“ verfegte der Feuerwerker, indem er fich Die 


266 Neuntes Kapitel. 


Hände rieb, „von guter Familie! Kann das von guter Familie 
fein, was nicht feinem Herrn und Fürften dient ?“ 

Der Dragoner-Offizier biß fi auf die Lippen. 

„Meine Granate,* fuhr Dofe fort, „it ein treues Geſchoß 
und bat alfo feine Schuldigkeit gethan. Ja, es geht nichts über 
eine ruhige Geſchützbedienung. Ordnung, Ordnung und Ordnung, 
wie der felige Oberſt von T. zu fagen pflegte. Schade, daß der 
Mann den heutigen Tag nicht erlebt hat; ich glaube, er märe 
mit feiner Artillerie ein Bischen zufrieden gewefen.” 

„Na, gute Naht, Feuerwerker!” rief der Dragoner-Ofiizier, 
defien Pferd unruhig zu treten begann. „Legen Sie Ihren Tegten 
Felgenring feſt und fih dann felbft für ein paar Stunden auf's 
Ohr. Morgen fräh wird marſchirt.“ " 

„Sobald meine Arbeit beendigt,” fagte Dofe, „und ed dann 
noh der Mühe werth it, werde ich Ihrem Rathe folgen.“ 

Damit grüßte er den Offizier militärifch und ‚blidte ihm einen 
Augenblid nach, wie diefer fein Pferd In fcharfen Trab fepte und 
über die Ebene dahin ritt. 

Obgleih die Reiterfchaar vom Mondlicht befeuchtet war, fo 
verfhwand fie doch nach und nach zu undeutlihen Umrifjen und 
flog zulept nur noch wie ein dichter Nebel dahin. 

Lieutenant v. W. hatte den öſtlichen Kreis der Vorpoften abs 
geritten und wandte fih jetzt weitlich in das Thal zwiichen der 
alten Ruine und dem Dorfe hinein, um da ebenfalls die Auf 
merkſamkeit der Schildwachen zu unterfuhen. Er fing nicht ohne 
Abficht auf diefer Seite an 5. denn er fanı auf diefe Art zulegt in 
jene Gegend, wo das Landhaus lag, welches er am Morgen bes 
fucht Hatte. . 

Da auf diefer weftlichen Seite, Die der Neitertrupp jept durchs 
ritt, fait ununterbrochen dichter Wald war, wenigftens fehr cous 
pirted Terrain, wie gemacht zum Befchleichen und Ueberfallen der 
Schildwachen, fo war hier eine dreifache Poſtenkette aufgeftellt, 


— 


Der Dragoner⸗Offizier unterſucht die Vorpoſten. 267 


und die einzelnen Wachen ſtanden immer zu zwei und drei — nur 
Jufanterie, und fo dicht bei einander, daß der DragonerDffizier 
in einem wahren Hedenfeuer von „Halt! wer da ?" ritt. Da Einer 
auf diefe Art deutlich den Ruf des Anderen hörte, fo war die 
ganze Kette im Augenblid alarmirt, und jeder befand fih fo auf 
feinem Poſten und in Bereitfhaft, fo dag es einem Hafen kaum 
möglich gewefen wäre, unbemerkt durchzufchlüpfen. 

Lieutenant v. W. rüdte laugſam vor, und befand fi bald 
wieder in der Höhe des weißen Haufes, nur auf der entgegenges 
feßten Seite von der, wo er abgeritten. 

Seht fenkte fih der Weg, dem er gefolgt, zu einer Schlucht und 
einem Hohlwege hinab, den wenige Schritte weiter eine breitere 
Straße kreuzte, die das nun links von dem Dragoner:Offizter ges 
legene Dorf mit der nicht fernen Chauſſee in Berbindung fepte. 

Hier befand fih eine ftärfere Feldwacht; und der commans 
dirende Unteroffizier meldete die Anzahl feiner Mannfchaft, und 
daß fi Bier und auf dem Poften nicht viel Neues zugetragen. 

„Richt viel Neues?“ entgegnete fragend Lieutenant v. W. 
„Alfo doch etwas !“ 

„Wie man will,“ fagte der Wachthabende; „eigentlich nichts, 
was zur Poftenkette gehört, denn es liegt außerhalb derjelben.” 

„And was iſt außerhalb derfelben vorgefallen ?“ 

„Daß etwas vorgefallen fei, glaube ich dem Herrn Lieutenant 
nicht gemeldet zu haben,“ antwortete ernft und. fteif der wacht⸗ 
habende Unteroffizier. 

„Nun,“ fragte der Offizier ungeduldig, „haben Sie fonft 
etwas gehört ?“ 

„Nichts gehört, Herr Lieutenant, aber gefehen.“ 

„And was denn ?“ 

„Wollen der Herr Lieutenant nicht ein paar Schritte vorreiten, 
fo win ich mich bemühen, das deutlich zu machen, was ich geſehen!“ 

Lientenant v. W. folgte auf diefe Aufforderung dem Unter⸗ 


268 Neuntes Kapitel, 


offizier bis zur nächſten Krümmung des Hohlweges, wo das ers 
sain flacher wurde und eine freiere Ausficht bot. Hier wuchien 
wenig hohe Bäume, und der Boden war nur mit niederem Geſtrüpp 
bededt. Da der Mond noch Feine LXichtftrahlen hieher fandte, 
fondern erſt am Horizont der höheren öftlichen Berge anfing, durch 
die fchwarzen Tannen zu gligern, fo war Alles in tiefen nächt⸗ 
lihen Schatten gehüllt. 

„Sehen Sie dort hinauf,” fagte der InfanteriesUnteroffizier 
nad einer Meinen Paufe, „Sie werden dort auf der vorgeſchobenen 
Anhöhe eine dunklere Maſſe entdeden.“ 

„Ah! ein Landhaus.“ 

„Ich glaube, ja, es ift ein Landhaus, Herr Lieutenant. “ 

„Und ift es von uns befept *“ fragte Lieutenant v. W. mit 
einigem Herzklopfen, 

„Das glaube ich gerade nicht,“ antwortete der Unteroffizier. 
„Ih hin fogar gewiß, dag es nicht befept iſt.“ 

„Nun, und was ift’3 mit jenem Haufe ?“ 

„Es hat dort nach dem flachen Lande hinaus Zenfter, die wir 
aber jept nicht fehen können, da fie nicht erleuchtet find.” 

„Degreifliher Weife!- 

„Die ſich aber während der Naht oftmals erleuchtet haben, 
— — Geben Sie Adhtung, Herr Lieutenant — — fo wie jept!” 
„Ah!“ machte der Dragoner-Tffizier und ſchaute überraſcht 
auf das bis jept dunkle Gebäude, 

Ein Fenfter, ungefähr in der Mitte, wurde plöglich erleuchtet, 
als betrete Jemand das entſprechende Zimmer mit einem gewöhns 
lichen Lichte. Diefes Licht ſchien fih dem Fenſter zu nähern und 
dann plöglich zu erlöfchen. Aber kaum eine halbe Sekunde nachher 
entzündete fich auf derfelben Stelle ein anderes, glänzendes Licht 
von prächtiger tiefgrüner Farbe, das eine kurze Zeit brannte, dann 
in ein glühendes Roth überging, fich endlich In einen bläulich 
weißen Stern verwandelte und darauf erlofch. 











Der Dragoner-Dffigier unterfirht die Vorpoften. 269 


„Der Teufel auch!“ verfeßte der Offtzier. — „Und das haben 
Sie fon mehrmals beobachtet 2” | 

„Es ift das fechstemal diefe Nacht, Herr Lieutenant, das 
ſechbiemal nämlich, daß ich es bemerke. Doch ging ich erſt vor 
zwei Stunden zufällig auf dieſen Platz; was früher geſchehen, 
weiß ich natürlich nicht.“ 

„Grün, Noth und weiß," ſprach der Dragoner⸗Offizier nach⸗ 
denkend. 

„Die Farben blieben ſich nicht immer gleich,“ entgegnete der 
Andere. „Doch habe ich mir das genau aufgeſchrieben. Zuerſt 
kam Noth allein, dann einigemal Grün und Weiß, dann wieder, 
wie Ste ed eben geſehen haben.” 

„Ich dankte Ihnen für Ihre Beobachtungen. Haben Sie 
vielleicht bei Ihrer Wache einen Mann, der den Weg dort hinauf 
genau kennt und der mich führen könnte ?- 

„Sch glaube nicht,” antwortete der Unteroffizier. „Aber die 
änßerfte Poftenkette, die der Herr Lieutenant von unferer Wache 
aus verfolgen können, geht faum einen Büchfenfchuß bei dem Haufe 
da oben vorbei, natürlich auf der anderen Seite, fonft hätten Die 
das Feuerwerk auch ſehen müſſen.“ 

„Ih werde Ihren Bericht weiter melden,” verſetzte der Dra⸗ 
gonersÖffizier freundlich, indem er fein Pferd ummwandte und durch 
den Hohlweg zurück ritt. Dann folgte er einem Waldwege, der 
rechts zur Höhe hinaufführte — 

Was konnten jene Fener bedeuten? — Offenbar eine Eorres 
fvondenz des Feindes. Aber wenn e8 auch vieleicht Zeichen waren, 
weiche oben In den Landhauſe von jener alten demokratiſch gefinne 
ten Danıe gemacht wurden, welchen Zweck fonnten fie haben? 
Etwas zu melden, das drüben im Bivonak vorging, war aus dem 
einfachen Grunde unmöglih, weil die Dame ſelbſt nichts wußte 
und durch die gutbewachte Poftenkette Fetne Nachricht zu erhalten 
im Stande war. — Den heute fo nachdrücklich gefhlagenen Fetud 


270 Reuntes Kapitel. 


zu einem Ueberfalle ermuntern? — Ab! das wäre ein wahnfin- 
niges Unternehmen! — Unglaublich. — Und doch mußte das 
Feuerwerk irgend einen Zweck haben, einen Zwed, den zu ergrün- 
den vielleicht von Wichtigkeit war. — So dachte der Dragoner⸗ 
Offizier, während er die Anhöhe hinan ritt, und ſprach zu ſich 
felber: Ich habe zufällig diefes Spiel mit den farbigen Lichtern 
geſehen, verdächtig ift Die Sache jedenfalls, und da ih nun einmal 
mit binrerchender Macht in der Nähe bin, um die Sache unterfu- 
hen zu Bönnen, fo iſt ed meine Pflicht, dies zu thun. — Abgemacht! 

Lieutenant v. W. war alfo entichloffen, das Landhaus droben 
zu unterfuhen. Was man gern thut, dazu entfchliegt man fich leicht. 

Die Poften waren auch Hier alle aufmerkſam und in Bewer 
gung, doch hatte keiner etwas Außerordentliched bemerkt; der leßte 
fand ungefähr auf demfelben Plape, wo am Morgen der junge 
Dffizier von dem Mädchen Abfchied genommen. 

„Nichts Neues auf Poften?” rief ihm Lieutenant v. W. zu. 

„Nichts Außerordentlihes!” war die Antwort. „Da vor mir 
legt ein Haus, im Hof ift ein Hund, der zuweilen belt und heult, 
meiſtens iſt dort Alles dunkel, nur zuweilen ift bie und da ein 
Fenſter erleuchtet.” 

„Mit einem gewöhnlichen Lichte?“ 

„Ganz gewöhnlich, Herr Lieutenant. Es ift gerade, ald wenn 
Jemand dort in einem Zimmer etwas fucht und danı wieder fort geht.” 

„Und man tritt nie mit dem Lichte an's Fenſter? Weißt du, 
mein Zreund, fo ungefähr, um irgend wohin ein Zeichen zu ges 
ben; man thut das im Kriege fo — du begreifſt mich?“ 

„Allerdings, Herr Lieutenant; aber jo was fommt nicht vor. — 
Donuerwetter! ich wollt’ ihnen Zeichen geben! Man iſt fein Rekrut mehr 
and feot nicht umſonſt mit dem geladenen Gewehr auf Vorpoſten.“ 

„Du haft Recht,“ fagte der DrayonersQifizier. „Aber das 
Hans dit mir verdächtig; ich habe von der anderen Eelte derglei⸗ 
Gen Zeichen bemerkt, von denen ich vorhin ſprach. Ich will hin⸗ 


Der DragonersOffizier unterfuht die Borpoften. 271 


reiten und ein wenig unterjuchen; ich Laffe zwifhen dir und dem 
Thor einen Dragoner, den behalte mir im Auge.“ 

„Zu Befehl, Here Lieutenant!“ entgegnete die Schildwache 
und fchulterte ihr Gewehr. 

Lieutenant v. W. ritt mit feinen Leuten bis an das Hofthor, 
welches verfchlofjen war. Ein Hund, der frei um die Gebäude lief, 
ftürzte mit wüthendem Bellen an das Gitterthor, und dann erfchien an 
der. Thüre des Haufes ein Mann mit einem Xichte, der vorfichtig in 
den dunkeln Hof hinaus leuchtete, um zu fehen, was es dort gäbe. 

„Holah! mein Freund!“ rief der Offizier, „hieher und aufs 
gemacht! Es iſt nothwendig und dringend.“ 

Einen Augenblid fchien fih der Mann mit dem Lichte zu bes 
fiinen, ob es nicht gerathener jei, wieder zu verfchwinden und die 
Thüre hinter fih zu verichließen; doch mochte er wohl das Leuch⸗ 
ten der Helme und Säbel bemerken und allen Widerftand für uns 
nüp halten, — genug, er jegte die Lampe auf die Schwelle dei 
Ihüre und ging vor, um das Gitterthor zu öffnen. - 

Die Patrouille ritt in den Hof und die Lampe auf der Thür⸗ 
fhwelle, deren Flammıe in dem LZuftzuge ftark hin und berflatterte, 
erloſch plöplich. 


Zehntes Kapitel. 


Worin ver Dragoner⸗Offizier ſeinen Eniſchluß ausführt und alsdann findet, daß er ſich geirrt. 
Er fieht die Lichter in der Nähe und befindet ih in der Duntelpeit. 


Die Dragoner, im Boraus inftruirt, bejegten ſtillſchweigend 
die Hausthüre, ritten um das Gebäude herum, welches tjolirt im 
dem Hofe lag, und vertheilten fi auf allen vier Seiten dejjelben, 
fo daß weder zu einer Hinterthüre, noch zu elnem Feniter Jemand 
herein oder heraus konnte. Lieutenant v. W. befahl dem Maune 
mit der Lampe, diefelbe wieder anzuzänden und ihm ins Haus 
zu leuchten. Dieſer gehorchte; nur ald er mit dem Lichte wieder 


272  Behntes Kapitel, 


erſchien, bat er den Offizier, fo leije als möglih aufzutreten, denn 
man babe einen ſchwer Berwundeten im Haufe, der feit ungefähr 
einer Stunde eines fanften Schlafes genieße. 

„Bo befindet fi der Verwundete?“ fragte der Dragoner⸗ 
Dffizier. 

„Hier unten im Erdgeſchoß,“ antwortete der Mann mit dem 
Aht⸗ — ein Diener des Hauſes — nachdem er die Hausthüre 
weit aufgezogen hatte und Beide eingetreten waren. „Dort iſt das 
Zimmer, die letzte Thüre links.“ | 

„Er wurde bei dem Gefechte drunten verwundet?“ 

„a, Herr, durch das Stüd einer Kugel in die Seite — fehr 
gefährlich.” 

„Und er befindet fih in diefem Augenblide beſſer?“ 

„Sott fei gedankt, ja! Bor einer halben Stunde bat ihn der 
Arzt aus H. verlaſſen; derfelbe ift vol Hoffnung weggegangen, 
und meinte, Ruhe und forgfültige Pflege könnten die ſtarke Natur 
noch einmal durchreißen. — Sept fhläft er, wie gefagt,” fügte 
der alte Diener mit einem bittenden Bli auf den Offizier hinzu, 

„Unbeforgt, mein Freund!” entgegnete Lieutenant v. W. 
„Wir kommen eigentlich nicht ald Feinde, darüber können Sie fich 
beruhigen.” 

„Aber der Reitertrupp, gnädiger Herr!“ 

„Soll euch durchaus Feinen Schaden Bringen, wenn wir bier 
Alles in Ordnung finden.” 

„Aber was wollen Sie in Ordnung finden in einem einfamen 
Haufe, in welhem Jemand auf den Tod verwundet liegt?“ 

„Lieber Freund, das Fragen iſt an mir,” fagte lächelnd der 
“ Dragoner- Offizier, „und wenn ich Hier fo fchonend und ruhig auftrete, 
fo geſchieht es nur, weil ich Ihre Herrſchaft zufänig kennen lernte.» 

„at 

„Ih will Ihrer Anfridptigfeit zu Hülfe Fommen,“ fuhr Lieu⸗ 
tenant v. W. fort, „indem ih Ihnen fage, daß ich der Difizter 


Der Dragoneroffizter führt feinen Entfhluß aus. 273 


bin, der heute Morgen jenen verwundeten jungen Mann, feine 
Mutter und Schweſter hieher geleitete.” 

„Ah! das ift was ganz Anderes!" rief freudig der Diener 
aus; „das macht mid ganz glüdlih. Euer Gnaden find gewiß 
fo edelmüthig und fommen, nad und zu fehen.” 

Man mußte in diefem Augenblide nicht, ob das flacdernde 
Licht der Lampe einen fo feltfamen Ausdrud über das Geficht des 
alten Mannes zeichnete, oder ob ein leichtes Lächeln über dafjelbe 
zudte. Genug, der Dragoner-Offizier bemerkte eine Aenderung in 
diefen Zügen und entgegnete ziemlich kurz und beitimmt: „Sie 
irren, mein Freund, mich führt nur mein Dienft bieher, und deß⸗ 
halb hoffe ich, day alle meine Fragen auf's Genauefte und Auf: 
richtigfte beantwortet werden.“ 

„Gewiß; wir haben feine Geheimniſſe. — Aber wollen der 
Herr Lieutenant. nicht einen Augenblid in eines Diefer Zimmer 
treten? Ich kann nicht die Hausthüre und Alles geöffnet laſſen. 
— Ein Ruf, und ihre Neiter find da,” ſetzte er mit Teiferer 
Stimme hinzu. 

„Schließen Sie meinetwegen die Hausthüre,” fagte der muthige 
junge Offizier und trat vafch in das geöffnete Zimmer. 

Lieutenant v. W. überzeugte fich alsbald, dag er fich in einem 
vornehmen, oder wenigftens in einem reichen Haufe befand. Es 
fhien ein Bibliothekzimmer zu fein, das man ihm geöffnet. Rings 
an den Wänden befanden fih hohe gefchnigte Eichenholzſchränke 
mit Büchern angefüllt, in der Mitte ftand ein Tifh, grün über» 
det, von der Dede herab hing eine große Carcellampe an fchwes 
ven bronzenen Ketten. Ein Blid ind Nebenzimmer zeigte, daß 
fih dort ein Billard befand. | 

„Wollen Euer Gnaden Plag nehmen !" 

„Ich danke, es ift mir bequemer fo. Sept zu unferen Fragen 
— Wen gehört diefes Landhaus?” 

„Dem Herrn D. aus 9.” 

Sackländers Werte. V. 18 


“ 


274 Behntes Kapitel. 


„Er bewohnt es das ganze Jahr hindurch?“ 

„Meiftens nur während der Sommermonate.“ 

„Mit feiner Familie?“ 

„Ja.“ 

„Wie ſtark iſt dieſe Familie?“ 

„Herr D., Madame D., Fräulein Sophie und der junge Herr, 
der heute Morgen verwundet wurde.” 

„Wem gehört das weiße Haus, wo er verwundet wurde?“ 

„Einer befreundeten Familie. Hente Morgen aber war es 
das Hauptquartier der Aufitändifchen.“ 

„Ei, mein Freund,“ erwiderte lachend der Offizier, „der Aufs 
ftändifchen? Das find ja bei euch die von der gerechten Sade!” 

Der alte Diener zuckte die Achfeln. 

„Doch weiter!“ fuhr Lieutenant v. W. fort. „Wo ift Her 
D., der Eigenthümer des Hauſes?“ 

„Wahrſcheinlich in Frankfurt.” 

„Wie? Nicht bei dem Revolations-Heer?” fragte erſtaunt der 
DragonersOÖffizier. 

„Gewiß nicht, Euer Gnaden. — Aber Madame war hier.“ 

„ah! Madame war bier?! — Sie ift alfo fort?“ 

„Seit mehreren Stunden — fie hielt fih in ihrem Hanfe nicht 
für fiher, weil. . .” 

„Weil wir in der Nähe find, ich verftehe. Doch war das 
unnöthige Furcht; wir führen mit Frauen feinen Krieg. — Alfo 
blieb nur der Berwundete zurück?“ 

Der Diener blidte den Offizier einen Augenblick forfchend 
an, und dann fagte er zögernd: „Und Fräulein Sophie.” 

„ah! — richtig!” entgegnete Lieutenant v. W., indem er tief 
athmeie. „Sie blieb hier zur Pflege des Bruders?“ 

„Allerdings, und wenn Euer Gnaden erlauben, will ih Sie 
bei ihr anmelden.“ 

„Wie? fo mitten in der Nacht?“ 





Der Dragoneroffizier führt feinen Entfhluß aus. 975 


„Fräulein Sophie tft oben im Salon mit einem der Hauss 
mädchen; ich glaube, fie lieöt, fo lange ihr Bruder fchläft.“ 

„Welche Lage hat diefer Sabon, von dem Sie eben ſprechen, 
mein Freund?“ forfchte der Offizier. 

„Er befindet fi im eriten Stocke.“ 

„Und man überblicdt von ihm das weiße Haus drunten,. wo 
wir unfer Hauptquartier haben, das Dorf, fowie Die alte Ruine?” 
fragte gefpannt der Offizier. 

„Rein, Herr,“ entgegnete erſtaunt der alte Diener, „er liegt 
geradezu entgegengefeßt ; von feinen Fenſtern aus flieht man die 
Umgebung von 9.“ 

„Der Teufel auch!” rief Lieutenant v. W. — „Und in diefem 
Salon befand ſich während diefer Nacht Fräulein Sophie!” 

„Beinahe immer,“ verjeßte der Diener. 

„Run denn, mein Freund,” rief der Dragoner-Offizier, indem 
er hoffte, eine plöglihe Anklage würde den alten Mann verwirren, 
beunrubigen und vielleicht zu einem Geftändnig bewegen, „fo ift 
ed aud Fräulein Sophie, welche mit unferen Feinden durch farbige 
Lichter gefprochen.“ 

Der alte Mann war durch diefes Wort wohl überrafcht, aber 
nicht erfchredt. Er ſah den Offizier erfiäunt an und fragte: „Und 
das haben Euer Gnaden gefehen?” 

„Es tft mir gemeldet worden, und deßhalb bin ich hier, Hum 
die Sache zu unterſuchen.“ 

„Das wird ſehr einfach zu machen ſein,“ ſprach der Andere, 
„denn Fräulein Sophie wird die farbigen Lichter nicht abläugnen.“ 

„Ich finde das aber ſehr unbeſonnen, dergleichen in der Nähe 
eines feindlichen Lagers zu treiben, und nur eine offene Mitthei⸗ 
lung über den Zweck jener Lichter könnte mich vielleicht bewegen, 
rückſichtsvoll gegen die junge Dame zu verfahren.“ 

OD, Herr Lieutenant!“ erwiderte der Andere, „Sie werden de 


276 Zehntes Kapitel, 


nicht glauben, daß Fräulein Sophie dem dayongelaufenen Geſin del 
Zeichen gibt?” 

„Und was wäre es denn fonft ?“ 

„Eine einfache Botfchaft an die abwejende Mutter über Das 
Befinden des Bruders.“ 

Lieutenant v. W. fah den alten Diener jept feinerfeild fehr er⸗ 
ftaunt an. Doch überflog ein freundliches Lächeln feine Züge; 
denn die Wahrheit des eben Geſagten ſprach zu deutlih aus den 
Worten und dem Gefichte ded alten Mannes. — „ES it nidt un— 
wahrſcheinlich,“ jprach er. nach einer Paufe. 

„Es iſt gewiß fo, Herr Lieutenant, und wenn Ste wollen 
tönnen Sie die Probe machen. 

„Auf welche Art?” 

„Folgen Sie mir leiſe in den eriten Stod, hören Sie, was 
ich unferer jungen Dame fage, und beobachten Sie, was darauf 
gefchieht. Vorher aber will ih noch in das Zimmer des Herrn 
gehen, und mich nach feinem Befinden erkundigen. Ich bitte, mid 
nicht aus den Augen zu verlieren, damit Sie nicht vielleicht glans 
ben, ich gebe droben Nachricht von Ihrer Anwefenheit,” 

Darauf öffnete der alte Mann die Thüre gegenüber dem Bils 
lards Zimmer, lieg fie weit aufftehen und drüdte vorfichtig eine 
zweite auf, die in das Zimmer des Verwundeten führte. 

Eine alte Frau fam dort hervor, der Diener winkte ihr, und 
Beide traten zu dem Offizier in die Bibliothef, ohne vorher ein 
Wort gewechfelt zu haben. 

„Was macht der junge Herr?” fragte der Diener, als fie jv 
nahe waren, daß der Dragoner jedes Wort verftehen konnte. 

„Es geht ihm fehr gut,“ entgegnete die Frau. „Die günſtigen 
Zeichen, die der Doktor vorher 'gefagt, treten alle ein; er fühlt 
wenig Schmerz in der Seite. Das Wundfieber it nicht heftig; vorhin 
bat er zu trinken verlangt, und jept iſt er wieder fanft eingefchlafen.“ 

„Alſo gute Hoffnung und fanfler Schlaf,” fagte bedeutfam der 


Der Dragoneroffizier führt feinen Entſchluß aus, 277 


Diener, Inden er fih an den Dffizier wandte, — „Sept bitte ich 
Euer Gnaden, mir zu folgen.” 

Die Frau ging in das Krankenzimmer zurüd, und die beiden 
Männer traten auf den Gang und fliegen langfam die Treppen 
hinauf. Glücklicher Weife waren die Stufen mit Teppichen belegt 
und dämpften fo jeden Schritt; auch drüdte Lieutenant v. W. feis 
nen Säbel feft an fih, um ja fein Geräufch zu mahen. Droben 
öffnete der Diener ein Zimmer, Töfchte behutfam ein Licht aus, das 
dort ſtand, und bat den Offizier, im Dunkeln zu bleiben, weil er 
fo am beiten in den anftoßenden erleuchteten Salon bliden könnte. 
Dort hinein ging nun der alte Mann und Tieß die Thüre abfichts 
lich weit offen ftehen. 

Lieutenant v. W. biidte in die Tiefe eines fehr eleganten 
Gemaches und fein Herz klopfte ftärker, nachdem er das, was ſich 
dort befand, mit forfhendem. Auge überfehen. Bor einem Eck⸗ 
dbivan, hinter welchem ein ganzer Wald von Sträuden und Blu: 
men angebracht war, fland ein runder Tifeh, und neben demjelben 
ein Kleiner niederer Fauteuil. Im dieſem Fautenil lag eine junge 
Dame, in einfachem, faft hellem Morgenkleide; fie ftügte ihren 
Kopf auf die Hand, wodurdh man von ihrem Gefichte nichts bemers 
ten konnte. Obendrein war die Lampe mit einem tief herabreichens 
den grünen Schirm verfehen und ließ nur noch einen LKichtftrahl 
auf den violetten Sammet des Fauteuils gleiten, beleuchtere aber 
dort eine glänzende bionde Haarflechte, die von dem Haupt Des 
jungen Mädchens herabgefunfen war. Auf der anderen Seite des 
Tifhes faß eine Dienerin, ſcheinbar mit einem Strickſtrumpfe bes 
Ihäftigt; wir jagen: fcheinbar, denn die Nadeln ruhten ohne Be- 
wegung in ihrem Schoße, und ihr Kopf, der auf die Bruft niedergefuns 
ten war, erhob fich jetzt plößlich bei dem Eintritt des alten Dieners. 

„Bas gibt es denn drunten, Hieronymus?“ fragte die junge 
Dame mit dem blonden Haar, indem fie fih ein wenig in dem 
Fautenil aufrichtete. „Habe ich denn nicht im Hofe Reiter geh” 


278 Zehntes Kapitel. 


feife Stimmen und das Geklirr von Waffen?! — Was foll denn 
das bedeuten?“ 

„Seien Ste unbeforgt, Fräufein Sophie,” entgegnete der Die- 
ner, „ed iſt eine Streifpatrouifle, wie fie es nennen, die aber mehr 
zu unferem Schuge gelommen,“ feßte er mit eigener Betonung hin- 
zu, „als um uns zu beläftigen.“ 

„Alſo es find Reiter?" forſchte das junge Mädchen weiter. 

„So habe ich dod recht gehört — Hufaren ?“ 

„Nein, es find Dragoner.“ 

„Ah, Dragoner!” rief die junge Dame überrafcht und erhob fih 
von ihrem Fauteuil. Und der Ton, mit dem fie das Wort „Dragoner“ 
ausſprach, machte auf den im Borzimmer ſtehenden und laufchenden 
Chef derfelben einen gar feltfamen, Höchft gefährlichen Eindrud, 

Sophie war rajh an dad Fenfter getreten und blickte in den 
Hof hinab. „Da halten fie im Hofe,” fagte fie nach einer Hei- 
nen Pauſe; „was das unheimlich ift! Ruhig ftehen fie da wie 
Gefpenfter, und die Säbel und Helme glänzen. — Komm her 
Ghriftine, und ſieh!“ 

Das Dienſtmädchen war aus feinem Schlafe erwacht und Hatte 
mit großem Nadelgeklirre feine Stridarbeit wieder vorgenommen. 
Jetzt legte fie diefelbe auf den Tifh und trat ſchläfrig an das 
Zenfter. 

„Sind es Viele, Hieronymus?“ fragte die junge Dame. 

„Ih glaube ungefähr ein Dupend.“ 

„Und — und — und fein Offizier dabei?“ forſchte das 
Mädchen weiter und drüdte, ohne umzuſehen, ihr Gefiht an die 
Fenſterſcheiben. 

„O doch, Fräulein Sophie; er hält — — drunten an der 
Hausthure.“ 

Die junge Dame wandte ſich raſch von dem Fenſter ab und 
machte einen haſtigen Gang durch den Salon. — „Will der Offis 
sier etwas von und?“ fragte fie plöglih, vor dem Diener ſtehen 


Der Dragoneroffizier führt feinen Entfchluß aus. 279 


bleibend. Doch fo unbefangen diefe Frage Bingen follte, fo kam 
fie Doch erſt nach einem tiefen Athemzuge hervor. 

„Er bat bis jept nichts gejagt,” antwortete Hieronymus; „ich 
will ihm aber fogleich fragen. Ich bin eigentlih auch nur beranfs 
gekommen,“ fegte er mit lauterer Stimme hinzu, „um Ihnen dad 
Befinden des jungen Herrn zu melden.“ 

„3a, ich möchte wohl nad meinem Bruder einen Augenblick 
ſehen, verfeßte einigermaßen verwirrt das Mädchen. 

„Ih komme fo eben von ihm; es geht ihm fehr gut; die Waͤr⸗ 
terin hat die beſte Hoffnung, und der Schlaf dauert ruhig und ſanft 
fort. „Ich glaube, es könnte nichts ſchaden, Fräulein Sophie —“ 

„Wenn ich Mama wieder eine Nachricht gäbe,“ entgegnete 
fie. „Das wollen wir geſchwinde thun, und dann, guter Hiero⸗ 
nymus, will ich ſelbſt wieder einmal nach meinem Bruder fehen.“ 

„Hm! bm!- machte der alte Diener und bilidte verftohlen 
nad der Thüre des Nebenzimmers., 

Der Dragoner-Öffigter in feinem Dunkel verfhlang faft mit 
den Augen die Tiebliche Geftalt des jungen Mädchens und laufchte 
entzüdt ihren Worten. 

„Alſo Hoffnung und guter Schlaf?" fragte Sophie; „das 
if Grün und Weiß. — Chriſtine gib das Käftchen ber.” 

Der alte Hieronymus warf einen triumphirenden Blick rückwärts. 

„Srün und Weiß,“ wiederholte fchläfrig das Dienſtmädchen, 
worauf fie eine Blechfchachtel öffnete und zwei Hülfen heraus nahm. 

Der DragonersOÖffiziter machte einen Schritt vorwärtd und hatte 
große Luft, fih in dem Salon zu zeigen. Doch der alte Diener 
wintte ihm eifrig mit der Hand, er folle zurüdbleiben. 

Ehriftine hatte die Fenfterflügel geöffnet, die eine Hülfe Draußen 
befeftigt und legte num mit einer Heinen Zunte euer an. Augen 
blicklich quoll das tiefgrüne Xicht hervor und warf einen hellen 
Schein weit in die Nacht hinaus, gerade fo, wie es Lieutenant 
v. W. ſchon drunten von der Feldwache aus gefehen hatte. Es 


E_ 2 


280 Behnted Kapitel, 


brannte ein paar Sefunden, und als es erlofchen war, trat Sophie 
dem Fenfter näher und fagte: „Nun das weiße.” 

Das fhöne Mädchen ftand in Diefem Augenblide an den Blur 
mentifch gelehnt, und ihr edles Geficht blidte durch die Blüthen 
und die Blätter, die vor ihr ftanden. Als fih nun hierauf draußen 
an dem Fenfter der weiße Scein entzündete und fie wie mit dem 
hefiften Mondlicht beleuchtete, da war fie fo unbeſchreiblich ſchön, 
daß fich der Offizier, der aus feinem dunklen Zimmer diefed lieb- 
lihe Bild fo recht ſah, eines Ausrufes nicht enthalten konnte. 
Glücklicher Weiſe Huftete der alte Hieronymus in diefen Augen 
blide Taut und heftig, und als fi Sophie ylöglid umwandte, 
ging er an die Thüre des Nebenzimmers, fchloß diefelbe und trat 
dann zu der jungen Dame, um ihr mit einigen kurzen Worten zu 
melden, was fi drunten begeben, in welchem Verdachte man fie 
wegen der farbigen Lichter gehabt und wer fih im Borgimmer 
befinde. 


Eilftes Kapitel, 


Entpält einen Beltrag zur Feuerwerkskunde, und der geneigte Leſer ericht in demſelben 
Einiges, was er fih zu Anfang der Geſchichte wicht gedacht. 


Der Dragoner-Offizier, der fih fo plötzlich von dem Lichte 
und der Glüdjeligfeit ausgefchloffen fab, fuhr mit der Hand über 
die Stirn, um feine allzu wilden und glühenden Gedanken zu bes 
ruhigen. Diefelben fchweiften in der kurzen Zeit, wo er bier fand, 
in einem Kreife von Monaten und Meilen umber, Seht, wo er 
fih fo plößlich in der Finfternig befand, dachte er an den Grünen 
Baum und an Nr. 17, und es war ihm gerade wie damals, als 
böre er neben fich Die Seufzer des unglüdlichen Aktuard. In dem 
Salon vernahm er unterdefjen eine Zeit lang die’Stimme des 
Tienerd, dann einen leichten Auffchret der jungen Dame, und 
endlich wurde die Thüre wieder geöffnet, und Hieronymus erfuhte 
ihn, einzutreten. 


Beitrag zur Feuerwerkskunde. 281 


Die Dekoration hatte fi) einigermaßen verändert; das Fenſter 
war geichlofien, Ehriftine ſaß wieder an dem Tijche und jtridte, 
und über die Garcellampe, welche vor ihr, ftand, Hatte man den 
großen grünen Schirm fo weit berabgelafjen, daß fich rings umher 
Alles im Schatten befand, und folglih auch die junge Dame, 
welche neben dem Fautenil aufrecht ſtand und ihre Haud auf die 
Zehne defjelben ſtützte. 

Der Offizier, der nun fo plöglich in diefen Kreis gezogen 
wurde, machte eine tiefe Verbeugung und fagte alsdann lächelud : 
„Ab, mein Fräulein, Sie nehmen mir das Berdienft, etwas Wich- 
riges entdeckt zu haben. Ich hoffte fchon, irgend einer Interefjanten 
Berrätherei auf die Spur zu kommen.“ 

„Und da Sie mich fo eben belaufcht,” entgegnete dad Mäd« 
hen, „jo fahen Sie, welch unfchuldiges Spiel wir trieben.” 

„Aber ein gefährliches, Wenn ich mich auch von der Harm⸗ 
lofigfeit diejer bunten Lichter überzeugt zu haben glaube, jo hätten 
Sie doch an einen anderen Beobachter kommen und dadurch viel 
Unangenehmes haben fünnen.” 

„Uber ed wird mir doch erlaubt fein, an mein Feniter ein 
paar bunte Lichter zu ſetzen ?“ fragte das Mädchen. 

„In Kriegszeiten und in der Nähe eines Lagers nicht, mein 
Fräulein,“ erwiderte Lieutenant v. W. — „Do, wie fhen gefagt, 
wir wollen die Sache nicht fo genau nehmen; nur bitte ich Sie, 
ſelbſt dieſes unfchuldige Telegraphiren nicht fortfegen zu wollen ; 
ed thäte mir wahrhaftig leid, wenn Sie oder irgendwer Ihres 
Haufes in weitere Iingelegenheiten kämen.“ 

„Ih dankte Ihnen fehr. Doc bin ich in der That dem Zufalle 
dankbar dafür, daß er gerade Sie zu unferem Schuße hieher 
geführt.“ 

„Rur dem Zufalle? Ich möchte etwas fo Zufülligem wie dem 
Zufall nicht allein das Verdienſt zuerfennen, mich abermals in Ihre 
Nähe geführt zu Baben.” 


280 Behntes Kapitel. 


brannte ein paar Sekunden, und als ed erlofchen war, trat Sophie 
dem Fenfter näher und fagte: „Nun das weihe.” 

Das ſchöne Mädchen ftand in diefem Augenblide an den Blu- 
mentifch gelehnt, und ihr edles Geſicht blidte durch die Blüthen 
und die Blätter, die vor ihr ftanden. Als fih nun hierauf Draufen 
an dem Fenfter der weiße Scein entzündete und fie wie mit dem 
hellſten Mondlicht beleuchtete, da war jie fo unbeſchreiblich ſchön, 
daß fich der Offizier, der aus feinem dunklen Zimmer dieſes Liebe 
lihe Bild fo recht ſah, eines Ausrufes nicht enthalten konnte, 
Glücklicher Weiſe huſtete der alte Hieronymus in dieſem Augens 
blide laut und heftig, und als fih Sophie plöglid umwandte, 
ging er an die Thüre des Nebenzimmers, fchloß diefelbe und trat 
dann zu der jungen Dame, um ihr mit einigen kurzen Worten zu 
melden, was ſich drunten begeben, in welchem Verdachte man fie 
wegen der farbigen Xichter gehabt und wer fih im Botzimmer 
befinde. 


Eilftes Kapitel. 


Enthält einen Beltrag zur Feuerwerkskunde, und der geneigte Leſer erlebt in demſelben 
Einiges, was er fih zu Anfang der Geſchichte nicht gedacht. 


Der Dragoner-Offizier, der fih fo plößlih von dem Lichte 
und der Glüdjeligkeit ansgefchloffen fah, fuhr mit der Hand über 
die Stirn, um feine allzu wilden und glühenden Gedanken zı be 
ruhigen. Diefelben fchweiften in der furzen Zeit, wo er bier fland, 
in einem Kreife von Monaten und Meilen umber. Jetzt, wo er 
fih fo plöglic, in der Finfternig befand, dachte er an den Grünen 
Baum und an Nr. 17, und es war ihm gerade wie damals, als 
böre er neben fich die Seufzer des unglüdlichen Aktuard. In dem 
Salon vernahm er unterdefjen eine Zeit lang die Stimme des 
Tienerd, dann einen leichten Auffchret der jungen Dame, und 
endlich wurde die Thüre wieder geöffnet, und Hieronymus erſuchte 
ibn, einzutreten. 


Beitrag zur Feuerwerkskunde. 281 


Die Dekoration batte fid) einigermaßen verändert; das Fenſter 
war geichlofien, Ehriftine fa wieder an dem Tiſche und jtridte, 
und über die Carcellampe, weldhe vor ihr fand, Hatte man den 
großen grünen Schirm fo weit herabgelafien, daß fich rings umher 
Alles im Schatten befand, und folglih auch die junge Dame, 
welche neben dem FZauteuil aufrecht itand und ihre Hand auf die 
Lehne defjelben ftüßte. 

Der Offizier, der nun fo plößlich in diefen Kreis gezogen 
wurde, machte eine tiefe Verbeugung und fagte alsdann lächelud : 
„Ah, mein Fräulein, Sie nehmen mir das Berdienft, etwas Wich⸗ 
tiges entdedt zu haben. Ich hoffte fchon, irgend einer Interefjanten 
Berrätberei auf die Spur zu kommen.“ 

„And da Sie mich fo eben belauſcht,“ entgegnete dad Mäd« 
hen, „fo fahen Sie, welch unſchuldiges Spiel wir trieben.“ 

„Aber ein gefährliches, Wenn ich mich auch von der Harm⸗ 
fofigfeit diejer bunten Xichter Überzeugt zu haben glaube, jo hätten 
Sie doch an einen anderen Beobachter kommen und dadurd viel 
Unangenehmes haben können.“ 

„Aber es wird mir doch erlaubt fein, an mein Fenfter ein 
paar bunte Lichter zu ſetzen ?“ fragte das Mädchen. 

„In Kriegdzeiten und in der Nähe eines Lagers nicht, mein 
Fräulein,” erwiderte Lieutenant v. W. — „Doch, wie fheon gefagt, 
wir wollen die Sache nicht jo genau nehmen; nur bitte ich Sie, 
jetbft diefes unfchuldige Zelegraphiren nicht fortfegen zu wollen ; 
ed thäte mir wahrhaftig leid, wenn Sie oder irgendwer Ihres 
Haufes in weitere Iingelegenheiten kämen.” 

„Ih dankte Ihnen fehr. Doc, bin ich in der That dem Zufalle 
dankbar dafür, daß er gerade Sie zu unferem Schutze hieher 
geführt.” 

„Nur dem Zufalle? Ic möchte etwas fo Zufülligem wie dem 
Zufall nicht allein das Verdienſt zuerkennen, mich abermals in Ihre 
Nähe geführt zu haben.“ 


282 Eilftes Kapitel, 


„O, gewiß nur der Zufall,“ meinte dad Mädchen mit Teifer 
Stimme, 

„Benn Sie erlauben, Fräulein Sophie,“ fagte der Diener, 
„fo gehe ich wieder hinunter auf meinen Poſten.“ — Damit neigte 
er den Kopf und ging zur Thüre hinaus, 

„Ebriftine,” ſprach die junge Dame, „einen Stuhl für den 
Herrn Offizier.“ — Das Mädchen that wie ihm geheißen, Dann 
nahm fie ihr Strickzeug und wollte fi ebenfalls entfernen. Ein 
Beichen ihrer Herrin hielt fie jedoch im Zimmer zurüd; aber fie 
fegte fih in eine ferne dunkle Ede und begann mit großem Ges 
klapper wieder zu ftriden. 

„Sie find fehr freundlich,“ verfeßte Lieutenant v. W., „dab 
Sie mir erlauben, einen Augenblid in Ihrer Nähe zu bleiben ; 
doch will ich mit diefer Erlaubnig feinen Mißbrauch treiben. Sie 
werden ermüdet fein; Ihr Herr Bruder befindet fi, wie ich ge 
hört, fo gut es nur möglich iſt, und deßhalb werden Sie ſich jept 
auch einige Ruhe gönnen. — Vielleicht,“ ſetzte er Lächelnd hinzu, 
„noch ein Meines Zeichen nach 9. nannten, daß der Keind in Ihre 
Wohnung gedrungen ift, und dann . 

„Sehen Sie," entgegnete Sophie, „Ste trauen mir immer 
noch nicht, Sie glauben immer nod, meine farbigen Lichter hätten 
eine andere Bedeutung.“ 

„Im Allgemeinen gewiß nicht, ich babe mich ja davon über- 
zeugt; aber Sie werden fih doch für den Fall vorgefehen und 
noch ein anderes Feuer in Referve haben, vielleicht ein blaues, 
das anzeigt, der Zeind fei da,“ 

„Welcher Feind 3" fragte fie ſcheinbar unbefangen. 

„Run, wir,” 

„Ste? Wenn ih Sie nun aber nicht ala Feinde betrachte?“ 

„AH! mein Fräulein — aber heute Morgen find wir feindlich 
genug einander gegenüber geſtanden.“ 

„Vielleicht waren wir dazu gezwungen; ich kann Ihnen nur 


Beitrag zur Feuerwerkskunde. 283 


wiederholen, was ich eben gefagt: ich habe Sie, meine Landes 


leute, nie als Feinde betrachtet.“ 

„Ich danke Ihnen für diefes Wort, fühle es aber doppelt 
ihmerzlih, daß Sie fih fo — audgefprohen auf der anderen 
Seite befinden.” - 


. Das junge Mädchen fchaute den Dffizier ein paar Secunden 


mit fat wehmüthigem Blicke an, dann fenkte fie den Kopf, ohne. 


eine Antwort zn geben. — „Sie meinten vorhin,“ fagte fie nad 
einer Pauſe, „es fei nicht der Zufall, der Sie hieher geführt, 
wie ift denn das möglich ? Man kann doch, wie mir Hieronymus 
gefagt, von der äußerften Reihe Ihrer Vorpoften nicht diefe Seite 
unfered Haufes fehen, man müßte denn aus dem Hohlweg dort unten 
abfichtlich heraustreten, um unfer Haus zu überwachen. Und dad 
würde man nur alddann thun, wenn man Verdacht auf uns hätte.” 

„Es braudt nicht allein ein Verdacht zu fein, der vielleicht 
Jemanden antreiben könnte, nächtlich Ihr Fenſter anzufehen, Fräu⸗ 
lein Sophie,” erwiderte träumerifch der Offizier. 

„D, gewiß uur der Verdacht,“ entgegnete fie lebhaft, hielt aber 


plöpfic inne, als fie den feltfamen Blick bemerkte, mit dem der Offizier - 


fie betrachtete. — „Gewiß nur der Verdacht,“ ſetzte fie ftodend hinzu. 

„Und Sie glauben an keinen anderen Beweggrund, der Je⸗ 
manden veranlaffen Fönnte, Nachts Ihr Haus au umreiten und zu 
Ihren Fenitern empor zu ſchauen?“ 

„Nein, ich glaube nicht, dag Jemand in der Nähe ift,. der 
hierzu einen Grund hätte.“ 

„O, Fräulein Sophie,” verfepte Lieutenant v. W., „Sie 
find ſchrecklich ungläubig. Sie nannten es auch vorhin Zufall, 
was mich in diefer Nacht hieher geführt." 

„Nun denn, vielleicht Ihr Dienft,“ fagte fie mit leiſer Stimme. 

„Richt Zufall, nicht Dienft,“ entgegnete der junge Mann, „id 
kann beide Beweggründe nicht gelten laſſen; fuchen wir einen anderen.” 

„O, ſuchen wir Tieber gar nicht,“ ſprach ängftlih dad Mäd⸗ 


9 


284 Eilftes Kapitel. 


hen und ſchaute in die Ede des Zimmers, wo das Gellapper ber 
Stricknadeln längit aufgehört hatte, — „Wenn Ste wollen, erzäh- 
fen Ste mir lieber, auf welhe Art Sie die bunten Lichter an uns 
fern Fenſter bemerkten.” 

„Es iſt das eine lange Sefchichte, mein Fräulein. Aber wenn 
es Sie intereffitt . . .” 

„Ja,“ fagte fie faum hörbar. 

„Aber, mein Fräulein,“ fuhr er dringend fort, „um dieſe Ges 
fhichte erzählen zu können, muß ich in meinem Gedächtniß um einige 
Monate zurüdgehen. Erlauben Sie mir dag? — ich thu’ ed gern.“ 

„Wenn es fein muß,” antwortete fie mit käͤum vernehmbarer 
Stimme. 

„O, Sophie,” fuhr er plößlich Teidenfchaftlih auf, „es war 
das eine Nacht, Die ich nie vergeffen kann!“ 

„Wie die heutige,” entgegnete fie ängftlicher, „die ih auch 
nicht vergejien werde, Aber ich glaube wahrhaftig, Ihre Gefchichte 
{ft für jept zu lang. Erzählen Sie mir fie lieber ein andermal, 
— Horch! haben Sie nichts gehört? War das nicht wie ein 
Trommelwirbel?“ 

„Sie irren ſich, mein Fräulein; es war nur das Schütteln und 
Schnauben eines Pferdes drunten oder das Raſſeln eines Säbels.“ 

„Ab, Ihre Reiter find unten im Hofe!” 

„And da Ihnen meine Gegenwart vielleicht läſtig wird, mein 
Fräulein,” verfeßte der Dffizier einigermaßen mißſtimmt über die 
Abneigung des jungen Mädchens, feine Geſchichte zu hören, „fo 
will ich mich endlich zurüdzichen.“ 

„Um wieder nach den Lager zu reiten?“ 

„Das nicht. Sch werde in der Nähe Ihres Haufes bleiben, um 
Sie für vortommende Zälle zu ſchützen; Sie kennen ja meinen Wahl: 
ſpruch,“ ſetzte er, fich verbeugend, hinzu: — „Schuß den Berfolgten.” 

„Ja, ich kenne ihn,“ fagte fie eifrig und fügte feife bei: „Ich 
will Sie gewiß nicht von bier vertreiben; wenn Sie doch einmal 


Beitrag zur Fenerwerkskunde. 285 


in der Nähe bleiben wollen, fo laſſen Ste es fih in diefem Zims 
mer und bei mir gefallen.“ 

„O, Ste machen mich glüdlich,” entgegnete der Offizier und 
faßte ihre Hand, die er an feine Lippen drädte, worauf fie ihm 
aber wieder fanft entzogen wurde. 

„Sie müſſen eingeftehen,* ſprach Lieutenant v. W. nach einer 
Pauſe, „wie feltfam es ift, daß wir und jeßt dreimaf auf fo eigens 
thünliche Weife begegneten; das wollte ich in meiner Gefhichte 
entwickeln, Fräulein Sophie, ih wollte nur fagen, daß, nachdem 
ih Sie heute Morgen wieder gefeben, ih Sie vollkommen ähnlich 
fand dem Bilde, welches ich mir von Ihnen gemacht.” 

„Ab, Sie hatten fi ein Bild von mir gemacht?“ 

„Gewiß, nach den Borfällen jener Nadıt, von denen ih nicht 
ſprechen darf, ein ſchönes Bild, zufammengefegt aus dem Klang 
Shrer Stimme, aus dem... .“ | 

„Ste find phantaſiereich,“ unterbrach ihn eifrig das junge 
Mädchen. „Ih muß Ihnen geitehen, daß auch ich Sie Heute 
Morgen wieder erlannte, aber an etwas Reellerem, an den drei 
Worten, Die Ste mir — damals gejagt. Ach, dazwifchen liegt für 
mich eine unendlich traurige Zeit!” 

„Wie fo, Fräulein Sophie! Erzählen Eie mir das.“ 

Bei diefen Worten, die der Offizier fehr dringend ausſprach, 
hatte er, wie im Eifer, etwas von ihren Berhältniffen zu erfahren, 
die Hand des Mädchens erfaßt und horchte nun mit einem uns 
glaubfichen Interefje auf ihre Worte. 

„Es iſt im Allgemeinen diefeibe Geſchichte,“ fagte fie, „Die in 
jüngfter Zeit fo viel Unglück herbeigeführt; was Brüder und Freunde 
trennte, ja, ganze Länder fpaltete, drang auch verwüſtend in unfere 
Familie. Doch damit Sie mich verliehen, muß ich Ihnen ein paar 
Worte von früher ſagen., 

„O, erzählen Sie!" entgegnete der Dragoner- Offizier eifrig. 
„Erzählen Sie fehr genau und fehr lang, Fräulein Sophie!“ — 


f 


286 Eilftes Kapitel, 


Er Hatte fi jet volllommen ihrer Hand bemächtigt, und während 
er fie mit feiner Rechten fefthielt, machte er mit der Linken den 
Verſuch, ein goldene Armband, das er unter den weißen Spitzen⸗ 
ärmeln entdedt, leiſe herum⸗ und wieder berumgudrehen, — an 
fi) ein unfchuldiges Vergnügen, das ihn aber nichtsdeftoweniger 
leicht erbeben machte. 

„Mein Bater,“ fuhr das junge Mädchen fort, „Gutsbefitzer 
und Forſtmann, war von jeher dem ganzen Treiben einer gewifien 
Partei abhold geweſen; da aber feine Stimme und fein Beifpiel in 
gewifien Schichten des Volkes offenbar von großer Wirkung fein 
mußte, fo that man alles Mögliche, ohne ihn jedoch in feiner Un⸗ 
tertbanentrene wanten zu maden; erreichte jedoch hierbei einen 
anderen Zwed, den, ihn zu compromiitiren. Meine Mutter nun 
— ih muß es leider geftehen — hatte fih glei zu Anfange der 
ganzen traurigen Geſchichte auf die andere Seite begeben, ſie, die 
doch eigentlich gar nicht dort hingehörte.“ 

„Ah, die Frauen!” fagte LXientenant v. W.s „ſchredlich! 
fhrediih!” Doch als wollte er die leichte Anklage, welche in feis 
nen Worten lag, wieder gut machen, drüdte er die Heinen weißen 
Zinger an feinen Lippen, welche ihm aber dafür entzogen wurden, 
und mit vollem Rechte, denn er hatte zerftreut mehr auf das Arms 
band gefhaut, als der Erzählung des Mädchens gelaufct. 

„Bon meiner Mutter durfte das Niemand erwarten; fie ges 
hörte jenen Ständen an, die, fchon durch ihre Geburt bevorzugt, 
durchaus feine Urfahe haben, für Freiheit und Gleichheit zu 
fhwärmen; fie war eine geborene Freiin v. 6.” 

„Ah!“ machte der DragonersDOffizier; von der Familie €. 
aus 9.“ 

„Bon derſelben,“ erwiderte Sophie, „Sie kennen diefe Fas 
milie wahrſcheinlich; arm, aber vornehm.“ 

„Sehr vornehm,” fagte nachdenkend Lieutenant v. W. und 
rückte unmerklich mit feinem Seffel um eine halbe Linte zurüd, 


a ur len Bi 9— 








Beitrag zur Fenerwerkskunde. 287 


„Die erfigenannte Eigenfchaft dieſer Zamilie, die Armuth 
nämlich,“ fuhr die junge Dame fort, „war wohl ſchuld daran, daß 
die Mutter den Bewerbungen des Vaters, damals eines jungen, 
noch unbedentenden Landwirthes, nahgab und feine Frau wurde. 
‚Sie hatte auch wohl geglaubt, etwas vom Glanze ihrer Familie 
werde auf ihr neues Hausweſen übergeben und den bürgerlichen 
Namen ihres Gatten vergolden. Aber fie hatte ſich geirrt.“ 

„Ab! fie Hatte fich geirrt! ich kann mir das denken.“ 

„Papa hatte den Befannten und Berwandten der Mutter das 
mals noch kein Landhaus anzubieten, wie dad, wo wir uns jebt 
befinden; er konnte auch keine Equipage in die Stadt fehiden, um 
Gäſte auf den einfahen Hof zu holen, den die Eltern damals bes 
wohnten. Durch alles das fühlte fich die Mutter zurüdgefegt, und 
fie, die früher in der fogenannten Geſellſchaft geglänzt, wurde jetzt 
faum angeſehen; ed war ja natürlich für Jene unmöglich, den 
Gatten des ehemaligen Fräulein v. C., den einfachen Landmann, 
einzuladen. O, es hätte ſich das nicht geſchickt!“ 

„Zeider! Teider! fo find die Verhältniſſe an manchen Orten 
noch heut zu Tage; ich kenne das; es fit unglaublich, aber wahr.“ 

„Sehr wahr,” verfegte ernit das Mädchen; „und meine Muts 
ter, die ein lebhaftes Temperament hat, fühlte dies Doppelt, und 
ſtatt Verſuche zu machen, das verlorene Terrain Schritt für Schritt 
wieder zu gewinnen, was ihr viedeicht gelungen wäre, faßte fie 
einen Haß gegen Alles, was fi in jenen Kreifen bewegte und 
ſchloß fih auf's Innigfte den Bekannten des Baterd an. Ja, als 
der Bater im Laufe der Zeiten ein wohlhabender, einflußreicher 
Mann wurde, und man in der Gefellfhaft nun anfing, ihm freunds 
ih entgegenzufommen, wandte die Mutter allen diefen Verfuchen 
folz den Rüden, und ich muß es geftehen, Vater und wir hatten 
dadurch viel Unannehmlichleiten — manche bittere Stunde. Und 
der Haß gegen die Gefellfchaft, den Mama lange fill verfchwiegen 
in fi genährt, durchbrach nun beim Beginn dieſer unglüdfeligen 


288 Zehntes Kapitel. 


Zeit alle Dämme ruhiger Ueberlegung und riß den Vater, der, wie 
fhon gefagt, durchaus feine Neigung zu jener Partei Hatten, eine 
Zeit fang mit fort — aber nur eine Zeit Tang; und Bater, der 
wohl den Abgrund fah, dem alle Diefe egaftirten Menfchen entgegen 
eilten, machte viele Berfuche, die Mutter zurüdzubalten, — unmög⸗ 
lich! Was konnte er weiter thbun? Um nun nicht mitten hinein 
in den’ Strudel geriffen zu werden, dem er ja allein unmöglich 
widerftehen konnte, folgte er der Bewegung Schritt [für Schritt, 
aber witderftrebend und die rafchen Entichlüjje der Mutter hemmend. 
Um jene Zeit wurde ih vom Vater an den Mittelrhein zu Bekann⸗ 
ten geſchickt, um dort eine Zeit lang zu bleiben.“ 

„Bo ih Sie gefehen!“ fagte Lieutenant v. W. 

„Rein, wo Sie mich nicht gefehen,” entgegnete lächelnd das 
Mädchen. — „Doch ließ mih die Mutter bei den ernften Ereig— 
niffen,, die von allen Seiten hereinzubrechen drohten, nicht lange 
dort, fondern rief mich hierher zurüd. Mein Bruder, der damals 
die Hochſchule befuchte, egaltirt, wie fo viele feiner Befannten, nahm 
thätigen Antheil an dem ungfüdlihen Kampfe und wurde geftern, wie 
Ihnen bekannt ift, drunten in Dem weißen Haufe ſchwer verwundet.“ 


„Allerdings, ich weiß,“ verfeßte ernft der Dragoner » Offizier. 
„Aber wie konnte fih Ihre Mutter dorthin begeben? Es ift ja 
ein wahres Wunder, daß Sie unverlegt geblieben, daß nicht eine 
der hereinjchlagenden Kugeln Sie getroffen, daß Eie nicht bei dem 
Erftürmen verlegt wurden. — O, mein Gott! Sophie, ich ver: 
fihere Sie alles Ernſtes, ich bin dem Schickſal unendlich dankbar 
dafür, daß e8 mich gejtern bei dem Gefechte zugegen fein ließ.“ 


„Auch mich hat es glücklich gemacht,“ fagte nach einer Pauſe 
das junge Mädchen mit faum vernehmbarer Stimme, und feßte 
lauter Hinzu: „Und ich danke dem Schidjal und Ihnen.” Dabei 
reichte fie dem Offizier, der vor ihr faß, mit einem rührenden Aus⸗ 
brud ihre beiden Hände, die er für jept zu ergreifen fich begnügen 








Beitrag zur Feuerwerkskunde. 289 


mußte; doch wer weiß, was weiter gefchehen wäre, Hätte fich nicht 
in dieſem Augenblide die Thüre geöffnet, zu welcher der alte Hie⸗ 
ronymus hereintrat. Chriftine in der Ede erwachte mit einem 
lauten Seufzer und fing angenblidlich wieder an zu ftriden. 

„Berzeiben Sie, Fräulein Sophie,“ fagte der Diener, „ic 
fomme nur, um meine Meldung zu machen: der junge Herr befindet 
fih fortwährend fehr gut, und ich glaube, es könnte nichts fehaden, 
wenn Sie, ehe der Tag kommt, für Mudame nod ein beruhigendes 
Zeichen machten.“ 

„Iſt es Schon fo ſpät?“ entgegnete haftig aufitehend Sophie. 

„Vielmehr fo früh,“ verfepte lächelnd Hieronymus; „es wird 
nächftens drei Uhr fchlagen.” 

„Bott fei Dank,” fprach fie, „fo it die Racht bald vorüber! 
— Alſo Alles geht gut? Daun wird es an einem einzigen grünen 
Lichte genug fein.“ 

„Und der Meberfall des Feindes?“ fragte lächelnd der Dra— 
goner-Offizter; „Hieronymus wird willen, welche Farbe mun dazu 
braucht.“ 

„Ich glaube in der That, antwortete der alte Diener, „Ma: 
dame hat den Fall vorgeſehen und dafür Blau beſtimmt — Blau 
und darauf Roth, wenn wir Unannehmlichkeiten erlitten, im ande— 
ven alle aber Blau und Weiß.“ 

„ah! Blau mit Roth, oder Blau mit Weiß!“ fagte nadı 
denfend der Dragoner-Offizier und fchaute das Müdchen mit einem 
innigen Blide an. Sie hatte den Schirm von der Rampe abges 
hoben und ſtand jeßt zum erftenmal in vollem Lichte vor ihm. 

„Ich habe den Dragonern drunten einen Trunt angeboten,” 
ſprach der Hieronymus zu dem Offizier, „doc haben fie ihn aus- 
geſchlagen.“ 

„Das will ich glauben in Feindes Land!“ entgegnete lachend 
Lieutenant v. W. „Sie kennen ihren Dienft.“ 
„Aber eine Heine Erfriihung wird den armen Renten nichts 
Halländers Werte, V. 19 


290 Eilftes Kapitel. 


Ihaden,? meinte dad junge Mädchen, „und wenn ich Sie bitte, fo 
wien Sie Ihre Erlaubnig nicht verſagen.“ 

‚7 „G©ewiß nit,“ erwiderte der DragonersÖffizier mit lauter 
"Stimme, fügte aber leife Hinzu: „Um fo weniger, da Sie mir 
dadurch geftatten, noch eine Beine Weile in Ihrer Geſellſchaft zu 
bfeiben.” — Damit ging er an das Fenfter, öffnete ed und bejaht 
dem Interoffizier der Dragoner, er jolle die Leute abligen und 
es ſich bequem machen lafjen. 

Hieronymus hatte das Zimmer verlafjien, und Chriftine, die 
gehört hatte, man wolle auf's Neue telegraphiren, brachte das 
blecherne Käftchen herbei. 

„Jetzt werden Sie mir helfen,“ fragte ſchalkhaft Tächelnd das 
junge Mädchen und reichte Dem Offizier eine der Papierhülſen, die 
fie aus dem Käftchen genommen. 

„Ih befinde mid da in einer merfwürdigen Poſition,“ ents 
gegnete Lieutenant v. W. mit heiterer Miene. „O, mein Fräu— 
lein! Sie mahen aus mir, was Sie wollen; indem "ich Ihnen 
hier beife, vertraue ich Ihnen meinen guten Namen, meine Ehre 
anz ic, könnte garilig conpromittirt werden, wenn mun Die Ges 
fchichte auf eine andere Art im Hauptquartier erzählte.” 

„Wir werden einander nicht verrathen,” ſprach treuberzig das 
ihöne Mädchen und fah den jungen Offizier mit einen unbeſchreib— 
lich innigen Blicke, der warm und glänzend aus ihren großen 
Dunkeln Augen drang, eine Sekunde lang au. „Sind wir dein 
nicht im gleichen Falle, habeich Ihnen nicht auch meinen guten Na- 
men, meine Ehre anvertraut, und thue es aud) jegt noch unbedingt?” 

„Ah, Sophie!“ verfegte feurig Lieutenant von W., „Sie haben 
Beweiſe von meiner Verichwiegenheitz ich bin in der That glüds 
ich, ja felig, ein Geheimniß mit Ihnen theilen zu Dürfen.“ 

Wir wijjen nicht, durch welch geſchicktes Manöver der Dragos 
ner⸗Oifizier bei dieſen Worten plöglich auf die andere Seite des 
Zijches kam nud wie er es wagen kounte, feinen Arm um ihre 


a ee N ua ee ee — 





N 


Beitragzur Feuerwerkskunde. 291 


ſchlanke Taille zu legen; fie duldete es auch nur einen Augenblid; 
dody während fie feine Hand los machte, tröftete fie ihn durch einen 
einzigen Blick, einen Blid, der ihn nicht einmal traf, der vielmehr 
forſchend in die Ede des Zimmers flog, wo fid Chriſtine wieder 
auf ihren Stuhl zurückgezogen hatte. 

Darauf traten die beiden jungen Leute wieder an das Fen⸗ 
ſter; ſie rubig, er zitternd. — Wie erfrifchend war die kühle Mor . 
genluft, die nun in das Zimmer drang, wie fü der Duft des 
Waldes, der Kräuter und Blumen, mit dem ein leichter Wind ihre 
erhigten Wangen fühlte. Es war ſchon nicht mehr völig Nacht 
draußen, ein unbeftimmtes Licht bezeichnete fchattenhaft die Geftal- 
ten der Gefträuce und Bäume, und ließ beinahe das Terrain vor 
ihren Augen erfennen: Hügel, Schluchten, Bäche und Wege, aber 
Alles noch ungewiß, wie ſchlummernd und träumend. Am Hori— 
zont war nur eine lichte Stelle, wo der Mond untergegangen, nud 
hoch am Himmel glänzten noch ein paar erlöfchende Sterne — 
ed lag ein unbefchreiblih füßer Hauch auf der Landſchaft, es 
derrichte ein wonnig ſüßes Gefühl in den Herzen der beiden jiits 
gen Leute, welche neben einander am Fenſter jtanden; man ahnte 
ſchon, wie es draußen werden, wie es fi) im Innern geftalten 
würde bei dem erften Strahl eines aufflanımenden Kichtes, eines 
Lichtes, mochte es nun ein Sonnenſtrahl fein oder ein lieben— 
des Wort, draußen die Schatten verjagend, innen ale: Zweifet auf⸗ 
klärend. 

„Zuerſt das grüne Licht,“ ſagte tieſ aufathmend das junge 
Mädchen. 

Und darauf legte er die Hülſe an's Fenſter, zündete ſie an, 
und dann fuhren Beide erſchrocken zurück, aber merkwürdiger Weiſe 
dichter zu einander hin bei der plötzlichen Helle. 

„Jetzt das blaue.“ 

„Ah, für mich, für den Feind!“ 

„Blau Licht bei Nacht iſt eine ſchöne Farbe.“ 


292 Eilftes Kapitel. 


Und Beide ſchauten es eifrig an und fahen noch eine Se- 
funde lang in die verbrannte Hülfe, nachdem fie ſchon ausgeleuch— 
tet hatte. Hierbei war es recht fonderbar, daß der Offizier, als er 
nun feine Hand empor bob, die des Mädchens feit hielt. Sie 
hatte ſich, wahrfcheinfich erichredt ven dem blauen Lichte, zu ihm 
hin geflüchtet. Jetzt kam aber ein entfcheidender Moment; denn 
das nächte Feuer konnte roth oder weiß leuchten, je nachdem 
der Lieberfall des Feindes als freundlich oder unfrenndlich ange: 
ſehen wurde. 

Der Dragonersöffizier warf einen raſchen Blick hinter fid 
in das Zimmer, vor allen Dingen nad) dem Stuhle, auf welchem 
Chrijtine gefejlen; aber er war leer, — fie batte dad Gemach 
verlafien. 

Diefes Mat fuchte Sophie die Hülfe felbft aus, fie legte die— 
felbe ans Fenfter; der junge Offizier nahm die Feine Lunte und 
fagte dann mit zitternder Stinnme zu dem Mädchen, wobei fie fich 
erichroden von ihm abwandte, denn er hatte fie etwas haſtig an 
fih gedrüdt: „Sophie, willen Sie wohl, daß jept für mich, für 
meine Zukunft, für mein ganzes Leben ein wichtiger, ein großer 
Angenbli gefommen tft? Sie zeigten Ihrer Mutter an, der Feind, 
ich, fei gelommen, jeßt find Sie im Begriffe, hinzuzufügen, wie 
Ihnen der Feind erfchienen iſt; ich weiß nicht, welche Hülfe Sie 

„genommen haben; es fei das für mich ein Glüdsfpiel; wird im 
nächſten Augenblide ein rothes Licht erfcheinen, wohlan, fo bin ich 
Shen gleichgültig, tif es aber ein weißes Licht, dann, Sophie, 

‚ lieben Sie mid fo innig, fo treu — — wie ih Sie liebe.“ 

Das junge Mädchen fehauderte in feinem Arm und entgegnete 
mit feifer Stimme: „Das babe ich nicht gefagt." — Sie war ers 
Ihroden, fie machte mit zitternder Hand einen Verſuch, die Hüffe 
von dem Fenſter zu nehmen. Aber e8 war zu ſpät — fehr viel 
zu ſpät; Das Feuer hatte gezündet, und ald nun eine heile weiße 
Flamme emporquoll, drüdte der DragunersOffizier das ſchöne Mäd— 





Beitrag zur Feuerwerkskunde. 293 


hen feit an fein Herz ; fie wandte das von dem glänzenden Scheine 
überftrablte Gefiht nicht von ihm weg, und fo fam ed, daß er fie 
innig auf die frifchen rothen Lippen füßte. - 

Diefer Kuß dauerte eben fo lange, als die Hülfe brannte, 
dann fuhr das Mädchen aus feinen Armen empor, rief: „Dein 
Gott! mein Gott!” und warf fih in ihren Pautenil, wo fie ihr 
Geſicht mit den Händen bededte. 

Nac dem eriten Kuſſe, den man einem jungen Mädchen raubt, 
it e8 ein wichtiges und fehr ſüßes Gefhäft, für diefe Unthat 
Berzeihung zu erlangen, und man febt Daun mit eifrigen Worten 
feine @efühle, feine Wünfche, feine Hoffnungen auseinander, 
Das that denn auch Lieutenant v. W., und wir müſſen geftehen, 
daß nach einer Beinen Biertelitunde das ſchöne Mädchen unter 
Thränen lächelte, 


er 


Zwölftes Kapitel. 


Der lange Eduard wird von einer trouille aus dem Schlaf gewedt, zieht in der Morgen⸗ 
daͤmmerung auf Entdeckungen Aus und bemerkt mit Erſtaunen, daß ein großes Licht vor 
ihm aufgeht, 

Während diefer Viertelftunde aber hatte fich drangen allerlei 
begeben. Der Unteroffizier von der Feldwache am Hohlweg vers 
ließ jene Ede nicht mehr, von wo aus er das einfame Landhaus 
beobachten konnte. Lange bemerkte er kein weiteres Licht, dann 
aber flammte es wieder, wie wir bereitd willen, grün, blau und 
weiß enıpor. Der würdige Unteroffizier, obgleih er der Reiters 
Batrouille diefe merkwürdige TIhatfache gemeldet, hielt es dennoch 
für feine Pflicht, auf dem nächſten Patrouillen- Zettel au’3 Haupt: 
quartier hierüber einen Napport zu erftatten. Dieſer Rapport 
gelangte auf dem vorgefchriebenen Wege in das weiße Haus und 
vor dad Lager des die Wache conimandirenden Hauptmanıd. 


S 


292 Gilftes Kapitel. 


Und Beide fchauten es eifrig an und ſahen noch eine Se- 
kunde fang in die verbrannte Hülſe, nachdem fie fhon ausgeleuch— 
tet hatte. Hierbei war es recht fonderbar, dag der Offizier, als er 
nun feine Hand empor bob, die des Mädchens feit hielt. Sie 
hatte ſich, wahrfcheinlich erfchredt von dem blauen Fichte, zu ihm 
bin geflüchtet. Jetzt fam aber ein entjcheidender Moment; denn 

das nähfte Feuer konnte roth oder weiß leuchten, je nachdem 
der Ueberfall des Feindes als freundlich oder unfreundlich ange- 
ſehen wurde. 

Der Dragoner⸗Offizier warf einen raſchen Blick hinter ſich 
in das Zimmer, vor allen Dingen nach dem Stuhle, auf welchem 
Chriſtine geſeſſen; aber er war leer, — ſie hatte das Gemach 
verlaſſen. 

Dieſes Mal ſuchte Sophie die Hülſe ſelbſt aus, ſie legte die— 
ſelbe aus Fenſter; der junge Offizier nahm die kleine Lunte und 
ſagte dann mit zitternder Stimme zu dem Mädchen, wobei ſie fich 
erſchrocken von ihm abwandte, denn er hatte fie etwas haſtig au 
fih gedrüdt: „Sophie, wiſſen Sie wohl, daß jeßt für mid, für 
meine Zufunft, für mein ganzes Leben ein wichtiger, ein großer 
Angenblick gekommen ift? Sie zeigten Ihrer Mutter an, der Feind, 
ich, fet gelommen, jeßt find Sie im Begriffe, hinzuzufügen, wie 
Ihnen der Feind erfchienen iſt; ich weiß nicht, welche Hülfe Sie 

„genommen haben; es fei das für mich ein Glüdsfpiel; wird im 
nächſten Augenblide ein rothes Licht erfcheinen, wohlan, fo bin id} 
Ihnen gleihgültig, tft es aber ein weiges Licht, dann, Sophie, 
lieben Sie mich fo innig, fo treu — — wie ih Sie liebe.“ 

Das junge Mädchen fchauderte in feinem Arm und entgegnete 
mit leiſer Stimme: „Das babe ich nicht geſagt.“ — Sie war ers 
fhroden, fie machte mit zitternder Hand einen Verſuch, die Hülſe 
von dem Fenſter zu nehmen. Aber e8 war zu fpät — fehr viel 
zu ſpät; das Feuer hatte gezündet, und als nun eine heile weiße 
Flamme emporquoll, drüdte der Dragoner⸗Offizier das ſchöne Mäd— 


Beitrag zur Feuerwerkskunde. 293 


hen feit an fein Herz; fie wandte das von dem glänzenden Scheine 
überftrablte Geficht nicht von ihm weg, und fo kam es, daß er fie 
innig auf die frifhen rothen Lippen füßte. 

Diefer Kuß dauerte eben fo lange, als die Gülfe brannte, 
dann fuhr dad Mädchen aus feinen Armen empor, rief: „Mein 
Gott! mein Gott!” und warf fi in ihren Fautenil, wo fie ihr 
Geſicht mit den Händen bededte. 

Nach dem erften Rufe, den man einem jungen Mädchen raubt, 
ift es ein wichtiges und fehr ſüßes Gefhäft, für diefe Unthat 
Berzeihung zu erlangen, und man feßt dann mit eifrigen Worten 
feine Gefühle, feine Wüuſche, feine Hoffnungen auseinander. 
Das that denn auch Lientenant v. W., und wir müſſen geftehen, 
daß nad einer Beinen Biertelitunde das fchöne Mädchen unter 
Thränen lächelte. 


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v ⸗ 
Zwoölftes Kapitel. 
Der lange Eduard wird von einer Mirouiſle aus dem Schlaf gewect, zieht in der Morgen⸗ 


Dämmerung auf Entdelungen Zus und bemerft mit Erftaunen, dag ein großes eicht vor 
ihm aufgeht, 

Während diefer Viertelftunde aber hatte fich drangen allerlei 
begeben. Der Iinteroffizier von der Feldwache am Hohlweg vers 
ließ jene Ede nicht mehr, von wo aus er das einfame Landhaus 
beobachten konnte. Lange bemerkte er fein weiteres Licht, dann 
aber flammte es wieder, wie wir bereit! wiflen, grün, blau und 
weiß empor. Der würdige Unteroffizier, obgleih er der Reiter⸗ 
Patrouille diefe merfwürdige Thatfache gemeldet, hielt es dennoch 
für feine Pflicht, auf dem nächſten Patrouillen⸗Zettel an’d Haupt- 
quartier hierüber einen NRapport zu erftatten. Dieſer Rapport 
gelangte auf dem vorgefchriebenen Wege in das weiße Haus und 
vor das Lager des die Wache conmandirenden Hauptmanns. 


“ 


294 Zwölftes Kapitel. 


wurde aber von demfelben, da er fich gerade eines guten Schlafes 
erfreute, an den wachthabenden Lieutenant im Hofe verwiejen. 

Der lange Eduard träumte zur felbigen Zelt von einer neuen 
Ausgabe des Meidinger, von ihm fehr vermehrt und bereichert, 
auch mit Holzichnitten iffujtrirt, deren Stöde er gerade im Begriff 
war, eifrigft durchzufägen. Im dieſem interefianten Augenblide 
wurde er gewedt, und nachdem er fih aus dem Mantel herandges 
widelt, die Pickelhaube aufgefept unt die Schärpe etwas zurecht 
gezugen, nahm er aus den Händen der Soldaten den Patrouilien- 
Zettel, und las mit großem GErftaunen, was fi) draugen auf den 
Borpoften begeben. „Es iſt eigentlich erftaunlih,“ brummte er 
in fih hinein, „van W. nichts davon gemeldet, er muß ed doch 
auch gefehen haben; fonderbar iſt ed auch, dap er noch nicht 
zurüdgefehrt ift. He, mein Freund,“ wandteer fich fragend an den 
Soldaten, „habt ihr auf Poſten feine Reiters Patrouifle geſehen?“ 

„Dragoner, Herr Lieutenant? — Die waren nad ein Uhr 
bei unferer Wache, Der Interoffizier führte den commandirenden 


Offizier bi! draußen vor den Hohlweg, wo man die farbigen‘ 


Lichter deutlich fehen fonnte; darauf ritt die Patrouille nad dem 
Haufe hin, wo man die Zeichen gefehen.“ 

„Um ein Uhr?” fagte der lange Eduard, indem er fih in 
feiner ganzen Größe erhob. „Sonderbar! Ich mug das Ding dem 
Hauptmann melden; unfer braver Kamerad W. könnte in einen 
Hinterhalt gefallen fein.” — Damit fertigte er die Patrouille 
wieder ab und ging mit fangen Schritten in das Haus, wo er 
den Hauptmann wedte, ihm die Sache vortrug und ihn zu gleicher 
Zeit darauf aufmerkſam machte, wie nothwendig es ſei, dag Haus 
mit den farbigen Lichtern ein wenig näher zu unterfuchen. 

Der Hauptmann war damit volllommen einveritanden 5; da er 
aber nicht Luft zu haben fchien, das Unternehmen felbft zu Teiten, 
ihm auch wohl der Dienft nicht erlaubte, feine Wache zu verlaifen, 
fo beauftragte er den langen Eduard mit diejer Expedition, und 


Eduard zieht anf Entdedungen aus. 295 


gab ihm zehn Mann von der Wache mit, um das verdächtige Haus 
zu unterjuchen. f 

Unterdefjen verkündete fhon ein heller Streifen im Oſten, 
Daß der Tag anzubrechen beginne; ein Teichter Wind bewegte die 
Zweige der Bäume, und einzelne Bogelitimmen fehlugen fchüchtern 
an und verſuchten ihre Kehlen zu dem fpäteren großartigen Mor» 
gen-Eoncerte, womit fie den Aufgang der Sonne zu begrüßen 
pflegen. Die Schatten der Nacht verſchwanden fchneller und 
fhnefler, und man war fchon im Stande, eine gute Strede vor 
fih zu fehen. 

Lieutenant Eduard flieg durch den Wald hinauf und gelangte 
bald an die Rorpoftenfette, wo Jedermann durch Weberlieferung 
wußte, daß die Neiter-Patrouille vorüber gelommen, aber nicht 
zurücigefehrt fei. Der lange Eduard dachte an alle möglichen 
Ungtüdsfälle ; fchredlihe Geſchichten wurden von feiner lebhaften 
Phantafie ausgedacht, und der Bericht der Schildwache in der 
Nähe jenes Landhaufes war nicht dazu gemacht, feine Zweifel zu 
zerftreuen und feine Befürchtungen niederzufchlagen, die in nichts 
Geringerem beftanden, als Lieutenant W. fei in einen Hinterhalt 


gefallen und vielleicht mit feiner ganzen Mannfchaft niedergemadt 
worden. 


Die letzte Schildwache unfern des Gitterthors Hatte von ihrem 
Vormann die Meldung erhalten, die Dragoner feien in den Hof 
geritten, und er habe genan auf alles aufzupaſſen, was vorfalle. 
Aber es war nichts vorgefallen. Der Dragoner, der zwiichen dem . 
Gitterthor und diefem Poften aufgeftellt war, Hatte fich nach und 
nah zu feinen Kameraden hineingezogen. „Dann war ed,” fagte 
der Soldat, „hinter dem Gitterthor fehr fill geworden.“ 

„Sehr til?" fragte nachdenfend der lange Eduard. 


„Sa wohl, Herr Lieutenant, außerordentlich ſtill,“ antwortete 
die Schildwache ; „nur ein einziges Mal noch hörte man ein ziem⸗ 


294 Zwölftes Kapitel. 


wurde aber von demfelben, da er fih gerade eines guten Schlafes 
erfreute, an den wachthabenden Lieutenant im Hofe vermwiefen. 

Der lange Eduard träumte zur felbigen Zeit von einer neuen 
Ausgabe des Meidinger, von ihm fehr vermehrt und bereichert, 
auch mit Holzichnitten iffuftrirt, deren Stöde er gerade im Begriff 
war, eifrigft Durchzufägen. Im dieſem interefjanten Augenblicke 
wurde er gewedt, und nahdem er fih aus dem Mantel herausge⸗ 
widelt, die Pickelhaube aufgefept und die Schärpe etwas zurecht 
gezugen, nahm er aus den Händen der Soldaten den Patrouilien- 
Zettel, und las mit großem Gritaunen, was fih draußen auf den 
Borpoften begeben. „ES dit eigentlich erſtaunlich,“ brummte er 
in fih Hinein, „dag W. nichts davon gemeldet, er muß ed doch 
auch gefehen haben; fonderbar iſt ed auch, dag er noch nicht 
zurücgefehrt itt. He, mein Freund,” wandteer fich fragend an den 
Soldaten, „habt ihr auf Poften keine Reiters Batrouille geſehen?“ 

„Dragoner, Herr Lieutenant? — Die waren nad ein Uhr 
bei unferer Wache, Der Unteroffizier führte den commandirenden 


Offizier bis draußen vor den Hohlweg, wo man die farbigen 


Lichter deutlich fehen Ponnte; darauf ritt die PBatrouifle nach dem 
Haufe hin, wo man die Zeichen gefehen.” 

„Am ein Uhr?” fagte der Tange Eduard, indem er fich in 
feiner ganzen Größe erhob. „Sonderbar! Ich mug das Ding dem 
Hauptmanı melden; unfer braver Kamerad W. könnte in einen 
Hinterhalt gefallen fein.” — Damit fertigte er die Patrouifle 
wieder ab und ging mit fangen Schritten in das Haus, wo er 
den Hauptmann wedte, ihm die Sache vortrug und ihn zu gleicher 
Belt darauf aufmerkſam machte, wie nothwendig es fei, das Haus 
mit den farbigen Lichtern ein wenig näher zu unterfuchen. 

Der Hauptmann war damit volllommen einveritanden ; da er 
aber nicht Luſt zu haben fchien, das Unternehmen felbft zu leiten, 
ihm auch wohl der Dienft nicht erlaubte, feine Wache zu verlaſſen, 
fo beauftragte er den langen Eduard mit dieſer Expedition, und 


en en © SER U AL —— — — 


Eduard zieht auf Entdedungen aus. 295 


gab ihm zehn Mann von der Wache mit, um das verbächtige Haus 
zu unterjuchen. : 

Unterdefien verkündete ſchön ein heller Streifen im Oſten, 
daß der Tag anzubrechen beginne; ein leichter Wind bewegte die 
Zweige der Bäume, und einzelne Bogeljtimmen fchlugen fchüchtern 
an umd verfuchten ihre Kehlen zu dem fpäteren großartigen Mor» 
gen-Eoncerte, womit fie den Aufgang der Sonne zu begrüßen 
pflegen. Die Schatten der Nacht verfchwanden fchneller und 
fchnefler, und man war fhon im Stande, eine gute Strede vor 
fih zu fehen. 

Lieutenant Eduard ftieg durch den Wald hinauf und gelangte 
bald an die Vorpoftenfette, wo Jedermann durch Weberlieferung 
wußte, daß die Reiters Patrouille vorüber gelommen, aber nicht 
zurüdgelehrt fei. Der lange Eduard dachte an alle möglichen 
Ungtüdöfälle; ſchreckliche Gefchichten wurden von feiner lebhaften 
Phantafle ausgedadt, und der Bericht der Schildwache in der 
Nähe jenes Landhaufes war nicht dazu gemadt, feine Zweifel zu 
zerftreuen und feine Befürchtungen niederzufchlagen, die in nichts 
Geringerem beftanden, als Lieutenant W. fet in einen Hinterhalt 
gefallen und vielleicht mit feiner ganzen Mannfchaft niedergemacht 
worden. 

Die legte Schildwache unfern des Gitterthors hatte von ihrem 
Bormann die Meldung erhalten, die Dragoner feien in den Hof 
geritten, und er habe genan auf alles aufzupaſſen, was vorfalle. 
Aber es war nichts vorgefallen. Der Dragoner, der zwifchen dem 
Gitterthor und diefem Poften aufgeftellt war, Hatte fih nach und 
nach zu feinen Kameraden hineingezogen. „Dann war ed,” fagte 
der Soldat, „hinter dem Gittertbor fehr fill geworden.“ 

„Sehr fi?" fragte nachdenkend der lange Eduard. 


„Sa wohl, Herr Lieutenant, außerordentlich ſtill,“ antwortete 
Die Schildwache ; „nur ein einziges Mal noch hörte man ein ziems 


296 gwöolftes Kapitel. 


lich Tautes Klirren der Säbel; dad dauerte aber vielleicht eine 
Minute, und dann trat diefelbe Stile wieder ein.” 

Der lange Eduard fhanderte und ſprach zu ſich felber: „Gott 
der Gerehte! es wäre doch in der That fürchterlich, auf eine jo 
elende Art und nächtlicher Weile um's Leben zu kommen.“ Dabei 
fiel e8 ibm HAB anf die Seele, dab Lieutenant v. W. geftern 
Bormittag die bewußte Dame und ihre blonde Tochter hieher ges 
leitet; nicht fchien ihm wahrfcheinlicher, als daß fein armer Ka- 
merad fich bei dem Berfuhe, das Mädchen wieder zu fehen, viel- 
teicht zu weit vorgewagt und fo in eine fchlimme Geſchichte gerathen. 

Während aber auf diefe Art der lange Eduard drunten vor 
dem Gitterthor diefe traurigen Gedanken in feinem Herzen nährte, 
und ſich dabet eines tiefen Schauders nicht erwehren fonnte, Eniete 
droben im Zimmer der Gegenſtand diefes Schauderd vor dem und 
bekannten violetsfannmtnen Fauteuil oder vielmehr vor dem Maͤd⸗ 
cben, welches in demſelben lag. 

„Meine liebe Sophie,” fagte er, nachdem fie ihm durch einige 
Thränen zugelächelt, „Du bift nun meine Gefangene, und ih kann 
dich nur auf Ehrenwort frei geben, das heißt, dich bier auf dem 
Landhauſe laffen, wenn wir heute abziehen.“ 

„Und worauf fol ich mein Ehrenwort geben?” fragte fie ere 
röthend. 

„Ei,“ antwortete er lachend, „daß du meines Rufes gewärtig 
bit, mir zu folgen, wohin ich es verlange — natürlich als mein 
liebes Weib.” 

Sie fenkte den Kopf auf feine Stirn, gab aber feine Antwort. 

„Du kennſt jeßt meine Familie,“ fuhr er fort, „fie ift eben 
fo alt und bedeutend, wie die deiner Mutter. Glaubft du, diefe 
werde e8 ungern fehen, daß du Frau v. W. werden font?“ 

„Nein, ich glaube nicht, mein Lieber Freund,“ entgegnefe das 
Mädchen; „ich glaube, es wird fie glüdlich machen, ja, vielleicht 
den Frieden In unferer Familie wieder herftellen.“ 











Ednard zieht auf Entdedungen aus, 297 


„Das wäre prächtig, mein Kind!“ jubelte faut der Dragoner- 
Offizier; „dann würde es ung ja vielleicht gelingen, fie von jener 
Partei wieder zu uns berüber zu ziehen. Ah! das macht mich fehr 
aufrieden, und ich kann es jept einigermaßen entfchuldigen, meinen 
PatronillenDienft nicht vollfommen gewiftenhaft ausgeübt zu has 
ben. Wenn Seine Königliche Majeftät erfährt, welche Profelyten 
ich gemacht, und wie ich zur dauernden Beruhigung diefes Landes 
beigetragen, fo faun mir ein gutes Avancement nicht entgehen.” — 
Bei diefen Worten fprang er vergnügt in die Höhe, zog dad Mäd— 
hen von dem Fauteuil empor und drüdte fie eine gute Weile feft 
und innig in feine Arne. 

Da wurde die Thüre zum Salon heftig aufgeriffen, und als 
Lieutenant v. W. erftaunt über diefe Unterbrehung um ſich blickte, 
ſah er die fange Geftalt eines Infanterie-Offiziers wie eine Er— 
fheinung in dem Halbdunkel deg Vorzimmers ftehen. 

Dieje Geftalt fehlen aber offenbar noch mehr überrafht und 
erftaunt, alö der Dragoner-Dffizier ; fie hatte den Degen gezogen, 
bewegte fih langſam vorwärts und rief endlich mit einem tiefen 
Seufzer, mit einem Tone der höchſten Verwunderung: „Heiliger 
Meidinger!“ 

Bei dieſem Ausrufe wußte der Dragoner⸗Offizier augenblicklich, 
wen er vor fi habe; er ließ das junge Mädchen aus feinen 
Armen in den Fanteuil niedergleiten und bot feinem Freunde Iuftig 
lachend die Hand, 

„Du haft, wie mir ſcheint, mit Erfolg patrouillirt,“ meinte 
der fange Eduard nad, einer Paufe, nachdem er fid einigermaßen 
von feinem Erftaunen erholt, nicht ohne einen Meinen Anflug 
von Neid. 

„So vollkommen,“ antwortete ihm raſch Lieutenant v. W., 
„daß ich jetzt im Stande bin, dir hier meine Braut vorzuſtellen.“ 

„Ah! mein Fräulein, wir kennen uns!“ tief der lange Eduard 
Indem er fich tief verbeugte. „Ich hatte die Ehre, mit Ihnen vor 


298 Zwölftes Kapitel. 


einiger Zeit zu fpeifen. Wer hätte gedacht, dag Ste fo bald zu 
uns übergehen wärden !* 

Das junge Mädchen, das fi bei der fo unerwarteten Da- 
zwifchenfunft eines Dritten in großer VBerlegenheit befand, erim 
nerte fi) gern Des InfanteriesOffiziers, den es bei feinem Oheim 
geieben, und war fo im Stande, ein für diefen feltfamen Augen: 
bfi über alle Erwartung rubiges und vernünftiges Geſpräch eins 
zuieiten. Doch war die Pofition der drei Perfonen ziemlich uns 
haltbar, ja unerquicklich, und fo hörten fie denn auch nach einigen 
Augenbliden mit großem Vergnügen von dem Thale herauf einen 
einfachen Zrommelfchlag: durch die Stille des Morgens herüber 
fallen, dem bald andere rafjelnd und wirbelnd antworteten. Das 
zwifchen klangen Trompeten und Hörner und mahnten zum Auf 
bruche. 

Der lange Eduard war diskret genug, fich mit der Hoffnung 
auf ein frohes Wiederfeken rafch zu entfernen, wodurd er feinem 
Kameraden Zeit ließ, einen innigen Abſchied von dem geliebten 
Mädchen zu nehmen. Das that diefer denn auch, er küßte fie auf 
die Stirn, auf den Mund, auf die Augen, und als er fich darauf 
gewaltfam ven ihr losriß, fagte er: „Uebermorgen find wir in 
H.; nicht wahr, meine geliebte Sophie, dort finde ich den Brief 
deiner Mutter?" — — 

Die Dragoner hatten fi unterdefien im Hofe vollfommen res 
ftaurirt, fie waren luftig und wohlgenuth und hätten gar zu gern 
ein vergnügtes Lied geſungen; doch ritt ihr Offizier fchweigend 
vor ihnen ber, in tiefe Gedanken verſunken, und fchaute nieder auf 
den Sattelknopf, bis er das Infanterie Piquet erreichte, an defien 
Epige der lange Eduard marſchirte. Diefer reichte feinem Freunde 
lachend die Hand und fagte ihm: „Wahrhaftig, ich kann dir nur 
gratuliten ; ich glaube, du allein wirft aus dieſem Feldzug eine 
vernünftige Eroberung mit nach Haufe bringen.“ 

Bald hatten fie das weiße Haus erreicht, wo das Haupts 


Dofe faßt einen wichtigen Entſchluß. 299 


quartier im Aufbruche begriffen war. Der Unteroffizier des Feld⸗ 
poftens draußen, der zurüdgezogen worden war, meldete eben dem 
wachthabenden Hauptmann noch einmal auf's Umftändlichfte die 
Gefhichte mit den bunten Lichtern ; Lieutenant v. W. rapportirte, 
dag er jenes Haus auf's Genauefte unterfucht, und der lange 
Eduard fegte hinzu, er könne die Berfiherung abgeben, der Dra- 
goner-Dffizier habe auf's Umfichtigite gehandelt, und er für feine 
Perſon fich überzeugt, daß die bunten Lichter volllommen unvers 
dächtig geweſen jeien. 


Dreizehntes Kapitel. 


Erzählt, das Feodor Dofe vier Briefe aufbrach und las, daß er bieraufeinen wichtigen Ent⸗ 
ihluß faßte, in deflen Bolge dieſes Kapitel das lepte Wadtftuben » Abenteuer enthält. 


Der geneigte Leſer wird nicht von und verlangen, daß wir 
ihm eine Fortfegung jenes Kampfes berichten, aus dem wir in den 
legten Kapiteln eine Eyijode erzählten. Auch ift derfelbe bekannt 
genug, und wir fünnen, um dem Titel unferer Gefhichte: „Wache 
ftubenabentener” getreu zu bleiben und um die Grenzen, Die 
wir und vorgeſteckt, nicht zu überfchreiten, nur noch diefes Schluß 
Kapitel liefern, in dem wir das Mögliche thun, um dem und hoch 
ehrenden Intereſſe, welches der geneigte Xefer an den handelnden 
Perfonen genonmen, einigermaßen gerecht zu werden. 

Bon Wachtlokalen haben wir zufammen ſchon eine gute Ans 
zahl der verjchiedenften befucht; es bleibt uns noch eines übrig, 
freilich nicht das annenehmite, aber um der Wahrheit, wie immer, 
getreu zu bleiben, können wir es dem Lefer nicht erlafien. — Wir 
hätten in der That Lieber auf einem anderen Schauplage gefchlofjen- 

Es find des Stafles warme, aber etwas dunftige Räume, bie 
fih vor unierem Blicke öffnen. Diefer Stall befinder fih in einem 


300 Dreizehntes Kapitel. 


Tangen, gewölbten Gebäude, hat eine breite gepflafterte Gafle, an 
welche rechts und links die Prerdeftänder flogen. Dahinter ftehen 
die treuen Thiere wohlgenährt, rein gepußt, mit wollenen Deden 
verfehen, und laſſen nun, da fie foeben ihre Heuvesper verzehrl 
haben, theils anmuthig die Köpfe bangen, oder neigen fie zu zwei 
und zwei gegeneinander, wobei fie allerlei feltfame Laute ausftoßen. 

Bielleicht träumen die Pferde von dem vergangenen Feldzuge 
und erinnern fich lebhaft diefes oder jenes Gefechtes. Bon einem 
fo intelligenten Thiere wäre das gar nicht zu verwundern. In der 
Stallgaffe brennen ein paar trübe Laternen und beleuchten mit 
röthlihem Scheine die Schilder, auf welchen die hochpoetiſchen 
Namen der Pferde gefchrieben find. Man fieht bier eine ganze 
Mythologie: Jupiter, Juno, Venus, Mars, und nur bie und da 
einige gewöhnliche Namen, wie „Life“. oder „Franz“ oder „Peter“. 

Die Stallgaffe ift fauber geputzt, auf den Pflafter fein Fleck⸗ 
hen zu ſehen; die Gefchirre hangen an den verfchiedenen Ständern, 
das Lederzeug blank gewichst, die Eifentheile wie Silber funkelnd. 
Und welch’ wohlthuende, ja feierliche Stille herrſcht jept in dem 
Stallraume! Die Etren iſt gemacht, und wer von den wachtha- 
benden Kanonieren nicht gerade in der Stallgafie anf» und ab» 
gehen muß, hat fi zu feinem Pferde gefchlichen und liegt neben 
demfelben in dem frifchen, hochaufgeloderten Stroh. Am Anfange 
des Stalles, dort, wo die Haupt-Eingangstbüre ift, befindet fich 
neben der Futterkiſte ein Keiner Bretterverfchlag mit einer ziemlich 
breiten Pritfche, einem Heinen Tiſche und einem hölzernen Stube. 
Auf letzterem fit der Wachthabende; er hat die Ellenbogen auf 
den Tiſch geftüpt, den Kopf in die Hände gelegt und blidt träu— 
meriſch in das Licht der Laterne, die vor ihm ſteht. Auf feiner 
Bruft glänzt eine neue große goldene Tapferkeits-Medaille, 

Wenn wir dem geneigten Lefer fagen, daß diefer Wachthabende 
Beodor Doſe tft, fo hören wir fchon hier und da die richtige Ein— 
wendung: Wie kommt e8, daß ein Feuerwerker die Etallwache ber 


| 


Dofe faßt einen wichtigen Entfhluß. 301 


zieht? Er ift ja feinem Nange nad davon befreit! — Wir wifjen 
das ebenfalls, können aber die Berficherung geben, daß der Feuers 
werfer Doje es diefen Morgen als eine Gunft erbeten, die heutige 
Stallwache thun zu dürfen. Und er hatte einen poetifchen Grund 
dazu: er kannte diefe ftillen, einfamen Näume, er wußte, wie ges 
eignet fie waren zu einem tiefen, ununterbrochenen Nachdenken; und 
da er am heutigen Zage wahrfcheinlich viel nachzudenken hatte, 
gern allein fein wollte, fo bezog er die Stallmadhe. 

Der Feuerwerker hatte mehrere Briefe erhalten, für ihn von 
dem mwichtigften Inhalte, und wollte num bier diejelben in aller 
Stille leſen und feine Entſchlüſſe faſſen. Als Mann von Ordnung 
nahm er diefe Schreiben aud feiner Brieftafche und legte fie, ges 
ordnet nad) ihrer Größe und Schwere, vor fih auf dem PBleinen 
böfzernen Tifhe aus. Da Tagen fie nun, vier an der Zahl, und 
jegt, wo er feine Unterbrechungen zu befürchten hatte, beſchloß er, 
die verhängnißvollen Siegel zu Öffnen. Das erfte zeigte ein Pofts 
born und verfchloß ein Paket von didem blauem Papier, deſſen 
Gewicht und Unbehülffichkeit das kurze und magere Schreiben 
durchaus nicht entſprach, wohl aber dem Abfender defjelben, dem 
diefen und fanlen Tipfel. Er fihrieb von feiner fernen Grenzftadt 
und erfundigte ih im Eingang, ob Doſe den Feldzug glüdlich 
überitanden, ob er noch am Leben und im ungehinderten Beſitze 
feiner fämmtlichen Gliedmaßen fei. 

„Ih bin recht glücklich,“ fagte unter Anderen der ehemalige 
Bombardier, „und Sie können ſich nicht denken, lieber Dofe, mit 
welcher Beruhigung ich, fern vom Schuß, die Berichte eurer glor⸗ 
reichen Heldenthaten geleſen. Meine Exiſtenz ijt eine ganz behag- 
liche und würde ungetrübt zu nennen fein, wenn nicht meines 
Borgefebten, des Poftmeifters Dachfinger, unglüdjelige Leidenſchaft 
für das Bayonnetfechten täglich im Zunehmen begriffen wäre. Es 
ift das jegt eine Art von Dienſt für und geworden, und mich hat 
diejer troftlofe SInfanterifi im wahren Sinne des Wortes zum 


302 Dreizehntes Kapitel, 


Stihblatt erwählt. Denken Ste fih, Doſe, er citirt mich zweis, | 
dreimal Die Woche, dann handhaben wir ein paar hölzerne Gewehre, 
auf der Bayonnetipige ftedt ein Stüd Kreide, und ich werde nicht 
eher wieder entlajien, ald bis id auf meiner ganzen Vorderſeite 
mit weißen Flecken volllommen 'getigert bin, und dad nennt et 
mid) vertraulich und herablafiend behandeln, dieſes Ungeheuer von 
einem Vorgeſetzten — in bayonnetfechterifcher Hinſicht nämlich, 
denn fonit kann ich wicht über ihn Magen, da ich zuweilen feht 
gut bei ihm fpeife und er mir auch eine Meine Zulage ver 
ſchafft hat.” 

So ſchrieb Zipfel; doc fehüttelte Feodor Doſe bedeutſam jein 
Haupt und legte diejen Brief fillfchweigend bei Seite. 

Das zweite Schreiben, das er nun erbrach, befand fih in 
einem UWnifchlage von röthlihen Papier und führte das Siegel 
der Batterie, welcher Dofe anzugehören die Ehre hatte. Es war 
eigenhändig von Hauptmann v. Stengel, welcher feinem Unterge: 
benen fchrieb: 

„Mein lieber Doje, wohl wifjend, day Sie bei meiner Batterie 
wieder eintraten in der Hoffnung auf einen längeren Feldzug und 
auf ernftliches Avancement, das Ihnen auch nicht hätte entgehen 
fönnen, Tann ich mir recht gut denken, daß Sie gegenwärtig. wo 
es mit Schiller heißt: der Soldat fpannt aus, der Bauer fpannt 
ein, und wo wir demnach wieder auf die befannten vier Geſchütz 
ohne alles Andere reducirt werden, nicht in Ihren Wünſchen liegen 
mag, weiter zu dienen. Ihre Berechtigung für eine Eivil-Berjor: 
gung hat fih durch die vergangene Zeit noch vermehrt, wogegen 
ich Ihnen geftehen muß, day es mir äußerjt angenehm wäre, Eie 
meiner Batterie zu erhalten. Hierzu wäre eine vortrefflihe Ge 
legeubeit, da ich im Benriffe bin, beim Abıheilungs - Commando 
einen ficheren, Unteroffizier zum Wachtmeliter vorzuſchlagen, und 
Eie bierzu erfehen habe. Im Falle Sie dazu geneigt wären, fürs 
ven Sie mir Ihre Antwort mündlich fagenz ich habe Ihnen Dirjed 


Dofe faßt einen widtigen Entfhluß. 303 


Schreiben nur zugefertigt, damit Sie Jedermann zeigen können, 
wie über Sie denft 
„Ihr Chef und wohlgewogener Hauptmann, 
BatteriesCommandeur v. Stengel.” 

Dofe wußte ſchon im Voraus um dieſen Antrag; er Tieß den 
Brief finten und fchaute lange vor ſich hin. Wachtmeifter werden 
war feine Kleinigkeit, nad dem Hauptmann die mächtigite Perfon 
der Batterie, und in manchen Dingen noch mächtige als der Chef 
ſelbſt. Aber er fchied damit fo zu fagen aus dem activen Dienft 
und mußte Schreiber werden — eine Beſchäftigung, vor welcher 
der Zeuerwerkfer eine unüberwindlihe Abneigung fühlte. Preilich 
war das filberne Porteepee fehr in die Wagichale zu legen, aber 
Dofe war nicht eitel, wenigitens nicht auf äußere Dinge; hätte 
jedodh ihm Jemand die Mittel an die Hand gegeben, fich einen 
großen Dichternamen zu erwerben, Feodor würde Alles darum ges 
geben haben. — Aber Wachtmeifter und in Friedeuszeiten, für ihn, 
der es fchon einmal erlebt hatte, daß die Batterie demobil wurde, 
und dag man die Gefhüße, die noch kürzlich jo Initig über die 
Ebene dDahinflogen, in die dunklen Magazine ftellte, wo fie wahrs 
fheintich finfter träumend ihre Zeit verbrachten — nein, Doje, der 
ihon als Poſt-Conducteur ein freieres, wenn auch wmühjameres 
Zeben geführt, Dofe konnte ſich nicht wieder zum Kafernenleben 
entichliegen. — „Es ijt darin feine Poelle mehr!” jeufzteer. „Da 
bin ich allein hieher zurüdgelehrt von den ehemaligen Kameraden, 
und wenn: id das auch im Felde, wo mein Gejhüg eine Kleine 
Belt für mich war, nicht beachtet, fo würde ich mich doch wicder 
troſtlos allein finden, fobald ausgefpannt und vollkommen verkauft 
if. Meine Kanoniere werden nach Haufe entlajjen, meine ſechs 
Pferde kommen zu irgend einem nichtswürdigen Kutjcher, mein 
Leibroß, der Cato, muß, Gott weiß, an weldhem Karren ziehen, 
und ich allein bleibe zurüd — — ein entlaubter Stamm, dem 
Innen im Marke nicht einmal eine fchaffende Kraft wohnt. — Nein, 


304 Dreizehntes Kapitel... 


nein!“ ſeufzte Dofe, „dann noch weit lieber Badmeifter des Herrn 
von Dadhfinger, obgleich diefes Loos auch nicht beneidenswerth iſt.“ 

Der Feuerwerfer ftügte forgenvoll fein Haupt auf die Hand 
und fah die beiden noch verjchlojjenen Briefe an, die vor ihm la- 
gen. Bon wen kanıen fie? weichen follte er zuerft erbrechen? Er 
beſchloß, abermals der Größe nach zu verfahren; da fich aber die 
beiden Gouvert® ziemlich gleich ſahen, jo richtete er ſich nach den 
Siegeln und ſparie den Brief mit dem Lleineren, obgleich bafjelbe 
ein adeliges Wappen zeigte, bis zulegt auf. Er löste alfo von 
dem mit dem größeren Siegel behutfam den Umſchlag, faltete das 
Schreiben auseinander und lad: 

„Lieber Feuerwerker Dofe! Als ich vor ein paar Monoten die 
Batterie verließ, un meinen längeren Urlanb anzutreten, verfprach ich 
Ihnen, eingedenk der mandherlei Beziehungen, in welchen wir in den 
eriten Jahren meines Dienfted zueinander geitanden, fowie des Inte: 
refjes, das ich ſtets an Ihrer Perfon genommen, vorkommenden 
Falles und wo ich Ihnen nüglic werden könnte, an Ste zu denken!“ 

„Ab, von Lieutenant Robert!” unterbrach fi Feodor Dofe 
ſelbſt. Dann fuhr er zu lefen fort: 

„Ih bin nun verheirathet und fehr glüclich; meine Hochzeitd- 
reife machte ich bieher an den Oberrhein und fam fo halb zufällig 
wieder an manche jener Orte, wo wir zufammen unjere Gefchüße 
aufgepflanzt und mit dem Feinde Kugeln gewechſelt. Hier ift natürli- 
cher Weife jebt wieder Alles ruhig, und man fieht faun noch irgendivo 
eine von deu Spuren, die wir zurüdgelaffen. So kam ich denn aud 
zufällig in die Gegend von H., wo Sie fidy eined Dorfes, einer Ruine 
und eines weinen Haufes erinnern werden, welch’ letzteres Sie fo vor. 
trefflih mit Granaten bedient. In der Nähe diefes weißen Haujes 
befindet fich ein anderes, wo ich in diefem Augenblide friedlich 
fige und an Sie fihreibe. So ift der Lauf der Welt, lieber Doje! 

„Mein Verſprechen, Ihnen nüglich werden zu wollen, habe ich 
nach beten Kräften gehalten, und Ste werden das aus einem Briefe 


Dofe fapt einen wichtigen Entſchluß. 305 


erſehen, der wahrſcheinlich zu gleicher Zeit mit dieſem an Sie ab⸗ 
geht. Er iſt von einem meiner Freunde, einem Ehemanne, ſo jung 
und glücklich wie ich, und wird Ihnen Vorſchläge machen, die Sie 
annehmen können und hoffentlich annehmen werden. Antworten 
Sie baldigſt, arrangiren Sie Ihre Geſchichten ſo ſchnell als mög⸗ 
lich, und ſo werden wir uns vielleicht hier noch ſehen. 


„Ihr 
„Lieutenant Robert.“ 

Man kann ſich leicht denken, daß Feuerwerker Doſe nach dies 
ſem einleitenden Schreiben den Brief mit dem kleinen adeligen 
Wappen ſchleunigſt erbrach. Derſelbe lautete folgendermaßen: 

„Herr Feuerwerker Doſe! Sie werden ſich vielleicht jenes Ta⸗ 
ges erinnern, wo Sie Ihre Haubitze in einem kleinen Wieſenthal 
aufgeſtellt hatten und nach einem gewiſſen weißen Hauſe mit Gra⸗ 
naten warfen. Dabei denken Sie vielleicht an den Unterzeichneten, 
der damals neben Ihnen hielt und beinahe von der erſten feind⸗ 
lichen zwölfpfündigen Kugel getroffen worden wäre. Wir nahnıen 
befanntlich jenes Haus, und in der Nacht darauf trafich noch ein⸗ 
mal mit Ihnen zufammen ; es war bei der Zeldfchmiede, wo Sie 
Ihr zerſchoſſenes Rad ausbejjerten. Die fhöne Gegend in der Nähe 
jenes weißen Hanfes gefiel mir fhon damals fo außerordentlich, 
dag ich nach dem beendigten Meinen Feldzuge e8 wahrhaftig nicht 
unterlafjen konnte, hieher zurüdzufehren. Ya, eine fonderbare Ver⸗ 
fettung von Umſtänden beftimmte mich, eben jenes weiße Haus mit 
großen dazu gehörigen Gütern anzufaufen und mich hier häuslich 
niederzulaflen. Daß man fi eine Frau anfchafft, fobald man fid) 
häuslich niederläßt, brauche ich Ihnen, einem erfahrenen Manne, 
nicht erit zu fagen, und habe ich hierin die allgemeine Regel bes 
folgt, befinde mid aud außerordentlich glücklich dabei. — Nun 
fiud aber durch Die traurigen Zeiten, die dieſes Land erlebt, viele 
Berhältniffe gelöst, andere unhaltbar geworden ; namentlich auf uns 
feren Gütern fehlt es in diefem Augenblid an zuverläffigen Leuten 

Hadländers Werte. V. 20 


306 Dreizehntes Kapitel. 


und einer fräftigen Hand, welche die vorhandenen Trümmer wieder 
zu einen angenehmen Ganzen zu vereinigen im Stande wäre; mit 
anderen Worten: wir fuchen einen Verwalter von feſtem, erprobtem 
Charakter, ſowie militärtjcher Strenge, und mein Yreund Robert 
verfichert mir, zur Ausfüllung einer ſolchen Stelle wären Sie, 
mein lieber Feuerwerker Dofe, ganz geeignet. Da ih nun durch 
das, das ic von Ihnen während unferes Zuſammenſeins gefehen, 
die Anficht meines Freundes vollkommen beftätigt gefunden, aud 
von demſelben gehört, dap Sie die Batterie bei der Demobilmahung 
zu verlaffen wünſchen, fo biete ih Ihnen hiermit diefe Stelle an. 
Herr v. Stengel, Ihr Hauptmann, wird Ihnen einen vorläufigen 
Urlaub nicht verweigern; deßhalb lade ich Sie ein, fobald ale 
möglich zu uns zu kommen, um unfere Bedingungen zu machen 
und, wie ich hoffe, in's Reine zu kommen.” 

Sp las Feodor Doje, und ald nun darauf die Hand, welde 
Das Schreiben bielt, auf den Tifh niederfant und er an das 
Dunkle Stallgewölbe hinauf fchante, fo fchien fih daflelbe vor 
feinem inneren Blicke plöglich zu öffnen, und er ſah eine belle 
Hare und freundliche Zukunft, keine Poſt⸗Wachtſtube mehr, feine 
Stallwache, kein Kafernenleben, aber ein poetifches Dafein, ein 
befhaufiches Leben, auf Fluren und in Wäldern, im Schatten der 
alten Ruine, an den Ufern des murmelnden Baches. Feodor 
fünfte fich fett Tanger Zeit wieder zum erftenmale dichteriſch anges 
webt, und wer weiß, ob nicht im nächſten Augenblide ein neues 
Lied von ihm erfchtenen wäre, vielleicht betitelt: „Werlaffen des 
Dienſtes“ oder „Der Verwalter,” wenn nicht in Diefem Moment das 
Knarren der Stallthüre feine Träume unterbrochen und das Klirren 
eines Säbels ihm angezeigt hätte, es nahe fih ein Vorgefepter. 

Es war der Hauptmann dv, Stengel in eigener Perſon, der 
feinen Stall revidirte. Doſe fepte feine Dienftmüge feſt auf den 
Kopf, faßte den Säbel vorfhriftsmäßig und meldete: „Im Stall 
Hundertundzwanzig Pferde, von denen zwei in der Kranken⸗Ab⸗ 





Dofe faßt einen wichtigen Eutfhluß. 307 


thellung. — Zum Berichten iſt nichts Neues; auf Wache befinden 
fih ein Unteroffizier und drei Mann.“ 

„Aha, Iteber Dofe,” fagte der Hauptmann fchalkhaft Tächelnd, 
indem er an den Tifch trat und die erbrochenen Briefe ſah, „Sie 
haben gelefen * werr weiß, wie fehr! Nun, werden Sie mir nicht 
melden, — werr weiß, wie bald! — es befinde fich hier ein zu⸗ 
fünftiger WBachtmeifter ? 

Dofe ftand da in der fchönften Haltung und entgegnete obne 
weitere eberlegung mit der freundlichften Stimme: „Verzeihen Sie 
mir, Herr Hauptmann, id) Habe mir die Sache überlegt und muß für 
Ihre große Güte danken, ich bin zu diefer Stelle nicht gemacht.“ 

„Ab, Zeufel!“ rief erftaunt der Batterie: Chef. „Sie haben 
nicht Luft, Wachtmeifter zu werden? Das ift eine eigenthünliche 
Idee; were weiß, wie ſehr!“ 

„Ih weiß Ihr Vertrauen hoch zu fhägen,“ verfegte der 
Zeuerwerker, „und da ich vor einen fo wohlmollenden Vorgeſetzten 
fein Seheimniß babe, fo bitte ih Sie, diefen Brief zu leſen.“ 

Damit reichte er ihm das Schreiben des Herrn v. W. 

Der Hauptmann fchättelte anfänglich etwas mit dem Kopfe, 
während er las; bald aber fing er an zu niden; und fein finfter 
gewordenes Gefiht Härte fih auf. — „Nun ja,” fagte er nad 
einer PBaufe, „das ift nicht fo fhlimm, were weiß, wie fehr! 
Tüchtige Zente können Die fhon brauchen; denn an Ylidmaterial 
fehlt's durchaus nicht da oben. — Nun, ich gebe meinen Segen 
dazu! Den gewünfcten Urlaub erhalten Sie fo bald und auf fo 
lange Ste wollen.” 

„Der Herr Hauptmann zürnt mir nicht 3" fragte treuherzig 
Dofe, indem er einen Schritt näher trat. 

„Bas denken Sie, mein lieber Yeuerwerker!" antwortete 
beiter der BatteriesChef, indem er ihm die Hand reichte; daun 
aber feßte er fenfzend Hinzu: „Im Grunde haben Sie Recht ; wenn 
man wieder eine Zeit lang die frifche Kuft in Wald und Feld ein- 


308 Dreizehntes Kapitel. 


geathmet, da beengt das Garniſonsleben. — Doch was will man 
mahen? — Aber auf Stallwache brauchen Sie heute Nacht nicht 
zu bleiben,“ fuhr er nach einer Pauſe fehr freundlich fort; „einer 
der Bombardiere fol Sie ablöfen, und morgen früh können Sie 
Ihren Abſchied von mir nehmen. Doch ich habe Ihnen noch etwas 
Wichtiges zu fagen !” 

„Und ich habe nody eine große Bitte, Herr Hauptmann ‚“ vers 
ſetzte Doſe. 

„Man kann dem allgemeinen Weltfrieden nicht trauen,“ ſprach 
der Hauptmann. 

„Und wenn es wieder Krieg gäbe ...' ſagte Doſe, und feine 
Augen glängten freudig. — 

„Ss » 

„So darf ich mich wieder bei Ihnen melden!” rief Dofe, feis 
nen Hauptmann im Drange des Gefühls unterbrechen. 

Worauf diefer erwiderte : „Das will ich meinen — werr weiß, 
wie fehr !” 

Noh einmal fchüttelte der Vorgefegte feinem Untergebenen 
die Hand und verließ dann den Stall. 

Doje wurde gleich nachher von dem verfprochenen Bombardier 
abgelöst. Er raffte feine Brieffchaften zufammten, ftedte fie in die 
Taſche, und als er darauf noch einmal hinab blickte in die Halb 
dunklen, fo eigenthümlich duftenden Räume, erinnerte er fich feiner 
eriten Wache, die er als junger ftrebfamer VicesBombardier eben- 
falls in diefem Stafle gethan. Jetzt war wahrfcheinlich feine legte 
gefommen, und er mußte fi gefleben, daß, wenn er auch viel 
erlebt in den verfchiedenen Wachtlokalen, die er während feiner 
fangen Dienftzeit befuht, doc wohl die erfprieglichften und ange⸗ 
nehmften Folgen haben würde — fein heutiges und 


legtes Wachtftuben- Abenteuer. 


F. W. Hacländer’s Werke. 


F. W. Hackländer’s 


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Erfte Gefammt - Ausgabe, 


— — 


L 
Schöter Band, 


Stuttgart. 


Verlag von Adolph Krabbe, 


1855, 


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Schuellpreſſendeuck der I. S Gprandel’fhen Offtein in Gtutigert. 


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‚Aleinere Erzählungen 


humoriftifche Skizzen. 


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Schuellpreſſendruck der J. &° Sprandel'ſchen Ofſtein in Stuttgart. 


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—— 


‚Kleinere Erzählungen 


humoriſtiſche Skizzen. 


Pier Könige, 
(Arabesten.) 


Erfted Kapitel. 


Ein Sommernadtätraum. 


Es war einmal in einer Nacht, da träumte mir von fühn ges 
wölbten Hallen, von großen fchattigen Sälen, mit buntem Marmor 
gepflaftert, gothifchen Bogenfenftern, welche den Anblid auf eine 
bimmlifhe Gegend gewährten, und deren herrliche Glasmalereien 
die finfende Abendfonne gegen die Wand widerftrahlte: eine wun- 
dervolle Tapete. Ach, und mir träumte von loſem Epheu, welches 
gegen die bunten Fenſter leife, Teife anfchlug, und dabei Tifpelte 
mir ein fanfter Wind wohlbefannte füge Namen und bradıte mir 
mit leifer Stimme Botfchaften von einem kleinen Plage, auf wels 
chem viele weiße Kreuze fanden. 

Dad Alles träumte mir in einer dumpfigen Kafernenftube, wo 
ich der Zwölfte in einer Ede lag und ſchlief. Ich erwachte, febte 
mih an die Kleinen vergitterten Fenſter der Stube, welde eine 
Ausfiht in den umichlofjenen Hof gewährten, und blidte in die 
ruhige Nacht hinaus. Was war mir von meinem fehönen Traume 


8 Bier Könige, 


geblieben? — Schon der Knabe träumte von weiten Hallen, einem 
Inftigen, freudenvollen Leben; aber träumte auch nur... Die Hals 
len fchrumpften zufammen zu engen, Meinen Stuben, und das Ius 
flige Leben ward ein tief ausgefahrener Hohlweg, defien Krüm- 
mungen, durch fteile Seitenwege eingeengt, ich ruhig folgen mußte. 

Ih fah den Mond, der fih durch eine Häuferlüde auf den 
Hof geſchlichen und, fi da unbemerkt glaubend, an eine Kanone 
gelehnt Hatte; — eine rührende Anhänglichkeit von dem Monde, 
denn ed war eine alte Kanone, eine in den legten Kriegen eroberte 
franzöfifche, und ich konnte deutlich in dem hellen Scheine das große 
N. ſehen. Ihr Beide kanntet euch und hattet euch vielleicht ebenfo 
umfaßt unter dem Blüthenregen von Gatalonien, fowie umftarrt 
vom Gife an der Berezina. Ihr fpracht wohl von großen, ſchwar⸗ 
zen, liebeglühenden Augen und von bredhenden — Vive l’Empereur! 

Wie wird mir plößglich fo wunderlih! Was tritt Dort aus der 
Ede hervor, und ftellt fi um das Geſchütz? Schwankende Geſtal⸗ 
ten find ed, mit bleihen Gefihtern. Die langen, dürren Finger 
greifen in die Schmarre und Löcher der Kanone und Laffette. Ich 
höre leiſes Flüftern — „dies machte die Kugel, die mich nieder 
fchlug. Hier ift mein Blut — der Hieb gab mir den Tod, und 
ih fprah: Leb' wohl, Nannett’! da ftarb ih.” Sp fpracden fie 
und lehnten fi) todesmürde an das Gefhüg. Ich aber nahm mei» 
nen Mantel und trat mit leifen Schritten auf den Hof. — Alles 
IN und ruhig. Verſchwunden waren die Geftalten, und da ftand 
nur eine einfame Kanone, auf welche der Mond ſchien. Aber es 
war ein Leichenftein von Gott weiß wie viel braven Stanonieren. 
Sollte ich noch ſchlafen? — Mid umgab die Nacht und that fo 
geheimnißvoll und zugleich jo gefchwägig, ala wollte fie ihren dunfs 
len Schleier Tüften und mir Wefen zeigen, welde fonft dem Auge 
unfihtbar. find. Darum verließ ich die Kaferne und trat in die 
Stadt, in das alte Cöln, und wie ich dur Die ftillen Straßen 
wandelte, dachte ih an ein großes, erhabenes Gedicht, keines, wel⸗ 





Bier Könige 9 


ches ich felbft machen wollte, fondern an eins, welches feit Mens 
ſchengedenken da tft, und wozu noch täglih Compmentarien gefchrie= 
‚ben werden. Bor meinem innern Auge entrollte fih das ungeheure 
Prachtegemplar diefes Gedichtes, groß und herrlich, mit vielen ers 
Härenden Abbildungen, taufenden von Infchriften und erläuternden 
Noten. — Das Gedicht war der Rheinlauf und unten an der fars 
bigen Rolle hing eine zierlihe Kapfel, die alte Stadt Cöln, in 
welcher fih das Siegelibefand, wodurch jede Strophe documentirt 
wurde, und in defien vielen Wappenfchildern fi daB ganze Ges 
dicht abipiegelte — der Dom. Dabhin ging ich und feßte mich zu 
feinen Füßen auf einen alten halb verwitterten Stein. 

Es war in jener Zeit für mich fo ſchön und anmuthbig, in 
tiefer, ftiller Nacht bier zu fipen. Da lag vor mir der Wallrafös 
platz mit feinen hoben, buntverſchnörkelten und halb verfallenen 
Häufern, fo wüfte und leer, einem vormals ſchönen, nun verödeten 
Blumengarten gleichend, in welchem der Domthurm, eine alte Son⸗ 
nenuhr, noch hoch emporragte, aber mit dem verftünmelten Zeiger 
nur eine einzige Stunde ridytig angibt, wenn der Mond hell fcheint 
— Mitternacht; denn dann ward's lebendig im alten Thurme, es 
Rürzte fih der Baumeifter, wer weiß zum wie vielften Male, vom 
Krahnen herab und hinter ihm _drein der Teufel in Geftalt eines 
zottigen Schwarzen Hundes. Sanct Ehriftoph ſtreckte feinen langen 
Arm drohend zum Fenfter heraus, und alle die Heinen fleinernen 
Figuren an den Pietlern und in den Nifchen fprangen empor und 
Netterten jauchzend in die Höhe, um von oben wieder zu fehen, was 
es in der Welt gäbe, und das tolle Geſindel fiheuchte Die Habichte 
und Eulen aus ihren Löchern und feßte ihnen durch die Luft nach, 
mit Gequide und Heulen: eine fteinerne wilde Jagd. -. An der 
Zhüre ftanden die zwölf Apoftel und neigten fi, Pfalmen fingend, 
wozu die Orgel einen einzigen Ton immerund immer fort anhielt, bis 
die Mutter Gottes in der Kirche mit dem filbernen Finger auf bad 
flberne Herz ſchlug, daß es klingelte und die heiligen drei Könige 


10 Vier Könige. 


in ihrem goldenen Sarge Amen fangen. Da eritarrten rings die 
Geftalten,, es wurden die Gefichter und Leiber wieder hart und 
ftarr, langfam, wie gerinnendes Wachs, mit weit offenen Augen, 
und es ward ftille; nur leiſe ſummte es noch in dem majeftätifchen 
Steinhaufen, leifer und immer leifer, bis endlih das Rauſchen des 
vom Nachfwinde bewegten Graſes zwifchen den Mauerripen mit 
dem Klopfen meines Herzens das einzige Geräufch biieb, welches 
die Stille der ſchönen Nacht unterbrah. Da habe ih den Dom an 
mein Herz gedrückt und wuchs fichtlih an feiner Größe empor, hoch 
und immer höher, bis ihn mein Geift überragte und fid) an das 
dunfle Himmeldgewölbe anklammerte; aber, ah! das war fo kalt 
und entſetzlich glatt, daß ich betrübt hinabſank, bis ich wieder ne 
ben dem riefigen Thurme ſtand, eine Heine Menjchengeftalt. 
Schon oft habe ich mich Nächte lang auf den alten Straßen 
berumgetrieben, hatte die Öden, wüſten Pläße befucht und mich da 
viele Stunden in das Gras und Schlingkfraut gelegt, welches zwi 
fhen den zerborftenen Füßen irgend eines alten Heiligen hervor: 
wucdherte. Da haben mich die verfnllenen Häufer feltiam genug an- 
gefehen, da bufchten oft Schatten und Geftalten vorbei, doch fie 
wollten mir nie Rede ftehen. Ich habe Nächte lang den Dom 


durchfchriten, aber die metallenen Erzbifchöfe [prachen in ihren Nie. 


[hen fo leiſe, daß ich nichts davon verftehen konnte. Ich habe in 
mondheller Nacht auf dem Grunde des Rheins manch' Seltfames 
zu fehen geglaubt; doch wenn fi) mir aus dem bunten Gewimmel 
deutliche Bilder begannen aufzuklären, ſchoß gewöhnlich ein neidi- 
cher Hecht durch das Waller und Alles war trübe, wie fräßer. 
Auch dieſe Nacht hatten mich erft meine Träume, dann die gefpen- 
fligen Kanoniere und der alte Dom genedt, ohne mich in ihre 
Myſterien einzuweihen. Stets ſtrich das Geifterreih, ein eiskalter 
Zuftitrom, dicht bei mir vorüber, und wenn ich mich binwandte, 
um die brennende, fchmachtende Bruft abzukühlen, war die ganze 
Luft um mich heiß, wie meine glühende Stirne. — 








. Bier Könige. 11 


Träume wohl, Alter! ſprach ich und verließ den Dom. Wil⸗ 
lenlos folgte ich den Wendungen einiger dunklen Straßen, in welche 
ih gerieth, und ftand plöglich vor dem Rathhausplage, der, vom 
Monde beleuchtet, mit feinen hellen, großen Steinplatten einem 
weißgededten Tiſche glich, um welchen die alten Häufer wie fteif- 
getrunfene Zechbrüder ftanden, Die ihre alten Sorgen und fid) im 
Haren Bein verfenkt haben, und die fih nur dann und wann unter 
dem Tiſche die Hand drüden. Es war eine noble @Befellfchaft da 
beiſammen; die Häufer der alten Patrizier Eölns, und die Ehr- 
würdigen fahen fo grau und zerfallen aus, die leeren Fenſterhöhlen 
blickten fo erfchroden und ſchen nah dem Rathhausportale, wo ihr 
edler Bürgermeifter, freilich nur in Stein gehauen, mit dem Löwen 
tingt, fo überrafcht und verdrüßlich, wie wohl an jenem Tage, an 
dem ihr Mordanfhlag mißlang. Wie ich fo auf der Tafel herum 
trat und den fleinernen Herren ihre ewige Unruhe und Hinterlift 
vorwarf, habe ich mich fehr über ihre jetzige Friedfertigkeit verwuns 
dert, Denn warum erhob nicht einer die Fauft, fing und erdrüdte 
mich armen Plebejer wie eine Fliege; oder hat die Zeit den flolzen 
Adeligen den Arm gelähmt? — — Was hemmt plöglich den Lauf 
meiner Gedanken! wirft fie aus einander wie empdrte Wellen! 
Wer fprah da?- Ich richtete mich horchend leife empor und fah 
mich rings um. Richtig! unter dem Rathhausportale flüfterte es 
leife, und nachdem mein Auge fi an das Dunkel, das dort herrfchte, 
gewöhnt hatte, fah ich da, zuerit in dunkeln Umriffen, dann aber 
deutlich eine feltfame Gefellfchaft verfammelt. Auf der Erde ſaßen 
fünf Geftalten, welche fih mit Kartenfpiel befchäftigten. Es waren 
alte cölntfche Stadtfoldaten aus dem vorigen Jahrhundert, unifor⸗ 
mirt, wie fie noch jeßt bei den Maskenzügen zu fehen find; doch 
war das Roth ihrer Röde verblichen, das Gold ihrer Trefien vom 
Moder halb zerfreffen und die roftigen Waffen lagen neben ihnen. 
Schauerlich Teuchteten ihre Gefichter durch das Dunkel, mit Zeichen: 
farbe überzogen waren ihre eingefallenen Wangen, und nur das 


12 Bier Könige. 


unheimliche Zener ihrer Augen zeigte, daß wenigftens für den Ans 
genblick Xeben in diefen Körpern war. Die Kriegsknechte bäufel- 
ten, und bei dem Banquierfchien Unglüd zu fein; mit flieren Angen 
und zitternder Hand legte er die Karten, und bei jedeömaligem Um⸗ 
Ihlagen zudte ein freudiges Lachen über die Züge der vier Andern. 
Ich ſchlich mich näher. 

„Es wird Morgen, mich friert,” ſprach Einer der Spieler und 
308 feine fchlotternde Uniforn durch große Kalten, die er hinein 
kniff, feiter um den magern Körper. Ein Anderer, ein wahres 
Judasgeſicht, klimperte mit den gewonnenen filbernen und goldenen 
Pfennigen und wandte fi hohnlachend zu dem Banquier, welcher 
“mit ängftlicher Haft feine Tafchen umkehrte, aus denen jedoch fein 
Geld, wohl aber Moder und Erde fiel. 


„Du haft nun Alles verloren,” ſprach der Judas, „und wirft 
fünftig, wenn wir die verdammten Nachtftunden durch Spiel töd⸗ 
ten, zuſehen und fannft an deine und unfere Sünden denten.“ 
Die Andern lachten. „Webrigend wollen wir aufhören, denn der 
Zag kommt, und unfere Zeit ift für heute verflofjen.“ 

„Roh ein Spiel,” bat der Banquier, „ich fann ja das Meinige 
wieder gewinnen, noch tft es früh in der Nacht.” Er fah gen Hims 
mel und widerftand frampfhaft dem Froſt, womit ihn der wirklich 
berannabende Morgen überfchüttete. - 

Wovon aber,“ lachte heifer ein Dritter, „wirft du bezahlen, 
wenn wir gewinnen?” 

„Ich werde aber gewinnen,” ſprach dringender der Vorige, 
„wenigftend etwad wieder gewinnen, damit ich morgen fpielen kann. 

Soll ich denn die nächſte Nacht bier oben herum wandeln, und die 
Minuten zählen, bis ich wieder hinab werde fteigen können ins 
Grab, während euch die Zeit rafch verfliegt! Ich bitte euch, noch 
ein Spiel; ihr werdet mir borgen.“ 


"Was du nie wieder bezahlen kannſt?“ entgegnete der Judas, 


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Bier Könige. 13 
und ein Anderer murrte dazwifchen: „Geh, du raubſt undnod die 
wenige Zeit mit deinen Klagen.” 

„Erinnere dich,“ flehte nochmals der Bankhalter, „wie du 
— es mögen jebt hundert Jahre fein — in der Schenke am Ball 
den legten Pfennig verfpielteft, und ich dich auf Ehrenwort ſetzen 
ließ; da Haft du al’ das Deine wieder gewonnen.“ 

„Ja,“ entgegnete der Andere, „damald lebten wir noch, und 
ih hatte dich am Haken, weil ich wohl wußte, wer ben alten Offi⸗ 
zier hinter der Baftei erfiochen hatte.“ — 

„Hab' ich denn nichts mehr?“ rief gellend der Vorige, und 
plöglich fchien ihm ein fonderbarer Gedanke zu kommen. Er fprang 
anf und ſah ftarr vor fi. Hinz doch mußt’ es was Entfegliches 
fein, worüber er nachdachte; denn fein Mund zuckte und das wenige 
Haar auf feinem Scheitel fträubte fih empor. Zweimal öffnete er 
die Lippen und ſchien fprechen zu wollen, doch brachte die wild ars 
beitende Bruft kein Wort hervor. Die vier Andern ſchauten er 
wartend zu ihm auf. 

„Ich habe noch etwas, ein koſtliches Gut“ — die Worte 
fieß der Unglückliche mühfam heraus — „es ift ein Schag von fo 
hohem Werthe, daß ich ihn nur gegen al’ euer Gold und Silber 
fegen kann. Gewinne ich, fo tft das fämmtlich mein, verliere ich 
dagegen, fo — fo — könnt ihr zehn Jahre lang rubig in euren 
Gräbern liegen, und ich wache jede Nacht für euch bier oben, allein 
der Langeweile und damit der Verzweiflung Preis gegeben.“ 

Der Borihlag mußte den VBieren unerwartet kommen. Lange 
fahen fie fi) ſprachlos an, und fchauerlich wechfelte Vergnügen und 
Entfegen auf ihren bleichen Gefichtern. Der mit dem Judaskopfe 
faßte fih zuerft und ohne den Unglüdlichen anzuſehen, fprad er: 
„Ich nehme dag Spiel an.” Die Uebrigen nidten fchweigend mit 
dem Kopfe. Es begann, Mit zitternder Hand mifchte der Banks 
halter und legte die Haufen, wovon vier die Spieler befegten, und 
ihm den fünften überließen. Kein Athemzug war im Kreiſe hör⸗ 


14 Bier Könige. 


bar, die Todten waren todtenftill. Da dedte der Banquier feine 
Karte auf: e8 war eine Dame, und beim Anblid des hohen Blat- 
te8 flog ein freundliches Lächeln über fein Geficht. Raſch wandten 
num auch die vier Spieler ihre Haufen, und ſelbſt mir ſtockte das 
Blut: fie hatten die vier Könige umgefchlagen. 

Wie von einer unfihtbaren Gewalt empor gefchnellt, fprang 
der Unglüdliche auf, und blickte in derfelben Stellung jener ent- 
feßlichen Aufmerkſamkeit, mit welcher er vorhin den zitteruden 
Händen der Mitfpieler gefolgt war, einige Minuten die unglüd- 
feligen Blätter an; und die verzweiflungdvolle Hoffnung, daß die 
gekrönten Häupter fi in niedrige Karten verwandeln würden, war 
mit dem Bewußtfein der Unmöglichkeit, daß dies gefchehen könne, 
in feinen verzerrten Zügen zu lefen. Darauf fehlen ihn ein gewal- 
tiger Froſt zu durchſchütteln, erft Hob er feine Hände wie beſchwö— 
rend zum Himmel, dann flürzte er auf die Kniee und krallte fie 
auf dem Boden feit. 

„Hohnlache, unbegreifliche Macht, »ſtöhnte er, „hohnlache, daß 
der Spieler, nachdem er ſein Lebensglück verſpielte, ſelbſt nach dem 
Tode die Karten zur Hand nahm und die Ruhe im Grabe verſchleu⸗ 
derte! Freue dich, dag ich wandern muß, wenn die Andern fchlafen, 
doch freue dich auch auf den Abfchen, den ich den Lebenden gegen 
dich; Ungeheuer, einflößen, und Durch meine Jammergeſtalt beeiden 
werde. — Doc auf euch, ihr verruchten Blätter, den gedoppelten 
Fluch des Todes, dem euer lockender Anblick zehn ewige Jahre ge- 
ſtohlen. Stier bei der Morgenluft, die euch, ihr Wefenlofen, mit 
unheimlihem Schauer durchweht, bei dem Glanz des jungen Ta- 
ges, der euch und fonft auch mich hinabdrängt in das dunkle Bett, 
bei dem auffteigenden Licht, das eure Geftalten abfrißt und fie zu 
ſchwankenden Schatten bleicht, bei der ewigen Verdammniß befchwör’ 
ih meinen Wunſch und flehe zu dem höchſten Wefen: e8 möge 
mid ewige Zeiten grablos herumfchweifen laſſen! doch auf euch, 
ihr unfeligen Könige, lege ich meine flarren Hände und ziehe euch 








Bier Könige, 15 


in meinen Fluch! Wandelt auch ihr rubelos umher, wandelt und 
genießt des Menfchenlebend unfäglichen Jammer, und fo wie ihr, 
meine Karte überbietend, mich in's Verderben flürztet, fo foll aud 
in eurem Leben ein höheres Blatt, fo fol das Aß, ihr Könige, 
euch fürchterlich und fluchbringend fein!“ 

So lautete der Fluch des Gefpenftes, und ich faßte an meine 
Stirn und einen fleinernen Pfeiler, der mich hielt, um zu erforfchen, 
ob ich wache oder träume. Doch es war Wahrheit, was ich ge- 
jehen und gehört. Stolz und ruhig flieg der Morgen auf, und 
wie Leine Nachtlichter im hellen Sonnenftrahle erblichen die vier 
Spieler und verſchwanden endlid ganz, wie das Licht des Tages die 
Morgendämmerung vertrieb. Nur der unglüdliche Bankhalter ftand 
vor mir, und nm ihn lagen die vier Könige. Thränen rollten ihm 
über die gefurchten Wangen, und auch ich konnte eine fchmerzliche 
Wehmuth nicht unterdrüden. Ich nahm meinen Mantel und warf 
ihn dem Unglüdtichen über. Er fah mid; an, und fein Blick, ob» 
gleich fih. Dankbarkeit darin ausfprach, war entjeßlih. O es ift 
etwas Fürchterliches, ein Gefpenft bei hellem Tage zu fehen. Noch 
ſeh' ich, wie der Morgenwind, der ſich erhob, die vier Könige erft 
in Heinen Kreifen, dann in immer größeren herumwirbelte und fie 
endlich, über die nächften Dächer fchleuderte. Gebeugt und ftöhnend 
verlor fi das Geſpenſt in einer der nächften Gaſſen, und ich ging 
nachdentend meiner Wohnung zu. — 


Zweites Kapitel. 
Robert der Teufel. 


Bor eiriigen Jahren erfchten bei dem Kapellmeifter des Hofs 
Iheaters ein junger Mann und tbeilte demfelben feinen Wunſch 
wit, auf die Bühne zu gehen, indem er ihn bat, feine Stimme zu 


16 Bier Könige. 


unterfuchen, da er fich zum Sänger ausbilden wolle. Der jnnge 
Mann verband mit einem anfländigen Aeußern eine fehr angenehme 
offene Geſichtsbildung, Über welche jedoch ein melandholifcher Zug 
einen tiefen Schatten warf. Er febte den theilnehmenden ragen 
des biedern Meiſters, ob er auch diefen Schritt, den er für's Leben 
thun wolle, gehörig überlegt und mit feinen Eltern und Berwand: | 
ten beratben, mit Feſtigkeit entgegen: es treibe ihn nicht Die Abs 
fiht zur Bühne, ein wildes zügellofes Xeben zu führen, fondern 
nur die reine Liebe zur Kunft, und er babe diefen feinen Entſchluß 
forgfältig überlegt. Was feine Eltern, Verwandte oder feine Hei 
math betraf, fo fchien er Erörterungen darüber auszuweichen. Der 
Kavellmeifter unterfuchte nun die Stimme, und fand einen her 
lihen Tenor von feltenem Umfange, worauf -er gleih angenom- 
men wurde, feinen Lehrer und feine regelmäßigen Singftunden in 
der fürftlihen Schule erbielt, welche er mit ausdauerndem Fleiße 
benupte, und dadurd bald glänzende Kortfchritte machte. Da ihn 
Niemand in der Stadt kannte, er fi auch bei zufälligem Zuſam⸗ 
mentreffen mit andern jungen Xeuten eher zuräditoßend als au 
nähernd bezeigte, fo blieb er einfam und fich felbit überlafien, und 
gerade diefes abgefonderte Leben fchien ihm fehr zu behagen. Er 
durchſtrich, nachdem er feine Studien beendigt, die Umgegend, legte 
fih ftundenlang und halbe Tage lang in den Schatten der fchönen 
Waldungen, welche die Stadt umgaben, und war dann froh, ohne 
dies jedoch durch Gefang oder Ausrufungen zu bezeugen ; vielmehr 
bat man ihn oft gefehen, wie er, unter einer alten Eiche liegend, 
fein Gefiht in das dichte Moos verbarg, und nachdem er fo lange 
Zeit unbeweglich geblieben, zeigten die freudeftrahlenden Blicke, 
mit welchen er ſich fpäter erhob, daß er fich auf diefe Art fehr gut 
amäüfirt habe. Man glaube jedoch nicht, Died fchene Wefen habe 
fich aud in den Stunden gezeigt, in welchen er die Geſangsſchule 
befuchte, und da vor dem Lehrer und den übrigen Schülern feine 
Arien vortrug. Dann richtete fich feine ganze Geftalt auf, er ſchien 








Vier Könige. | 17 


ein überirdifches Wefen zu fein, und die Innigkeit, das Feuer, mit 
dem er fang, befonderd wenn es traurige Lieder waren, griff jedem 
der Zuhörer an’8 Herz. Dann durchglühte eine unendliche Freudigkeit 
fein ganzes Wefen, und beim Herausgehen drüdte er dem Lehrer 
und den andern Schülern herzlich die Hand. Aber ein einziges 
Mal fand in der Schule ein fonderbarer Auftritt flatt. Einft, mit- 
ten im Gefange, bei einer wundervollen Stelle, als er Degeiftert fein 
Auge umbherfchweifen ließ, hatte einer der andern Sänger eine 
Spielfarte aus der Tafche gezogen — es war dad Treff AB — und 
zeigte es lächelnd einem Nebenfigenden. Beim Anblid der Karte 
brach er plöglich mit einem fchneidenden Wehlaute ab, preßte feine 
Hände vor's Geſicht und flürzte aus der Schule. Warum, das 
hat er nie Semand offenbart. 

Den freien Eintritt, welchen er in's Parterre des Theaters hatte, 
benugte er höchft felten; nur biöweilen, wenn große Opern geges 
ben wurden, oder irgend ein vorzüglicher Saft auftrat, und dan 
pflegte er fich jedesmal an’d Ende einer gewillen Bank zu feßen, fo 
entfernt ala möglicd von den übrigen Zufchauern, um ja in feine 
Berührung mit ihnen zu kommen. Gines Abends aber, da ein 
febr beliebter Sänger auftrat, und das Haus gedrängt voll war, 
mußte er gern oder ungern den Zwifchenraum, den er gewöhnlich 
durch Hinlegung feined Hutes zwijchen fi) und dem nächften Nadı- 
bar bildete, einer jungen Dame überlaffen, weldye feinen Plaß fand 
und ibm einen bittenden Blick zuwarf. Anfangs ſprach er fein 
Wort mit dem Mädchen, welches, ohne gerade ſchön zu fein, ein 
ſehr interefiantes Geficht hatte und wundervoll gewachfen war. 
Auch fie fchten fehr fhüchtern und eine Unterhaltung mit dem frems 
den jungen Manne eher zu vermeiden als zu wünfchen. Doch mag 
es fein, Daß entweder die bezaubernde Mufit, oder das zurückhaltende 
Benehmen der Dane den jungen Sänger anfpornte, kurz er wagte 
e8, ihr einige Bemerkungen über das eben Gehörte zu fagen, in 


welche fie befcheiden, aber mit vielem Berftande einging oder fie 
Hadländere Werte. VI. 2 


18 Vier Köntge. 


widerlegte. Endlich endete das Stück und das Publikum ging auss 
einander. Obgleich den andern Tag ein Luftfpiel gegeben wurde, 
trieb e8 unfern jungen Freund doch zum Theater und er befand 
fi fhon fange vor Anfang des Stüds auf feinem Sitze. Audı 
überzog eine ftille Treude feine Züge, als die unbelannte Dame 
von geftern fi) wieder neben ihn fepte. Ihre Unterhaltung war 
heute Abend lebendiger, und am Ende des Stüds wagte er es 
jogar, fo lange fein Weg ihn mit dem ihrigen zufammenführte, fie 
zu begleiten. Dann bog fie rechts in eine andere Straße, wünfchte 
ihm gute Nacht, und er ging nachdenkend nad) Haufe. 

Auf diefe Weife verlebten Beide lange eine unendlich glüdliche 
Zeit. Ihre Unterhaltung wurde mit jedem Tage inniger und zu= 
trauliher. Es wurde jedem die Zeit lang, bis das Andere fam; 
denn fie liebten fi, ohne fich das geflanden zu haben. Sie näher: 
ten fih fo Teife und fchüchtern, fie wandelten wie im Traume gegen 
einander dem erften Kufje zu, wie im Traume fo leife und doch fo 
fiber, die Bruft angefült mit einer unendlichen Seligkeit. Erft 
ein Anfafjen der Hand, dann ein leiſer Drud, endlih an einem bel- 
len Haren Abend, wo der Himmel einer großen Rofenlaube gli, wo 
der Mond voll über ihnen ftand, eine aufgegangene weiße Rofe, 
umgeben von vielen großen und Meinen Knofpen, den Sternen, 
da ſprach der junge Sänger: „Das Menfchenleben hat neben 
unfäglihem Jammer auch himmliſche Seligfeit,” und drüdte dem 
Mädchen den eriten Kuß auf die Lippen, und Beide fpraden: 
„Ih bin dir gut!“ — Er wußte nicht, wer fie war, und modte 
auch nicht darnach fragen; denn er fühlte fih glüädlih, und wollte 
nicht mehr. 

Da wartete er eines Abends im Theater vergebens auf fie; es 
wurde ein Ballet gegeben; er fah unverwandt nad) der Thüre, fie 
kam niht, und das fonnte er fi durchaus nicht erklären. Die 
Synphonie endigte, der Vorhang raufchte auf, und er fchaute traurig 
and verſtimmt dem Zanze zu. Die leichte, Tiebliche Mufit gaukelte 


———— meins ——— _ 





Bier Könige. 19 


ihm unabläßig das Bild feines geliebten Mädchens vor, und ims 
mer lebendiger trat ihre Geftalt vor fein inneres Auge. Ein Pas 
de einq war geendigt, und die Tänzer und Tänzerinnen hüpften 
in die Couliſſe zurüd. Die Muſik ging in ein rafcheres Tempo 
über und fiehe, wer trat fo ficher und fo grazids auf, im reizenden 
Coſtüm, den blühenden Kranz von Rofen leicht auf die blonden 
Locken gebrüdt — es war feine geliebte Unbekannte. Er fah es 
jeder ihrer Bewegungen an, fie mache diefelben nur für ihn; nur 
nah ihm wandte fie ihr großes blaues Auge, und reichte ihm die 
Hand, nachdem fie fie zuvor an ihr Herz gedrüdt hatte. — Er liebte 
fie unausfprechlich. 

Mittlerweile hatte er feine Studien beendigt und ward als 
erfter Tenor bei der Bühne engagirt. Doh auch jebt, wo er 
feiner Stellung halber mit vielen Leuten verkehren mußte, behielt 
er feine frühere Abneigung gegen jede Geſellſchaft. Deffentliche 
Orte beſuchte er nie und mit ängftlicher Sorgfalt vermied er 
Alles, was thn in das Treiben anderer jungen Leute hineinziehen 
fonnte. | 

Da erhielt er eined Tages ein Billet, in welchem ein Unbe⸗ 
fannter fein Bedauern über feine gänzliche Abgefchiedenheit auss 
ſprach, wie e8 traurig fei, daß er feine ganze Zeit nur feiner Ge 
liebten widme, da er doch wohl denken könne, daß dieſe es nicht 
eben fo machen würde. Er glaube der einzige Begünftigte zu 
fein, doch würde fi Schreiber diefes ein Vergnügen daraus 
machen, ihm das Gegentheil au beweifen, und das nur in der 
einzigen Abficht, um feine Geſellſchaft für feine VBerehrer zu gewin⸗ 
nen. Er möge fih nnr heute Abend um die und die Zeit an 
eine bezeichnete Zaterne Stellen, und dann mit feinen eigenen Augen 
ſehen. | 
Anfangs verlachte der Sänger das Billet; dann aber flieg ein 
Heiner Zweifel auf, den ‘er zuerft niederfämpfte, doch gleich wieder 
beraufrief. Er fing an, einige Worte und Mienen ftrenge zu unters 





20 Bier Könige 


fuchen und ſich Thatſachen, die ihm fonft ganz unſchuldig erfchies 
nen waren, verdächtig zu machen. Er führte fih an einen bodens 
Iofen, entfeglichen Abgrund, er fah die Untreue des Mädchens, 
für das er allein lebte, und fchauderte zurüd, denn er fühlte, daß 
ihn der Sturz für jein Leben unglüdlich machen mußte. Er wollte 
zu ihr Hin, ihr das Schreiben zeigen, und fo demfelben Hohn 
fprehen; doch auf dem Wege zu ihrer Wohnung wandte er um 
und ftand des Abends, in feinen Mantel gewidelt, auf der bezeich⸗ 
neten Stelle. 

Er ftand und fah, und fland lange; es fchlugen die Glocken 
fehr oft, während er da ftand, und wie er fich endlich an feine 
Stim faßte, um fih zu ermuntern, war es tief in der Naht. Er 
hatte das Mädchen feiner Liebe gefehen, wie fie vertraulich mit 
einem Manne daher fam, mit einem Manne, der ihr lange nach—⸗ 
geftellt, und von defjen Liebe zu ihr fie oft dem Sänger muthwillig 
lächelnd erzählt und fcherzhaft zu ihm gefagt: „Sieh, wenn du 
mich einmal treufos verläfieft, fo hab’ ich gleich Erſatz.“ — — 
Mit dem Manne hatte er fie gefehben und war darauf in wüſte 
Träume verfunten. Entfepli lange Stunden hatte er auf die 
Ede geftarrt, um welche fie mit ihm verfhwunden. Im Traum 
waren in ihm lang vergefjene Erinnerungen aufgetaucht, unter 
Anderm hatte er einen alten eiögrauen Mann gefehen, der ihn höh⸗ 
niſch angrinste und zu ihm fprah: „Warum haft du auch auf die 
eine Karte dein ganzes Glück, die Ruhe deines Lebens geſetzt?“ 
Darauf war der Alte mit einem gellenden Gelächter verfchwunden. 
Er raffte fih auf und ging zum legten Mal an ihrer Wohnung 
vorüber. Noch brannte Licht in ihrer Stube, in welder er fo 
glüdliche- Stunden verlebt hatte. Er blieb einen Augenblick ſtehen 
und flarrte in den Schein, ohne zu willen, was er bier noch wolle. 
Da dfinete fi leiſe die Hausthür und derfelbe Mann, den er 
vorhin mit dem Mädchen gefehen hatte, fchlich heraus. 

Am andern Morgen empfing die Intendanz des Theaters ein 


||] EHEN U U [u [lc — — 


Bier Könige 21 


Schreiben von unferm Sänger, in welchem derfelbe anzeigte, fein 
Eontract ſei ohnehin in einigen Tagen zu Ende, und wichtige Fa⸗ 
milienverhältnifje zwängen ihn, augenblicklich nad feiner Heimath 
zu reifen. Für die wenigen Borftellungen, welche er noch zu fpielen 
babe, verzichte er auf feine Gage, die er feit einiger Zeit nicht er⸗ 
hoben: Auch hatte er noch in derfelben Nacht der Tänzerin gefchries 
ben, Hatte ihr ihre Untreue ruhig vorgehalten und ihr dabei ohne 
Borwurf gefagt: fie habe ihn fehr elend gemacht, babe die Ruhe 
feines Lebens zerftört, hatte fie gebeten, keine Verſuche zu machen, 
fidy ihm, weder ſchriftlich, noch perfönlich zu nähern, da er feinen 
bloßen Gerücht geglaubt, fondern mit eigenen Augen gefehen habe. 
Er verfhwand plößlich, wie er gelommen war. Lange reiste er nun 
umber, nahm einen andern Ramen an, und erlangte in einigen Jahren 
durch fein Talent einen ausgezeichneten Ruf. Doch fah man ihn 
nie lachen, und feine frühere Schen gegen alle Belanntichaften und 
gefellige Uinterhaltungen hatte noch zugenommen. Briefe, die auf 
feinen Reifen anfamen, öffnete er gar nicht, fondern verbrannte fie 
gleich, ohne nur einmal zu ſehen, woher fie waren. 

So lebte er einige Jahre, wenn man fein Begetiren leben nennen 
fann. Nie offenbarte er ſich Jemand, nie hatte er mit einem Mens 
hen über fein früheres Verhältniß, feine Heimath oder Berwandte 
gefprochen; er ward mit jedem Tage melancholifcher und fchien fein 
Xeben nur wie eine ſchwere, nicht abzuwerfende Bürde zu tragen. - 
Dad Bermögen, welches er fich erworben hatte feßte ihn in den 
Stand, ganz unabhängig zu leben, was er denn auch that, indem 
er unftät umber reidte, ohne ſich an einem Orte lange aufzuhalten. 

Da erhielt er eined Morgens zwei Briefe, welche ihm vermittelt 
dringender Empfehlung von Station zu Station nachgeſchickt worden 
waren, der eine groß, mit dem Intendanturfiegel des Hoftheaters 
an dem er feine Studien angefangen, der andere Hein, ſchwarz pet» 
Ihirt, und eben daher. Gine unfihtbare Hand fehlen ihn abzu- 
halten, fie wie alle früheren gleich zu vernichten. Gr legte fie hin 


22 Bier Könige. 


und an einem Abende, wo er trauriger als gewöhnlich geftimmi 
war, wo die füße Luft feine Bruft geöffnet hatte, gewann er es über 
fi, die beiden Briefe zu entfiegeln. In dem größeren bot ihm die 
Intendanz ein Engagement unter den glänzendften Bedingungen an. 
Der andere war von der Schweiter feiner früheren Geliebten, welde 
ihm fchrieb: „Schon unzählige Male habe ich oder meine unglüd- 
lihe Schweiter Briefe an Sie abgefandt, ohne je eine Antwort von 
Ihnen zu erhalten. Rechnen Sie mit Gott ab, was Sie an und 
verfchuldet. — Meine arme Schwefter ift nicht mehr; doch Hat fie 
mir und den Meinigen auf dem Sterbebette mit dem feierlichften 
Eide verfichert, nie eine Untreue gegen Sie begangen zu haben, und 
ih mifhe meinen Schwur mit dem ihrigen, denn ich war zu übers 
zeugt von ihrer innigen reinen Liebe zu Ihnen. Was Sie auf) 
mögen gefehen haben: meine Scwefter bat Ihnen mit keinem Ges 
danken die gelobte Treue gebrochen, wohl aber Sie. Leben Sie 
wohl, und wenn Sie es können, glücklich.“ 

Beim Durchlefen diefer einfachen Zeilen erfaßte den unglüdlichen 
Mann ein entfeglicher Zweifel. Die Haren Worte lösten eine Dide 
Eisrinde von feinem Herzen und ließen ihn früher verlebte glück⸗ 
lihe Stunden mit der quälenditen Erinnerung wieder genießen. 
Das Bild feiner geliebten Tänzerin tauchte vor ihm auf, fie neigte 
fid) Tächelnd gegen ihn, mit dem Roſenkranz auf dem Haupte, wie 
er fie zuerft auf der Bühne gefehen. — Dann fank fie mit geſchloſ—⸗ 
fenen Augen langfam zurüd ins Grab. 

Noch in derfelben Nacht nahm er Poftpferde und reiste ohne 
Unterbrechung, bis er den Ort feines früheren Glückes, feines tiefen 
Schmerzes erreicht hatte. Ach, fie hatte ihm die Wahrheit gefchrie- 
ben, die arme Schwefter: fein Mädchen war ihm treu geweien, und 
er war in das Neb des Ichändlichiten Betruges fchlechter Menfchen 
gefallen, deren Zweck und Motiv nicht mehr zu ergründen war. 

Da Stand er fpät in der Nacht wieder an demfelben Plape 
und vor derfelben Laterne, wo er fie am Arm eines fremden Mannes 





Bier Könige, 23 


wollte geſehen haben. Da verſank er wieder wie damals in tiefes 
Nachſinnen und wieder erſchien ihm der alte eisgraue Mann und 
lachte Höhnifch wie damals und ſprach: „das iſt das Menſchenleben, 
das Wandeln auf der Erde; auch ich wandle noch.“ Der Sänger 
hob den Blick gen Himmel und ſprach leiſe: „Aber warum muß 
ich leben und wandeln?“ 

Mit lautem Jubel begrüßten den Angekommenen die Mitglies 
der des Hoftheaters, vor Allen der Intendant ; doc wie erfchrafen 
und erftaunten fie, als ihnen der Sänger ruhig und felt erflärte: 
er ſei nicht hieher gelommen, um dad angebotene Engagement ans 
zunehmen, fondern feft entfchlofien, nie mehr aufzutreten. Lange 
war alles Bitten der Behörde, fowie das feiner alten Collegen, 
wenigſtens einige Vorftellungen zu geben, umfonft, und als er 
endlich dem allgemeinen Wunſch nachzugeben fhien und darein 
willigte, in einer Partie aufzutreten, hatten ihn diefe gewiß nicht 
dazu vermocht, fondern er wollte fein Herz foltern, indem er nod 
einmal in einem Stüde fpielte, in welchem er. früher mit der Ges 
liebten zugleich gewirkt hatte. Er wollte das Mädchen, unterftügt 
durch Mufit und Decoration, vor fein Auge zaubern, er ‚wollte 
die Tänzerin, die ihre Stelle eingenommen, durch feine innigen 
Gedanken in das Bild feiner verftorbenen Geliebten einhüllen, und 
dabei erkarrt von dem Bewußtfein, daß fie wirklich und durch feine 
Schuld im Grabe liege, eine fürdhterliche Erinnerungsfeier halten. 
Dazu wählte er die Oper: Robert der Teufel. Diefe war früher 
mit großer Pracht und Volltommenheit, aber unbekannter Umftände 
halber feit dem Tode jener Tänzerin, welche die Rolle der Aebtiſſin 
hatte, nicht mehr gegeben worden. Es wurde nun Probe auf Probe 
gehalten, einerfeitd, um das Getriebe diefes großartigen Werkes 
mit der äuferften Genauigkeit und Sicherheit wieder in den Stand 
zu fegen, andererfeitö aber auch, weil es einmal fo altherkömmlich 
war; jelbft bei einem bekannten Stüde nur recht viele Proben! 
Alles ging übrigens recht gut, nur fand bei der Generalprobe ein 


24 Bier Könige. 


fonderbarer Vorfall flatt. Der erfte und zweite Act gingen glüds 
fih und ohne Anftoß vorüber. Es erfchten der gefpenftifche Klo: 
ſterhof; die Stelle kam, wo alle jene Lampen in dem dunklen 
Kloſtergange plößlich aufflanımten, die Nonnen erhoben fidh fchauer, 
tich til mit den flarren Leibern aus ihren Särgen ; nur die Aeb⸗ 
tiffin, welche vorne auf der Bühne unter dem Kreuzgewölbe aus 
ihrem Sarkophage fteigen jellte, erfchten nicht. Der Maſchiniſt 
tief in der größten Verlegenheit umber, und es trat eine unange 
nehme Paufe ein, in welcher der Sänger „Robert“ auf die Bühne 
flürzte, ohne fein Stichwort abzuwarten. In feinen Zügen malte 
fih ein Schreden, den der an fi) unbedeutende Borfall nicht werth 
war. Die Arbeiter aus den Keller fchrieen : der Dedel des Sarges 
wollte fih troß ihrer ernenerten Anftrengung nicht lüften und müſſe 
wahrſcheinlich von der Feuchtigkeit gequollen fein. Der Maſchiniſt 
wußte nicht, was er anfangen follte, bis ihm der ruhige, verftän- 
dige Negijjeur den Befehl ertheilte, die Aebtiffin aus einer andern 
Berfenkung auffteigen zu lafjen, den Sarkophag aber gleih nad 
der Probe genau zu unterfuchen und zu verbeffern. Darauf ward 
das Stüd ohne weitere Störung zu Ende gejpielt, nur gingen un- 
fere Sänger und einige der älteren Mitglieder, welche um fein 
Berhältniß zu der verfiorbenen Tänzerin wußten, von ſeltſamen 
Gedanken bewegt, nach Hauſe. 

Später meldete der Maſchiniſt dem Regiſſeur, man habe den 
Sargdeckel nur mit Hülfe von Brecheiſen öffnen können und dadurch 
ſei die Maſchinerie ſo zerſtört, daß ſie zur morgenden Vorſtellung 
nicht mehr eingerichtet werden könne. 

Der Abend der Aufführung erſchien, und ſchon eine Stunde 
vor Anfang des Stücks war das ganze, große Haus gedrängt voll, 
woran ſowohl der bedeutende Ruf des Sängers, als die gern ges 
fehene Dper Schuld waren. Sie begann, und mit jeder Nummer 
wuchs die Begeifterung des Publikums, befonders für Robert, der 
in jedem Zwifchenact gerufen wurde. Aber er hatte noch nie fo 


Bier Könige, 25 


binreißend gefungen, wie heute. Diesmal ging der dritte Act 
ohne Störung vorbei, obgleich es Viele befremdete, daß die Aebtiffin 
nicht, wie fonft, ihrem Sarkophage entftieg, jondern hinter dem 
jelben hervorkam. Doch war das eine Kleinigkeit, und ftörte nicht 
im Genuß des Abends. 

Gänzlich entzücdt und befriedigt von der Vorftellung entftrömte 
das Publitum nad Beendigung derfelben dem Haufe. Nicht fo 
ging ed dem Sänger. Ihn fchien der Lorbeer, den er heute um 
feine Stirn gewunden hatte, nicht zu vergnügen. Ganz ermattet 
jant er in der Garderobe zufammen, fein Diener entkleidete ihn, 
und er ließ ed willenlos gefchehen. Es war die Erinnerung, welche 
fi) zu kräftig, zu entfeglich auf ihn geworfen. Das Bewußtfein, 
ein Herz befefien zu haben, das für ihn ſchlug und das er gebro- 
hen, war ihm, verbunden mit der troftlofen Gewißheit, nun wieder 
ganz allein zu fleben in der Welt, am heutigen Abend erft recht 
fürchterlich Flar geworden. Im Grabe lag die fchöne weiße Hand, 
welche fonft hinter der Couliſſe die feinige gedrüdt hatte, und todt 
war der Mund, derihm ehedem zuflüfterte: „Du haft eben fo fchön, 
fo fehr Schön gefungen " Damald war bei den Worten Alles nen 
in ihm aufgelebt, uud er hatte aus dem blühenden Auge der Ge» 
liebten frifche Kräfte gefogen. — Wie war e8 heute fo anders ge⸗ 
weien? Da traten ihm die Collegen mit Gomplimenten über feine 
unvergleichlichen Leiftungen entgegen, wandten ſich dann von ihm 
und eilten hinweg, denn jeder der Gfüdlichen wußte ganz gewiß 
ein Herz, das auf ihn Tiebend harrte. 

Der Sänger fehiefte feinen Diener und den Wagen, welcher 
unten ihn erwartete, hinweg, und biieb allein in der allmälig 
leer werdenden Garderobe. Längſt hatten die Arbeiter die Lampen 
bis auf einige wentge audgelöfcht, welche der Wachthabende Die 
ganze Nacht brennend erhalten mußte, und ſchon hatte fich derfelbe 
auf feine Matrage an der hintern Couliſſe geftredt ; da erwachte 
er aus feinem dumpfen Hinbrüten, warf den Mantel um, und trat 


96 Bier Könige. 


hinaus auf die halb dunkle Bühne. Der Vorhang war aufgezogen, 
und das Haus lag fo leer und fill vor ihm, vorher noch fo lebendig 
und munter, ein Riefenleichnam, der fi verblutet. Er fuchte die 
Bank, wo fie oft geſeſſen und ihn freundlich angeblidt, von wo 
fie aufmerkſam vor Anfang des Stüds auf den Vorhang gefehen, 
durch defien Deffnung er, ihr allein verftändlih, feinen Diamant- 
ring bligen ließ. D es tauchten fletd neue und immer lebhafter 
taufend fchmerzliche Erinnerungen in. ibm auf. Weberwältigt von 
Gefühlen, kniete er auf den Boden nieder neben den Dedel des 
Sarges, dem fie fo oft liebreizend und fröhlich entftiegen war an 


der Fallthüre, die fich jept nicht hatte öffnen wollen, die ihr treu 


geblieben war. O fie hatten Gefühl, diefe Bretter! Das Mädchen 


war ja ernftlich in's Grab geftiegen, darum wollten fie ſich aud 


zum Spiel nicht mehr öffnen. — — 


Da ſprang der Sänger plößlich entfeßt auf. Sah er red, | 
täufchte nicht das Halbdunfel der Bühne? — Nein, nein, langfam | 


öffneten fich die Flügel der Verſenkung. Still und geräufchlos, 
ohne daß er dad Anarren der Seile, welche die Mafchinerie leiteten, 
hörte, thaten fie fih weit von einander, und auf dem Sarg, wel 
her empor ftieg, lag die verftorbene Tänzerin, feine Geliebte, mit 
dem fonft fo blühenden, jetzt fihneebleichen Gefichte, im weißen 
Gewande der Aebtiffin, mit dem großen ſchwarzen Kreuze des Dr: 
dens auf der Bruft. Er wollte auf fie zuftürzen, fie emporreißen ; 
doch fühlte er fi plöglihd am Arm gehalten, und neben ihm ftand 
der alte eidgraue Mann, den er fchon zweimal gefehen hatte. Der 


flüfterte ihm leife zu: „In der That, ein fchönes Gemälde das, aber 


ich bitte Sie, einige Schritte zurüdzutreten, es ift Decorationsma⸗ 
leret, welche. in der Entfernung gewinnt, und fi dann ganz anders 
geftaltet. — Sehen Sie z. B. von hier, wo Sie keine Gefichtszüge, 
feine Geſtalt unterfcheiden, müflen Sie mir zugeftehen, daß die 


vieredige Fläche ded Sarges mit dem ſchwarzen Kreuze frappant | 


einem großen Treff-Aß ähnlich ſieht.“ — — — 





Bier Könige, 27 


Am andern Morgen machte die Intendanz des Theaters folgenden 
traurigen Borfall bekannt. „Nachdem Herr * ald Robert in der Oper 
gleichen Namens dem kunftfinnigen Publitum einen jo hohen Genuß 
gewährt hatte, blieb derſelbe ermüdet allein in der Garderobe 
zurück; wie lange, weiß man nicht, da er feinen Diener nach Haus 
geſchickt Hatte, und der unglüdliche Mann felber einige Stunden 
nach Beendigung des Stücks durch Die Theaterwache auf der Bühne, 
wahrfcheintich in Folge eines Sclagflufies,.todt gefunden wurde,“ 


Drittes Kapitel. 
Zum flillen Bergnügen. 


Bor Jahren gab es zu Cöln am Rhein eine fonderbare Schenke. 
Das Haus, oder vielmehr der Keller, welcher ale Gaftzimmer 
diente, wird nunmehr längft eingefallen oder abgetragen fein, denn 
{bon zur Zeit, von der ich rede, ſah die Spelunfe äußerlich fo 
baufällig aus, daß, wer zum eriten Male hinkam, ſchwerlich der 
Verficherung feines Führers glaubte, es fei im Innern ganz coms 
fortabel und gar nicht fo gefährlich, als fih das Gebäude von 
außen anließ. Bon felbit verlor ſich nicht leicht Jemand dahin; 
ed war faft nur einem Eingeweihten möglich, fih in den Gäßchen, 
weiche zum Ziele führten, nicht zu verirren. Man konnte aud 
nicht wohl Jemand um den Weg fragen; denn eine gute Strede 
vom Haufe lief der Weg kreuz und quer bald zwiichen Gemüſe—⸗ 
gärten, bald zwifchen öden Mauern über Trümmerhaufen der Woh- 
nungen-einer verfhwundenen Generation. Wer fih nun durch al’ 
diefe Schrednifje glücklich durchgefunden hatte, fam auf einen Meinen, 
‚freien Blag, welcher mit melancholifch durceinandergewachfenem 


26 Bier Könige. 


hinaus auf die halb dunkle Bühne. Der Vorhang war aufgezogen, 
und dad Haus lag fo leer und kill vor ihm, vorher noch fo lebendig 
und munter, ein Riefenleichnam, der fi verblutet. Gr fuchte die 
Bank, wo fie oft gefefien und ihn freundlich angeblidt, von wo 
fie aufmerfjam vor Anfang des Stüds auf den Vorhang gefehen, 
durch defien Deffnung er, ihr allein verftändlich, feinen Diamant- 
ring bligen ließ. O es tauchten ftetd neue und immer lebhafter 
taufend fchmerzlihe Erinnerungen in. ihm auf. Weberwältigt von 
Gefühlen, kniete er auf den Boden nieder neben den Dedel Des 
Sarges, dem fie fo oft Liebreizend und fröhlich entftiegen war an 
der Fallthüre, die fich jept nicht hatte öffnen wollen, die ihr treu 
geblieben war. O fie hatten Gefühl, diefe Bretter! Das Mädchen 
war ja ernftlich in's Grab geftiegen, darum wollten fie fi auch 
zum Spiel nicht mehr öffnen. — — 

Da fprang der Sänger plötzlich entfeßt auf. Sah er recht, 
täufchte nicht das Halbdunfel der Bühne? — Nein, nein, Tangfam 
öffneten fi die Zlügel der Verſenkung. Still und geräuſchlos, 
ohne daß er dad Knarren der Seile, welche die Mafchinerie leiteten, 
hörte, thaten fie fi) weit von einander, und auf dem Sarg, wel» 
her empor ftieg, lag die verftorbene Tänzerin, feine Geliebte, mit 
dem fonft fo blühenden, jeßt fchneebleichen Gefichte, im weißen 
Gewande der Aebtiffin, mit dem großen fchwarzen Kreuze des Dr- 
dens auf der Bruft. Er wollte auf fie zuftürgen, fie emporreißen ; 
doch fühlte er fih plöplih am Arm gehalten, und neben ihm fand 
der alte eisgraue Mann, den er fchon zweimal gefehen hatte. Der 
flüfterte ihm leife zu : „In der That, ein fchönes Gemälde das, aber 
ih bitte Sie, einige Echritte zurüdzutreten, e8 ift Decorationsma- 
leret, welhein der Entfernung gewinnt, und fi dann ganz anders 
gefaltet. — Sehen Sie z. B. von hier, wo Sie feine Gefidhtszüge, 
feine Geftalt unterfcheiden, müſſen Sie mir zugeftehen, daß die 
vteredige Zläche des Sarges mit dem ſchwarzen Kreuze frappant 
einem großen Treff-Aß ähnlich ſieht.“ — — — 


Bier Könige 27 


Am andern Morgen madhte die Intendanz des Theaters folgenden 
traurigen Borfall befannt. „Nachdem Herr * als Robert in der Oper 
gleichen Namens dem kunftfinnigen Publikum einen fo hoben Genuß 
gewährt hatte, blieb derſelbe ermüdet allein in der Garderobe 
zurück; wie lange, weiß man nicht, da er feinen Diener nach Haus 
geſchickt hatte, und der unglüdlihe Mann felber einige Stunden 
nach Beendigung ded Stüds durch Die Theaterwache auf der Bühne, 
wahrfcheinlich in Folge eines Schlagfluſſes, todt gefunden wurde.“ 


Drittes Kapitel. 
Zum flillen Bergnügen. 


Bor Jahren gab es zu Cöln am Rhein eine fonderbarse Schente. 
Das Haus, oder vielmehr der Keller, welcher ald Gaftzimmer 
diente, wird nunmehr längit eingefallen oder abgetragen fein, denn 
ſchon zur Zeit, von der ich rede, ſah die Spelunfe äußerlich fo 
baufällig aus, daß, wer zum erften Male hinkam, fchwerlich der 
BVerficheriing feines Führers glaubte, es fei im Innern ganz coms 
fortabel und gar nicht fo gefährlich, als fih das Gebäude von 
außen anließ. Bon felbft verlor ſich nicht leicht Jemand dahin; 
ed war faft nur einem Eingeweihten möglich, ſich in den Gäßchen, 
welche zum Ziele führten, nicht zu verirren. Man konnte aud 
nit wohl Jemand um den Weg fragen; denn eine gute Strede 
vom Haufe lief der Weg kreuz und quer bald zwiſchen Gemüſe⸗ 
gärten, bald zwifchen öden Mauern über Trümmerhaufen der Woh— 
nungen-einer verfchwundenen Generation. Wer fih nun durh al’ 
diefe Schreenifje glücklich durchgefunden hatte, kam auf einen feinen, 
freien Platz, welcher mit melandolifch durcdeinandergewachfenem 


98 Bier Könige 


Unfraute bebedt war, und bier fand die Schenke zum flillen 
Vergnügen. Ste war zart und finnig gewählt, dieſe Benennung. 
Nur das Verlangen nad ftillem Vergnügen, nach ftillem Genuß des 
wirklich guten Weines, der bier gefhenkt wurde, führte die Gäſte 
unter dieſes einfame Dad. Hier berrfchte auch feierlihe und er- 
babene Stille. Mit inniger Rührung wurden die geleerten Schop⸗ 
pen betrachtet nnd forgfältig in's Himmelreich gefeht; fo hieß ein 
großer Korb, der jedem der Stammpgäfte zwifchen den Beinen fland 
und woraus nachher die Zeche berechnet ward. Wie großartig war 
der Augenblid, wenn der Wirth bereintrat, um mit lauter Stimme 
zu verfünden, es fel wieder ein Faß geleert. Danu erhob fi Alles 
mit einem Male, und ein alter, ehrwürdiger Weltgeiftlicher hielt 
mit kurzen, aber kräftigen Worten dem abgeichiedenen Weine ein 
Seelenamt. 

Das Lokal beftand aus einem großen Gewölbe, deilen Wände 
urfprünglich weiß gewefen waren, aber durch Zeit und Nauch eine 
dunkle Farbe angenommen hatten. Ein gutes Billard war das 
einzige anftändige Mittel; die übrigen Geräthichaften beitanden in 
fchlecht gehobelten Tifchen und Bänken, in welche die Gäfte aller- 
hand fchlechte und gute Bemerkungen fchnitten. Doch war eben 
dieſes Billard den Altern derfelben ein Dorn im Auge; denn fie 
behaupteten, und vielleicht nicht mit Unrecht, feit feiner Anfchaffung 
fet der Wein fchlechter geworden, Abends um fieben oder acht Uhr 
kamen die erften Gäfte, und es traf ſich nicht jelten, daß Die leßten 
am andern Morgen die Schatten der Morgendämmerung benutzen 
mußten, um unerlannt nad Haufe zu fommen. Die Gefellichaft 
war gewöhnlich ziemlih gemifht. Es Tamen Welte und andere 
. Geiftliche, um fih verborgen vor der laufchenden, neugierigen Welt 
ein ftilles Vergnügen zu machen, Studenten, Militärs, Literaten, 
alte Bürger; aber im Ganzen nur folche Leute, die ein gutes Glas 
Bein zu würdigen verſtanden. Zuweilen erfchienen auch einige 
Fremde, deren Wohnung und Befchäftigung Niemand wußte, und. 


er RB” — — Ve » (uni: - 


Bier Könige. 99 


man raunte fich über diefelben manch’ Sonderbares in die Ohren. 
Den aufmerkſamen Beobahhtern war ed unter Anderm aufgefallen 
— es wollten’? wenigitend einige bemerft haben — daß die Unbes 
fannten auch beim trodenften Wetter nafle Fußſtapfen zurüdließen; 
Andere behaupteten, fie haben grüne Zähne, und das mußte jelbit 
der Wirth eingeftehben, daß es ihm gejchienen, als habe beim Be- 
zahlen Einer derfelben ftatt Geld Schilfgrad herausgezogen; jedoch 
wie er's ihm in die Hand gegeben, ſei's ein funkelndes Goldftüd 
geworden. Doc, wie gefagt, die Leute waren in ihrer ftillen Ses 
ligfeit viel zu vergnügt, um fich viel um Andere zu befümmern, 
auch zu gebildet, als daß fie einem Fremden mit unbefcheidenen 
Fragen zu Leibe gegangen wären; und die Unbefannten betrugen 
fih fehr anftändig, tranfen, wenn fie kamen, viel vom beiten Wein, 
machten dabei wenig Scandal, und fangen nur zuweilen ein unbe- 
kanntes Lied, defien Refrain fo hieß: 

Auf den Rhein 

Beim Mondenfhein, 

In den Rhein, | 

Wenn's regnet. 

Und auch dagegen war nichts einzuwenden, denn ein Cenſor, weldyer 
fih auch zuweilen hier ftill vergnügte, hatte erflärt, es feien in 
diefem Xiede durchaus keine bösartigen Ausfälle gegen den Staat, 
In Diefem Punkte nämlih war der Wirth fehr ftrenge. 

Eine andere originelle Figur unter den täglichen Gäften war 
ein junger Maun, von dem auch Niemand wußte, wer er war, was 
er that, und womit er fich befchäftigte. Er kam beinahe jeden 
Abend, ſprach fehr wenig und blieb ſitzen, bis die Letzten gingen, 
denen er fih anſchloß und fie jedesmal bis zu einer gewiſſen Stelle 
der Strafe begleitete, wo man den Rhein fehen konnte. Da ents 
fernte er ſich ſchweigend und febte fi) an die Mauer auf einen 
großen Editein, welchen er, fo fagten die Leute, die bier herum 
wohnten, im Laufe des Tages felten verließ. Deßwegen, und weil 


30 Vier Könige, 


man feinen wirklichen Namen nicht wußte, nannte man ihn nur 
den Herrn von Eckſtein, eine Benennung, die ihm zu gefallen jchien; 
denn er erwiderte dieſe Begrüßung bei feinem Eintritt ſtets mit 
freundlihem Lächeln. Daß feine fonderbare Kleidung, von den 
feltfamften Farben und ganz barok im Schnitt, jemals Mode ge 
wefen, erinnerten fich auch die älteften Gäfte nicht. Anfangs war 
dieſe fhweigfame Erfcheinung den guten Cölnern verdächtig gewe- 
fen; nad und nad aber hatten fie fi an den Herrn von Eckſtein 
fo gewöhnt, daß ihnen etwas fehlte, wenn er, was übrigens höchſt 
felten gefchab, einen Abend ausblieb. 

Zerner war in diefem Kreiſe froher, kluger Zecher oben ge 
nannter Weltgeiftliche, der Herr Barbatus, zu bemerfen. Derjelbe 
verfah alle Funktionen eines öffentlihen Miniſteriums. Er pflegte 
die Reden zu halten, welche allenfalld nöthig waren, und war bei 
Heinen Streitigkeiten die höchſte Inſtanz; ein fehr "freumdficher 
Mann, wenn er einmal den zwölften Schoppen geleert hatte; vor 
diefem Zeitpunfte aber war er einfulbig, warf viel mit Broden 
ſchlechten Zateins um ſich und behielt den Hut auf dem Kopfe. So 
lange diefer Zuftand dauerte, war es fehr ftill „im Kreife rings“; 
aber wenn der Herr Barbatus fein dreizehntes Fläſchchen nahm 
und fein Dreied Lüftete, fo fummte und frabbelte e8 vergnüglic in 
dem Zimmer, al8 habe man von einer Schachtel voll Maikäfer den 
Dedel abgenommen. Im Ganzen wurde der Ton fehr anftändig 
gehalten. BZotenlieder waren ganz und gar verboten; überhaupt 
hörte der Herr Barbatus nicht gern, wenn gefungen wurde, und 
pflegte häufig beim Anfang eines Liedes, das ihm nicht behagte, 
feinen Hut wieder aufzufegen, was dann als Beweis feiner höchſten 
Unzufriedenheit vom fingenden Publitum durch Aufgeben des Ge 
ſanges refpeftirt wurde. 

Eines Abends Hatte Herr Barbatus feinen Hut abgenommen, 
und es berrfchte im ftilen Vergnügen laute Zröhlichleit. Fleißiger 
als fonft ward den Schoppen zugefprochen, und bald flrogten die 


Dier Könige. 31 


Himmelreihe von Seligen. Draußen fegte ein rauher Wind und 
raſſelte zuweilen an den Fenſtern bin, als beneide er die in der 
Stube Sigenden und wolle auch herein; doch abgehalten durch die 
feftverfchlofienen Fenfter flog er unter das Unkraut vor der Thür 
und koste mit demfelben. Ein Nachtwächter, welcher fich heute 
Abend in diefe Gegend verirrt hatte, erzählte fpäter feinen Bekann⸗ 
ten, er habe unter dem Grad und Kraut auf dem Plaß vor dent 
ftillen Vergnügen in jener Nacht deutlich Tachen und menſchlich 
flüftern hören. Auch einer der Gäfte in der Stube, welcher am 
Fenſter gefeflen, wollte etwas bemerkt haben: wenn der Wind zu⸗ 
weilen eine der Schilfpflanzen, deren am Haufe viele wucherten, in 
die Höhe gejagt, fo ſei diefelbe an's Fenſter gefahren und habe 
mit einem verzerrten menjchlichen Gefichte in die Stube gefchant. 
Dem fei nun, wie ihm wolle, es ging in der Schenke heute 
befonders Iuftig zu. Oben am Tifh faß Herr Barbatus in fliller 
Majeftät und fprach emfig mit dem Herrn von Eckſtein, der ihm 
nur ein furzes Lächeln und zuweilen ein paar abgebrochene Sätze 
zur Antwort gab. Neben ihm hatten fih ein paar Studenten ge⸗ 
lagert und unterhielten fich mit einigen Freiwilligen über Subor- 
dination; jedoch ſchienen ſich ihre Anfichten hierüber nicht recht 
vereinigen zu fünnen. Weiter unten faßen einige Bürger mit weins 
feligen Gefichtern, und dad Ende des Tifches Hatten vier der 
Zremden eingenommen, von denen oben Die Rede war. Dad waren 
aber in der That feltfame Geftalten. Der eine hatte eine flolze, 
ſchlanke Figur und feine Manieren, zu welchen das zartbleihe Ge 
fiht mit intereffanten Zügen fehr gut yaßte; ein zweiter, von far 
tem, unterfeßtem Körperbau, hatte dazu einen Kopf, der fih aud 
nur auf diefem Körper gut ausnehmen konnte, ein ſcharf markirtes 
rothes Gefiht, in welchem ein paar funkelnde Augen einen abfolu- 
ten Willen audfprachen. Beide fchienen des Befehlend gewohnt zu 
fein; nur, glaube ich, gebot der erfte, indem er ruhig auseinander: 
feßte, das, was er wolle, fei unumgänglich nothwendig; er über 


\ 


99 Vier Könige. 


zeugte, wogegen der andere kurz ſprach: ich will! und wehe, wer 
fih ihm widerfegte! Gin dritter der Fremden ſah aus wie der 
etwas leichtfertige Sohn einer anerfannt großen und mächtigen 
Familie, etwa wie ein Erbprinz, dem ed mehr darum zu thun iſt, 
tolle Streidhe zu treiben, als durch gefegliches Betragen feinem 
fünftigen hohen Stande Ehre zu machen, ein Shakespeare'ſcher 
Prinz Heinz. Die vierte Perfon ſchien eine untergeordnete Stel: 
lung einzunehmen und hatte dabei ganz das Air eines Magiſters 
der fchönen Künſte. 

" „Theuerſter,“ ſprach oben am Tifch zum Herrn von Edftein 
der Herr Barbatus, „lajien Sie mich doch endlich einmal etwas 
über Ihre früheren Schidjale vernehmen. Bezeihnen Sie mir doch 
Ihre Wohnung; ich möchte Ste gar gern einmal beſuchen;“ wor 
auf der andere entgegnete: „Weiß ich doc felbft nichts von meinen 
früheren Leben, babe mich nur fo gekannt, wie ich jegt bin, nidt 
Heiner, nicht größer, nicht jünger, nicht älter.” — „Sie waren 
aber doc einmal gewiß,” fagte Herr Barbatus, „ein charmante 
Kind. Erinnern Sie fih denn der fröhlichen Zeit nicht mebr, wo 
Sie Fenfter einſchmiſſen und die Schule ſchwänzten?“ — „Nein, 
Herr Barbatus.“ — „Bon Ihrer erften Liebe, Herr von Eckſtein. 
müjjen Sie mir erzühlen. Und was haben Sie gelernt? was jtus 
birt? oder in welchem Gefchäfte haben Sie gearbeitet?" — „Ich 
babe nie gelernt, nie fludirt, auch nie gearbeitet,“ fagte Eckſtein. 
„So, fo,“ entgegnete Herr Barbatus; „aber was find Sie denn 
eigentlich? Was ftellen Sie in der Welt vor!" — „IH?“ fagte 

Eckſtein, „eigentlih gar nichts.“ | 

„Sehr fonderbar,” meinte Herr Barbatus; „aber Sie müjjen 

doch irgend eine Erinnerung haben, z. B. wo fühlten Sie zuerft, 
dag Sie da waren, daß Sie lebten? Wann tranfen Sie ben erften 
Schoppen?“ — „Eined Morgens,” erzählte Editein ſehr gleichgültig, 
„muß mich der Wind in den Hof eines Haufes hineingeweht haben; 
denn von einem fehr harten Falle auf den Boden erwachte ich und 








Bier Könige. 33 


fühlte, daß ih da fei. Ich bin bald aus dem Haufe geworfen 
worden, indem die Leute meinten, ich fet ein Dieb. Darauf, weil 
ich fehr müde war, habe ich mich nicht weit von dort auf einen 
Eckſtein gefept, wo ich noch jeßt regelmäßig jeden Tag fiße, weil 
es mir da gefällt und ich fonft nicht weiß, was ich machen fol. Cine 
einzige, aber fehr dunkle Erinnerung babe ich von meinem frühern 
Dafein; ich glaube nämlich, daß ich vor langer Zeit irgend ein 
König gewefen bin.” — — 

„Aber die Subordination,“ fehrie einer der Studenten, „it 
eine böflifche Erfindung. Alfo wenn fo ein Lieutenant zu Ihnen 
jagt: „Herr, Sie find ein Eſel!“ fo antworten Sie mit der größ- 
ten Unterwärfigfeit: „Sehr wohl, Herr Lieutenant!" — „Freilich,“ 
fagte der Unteroffizier. — „Und wenn Ste dagegen fprähen: „„das 
find Ste felbit, Herr Lieutenant,“ fo —“ — „Käm’ ich in Ars 
reſt.“ — „Und wenn Sie nun, denn das fünnte doch auch vor: 
fommen, einmal unfhuldig in Arreſt fämen, wie revanchiren Ste 
fih dann?“ — „Ich bedanke mih für die gnädige Strafe,” ent- 
gegnete der Unteroffizier.” 

„D weh, die Welt geht unter, 

Es fprang dem Faß ein Reif!“ 
jauchzte der Student, fo daß der Herr Barbatus beftürzt nach feis 
nem Hut griff. 

Mittlerweile fing der Wein im ganzen Kreis an zu wirken. 
Eckſtein fehürtelte vergnüglich feinen Kopf und fehnitt dazu allerhand 
feltfame Grimajjen, welche Barbatus ftetd mit unmäßigem Geläch- 
ter begleitete. „Et, Herr König,“ Tachte er, „ſoll ih Ew. Majeftät 
nicht eine Krone anfertigen? He, einen Bogen Goldpapier, wenn 
er zu haben iſt!“ der Wirth Hatte von der letzten Weihnachtbefchees 
tung zum Glitk-einen erübrigt, welchen er dienfteifrig nebft einer 
Scheere herbeibrachte. Schnell machte fi) Barbatnd darüber her 
und hatte in kurzer Zeit eine faubere Krone fertig, die er dem Herrn 


von Editein vermitteljt einiger Stednadeln um den Kopf befeitigte, 
Sadländers Werte. VI. ” 8 


34 | Bier Könige. 


Der nahm fi aber fehr fonderbar unter dem Echmnde aus. Das 
Gefihht, welches er demfelben zu Gefallen machte, war fteif und 
hölzern, wie dad eines Kartenfönigd aus der Stralfunder Fabrik. 
Diele Achnlichkeit mrußte einem der Studenten auffallen, denn er 
Ihlich zum Zimmer hinaus und kehrte bald mit einem alten Kegel 
und einer Kegelfugel zurüd, mittelft deren der Herr von Edftein 
fogleih mit Reichsapfel und Scepter ausftaffirt wurde, fo daß die 
ganze Berfammlung in ein fhallendes Gelächter ausbrach. Nur 
dem Könige felbft fehlen die Sache nicht Tächerlih. Mit ernfter 
Miene wandte er fih zu dem Herrn Barbatus und fagte ihm leife: | 
„Es werden mit der Zeit alle Erinnerungen in mir deutlicher. Ih 
war früher gewiß und wahrhaftig der Eckſteinkönig.“ — „Sa frü- 
her,” entgegnete Barbatnd mit weinfchwerer Zunge, „ich glaube 
das feloft, und ich müßte mich fehr irren, wenn ich mit dero Maje⸗ 
ftät nicht einmal Solo gefpielt hätte.“ 

Auch unten am Tifch trieben die fonit fo ftillen Fremden allerlei 
wunderliche Poffen. Sie Hatten die Köpfe zufammengeftedt und 
gaben ganz eigene Töne von fih, Geſang war's nicht zu nennen. 
Bald glaubte man mitten unter Wafjervögeln zu fein, dann ſchien 
man fich wieder in einem Teiche unter jungen Xröfchen zu befins 
den ; jept hörte man fcharfe Klänge, wie wenn man mit dem nafs 
fen Zinger auf dem Rande eines Glafes fchleift, gellend und marks 
durchbohrend. Auch Die IUmnteroffiziere und die Studenten waren 
ſehr Taut in ihrer Weife. — Selbit der Herr Barbatus hatte feine 
Shen vor dem Gefang abgelegt und brummte Halblaut vor 


ſich Hin: 
Lieber Mond, du gehft fo ftille 
Durch die Abendwolfen bin. 


Kurz, das ftille Vergnügen hatte ſich in ein ſehr lärmendes umge⸗ 
wandelt. 


„Iſt es denn wahr,“ ſprach da auf einmal einer der Studen- 





Bier Könige. 35 


ten zu dem ihm zunächſt fipenden Fremden, „daß Sie grüne Zähne 
haben? Machen Sie doch gefälligft Ihren geehrten Mund etwas 
auf, damit ich jehen fan.“ Der Fremde aber brady in ein gellen» 
des Lachen aus und hielt dem Studenten zur Antwort feine Hände 
entgegen, aus welchen Mare Wafjerftrahlen über den Tifch und die 
fämmtlihen Gäfte binfuhren. Zugleich traten feine Augen aus 
dem Kopf, und das ganze Geficht verzog fid zu einem Fifchhaupte. 
Im nühternen Zuftande würden ſämmtliche Anweſende über diefen 
Anblick ſich nicht wenig entfept haben, aber der Dunft des Weines 
hatte ihre Augen mit fo vielen bunten Ranken umfponnen, daß. fie 
bet fich ſelbſt nicht recht einig waren, ob das wirklich gefcheben, 
was fie da fahen. Nur der Student war entfept zurüdgefahren 
und hatte Dem Unbekannten eine Flaſche an den Kopf gefchleudert, 
welche in taufend Scherben zerfprang, die derjelbe ruhig abfihüt- 
telte und fidy durch einige Fifche, Eidechfen und anderes Gewürm 
rächte, welches er aus feinen Fingerfpigen dem Mufenfohn in's 
Geficht fpringen ließ. Dieſer erhob ein gräßliches Gefchrei und 
brüflte Mord und Zauberei, daß alle Anwefenden erjchroden von 
ihren Sitzen auffuhren. Nur der Eckſteinkönig bfieb ruhig auf 
feinem Platz fißen und lächelte vor fich bin. Der Herr Barbatus, 
dem auch einige Wafjerftrahlen das Gefiht etwas abgekühlt hatten, 
feste feinen Hut auf, und e8 war komiſch anzufehen, wie feine 
vergnügt zudenden Mundwinkel wie Blige rechtd nnd links in bie 
Baden fuhren und da einige ernfte Züge hervorfuchten, mit welchen 
er folgende Worte würdig begleitete: „Unüberlegter Unbekannter,” 
fo ſprach er mühfam, „junge Fontäne, dag Sie fein menfchliches 
Weſen find, obgleih Ste einigermaßen fo ausfehen, tft mir jegt 
auf entfeglihe Weife klar geworden. Laſſen Sie ab von Ihrem 
dämonifchen Treiben, Haben Sie vielleicht früher auf irgend einem 
Brunnen geftanden und find herabgeftiegen, weil Ihnen das Waſ⸗ 
fer nicht mehr mundete, fo tft dieſe That zu loben. Iſt aber die 
Zeit Ihres gefpenftifchen Wandels verflofien und Sie glauben wier 





30 Bier Könige. 


man feinen wirklichen Namen nicht wußte, nannte man ihn nur 
den Herrn von Eckſtein, eine Benennung, die ihm zu gefallen ſchien; 
denn er erwiderte dieſe Begrüßung bei feinem Eintritt ftetd mit 
freundlihem Lächeln. Daß feine fonderbare Kleidung, von den 
feltfamften Farben und ganz barok im Schnitt, jemals Mode ge 
weſen, erinnerten fich auch die älteften Gäfte nicht. Anfangs war 
diefe fhweigfame Erfcheinung den guten Cölnern verbähtig gewe 
fen; nad und nad aber hatten fie ſich an den Herrn von Editein 
fo gewöhnt, daß ihnen etwas fehlte, wenn er, was übrigens hödft 
felten gefchah, einen Abend ausblieb. 

Ferner war in diejem Kreife frober, kluger Zecher oben ge 
nannter Weltgeiftliche, der Herr Barbatus, zu bemerken. Derfelbe 
verfah alle Funktionen eines äffentlihen Minifteriums. Gr pflegte 
Die Reden zu halten, weiche allenfalls nöthig waren, und war bei 
Heinen Streitigkeiten die höchſte Inſtanz; .ein fehr "freundlicher 
Manı, wenn er einmal den zwölften Schoppen geleert hatte; vor 
diefem Zeitpunfte aber war er einfylbig, warf viel mit Broden 
Schlechten Lateins um ſich und behielt den Hut auf dem Kopfe. So 
lange diefer Zuftand dauerte, war es fehr fill „im Kreife rings“; 
aber wenn der Herr Barbatus fein dreizehntes Kläfchchen nahm 
und fein Dreieck Lüftete, fo ſummte und frabbelte es vergnüglich in 
dem Zimmer, ald habe man von einer Schachtel voll Maikäfer den 
Dedel abgenommen. Im Ganzen wurde der Ton fehr anftändig 
gehalten. Botenlieder waren ganz und gar verboten; überhaupt 
hörte der Herr Barbatus nicht gern, wenn gefungen wurde, und 
pflegte häufig beim Anfang eines Liedes, das ihm nicht behagte, 
feinen Hut wieder aufzufegen, was dann als Beweis feiner höchiten 
Unzufriedenheit vom fingenden Publikum durch Aufgeben des Ge 
ſanges refpeftirt wurde. 

Eines Abends hatte Herr Barbatus feinen Hut abgenommen, 
und es herrſchte im ftillen Vergnügen laute Froͤhlichkeit. Fleißiger 
als fonft ward den Schoppen zugefprocdhen, und bald ftroßten die 





Dier Könige. 31 


Himmelreihe von Seligen. Draußen fegte ein ranher Wind und 
rajjelte zuweilen an den Fenftern hin, als beneide er die in der 
Stube Sigenden und wolle audy herein; doch abgehalten durch die 
feftverfchlofjenen Fenfter flog er unter das Unkraut vor der Thür 
und koste mit demfelben. Ein Nachtwächter, welcher fich heute 
Abend in diefe Gegend verirrt hatte, erzählte fpäter feinen Bekann⸗ 
ten, er babe unter dem Grad und Kraut auf dem Plaß vor dem 
fillen Bergnügen in jener Nacht deutlich lachen und menſchlich 
flüftern hören. Auch einer der Gäfte in der Stube, welcher am 
Fenſter gefeilen, wollte etwa8d bemerkt haben: wenn der Wind zu⸗ 
weilen eine der Schilfpflanzen, deren am Hauſe viele wucherten, in 
die Höhe gejagt, fo fei diefelbe an's Fenfter gefahren und habe 
mit einem verzerrten menjchlichen Gefichte in die Stube gefchant. 
Dem fei nun, wie ihm wolle, es ging in der Schenfe heute 
befonders luftig zu. Oben am Tifh faß Herr Barbatus in ftiller 
Majeftät und ſprach emfig mit dem Herrn von Geftein, der ihm 
nur ein kurzes Lächeln und zuweilen ein paar abgebrochene Sätze 
zur Antwort gab. Neben ihm hatten fich ein paar Studenten ge- 
lagert und unterhielten ſich mit einigen Kreiwilligen über Subor⸗ 
dination; jedoch fchienen ſich ihre Anfichten hierüber nicht recht 
vereinigen zu können. Weiter unten faßen einige Bürger mit weins 
feligen Gefichtern, und dad Ende des Tifches hatten vier der 
Zremden eingenommen, von denen oben Die Nede war. Dad waren 
aber in der That feltfame Geftalten. Der eine hatte eine flolze, 
ſchlanke Figur und feine Manieren, zu welchen das zartbleiche Ges 
fiht mit intereffanten Zügen fehr gut vaßte; ein zweiter, von flare 
tem, unterfegten Körperbau, hatte dazu einen Kopf, der fih auch 
nur auf diefem Körper gut ausnehmen fonnte, ein fharf markirtes 
rothes Geficht, in welchen ein paar funkelnde Augen einen abjolu- 
ten Willen ausfprachen. Beide fchienen des Befehlend gewohnt zu 
fein; nur, glaube ich, gebot der erfte, indem er ruhig auseinander- 
feßte, das, was er wolle, fei unumgänglich nothwendig; er übers 


\ 


32 Vier Koͤnige. 


zeugte, wogegen der andere kurz ſprach: ich will! und wehe, wer 
fich ihm widerſetzte! Ein dritter der Fremden ſah aus wie der 
etwas leichtfertige Sohn einer anerkannt großen und mächtigen 
Familie, etwa wie ein Erbprinz, dem es mehr darum zu thun iſt, 


tofle Streiche zu treiben, als durch geſetzliches Betragen ſeinem 


künftigen hohen Stande Ehre zu machen, ein Shakespeare'ſcher 
Prinz Heinz. Die vierte Perſon ſchien eine untergeordnete Stel⸗ 
lung einzunehmen und hatte dabei ganz das Air eines Magiiters 
der fchönen Künſte. 

" „Theuerſter,“ fprah oben am Tifh zum Herrn von Editein 
der Herr Barbatus, „laſſen Sie mich doch endlich einmal etwas 
über Ihre früheren Schidjale vernehmen. Bezeichnen Sie mir doch 
Ihre Wohnung; ich möchte Ste gar gern einmal befuchen;“ wor: 
auf der andere entgegnete: „Weiß ich doc, ſelbſt nichts von meinem 
früheren Zeben, babe mich nur fo gekannt, wie ich jept bin, nicht 
Heiner, nicht größer, nicht jünger, nicht älter.“ — „Ste waren 
aber doch einmal gewiß,” fagte Herr Barbatus, „ein charmantes 
Kind. Erinnern Sie ſich denn der fröhlichen Zeit nicht mehr, wo 
Sie Fenfter einſchmiſſen und die Schule ſchwänzten?“ — „Nein, 
Herr Barbatus.“ — „Bon Ihrer erften Liebe, Herr von Geitein, 
müjjen Sie mir erzüblen. Und was haben Sie gelernt? was jtu- 
dirt? oder in welchem Gefchäfte haben Sie gearbeitet?" — „Ich 
habe nie gelernt, nie ftudirt, auch nie gearbeitet,” fagte Eckſtein. 
„Sp, fo,” entgegnete Herr Barbatus; „aber was find Sie denn 
eigentlih? Was ftellen Sie in der Welt vor!“ — „Ih?“ fagte 
Eckſtein, „eigentlich gar nichts.“ 

„Sehr fonderbar,” meinte Herr Barbatus; „aber Sie müfjen 
Doch irgend eine Erinnerung haben, 3. B. wo fühlten Sie zuerft, 
dag Sie da waren, daß Sie lebten? Wann tranfen Sie den erften 
Shoppen?“ — „Eines Morgend,” erzählte Editein fehr gleichgültig, 
„muß mich der Wind in den Hof eined Hauſes hineingeweht haben; 
denn von einem fehr harten Falle auf den Boden erwachte ich um 


Bier Könige. 33 


fühlte, daß ih da ſei. Sch bin bald aus dem Haufe geworfen 
worden, indem die Leute meinten, ich fet ein Dieb. Darauf, well 
ih fehr müde war, habe ich mich nicht weit von dort auf einen 
Eckſtein geſetzt, wo ich noch jept regelmäßig jeden Tag fie, weil 
e3 mir da gefällt und ich fonft nicht weiß, was ich machen foll. Eine 
einzige, aber fehr dunkle Erinnerung babe ich von meinem frühern 
Dafein; id) glaube nämlich, daß ich vor langer Zeit irgend ein 
König gewefen bin.” — — 

„Aber die Subordination,“ fchrie einer der Studenten, „til 
eine hölliſche Erfindung. Alfo wenn fo ein Lieutenant zu Ihnen 
fagt: „Herr, Sie find ein Efel!“ fo antworten Sie mit der größ—⸗ 
ten Unterwärfigfeit: „Sebr wohl, Herr Lieutenant!" — „Freilich,“ 
fagte der linteroffizier. — „Und wenn Sie dagegen fprächen: „„das 
find Sie felbit, Herr Lieutenant,“ fo —“ — „Käm' id in Ars 
reſt.“ — „Ind wenn Sie nun, denn das könnte doch auch vors 
fommen, einmal unfhuldig in Arreft fämen, wie revandiren Ste 
fi) dann?” — „Ich bedanke mich für die gnädige Strafe,” ent- 
gegnete der Unteroffizier.“ 

„> weh, die Welt geht unter, 

Es fprang dem Faß ein Reif!“ 
jauchzte der Student, fo daß der Herr Barbatud beftürzt nach feis 
nem Hut griff. | 

Mittlerweile fing der Wein im ganzen Kreis an zu wirken. 
Eckſtein fchürtelte vergnäglich feinen Kopf und ſchnitt dazu allerhand 
feltfame Grimajjen, welche Barbatus ftetd mit unmäßigem Geläch— 
ter begleitete. „Ei, Herr König,“ lachte er, „fol ih Ew. Majeftät 
nicht eine Krone anfertigen? He, einen Bogen Goldpapier, wenn 
er zu haben iſt!“ der Wirth hatte von der lepten Weihnachtbefchees 
Tung zum Gtüst_einen erübrigt, welchen er dienfteifrig nebft einer 
Scheere herbeibrachte. Schnell machte fi) Barbatus darüber her 
und hatte in kurzer Zeit eine faubere Krone fertig, Die er dem Herrn 


von Eckſtein vermittelt eintger Stednadeln um den Kopf befeitigte, 
Sadllänvders Werte. VI. u 8 


34 Bier Könige. 


Der nahm fihh aber fehr fonderbar unter dem Schmnde aus. Das 
Sefiht, welches er demfelben zu Gefallen machte, war fteif und 
hölzern, wie dad eines Kartenkönigs aus der Stralfunder Fabrik. 
Diele Aehnlichkeit mußte einem der Studenten auffallen, denn er 
Ihlih zum Zimmer hinaus und kehrte bald mit einem alten Kegef 
und einer Kegelfugel zurüd, mittelft deren der Herr von Edftein 
fogleih mit Reichdapfel und Scepter ausftaffirt wurde, fo daß die 
ganze Verfammlung in ein fchallendes Gelächter ausbrach. Nur 
dem Könige felbft ſchien die Sahe nicht lächerlich. Mit ernfter 
Miene wandte er fi) zu dem Herrn Barbatus und fagte ihm leife: 
„Es werden mit der Zeit alle Erinnerungen in mir deutlicher. Ich 
war früher gewiß und wahrhaftig der Eckſteinkönig.“ — „Ja frü⸗ 
her,“ entgegnete Barbatud mit weinfchwerer Zunge, „ih glaube 
das feldft, und ich müßte mich fehr irren, wenn ich mit dero Maje— 
ftät nicht einmal Solo gefpielt hätte.“ 

Auch unten am Tifch trieben Die fonit fo ftillen Fremden alferlet 
wunderliche Poſſen. Ste hatten die Köpfe zuſammengeſteckt und 
gaben ganz eigene Töne von fih, Geſang war’d nicht zu nennen. 
Bald glaubte man mitten unter Waſſervögeln zu fein, dann fchien 
man fic wieder in einem Zeiche unter jungen Fröfchen zu befin— 
den ; jegt hörte man fcharfe Klänge, wie wenn man mit dem nafr 
fen Zinger auf dem Rande eines Glaſes fchleift, gellend und marks 
durchbohrend. Auch die Interoffiziere und die Studenten waren 
fehr Taut in ihrer Weife. — Selbft der Herr Barbatus hatte feine 
Shen vor dem Geſang abgelegt und brummte halblaut vor 


ih Hin: 
Lieber Mond, du gehft fo ftille 
Durch die Abendwolken hin. 


Kurz, das ftille Vergnügen hatte ſich in ein ſehr lärmendes umges 
wandelt. 
„Iſt es denn wahr,“ ſprach da auf einmal einer der Studene 


Vier Könige. 35 


ten zu dem ihm zunächft fihenden Fremden, „daß Ste grüne Zähne 
haben? Machen Sie doch gefälligft Ihren geehrten Mund etwas 
auf, damit ich jehen kann.“ Der Fremde aber brach in ein gellen» 
des Lachen aus und hielt dem Studenten zur Antwort feine Hände 
entgegen, aus welchen klare Wafjerftrahlen über den Tifch und die 
jämmtlichen Gäſte hinfuhren. Zugleich traten feine Augen aus 
dem Kopf, und das ganze Geficht verzog fi zu einem Fifchhaupte. 
Im nüchternen Zuftande würden fänmtliche Anwefende über diefen 
Anblick ſich nicht wenig entfegt haben, aber der Dunft des Weines 
hatte ihre Augen mit fo vielen bunten Ranken umfponnen, daß. fie 
bet fich felbit nicht recht einig waren, ob das wirklich gefchehen, 
was fie da jahen. Nur der Student war entfeßt zurüdgefahren 
und hatte dem Unbekannten eine Flaſche an den Kopf gefchleudert, 
welche in taufend Scherben zerfprang, die derjelbe ruhig abfihüt- 
telte und fid) durch eintge Fifche, Eidechfen und anderes Gewürm 
rächte, welches er aus feinen Fingerjpigen dem Mufenfohn in’ 
Geficht fpringen ließ. Diefer erhob ein gräßliches Gefchrei und 
brüllte Mord und Zanberei, daß alle Anwefenden erfchroden von 
ihren Sipen auffuhren. Nur der Edfteinkünig bfieb ruhig auf 
feinem Platz fipen und lächelte vor fih hin. Der Herr Barbatus, 
dem aud einige Wafierftrahlen das Geſicht etwas abgekühlt hatten, 
feßte feinen Hut auf, und es war komiſch anzufehen, wie feine 
vergnügt zuckenden Mundwinkel wie Blitze rechts nnd links in die 
Baden fuhren und da einige ernite Züge hervorfuchten, mit welchen 
er folgende Worte würdig begleitete: „Unüberlegter Unbekannter,” 
fo fprad er mühfam, „junge Fontäne, daß Sie kein menfchliches 
Weſen find, obgleich Sie einigermaßen fo ausſehen, tft mir jeßt 
auf entfegliche Weife ar geworden. Laſſen Sie ab von Ihrem 
dämonifchen Treiben. Haben Sie vielleicht früher auf irgend einem 
Brunnen geftanden und find herabgeftiegen, weil Ihnen das Waf- 
fer nicht mehr mundete, fo ift diefe That zu loben. Iſt aber die 
Zeit Ihres gefpenftifchen Wandels verflofien und Ste glauben wies 


34 Bier Könige. 


Der nahm fich aber fehr fonderbar unter dem Schmude aus. Das 
Geficht, welches er demfelben zu Gefallen machte, war fteif und 
hölzern, wie das eines Kartenfünigs aus der Stralfunder Fabrik. 
Diefe Achnlichkett nrußte einem der Studenten auffallen, denn er 
Ihlih zum Zimmer hinaus und kehrte hald mit einem alten Kegel 
und einer Kegelfugel zurüd, mittelft deren der Herr von Eckſtein 
fogleich mit Reichsapfel und Scepter ausſtaffirt wurde, fo daß die 
ganze Verſammlung in ein fchallendes Gelächter ausbrach. Nur 
“dem Könige ſelbſt fchien die Sache nicht Tächerlih. Mit ernfter 
Miene wandte er fih zu dem Herrn Barbatus und fagte ihm leiſe: 
„Es werden mit der Zeit alle Erinnerungen in mir deutlicher. Sc 
war früher gewiß und wahrhaftig der Eckſteinkönig.“ — „Ja frü- 
her,“ entgegnete Barbatus mit weinfchwerer Zunge, „ih glaube 
das felöft, und ich müßte mich fehr irren, wenn ich mit dero Maje- 
ftät nicht einmal Solo gefpielt hätte.“ 

Auch unten am Tifch trieben die fonit fo ftillen Fremden allerlei 
wunderlice Poſſen. Sie Hatten die Köpfe zufammengeftedt und 
gaben ganz eigene Töne von fih, Gejang war's nidt zu nennen. 
Bald glaubte man mitten unter Wafjervögeln zu fein, dann fchien 
man fi) wieder in einem Teiche unter jungen Fröſchen zu befin- 
den ; jept hörte man fcharfe Klänge, wie wenn man mit dem nafs 
fen Finger auf dem Rande eined Glafes fchleift, gellend und mark» 
durchbohrend. Auch die Unteroffiziere und die Studenten waren 
ſehr Taut in ihrer Weife. — Selbft der Herr Barbatus hatte feine 
Schen vor dem Gefang abgelegt und brummte halblaut vor 


ſich Hin: 
Lieber Mond, du gehft fo file 
Durch die Abendwolken Bin. 


Kurz, das ftille Vergnügen hatte ſich in ein ſehr lärmendes umge⸗ 
wandelt. 


„Iſt es denn wahr,“ ſprach da auf einmal einer der Studen- 


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Bier Könige. 37 


„Nigen und Waſſermänner!“ ftöhnte Barbatus und ſank in 
feinen Stuhl zurück. „Hebt euch von binnen, ihr Gefpenfter, im 
Namen — —“ — „Alberner Menfh!“ unterbrach ihn der Fürft 
von der Mofel, „glaubſt du und Durch deine ohnmächtigen Formeln 
hinwegſchrecken zu können? Glaubft du, ihr feid höhere Wefen, die 
einzigen vom Schöpfer anerkannten, und ein Wort von euch reiche 
Hin, und verfchwinden zu machen? Dauft es unferer friedfertigen 
Natur, daß wir nicht längft von unferem Grunde aufgeftiegen find, 
und und auf dem Lande die Macht angemaßt haben, welche wir 
unbefchränft im Wafjerreiche üben. Faſſe meine Hand und fühle, 
ob dein Fleifch fefter ift, ald das meinige!" — „reift fie, greift 
fie!” föhnte Barbatus und ſchlug in der gräßlichen Angft mit 
beiden Händen auf den Bauch. „O ftilles Vergnügen, dein werd' 
id, gedenten !“ 

„Hola bo!“ fchrie Prinz Pips, „wir wollen unfere Unterthas 
nen aus dem Keller abrufen und das Gezücht hier im Haren Wein 
erfäufen. Herauf ihr Gefellen, und herein ihr draußen !”" Er riß 
das Fenfter auf, zu welchen der Wind, der noch immer yfftig 
tobte, Schilfpflanzen amd Waſſerblumen, auch ſonderbar geballte 
Nebel hereinjagte, die ſich in der Stube zu ſeltſamen Geſtalten 
umwandelten. Hier ſprang ein ungeheurer Froſch, da eine rieſige 
Eidechſe. Große Fiſche ſchlüpften zwiſchen den vor Entſetzen ange⸗ 
feſſelten Menſchen herum und ſchnappten ihnen nach den Beinen. 
Unten im Keller begann es zu klingen und zu klappern; es rutſchte 
und rollte die Treppe herauf, es klirrte und drängte gegen Die 
Stubenthür, welche aufipringend ein unermeßliches Flafchenheer in 
die Stube ließ. Rheins, Mofels und Aarweinflafhen rollten her: 
ein, fogar einige Ehampagnerflafchen hatten fih im allgemeinen 
Strudel mit fortreißen laſſen. Es war ein gräßlicher Anblid, ein 
betäubender Spektakel: das Anirfchen der Zlafchen, indem fie ſich 
an einander drüdten und drängten, dazmwifchen dad Quiden und 
Grunzen der Wafjerihiere, wozu der Prinz immer gräßlicher lachte 


38 Bier Könige. 


und ſich bald lang, zleich einem Aal audredte, bald wie eine 
Schildkröte zuſammenkroch. Auch hatte er ſchon fo viel Waſſer 
von ſich gegeben, daß der Fußboden über einen Schub hoch damit 
bededt war. 

„Wollt ihr meine grünen Zähne fehen, ihr Menfchenvolt ?“ 
lachte der Fürft von der Mofel, und der Graf von Walportsheim 
fhüttelte fein Haupt, um welches flatt Haare große lange Waflers 
pflanzen flatterten, mit welchen er den Anwefenden im Geficht 
herumfuhr. Er rief: „Auch habe ih grüne Haare! feht meine 
grünen Haare! Ja wohl, ih bin ein Waſſermann!“ — „Aud ihr,” 
jauchzte der Prinz dazwifchen, ſollt Waffers, nein Weinmänner wer: 
den! Hola, Befellen! kommt, liebenewürdige Weine, rächt euch an 
diefen Geftalten, die fhon fo vielen der eurigen in ihrem Magen 
ein fchlechtes Ende bereitet haben. Steigt heraus und erfäuft fie! 
Heraus, heraus!“ 

Hut, wie flogen die Pfropfen der Flaſchen, wie zerborften Die, 
deinen er zu feft aufdem Halfe faß! Roth und weiß flog der Strom 
durcheinander und von Minute zu Minute ftieg die Fluth. Woll- 
ten die unglüdlichen Menfchen zur Thür oder zum Fenſter hinaus, 
fo traten ihnen die greulichen Wafjerfchenfale entgegen oder fonft 
eine der wüften Geftalten, welche das Haus umliefen, ed bewachten 
und Niemand hinansließen. In halber Ohnmacht flag Barbatus 
in feinem Stuhl und fchaute mit gebrochenem Auge in die Bers 
wüſtung. Eckſteinkönig dagegen faß fo gravitätifch wie früher, 
Scepter und Kugel in der Hand haltend, und lächelte. 

Um fih vor dem fihern Wafjertode mwenigftend eine Zeit lang 
zu retten, warfen ſich die Studenten, Unteroffiziere und Bürger 
gegen das Billard und verfuchten es von allen Seiten zu erklettern. 
Aber es ſchwankte wie ein Boot im Rhein, und manche fielen mehr: 
mals in's Waffer, ebe fie den rettenden Bord erreichten. Unver⸗ 
mögend, fi zu rühren, war Barbatus fißen geblieben ; jept wehrte 
er fih mit aller Kraft der Verzweiflung gegen einen ungeheuren 


Bier Könige. 39 


Krebs, welcher fi) bemühte, ihm mit feiner Scheere den breiedigen 
Hut vom Kopf zu ziehen. Mit einer Hand fchüttelte er den Eds 
ftein und verjuchte, ihn aus feiner phlegmatifhen Ruhe zu zerren. 
„Rette mid, Majeſtät!“ föhnte er. „König, hilf! fchlag mit dei 
nem Scepter das Unthier zu Boden! Hülfe! Hülfe!- Ruhig Tieß 
diefer das Stüd Holz, welches er in der Hand trug, auf den Kopf 
des Thiers füllen, das jogleich vom Geiftlichen abließ und in die 
Fluth tauchte. 

Da flürzte der Prinz hinzu. „Wie, du Kartenkönig,“ rief er, 
„du wagft ed, meine Freunde zu fchlagen? Herbei, herbei, Tieben 
Ihiere ! Kneipt ihn, erwürgt diefen König!” Eine Mafle der häß— 
Iichften Ihiere kam herangefhwommen; doch kaum hatten fie fidy- 
dem König genähert, fo prallten fie zurüd und umkreisten ihn 
fheu in einiger Entfernung, und felbft der Prinz wich vor dem 
todten, bleifarbenen Auge zurüd und wagte nicht, ihn anzufehen. 
„Wer biſt du?” fragte der Prinz. — „Der Editeinkönig hochſeli⸗ 
gen Andenkens.“ — „So geh’ in dein Grab, wenn du felig biſt,“ 
rief der Graf von WBalportsheim, „und flör und nicht in unferem 
Vergnügen, du Geſpenſt!“ — „Wenn ich fchlafen könnte, gern, 
denn ic) bin jehr müde,“ entgegnete der Editein. — „O du Karten» 
könig!“ rief der Prinz; „ich will Dich zur Ruhe bringen, Gefpenft. 
Ein AB her! ein Edfteinag! ich will den König ftechen !“ 

Da brach plöglich ein freundlicher Strahl der auffteigenden 
Morgenfonne in das Zimmer der Schenke zum ftillen Vergnügen. 
Im Stuhle lag ausgeftredt der Herr Barbatus und war fodt. Vor 
ihm ftand der Wirth und wijchte ihm das Blut ab, welches an ſei⸗ 
nem Munde geronnen war. Wahrfcheinlich hatte ein Schlaganfall 
fein Herz gebrochen. — Auf dem Tiſche lag ein alter Editeinkänig, 
der zu keinem vorhandenen Spiele pafien wollte und den der Wirth 
deßhalb zum Fenſter hinauswarf. Bon den Gäſten, welche vergans 
genen Abend hier geweſen waren, ift ferner feiner gefommen, denn 
der Wein fol ihmen fo entfegliche Träume verurfacht haben, baß 


40 Bier Könige. 


Ginige im Exnfte behaupteten, ed feien hier Sachen vorgefallen, dir 
fie nicht zum zweiten Male mit anſehen wollten. — Den größten 
Schaden aber hatte der Wirth. Der Herr Barbatus war todt, der 
Herr von Eckſtein ließ fich nie mehr fehen, und was noch fehlimmer 
war, in diefer Nacht waren im Seller die vielleicht morfchen Wein- 
gerüfte gebrochen und faft fänmtliche Flafchen herabgefallen, zer⸗ 
trümmert und ausgelaufen. 


Viertes Kapitel. 
Eine Meßbude. 


Eine Wohnung, deren Fenfter die Ausficht auf einen fihönen 
Garten haben, um die das faftige NRebenlaub mit feinen Ranken 
natürliche Saloufien bildet, die feinem neugierigen Auge in die 
ftille Klaufe zu dringen geftatten, Dagegen fo viel runde und edige 
Deffuungen haben, daß man insgeheim die ganze Nahbarfchaft 
dadurch belaufchen kann, ift eine ſchöne Sadhe im Sommer. Ich 
hatte eine ſolche Stube, und ed war mein größted Vergnügen, zus 
zulaufchen, wie die Ratur aus ihrem Schlummer erwadte, wenn 
die erften Strahlen der aufgehenden Sonne auf Grad und Blätter 
Taufende von Diamanten warfen, die Vögel ihre Morgenlieder 
fangen, und die Goldfäfer und Ameifen über die weißen Sandwege 
emſig ihren Geſchäften nachliefen. Und dann erft am Abend, wenn 
es allmälig ftiller ward in den Büſchen und Gräfern, wenn die 
ſchöne Nadıt empor flieg und der müde Zag an ihrem Herzen ent» 
ſchlummerte! Wie gut und fanft war die Nacht, wie ruhig und ftil, 
bis er wirklich feſt eingefchlafen war! Dann warf fie einen Blid 
auf den ruhenden Geliebten, bewegte geräufchlos ihren Zauberſtab, 





Bier Könige, 4l 


rief ihre Genien und Fantome hervor, ermunterte fie zu Tänzen 


und Gefängen, und hieß fie die Seele des entfchlafenen Tages mit 
bunten Träumen umgeben. OD fie war fehön die Nacht und freund» 
lich! Wie oft bin ich an ihrer Brujt entfchlummert, und auch um 
mich flatterten die bunten Geftalten, welche aus den Blumen empor 
ftiegen, und die Heinen zierlichen Elfen, die hervorfamen aus dent 
filberhellen Bach. Wie oft legte fi eine Meine Nige an mein Herz, 
und ließ das ihre leife gegen das meine fchlagen, und preßte mir 
einen glübenden Kuß auf die Lippen, daß ich oft in Traume ge- 
glaubt habe, e8 fet die fchöne Emma, deren Herz aber nie an dem 
meinigen ſchlug und die mich nie gefüßt hat. 

So ſchaute mein Geift in das dunkle Zaubgewölbe ded Gars 
tens, welcher vor meinem Fenſter lag. Gewöhnlich aber fpähte auch 
mein Teibliche8 Auge hinein, ob ſich nicht irgend eine liebenswürdige 
Nachbarin fehen laſſe, die da in den fchattigen Gängen herumfpa- 
zierte: denn eine folche Erfcheinung gehört zu der Wohnung, Die 
an einem Garten Tiegt. Ic wußte, daß der vor meinem Fenfter 
einem reichen Kaufmann gehörte, welcher eine einzige, allerliebite 
Tochter hatte, die ungefähr ſechszehn Jahre alt jein mochte. Ich 
hätte mich fehr gefreut, das Tiebliche Kind zuweilen zu fehen; doc) 
waren die Anlagen groß, und meine Wohnung lag ganz am Ende ders 
jelben, dephalb wurde mir diefes Glück nie zu Theil. Ich hatte nicht 
im Sinn, irgend ein Verhältniß anzufnüpfen oder auch nur den Ver⸗ 
ſuch zu machen; e8 hätte mich nur aufgeheitert und meine Phantafie ers 
frifcht, fo ein niedliches Wefen unter den Rofen unıherflattern zu fehen. 

Endlich, nachdem ich fchon alle Hoffnung aufgegeben, ward 
mein Wunfch erfüllt. Eines Abends lag ich im Fenfter; da fprang 
über eine der Grasflächen, deren es viele im Garten gab, ein nied- 
liches Reh, das ich Schon oft bemerkt hatte, gerade auf meine Wohn⸗ 


nung zu, blieb zuweilen ftehen, und wandte den Kopf zurüd, als 


nee e8 Jemand, der ihm nachfäme So war ed auchz fait athem- 
108, doch laut Tachend Tief Hinter ihm die Tochter des Kaufmanus, 


42 Bier Könige. 


dem Thiere: rip! Fritz! nachrufend. Nabe vor meinem Fenſter 
warf fih das Mädchen auf eine Rajenbant, und Iodte das Rech fo 
lange, bis e8 kam, und fich zu feinen Füßen lagert. Es war eine 
alleritebfte Gruppe. Seit der Zeit famen Beide oft in dieſe Gegend 
der Anlagen. Wenn meine Eitelkeit auch noch größer gewefen wäre, 
als fie wirklich war, fo hätte ich doc) unmöglich auf den Gedanken 
Lommen können, als fei ich ein Magnet geworden, welcher das lich, 
liche Kind anzöge, weil mich Riemand fehen konnte, da, wie ſchon 
geſagt, dichtes Rebenlaub meine Fenſter umrantte. 


Eined Tages hatte fih dad Mädchen auf eine Bank gelagert 


und las emfig in einem Buch, da ward ein Meines Thor, welde: 
neben meiner Wohnung von der Straße in den Garten führt, 
baftig eröffnet, und ein bildhübſcher junger Menſch trat herein. 
Derfelbe war phantaftifch gekleidet, und da e8 gerade in der Mei 
zeit war, fo muthmaßte ich, er gehöre zu irgend einer der Gaufler 
oder KünftlersGejellichaften, die gerade ihr Wefen in der Statt 
trieben. Er war im höchſten Grade anfgeregt. Nah um fih 
blidend, ftrablte jein Auge vor Vergnügen, alle feine Bewegungen 
waren wild und heftig, er fam mir in diefem Augenblide wie ein 
junges Pferd vor, das, dem dunklen Stalle entlaufen, die friſche 
Luft einathmet und ſich der gewonnenen Freiheit freut. So ſah 








er mit erhobenem Hanpte um fi, holte aus tiefer Bruft Arhem 
und ſprang mit wilden Säßen über Bouscetd, Graspläße und 


Wege. Jede Blume, bei der er vorbeifam, betrachtete er neugierig 
und freudig, legte fein Gefiht darauf oder drüdte fie an die 
Bruſt. Plöplic blieb er erftaunt ſtehen, denn er war durch eine 
Wendung ded Weges gerade vor dad Mädchen getreten, welches 
das Geräuſch des Kommenden hörend, aufgefprungen war, und die 
feltiame Erfcheinung überrafcht anfah. Das Reh ging im weiten 
Kreife um Beide herum, eine dunkle Röthe überzog die Züge dei 
jungen Mannes, er ließ fih auf ein Knie nieder und ſprach zu dem 
Mädchen: „O fage mir, wer bift du?“ Sie trat einen Schritt 


Bier Könige, 41 


rief ihre Genien und Fantome hervor, ermunterte ſie zu Tänzen 
und Geſängen, und hieß ſie die Seele des entſchlafenen Tages mit 
bunten Träumen umgeben. O ſie war ſchön die Nacht und freund⸗ 
lich! Wie oft bin ich an ihrer Bruſt entſchlummert, und auch um 
mich flatterten die bunten Geſtalten, welche aus den Blumen empor 
ſtiegen, und die kleinen zierlichen Elfen, die hervorkamen aus dem 
filberhellen Bach. Wie oft legte ſich eine kleine Nixe an mein Herz, 
und ließ das ihre leiſe gegen das meine ſchlagen, und preßte mir 
einen glühenden Kuß auf die Lippen, daß ich oft im Traume ge⸗ 
glaubt habe, es fei die ſchöne Emma, deren Herz aber nie au dent 
meinigen ſchlug und die mich nie gefüßt hat. 

Sp ſchaute mein Geift in das dunkle Laubgewölbe ded Gar⸗ 
tens, welcher vor meinem Fenſter lag. Gewöhnlich aber fpähte auch 
mein leibliches Auge hinein, ob fich nicht irgend eine liebenswürdige 
Nachbarin fehen laſſe, die da in den fehattigen Gängen herumſpa— 
zierte: denn eine ſolche Erſcheinung gehört zu der Wohnung, die 
an einem Garten Tiegt. Ich wußte, daß der vor meinem Fenfter 
einem reichen Kaufmann gehörte, welcher eine einzige, aflerliebite 
Tochter hatte, die ungefähr ſechszehn Jahre alt fein mochte. Ich 
hätte mich fehr gefreut, das Tiebliche Kind zuwellen zu fehen; doch 
waren die Anlagen groß, und meine Wohnung lag ganz am Ende ders 
felben, dephalb wurde mir Diefes Glück nie zu Theil. Ich Hatte nicht 
im Sinn, irgend ein Verhältniß anzufnüpfen oder auch nur den Bere 
ſuch zu machen; e8 hätte mich nur aufgeheitert und meine Phantafie er⸗ 
frifcht, fo ein niedliches Wefen unter den Rofen umherflattern zu fehen. 

Endlich, nachdem ih fchon alle Hoffnung aufgegeben, ward 
mein Wunſch erfüllt. Eines Abends Tag ich im Fenfter; da fprang 
über eine der Grasflächen, deren es viele im Garten gab, ein nieds 
liches Reh, das ich fchon oft bemerkt hatte, gerade auf meine Wohn⸗ 
nung zu, blieb zuweilen flehen, und wandte den Kopf zurüd, als 
nee es Jemand, der ihm nachkäme. So war ed auch; fait athem⸗ 
108, doch laut lachend Tief Hinter ihm die Tochter des Kaufmanns, 


44 Bier Könige. 


felten; er in dem fonderbaren phantaftifchen Aufpuge, mit dem 
ſchönen, freudeſtrahlenden Blick, taufenderlei Fragen, tauſenderlel 
Bemerkungen machend, mit einer ewigen Verwunderung; dazwiſchen 
das Reh, welches bald dem Einen, bald dem Andern zutrauliqh 
über die Schulter fah. Ich muß geftchen, ich ward mit den Im, 
fhuldigen zum Kinde, ich habe eine Thräne geweint, eine Schw 
fuchtsthräne nadı einem Glück, wie das der Beiden, nach einm 
Herzen, das mich liebevoll anhöre, wenn id) ihm von den wirklichn 
lebendigen Blumen und Bäumen erzählen wollte, von den Geipti- 
hen der Rofen und den Poefien der Goldkäfer — aber fein Sa, 
fein Herz für mid, das mich verftünde! 

Eine ganze Stunde brachten die Beiden unter Lachen um 
Plaudern hin; dann erhob fich das Mädchen, reichte dem jungen 
Manne ihre beiden Hände hin und fprang blitzſchnell dem Hal 
zu. Er fah ihr nur einige Minuten nad und Tief dann mit der 
felben Haft, mit welcher er gefummen, durch das Gartenthor, wahr 
fheinlich nad) feiner Bude zurück. Mich interefiirte es übrigens 
fehr, zu wiſſen, wer er ſei. Ich hatte eine dunkle Ahnung, in ibm 
auf einen Gegenftand zu ftoßen, mit dem ich früher in näherer %r 
ziehung geitanden und den ich gefannt hatte; er war mir zu nme 
wartet fchnell entfchwunden, ala daß ich ihm hätte folgen können, 
um zu fehen, wo er geblieben. Darum mußte ich mich, wollte id 
meinen Zweck erreichen, zu einer Wanderung durch die fänmtlichen 
Buden und Merkwürdigkeiten der Meſſe entfchließen. Cine Zins 
merreife durch Amerika, Aften und Afrika war bald abgemadt, obne 
daß id, etwas gefunden; das große Skelett eines Wallfiſches, web 
ches ich befehen, hatte mich meinem Zwede nicht näher gebradt; 
ich durchftöberte zwei Menagerien und ‚wohnte den Borftellungen 
einer Kunftreiter-Gefellfchaft bei, befah bier außer dem ſich heute 
Abend producivenden Perfonale in den Ställen und Garderoben 
die fänmtlichen andern Mitglieder, ohne eine Spur von meinem 
Unbekannten zu finden, 











Bier Könige. 43 


zurüd und entgegnete mit nicht geringer Verlegenheit: „Ich heiße 
Louiſe und mir gehört diefer Garten,“ 

„Alles, das Alles gehört dein?” fagte der Unbekannte. „Alle 
diefe lebenden Bäume, diefe wirklihen Blumen und der blaue Him⸗ 
mel, der tauſendmal ſchöner tft, als ein gemalter? O laß mid 
deine Hand Füllen, du bift fo freundlich, laß mid, etwas bei dir in 
diejem Schönen Garten bleiben.“ 

Dem Mädchen fchien Das fonderbare Benehmen des jungen 
hübfchen Mannes zu gefallen. „Aber,“ antwortete fie, während 
er ihre Hände ergriff und fie mit heißen Küſſen bededte, „aber 
wer find — wer bift du denn?“ — das Du fprad) fie ganz leiſe. 

„3a,“ entgegnete der junge Mann, „das ift eine traurige 
Geſchichte. Wenn ich das nur felbft wüßte. Der alte Mann, 
der mich mit fih herum führt, der mich immer in die hölzerne 
Bude oder in den Wagen fperrt, ruft mich nur mit dem Namen 
Pique!“ 

„Aber was thuſt du denn in der hölzernen Bude?“ fragte das 
Mädchen. 

„Ich mache Kunſtſtücke, und danach werde ich jedesmal einge⸗ 
ſchloſſen; denn der alte Mann ſagt, draußen laure etwas auf mich, 
und wenn mich das träfe, ſei ich verloren. Heute bin ich entſprun⸗ 
gen und hieher gelaufen, wo es ſo ſchön iſt. O laß mich einige 
Augeublicke hier dieſe lebendigen Bäume anſehen, die ſo friſch ſind, 
und die natürlichen Blumen, die ſo ſüß duften. Laß mich etwas 
bei dir bleiben, die du noch ſchöner biſt, als das Alles.“ Er 
legte ſich in's Grad und zog das Mädchen neben ſich, das ſich 
von ſeinem Erſtaunen nicht erholen konnte und willenlos zu ihm 
hinabſank, erſt auf die Knie, dann neben ihn auf den weichen 
Raſen. 

Es war für mich ein ſeltſamer, ein holder Anblick! — ſie mit 
dem reichen Gewand, mit dem blühenden Geſicht, in welchem Er- 
faunen, Scham und Wohlgefallen an dem fchönen Jüngling wech⸗ 


46 Bier Könige 


und jener Heine Mann, und die Nacht mit den wüften Träunten 
wo er die vier Könige verfluchte, fie ſollten wandeln auf der Erde! 
Damals, bei ruhiger Weberlegung, hatte ich die ganze Gefhicte 
belächelt, fie niedergefchrieben und mid gezwungen , Diejelbe, unge 
achtet ich Alles fo deutlich gefehen und gehört hatte, ihrer Unmög⸗ 


lichkeit halber für Traum zu halten, und hatte fie allmällig ver I. 


geflen. Aber nun, da ich in der Perfon des alten Mannes, den 


ich zu deutlich erkannte, den Kreis jener Zaubergeftaften wieder J 


tangirte, erftanden fie zu lebendig in meiner Brufl. Ich wußte 


wieder jedes Wort, das die todten Soldaten gefprochen, mir fam f 


der ganze Eindrud jenes Augenblicks wieder, wo der unglückliche 
Spieler Alles verlor und den Fluch über die Karten ausſprach. 


Aber konnte diefer Fluch gewirkt haben? Hatte eine böſe, uner fi 


gründlihe Macht dem Alten die Kraft eines Zaubererd gegeben, 


daß er lebende Weſen erfchaffen fonnte? Zaufende von Zweifeln 1 


Bermuthungen und Hoffnungen zogen um mein Gehirn. ein Gewebe 
von dunfeln und glänzenden Karben, das mich jehr ängftigte: id 
mußte ed durchbrechen. Raſch klopft' ich an die Thür der Bude. 


Nachdem ich lange vergeblic, gewartet hatte, hörte ich endlich die f 
Riegel flirren, und der alte Mann ftredte feinen Kopf heraus. | 
„Bas wünfchen Sie?“ ſprach er, „meine Vorftellungen find für heute J 


beendigt; doc ftehe ich morgen um ſechs Ahr wieder zu Dieniten.“ 
Es war diejelbe heifere Stimme; er mußte ed fein. „Laffen Sie 
mid, einen Augenblid eintreten,“ bat ich ihn, „ich bin einer Ihrer 
Bekannten.“ Ueber feine Züge flog ein eigenes Lächeln. „Sit, 
einer meiner Bekannten!“ fagte er leiſe: „Das muß ein Irrthum 
fein. Die können mich felten befuchen und nie jo früh; zuweilen 
zwiichen Zwölf und Eins in der Nacht; find auch nicht fo jung 
und fauber anzufehen, wie Sie, mein Herr.“ . Er wollte die Thür 
ſchließen. „So fieh mich genau an, alter Soldat,” entgegnete ich halb 
lachend. „Denke an Eöln, denke an die vier Könige.“ Er trat 
einen Schritt zurück und nahm einen ängftlichen, aber unheimlichen 





Bier Könige, 47 


Ausdruck an, fo daß ich troß der nun ganz geöffneten Thür nicht 
einzutreten wagte. „Wer bift du denn, dag du auch bei Tage ums 
gehſt. Was hat dir dein Grab verfchlofien?“ 

„Ich Habe Gottlob noch keins beſeſſen,“ fagte ich, „erinnere 
dich des Menfchen an jenem Morgen, der dir feinen Mantel ums 
warf, als du vor Froft zitternd allein zurüdgeblieben warft ?“ 

„Sp, du biſt's?“ fprach der Alte freundlicher. „Das ift etwas 
Anderes. Du haft mir Gutes gethan, darum tritt ein.“ 

Ich ließ mich nun nicht nöthigen, und er verfihloß Hinter ung 
die Thür forgfältig. Im Anfang wollte mich ein Heiner Schauer 
befchleichen, als ich mit dem Alten in den halbdunkeln Haufe ganz 
allein ftand, fo fchien es wenigftens, denn man hörte fein Geräufch, 
ald das unferer Bewegungen, oder dad Piden eines Holzwurmd 
in den Bretterwänden. Dazu kam noch der Anblid allerlet ſelt⸗ 
jamer Mobilten, die umberftanden, unter andern ein Sarg, der 
ihm wohl zum Bette diente. Jetzt feßte er fi) Darauf, und ich 
nahm ihm gegenüber in einem alten Stuhle Plap. 

Gine Zeit lang faßen wir flumm einander gegenüber; ein 
Jeder hing feinen Betrachtungen nah. Seit jener Nacht waren 
einige Fahre vergangen; ich hatte den Militärdienft und die alte 
Stadt Cöln längft verlaffen, und wie ich nun diefen Alten wieder 
jah, fiel mir, wie ſchon gefagt, jene Nacht ein, und mit ihr all’ 
die wilden, vergnügten Nächte, die ich bald allein, bald mit gleich- 
gefinnten Freunden auf den ftillen Straßen genofjen hatte, in denen 
ih mit dem Geiſterreich Belanntfhaft anknüpfen wollte. Aber jene 
Zeit Tag weit hinter mir. Ich wandelte in einer Sandwüſte, 
Iebte fo ruhig bürgerlih, Schritt für Schritt dahin; da ftieß ich 
plöglich auf dDiefen Alten, meinem fait verſchmachteten Geifte eine 
friſche Oaſe. | 

Mein Gegenüber feufzte tief auf. „Sch wandle noch immer,“ 
iprady er, „einfam, allein unter den fühlenden, fröhlichen Geſchöpfen, 
den Menfchen, und werde wohl noch lange wandeln müſſen.“ 


48 Bier Könige. 


„Darf ich Sie,“ fagte ih, „auf die Vorfälle jener unglüdliden 
Nacht zurüdführen? Mich bat doch nun einmal das Schidjal in 
Ihre Begebniffe eingeweiht. Darum bitte ich, laſſen Sie mid er: 
fahren, wie es Ihnen fpäter ergangen ift, wie Ihr jetziges Reben 
mit jenen Vorfällen aufammenhängt, und was aus den vier Königen 
geworden? Mein Glaube ſchwankt hin und her, in wie fern Ihr 
auögefprochener Fluch auf die lebloſen Blätter gewirkt bat.” 

„68 erleichtert meine gepreßte Bruft,“ antwortete das Geſpenſt 
„wenn ich nad) Jahren einem Wefen, das mich veriteht, mein Hetz 
ausſchütten kann.“ Darauf erzählte er mir Folgendes: „Nachdem 
ich die Ruhe meines Grabes verfpielt hatte, ſprach ich im der der I 
zweiflung, die ſich meiner bemädhtigte, den ſchrecklichen Fluch über J 
jene vier Könige aus. Es ward Morgen, der erite, Den ich nad 
ungefähr hundert Jahren wieder erfebte. Ich ftand unter den Men: 
fchen, fab ihr Getreibe, das mir gänzlich fremd geworden war und 
mich unheimlich umtoste. Ich ſchritt durch die Stadt, fand kaum 
die Straßen und Gäßchen wieder, welche mir früher fo befannt 
waren, fah freie Pläge, wo fonft ftattliche Gebäude flanden, um 
neue Häufer auf Stellen, wo zu meiner Zeit Gras gewachfen war. 
Ich ging and dahin, wo vordem meine Hütte geftanden; fie wat 
nicht mehr. Mein wildes, finnlofes Leben hatte der Boden nik! 
tragen fönnen, er war eingefunfen, und wo ich früher gewohnt, 
fand jegt ein grüner trüber Wafferpfuhl. Ich bin über mein Grab 
hinweggegangen, über mein ftifles enges Grab; ich hätte den Boden 
aufgewühlt, aber ed war fein ruhiger Friedhof mehr wie ehedem. 
Luftige Menfchen tiefen hier auf und ab und muntere Spiele wurden 
auf dem Plag gehalten, der doch eigentlich uns gehörte. Ich aber 
ward eritaunt betrachtet und verfpottet. Darum "verließ ich Die 
Stadt und wandelte den Rhein hinauf, bis ed Abend wurde. Da 
legte ich mich nieder unter einer einfamen Weide; zu meinen Füpen 
floß der gewaltige Strom; ed war derfelbe, an welchem ich als Kind 
geipielt, er hatte fich nicht geändert, war nicht alt geworden. Welt 





Bier Könige. 49 


Kopf ruhte auf einem Stein; ich ſchlief nit, doch verſank ih in 
einen Zufland, den man waches Träumen nennt. Da fchwebten 
rechts und links Geftalten auf mid zu, die ich zu gut kannte — 
die vier Könige, und der Eine fing an zu fprehen: „Dein Fluch 
dat und gebannt: wir werden wandeln und des Menjchenlebens - 
Jammer genießen, doch zu deiner Strafe werden wir fünf verfchies 
dene Weſen bilden und doc eins fein. Jeder von uns belebt fich 
aus dir, indem er dir eine ſüße Erinnerung oder eine Tugend nimmt, 
welche du befejlen und deren Andenken biöher noch einiges Licht in 
das jchwarze fchaurige Labyrinth deines Lebens brachte. Wir werden 
umber fchweben, bis unfere Zeit fommt, doch auch du. Fortan wirft 
du deine Berzweiflung vergebens dadurch zu lindern fuchen, daß du 
dich erinnerft, du feiit einjt gut geweien, und ſchöne frohe Stunden 
deines verflofienen Lebens heraufrufſt; du haft feine mehr, in deiner 
Bruft bleibt nur das Andenken der Sünden, die du begangen.“ 
Sch fuhr empor, und, o Jammer! ed ward plöglich in’ meinem Her: 
zen fo, wie fie gejagt, Nacht, nur Naht! Ste hatten mein Herz ges 
plündert, und mit ſich geführt das Gold, was noch darin lag, was 
in jeder, and) der fchlechteften Brut ruht, die fügen Erinnerungs- 
ſtrahlen, welche das Böfe dämpfen und den Meufchen vor der gräßs 
lichten Verzweiflung und dem Selbitmorde bewahren! Und in mir 
ward ed nun öde und leer, und ich kann mir nicht einmal das Reben 
nehmen. Was fie mir geraubt, waren freilich nur Andenken an 
eine glüdliche Jugendzeit gewejen; aber aus diefem frifchen Brunnen 
ſchöpfte ich ja ftündlich, wen mich der Staub meines fpätern ſchwarz 
verfengten Lebensweges erftidden wollte. Der Eine der Biere hatte 
meine froben Träume mitgenommen, bunte Geftalten, die mich um⸗ 
fchwebten, wenn ich mich in dad hohe Grad legte, und mir durch 
Zuflüfterungen einer frohen Zukunft Hoffnungen, wenn auch falfche, 
vorfpiegelten, über die ich meine traurige Gegenwart vergaß. 

„Ein Anderer hatte mir die Ruhe der Ermattung genommen, 
welche uns befällt, wenn man ftundenlang gegen finftere Gedanfen 

Hadländers Werte. VI. d 


50 Bier Könige. 


gefämpft hat; ein pblegmatifches Hinfinten, worin und, weil wir 
nicht mehr denken und fühlen, jene unerquidliche Rube dennoch an= 
genehm ift. 

„Ein Dritter entwand mir dad Vergnügen, das jedes Geſchöpf 
empfindet beim Anblik der großen berrlichen Natur. Mich freute 
nicht mehr der Glanz der Sonne, nicht das fanfte Lit ded Mons 
des, nicht das frifche Grün der Bäume und die fhönen Blumen, 
nichts mehr, nichts mehr! Die ganze Sqhoͤpfung ſchien mir grau be⸗ 
zogen und eckelte mich an. 

„Der Vierte endlich leerte mein Herz ganz aus und nahm mir 
die letzte ſüße Erinnerung, ein kleines Bild, welches ich zuweilen 
anſah, das mir Troſt und Beruhigung, ſogar Hoffnung gab; das 
Andenken an eine Jugendliebe, an ein reines Geſchöpf, welches 
dort oben iſt, und für mich am Thron des Höchſten beten ſollte. 
So fühlte ich, als die Geſtalten verſchwunden waren und ich wieder 
empor ſprang, mich namenlos elend. Ich irrte ohne Ruhe umher, 
habe mich in das Leben des erſten dieſer Könige geworfen, hab' es 
vergiftet, indem ich hoffte, meine frohen Träume wieder zu erhal— 
ten; umſonſt! ich hekam fie nicht. Dem zweiten folgte ih; ich 
ſah fein armfeliges Dafein verlöfchen ; aber-er gab mir meine Ruhe 
nicht wieder. Da fland ich-fchaudernd ftil, und begann zu ahnen, 
daß Alles für mich auf ewig verloren ſei. So hatte mein Fluch 
gewirkt, auf mich gewirkt ; aus meinem Blut hatte ich die edeliten 
Theile in die Welt gejagt, mir blieb der faulende Grund, ich war 
wieder ald Menfch mit menfchlichen Bedürfntiien in den ganzen 
Sammer ded Lebens getreten. Sterben kann ich nicht und muß fo 
bettefn, um mir mein Dafeln zu erhalten. Nur die Karten, das 
unglügffelige Spiel liebe ih noch immer.“ Er fchwieg ftil und 
ſchaute lange nachdenfend vor fih hin, Dann erzählte er mir auf 
meine Bitte die Gefchichte der beiden Könige, wie ich fie im zweiten 
und dritten Kapitel wieder gegeben habe, Doch befriedigte mich 
das nod Alles nicht. „Und von den beiden Andern haben Sie 








Bier Könige 51 


nichts mehr gehört? Sie wiften nicht, ob fie noch wandeln, oder 
wo fie geendet ** fragte ih. „Nein, nein!“ entgegnete er haftig. 
„Ich weiß nichts Genaueres von ihnen, als daß fie noch in der 
Belt herumfchweben.“ Bet diefen Worten fab er mid forfchend 
an. „Uber ih weiß, wo der Eine ift,“ ſprach ich mit erhöheter 
Stimme; „und auch Ste willen ed. Er ift bier, bier in dieſer 
Bude.“ Ich war nämlich überzeugt, daß meine Erfcheinung von 
heute Nachmittag mit dem fonderbaren Benehmen und dem Namen 
Pique, mit feinen Erzählungen von der Bude und dem alten 
Manne, nur bier zu finden fet. „Warum mir das verheimlichen ?- 
fuhr ich fort. „Ich weiß es: der Pique-Konig tft Hier bei Ihnen. 
Wo ift er? Sie halten ihn gefangen.” Der Alte war aufgefpruns 
gen und fah mich entſetzt an. „Woher wiſſen Sie das?“ jchrie er 
laut, und fegte mit gevämpfter Stimme hinzu: „Und doc wijjen 
Sie nichts. Er ift niht da.“ — „Und doc iſt er hier,“ fprady 
ih ganz gelafjen und erzählte ihm von dem jungen Manne, den 
ich heute geſehen, von feiner Freude über die Natur, feinen Aus⸗ 
rufungen und feinem Namen, den er genannt, fagte ihm, daß ich 
gleich eine Ahnung gehabt habe, dieſe Erfcheinung müſſe mit jener 
Naht in Verbindung ftehen, daß ich hauptfächlich deßhalb hicher 
gefommen fei, um mir über diefe unerflärlihe Sache, in die ich 
jeltfamer Weife verwidelt worden, eine genügende Aufklärung zu 
verichaffen. ' 

Er hörte mich ruhig an, feßte ſich wieder auf feinen Sarg, 
und fprah dann mit leifer Stimme: „Sie hat das Schidjal in 
einen Kreis geworfen, von dem gewöhnlid die Menjchen wegtreten 
und ihn fchen umgehen. Doc weichen Sie zurüd, fürdten Sie 
die unfichtbaren Fäden zu berühren, denen Sie vielleicht nicht zu 
Ihrem Glüde nahe gekommen find. DBergefien Sie Das Geſchehene 
und meine Mittheilungen, verbannen Sie es aus Ihrem Kopyfe, 
damit es fi) dort nicht feftfeße, und denken Sie, es feien verwor= 
ene Träume gewefen, die Ihnen etwas von den vier Königen ers 


4 


ul 


52 Bier Könige. 


zählten. Glauben Sie mir, die Gewißheit, Sachen erlebt, geichen 
zu haben, denen Ihr Verſtand und die natürliche Ordnung der 
Dinge geradezu widerfpricht, könnte Ihnen auf die Länge der Zeit 
fehr traurig werden.“ 

„Und doch,“ entgegnete ich ihm, „ift e8 gerade das Umhüllen 
des Geheimnißvollen, was uns Lüftern macht, immer tiefer hinein- 
zudringen, und was unfern Berftand zu taufend Bermuthungen 
abmartert. Darum bitt! ich nochmals, geben Sie mir einen Zu⸗ 
fammenhang, eine einfache Kette an die Hand, durch die ich Die 
heutige Ericheinung des jungen Mannes an’ jenen PiqueKönig 
reihen fann, und id will Ihnen danken. Rufen Sie ihn, daß 
fein Mund zu mir fpridht.“ 

Es flog wieder ein düfterer Schatten über die Züge des Alten. 
„And wenn ich ihn auch hervorrufen könnte und wollte, fo würde 
er doc nicht fprechen,“ fagte er. „Verlangen Sie nicht, ihn zu 
fehen. Es würde Ihnen ficher fein Licht in das Dunkel bringen, 
was wohlweislich für Sie um mid und jenen liegt, und was fid 
Ihnen in diefem Leben nie aufllären wird. Glauben Sie, was 
Sie gefehen, meinetwegen, aber lafjen Sie Ihre Forſchungen; die 
Gräber find ftumm Was ih Ihnen aus Dankbarkeit für Ihre 
Wohlthat damals zur Befriedigung Ihrer Neugierde über das We- 
fentliche jener vier Könige fagen konnte, habe ich gethan. Ich bin 
getheilt und wandle in fünf Geſtalten, das tft meine Strafe. Darum 
denken Sie bei jedem unndthigen Worte, das Sie audfprechen, an 
eine unfihtbar waltende Macht, welche e8 zu Ihrem Schaden zu 
wenden ſucht.“ Er öffnete die Thür und fah in die Nacht hinaus. 
„Es ift Mitternacht; darım verlafien Ste mih. Zu meiner Bor 
ftelung morgen bitte ih um die Ehre Ihres Beſuchs.“ Wie id 
ihm antworten und ihn nochmals befragen wollte um den jungen 
Mann, der mich fo fehr intereffiirte, fand ich vor der Bude uud 
hörte von innen Die Riegel vorfchieben. 

Am andern Tage lenkte ich in einer Gefellfchaft von Freunden 


Bier Könige. 53 


das Geſprach auf die kleine Bude am Ende des Marktplatzes und 
fragte, ob feiner dort einer Vorſtellung beigewohnt ? Ein Einziger, 
der unter und dafür befannt war, daß er ſtets alle Merkwürdig⸗ 
keiten der Meſſe unterfuchte, war dort gewefen und erzählte: der 
alte Mann, welcher fie hielt, made eine Menge oft gefehener und 
ganz gewöhnlicher Kartenkunftftüde, doc, rathe er jedem, einmal 
hinzugeben, indem die legte Piece, welche er producire, für all’ 
das andere Mittelmäßige reichlich entfchädige. Er bringe nämlich 
am Ende jeder Vorftellung ein Feines Figürchen, einen Kartenkönig, 
anf die Bühne, welcher — e8 fei beinahe unglaublih — an ihn 
gemachte Fragen feldft beantworte; auch wandle er herum, öffne 
die Augen, bewege Hände und Füße, kurz das Figürchen ſei ggnz 
mertwürdig und ſehenswerth. Kinige meiner Bekannten Tachten. 
Ein Kartenkönig, welcher fprähe! — „Run, \e mus der Alte ein 
fehr guter Bauchredner fein,“ meinte Einer. \Und er öffnet die 
Augen und gebt herum ?” fagte ein Zweiter. „Alfo ein fchönes 
Automat! das müfjen wir fehen.“ „In der That,“ fuhr der Gr= 
zähler fort, „weiß ich nicht, was ich von dem Kleinen Kerl halten 
fol. Der alte Mann reiht ihn in einem Käftchen von Mahago⸗ 
niholz herum, und dann kann ihm jeder eine Frage vorlegen, die 
er beantwortet. Das hab’ ich auch gethan, und id muß geftehen, 
als er nachläßig feine Heinen Aeuglein und den Mund öffnete, und 
mit einem ganz eigenen Stinnmchen fprach, da, weiß Gott! id 
wußte nicht, wie mir geſchah. Das ganze Publitum war aber 
auch entzückt und zugleich beftürzt, befonders die Damen, welde 
den Kleinen night aus den Händen lafjen wollten. Ein Automat 
kann's nicht fein, ein menfchliches Wefen ift e8 auch nicht; denn 
das Figürchen ift nicht größer, ald gewöhnlich das Bild auf einer 
Karte.” " 
„Run, was fol es denn fein?” riefen die Andern lachend und 
nengierig. — „Hexerei!“ entgegnete jener ziemlich ernſthaft. „Mir 
wenigftend, der Alles im Leben fehr nüchtern und ruhig betrachtet 


54 Bier Könige 


und bei etwas Sonderbarem und Unerflärlihem, wenn's möglich 
ift, gleich Hinter den Couliſſen nachforfcht, mir hat geftern Abend 
. ber Berftand im eigentlihen Sinne des Worts ftill geftanden, und 
mehren Andern erging es auch fo.“ 

„Aber,“ rief einer von uns, „warum kann es denn fein Auto= 
mat fein?" — „Weil das Gefhöpfchen lebt,“ entgegnete jener. 
„68 reißt feinen Mund nicht auf, wie gewöhnlich die Puppen — 
ruck! fondern öffnet ihn fein und zierlih, fo daß man ihm im 
Sefihte die Muskeln fpielen fieht.” — „Das ift ernithaft,“ fagte 
ein junger Arzt, „und wir müſſen auf jeden Fall heute Abend bin 
gehen.” — „Ja wohl, ja wohl!“ riefen Alle, und wir verabredeten, 
in welchem Haufe wir und vor ſechs Uhr, wo die Vorftellung beganın, 
treffen wollten. 

Meine Gedanken kann jeder Teicht errathen. Ich war dem 
ganzen Tag in einer feltfamen Spannung. Nachmittags legte ich 
mich in mein Zenfter und fah in den Garten; da faß das junge 
Mädchen, die hübfche Louiſe, auf derfelben Stelle, wo fie geftern 
jener räthfelhafte junge Menſch überrafcht hatte. Mehrmals glaubte 
ich zu bemerfen, daß fie erwartungsvoll nad) dem Gartenthor ſah; 
aber es kam Niemand. Sie erhob ſich nach Verlauf einer Stunde 
und ging fihtlih mißftimmt dem Haufe zu. 

Am Abend traf ich meine Freunde an dem bezeichneten Dit, 
und nachdem noch viel über den Kartenfönig gewigelt und gelacht 
war, gingen wir, da ed Zeit wurde, nad) der Heinen Bude. Schon 
war diefelbe ziemlich befeßt ; befonders die erften Sige, auf denen 
Das Automat cireulirte, Hatte ein Kranz von eleganten Damen 
eingenommen, welche die Neugierde, den unbegreiflihen König zu 
sehen und ihn zu befragen,. hieher geführt hatte. Wir befamen 
Hinter ihnen noch einige Plüße, und ich hatte das Glück, gerade 
hinter meiner niedlichen GartensBekanntfchaft zu ſitzen. Das war 
mir, wie fi) jeder denken fann, in doppelter Hinficht Außerft an⸗ 
genehm. 


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Bier Könige. 55 


Mein alter Bekannter, angethan mit dem rothen Rod und den 
gelben Beinkleidern, erichien endlich auf der etwas erhöhten Bühne, 
war aber nicht im Stande, Durch die gewöhnlichen Kunftftüde, 
welche er zeigte, einige Aufmerkjamfeit zu erregen. Gr fchien das 
auch bald zu fühlen, fürzte bedeutend ab, wie mir mein Freund 
fagte, und trat mit einer fleifen Verbeugung zurüd; durch das 
Auditorium lief ein Gemurmel: „Nun kommt der Heine König !“ 
Dann trat eine allgemeine Stille ein. 

Der Alte erfchien wieder, und trug in feiner Hand ein Heines 
Gebäude, ähnlich einem. Schloß mit vielen Spitzthürmchen; doch 
Da es feine Fenfter hatte, konnte man es auch für ein Grabmal 
Halten. Mir kam es wenigftens fo vor; aber die meiften hielten 
es für die hübſche, Iuftige Refidenz des Wunderkönigs. Der Alte 


feßte e8 auf die Mitte der Bühne und ſprach mit feiner heiſern 


Stimme in ungemein fhlecht gefepten Worten von der aufßerordents 
lichen Erfcheinung, welche wir jept genießen würden; alsdann öff⸗ 
nete er ein Kleines Thörchen, und fagte mit einem tiefen Büdling : 
„Gnädigſter König, erſcheinen Sie gefälligit, dieſe ſehr anftändige 
Berfanmlung zu begrüßen,“ und heraustrat — ja, bei Gott! er 
war e8! jener hübfche junge Mann, den ich in dem Garten ges 
fehen, aber en miniature! Auch meine Nachbarin, die, wie fchon 
gefagt, vor mir ſaß, mußte ähnliche Gedanken haben, denn fie 
zudte faft unmerklih zufammen und unterdrüdte mit Mühe einen 
leifen Schrei. Leicht und gewandt ging dad Heine Figürchen die 
Treppe feines Palaſtes herunter, in derfelben Kleidung, wie geſtern, 
aber heute mit Krone, Reichsapfel und Scepter, ein lebendiger 
Kartenkönig. Er trat vor und nidte leicht mit dem Kopfe, und 
ein allgemeines freudiges Händeklatfchen empfing ihn. Meine 
Freunde fahen beftürzt, und ich möchte fagen halb erichroden, auf 
deu Heinen, ungefähr vier Zoll hohen Menfchen, der da oben auf 
und ab fpazierte. Der Arzt fagte mir ganz leiſe: „Du, ih muß 
dir geftehen, daß mir die Sache hier ganz unheimlid vorkommt. 


56 Bier Könige. 


Es ift kein Automat, das Wefen lebt, und kann Doch den Gefehen 
der Natur gemäß nicht leben. Was denkſt du?“ — „Ich denke 
mancherlei,“ antwortete ich ihm, „was ich dir jedod hier nidt 
mittbeilen Tann. Nachher geh’ mit mir, dann wollen wir unfere 
Gedanken austaufhen.” — „Auch der Alte,“ fuhr der Arzt fort, 
„it mir eine fonderbare Erfcheinung. Sieh’ das ftiere Auge und 
die Halb traurige, Halb Tächelnde Miene, womit er dem Kleinen 
nachfieht, dad ganz regungslofe Geſicht; er kommt mir beinahe wie 
ein Automat vor, oder wie ein Weſen, das nur halbes Xeben hat, 
zu wenig, um den ganzen Körper auszufüllen, zu viel, um zu 
fterben. Er fchleppt feine Beine über den Boden nah und bewegt 
die Arme wie ein Gängelmann.“ 

„Und fieht aus, wie eine große Kirche bei Nacht, in welcher 
ſtatt der taufend Kerzen, welche fie erhellten, nur die ewige Lampe 
brennt,” meinte ein junger Dichter, der neben dem Arzte faß. 

„Meine Herren und Damen,“ fagte jept der Alte im Markt: 
fhreiertone, „Seine Majeftät der König wird die Ehre haben, dem 
verehrungswürdigen Publikum einige an ihn gerichtete Fragen zu 
beantworten.” Das Geſchöpfchen nidte und ftieg in ein kleines 
Käfthen, das der Alte bingeftellt hatte, und hierauf dem Nächitfis 
genden mit der Bitte gab, e8 auf dem erften Plage circuliren zu 
laſſen. Nun war der große Augenblid gefommen, auf den ſich 
Alles, befonderd die Damen gefrent hatten. Da wurde gefragt, 
und was Alles gefragt, doch war ich zu fehr mit meinen Gedanken 
beidhäftigt, um etwas davon zu hören oder zu behalten. Aud 
meine Nachbarin fchien nicht fehr auf ihre Umgebung zu achten, 
fondern ſah vor fih Hin, als ob fie die ganze Sache nicht interefs 
fire. Bei den Perfonen, an weldyen der Heine König ſchon vorüber 
gezogen, ward gelacht und gefpottet, fi) gewundert und das Ganze 
bie und da für pure Hexerei erflärt. Sept fam auch die Reihe an 
die hübſche Louiſe, die das Käftchen mit fichtbarem Zittern den 
Händen ihrer Nachbarin abnahm. Ich beugte mich hinüber, um zu 





Bier Könige. 57 


fehen, was der Kleine jept für Mienen mache, und zu hören, was 
fie ihn fragte. Run hatte ic fein feines Gefichtchen ganz in der 
Nähe und fah deutlich, daß ein freudiges Lächeln um feine Züge 
fpielte, fo wie er in die Hand der jungen Dame gelangte. Sie 
beugte fih auf ihn nieder und fragte ganz leife, fo daß ich es 
faum verftehen konnte: „Wer war der junge Mann, der geftern 
in meinem Garten war und mit mir ſprach?“ Der König antwor- 
tete: „Ach, das war ich ja felber; ich hatte einen fchönen Traum!“ 
Krampfhaft gab fie das Käftchen weiter, und beachtete nicht den 
bittenden Blick des Kleinen, welcher zu fagen fhien: „OD behalte 
mich, laß’ mich nicht von dir ziehen!" Sie fah vor fih Hin und 
drückte ihr Sacktuch vor’s Gefiht. Wohl bemerkte ich, daß mid; 
der Alte mit befonderer Aufmerkfamkeit anſah, befonders in dem 
Augenblid, wo ich das Käftchen mit dem König in die Hand nahm, 
denn er beugte fich ängftlich vorn über und fehlen auf meine Frage 
zu lauſchen. Mich beſchlich ein eigenes Gefühl, als ich nun den⸗ 
felben Menfchen, welchen ich geftern in meiner Größe gefehen, 
heute in meiner Hand hielt, nur ein paar Zoll Hoch. Ich fah rechts 
und links in die Bude und dachte darüber nah, ob mich nicht 
wieder ein nedifcher Traum befangen hielt; doch hörte ich meine 
Freunde deutlich plaudern und lachen, fah unter der Damenwelt 
viele Bekannte; ich fühlte, ich dachte nad), Alles um mich war fo 
wahr, fo reell, und nur in meiner Hand hielt ich ein dunkles Traums 
bild. „Wer bift du 2” frug ich endlich den Kleinen. „Ich bin 
der PiquesKönig, wie du fichft,“ antwortete er. „Warft du nidjt 
geſtern,“ forfchte ich weiter, „in einem Garten?“ „Ia, ih war.” 
— „Aber größer, fo groß wie ich, und haft da mit einem Mäd⸗ 
den gefprochen; denke au die Bäume, an die fhönen Blumen.“ 
Der König feufzte tief auf. „Ad ja!“ entgegnete er, „id war 
and der Bude gefprungen, und wie ih die friiche Lebensluft ein- 
athmete, den Duft der Bäume, da wuchs ich und ward groß. 
Aber” — doch weiter fam ih nicht. — „Mein Herr,” ſchrie mir 


58 . Vier Könige. 


der Alte mit ängſtlicher Stimme zu, „Sie fragen zu viel; ich darf 
nur eine einzige Frage zulaſſen; ſonſt läuft das Uhrwerk in dem 
Automaten zu früh ab, und ich kann es Doch während der Eircula 
tion nicht auf's Neue aufdrehen.“ — — Schon batte ihn der Arzt 
mir aud der Hand genommen; der frug ihn nichts , fondern legte 
ihm den Finger auf die linke Seite, fühlte ihm an den Puls und 
ſchüttelte heftig den Kopf, indem er ihn weiter gab. „Mich fol 
ver Teufel holen!“ fprach er dann lelfe zu mir, „das Wefen 
lebt.“ „Ja wohl,“ entgegnete ich ihm bekümmert und ſehr 
mißfimmt, „tomm nachher nur mit mir, th will dir Mandıes 
erzählen.“ 

Unterdeflen war der Pique⸗König wieder auf die . Bühne ges 
langt, der Alte rüdte einen. Tifch in die Mitte, auf den er noch 
einen andern, fehr Meinen und oben hinauf den König ftellte. 
Dann nahm er ein Spiel Karten in die Hand, trat zwifchen die 
Heide der Sipenden und fprah: „Aus dieſem vollftändigen Kar 
tenfpiel von zwetundfünfzig Blättern bitte ich eins zu ziehen, dafs 
felbe in diefe Piflole zu laden, und damit auf Seine Majeftät den 
König zu feuern.“ Einer meiner Belannten zog eine Karte; id 
glaube, e8 war Editein Steben, Iud fie in dad Gewehr und drüdte 
ab, Ein allgemeiner Schrei der Damen, etwas Pulverdampf, der 
ih langſam verzog, — da fand der Kleine auf feinem Tiſchchen 
und fagte mit Tächelnder Miene: „Editein Sieben.” Das war 
recht artig und wirklid wunderbar. Auch krönte ein folcher allge 
meiner Beifall diefe Piece, daß der Alte fie wiederholen mußte. 
Bon Neuem gab er dad Kartenfpiel aus feinen Händen und mein 
Freund, welcher uns hergeführt hatte, nahm es, um eine Karte zu 
wählen. Er fagte mir leiſe: „Ich habe früher und auch heute das 
Kartenfpiel rafch durchlaufen und gefunden, daß in demfelben das 
Pique⸗Aß fehlt. Deßwegen habe ich Hier von derfelden Form wie 
dieſe Blätter eind mitgebracht und will jept gleich fehen, ob diefer 
Manco unwilltührlih oder abſichtlich iſt. Und im legten Fall 


Bier Köntge. 59 


muß e8 einen Zwed haben, den wir vieleicht auf diefe Art ergrün⸗ 
den.“ Ich erfchraf heftig und mir fchwebte, ich weiß nicht welch 
unheimliche Ahnung vor. „Um Gotteswillen,“ fagt ich ihm, „thu 
das nicht!” Doch war ed zu ſpät. Ohne Aufſehen zu erregen, 
konnte ich feinen tollen Entſchluß nicht mehr ändern. Schon war 
die Piftole mit dem Pique⸗Aß geladen. Der Heine hübſche Köntg 
fand ruhig und erwartend da. — Der Schuß fnallte; doch wie 
fih der Pulverdampf an die Dede hob und die Ausficht frei gab, 
ſprang Alles unruhig und entjegt von den Sigen auf. Auf feinem 
Zifhchen war der Kleine in die Kniee gefunfen, Leichenbläſſe Des 
deckte fein vorhin fo blühendes Geſicht und er ſprach mit fchwacher 
Stimme: „ES war Pique⸗Aß!“ Er feufzte tief und ſank dann 
nieder. Mit einem gellenden Schrei ftürzte der Alte über ihn 
und der Arzt und ich waren mit einem Sprunge auf der. Bühne. 
Dody wo war das Figürhen, dad Automat? In feiner Hand 
hielt und der Alte ein halb verbranntes, zufammengewideltes Piques 
Ag entgegen, nebft einer andern vergilbten Karte, Pique-König, 
welche in der Mitte halb von einander geriffen war. Es ward mir 
unheimlich, wie er mich mit dem Gefpenfterauge ftarr anſah und 
leife fprach: „Er ift todt und ich muß wandeln!“ Ich ergriff den 
Arzt heim Arm und zog ihn aus dem Gewühl in der Bude. Auf 
dem Heimweg erzählte ih ihm, was ich von dem Alten wußte; 
aber faum hatte ich geredet, fo rief ihm ein Bedienter, welcher 
hinter uns berlief, faft athemlos bei Namen und bat ihn, gleich 
zu feinem Herrn: dem Vater Louiſens, zu kommen, die in Folge 
ter Schüffe oder des fonderbaren Vorfalld heute Abend in der klei⸗ 
un Bude am Markt, einen fchlimmen Zufall befommen hätte. 


60 Bier Könige 


Fünftes Kapitel. 
Die Lurley. 


Wenn man den Rhein befährt, fo kommt man zwifchen Eob- 
lenz und Mainz zuweilen an Stellen, wo man glaubt, bier ende 
der Lauf des Stromes, oder irgend ein nedifcher Zauber habe den 
Steuermann geblendet und dad Schiff durch eine Seitenftraße in 
einen stillen, rings von Felfen eingefchloffenen See geführt, wo es 


feitgebannt manch Jahrhundert liegen müſſe. Wenige Fuß vor | 


dem Kiel heben ſich gewaltige Steinmaffen, zwifchen denen fein 
Fiſch einen Ausgang fände, und während man dennoch mit großer 
Tollkühnheit auf dieſe Niefenmauern losftürmt, ſchließt fich allmis 
lig die Straße, zu der man hereingefahren; man tft gefangen, 
von allen Seiten mit fteilen Bergen umgeben, in einer großen 
fteinernen Falle. Doch hat diefe momentane Gefangenfchaft nichts 
Unheimitches, abgefehen davon, dag man weiß, die Berge find nur 
wie Couliſſen vor einander gefhoben und laſſen genugfam Plap 
zum Entlommen; man fühlt fih nicht beengt, man ift gerührt von 
der Theilnahme der Berge, die ſich die Hände reichen und Tachend 
um den gefangenen Menfchen einen Reihentanz bilden, ihn eine 
kurze Zeit in ihrer Mitte zu halten. Sie geben auf freundliches 
Anrufen mit tiefer, wohlklingender Stimme Antwort, und die grün- 
lichen Wellen, welche die triefenden Steinzaden umfpielen, rufen 
mit letfer Stimme: „Da bleiben! da bleiben!“ 

Der fchönfte, aber auch zugleich gefährlichfte diefer Punkte iſt 
unterhalb Bingen, wo der dunfelgrüne, fteil emporftrebende Lurley⸗ 
felfen die eine Seite eines folchen ftillen Sees bildet. Hier fchei- 

nen von einer Seite des Rheins zur andern unfihtbare Ketten zu 
bangen, welde Mann und Schiff zurüdzuhalten ftreben. Hier 
arbeitet felbft Die Mafchine des Dampfbootes mit ängſtlicher An- 





Bier Könige. 61 


ftrengung, um nur recht bald aus diefem zauberiichen Bergkeſſel 
zu fommen. Hier fpringen die Wellen zutraulih an's Schiff und 
erzählen laut und öffentlich von den wunderfchönen Tänzen, welde 
die Elfen im Mondfchein aufführen, von der Schönheit der Köni⸗ 
gin Lilio und ihren Jungfrauen, wie fie die Menſchen lieben, bes 
fonderd die Jünglinge mit blonden Haaren und blauen Augen. O 
ed find gefährliche Weſen, dieſe Wellen! Man möchte fo gern, 
durch ihr Flüftern verführt, aus dem Boot in das Waſſer fpringen 
und an die dunfeln Felfen fhwimmen, in die Arme einer ſchönen 
Nymphe, die auf dem grünen Rafen rubt, den Kopf mit gefchlofs 
fenen Augen zurüdgebogen, und ihren rothen Mund küſſen, der 
ſchelmiſch lachend die weißen Perlenzähne zeigt. 

Hier fchlägt zuweilen ein feltfamer, wundervoller Gefang an 
das Ohr manches Reifenden, und lärmte der Dampf noch fo ſtark, 
und bemühte man fi) noch fo fehr, die Aufmerkfamkeit auf etwas 
Andered zu richten, vergebens! in's Junerfte des Herzens dringen 
die Khänge, welche man vernimmt und von denen man nicht weiß, 
woher fie fommen. Wehe befonders dem, der traurig tft, dem viels 
leiht eine unglüdliche Xiebe die Bruft zerreißt. Hier hört er ver 
wandte Töne anjchlagen, dort in dem Felſen keunt man fein Leid 
und will ihn tröften. 


Tief ift der Rhein, 
Doch tiefer die Bein 
In meinem Herzen. 


Sp fingt es, und das thut die Zurley, die hoch auf dem Felſen 
figt und ihr fhönes goldenes Haar fimmt. Darum faſſe den Maft, 
wer diefen Gefang hört und veritcht, daß er ihn nicht hinabziche 
in die Zluthen des Rheins und verderbe! 

Nicht jeder, der den Strom befährt, fieht die Lurley und hört 
ihr lagen. Ich babe viele reifende Kaufleute gefprochen, welche 
mehr als hundertmal diefen Weg gemacht hatten, und die ganze 


62 Bier Könige. 


Sache für eine Zabel erklärten. Aber fie ift doch wahr. Auf ihrem 
Felſen fipt die Jungfrau und fingt, daß das Menfchenherz, welches 
fie hört, in die Höhe flieht und plöplih von inniger Liebe zur 
Sängerin befangen, fie zu erreichen firebt. Steil ragen die Felſen 
empor und bieten faft unüberwindliche Hindernifje. Hinan, Liebendes 
Herz! je größer die Mühe, je fehöner der Lohn. Der Jüngling, 
welcher für Die Lurley entbrannt, Llettert an der Felſenwand empor 
und je mehr er fih abmühen muß, um fo heftiger lodert feine 
Glut, ſtets Iodender wird der Gefang, ftetd füßer, Liebe fordernt 
und verfprechend. Er erreicht den Gipfel — — und die Lurley 
verichwindet mit einem fchallenden Hohngelächter. Dann verläßt 
den Unglücklichen der fichere Tritt, er ftürzt den Zelfen herab, 
zerfchmettert, todt. Und doch licht Died entjegliche Weib, aber fie 
ift eine Kokette. — 

Es iſt noch nicht lange her, da trieb fi in Diefer Gegend ein 
junger Maun herum, von dem Niemand wußte, woher er gekommen, 
noch was ihn bier feflele. Er hatte fich bei einem Fifcher einge: 
miethet, wohnte aber mehr in den Felſen am Rhein und auf dem 
Strome felbft, als in feiner Stube. Selten fprady er mit Jemand 
und nur zuweilen mit feinem alten Hauswirth, neben den er fidh 
am Abend dann und wann feßte, ‘wenn derfelbe feine Fiſchernetze 
flifte. Der hatte ihn num einft gefragt, was er denn eigentlich in 
der Welt treibe, und der junge Menfch gab ihm zur Antwort: er 
fuche ein Herz. Das fam dem Alten närrxiſch vor, und er meinte, 
um ein Herz zu finden, brauche man nicht lange zu fuchen, und in 
der Abficht thäte er beffer, in eine große Stadt zu gehen. Da gäbe 
e8 deren von jeder Façon und Ealiber, hier in der Einſamkeit würde 
er vielleicht nicht fobald eins finden; worauf ihm jener entgegnete: 
diefe Stelle des Rheins habe ihn befonderd angezogen, und es ahne 
ihm, er würde hier feinen Zwed erreichen. Doch fei das nicht zu 
feinem Glüde, denn wenn er ein Herz gefunden, das heiß Tiebend 
an feiner Bruft ſchlüge, wäre er verloren. - Der alte Zifcher glaubte 


- Vier Könige. _ 63 


aber, e8 fei feinem Miethsmann nicht richtig unter der Stimme uud 
verlieh ihn kopfſchüttelnd. | 

Dergleichen Unterredungen hielten die Beiden zuweilen; der 

Fifcher faß auf einem alten Baumftamm, der Andere lag fchaufelnd 
im Boot anf dem Rüden und fah in den vergoldeten abendlichen 
Himmel. So faßen fie auch eined Abends, da_frug der Fiſcher: 
„Run, noch fein Herz gefunden?“ — „Nein, nein,“ antwortete 
der junge Mann mit einem tiefen Seufzer. „Wenn ic Ihnen rathen 
foll,” entgegnete der Fifcher gutmüthig, „laſſen Sie das Suchen 
darnach fein. Was man fucht, findet man gewöhnlich nicht. Denken 
Sie einmal nicht mehr an das Herz, und ich bin überzeugt, Sie 
werden ed bald antreffen. Und wie müßte denn das Mädchen zu 
dem Herzen ungefähr ausfehen? denn darauf wird's doch hauptſäch⸗ 
ich ankommen.“ — „Ah, das weiß ich nicht,“ ſprach Jener 
„fo Tange ich denten fann, ziehe ich herum, mit öder leerer Bruft 
und ſuche. Steh’ ich einen Augenblick fill, fo zieht fih dunkel 
und drückend die Luft um mich.zufammen, Täßt mic nicht raften 
und beängftigt mich, bis über meinem. Haupte ein Blig glüht und. 
mit langem, zadigem Strahle weit hinfährt, mir den Weg zeigend, 
da fei, was ich fuche, und ich ftürze ihm nach, und finde doch nichts. 
Sch liebe allgewaltig und weig nicht, was ich liebe. Oft möchte 
ich Berg und Strom, Feld, Wald und alle Menfchen an meine 
Bruft drüden. Aber fie find wohl. recht freundlich und ſchön anzus 
fehen, haben aber doch fein Herz für mich. An die Bruft der großen 
herrlichen Erde habe ich mic; geworfen; doch ihr Bufen iſt kalt, 
und ihr Herz ſchlägt nicht liebend gegen meines.“ 

„Sie ſuchen,“ meinte der Fiſcher, „und wenn Sie gefunden, 
find Sie verloren? Wie verſtehe ich das?“ 

„Das Finden ift mein Ziel, und das Ziel ift das Ende meiner 
Laufbahn,“ entgegnete Jener. „Ich fehne mich aber nach dem 
Ende. Es iſt mir fremd und unheimlich in der Welt, in-dem hellen 
Sonnenlichte, welches Alles fo einfach und troden beweist, die Bruft 


64 Bier Könige. 


ausdörrt und mit dem brennenden Durft erfüllt, den euch Menfchen 
ein Mund voll kühler Erde am Ende eurer Laufbahn ftillt. Das 
ift euch ſchrecklich, ihr wehrt end dagegen und ertragt lieber die 
Pein des Durfted, als daß ihr jene moderige Sättigung berbeis 
wünſcht. — Ich aber fuche ein Herz, und wenn ich das gefunden, 
fühlt fi mein Xeben ab und erlöfcht in einem langen, langen 
Kuſſe.“ 

"Darauf wußte ihm nun der Fifcher nichts zu antworten, indem 
er ihn nicht verftand, und er mochte auch wohl fiher glauben, es 
fei feinem Gafte nicht heil im Geifte. Genug, er ftieß ſchweigend 
die Aſche in feiner kurzen Pfeife zufammen, und ſummte ein altes 
Lied vor fih hin. 

. Blöglich hielt er inne und blidte nad) dem Gipfel des gegen- 
überliegenden Lurlenfelfen. „Hört Ihr nichts!“ rief er dem jungen 
Manne zu. „Hort! fie fingt!“ 

„Ber fingt!“ rief diefer uud ſaß wie feltgebannt, von ben 
zauberifch fchönen Tönen, welche gleich goldenen Strahlen durch 
dad Feksthal zitterten und tief in die Bruft drangen. „Wo ill 
fie, die da ſingt?“ — „Das tft die Lurley,“ ſprach der alte Fi⸗ 
{her und flug ein Kreuz. Meine Augen find zu ſchwach, fie zu 
erkennen, doch ſchauen Sie fcharf nach dem Gipfel jenes Felſens, 
ſehen Sie denn nichts?“ Haſtig entgegnete der Züngling, welcher 
aufgefprungen war: „Auf der höchſten Kuppe ded Berges, einem 
Zelözaden, der faft über dem Nheine hängt, feh’ ich eine weiße 
Geftalt; fie hat das Gefiht von und abgewendet und ſchaut den 
Strom hinab. Gin feegrüner Schleier umhüllt die ganze Figur 
und weht um ihre Füße. Ihr reiches, blondes Haar flattert im 
Windes ein herrlich gewachfenes Weib! O fie muß fchön fein, Diele 
Zurley! — Ob fie wohl ein Herz hat, Fiſcher?“ Der fhaute ent 
feßt empor und antwortete: „Nein, nein, die hat fein Herz. Stopfen 
Sie Ihre Ohren zu und kommen Ste hinweg, fehen Sie ihr nicht 
in's Geſicht und fliehen Sie, eh' fie den Kopf herummwendet. Ja 


Vier Könige. 65 


freilich, follte Die Ste in Dies Thal gezogen haben und Eie wollten 
die kalte Nige an Ihr Herz drüden, fo find Sie gewiß verloren.“ 
Born Üübergebeugt fand der junge Mann, und die Strahlen der 
Abendfonne, welche ſich durch einen Felsſpalt ftahlen, beleuchteten 
ein freudig verflärtes Geſicht. Er hielt feine Hände emporgeftredt 
und fagte in gebrochenen Säpen zum Alten, der ihn bei der Hand 
ergriffen hatte: „Laßt mich, o laßt mich! feht dies reine fromme 
Gefiht! Ste hatreln Herz, fie muß eins haben! Und follte ich 
dort von dem Felfen berabftürzen, nachdem ich fie an meine Bruft 
gedrückt, ich nın hin zu ihr — führt mich hinüber!“ Der Fifcher 
trat einen Schritt zurüd. „Plagt Euch der Teufel?“ rief er, „Ihr 
wollt den Felfen hinauf zu der Zauberin, der verdbammten Hege! 
Seht einmal die Höhe an. Ob ein Theil Eures häbſchen Körpers 
wohl zufammenhäft, wenn Ihr da fopfüber berunterfommt? Ich 
bitte Euch, geht nicht!“ 

„Tief ift der Rhein, 

Doc tiefer die Pein, 

In meinen Herzen,” 
fang die Fee auf ihrem Felſen in lang gehaltenen, fchmerzlichen 
Tönen, fo daß das Laub aufzitterte und die Wellen des Strones 
ihr Beifall plätjcherten. „Hört Ihr!“ rief der junge Manz „fle 
bat ein Herz und fühlt in ihrem Herzen; fie tft traurig. Scifft 
mich über, Fiſcher, id) muß hinauf. Es tft das Herz, welches ich 
lange gefucht, id) fühle e8 durch dieſe Töne, welche meine Bruft 
erwärmen und mit unendlicher Glut erfüllen. Schifft mich über, 
oder ich -fpringe in den Fluß und verfuche an’d andere Ufer" zu 
fhwinmen.“ — „Gott im Himmel!“ ſprach der Fifcher, „fol denn 
die Here wieder ein Opfer haben! Laßt doch ab, junger Herr, bleibt 
bier. — So haltet doch in Teuſels Namen! ich will Euch fahren!“ 
Gr riß jenen am Arm zurüd, der fih eben anfchiete, in den Rhein 
zu ftürzen. Unter ftetem Fluchen, aber behende, machte der Fiicher 
das Boot 108, warf Ruder und Stange hinein, und die Beiden 
Hadländers Werke. VI, 5 


66 Bier Könige. 


fliegen in den Strom. „Wenn Ihr denn nun einmal in Euer 
Berderben rennen wollt, fo hört wenigftend von mir altem Mann 
einige Rathſchläge, die Euch vieleicht nügen können. Klettert vor: 
fihtig die Felfen hinauf und bereitet Euch, oben angelommen, dar: 
auf vor, von der Fee mit lautem Lachen und abwehrender Geberte 
empfangen zu werden, nicht mit lichenden Worten, wie ihr jegiger 
Lockgeſang; verliert dann in der Beftürzung über jolhen Willkomm 
nicht das Gleichgewicht, fondern tretet auf fie zu und ſprecht fie im 
Namen Gottes an, dann follt Ihr auch gleich die Zeufelin erken⸗ 
nen.” Sept fuhr das Boot in das Schilf am jenfeitigen fer, das 
fonderbar an den Wänden hinaufflüfterte. Der junge Mann fprang 
heraus und wollte in die Feljen, aber der Fifcher hielt ihn noch 
einen Augenblid zurüd, „So denkt daran, was ih Euch eben ge 
fagt. Wollt Ihr? ich will indeß zu Haus für Euch beten.” — 
„Sa, ja, ich werde fo thun,“ entgegnete Jener und eilte davon. 
„Warte nicht auf mich!” rief er noh von Weiten zurüd. „Ih 
rufe Holüber! wenn ich wieder herunterfomme.” — „Darauf 
werde ich lange warten,“ feufzte der Fifcher wehntüthig und arbeitete 
fid) wieder an’d andere Ufer; doch oft hielt er mit Rudern inne, 
und ſah am den immer dunkler werdenden Lurley⸗Felſen empor. 
Er hörte die Wafjerjungfrau fingen, -doch der Züngling war zii 
hen dem Gefträuc und den Baden verfchwunden. 

| Mehre Stunden lag der Fijcher auf feinem Lager in dem Hei: 
nen Häuschen und fonnte nicht fchlafen. Stets hatte er fein Ohr 
nad) einen Fenſter gerichtet, welches auf den Rhein ging, und im 
mer fürchtete er, einen jchweren Fall in’s Wafler zu hören. Jedes 
Rauchen des Windes jagte ihm geſchreckt empor. Da glaubte er 
plögfich am jenjeitigen Ufer ein lautes Nufen zu vernehmen. Raid 
fprang er auf und trat vor die Thüre der Hütte, und wirklid: 
„Holüber!“ erſcholl es klar und deutlich durch die ftille Nacht. Das 
Echo in den Zeljen ſprach es veruehmlich nach. Dem Fiſcher rollte 
ein Stein vom Herzen, ald er die Stimme feines jungen Gaſtes 








Bier Könige. 67 


etkannte. Gr eilte in’s Boot und ruderte mit aller Kraft hinüber. 
Eh’ er jedoch an's Land fprang und den jungen Mann einnahm, 
reichte er ihm die Hand, und nachdem er ‚gefühlt, diefelbe fei weich 
und warm wie früher, bewillfomnite ex ihn mit einem lauten: „Nun, 
gelobt fet Bott!“ denn der Fiſcher war ein vorfichtiger Mann; und 
dachte, wer weiß: ob ihn die Fee nicht erwürgt hat, und mir einen 
Iodten über den Hals ſchickt. In feiner Hütte angelonmen, bes 
flürmte er den jungen Mann mit taufend Fragen; ob er die Lurs 
ley gejehen, und wie es komme, daß fie ihm nichts zu leide gethan? 
Der erzählte: 

„Rachdem ih Euch verlaften, kletterte ich die Felſen hinauf, 
welche entjeglid, fteil und glatt find, Oft war mir, als jei es feis 
nem Menſchen möglich, den Gipfel zu erreichen, und ich ſtand ſtille. 
Dann aber fchien mir's wieder, als erfafle mich der Gefang der 
Jungfrau und hebe mich willenlos empor. So erreichte ich allmä⸗ 
lig die Spipe des Felſens und mich Eures Rathes erinnernd, drüdte 
ic meinen rechten Fuß zwiſchen eine Spalte, klammerte die Hände 
an einem Dornftrauch feit und fah mich um. Da fchlug ein gellens 
des Lachen an mein Ohr und fehüttelte frampfbaft meinen Körper, 
jo daß wenig fehlte, und ich wär’ troß meiner Stellung die Felſen 
hinabgeſtürzt; aber ich ftand feft und ſah der Tee, welche faum 
zwei Schritte vor mir faß, ruhig in's Auge O Fifcher! fie fit 
ſchön, dieſe Lurley! Hätteft du ihr. Geficht gefehen, weiß und fein 
wie Marmor! hr frifcher, rother Mund und das Ange, das ſchöne 
blaue Auge! Wie fie mich entfegt und erftaunt betrachtete, mich, 
der ich nun mit einem Sprunge an ihrer Seite war, hätteft du 
da die majeftätifche Geftalt gefehen, fo edel und voll, wie fie em» 
porfprang und davonſchwebte, eh’ ich e8 hindern konnte, und nur 
eine Ahnung davon hatte! Ich wollte den grünen Schleier fafien, 
welcher lang Hinter ihr drein flatterte, doch ich griff in die Luft 
und fie war verfchwunden.” — „Das ift ein feltfamed Abenteuer,“ 
jagte der Zifcher, „und Ihr könnt Gott danfen, daß Ihr noch fo 


Q 


68 Bier Könige. 


glücklich zurückgekommen feid. Aber ich Hoffe, Euch ift die Luft 
vergangen, nochmals da hinanfzuklettern. Glaubt mir, die Fee tft 
voller Ränke. Da Euch heute ihr Lachen nicht Hinabgeftärzt, wird fie 
fhon zu Eurem Verderben auf etwas Anderes finnen, wenn Ihr es 
noch einmal wagt, drum bleibt nur davon, fie hat Doch Fein Herz.” — 

„Sie hat ein Herz,” entgegnete der junge Mann, „fie muß 
ein liebendes Herz haben, und eh’ fie mir entſchwand, warf fie mir 
einen Bli zu, nicht zornig, aber ernft und unruhig. Sie fol mir 
Nede fteben, denn ih will die nächte Nacht wieder hinauf.“ — 
„Run,“ fagte der Fifcher, „Gott helfe Euch! Ihr rennt in Euer 
Berderben, legt Euch wenigſtens jept ein paar Stunden hin; es ift 
noch früh in der Nacht.” — — 

Kaum war am andern Abend. die Sonne biuter den Felien 


am Rhein verfchwunden und das Stromthal füllte fih mit blauen: 


Nebel, den Vorboten der Nacht, da fchlug der Fifcher, welcher fich 
mit feinem Boot am jenfeitigen Ufer befand, ein Kreuz auf feiner 
Bruft und fenfzte dabei tief. Denn die Lurley fang auf ihrem 
Felfen gar zu ſchön. Er hatte feinen jungen Freund hinüberge⸗ 
fahren, der fchon eine große Strede emporgellettert war. Bald 
ftand dieſer fill und athinete den Gefang der Zee ein, dann flieg 
er wieder vafch vorwärts. Aber ungefähr in der Mitte ded Berges 
feßte er fich einen Angenblid auf einen großen Stein und fchante 
rüdwärts in den grünen Rheinftron. Ihm war die Bruft fo wons 
nig voll und doch beengt. Da unten fuhr der Fifcher, fein alter 
Wirth, langſam nach Haufe, und hinter ihm bildete das durchſchnit⸗ 
tene Wafjer einen langen Silberftreif. Wie der junge Mann fidh 
wieder erhob, grüßte er mit der Hand hinunter und fagte unwill- 
fürlich leife: „Xeb’ wohl, auf ewig!“ Darauf klimmte er wieder rüs 
ftig zu und erreichte bald den Gipfel. 

Hier faß Lurley, die [höne Wafferjungfrau, und flocht zu 
ihrem Gefang and Wafjerrofen und Scilfblumen einen Kranz; kein 
wildes Lachen [hol dem Jüngling entgegen, fondern fie ſah ihn 


| 
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Bier Könige. 69 


halb freundlich mit den großen blauen Augen an und hörte auf 
zu fingen, als er fi mit glühendem Blicke neben fie fepte und 
ihren Schleier an die Lippen drüdte. „Was ftörft Du mich hier 
oben?“ fagte die Fee nach einer langen Pauſe. „Was erklimmſt 
du meinen Sig und wagit dein Leben dabei?“ — „Halt du mid 
nicht angezogen?” entgegnete fehüchtern der Jüngling. „Hat Dein 
Gefang nit nad einem Herzen gerufen, das dich verftünde? Und 
wage ich auch mein Leben, was ift es mir, wenn ich Damit deinen 
Anblick erkaufen kann?“ — „Das tft eure Thorheit, ihr Menfchen,“ 
ſprach die Jungfrau, daß ihr Alles auf euch bezieht. Ich finge 
zu meiner 2uft, ihr glaubt, e8 gelte euch, Eettert empor, und wenn 
ich dann über euch lache, ftürzt ihr hinab und feid todt. Dad fol 
dann Alles die arme Lurley gethbau haben.“ — „OD fage nicht,“ 
antwortete der Züngling, „daß du ohne Abficht deine Lieder er⸗ 
ſchallen ließeft, fage das nicht, es tft, eine Xeere in deiner Bruft, 
welche dich dazu antreibt, und mein ödes Herz hat did) verftanden, 
ed hat dich darum aufgefucht. Ic, irre ſchon lange in der Welt 
herum und verlange nach dir, ohne Dich zu kennen, und jept, wo 
ich Dich gefunden, laſſe ich dich nimmer. Sieb mich nicht fo Falt 
an. Lieber jenes entfegliche Lachen von geftern, ſtürzt es mich auf 
die Felfen hinab, dann wäre ic) vielleicht todt und ruhig!" — „Wer 
bift du denn?“ fragte die Jungfrau mit fehr weicher Stimme und 
beugte fi zu ihm, daß ihre Goldhaare fein weiches berührten. — 
„Erlaß mir die Antwort diefer Frage, fie könnte did, doch nicht 
befriedigen. Weiß ich denn wer du bit? Mir bift du ein boldes, 
ja ich fage es laut, ein geliebtes Weſen. D kann id dir das nicht 
auch fein?" — „Vielleicht ja,“ antwortete leife die Zurley, und 
drüdte ihm ihren Schilfkranz auf die Locken. „Ich könnte dir gut 
fein, wie nie Jemand, ich möchte mit dir koſen, aber ehe fage mir, 
was z0g dich zur Wafjerjungfrau? warum kommſt du wieder zu 
mir herauf, nachdem ich dich geftern mit meinem lauten Lachen 
abgeſchreckt? Warum wagteft du es, Dich neben mich zu feßen, 


70 Dier Könige. 


Fürchteteſt du nicht die Lurley?“ — „Rein, Jungfrau,” entgeanete 
der junge Mann, „ſchon geraume Zeit ftreife ich in der Welt um: 
her, und eine Stimme in meiner Bruft flüftert mir zu: ich folle 
ein Herz fuchen, welches für mich flüge, und nie hat die Stimme 
gefchwiegen, bis ich geftern Abend deinen wundervollen Gejang 
hörte und mir durch ein feliges Gefühl bei deinem Anblick kund 
ward, daß du es feieft, weiche ich geſucht. O du Haft auch ein 
Herz; Rurley? — „Ja,“ Lifpelte Die Waſſerfee und ein heller Glan; 
befebte ihr blaues Auge, „eines, welches heftig pocht und für dic, 
du ſeltſames Menſchenkind. Sch weiß nicht, wie mir ift; aber ich 
liebe dich plöglich mit der ganzen Kraft meiner Seele. Fühle, wie 
mein Herz Ichlägt.” Sie legte ihm ihren weißen Arm um den 
Hals, und wollte ihn an die wildathmende Bruft ziehen. Mit 
glühender Zärtlichkeit in dem Blick ftarrte fie der Jüngling felig 
an, und entzog ſich Doch fanft ihrer Umarmung. „Höre mid, Zur 
ley,“ fprach er, „dein Blut flammt, deine Hand zittert, aus deinem 
Weſen weht ein fprühendes Feuer, in das ich mich entzückt hinein- 
werfe und da verbrenne. Mich, die Müde, muß das ftrahlende 
Licht verzehren. Doc ehe ich in deinen Augen fterbe, fage mir 
Lebewohl, verfprich mir, mich nicht zu vergefien, gedenke zumeilen 
meiner.” — „Was fagft du da,” entgegnete die Jungfrau, und ihrem 
Auge entroften ein paar Thränen, die aber nicht wie Die der Men- 
[hen zu Boden fielen, fondern gleich von den Lüften gierig einge 
fogen wurden. „Fürchteſt du mich? Glaubt du, ich ſei ein treu 
loſes Weib und erdrojjele dich in meinen Armen? Was haben wir 
armen Nigen euch getban, dag ihr Menjchen uns verläumdet, und fo 
“ Hösartig und falfch darſtellt?“ — „Ach nein, Lurley,“ fagteer, „nidt 
Dich fürchte ich, fondern mein Schickſal; die Stimme in meiner 
Bruſt, von der ich vorhin ſprach, fagt mir beftimmt, fo bald das 
Herz, welches ich gefunden, alſo deins, Geltebte, an meiner Bruſt 
ſchlüge, würde ich fterben; doc welch feliger Tod!“ Gr faßte fie 
um den ſchlanken Leib und preßte einen glühenden Kuß auf ihre 








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Vier Könige. 71 


Lippen. „O du wirſt leben,“ flüſterte ſanft die Fee, und ſchmiegte 
ſich feſter an ihn, „leben ein ſeliges Leben.“ — „Nein, Mädchen, 
Geliebte,“ entgegnete er ſehr leiſe, „ich habe dein Herz gefunden; 
es ſchlägt laut und ſtürmiſch gegen meine Bruſt; darum ſterbe 
ich. O Lurley! wie iſt deine Bruſt ſo weiß, ſo leichenbleich! Wie 
blutet dein Herz, welches ich ſehe! Wo iſt dein liebes Auge, dein 
ſüßer Mund? Ich ſehe nichts als das rothe blendende Herz!“ — — 

Das war ein ſchrecklich ſchöner Augenblick. Die Waſſerjung⸗ 
frau ſank in die blauen Glockenblumen, welche ihren Sitz umſtan⸗ 
den. Ohnmacht umfing-ihre zerriſſenen Sinne; denn der Jüngling 
in ihren Armen war verfhwunden. Wie fie fchaudernd die Augen 
auffehlug, faß fie allein auf der Klippe des Felſens. Leicht ftrich 
der Wind durd das Stromthal und fpielte mit ihrem Haar. Aber 
zu ihren Füßen lag ein fonderbares Blatt, welches fie ahnungsvoll 
emporriß und betrachtete. Ja, es fchienen feine Züge zu fein, 
wenn auch veraltet und entftellt, oben und unten fand ein rothes 
Herz, ſeins und das ihrige. „Ein Zauber waltet bier,“ fprach 
ſchmerzvoll die Jungfrau, „ein böfer Zauber, aber ich will ihn 
löſen. Bin ich nicht Lurley, eine Fürftin des Wafjerreiches?* — — 

Sie ſchwebte dahin, die ſchöne Fee mit gebrochenem Herzen, 
— Drei Tage waren jeitdem vergangen und der alte Fifcher hatte 
feinen Freund vergebens erwartet. Als er auch am vierten nicht 
erfhien, feßte er an die Stelle, wo jener den Felſen erſtiegen, ein 
einfaches Kreuz, am welchem er Abends ein VBaterunfer betete und 
Jedem, der über den Rhein fuhr, erzählte er die Geſchichte von 
dem SZüngling, welcher bei der Lurley ein Herz gefucht und nicht 
zurüdgetomnen war. — — — — — — — — — — — — — 

Unter den vielen Sagen, welche am Ufer des Rheines im 
Munde des Volkes leben, iſt eine, welche mir immer beſonders gut 
gefallen hat. Es iſt die von einem todten Menſchen, der verdammt 
war, mit den Lebenden herumzuwandeln und nicht ruhen zu können. 
Das muß aber ein ſchreckliches Elend ſein. Was der Todte auch 


72 Vier Könige. 


fühlte und auf alle mögliche Weiſe die nuerträgliche Bürde des 
Lebens abzufhütteln verjuchte; er ging unverſehrt aus Flammen, 
ftürzte von himmelhohen Felſen herunter und that fich fein Leit. 
Da ſprang er eined Tages in den Nhein und ward auf der Erde 
nicht wieder geichen. Er ſank nämlich unter und fiel vor dem 
Kryftallpalafte nieder, in welchem die Beherrfcherin des Nheinftroms, 
die Königin Lilio, vefidirt. Diefe faß gerade unter ihren Jung: 
frauen und freute fib bei Spiel und Geſang. Weil nun Die 
Königin ein fo unfchuldvolles freundliches Ausfehen hatte, faßte 
fi der todte Menfch ein Herz, umfchlang ihre Füße, indem er 
feine traurige Gefchichte erzählte. Lilio ward gerührt und berietb 
fi) mit ihrem Geheimerath, einem Doctor vom Laacher See, der 
jehr gelehrt war, wie dem Unglüdlichen zu helfen fei, wie man 
ihm Ruhe geben könne, ohne der höheren Beitimmung, die ihn 
zum Umberwandern verdammt, entgegen zu wirken. Der Doctor, 
fo viel er auch ftudirt hatte, wußte bier nicht zu helfen, biö die 
Königin, welche ein Frauenzimmer war, etwas erdachte, wodurd 
fie jogar das Schickſal überliftete. Der Duft der Waflerrofen fenkte 
den Armen in einen tiefen erquidenden Schlaf. Gr lag fo weid 
auf kühlem Moofe in einem Gewölbe von grünem Kryftall und die 
Königin fprach zum Doctor von Laach: Doctor, fteigen Sie auf 
die Erde und fuchen Sie da irgend einen Schriftiteller, dem es 
augenblidtiih an Stoff zu einem Phantafieftüde mangelt und ber 
doch gern etwas fihreiben möchte. Flüſtern Sie ihm, wenn er 
Ihläft oder träumt, die Geſchichte des todten Menfchen in’s Chr 
amd treiben ihn beftändig an, diefelbe niederzufchreiben. Sie ver 
ftehen mid. Alsdann wandert jener, wenn aud nur auf Druds 
papier, über die Erde und kann Doch bier unten ruhig jehlafen.“ 
Die Königin hatte ein fo ſchönes mitleidiges Herz. 
Aber der Doctor von Laach tauchte aus dem Nheine und legte 
id) an mein Ohr, und flüfterte mir, was ich bier mitgetheilt, 
Zag und Nacht zu. Wollt’ id an etwas Anderem arbeiten, mein 





Bier Könige 23 


Wille half nichts. Ich war von einem Waffergeifte beſeſſen und 
mußte jchreiben, was er befahl. Deßhalb waſche ich über die 
etwaigen Fehler in meiner Gefchichte vom todten Menfchen und 
den vier Königen meine Hände in Unfchuld und fchiebe Alles auf 
den Geheimen Rath der Königin Lilio. 

In der vergangenen Nacht, nachden ich noch ſpät die legten 
Seiten gefchrieben, erjchien er mir wieder und bedankte fich mit 
einer tiefen Berbeugung. „Aber, Theueriter,” fprach ich im Schlaf, 
„was iſt denn aus den vier Königen geworden ?" Gr antwortete 
lächelnd : „Ihre Majeität, unfere Iuftige Königin, hat fie in ihren 
Hofitaat aufgenommen. Sie verlangen nicht zurüd auf die Erde, 
der Herr von Editein hat dem Prinzen Pips den Spaß in der 
Kneipe zum ftillen Bergnügen vergeben und trinkt entweder 
mit ihm und dem Fürften von der Mofel und den Grafen von 
Walportöheim in einer Laube von Kruftall und Lotusblumen, oder 
fie gehen zujaınmen auf die Jagd.” — 

„Und was macht Treff-König?“ fragte ich. 

„Der todt mit feiner Tänzerin, die nach ihrem Tode eine 
blaue LXibele ward, und auf den Flächen des Rheins umher 
ſchwebte; jept ift fie Hofdame bei Ihrer Majeftät,“ 

„And PiquesKönig ?“ 

„Der fteigt jeden Abend auf die Erde und wandelt in einem 
Garten, welcher nahe an Ihre Wohnung ftößt, und plaudert hier 
mit einer weißen Lilie. Sie war, ehe ſie ftarb, ein hübſches Mäd⸗ 
hen und liebte ihn. Sit fie ald Blume verbläht, fo folgt fie dem 
König nach unferem ſchönen Reiche.“ 

„Aber Herz. König ?" 

„Der ruht in dem Arme der ſchönen Lurley, Sie küßt ihn 
und fingt :“ 

„Der Rhein ift tief und weit, 
Doc, größer die Seligfeit 
In meinem Herzen.“ 


— —— — 


 Herbfivergnügen. 


— — 


Der Kanzleiaffiftent Wetterſtuck war auf feinem Bureau ein 
äußerſt thätiger und fleißiger Arbeiter. Er affiftirte von Morgens 
acht bis zwölf und Nachmittags von zwei bis ſechs Uhr, auch wohl 
nur bis Halb ſechs Uhr, wenn ein warner freundlicher Sonnenschein | 
ihn früher von dannen zog. Er war Referent in Bau⸗ und Wirth: 
Ihaftsfachen und Afleinherrfcher in feinem Stübchen im dritten 
Stod, bevor er den großen Gedanken faßte, ſich zu verheirathen. 
Aber der Herr Kanzletajjiftent Hatte es fehr viel früher zu einer 
Frau und zwei hoffnungsvollen Sprößlingen gebracht, als zum 
Seftetär. Er war ein barnılofer ftiller Geſchäftsmann und Fami⸗ 
ltenvater, dem Wirthshausleben, dad er faſt nur aus feinen Refe⸗ 
taten kannte, verfchiedener Umftände wegen abhold. Gr Hatte in 
feinen Freiftunden eine einzige Erholung, ein einziges Vergnügen, 
ein großes Blumenbrett vor den Fenftern feiner Wohnung, auf 
welchem Geranien und Kapuziner, Balfaminen und Refeden Tuftig 
wuchjen und von feiner Hand forgfältig gepflegt wurden. Der 
Kanzleiaffiftent war eine poetifche Natur, nnd wenn er feine lange 
Nafe zwifchen die Blumen Hineinftedte, konnte er allerlei fchöne 
Gedanken Haben und mochte fi) einbilden, er wandfe in einem 
großen zierlihen Blumengarten, — ein fchöner Traum, dem er forg- 








Herbitvergnügen. 5 


fältig ausmalte und wodurch der erfte Gedanke in ihm rege wurde, 
ob es denn nicht möglich wäre, fich einmal in den Befig eines klei⸗ 
nen Stücks Gartenland zu feßen und fo feine Träume verwirklicht 
zu ſehen. — Madame Wetterſtuck belächelte diefen Gedanken und 

"tegte ihn ad acta neben die eigenen Wünſche, welche in einer grös 
Beren Wohnung, eleganterem Küchengefchirr und einem Sopha mit 
rothem Plüſch beitanden. 

Da geſchah es, daß der Kanzleiaſſiſtent eine Erbſchaft machte, 
eine Erbſchaft, beftchend in fechöhundert Gulden baaren Geldes. Und 
als er mit diefem Gelde nach Haufe ging und die fchwergefüllten Rod» 
tafhen fo angenehm gegen feine dünnen Gefchäftsbeine fchlugen, 
da flieg neben ihm riefengroß der Verſucher auf, ließ nicht ab von 
ihm und verfolgte ihn durch die Straßen der Stadt bis zu feiner 
Wohnung. Der Verfucher zeigte ihm eine Beilage des Tagblatts 
und wies mit grühenden Finger auf mehrere Anzeigen, in denen 
feine Gärten und allerlei Zand zum Berlauf ausgeboten wurden. 
Der Kanzletaffiltent fam nad Haufe, entzüdt, verwirrt, nad) Athem 
ſchnappend, padte feine Rollen aus der Tafche, legte fie auf den 
Tifh und murmelte dabei leife: „einen Garten, ich will einen 
Garten faufen !“ wiederholte das immer lauter, und fchrie zulept 
mit der vollen Kraft feiner Lunge: „ja, einen Garten, ich will einen 
Sarten kaufen !” Er that das, um fih felbft Muth zu machen und 
feften Auges der Madame Wetterſtuck begegnen zu können, welche 
ibn halb zornig, halb lächelnd anfab. 

Nachdem der Glüdliche etwas zu Athem gelommen war und 
das Geld mehreremale gezählt hatte, fing er an alles Ernftes feinen 
Entſchluß kund zu thun, der in nichts Geringerem beitand, ala 
daß er wirklich einen Garten faufen wolle. Es gibt Punkte, wo 
das fanftmüthigite, folgfamfte Geſchöpf plöglich widerjpenftig wird, 
auf fein Zureden mehr achtet und geradeans rennt, ohne links und 
rechts zu jehen. So der Kanzleiaſſiſtent. Gr fand mit dem Gedanken 
an einen Garten auf, er ging mit Diefem Gedanken zu Bette; er 


* 





60 Bier Könige. 


Fünftes Kapitel. 
Die Lurley. 


Wenn man den Rhein befährt, fo kommt man zwifchen Cob- 
lenz und Mainz zuweilen an Stellen, wo man glaubt, bier ende 
der Lauf des Stromes, oder irgend ein nedifcher Zauber habe den 
Steuermann geblendet und das Schiff durd eine Seitenftraße in 
einen itillen, rings von Felſen eingefchlofienen See geführt, wo es 
feftgebannt manch Jahrhundert Tiegen müſſe. Wenige Fuß vor 
dem Kiel heben ſich gewaltige Steinmafjen, zwifchen denen fein 


Fiſch einen Ausgang fände, und während man dennoch mit großer 


Zollfühnheit auf diefe Rieſenmauern losftürmt, fchließt ſich allmä— 
lig die Straße, zu der man hereingefahren; man ift gefangen, 


von allen Seiten mit fteilen Bergen umgeben, in einer großen 


fteinernen Falle. Doc bat dieſe momentane Gefangenfchaft nichts 
Unheimltiches, abgefehen davon, daß man weiß, die Berge find nur 
wie Couliſſen vor einander gefhoben und laſſen genugfam Platz 
zum Gntlommen; man fühlt fih nicht beengt, man iſt gerührt von 
der Theilnahme der Berge, die fich die Hände reichen und Tachend 
um den gefangenen Menjchen einen Reihentanz bilden, ihn eine 
furze Zeit in ihrer Mitte zu halten. Ste geben auf freundliches 
Anrufen mit tiefer, wohlflingender Stimme Antwort, und die grün: 
lichen Wellen, welche die triefenden Steinzaden umfpielen, rufen 
mit leiſer Stimme: „Da bleiben! da bleiben!“ 

Der fhönfte, aber auch zugleich gefährlichite diefer Punkte ift 
unterhalb Bingen, wo der dunfelgrüne, ſteil emporftrebende Zurleys 
felfen tie eine Seite eines folchen ftillen Sees bildet. Hier ſchei⸗ 
nen von einer Seite ded Rheind zur andern unfihtbare Ketten zu 
bangen, welhe Mann und Schiff zurüdzuhalten ftreben. Hier 
‘rbeitet felbft die Mafchine des Dampfbootes mit Ängftlicher Ans 


Bier Könige, 61 


firengung, um nur recht bald aus diefem zauberiichen Bergkeſſel 
zu kommen. Hier fpringen die Wellen zutraulich an’d Schiff und 
erzählen laut und öffentlich von den wunderfchönen Tänzen, welche 
die Elfen im Mondfchein aufführen, von der Schönheit der Köni⸗ 
gin Lilio und ihren Jungfrauen, wie fie die Menſchen lieben, bes 
fonders die Jünglinge mit blonden Haaren und blauen Augen. O 
ed find gefährliche Wefen, dieſe Wellen! Man möchte fo gern, 
durch ihr Flüftern verführt, aus dem Boot in das Waſſer [pringen 
und an die dunfeln Felſen fchwimmen, in die Arme einer ſchönen 
Nymphe, die auf dem grünen Raſen rubt, den Kopf mit gefchlof- 
fenen Augen zurüdgebogen, und ihren rothen Mund küſſen, der 
ſchelmiſch lachend die weißen Perlenzähne zeigt. 

Hier fchlägt zuweilen ein feltfamer, wundervoller Gefang an 
das Ohr manches Reifenden, und lärmte der Dampf noch fo ſtark, 
und bemühte man fich noch fo fehr, die Aufmerkſamkeit auf etwas 
Anderes zu richten, vergebens! in's Innerſte des Herzens dringen 
die Klänge, welche man vernimmt und von denen man nicht weiß, 
woher fie fommen. Wehe befonders dem, der traurig iſt, dem viel 
Leicht eine unglüdliche Liebe die Bruft zerreißt. Hier hört er vers 
wandte Töne anjchlagen, Dort in dem Feljen kennt man fein Leid 
und will ihn tröften. 


Tief ift der Rhein, 
Doc tiefer die Pein 
In meinem Herzen. 


So fingt es, und das thut die Lurley, die hoch auf dem Felſen 
fit und ihr fchönes gofldened Haar kämmt. Darum falle den Maft, 
wer diefen Gefang hört und verfteht, daß er ihn nicht hinabziehe 
in die Fluthen des Nheind und verderbe! 

Nicht jeder, der den Strom befährt, fieht die Lurley und Hört 
ihr Klagen. Ich habe viele reijende Kaufleute gefprochen, welche 
mehr als bundertmal diefen Weg gemacht hatten, und die ganze 


78 Herbfivergnügen. 


nung, aber gehörte ihm dieſer Grund nicht tief hinab bis zum 
Mittelpuntte der Erde, wo er vielleidit an das Eigenthum eines 
chineſiſchen Gartennachbars ftieß ? Gehörten ihm nicht die mutb- 
maßlichen Koblens und Boldbergwerke, die da. unten lagen, und 
war er auf diefe Art nicht ein mächtiger, reicher Mann ? Und wie 
ſchmeckte die eigene Luſt, die er bier oben einathmete, fo gut! 

Nun fing aber, wie gejagt, der Kanzleiaffiftent eine neue Le 
benöweife an und der aufiteigenden Sonne erfter Strahl begrüßte 
ihn, wenn er zum Garten hinaufflieg, und nach gethaner Arbeit 
auf dem Bureau war er wieder oben, und Abends winfte ihm die 
fintende Sonne auf Wieberfehen bis Morgen früh; denn die Beiden, 
die Sonne und Herr Wetterftud, fehlten felten im Garten, die Eine 
nur, wenn fie neidifche Wollen verbargen, der andere, wenn er zu 
Haufe eine dringende Schreiberei zu beforgen hatte. Bald waren 
droben die IUmzännungen ausgebeſſert und mit flarfen Nägeln, die 
ihre Spigen in die Höhe ftredten, befchlagen, auch ein neues Thor 
wurde bergeftellt und vom Befiger eigenhändig mit hell grasgrüner 
Farbe angeftrichen 5; das Gartenhaus ließ man neu tapeziren und 
die Wege wurden mit blauen Leberkies befahren. Nach dem Bars 
tenbuch beſchnitt man die Bäume, pflanzte Salat, Grünes für die 
Küche und Kartoffeln, und Sonntag Nachmittags trank die glüd- 
lihe Familie ihren Kaffee in der Anlage am ſteinernen Tifh. — 
Hier nun wurde eines Tages über einen Namen für die Befigung 
geftritten.. Der Sohn des Haufes, ein bleiher Gumnafift von 
ſechszehn Juhren, der fehr viel euglifhe Romane las, ſchlug hiezu 
„Wetterſtuckhaus“ vor; Papa meinte „Tannenruhe” wäre nicht fo 
übel, und nach langen Hin- und Herreden ließ jede Partei von 
ihrem Vorſchlag etwas nad und man nannte den Gärten, „Belters 
ſtuckruhe.“ 

Da kam der große Moment, daß der Ranzteiaffftent Wetter⸗ 
ſtuck von der Regierung zum Sekretär ernannt wurde. Er nahm 
liſtig lächelnd die Gratulationen hin und trat eines Tags im Fa—⸗ 








Herbfivergnügen. 79 


milienfreis mit der Behauptung hervor, er verdanke dieſe unerwar⸗ 
tete Beförderung eigentlich ſeinem Garten. „Die Regierung unſeres 
Landes,“ ſprach er, „welche ſich der Kultivirung des Bodens außer⸗ 
ordentlich annimmt, hat von meiner Beſitzung gehört und hat 
unbeſtreitbar die Abſicht, mich durch dieſe Ernennung zu weitern 
landwirthſchaftlichen Bemühungen zu ermuntern.“ Seit dieſem Aus 
genblick, mit welchem der neue Sekretär auch in den Genuß eines 
größern Gehaltes trat, hegte er große Entwürfe zur Verſchönerung 
von Wetterſtuckruhe. Er verbeſſerte ſein Grundſtück, beſchäftigte 
ſich ſehr mit der Seele der Landwirthſchaft und erbaute in ſeinem 
Garten ein neues, ſehr nothwendiges Gebäude, um einem längft 
gefühlten dringenden Bedürfniß abzuhelfen. 

Es befand ſich Hinter der Anlage in Wetterfindruhe ein wüs 
fter Plag, wo Steine und Unkraut bingeworfen wurden. Der F 
Danke, Diefem led ebenfalls eine angenehme Seite abzugewinntn, 
befchäftfgte längere Zeit den Befißer; endlich war er mit fich im 
Klaren und bat Madame Wetterſtuck und Tochter recht dringend, 
in den nächften acht Zagen den Garten nicht zu befuchen, um ſich 
von den neuen großartigen Arrangements überrafchen zu lafien. 
Der Sekretär beabſichtigte nämlich nichts mehr und nichts weniger, 
als Dort einen Heinen Hügel zu errichten. Zu dieſem Ende gab er 
fih mit feinem Sohne, dem Gymnafiiten, die unfägliche Mühe und 
fchleppte aud der ganzen Umgegend Steine und Erde herbei, freund- 
liche Nachbarn halfen ihm, und bald erhob ſich der Heine Hügel 
hinter der Anlage und beherrichte in der folgen Höhe von mehreren 
Schuhen vellftändig die umliegenden Gärten, Oben war ein Plaß 
für zwei nicht allzuftarke Perſonen, zu weldhem ein gefchlungener 
Fußweg in det Breite von einem ſtarken Fuß vom fleineren Tifche 
aus bihanfführte. Die Ueberrafhung von Madame Wetterftud 
und Tochter, als fie wieder hinauftamen, läßt fich nicht befchreiben. 
Zeptere behauptete, es gebe zum Lefen feinen berrlicheren Plaß, der 
Blick ſchweife fo prächtig aus den engen Grenzen des Buchs hinaus 


80 Herbſtvergnügen. 


in die weite Gegend, und ſie machte gleich den Verſuch, indem ſie 
einen Stuhl auf den Hügel ſtellte und einen Spindler'ſchen Roman 
vornahm. Indeſſen wurde während des Leſens der Stuhl immer 
niedriger, und als bei der Gntwidlung der Geichichte der Held der 
Heldin vor dem Altare die Hand reichte und Beide in glückliche 
räume der Zukunft verlaufen, war Fräulein Wetterſtuck ebenfalls 
verfunfen und aus dem Iodern Gröreich des Hügeld von Wetterftud: 
ruhe ragte eben noch der Sig des Stuhles fihtbar hervor. Die 
fen Vebelftand half der forgfame Vater des andern Tags ſogleich 
ab, indem er Heine Steine auf dem Hügel flampfte und dann eine 
Rage Leberkies darauf ausbreitete. | 

Die Frau Sekretärin Wetterſtuck hatte fi feit der Erhebung 

ihres Gemahls ebenfall® mit Hochfliegenden Planen beichäftigt, 

Iche in nichts Seringerem beftanden als in einer Kaffeegefellfchaft, 
welche fie einigen Damen ihrer Befanntfchaft zu geben beabfichtigte. 
Da aber ihre Wohnung fehr befchränft war, auch ihr neuer Rang 
ed ihr zur Pflicht machte, in der Auswahl forgfältig zu fein, fo 
befhloß fie, nur die Frauen von ein paar andern Sefretären zu 
bitten; um aber dem Ganzen wirflihen Glanz zu geben, follte auch 
die Frau Kanzleiräthin erſucht werden, den Kaffee mit ihrer Gegen: 
wart zu verherrlihen. Die Frau Kanzleiräthin war eine heitere, 
gutmüthige Fran und hatte gerade nicht mehr Stolz, als der Ge 
mahlin eined Beamten der fiebenten Rangklaffe zukommt. Die Fran 
Sekretärin Wetterſtuck war freilich in der achten Klafje und rangirte 
demgemäß mit dem Hüttenverwalter und Poftmeiiter, dagegen war 
er, der Sekretär, Gartenbefiger und ein fleißiger, geſchickter Beam⸗ 
ter; dies alles wohl erwogen, entichloß ſich die Kanzleiräthin, die 
Einladung anzunehmen. 

Als eine Danıe, die Nüancen zu machen verftand, fam die Frau 
Kanzleiräthin nicht in ihrem Kaffeegewand für höhere Kreiſe, einem 
Kleide von fchwarzer Seide, fondern erſchien in einem hellbraunen 
Merinoüberrod, in welchem fie auch in die Kirche ging, als an 


Herbftvergnügelt. 81 


einen Ort, wo man ſehr gemiſchte Geſellſchaft antrifft. Der Kaffee 
ging übrigens glanzvoll vorüber; auf dem Tiſche war eine graue 
Damaſtdecke ausgebreitet, dad Getränke wurde in neuen Taſſen 
präfentirt und die filbernen Löffel waren and dem rothen Saffians 
fäftchen genommen, wo fie das ganze Jahr über verwahrt lagen. 
Sekretär Wetterftud empfing die Kanzleiräthin im ſchwarzen rad 
und weißer Halöbinde und ging dann in feinen Garten, 

“ Unterwegs aber hatte er allerhand fonderbare Ideen, So fehr 
er fih durch die Anwefenheit der Kanzleiräthin geſchmeichelt fühlte, 
fo war ed ihm doc nicht vecht, dag die Damen feiner frühern Kol: 
fegen beim Kaffee fehlten, und er fann hin und ber, wie es bei 
feiner beſchränkten Wohnung möglich zu machen fei, einmal mehr 
Säfte einzuladen, vor allen natürlich feine frühern Collegen. Sollte 
aber nicht gar fein unmittelbarer Chef, der Kanzleirath, eine Eins 
fadung annehmen? Wo aber ein größeres Lokal hernchmen? Diefe 
Schwierigkeit machte ihm viel zu fchaffen, als er plöglich an einem 
Heinen Spezerelladen die Worte las: „Herbſtfeuerwerk.“ Da ging 
ihm ein helles Licht auf und er faßte den verwegenen Gedanken, in 
feinem Garten einen Herbft zu veranftalten. 

Des Sommers Pracht und Herrlichkeit war vergangen und 
lebte nur nod) in der Erinnerung und in einigen großen Sonnen» 
blumen fort, die aber auch ſchon melandyoliich ihre gelben Blätter 
fallen ließen. Der Wind fehüttelte dad Obſt von den Bäumen und 
die Landſchaft war herrlich bunt gefärbt. Die wilden Neben am 
Gartenhanfe auf Wetterftudruh färbten fih hellroth und nahmen 
fi) zierlich auf dem dunkeln Dache aus, der Vögel Lied war ver- 
ftummt, nur eine dide Amfel huſchte noch melandpolifc durch das 
Gefträud, die matten Fliegen lebten an der Wand, und in den 
verrätherifch warmen Sonnenftrahlen des Herbftnachmittags verfuchte 
eine übriggebliebene Heufchrede einen letzten verzweifelten Sprung; 
das fah aber aus, wie ein gänzlich verunglüdter fchlechter Spaß; 


die arme Heufchrede fühlte das auch, und ihr tlaglhee Zirpen 
Hallinders Werke. VI, 


76 Herbitvergnügen. 


nahm die Blumen vor den Fenfter hinweg nnd entfernte das Breit, 
das ihm lange Jahre treu gedient, wobei er till Lächelnd fagte: 
wir brauchen das bald nicht mehr. Ja er wäre abgemagert, wenn 
das möglich geweſen wäre, aus lauter Sehnſucht nad) einem Garten. 

Endlich war der Widerftand der Madame Wetterſtuck befiegt. 
Man theilte das Geld in gleiche Hälften ; dreihundert Gulden wur: 
den dem Kanzleiaffiftenten bewilligt, um einen Garten zu faufen, 
und für die andern dreihundert jollten äußerſt nothwendige neue 
Anfchaffungen gemacht werden ; Doch gelang ed dem Herrn dei 
Haufes, nach verzweifelter Gegenwehr feiner Frau, derſelben nod 
vierzig Gulden zur Berichönerung des zu kaufenden Gartens zu 
entreißen. Eine Zeitlang ſchwankte das fonft jo ruhige, jetzt aus 
dem Gleichgewicht gebradıte Leben der Familie Wetterſtuck bin und 
her; aber nicht lange, fo geftand die Frau Affiftentin mit einem 
gewifien Stolze, es fet auch nicht jo übel, Gartenbefigerin zu fein, 
und weldye Genugthuung, vor den Obren der Sekretärin und Kan 
leiräthin von ihrem Gute ſprechen zu können! Herr Wetteritud 
feinerjeits jühnte fih mit der Anfhaffung des rothen Plüſchſophas 
aus und pflegte auf dem Bureau zu fagen: ein Garten fei eine 
fhöne Sache, doc fet e8 nothwendig, wenn man müde gearbeitet 
aus demfelben nad) Haufe fomme, dort bequeme Sipgelegenheit zu 
finden. Er ließ damit den Bureaudiener, die andern Affiftenten, 
ja fogar den Sekretär merken, daß er im Begriffe fei, zugleich 
Eigenthümer eines Gartens und Befiger eined Sophas von rothem 
Plüfch zu werden, 

Die Anſchaffung des Gartens foftete der Familie Wetterſtuck 
außer dem Kaufſchilling eine große Schuhmacherrechnung. Mehrere 
Monate wurde kein Grundſtück in der Zeitung ausgeboten, das die 
Wetterſtuckſche Familie nicht in pleno beſucht hätte, Endlich wa, 
ven zwei Gärten in Vorſchlag gebraht und die Wahl zwifchen 
beiden ſchwankte mehrere Tage. Man fprach dafür und dawider, 
die Borzüge des einen, wie des andern wurden von allen Seiten 


. 


⸗ — — — —— — 








Herbitvergnkgen. 77 


betradhtet und geprüft. Jedes ber beiden Gartenftüde war etwa 
dreiviertel Morgen groß, jedes follte 280 Gulden koften und jedes 
war zum Nuben und Vergnügen angelegt, das heißt, jedes hatte 
ein Kartoffelfeld, einige Dupend Stachel» und Johannisbeerfträude, 
ein paar Obitbäume und Weinftöde, fowie ein paar KAngelafazien 
und einen Fleck, wo einige Monatrofen, Kapuziner und Reſeden 
wucherten. Sehr verfchieden aber waren die beiden Srunditüde 
durch thre Lage; das eine befand fich in der Tiefe des Thale, „ein 
trauliches, Tiebliches Plägchen,“ pflegte Madame Wetterſtuck zu 
jagen, das andere auf der Bergeöhöhe, „wo der Hauch der Grüfte,“ 
fo ſprach der Kanzleiaffiftent, „nicht hinaufdringen konnte.” Die 
männlichen Mitglieder der Familie waren für den Berg, die weibs 
lichen für „des Thales murmelnden Quell;“ denn im Garten 
drunten ftand eine alte roftige Pumpe, anf der Höhe dagegen befand 
fi ein Meines Tannengebüfch ; welches der biöherige Befiger „die 
Anlage” zu nennen pflegte und in deren Mitte ein fleinerner Tiſch 
und eine eben folhe Bank ftanden. Nachdem die Befiker der 
Grundſtücke endlich erflärt, fie ſeien des Znwartens müte, behielt 
in der Familie Wetterſtuck die Bergpartei, unterftügt vom Haus— 
arzte, der für den Kanzleiaffiitenten Bewegung ſehr notbwendig 
erachtete, die Dberhand. Der Garten auf dem Berg wurde ange 
fauft und in der Lebensweiſe des Familienvaters trat von da an 
“ eine große Veränderung ein. \ 
Lapt uns fchweigen von dem erften feligen Moment, als der 
Kanzletaffiitent an einem fchönen Sommermorgen da oben faß, 
behaglich vor dem fleinernen Tifh, auf dem der Kaufbrief lag, 
und er feinen freudetrunfenen Blick hinabſchweifen ließ in das 
wirklich fchöne Ihal. Er war Eigenthümer, er war Grundbefiper ! 
Ber den frohen Widerhafl diefer bedeutungsvollen Worte im eigenen 
Herzen noch nicht gehört, weiß nicht, was das fagen will. Wie 
geſagt, Herr Wetterfiud war ein Mann von Phantafie; ihm gehörte 
der Grund, auf welchem er fand, freilich in fehr mäßiger Ausdeh— 


78 Herbfivergnäügen. 


nung, aber gehörte ihm diefer Grund nicht tief hinab bis zum 
Mittelpuntte der Erde, wo er vielleidht an das Eigenthum einer 
chineſiſchen Gartennachbars ſtieß? Gehörten ihm nicht Die muth- 
maßlichen Kohlen» und Goldbergwerke, die da. unten Tagen, und 
war er auf diefe Art nicht ein mächtiger, reicher Mann ? Und wie 
Ihmedte die eigene Luft, die er bier oben einatbmete, fo gut! 

Nun fing aber, wie gefagt, der Kanzleiaffiftent eine neue Le⸗ 
bensweife an und der aufiteigenden Sonne erſter Strahl begrüßte 
ihn, wenn er zum Garten binaufftieg, und nach gethaner Arbeit 
auf dem Bureau war er wieder oben, und Abends winkte ihm die 
fintende Sonne auf Wiederſehen bis Morgen früh ; denn die Beiden, 
die Sonne und Herr Wetterſtuck, fehlten felten im Garten, bie Eine 
nur, wenn fie neldifche Wolfen verbargen, der andere, wenn er zu 
Haufe eine dringende Schreiberei zu beforgen hatte. Bald waren 
droben die Umzännungen audgebeflert und mit flarfen Nägeln, die 
ihre Spigen in die Höhe ftrediten, befchlagen, aud ein neues Thor 
wurde hergeftellt und vom Befiger eigenhändig mit Hell gradgrüner 
Farbe angeftrichen ; das Gartenhaus ließ man neu tapeziren und 
die Wege wurden mit blauem Leberkies befahren. Nah dem Gar: 
tenbuch beſchnitt man die Bäume, pflanzte Salat, Grünes für die 
Küche und Kartoffeln, und Sonntag Nadymittagd trank die glüd- 
lihe Familie ihren Kaffee in der Anlage am fleinernen Tiſch. — 
Hier nun wurde eined Tages über einen Namen für Die Befigung | 
geftritten. Der Sohn des Haufes, ein bleiher Gymnaſiſt von 
ſechszehn Jahren, der fehr viel englifhe Romane las, ſchlug hiezu 
„Wetterftudhaus“ vor; Papa meinte „Tannenruhe” wäre nicht fo 
übel, und nad langem Hin= und Herreden ließ jede Partei von 
ihrem Vorſchlag etwas nah und man nannte den Gärten „Better: 
ſtuckruhe.“ 

Da kam der große Moment, daß der Kanleiafſiſtent Wetter⸗ 
ſtuck von der Regierung zum Sekretär ernannt wurde. Er nahm 
liſtig lächelnd die Gratulationen hin und trat eines Tags im Fa— 





Herbftvergnügen. 79 


milienfreid mit der Behauptung hervor, er verdanfe dieſe unerwars 
tete Befdrderung eigentlidy feinem Garten. „Die Regierung unferes 
Landes,” fprach er, „welche fih der Kultivirung des Bodens außer: 
ordentlich annimmt, bat von meiner Befigung gehört und Hat 
unbeftreitbar die Abficht, mich durch dieſe Ernennung zu weitern 
landwirtbfchaftlihen Bemühungen zu ermuntern.“ Seit diefem Aus 
genblid, mit welchem der neue Sefretär auch in den Genuß eines 
größern Gehaltes trat, hegte er große Entwürfe zur Verfchöncrung 
von Wetterftudruhe. Gr verbefjerte fein Grundſtück, befchäftigte 
fich fehr mit der Seele der Landwirthfchaft und erbaute in feinen 
Garten ein neues, fehr nothwendiges Gebäude, um einem längft 
gefühlten dringenden Bedürfniß abzubelfen. 

65 befand fih hinter der Anlage in Wetterftudrube ein wüs 
fter Plaß, wo Steine und Unkraut hingeworfen wurden. Der F 
danken, dieſem Fleck ebenfalls eine angenehme Seite abzugewinnen, 
befchäfttgte längere Zeit den Befiper; endlich war er mit fich im 
Klaren und bat Madame Wetterfiud und Tochter recht dringend, 
in den nächlten acht Tagen den Garten nicht zu befuhen, um fich 
von den neuen großartigen Arrangements überrafchen zu lafien. 
Der Sekretär beabfihtigte nämlich nichts mehr und nichts weniger, 
als Dort einen kleinen Hügel zu errichten. Zu diefem Eude gab er 
fih mit feinem Sohne, dem Gymmnafiiten, die unfägliche Mühe und 
fhleppte aus der ganzen Umgegend Steine und Erde herbei, freund 
lihe Nachbarn halfen ihm, und bald erhob fich der Beine Hügel 
hinter der Anlage und beberrjchte in der ftolzen Höhe von mehreren 
Schuhen vellftäudig die umliegenden Gärten. Oben war ein Plaß 
für zwei nicht allzuſtarke Perfonen, zu welchem ein geichlungener 
Fußweg in det Breite von einem ftarken Fuß vom fleineren Zifche 
aus hinaufführte. Die Ueberrafhung von. Madame Wetterftud 
und Tochter, als fie wieder hinaufkamen, läßt fich nicht befchreiben. 
Zeptere behauptete, es gebe zum Leſen feinen berrlicheren Plag, der 
Blick fchweife fo prächtig aus den engen Grenzen des Buchs hinaus 


80 Herbfivergnfgen. 


in die weite Gegend, und fie machte gfeich den Verſuch, indem fie 
einen Stuhl auf den Hügel ftellte und einen Spindler'ihen Roman 
vornahm. Indeſſen wurde während Des Leſens der Stuhl immer 
niedriger, und ala bei der Entwicklung der Gefchichte der Held der 
Heldin vor dem Altare die Hand reichte und Beide in glückliche 
Träume der Zukunft verfanken, war Fräulein Wetterftud ebenfalls 
verſunken und aus dem lockern Erdreich ded Hügels von Wetterftud: 
ruhe ragte eben noch der Sitz des Stuhles fihtbar hervor. Die 
fen Mebelftand half der ſorgſame Vater ded andern Tags fogleid 
ab, indem er Meine Steine anf dem Hügel flampfte und dann eine 
Lage Leberkies darauf ausbreitete. | 

Die Frau Sekretärin Wetterftud hatte fich feit der Erhebung 
ihres Gemahls ebenfalld mit Huchfliegenden Planen beichäftigt, 
Wi in nicht Geringerem beftanden als in einer Kaffcegefellichaft, 
welche fie einigen Damen ihrer Befanntfchaft zu geben beabfichtigte. 
Da aber ibre Wohnung fehr beſchränkt war, anch ihr neuer Rang 
ed ihr zur Pflicht machte, in der Auswahl forgfältig zu fein, fo 
befähloß fie, nur die Frauen von ein paar andern Sefretären zu 
bitten; um aber dem Ganzen wirflidhen Glanz zu geben, follte auch 
die Frau Kanzleiräthin erjucht werden, den Kaffee mit ihrer Gegen: 
wart zu verherrlichen. Die Frau Kanzleiräthin war eine heitere, 
gutmüthige Kran und hatte gerade nicht mehr Stolz, als der Ge 
mahlin eines Beamten der fiebenten Rangklaſſe zukommt. Die Frau 
Sekretärin Wetterftuc war freilich in der achten Klaſſe und rangirte 
demgemäß mit dem Hüttenverwalter und Poftmeiiter, dagegen war 
er, der Sekretär, Gartenbefiger und ein fleißiger, geſchickter Beam⸗ 
ter; dies alles wohl erwogen, entichloß ſich die Kanzleiräthin, die 
Einladung anzunehmen. 

Als eine Dame, die Nüancen zu machen verftand, fam die Frau 
Kanzleiräthin nicht in ihrem Kaffeegewand für höhere Kreife, einem 
Kleide von ſchwarzer Seide, fondern erfchien in einen heilbraunen 
Merinoüberrod, in welchem fie auch in die. Kirche ging, als an 


Herbftvergnügeit. 81 


einen Ort, wo man ſehr gemiſchte Geſellſchaft antrifft. Der Kaffee 
ging übrigens glanzvoll vorüber; auf dem Tiſche war eine graue 
Damaſtdecke ausgebreitet, das Getränke wurde in neuen Taſſen 
präfentirt und die ſilbernen Löffel waren aus dem rothen Saffians 
fäftchen genommen, wo fie das ganze Jahr über verwahrt lager. 
Sekretär Wetterftud empfing die Kanzleiräthin im fchwarzen Zrad 
und weißer Halöbinde und ging dann in feinen Garten. 

“ Unterwegs aber hatte er allerhand fonderbare Ideen. So fehr 
ex ſich durch die Anweſenheit der Kanzleiräthin geſchmeichelt fühlte, 
jo war es ihm doch nicht recht, daß die Damen feiner frühern Kols 
legen beim Kaffee fehlten, und er fann hin und ber, wie es bei 
feiner befchräntten Wohnung möglich zu machen fei, einmal mehr 
Säfte einzuladen, vor allen natürlich feine frühern Eollegen. Sollte 
aber nicht gar fein unmittelbarer Chef, der Kanzleirath, eine Ein- 
fadung annehmen? Wo aber ein größeres Lokal hernehmen? Diefe 
Schwierigkeit machte ihm viel zu fchaffen, als er plöglich an einem 
Heinen Spezerelladen die Worte lad: „Herbitfeuerwerf.” Da ging 
ihm ein helles Licht auf und er faßte den verwegenen Gedanken, in 
feinem Garten einen Herbft zu veranftalten, 

Des Sonmerd Praht und Herrlichkeit war vergangen und 
lebte nur noch in der Erinnerung und in einigen großen Sonnen 
blumen fort, die aber auch ſchon melancholiſch ihre gelben Blätter 
fallen ließen. Der Wind fchüttelte dad Obſt von den Bäumen und 
die Landichaft war herrlich bunt gefärbt. Die wilden Neben am 
Gartenhaufe auf Wetterſtuckruh fürbten fich hellroth und nahmen 
ſich zierlih auf dem dunfeln Dache aus, der Vögel Lied war ver: 
ftummt, nur eine dicke Amfel hufchte noch melancholiſch durch das 
Geſträuch, die matten Fliegen Elebten an der Wand, und in den 
verrätberifch warmen Sonnenftrahlen des Herbftnachmittags verfuchte 
eine übriggebliebene Henfchrede einen letzten verzweifelten Sprung; 
das fah aber aus, wie ein gänzlich verunglüdter fchlechter Spaß; 


die arme Heufchrede fühlte das auch, und ihr klägliches Zirpen 
Hakländere Werke. VL, 6 


892 Herbitvergnügen. 


Hang wie das Kirhenlied: „Im Grab ift Ruh.” Die Kartoffeln 
hatte der Befiger eigenhändig herausgethan, und e8 waren fehr wes 
nige kranke darunter, ſechszehn Kolben Welfchlorn waren, in vier 
Büſchel gebunden, am Gartenhaus aufgehängt und die Trauben an 
den Spalieren bedurften nur noch ein paar Tage, um völlig reif 
zu werden. Der Herbft hatte völlig das Regiment in die Hand 
genommen, an die Heinen Wege zwiichen den Weinbergen waren 
* die bekannten Tannenbäume geftedt, welche für die Spaziergänger 
fo viel bedeuten ald: verbotener Eingang, bie’ und da knallte es 
ſchon aus den Thälern und von den Höhen, und als es dunkelte, 
fab man an verjchiedenen Stellen den Strahl einer Rakete chief 
eniporfteigen. 

Ja, einen Herbit zu geben, beſchloß der Sekretär Wetterftud, 
einen ächten Herbft mit Weintrauben, feinen Kartoffelherbft, und 
vol diefes Entfchluffes ging er nah Haus und trat in fein Zims 
mer, wo man noch den Tieblichen Duft des Kaffee's roch und wo 
bie fparfamen Ueberrefte zweier mächtigen Torten deutlich anzeigten, 
daß die Gefellichaft, welche eben das Haus verlafien, bei gutem 
Apvetit geweſen fel. — Dan kann fi denken, daß Madame Wels 
terſtuck ſeltſam auffhaute, als der Gemahl mit feinem verwegenen 
Entſchluß hervorkam. Ginen Herbft geben — allerdings war der 
Gedanke gut und fchmeichelte auch bedeutend ihrer Eitelkeit. Gab 
dody der Departementöchet auch einen Herbft, ebenfo verichiedene 
Oberregierungsräthe und and Sanzleiräthe, und wenn fie einige 
dieſer Herrn zu ihrem Herbft einlud, fo konnte es gar nicht fehlen, 
dag fie wiederum eingeladen wurde. Glüdliche Sekretärin! Herr 
Wetterſtuck ſtieß folchergeftalt auf viel weniger Widerſtand, als er 
erwartet, und da auch Sohn und Tochter vollkommen beipflichteten, 
fo war man nod am felben Abend feſt entichloffen, einen Herbft 
zu veranftalten. 

Lieber ſüddeutſcher Leſer, du weißt, was ein Herbft zu fagen 
hat, du bift ſelbſt unzweifelhaft fchon oft im Herbſt gewefen, oder 


Herbftvergnügen. 83 


haft gar felbft welche gegeben. Es ift dir befannt, dap es nicht 
gegen den Anftaud verftößt, zu ſechs und einem halben Weinitod 
vierundzwanzig Perfonen einznladen. Durch einen Herbſt verane 
ftaltet eine Familie, welche wegen befchräntter Wohnung feine be= 
deutende Gejellfehaft einladen kann, eine Abfütterung en gros, eine 
Abfütterung, die ihr während des Winters durch unzählige Einla- 
dungen en detail heimgegeben wird. Bet einem Herbit flieht man 
weniger auf die Qualität der Speifen und Getränke, und was die 
Bedienung anbelangt, fo brauchen fih die Gaftgeber nicht zu in« 
commodiren, jeder bedient fich felbft, man lacht, man fchreit, man 
jubelt, man ſchießt, man verbrennt fich die Finger; ein Herbit ift 
eine fehr ſchöne Erfindung. 

Bald befchäftigte man fich im Wetterftud’jchen Haufe mit nichts 
als mit den Zubereitungen zu diefem Felt, und man pflog lange 
Berathungen, wer einzuladen fei. Daß diesmal die früheren Kols 
Legen des jebigen Sekretärs nebft Frauen und Kinder nicht vers 
geilen wurden, verfteht ſich; ferner ſetzte man auf die Liſte einen 
Oberregierungsrath und zwei Regierungsrüthe; der erftere war ein 
Iuftiger Junggeſelle, die beiden letztern verheirathet, aber ohne Kin⸗ 
der. Der Kanzleirath nebft Gemahlin war natürlich zuerit auf die 
Liſte gefept worden, aber über die Familie defjelben entſtand ein 
Lleiner Zwift. Die Herren Söhne des Kanzleiraths, muntere Bus 
ben, wurden nicht beauftandet, aber die Kanzleiräthin Hatte eine 
Schweſter, ein junges, recht liebenswürdiges Frauenzimmer von 
etwa zwanzig Zahren, und diefe war ein Stein des Anftoßed. Der 
junge Herr Wetterftud verlangte mit vollem Recht, daß einer feiner 
beften Zreunde, der Herr Referendär Zündnagel, nicht vergefjen 
werde. Diefer Referendär hatte aber vor einem halben Jahre mit 
der kanzleiräthlichen Schwefter in einem zarten Verhältniß geitanden, 
ein Verhältniß, welches durch ‚die unbefugte Dazwiſchenkunft einer 
jungen Pugmacherin getrübt wurde — 


84 Herbitvergnügen. 


Es ift eine alte Geſchichte, 
Doch bleibt fie immer nen, 
Und wen fie juft paffiret, 
Dem bricht das Herz entzwei. 


Die Kanzleiräthin wollte eines Abends beim Nachhaufegehen etwas 
Ungebührliches bemerkt haben, und obgleich der Referendär Die 
feterlichften Schwüre für feine Unſchuld ablegte, fo war alles um⸗ 
font. Es brachen bei diefer Geſchichte nun freilich feine Herzen, 
indefjen löste fi das Verhältniß zwifchen dem Referendär und der 
jungen Dame, und es war ihnen ferner nur geftattet, in der Kirche 
oder im Tanzfaal aus der Entfernung zu ſchmachten. Diefe beiden 
Perfonen zufammen zum Herbft einzuladen, war offenbar ein vers 
wegenes Unternehmen; aber der junge Herr Wetterftud wollte ſei⸗ 
nen Freund nicht opfern, die Tanzleirätbliche Schweiter Dagegen 
‚mußte eingeladen werden, und fo befchlog man der Sache ihren 
Zauf zu laſſen. 


So fam der große Tag heran. Alle, fogar der Oberregierungs⸗ 
vath, Hatten die Einladung angenommen; der Kanzleirath beur- 
laubte fogar den Sekretär für den ganzen Tag und diefer begab 
ſich entzückt ſchon in aller Frühe nach Wetterſtucksruh, um die nö⸗ 
thigen Anordnungen zu treffen. Neben dem Tannengebüſch in der 
Anlage wurde ein Tiſch aufgeſchlagen, und mit einem weißen Tiſch⸗ 
tuch bedeckt, und vor dem Hügel am Abhang des Berges ein zweiter 
Tiſch, erſterer für Speiſen und Getränke beſtimmt, letzterer für die 
Herren Schützen zum Laden ihrer Musketen und Piſtolen. Sogar 
ein kleines Lattengeruſt, um Raketen abzubrennen, wurde nicht 
vergeſſen. Gegen zehn Uhr erſchienen Madame Wetterſtuck und 
Tochter, und die beiden Damen, ſowie die Magd des Hauſes, er- 
lagen faſt unter der Laſt der Speiſen und Getränke, welche fie 
binaufihleppten. Bald prangte die Tafel mit Allem, was zu einem 
joliden Herbft gehört: da war Butter und Käfe, kaltes Fleiſch, 


Serbftvergnügen. 85 


weißer und rotber Wein, Moft, Kuchen und fonftiges Badwert, 
ſogar Cigarren. Auf dem Hügel ſtand ein kleiner Böller, den der 
junge Wetterftuf eigenhändig bediente. — 

Es war ein Harer freundlicher Herbfttag, und gegen ‚wel Uhr 
erſchienen die Eingeladenen; zuerſt der Oberregierungsrath, eine 
kleine Figur mit bedeutendem Bauch und ſehr dünnen Beinen. 
Der Mann trug einen Meinen Frack, der unmöglich zuſammenge⸗ 
knöpft werden konnte, und darunter eine große gelbe Weite, welche 
in ihrem bedeutenden Umfang weithin glänzte; dazu trug er fehr 
anliegende Beinkleider, von weitem hatte die komifche Figur die 
größte Aehnlichkeit mit einer gelben Bergamotbirne, die man auf 
zwei Schwefelhölzer geftedt. Er erklomm rüftig den Berg und 
ein SKanzleidiener trug feine Büchfe, fowie einen wohlgefüllten 
Jagdranzen. Bald nad ihm erfchtenen die beiden Regierungsräthe, 
im Aeußern fehr verfchiedene Männer. Herr Krügle, ein langer 
dürrer Mann, ruhig und würdevoll bet jeder Bewegung, mit weißer 
Halsbinde und glattgefchorenem Geſicht, war fehr erniter Natur 
und durchaus kein Freund von Herbftipäßen, noch viel weniger von 
Schießen und Feuerwerk; feine Frau war unwohl und ließ fich ent⸗ 
ſchuldigen. Reben ihm ging fein Kollege Schwämmle, ein Tebhafs 
ter, heftiger Mann, kurz, breit und unterfeßt; aber fein Kopf mit 
dem vermwegenen Ausdruck, mit dem lebhaften herausfordernden 
Auge und dem großen Badenbart hätte für eine große robufte 
Figur vortrefflih gepaßt; diefen Mangel an Körpergröße erfepte 
der Mann dadurch, daß er fich bedeutend in die Bruft warf und 
fehr lebhaft mit den Armen focht. Und wieer fo daher fam mit dem 
wilden Geſichtsausdruck und laut fprechend, während zwei Piſtolen⸗ 
hälſe aus der Taſche hervarfahen, hätte man ihn für einen Räus 
berhanptmann halten können. Seine Frau war eine Dame, über 
die ſich nicht viel fagen läßt. — Schwämmle begrüßte mit einem 
lauten Hurrah den Anblid von Wetterſtucksruh und ſchoß zum 
Wilfomm eine feiner Piftofen ab. Drauf kamen Kauzleirath und 


86 Herbfivergnügen. 


Kanzleiräthin; er ein Heiner, fehnrächtiger, unbedeutender Mann, 
ſie eine große, impofante Figur. Er fah neben ihr aus, als führe 
fie ihren jüngften Sohn, der im Wachſen etwas zurüdgeblieben, an 
der Hand fpazieren. Ihnen folgte der Kanzleiräthin Schweiter, ein 
runded, gefundes Ding mit gefcheidten Iebhaften Augen, einer Hei« 
nen Stupnaje und fchwarzen Haaren, die in zwei runden Zöpfen 

zu beiden Seiten des Kopfes aufgebunden waren. Das Mädden 
war troß ihres gefunden Aeußern etwas fentimentaler Natur, und 
als bei ihrem Gintritt in den Garten der Regierungsrath 
Schwämmle feine zweite Piftole abſchoß, rief fie laut aus: 
„Schießen Sie nicht, ich bin die Taube!“ 

Bald erichienen neue Gäfte, die früheren Kollegen des Sekre⸗ 
tärs mit ihren Frauen und vielen Kindern, und ebe fie einzutreten 
wagten, priefen fie am Gartenzaun fehr hörbar die Schönheit von 
Wetterſtucksruh. Sie waren fammt und fonderd Bürgerwehrmäns 
ner und führten die Bürgerwehrmuöfete mit fih, und auf dem 
Kopfe hatten fie eine der fchönften und malerifchiten Errungenfchafs 
ten des neunzehnten Jahrbundertd, den grauen Schlapphut, aber 
diesmal ohne Hahnenfedern, denn die konnte der finftere Regierung ds 
rath Krügle durchaus nicht leiden. Die Damen diefer Herren ers 
goßen fi fortwährend in Bewunderung über die Wetterfiud’fchen 
Anlagen, über die Zierlichyleit und Zweckmäßigkeit der äußern Eins 
fafjung, über die Eleganz des Gartenhauſes, und verfidherten ein» 
ftimmig, die Ausſicht hier oben fet bei weiten fchöner, ala Die vom 
fürftlichen Landhaus Dort gegenüber. Jetzt hatte der junge Wets 
terftucd feinen Böller geladen und ein Dupend Buben und ein 
Halbdugend Mädchen umſtanden den Hügel mit aufgeiperrten Mäus 
lern; der Schuß krachte, der Böller überſchlug fih und ihm nad) 
purzeltenvor Meberrafchung und Schreck mehrere der jugeyblichen Zus 
fhauer. „Hurrah!“ fchrie Schwämmle, „beim Donner der Kanonen 
fühlt fi) die deutiche Bruft!“ Krügle aber warf ihm einen vers 
weifenden Blick zu und der Oberregierungsrath., der feinen Beinen 


Herbftvergnügen. 87 


nicht recht traute, ließ fi anf einen Stuhl nieder, indem er bes 
bauptete, der Schlag des Geſchützes mache das Erdreich erzitttern. 

Während dem aber Mapperten die Kaffeetaſſen und klirrten die 
Moftgläfer und in Backwerk und Kuchen entftanden gewaltige Lücken. 
Die Sekretärin ftrahlte wie die Herbftfonne, denn fie faß zwifchen 
der diden Kanzleiräthin und der Regierungsräthin Schwänmle. 
Wo aber war Vater Wetterſtuck? — Er fhwamm in Wonne und 
Seligkeit, hatte ihm Doch der Oberregierungsrath die Hand gedrüdt, 
und hatte doch Schwämmle mit ihm and einem Glafe getrunken, 
bei welchem Trunk dem Sekretär freilich nicht viel mehr als die 
Ehre übrig blieb. Schwämmle war die Seele der ganzen Gefells 
“Schaft, er fang, er tanzte, er ſchoß wie ein Mafender und hatte alle 
Tafchen mit Feuerwerk angefüllt. 

Etwas fpät erfchien der junge Referendär, Herr Zündnagel, 
fehr elegant gekleidet, mit bellgelben Glacehandfchuhen, auf der 
Schulter trug er ein doppelläufiges Jagdgewehr und an der Seite 
eine zierliche Jagdtaſche; das englifche Pulverhorn hing an der 
andern Seite und die Magd feines Hauſes trug ihm einen großen 
Korb voll Feuerwert nad. Der Referendär machte der Sekretärin 
eine ehrerbietige Verbeugung, begrüßte die Kanzleiräthin mit voll 
kommenſter Hochachtung und fchenfte der Schweiter einen wehmüthis 
gen Blick. Er war ein feiner, gebildeter Mann, der Herr Zünds 
nagel, ließ fih bei den Damen nicder, fprach über die vergans 
genen Landpartien und die zukünftigen Bälle, reichte Kuchen und 
Bisquit number, lobte die gelbe Wefte des Oberregierungsraths und 
fprah mit Herrn Krügle im confervativften Sinne über die bals 
Digft zu erwartende Kammer. Die Kanzleiräithin hatte ihn bei 
feinem Erfcheinen erftaunt angefehen und der Kanzleirath würdigte 
ihn deßhalb feines Blicks; da er ſich aber jo harmlos und anftäns 
Dig bewegte, jetzt den Böller Iud und abfenerte, jept die Kinder 
des Kanzleiraths aus feinem Doppelgewehr fchießen Lich, fo fühnte 
man fi) mit feinem Dafein aus. Er Ind feine Piltolen und übers 


86 Herbfivergnügen. 


Kanzleirätbin; er ein Meiner, fchntächtiger, unbedentender Mann, 
ſie eine große, impojante Figur. Er fah neben ihr aus, als führe 
fie ihren jüngften Sohn, der im Wachſen etwas zurüdgeblieben, an 
der Hand fpazieren. Ihnen folgte der Kanzleiräthin Schweſter, ein 
rundes, gejundes Ding mit gefcheidten lebhaften Augen, einer Mei- 
nen Stupnafe und ſchwarzen Haaren, die in zwei runden Zöpfen 
a beiden Seiten des Kopfed aufgebunden waren. Dad Mädchen 
war troß ihres gefunden Aeußern etwas fentimentaler Natur, und 
ald bei ihrem Eintritt in den Garten der Regierungsrath 
Schwämmle feine zweite Piſtole abfhoß, rief fie laut ans: 
„Schießen Sie nicht, ich bin die Taube!“ 

Bald erfchienen neue Gäfte, die früheren Kollegen des Sekre⸗ 
tärd mit ihren Frauen und vielen Kindern, und ehe fie einzutreten 
wagten, priefen fie am Gartenzaun fehr hörbar die Schönheit von 
Wetterſtucksruh. Sie waren fammt und fonderd Bürgerwehrmäns 
ner und führten die Bürgerwehrmustete mit fih, und auf dem 
Kopfe hatten fie eine der fchönften und malerifchiten Errungenfcafs 
ten des neunzehnten Jahrbunderts, den grauen Schlapphut, aber 
diesmal ohne Hahnenfedern, denn die fonnte der finftere Regierungs⸗ 
rath Krügle durchaus nicht leiden. Die Damen diefer Herren er 
goßen fich fortwährend in Bewunderung über die Wetterftud’fchen 
Anlagen, über die Zierlichleit und Zweckmäßigkeit der äußern Ein 
faſſung, über die Gleganz des Gartenhauſes, und verficherten eins 
ftimmig, die Ausſicht bier oben ſei bei weitem fhöner, als die vom 
fürftlichen Landhaus dort gegenüber. Jetzt hatte der junge Wets 
terftud feinen Böhler geladen und ein Dupend Buben und ein 
Halbdugend Mädchen umflanden den Hügel mit aufgeiperrten Mäu⸗ 
lern; der Schuß krachte, der Böller überfchlug fih und ihm nad 
purzeltenvor Ueberraſchung und Schred mehrere der jugewblichen Zus 
fhauer. „Hurrah!“ ſchrie Schwämmle, „beim Donner der Kanonen 
fühlt fi die deutſche Bruſt!“ Krügle aber warf ihm einen ver 
weifenden Blick zu und der Oberregierungsrath,, der feinen Beinen 





Herbftvergnügen. 87 


nicht recht trante, Ließ fih anf einen Stuhl nieder, indem er bes 
bauptete, der Schlag des Geſchützes mache das Erdreich erzitttern. 

Während dem aber Happerten die Kaffeetaſſen und Plirrten die 
Moftgläfer und in Backwerk und Kuchen entftanden gewaltige Lüden. 
Die Sekretärin ftrahfte wie die Herbftfonne,, denn fie faß zwiſchen 
der diden Kanzleiräthin und der Negierungsräthin Schwäne. 
Wo aber war Bater Wetterftud? — Er ſchwamm in Wonne und 
Seligfeit, hatte ihm doch der Oberregierungsrath die Hand gedrüdt, 
und hatte doch Schwämmle mit ihm aus einem Glafe getrunken, 
bei welchem Trunk dem Sekretär freilich nicht viel mehr als die 
Ehre übrig blieb. Schwämmle war die Seele der ganzen Gefells 
ſchaft, er fang, er tanzte, er fhoß wie ein Raſender und hatte alle 
Tafchen mit Feuerwerk angefüllt. 

Etwas fpät erfchien der junge Referendär, Herr Zündnagel, 
fehr elegant gekleidet, mit hellgelben Glacéhandſchuhen, auf der 
Schulter trug er ein doppelläufiges Jagdgewehr und an der Seite 
eine zierliche Jagdtaſche; das englifche Pulverhorn hing an der 
andern Seite und die Magd feines Haufes trug ihm einen großen 
Korb voll Feuerwerk nah. Der Referendär machte der Sekretärin 
eine ehrerbtetige Verbeugung, begrüßte die Kanzleiräthin mit voll 
kommenſter Hochachtung und fchenkte der Schweiter einen wehmüthi- 
gen Blick. Er war ein feiner, gebildeter Mann, der Herr Zünd—⸗ 
nagel, ließ fi bet den Damen nieder, ſprach über die vergans 
genen Landpartien und die zukünftigen Bälle, reichte Kuchen und 
Bisquit umher, lobte die gelbe Weſte des Oberregierungsraths und 
ſprach mit Herrn Krügle im confervativften Sinne über die bals 
Digft zu erwartende Kammer. Die Kanzleiräthin batte ihn bei 
feinem Erfcheinen erftaunt angefehen und der Kanzleirath würdigte 
ihm deßhalb Feines Blicks; da er ſich aber fo harmlos und anftäns 
dig bewegte, jet den Böller Iud und abfenerte, jept die Kinder 
des Kanzleiraths aus feinem Doppelgewehr fchießen ließ, fo ſöhnte 
man fi mit feinem Dafein aus. Er Iud feine Piltolen und übers 


88. Herbfivergnügen.- 


reichte fie den Damen zum Schießen. Anfänglich verwahrten ſich 
diejelben gegen ein folch fees Iinteruehmen, und der Kanzleirath 
* fchanderte fihtlich vor dem Inſtrument zurüd; bald aber ließ fid 
die gute fanfte Regierungsräthin Schwämmle, als die erfte im 
Rang, bewegen, einen Schuß zu thun, dann folgte Die Kanzleirä⸗ 
thin, endlich der Kanzleirath felbit, obgleich mit Zittern und Zagen. 
Die Damen der fubalternen Beamten feuerten aus den fehweren 
Bürgerwehrgewehren. Nicht lange fo war der fchlaue Referendär 
mit tiefer Berechnung jept fo weit gefommen, daß er ala höflicher 
Mann nicht umhin konnte, auch der kanzleiräthlichen Schweſter 
feine Piftole anzubieten. Das Mädchen fürchtete fich erfchrediich 
und zitterte fihtbar, der Referendär legte ihr die Piftole in die 
Hand, zeigte ihr, wie fie drüden müfje, und Beide bebten zuſam⸗ 
men, als es krachte und als ſich dabei ihre Hände berührten. Die 
Kanzleiräthin war in diefem Augenblide in einem tiefen Wirths 
ſchaftsgeſpräch mit der Sekretärin begriffen, die Kinder fchrieen 
und jubelten, Schwämmle brüfte: „Was iſt des Deutfchen 
Baterland?” und fo konnte es der Referendär wagen, zu flüflern:, 
„Und werden Sie mich denn ewig haſſen, Auguſte?“ Und das, 
Mädchen antwortete fichtlich bewegt durch den Schuß und diefen 
Moment: „Ah, Emil, wenn Sie die Schweiter verfühnen könnten!“ 
Dies verfuchte nun der Neferendär auf alle Weife und bradte 
es wirklich fo weit, daß die Kanzleiräthin noch am felben Nach⸗ 
mittage zu ihrem Gemahl fagte: „Es iſt ſchade, daß die fatale 
Gefhichte mit dem Zündnagel vorgefallen iſt; abgefehen davon, 
babe ich nicht leicht einen höflicheren und aufmerkjameren jungen 
Mann gefehen.” — „Das ift wahr,“ bekräftigte der Gemahl als 
Echo, „und am Ende,” ſetzte er fehüchtern Hinzu, ift die Sache viel: 
leicht nicht fo fchlimm geweſen.“ Doch fchredte er in demfelben 
Moment vor dem ftrafenden Blick feiner Frau zufanımen und vor 
dem Ton, mit welchem fie fagte: „Anguft, Auguft! — es war eine 
Putzmacherin!“ 


Herbftvergnügen. 89 


Es fing an Abend zu werden, in den Thälern, welche man 
von Wetterſtucksruh überfah, dunfelte es bereits, rings umher 
fnallten die Schüſſe und hie und da ſah man einen befcheldenen - 
Schwärmer fprühen, und die hellen Funken fümpften mit dem letz⸗ 
ten Licht des Taged. Die Sonne ſank und ver Kanzleiräthin 
Schweiter Augufte Iehnte an einer Tanne und ſchaute ſchwermüthig 
in die goldene Abendbeleuchtung; fie deflamirte: 


„Und jcheint die Sonne noch fo fchön, 
Am Ende muß fie untergeh'n.” 


Und eine bekannte liebe Stimme febte hinzu: 


„Mein. Fräulein, feien Sie munter, 

Das tft der Sonne Lauf.” — — 
„Denn hinten geht fie unter 
Und vorne gebt fie auf,“ 


ergänzte Schwämmle lachend, indem er ein großes Glas Wein 
hinunter flürzte. 

Wetterſtuck Vater hatte unterdefien feine Raketen aufgehängt _ 
und Wetterfiud Sohn zündete file an. Wie raufchten fie empor mit 
langem fenrigem Strahl, wie beugten fie oben zierlich ihre Häupter 
und machten der ganzen Welt ein Compliment, ehe fie auseinander 
plagten und in einem Bouquet von rothen, weißen, grünen, blauen 
Sternen erftarben! Eine derfelben wollte nicht fteigen und Die ers 
ſchreckten Damen erhoben ein Zetergefhrei, als fie fahen, wie das 
fprühende Ungeheuer dicht über ihren Köpfen weg in des Nachbar 
Barten fhoß. Der Referendär Iud fein Gewehr mit wenig Pulver 
und einem Schwärmer und ließ die Damen nah der Reihe abs 
fenern, und zwar ganz genau nad der Nangktfte; die Frauen der 
Enbalternbeamten fchoflen ihrerfeits aus den Bürgerwehrgewehren, 
die Buben zündeten Schwärmer in der Hand an, warfen fie in die 
Luft und fchrien und jubelten. Herr Krügle und der Oberregierungs⸗ 


90 Herbfivergnügen. 


rath Hatten ſich in das Gartenhaus geflüchtet, die gelbe Weſte des 
legteren ſchimmerte aber weithin durch das Duntel, eine willfommene 
Zielfcheibe für den Näuberhauptmann Schwämmle, der fi unter: 
ftand, dem Borgefepten einen Schwärmer auf den Bauch zu werfen. 

Allgemein war die Luft und Fröoͤhlichkeit, nur Kanzleiraths 
Augufte und Fräulein Wetterſtuck faßen jenfelts am Fuße de 
Hügels und fihanten hinaus in die dunkle Landſchaft, wo ebenfalld 
Raketen zifchten, Schwärmer prafjelten und Leuchtkugeln aufitiegen. 
Bald aber ſchlich ſich Fräulein Wetterſtuck leiſe von der Seite der 
Zreundin, das hatte der Bruder jo arrangirt, und der Referendär 
nahm ihre Stelle ein. „Augufte,“ feufzte er, „gönnen Sie mir nur 
ein Wort. Nicht wahr, Sie glauben nicht an das Schredliche, dad 
man mir nachgefagt? Ich gebe Ihnen die heiligfte Verficherung, 
ed ift eine Verleumdung. Sagen Sie, dag Sie mic Tieben wie 
früher, und es foll die Aufgabe meined Lebens fein, den Zorn ber 
rigen zu. verföhnen.“ — Das Mädchen feufzte tief und entgeg⸗ 
nete: „Man tft ja fo gern geneigt, das zu glauben, wad man gerne 
glaubt; ich fage Ihnen nochmals, fuchen Sie die Schweiter zu ver. 
föhnen.“ Ihr Geſicht war bei diefer Erklärung angeftrahlt von 
aufiteigenden Leuchtkugeln und glänzte weiß, roth und grün. — 
„Glaube, Xiebe, Hoffnung!“ feufzte Emil mit Beziehung und küßte 
ihr zärtlich die Hand. 

Unterdeffen war die Luſt auf's Höchite geftiegen; man hatte den 
DOberregierungdrath und Krügle gezwungen, das Gartenhaus zu ver 
lajjen, und die beiden ernflen Herrn mußten fich mit brennenden 
Echwärmern gegen die Bubenfchaar vertheidigen. Schwämmle ver: 
fhwendete eine ungeheure Menge von Fröfchen und brüflte jedesmal 
mit, wenn die Damen ein Zetergefchrei erhoben; fogar der Kanzlei⸗ 
rath Hatte fi) ermanut und hielt in zitternder Hand ein römiſches 
Licht, ſchrie aber jedesmal Laut auf, fo oft eine Leuchtkugel herausflog. 

Das Zeft neigte fi) feinem Ende zu und Bater Wetterftud 
wollte ed mit einer glänzenden Ueberraſchung befchließen. Ex hatte 


Herbſtvergnügen. 91 


zu dem Ende weißes und rothes bengaliſches Feuer angeſchafft, um 
damit den Hügel und die Tannenanlage von Wetterſtucksruh ma⸗ 
Lerifh zu beleuchten. Die Bubenfchaar war feinen Schritten gefolgt 
und bielt ſich erwartungsvoll in feiner Nähe. Yet flammte das 
Feuer auf umd ergoß plöglich ein weißes glänzendes, zitterndes Licht 
über den Heinen Garten, riß aber zu gleicher Zeit unbarmberzig 
den ſchützenden Schleier der Nacht vom Liebespaar, das am Fuße 
des Hügeld faß. Die Buben brachen bei diefem Anblid in ein 
lautes Hohngeſchrei aus und die finnigeren Mädchen riefen: „Ein 
Brautpaar, ein Brautpaar!“ Die Kanzleiräthin ftürzte ahnungsvoll 
hinzu, der Kanzleirath folgte ihr und ſtieß einen gellenden Schrei 
aus, nicht ob dem Anblid des Paares, fondern weil ihm das Zünd- 
lit, das er frampfhaft in der Hand hielt, die Finger verbrannte. 
Bater Wetterftud aber, zartfühlend wie er war, warf augenblidlich 
eine Hand voll Erde auf die bengalifhe Flamme und Löfchte fie 
aus. Tiefe Nacht bededte den Garten und tiefe Nacht bededte die 
Herzen Anguftend und Emils und die Herzen des Kanzleiraths und 
Gemahlin. Was war zu thun? Die Mädchen fchrieen noch immer: 
„ein Brautpaar, ein Brautpaar!” und die Buben halfen ihnen dabet, 
fowie Schwämmle, deſſen Stimme Alles übertönte: „Ein Brauts 
paar, ein Brautpaar!" — „Ein Brautpaar?” fprach der Ober⸗ 
regierungsrath und trat näher, und die Kanzleiräthin, welde als 
gefcheidte Frau einſah, daß hier nichts anderes zu machen fet, fagte 
mit einem tiefen Seufger: „a, meine Herrn und Damen, ein 
Brautpaar.” 

In diefem Angenbtid ließ Vater Wetterftud feine rothe bengas 
lifhe Flamme fpielen, deren warmes Licht die Gemüther verföhnte, 
und ehe fie erlofch, bier nicht ganz unzufriedene, dort aber äußerſt 
glüdjelige Gefichter befchien. — Die Kanzleiräthin fagte, während 
ihr der Referendär enthufiaftifch die Hand küßte: „Nun denn in 
Gottes Namen!“ Alles gratulirte und die Frauen der fubalterıen 


% 





92 Herbftvergnägen. 


Beamten wollten fchon den ganzen Nachmittag bemerkt haben, daß 
etwas der Art im Wert fei. 

So ſchloß der Herbft auf Wetterfiudsrub. Das Feſt war in | 
jeder Hinfiht ein gelungenes zu nennen; das Geſpenſt der Pub 
macherin war verfößnt, Augufte und Emil hatten fich wieder ge 
funden, die Sekretärin hatte innige Freundſchaft gefchlofien mit 
der Kanzleis und Regierungsräthin, der Oberregierungsrath hatte | 
feine gelbe Wefte und der Kanzleirath feine Zinger verbrannt, und 
als drüben über den Bergen der Mond aufflieg, ging man heiter 
und vergnägt nach Haufe. 


Aur natürlid! 


— — 


Wenn ich im Buche meiner Erinnerungen nachblättere, und 
meiner Freunde und Bekannten von ehemals gedenke, ſo kommt mir 
häufig einer derſelben in's Gedächtniß, ein guter gemüthlicher 
Menſch, der ſeines Zeichens ein Apotheker war, und mit dem ich 
lange Zeit auf's Freundſchaftlichſte zuſammenlebte. Wir wohnten 
nicht in einem und demſelben Hauſe, nur in derſelben Stadt. Ueber 
ſeinem Quartier war ein goldener Löwe angebracht und vor dem 
langen viereckigen Gebäude, in welchem ich campirte, ſtanden zwei 
alte Kanonen und neben ihnen zwei Kanoniere, mit dem Säbel in 
der Hand, Schildwache. Wo wir uns eigentlich kennen lernten, 
fann ich nicht angeben und, obgleich wir, was Neigung und Ber 
hältnig anbelangte, nicht fehr zufammenpaßter, fo wurden wir Dod 
ganz gute Freunde. 

Schmidle, fo hieß der Apotheker, war ein Schwabe uud vor 
unferm Herrgott nicht mit überflüffiger Körperfchönheit begabt; doch 
hatte er an gutem Ansfehen, was man fürs Haus braucht, und 
war, wie eine alte Tante von mir in Ähnlichen Zällen zu jagen 
pflegte, vor Ah! und Pfui! bewahrt. Das foll nämlich heißen: 
vor „Ad, wie ſchön!“ und „Pfui, wie häßlich!“ Schmidle konnte 
fogar, wenn er Sonntags feinen fihwarzen Frack mit allem dazu 


94 Nur natürlich! 


Nothwendigen und Pafjenden anzog, für einen hübfchen eleganten 
Menſchen gelten, und einen gewiljen füßen Kräuter- und Medicas 
menten⸗Duft abgerechnet, der nicht aus feinen Kleidern zu vertreiben 
war, hätte man e8 ihm alddann nicht anfeben, oder vielmehr ans 
riehen fönnen, in welder Branche er der Teidenden Menichheit 
diente. Ja, man hätte ihn zuweilen für einen jungen Gavalier 
halten können, vielleicht für einen Offizier in Eivil, denn er vers 
ftand e8, wie diefe Leute, fein Halstuch mit einer gewifien lockern 
Eleganz zu knüpfen und an feinen Handfchuhen hatte er befländig 
ein Knöpfchen abgerifien. Auch fegte er feinen Hut ganz gerade 
auf den Kopf und ließ fih an Sonn⸗ und Feiertagen gern die 
Stiefeln lakiren. Dabei war er von einer Gutmüthigkeit und hatte 
einen Glauben an die ganze Menfchheit, der fat Schwäche war. 
Gr that für feine Freunde, was er nur immer konnte, und feine 
Börfe, die, da er einiges Vermögen hatte, beitändig wohl gefüllt 
war, öffnete fich jedem Hülfsbedürftigen mit einer Ausdauer, die 
an's Kabelhafte grenzte. Was dieſer Charakter, der, wie ih genug⸗ 
fam dargetban, als Menfch vortrefflic war, als Apotheker galt, ad, 
darüber war in dem ganzen Stadtviertel, das zur Löwenapotheke 
gehörte, nur eine Stimme, befonders bei dem dienenden Perfonal, 
mit dem Schmidle hauptfächlich verkehrte. Es mußte fhon wahr 
fein, was die Leute fagten, daß der alte mürrifche Prinzipal, ein 
Hageftolz in den Sechzigen, feinen erften Gehülfen außerordentlich 
liebte, denn Schmidle zog durch feine ungemein freundliche Perſön⸗ 
lichfeit eine Unmafje baaren Geldes an fi, das fonft in die Laden⸗ 
tifche anderer Apotheken geflofien wäre Alle Mägde und Haus: 
knechte, die von ihrer Herrfchaft ausgefchteft wurden, irgend etwas 
zu holen, ohne daß ihnen die Apothele angegeben wurde, zogen in 
den Löwen und dort warteten fie lieber halbe Stunden lang an der 
Thür, wenn Herr Schmidfe vieleicht gerade befchäftigt war, — ein 
Zeichen der Bopularität, das die andern Gehilfen und felbft den 
damaligen rothhaarigen Lehrling mit Neid erfüllte, 


Nur natürlich! 95 


Es hat aber auch wohl nie in der Ghriftenheit einen zweiten 
Apotheker gegeben, der die Leute fo zu fallen und zu behandeln 
wußte, wie mein Freund. Seine ftehenden Kunden fannte er faſt 
alle auswendig und er fah den goldbetreßten Bedienten dieſes und 
jened Kavalleries Offizier nicht felten an der Nafe die Bedürfniſſe 
an, die fie in die Apotheke führten, und wenn diefe Herren felbft 
famen und im Betjein anderer Leute gleichgiltig vom Wetter und 
dergleichen jprachen, griff Schmidle mit einem vielfagenden Blid 
oder dergleichen hinter fih, und traf in den meiſten Fällen das 
Rechte. Den ftolzen Dienerfchaften noch ſtolzerer Herrichaften, die 
fih auf ihren Kivrserod etwas zu gut thaten und die ed unferm 
Herrgott nie verzeihen, tonnten, daß die Bäume anftatt grün nicht 
gelb oder blau, wie die Wappenfchilder ihrer Kutfchen waren, wußte 
er durch bunte glänzende Papiere mit denfelben Farben zu fchmeis 
cheln, und auf diefelbe Art behandelte er alle Köchinnen und Stus 
benmädchen, die ihm einmal anvertraut, während er ihnen eine 
Medizin anfertigte, Die nicht gekocht zu werden brauchte, und wors 
auf fie warten konnten, daß Imdigoblau oder Ponceauroth ihre 
Xeibfarbe ſei. Selbft beim Befchreiben der Etiquetten und Pillens 
ihachteln wußte er Unterfchtede zu machen und Nüancen anzubrins 
gen, die wohl im Stande waren, das Herz einer gefühlvollen 
Kammerjungfer zu bewegen. Den Befehlöhaberton, wie er gewöhn⸗ 
lich bei jolchen Aufichriften herricht, wie 3. B.: Alle Stunden einen 
Eßlöffel voll zu nehmen, wandte er nie allein an, wenigſtens feßte 
er hinzu: mw. g. i., das heißt: wenn's gefällig tft. Dies war aber 
noch die niederfte Elafie, denn feine Bekannten oder öfteren Kunden 
wurden auf das Höflichfte gebeten, doch ftündlich einen Eplöffel voll 
zu nehmen. Und mit welcher Feinheit verftand er e8, dem leßten 
Schnörkel feiner Schrift durch allerhand Formen eine tiefere Bes 
deutung zu geben! Man konnte oft einen gewifien Buchſtaben 
darand leſen oder ein Ausrufungszeichen und nicht felten brachte 
er fogar ein finnreich verjchlungenes Herz an, War er vielleicht 


96 Nur natürlich! 


gerade zu fehr befchäftigt, um alle Etiquetten felbft zu fchreiben, fo 
unterwarf er doch die vom Lehrling angefertigten einer genauen 
Revifion und fügte gewöhnlich einen Stridy oder einen Punkt hin- 
zu, wad den betreffenden Stubenmädchen äußerft angenehm war. 

Mer aber Schmidle in feiner ganzen Glorte fehen wollte, der 
mußte die Löwenapotheke an einem Samftag Abend befuhen. Als: 
dann wurde von dem dienenden Perfonal des ganzen weiblichen 
Stadtvierteld vor der Apotheke fürmlid Queue gemadt, und man 
fonnte Stunden lang warten, bi8 man zu Schmidle bingelangte, 
der, hinter einen großen Topfe ftehend, mit einer Feinheit und Gra- 
zie Pomade austheilte, die an's Unglaubliche grenzte. Neben ſich 
hatte er eine ganze Batterie mit Flafchen von wohlriehendem Del, 
und er wußte recht genau, welche von feinen Kunden den Duft der 
Rofe dem der Nelke vorzog, oder welche zu ihrer Pomade einen 
ſtaͤrker⸗ oder fchwächerriechenden Belfag bedurfte. Kein Tag, Feine 
Stunde, fein böfes oder ſchlimmes Wetter war im Stande, die lie 
benswürdige Laune Schmidle's zu verderben, ja felbft in der Nadıt, 
wenn er aus dem ſüßen Schlunmer geweckt wurde, ließ er ficy nicht, 
wie die Apoihefergehilfen im Allgemeinen, einige Dugend Mal 
durch den Ton der Klingel rufen, ehe er wirklicd fam, um alsdanı 
obendrein noch bärbeißig und verdrießlich zu erfcheinen; nein, aud) 
in folchen Stunden behandelte er die armen Dienftboten in deu 
meilten Fällen fo ausgezeichnet, daß fie fih noch lange daran mit 
Treuden erinnerten. 

Aber bei allen diefen Vorzügen Schmidle's, bei allen Ddiefen 
liebenswürdigen Eigenfchaften meines Freundes kann ich doch nicht 
umbin, ded Spruches zu erwähnen, daß, wo viel Licht, auch viel 
Schatten tft. Mein Freund war nur der vortreffliche Menfch, wie 
ich ihn eben gefchildert, fo lange er fein und feheinen wollte, was 
er wirklich war, nämlich eriter Gehilfe der Köwenapothefe, mit einem 
Borte, fo fange er fih natürlich gab, wie ihn Gott gefchaffen. 
Aber daß er dies nicht immer that, daß er einen Drang in ſich 


Nur natürlich! 97 


fühlte, fowie er den ſchwarzen Frad angezogen und die Thüre des 
Zaboratoriums hinter fi, zugemacht hatte, etwas anderes fein zu 
wollen, als ehrſamer Apothekergehilfe, dies war die Schattenfeite 
des fonft fo vortrefflichen Charakters. Man hätte glauben follen, 
Semand, der, wie er, hinter dem Ladentiſche Die Achtung der gan« 
zen Bevölkerung des Stadtvierteld befaß, müſſe ftolz darauf gemes 
fen jein, fo in feinem Stand etwas zu gelten, und mit einer Miene 
auf die Straße binausgetreten -fein, Die deutlich verfündigte: Ich 
bin Schmidle, der gefchidte Apotheker. Aber nichts weniger ald 
das. Schon vorhin fprach ich von der Art, wie ex feine Halsbinde 
umband, wie er feinen Hut aufießte, feine Handſchuhe anzog. Ad, 
das alles that er nicht, weil ein inneres Bewußtfein ihm vorfchrieb, 
fi) fo zu Heiden, nein, er that es nur, um einen höheren Stand 
nachzuäffen, und da er folcher Geſtalt die Götter verſuchte, rächte 
ſich das Schickſal bisweilen an ihm und ließ den Armen Nieder⸗ 
lagen erleben, die oft durch unbedeutende Kleinigkeiten in der Kleis 
dung herbeigeführt wurden. O es ift eine große Kunft, fich elegant 
anzuziehen, felbft wenn man auch, wie Schmidle, die Mittel dazu 
befigt und eine noch größere Kunft ift es, fich einer feinen, elegans 
ten - Kleidung gemäß in jeder Hinfiht zu betragen. Und da 
Schmidle von Jugend auf keine Gelegenheit gehabt, ſich in diefen 
beiden Künften zu üben, fo folgte die Strafe, dag er feine liebens⸗ 
würdige Natürlichkeit unter dem Dedmantel einer unpaſſenden ges 
borgten Eleganz verbarg, ihm gewöhnlih auf dem Fuße nad, 
indem er ſich unzählige Male lächerlich machte, wobei ihm nie feine 
eleganten Betrebungen gelangen. Welche Noth hatten wir mit 
ihm, wenn er eine Champagnerflafche aufmachte, damit er den 
Pfropfen nicht nallen ließe! Und die großen Kelchgläfer mußten 
wir ihm fat mit Gewalt verbieten, indem es ihm gar nicht pafjend 
erichien, den edlen Wein aus gewöhnlichen Gläfern zu trinken. In 
ber Regel ging er alle Jahr einmal zu feinen Eltern auf Urlaub, 


und fand da Gelegenheit, auf eine Jagd mitgenommen zu werden. 
Gadländers Werte. VI. 7 


4 


98 Nur natürlich! 


Es verſteht ſich bon ſelbſt, daß er den Wildſtand bei dieſer Gele⸗ 
genheit auf keine Weiſe verminderte, denn wenn er auch von Haſen, 
Füchſen und Böden erzählte, die er geſchoſſen, ſo kam man feinem 
Jägerlatein doch glücklich auf die Spur, indem er erzählte, wie er - 
den Fuchs im jungen Klee getroffen, oder daß der Rehbock, den er 
erlegt, eben vorfihtig aus feinem Sandloch herausgefommen fei. 
Das wäre an fih nun nichts Böſes geweſen, aber unfere Nedereien 
über feing Nimrodiaden brachten ihn auf die Idee, aus irgend 
einem für die Menfchheit fehr nüglichen Werke die Jägerſprache zu 
ftudiren, und als er die meiften vorfommenden Ausdrüde fo ziem- 
lich inne hatte, konnten wir und in unfern Unterhaltungen ſchlech⸗ 
terdingd nicht mehr davor retten. O es war oft rein zum Ber: 
zweifeln; nicht, ala wenn er dieſe Ausdrüde nur angewandt Hätte, 
wo fie wirklich hingehörten, nein, es erfchlen ihm vielmehr höchſt 
elegant, fie in alle feine Befpräihe einzuflehten. So konnte er uns 
von feiner Prügelei zwifchen Straßenjungen erzählen, ohne daß er 
verficherte, der Kine habe ſchrecklich an feinen Löffeln gefchweißt. 
Die Pferde hatten bei ihm Läufe und alle Haare ohne Ausnahme 
nannte er Wolle, | 

Was fein Herz anbetraf, fo war es bis zu dem Zeitpunkt, von 
dem ich jept erzählen werde, noch eine jungfräuliche Zeitung und 
hatte alle Stürme fiegreich abgefchlagen. Nicht als fei er unem- 
pfänglich für weibliche Schönheit gewefen und noch viel weniger, 
als wäre er von dem andern Gefchlecht nicht ausgezeichnet worden, 
im Gegentheil, da Schmidle ein ziemlich anftändiges Vermögen 
beſaß, fo daß es von ihm hieß, er werde baldigfl eine eigene 
Apotheke kaufen, fo wandte fih der Blick manches fchönen Augen- 
paares, das viele andere mit Eifeskälte anblidte, freundlich gegen 
Schmidle und forderte ihn deutlich auf, fi) zu nähern. Aber auch 
hier traten ihm die Schatten feines Charakters wieder in den Weg, 
denn eine gutgeregelte bürgerliche Liebfchaft fchten ihm nicht nobel 
und elegant genug, und dann hatte er ſich auch feft vorgenommen, 


Nur natürlid! 99 


fein fünftiges Ehegeſpons folle fid) durch feine gefellfchaftlichen Vor⸗ 
züge, durch feine eleganten und ritterlichen Manieren zu ihm bin- 
gezogen fühlen, kurz, es erfchien ihm ſchrecklich, ſich als Apotheker 
geliebt zu wiffen und glauben zu müffen, daß die Liebe feiner Zus 
fünftigen auf fein Vermögen gegründet fei. 

Eines Morgend nun, ald ich gerade im Begriff war, einigen 
wenig verfprechenden Rekruten die Anfangsgründe der edeln Reit⸗ 
funft beizubringen — e8 war an einem Samſtag Morgen — erhielt 
ih ein Meines Billet von Schmidle, worin er mir fchrieb: „Brus 
derherz! Da ich heute Morgen leider viel zu thun habe, fo erzeige 
mir doch den Gefallen und komme fo bald du kannt zu mir.“ Sch 
fürzte die Reitftunde fo viel wie möglich ab, ging in die Löwen⸗ 
apothefe und fand meinen Freund, indem er fich eifrig danıit bes 
fhäftigte, irgend ein Tränklein zuzubereiten. Bei meinen Eintritte 
übergab er dies Geſchäft dem zweiten Gehilfen und zog mich vafch 
in das Meine Stübchen hinter der Apotheke, wo er mir feierlich 
feinen Stuhl anbot und fi vor mich hinſetzte. Nach einer kleinen 
PBaufe, während welcher er mich aufmerkſam anſah, als müfje er 
erfpähen, daß ich das große Ereigniß ahne, weshalb er mich her—⸗ 
beigerufen, ſagte er mit einem unterdrüdten Seufzer: „Du, ich habe 
mid ganz erfchredlich verliebt!" Ich war über diefe Neuerung 
nicht wenig erflaunt, doch er ließ mich nicht zur Sprache kommen 
und fuhr fort: „Ach, es mögen jegt ungefähr vier Tage fein, als 
mich der HReifende des Hanfes Faber und Comp. — du weißt, 
woher wir viele Materialien und Dele beziehen — bejuchte und 
ich darauf, wie gewöhnlich, zu Mittag im englifchen Hof mit ihm 
fpeiste. O Gott, gegenüber von und waren ein Paar leere Eous 
vertd und nach der Suppe, beim Niudfleifch erfihienen zwei Damen 
dort, zwei Damen, von deren Schönheit das Herz eines reitenden 
Artilleriften nicht im Stande ift, fich einen Begriff zu machen. Ich 
hatte meine gute Laune, und entfaltete bei Tifche eine Liebenswür⸗ 
digkeit, die mich ſelbſt in Erftaunen ſetzte.“ 


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100 Nur natürlich! 


— „Natürlich,“ fchaltete ich ein, „Ließeit du den Ehampagner- 
pfropfen gegen die Dede fliegen, und erzählteft von der großen 
Sagd, wo du den Fuchs im Kleefeld gefchoijen.” 

„Richt ganz fo,” entgegnete Schmidle. „Ich mug wirklich 
fehr liebenswärdig gewefen fein, denn die Damen waren ed eben= 
falls und unfere Bekanntſchaft wurde ſchon den erften Tag fo intim, 
daß wir mit ihnen Kaffee tranfen und fie fih nach Tiſche noch 
eine gute Stunde mit und unterhielten. Auf mid hatte befonders 
die Eine, die fehwarze Haare und ein Paar Lichter im Kopf hatte, 
o Gott, ein Paar Lichter! den unvertilgbarften Eindrud gemacht. 
Denjelben Abend ging ich in's Theater, die Damen faßen in der 
Fremdenloge und nun fpeife ich jeden Mittag da, und ich muß Dir 
geitehen, dag ich fait glaube, einigen Eindrud auf das Herz der 
jüngeren Schwarzen gemacht zu haben.“ 

„Sp,“ entgegnete ich, „nur die Eine ift jung, die Andere 
alfo alt?“ 

„Ei ja,” antwortete Schmidle, „es it eine Altliche Tante mit 
ihrer Nichte, fonft würde es fih ja auch nicht ſchicken; zwei junge 
Damen allein ? du weißt, ich fehe auf fo etwas.“ 

„Aber füge mir,“ entgegnete ich ihm, „was haft du denn 
eigentlich ‘mit der ganzen Gefchichte vor? Haft du Abfihten auf 
dad Mädchen, oder willft du fie blos durch deine unerreichbare 
liebenswürdige Perfon unglüdlic machen? Höre, Schmidle, du bift 
ein entfeglicher Nous!“ 

- Schmidfe jchien das felbft zu fühlen, denn er ſchlug die Augen 
nieder und entgegnete mir: „Alter Junge, du kennſt meine Ber: 
hältniffe, du weißt, daß mein Bater in mich dringt, mich zu vers 
- beirathen, um den Stamm meiner alten Familie fortzupflanzen. 
Aber vorher —“ 

„Willſt du erft ein verfluchter Kerl fein, wie Weinberl im 
Jux fagt?“ 

„Das nicht,“ antwortete mein Freund, „aber ich möchte erſt 








Nur natürlich! 101 


fehen, ob, nun ja, ob meine perfünlichen Eigenfchaften im Stande 
wären, ein weibliches Herz und nod dazu eind aus ber höheren 
Geſellſchaft zu feſſeln. — Geftern ‚“ fuhr er fort, „gingen fie bei 
unferm Laden vorbei, ich ftand gerade am Fenfter, und du fannit 
dir denken, wie ich zurüdfuhr. Glüdlih haben fie mich aud 
nicht erkannt, denn du wirft felbft begreifen, daß ich jeden Mittag 
im englifchen Hof als junger reicher, unabhängiger Particulier 
erſcheine.“ 

„Richtig,“ entgegnete ich ihm, „dafür kenne ich dich. Aber 
was kann ich bei der ganzen Geſchichte thun? Webrigens weißt Du, 
daß ich ganz zu deinen Dienften bin.“ 

„3a,“ verfiherte Schmidle, und drüdte mir warm die Hand. 
„Das weiß ich. Und deßwegen habe ich dir gejchrieben. Du mußt 
mir einen großen Gefallen erzeigen. Ich glaube, dir fchon gefagt 
zu haben, daß ich vermutbe, einigen Eindrud auf das Herz der 
fleinen Schwarzen gemacht zu haben, aber ich fand bis jept feine 
Gelegenheit, ihr eine Erklärung zu machen und ihr meine Xiebe 
zu geiteheu. Und was das Schredlichite ift: morgen reifen fie 
ab, Sie nehmen von bier einen Wagen, und wollen durch unfere 
“ berrliche Gegend bi! zum Städtchen M. einen ganzen Tag gebraus 
hen, um unterwegs dad königliche Luſtſchloß mit feinen herrlichen 
Sartenanlagen zu befehen. Denke dir doch, in der freien Natur, 
in den fchattigen Gängen treffen wir zufammen. Du befchäftigft 
dich mit der Alten, führft fie an den Fleinen See und zeigft ihr 
die melancholifch herabhängenden Trauerweiden. Ich dagegen 
verliere mich mit der Nichte auf die Feine Anhöhe, wo der Amor 
ſteht und da werde ich ſchon einen Anknüpfungspunkt finden.” 

Wäre es nicht mein Freund Schmidle geweſen, der mir dieje 
Idylle ausmalte, fo hätte ich laut auflachen müfjen. Aber fo kannte 
ih meinen Mann und willigte mit kurzen Worten in Alles. Er 
hatte gefürchtet, ich möchte Einwendungen machen, und entzüdt 
über meine Bereitwilligkeit fuhr er freudig fort: „Ich Dachte an« 


102 Nur natürlid! 


fänglich, einen Wagen zu nehmen, aber wir müßten dann beftändig 
hintereinander fahren, und dann, geftehe ich dir offenherzig, ſprach 
ich bei Tijche viel von Pferden und vom Neiten, weßhalb ich der 
Meinung bin, daß es weit bejjer wäre, wenn wir die Partie zu 
Pferde machten.“ 

„O,“ entgegnete ich ziemlich, überraſcht, „zu Pferde! Kannſt 
du aber auch reiten?“ 

„Nicht viel, alter Kerl, aber ſiehſt du, da brauche ich Dich ja 
wieder. Du trabft den Nachmittag in der Stadt herum und 
ſuchſt für mi ein fanftmüthiges Thier von gutem Ausſehen, dem 
ich meine Perſon, meine Hoffnungen und meine Liebe anvertrauen 
kann. Im englifchen Hofe habe ich fchon ein Zimmer gemiethet, 
wo wir die Nacht fchlafen werden. Du kommſt natürlich in Unt- 
form und bift mein Freund, ein angehender Offizier aus einer be 
nahbarten Garniſon, und am Morgen, kurz nachdem die Damen 
abgefahren find, Schwingen wir uns auf und folgen ihnen.“ 

„Abgemacht!“ fagte ih. „Ic werde jept alles Nöthige be 
forgen. Und wo treffen wir und ?” 

„Segen acht Uhr im englifchen Hof,” antwortete er mir, „denn 

du weißt,“ jegte er Beinlaut hinzu, „ih muß vorher alle Stuben: 
“ mädchen der Stadt mit Pomade verjehen.“ 

„So will ich lieber um die Zeit bierherfommen und dir 
helfen,“ entgegnete ich. 

„Rein, nein, es ift befier,“ fagte Schmidle, „du erwarteft mic 
um acht Uhr im englifchen Hof. Adieu!“ 

„Adieu!“ — — 

Ih ging nun, der Bitte meines Freundes gemäß, in die 
Stadt zu einem mir befannten Pferdevermiether und ſuchte für 
meinen Freund Schmidle einen Klepper, wie er ihn nur wünfchte. 
Das Thier hatte früher einem Stallmeifter gehört, war alfo fehr gut 
zugeritten, und wenn aud die Zeit ſchon mit harter Hand über 
‘eine Glieder gefahren war, fo konnte es ſich unter der Zauft eines 


x 





Nur natürlich! 108 


guten Reiters noch immer ein ſtattliches Anſehen geben, Die 
Hauptſache war, das Pferd war ſicher, hatte einen angenehmen 
Trab, und wenn es einmal warm geworden war und die Steifheit 
feiner alten Glieder etwas überwunden hatte, fo ging der alte Gaul 
herrlich vom led. Dabei war er, wentgitend unter meiner Hand 
lamnfromm. Ich fuchte für meinen Schmidle noch eine Schabrafe 
unter den Sattel aud von fhwarzer Farbe, die ihm nothwendig 
gefallen mußte. Darauf fehlenderte ich in der Stadt umher, ſpeiste 
irgendwo zu Mittag und fam erit Nachmittag gegen vier lihr in. 
meine Kaferne zurüd, wo ich fogleich des Hausknechtes aus der 
Löwenapothrke anfichtig wurde, der mich erwartete. Auf dem Arm 
hatte er einen vollitändigen Anzug Schmidle’8 hängen, den er mei- 
nem Burfchen übergab, und mir felbit händigte er ein Billet ein 
mit dem kurzen Inhalte: „Lieber Bruder, erzeige mir doc den 
Gefallen und laß’ meine Kleider bis acht Uhr in den Stall hängen, 
daß fich der Kräuterduft etwas verliert; und wenn fie dagegen et—⸗ 
was Stallgeruch annehmen, tft ed noch beffer.“ 

Ich that nach feiner Bitte und ließ den ganzen Anzug an 
einem Theil des Stalles aufhängen, wo Schmidle's Wunſch auf's 
Kräftigfte in Erfüllung ging. Als es acht Uhr gefchlagen hatte, 
verfügte ich mich in den englifchen Hof und Schmidle ließ nicht 
lange auf fich warten. Seine erite Frage war, vb ich das Pferd 
für ihn ausgefucht, und als ich ihm dies verficherfe, wollte er es 
anfänglich durchaus fehen. Doch nachdem ih ihm auseinanderges 
fept, das Thier müßte auf den morgenden ſcharfen Ritt nothwendig 
feine Ruhe haben und ed würde durch unſern Beſuch fehr darin 
geftört, fo fand er diefe Gründe kräftig genug, und wir gingen 
auf unjer Zinmer, eigentlich in unfere Zimmer, denn ed waren 
ihrer zwei. Doc Schmidle zeigte gleich auf die Thüre, welche in 
das zweite führte, wobei er auf den Zehen ſchlich und mir anver- 
traute, indem er den Finger auf den Mund legte, daß jened an 
das Schlafgemach der Heinen ſchwarzen Dame ſtoße. 


104 Nur natürlich! 


Der gute Schmidle war heute Abend in einer ſeltſamen Auf 
regung und Unruhe. Als nad einer halben Stunde mein Burſche 
den durchräucherten Anzug brachte und der Hausknecht der Löwen⸗ 
apothefe ein Paar Stiefeln mit darangefchraubten fchweren neufil- 
bernen Sporen, mußte Alles vorher anprobirt werden, damit er ficher 
fei, 0b auch Hofenträger und Sprungriemen in befter Harmonie 
feten und ihn an einem eleganten Sig nicht hinderten. Nach vielem 
Schnallen und Anprobiren war endlid, Alles in Ordnung, und da 
nun Schmidle einmal feine Sporen an den Füßen hatte, legte er 
fie nicht wieder ab, fondern ftolzirte mit Hirrenden Schritten in dem 
Zimmer umher, wobei er fih bauptfächlich in dem zweiten aufpielt 
und dort eine Mazurka pfiff, die er einftens gelernt, wobei er mit 
den Abfägen wie wüthend aufeinander fhlug. So wurde es fpät, 
wir fpeisten zu Nacht und machten es uns fo bequem, wie möglich, 
um bet einer Flafche Wein über die morgende Tour zu fprechen. 
Hierbei bemerkte ich, daß, fo oft mein Freund von feinem Pferde 
ſprach, er tiefer athmete als gewöhnlich und daß er das Geſpräch 
immer auf Unglüdsfälle zu lenken wußte, die beim Reiten vorkämen, 
woraus ich denn nicht ohne Grund fchloß, daß Schmidle's Freude 
auf die morgende Partie durch einige beträchtliche Angft vor dem 
Reiten fehr gedämpft wurde. Das konnte man ihm aber auch nicht 
üdel nehmen, denn mit vieler Offenberzigkeit vertraute er mir: 
morgen fet e8 das zweite Mal, daß er ein Pferd befteige, und oben: 
drein liege zwifchen diefen beiden wichtigen Ereigniſſen ein Zeitraum 
von circa fünfzehn Jahren. Im Allgemeinen gab ih ihm einige 
Verhaltungsregeln, zeigte ihm an einem Stride, wie er Die Zügel 
haften müjje, und damit er ſich gleich morgen früh vor Hausknecht 
und Kellnern feine Blöße gebe, ftellte ich mich an ein Ende des 
Sophad, welches wir ald Pferd annahmen und er mußte auf die 
linfe Seite berantreten, den linken Zuß aufheben, als feßte er ihn 
in den Bügel und fi mit dem rechten über den Sig fchwingen. 
Am meiften egaminirte er mich über das Durchgehen- der Pferde 











Nur natürlich! 105 


und wie man fich bei einem derartigen Fall am beften zu benehmen 
hätte. Bor einem folchen Ereigniß hatte er überhaupt die größte 
Angft nnd wie fchon gefagt, obgleich es mir leid that, diefe Furcht 
nod mehr zu vergrößern, drang er doch fo lange in mich, bis ich 
ihm einige fchanderhafte Fälle von durchgehenden Pferden und nach⸗ 
gefchleiften Neitern erzählte. Es ging ibm wie den Kindern, die, 
je mehr fie fi fürdten, doch un fo lieber die entfeglichiten Schauer- 
geichichten anhören. Ja, als fih Schmidle ſchon andgezogen hatte 
und in feinem Bette lag, ftand er noch einige Male auf und kam 
zu mir, um fich zu erkundigen, was denn eigentlich zu thun fet, 
wenn ein Pferd ftürze oder der Reiter mit den Sporen im Bügel 
hängen bliebe. Ich tröftete ihn fo gut wie möglich, doc konnte 
ich fein Herz nicht beruhigen, denn fo oft ich in der Nacht aufs 
wachte, hörte ich ihm fchwer träumen und vernahn, wie er ängſtlich 
ftöhnte und feufzte: „O Gott, o Gott! Halt an! ein fürchterlicher 
Abgrund!“ und dann arbeitete er mit Händen und Füßen um fi, 
daß das Geftell des Bettes krachte. Es war für den armen Schmidle 
eine fehr unerquidliche Nacht. 

Kaum graute der Morgen, fo war er Schon wach, um im Zims 
mer umber zu rumoren, und wenn ich ihn fo laut fingen und pfeifen 
hörte, wobei er aber ein fonderbares Gefiht machte, fo fam ich. 
leicht anf die Vermuthung, er ftelle fih nur fo Inftig, um feine 
immer mehr wacfende Angft zu verbergen. Der arme Schmidle 
war von einer ungewöhnlichen Haft und Unruhe. Bald fchellte er 
dem Kellner und beftellte auf's Neue den Kaffee, den er fchon 
einige Male befohlen, bald betrachtete er feine Sporen und trieb 
die Rädchen herum, bald Tief er and Fenfter und fluchte, daß die 
Pferde noch nicht kämen, dann eilte er wieder ind Nebenzimmer, 
um zu laufchen, ob die Dame feines Herzens noch nicht aufgeftans 
den fet. 

Endlich wurde es aud in den Zimmern neben und Iebendig, 
die Damen machten ihre Toillete und tranten Kaffee; darauf hörten 


106 Nur natürlich! 


wir, wie der Oberkellner zu ihnen ind Zimmer ging, um die Red: 
nung vorzulegen und wie er dabei den Gafthof für die Zukunft 
empfahl. Jetzt fuhr unten ein Wagen vor uud Schmidle nahm 
eilig feinen Hut, um die Damen vorläufig an der Hausthür zu 
empfangen und ihnen durch Reitanzug und Sporen einen Heinen 
Hoffnungsſtrahl zu geben, daß fie ihn noch wiederfehen würten. 
Ih legte mich oben ind Fenfter, um mir die Damen wenigfteus 
anzujehen, die nun aus dem Haufe an ihren Wagen traten. Rid: 
tig! Schmidle ftolyerte hinter ihnen drein die fleinernen Stufen 
des Höteld herab, wohel er um ein Haar mit feinen Sporen hängen 
geblieben wäre. Unter dem Arme hatte er feine ungeheure Reit—⸗ 
peitfche mit filbernem Knopf, den Hut trug er in der Hand, und 
nachdem er mit den Damen einige vorläufige Eomplimente gemwed- 
jelt, trat er, wahrfcheinlih um als ächter Reiter feine Pferdelieb— 
haberei fund zu geben, zu den magern Miethgäulen hinan, klopfte 
fie auf den dürren Hals, und hatte fchon zu Anfange des Tages 
beinahe ein Unglück; denn als er, wie ich es ihn gelehrt, mit der 
Hand den Kamm herab durch die Mähne fuhr, um fi von der 
guten Race der Thiere zu überzeugen, berührte er vielleicht eine fig: 
liche Stelle des armen Gaules, denn diejer warf den Kopf mit 
jolher Gewalt gegen Schmidle zurüd, daß mein armer Freund vor 
Schreden rückwärts gegen die Wagenthür prallte, und Dort zum 
noch größeren Unglüd unfanft gegen die ältere Dame ftieß, die eben 
im Begriff war, einzufteigen. O weh, o weh! mir wollte es in 
Diefem Augenblid gar nicht gefallen, daß die junge Dame haſtig 
mit ihrem Tafchentud, an den Mund fuhr, denn es fam mir nict 
vor, als trodne fie Abfchiedsthränen ab, vielmehr ſchien ed mir, als 
bedecke fie ein leiſes ſpöttiſches Lachen. Es war fehr gut, dar 
Schmidle dies nicht bemerkte, denn der Angriff des Pferdes auf ihn 
hatte ihn ſchon genug aus der Fafjung gebradht und vergeblid 
juchte er durch eine Maſſe von Complimenten das gehörige Gleich- 
gewicht wieder zu erlangen. Endlich beftiegen die Damen ihren 








Nur natürlich! 107 


Wagen, der Schlag wurde zugemacht und der Kutfcher fuhr dahin. 
Ih fah ihnen einen Augenblid nah, und ich muß gefteben, daß 
ich deutlich bemerkte, wie die junge Dame aus dem Wagenfchlag 
rückwärts ſah. Ob dies wohl meinem Freund Schmidle galt? ich 
wußte nicht, was ich davon denken follte. Er aber fuhr mit dem 
filbernen Knopf feiner Reitpeitfche auf das Herz und verneigte ſich 
unendlich tief. Selig über die Triumphe, die er erlebt, ftieg Schmidle 
die Treppen herauf und trat zu mir ins Zimmer, wobei er nicht 
anders erwartete, als dag ich ihn mit dem größten Lobe überfchütten 
würde, weßhalb es ihn nicht wenig befremdete, als ich ihm vers 
fiherte, er babe fich wieder einmal fehr unnatürlich und deßhalb 
Ihlecht benommen — eine Anklage, die ich durch meine Behauptung 
motivirte, daß es ihm gar nicht darum zu thun gewejen wäre, die 
gute oder ſchlechte Race der Fiakerpferde zu unterfuchen, fondern 
daß er den Damen nur habe zeigen wollen, wie gut er es verftehe, 
ein Pferd anzufafien. „Doch, lieber Schmidle,” ſetzte ich hinzu, 
„du haft felbit gefehen, wie unglüdlich es dir mit diefer Renom⸗ 
mage beinahe ergangen wäre; nimm Dich aljo künftig in Acht.“ 
Diefe Worte fprach ich in fehr ernftem Zone, doch als ich 
fab, daß er fie ebenfo aufnahm und daß fein Seficht fich zufehends 
verlängerte, Dachte ich mitleidig an die große Angit, die er ſchon 
in der Nacht ausgeftanden, und brach, um ihn zu tröften, in ein 
lautes Iuftiges Lachen aus, was mir jedoch nur halb gelang ; denn 
obſchon er im Begriff war, kräftig mit einzuftimmen, fo brach er 
doch plöglich ab, da wir auf der Straße den Hufichlag von Pier- 
den hörten. Schmidle ellte an's Fenſter; richtig, ed waren unfere 
Noffe, die eben von dem Hausknechte des Pferdevermietherd heran⸗ 
geführt wurden. Mein Freund, der bei Diefem Anblide in fichtliche 
Unruhe gerieth, wollte fi fogar mir gegenüber dad Auſehen eines 
gleichgiltigen Menfchen geben und begann eine Arte zn pfeifen. 
Doch kam der Ton fehr tremulando zwifchen feinen Kippen hervor 
und ich bemerkte ebenfalls, daß ihm, als er aus feiner Kaffeetafie 


108 Nur natürtich! 


noch einen guten Schluck nehmen wollte, die Hand bedenklich zit: 
terte. Sept war es aber die höchfte Zeit, wenn wir den Wagen 
nod unterwegs einholen wollten, weßhalb wir die Treppen hinab 
fliegen und uns zu den Pferden begaben. Hier ftedten wir jeder 
eine Eigarre an und ich hielt meinem Freunde den Bügel, um ihm, 
wenn er droben ſäße, die Zügel richtig in Die Hand zu geben. 
Ach, bier fühlte ich denn deutlich, was ich ſchon oben bemerkt, dab 
fih der gute Schmidle in einer fieberhaften Aufregung befand, denn 
er konnte kaum fprechen und holte bei jedem Worte den Athem tid 
ans der Bruft, Nachdem ich ihm die Bügel mit vieler Mübe 
paſſend gefhnallt, fepte ich mich ebenfalls auf und wir ritten, um 
dem nachgaffenden Hausknecht und den Kellnern kein Aergernip jı 
geben, langfamen Schrittes davon. 

Draußen vor dem Thor hatten wir eine fchöne breite Chauſſee 
vor und, die etwas aufwärts ſtieg, und oben auf der Höhe fahen 
wir den bewußten Wagen dabinrollen, wodurh fih Schmidlet 
Herz mächtig nachgezogen fühlte, fo daß er mich bat, im eine 
Heinen Trab einzugehen. Mir war das ganz recht, ich trieb mein 
Pferd an und rief meinem Freunde zu, er möge nur die Schenk 
anlegen, ohne mit den Sporen den Gaul zu nahe zu kommen. 
Doch war dies leichter gefagt, als gethan. Obgleich mein Freund 
nachher feierlich befchwor, das Pferd fei ungeheuer kiglicher Natur, 
denn er habe es nur fanft mit dem Schenkel berührt, fo war id 
doch vom Gegentheil überzeugt, indem das ruhige Thier beim Ar 
traben ein Baar Sprünge madıte, daß Schmidle faft heruntergejallen 
wäre. Diesmal aber verlor er aber nur beide Bügel und reitelt 
fih durch einen fühnen Griff an den Sattelknopf. 

Ih hielt an und darauf verfuchten wir e8 nod ein Mal an 
zutraben, aber auch diesmal ohne befieren Erfolg ; wir würden 
wahrſcheinlich nicht anders als im Schritt von der Stelle gefommen 
fein, wenn ich nicht meinen Freund gebeten hätte, fein Pferd ohne 
alle Hilfe dem melnigen folgen zu laſſen, worauf es vortreffich 





Nur natürlich! 109 


ging. Freilich machte der Gaul, der durch Schmidle'3 Sporen- 
angriff unruhig geworden war, noch einige Leichte Gourbetten, dann 
aber trabte er mit dem meinigen ruhig fort. Aber der Reiter auf 
feinem Rüden war nicht fo ruhig, den Oberleib hielt er vorgebeugt 
und den Kopf hatte er weit hinten übergelegt, fo daß er, anftatt 
wie ed einem guten Reiter zufommt, zwifchen den Ohren des 
Pferdes hindurch auf den Boden zu bliden, bod in die Spiken 
der Pappeln hinaufſah. Hierdurch rutfchte fein Hut langfam auf 
den Hinterkopf hinab in den Naden, was äußerft poffirlich ausfah 
und die Bügel fchlotterten, anftatt daß er fie mit den Fußfpigen 
feftgehalten hätte, an den Abſätzen umber und verurfachten mit 
jeinen nenfilbernen Sporen ein anmuthiges Geklingel. Es war ein 
Glück, daß Schmidle feine Gigarre no im Munde Hatte, denn 
obgleich fie längft ausgegangen war, diente fie ihm Doch dazu, die 
fürdhterlihen Anftrengungen des Reitend auf ihr zu verbeißen, was 
er mit ſolchem Erfolge that, daß fie in kurzer Zeit ganz platt ges 
drückt war und fich feine beiden Mundwinkel braun färbten. , 

So trabten wir Iuftig dahin und kamen bald dem Wagen näher 
und immer näher; ehe wir ihn aber erreichten, ließ ich mein Pferd 
kürzer gehen und fiel darauf in den Schritt, um meinem Freunde 
Zeit zu laffen, feinen Sig etwas zu regeln und mit Anftand bet 
den Damen vorbeizufommen. Schmidle war fo außer Athen, daß 
er auf meine Fragen nach feinem Befinden nur durch ein leiſes 
Kopfniden und ein fehr erfünfteltes Lächeln Antwort geben konnte. 
Er rüdte fi) mühſam in dem Sattel zurecht, richtete feinen Hut 
auf und faßte die Bügel, wie es ſich gehört. 

„Lieber Schmidle,“ fagte ich ihm darauf, „wenn wir an dem 
Wagen vorbeilommen, reiteft du links, wo die junge Dame figt, 
und ih halte mich an der rechten Seite. Nimm dich aber jept 
zufammen, daß und im wahren Sinne des Wortes feine Niederlage 
yaffirt. Ich werde kurz angaloppiren und du thuft das Nämliche, 
indem du den rechten Zügel deines Gauls etwas anziehſt, den linken 


110 Nur natürlich! 


Schenkel fharf an den Gurt fegft und ihm mit dem rechten Fuß 
einen Beinen Sporenftich verfebft. Verſtehſt du?“ 

Schmidle nidte mit dem Kopfe. 

„Wenn wir,“ fuhr ich fort, „glüdlih an dem Wagen vorbei 
find, baft du Dich als famofer Reiter gezeigt, und es Tann bir 
aledann fpäter in M. gar nicht fehlen. Noch eins! Haben wir 
erft den Wagen im Rüden, fo müſſen wir den Damen aus ten 
Augen zu kommen jucen, damit fie deinen mangelhaften Zi 
feiner Kritit unterwerfen können. Ich werde aljo ſcharf davon 
galoppiren, und wenn du fühlft, daß du etwas loder auf dem 
Sattel fipeft, fo fafl' nur in Gottes Namen die Mähne und laſſ 
dein Pferd dem meinigen folgen, ed wird nicht davonlaufen.“ 

Mit ſolchen Ermahnungen audgerüftet, verſprach Schmidle jein 
Möglichftes zu thun, und das Rennen begann. Glücklich bracht 
er fein Pferd links in Galopp, und diefe Bewegung fchien ihm 
befier zu gefallen, ald das Traben. Er verſuchte es, den Kopf nad 
mir hinzuwenden, um mir durch eine freundliche Miene fein Ber 
gnügen auszudrücken; doch brachte er ed nur dahin, feine Augen 
zu verdrebhen. Sept erreichten wir den Wagen. Ich bog rechts at 
und Schmidle’3 Pferd folgte glücklicher Weife dem meinen nidt, 
wie ich gefürchtet ; nur fah ich, daß das Thier feine Ohren in da 
Nacken legte und ſtärker galoppirte, als es bemerkte, daß ich nid 
mehr an feiner Seite fei. Bald war ich neben dem Wagen un 
id) fah in dieſem Augenblid natürlich von meinem Freunde nicht 
mehr. Was er gethban, wußte ich nit. Doch wollte ed mir nid! 
gefallen, dag die Damen in dem Wagen neugierig lachend link 
binausfhauten und daß der Kutfcher auf dem Bod ein brüflendei 
Gelächter ausſtieß. Schon war ich im Begriff, mein Pferd anzu 
halten und auf die andere Seite zu reiten, denn ich dachte nidı 
anders, als Schmidle laſſe feinen Gaul im Trab neben dem Was 
gen hergeben, und alsdann, natürlich in der Tächerlichften Pofttion, 
ben Angenehmen zu fpielen. Doch ich hatte diefen Gedanken noch 


Nur natürlich! 111 


richt erfaßt, als das Pferd mit meinem armen Freunde in Carriere 
int an dem Wagen bervorfam, und im volllommenften Durch⸗ 
hen auf der Chauſſee dabinjagte. Die beiden Damen fohauten 
hm nach und lacten jept eben fo überlaut, wie der Kutfcher. 
Ibgleich mich dies im eriten Augenblide ärgerte, fo mußte ich 
hnen doch im andern ihre Luſtigkeit verzeihen; denn Schmidle 
ing gar zu erbärmlich komiſch auf feinem Pferde. Bon Bügel: 
ind BZügelhalten war gar keine Rede mehr. Seine Beine hielt er 
tamıpfhaft in Die Weichen des Pferdes gedrüdt ; fein Oberleib hing 
yanz vorn über und mit feinen beiden Armen hatte er den Hals 
ed Pferdes umklammert. Dabei ritt er ohne Hut und fein Haar 
log im Winde. Ih nahm mir natürlich keine Zeit, in Ruhe 
yiejen feltfamen Sig zu betrachten, fondern ich gab meinem Pferde 
sie Sporen und jagte, was das Thier laufen mochte, hinter meinem 
freunde ber. Bald näherte ich mich ihm und rief ihm mit lauter 
Stimme zu, die Zügel anzufafien, aber er hörte mich nicht. In 
Viefem Augenblid lief Schmidle's Pferd an einigen ſchweren Laſt—⸗ 
vagen vorbei und zu gleicher Zeit kam ihm ein großer vierfpäns 
iger Eilwagen gerade entgegen. So zwifchen zwei Fuhrwerken 
ingeengt, mochte das Pferd einen Begriff haben, wie es dieſe 
gefährliche Stelle wieder verlafien könne, und ed wandte fich plöß- 
ih, um links von der Chauſſee hinab in ein Kleefeld zu fehen, 
yei welchem Sprung mein armer Freund gänzlich das Gleichgewicht 
verlor und, von dem Rüden des Pferdes bis zur Erde einen großen 
Bogen befchreibend, gewaltfam in den Klee gefchleudert wurde. 
Da lag der Aermfte und fo regungslos, daß ich allen Ernftes 
Maubte, es ſei ihm ein Unglüd paſſirt. Ich näherte mich eilig, 
prang von meinem Pferde und verfuchte meinen Freund aufzurichten. 
Doch half er ſich fchon allein empor und fein Erſtes war, fich auf 
ıllen Seiten zu befühlen, ob er nichts zerbrochen habe, denn nach 
einer Idee mußte ein Sturz vom Pferde von einem Bein» oder 
Armbruche ungertrennlich fein. Glücklicher Weiſe war ihm aber. 


112 Nur natürlich! 


nichts geihehen und es dauerte keine Biertelftunde, fo erzählte er 
mir zwiſchen Ernft und Lachen, daß er eigentlich gar nicht wife, 
wie das Pferd mit ihm durchgegangen fei, nur erinnere er fid, 
daß, als er bei dem Wagen dem Thier etwas nachdrücklich die 
Sporen gegeben, damit es in fühnen Sägen vorbeibalancire, der 
eigenfinnige Gaul feinen Kopf faft zwiichen die Vorderbeine geftedt 
habe, wobei er, da er fih an den Zügeln feithielt, ganz natürlid 
aus dem Sipe gekommen fei, und darauf fet er plötzlich mit ihm 
durchgegangen. „Gott, was werden die Damen von mir denken !“ 
fuhr Schmidle fort und feßte fi) nachdenkend vor mir auf einen Weg: 
ftein. „Ich glaube, ich habe mich in ihren Augen entfeplich Lächerlich 
gemacht.” Ich konnte nicht umhin, diefe Bermuthung zu beftätigen, 
und erzählte ihm meiner Seits, wie überlaut die Damen über feine 
Fatalität gelacht hätten, Aber wie ich fie Schon früher in meinem 
Innern hierüber entſchuldigt, fo ſah ich mich auch jept veranlagt, 
ein Gleiches gegen meinen Freund zu thun, indem ich ihm ungefähr 
die Stellung vormachte, wodurdh er die Rückſeite feines Körpers 
den Damen entgegengeftredt. 

Nach vielen innerlichen Kämpfen fah denn Schmidle wirklich 
ein, wie lächerlich er fi) gemadt, und begann ed von der jungen 
Dame verzeihlich zu finden, wenn die Zuneigung, die er ihr viel 
leicht in den vergangenen Tagen eingeflößt, durch die verunglückte 
Reitpartie gänzlich erkaltet fei, worauf ich noch weiter in ihn Drang 
und zu feinem eigenen Beften den Berfuch machte, ihm die Idee, 
als habe er fich in den letzten Tagen wirklich elegant und liebens— 
würdig gezeigt und Die Neigung der jungen Dame erworben, zu 
benehmen. Schmidle war durch den Sturz vom Pferde in allen 
Tiefen feines guten Herzens fo erfihüttert, daß er nah und nad 
meine Borftellungen richtig fand und einfah, daß fein unnatürliches 
Weſen, feine Anwendung von Ausdrüden, die er nicht verftand, 
bejonderd feine Manier, einen eleganten Herrn vorftellen zu wollen, 
ihn nur Tächerlih machen könne. Diefe praktijch philofophiichen 








Nur natürlich! 113 


Geſpräche hielten wir, wie gefagt, in oben benanntem Kleefelde, 
an einem Meilenzeiger fipend, der, wie ein großes Fragezeichen, 
vor unferer heutigen Luftpartie ſtand. Auf der einen Seite zeigte 
er nad C., wo wir eben herfamen, und er bezeichnete zwei Stun- 
den bis da; auf der andern Seite aber verkündigte er und, daß M., 
das Ziel unferes Ritts, faft eben fo weit entfernt ſei. Sollten 
wir zurüdfehren, wo wir hergefommen, oder follten wir unfere 
Zour vollenden? Ich war fehr für das Xeptere, denn wenn wir 
dem Pferdevermiether fo früh am Tage feine Pferde zurüdbrachten, 
fo war es natürlih, daß er fich einbildete, es fei und ein Kleines 
Reiterungläd paffirt, und ich kannte meinen Mann, daß er fih ein 
Bergnügen daraus machen würde, diefe Vermuthung unter der Hand 
unfern Freunden und Bekannten mitzutheilen. Auch Schmidle, ob⸗ 
gleich er mit einem forgenvollen Bli fein Pferd anfah, das ſich 
ruhig, als ſei nichts vorgefallen, den Klee fchmeden ließ, ftimmte 
dafür, vollends nah M, zu reiten, und ich hätte ihn wahrfcheinlich 
fo weit gebracht, diefen Vorſatz auszuführen, ohne daß er die 
junge Dame wieder gefehen hätte, wenn und jeßt nicht plöglich 
eingefallen wäre, daß er feinen Hut dahinten gelafien, den der 
Kutfcher, wie wir nicht anders erwarten konnten, mitbringen würde, 
Und fo war es audı. 

Bald rote der Wagen, der an allem Unglüde von heute 
Schuld war, heran, und fchon von Weiten bemerkte ich den Hut 
meines Kreundes, den der Nojielenfer auf das Dach feiner Kutfche 
gefegt hatte. Jetzt hielt der Wagen und die beiden Damen erfun- 
dDigten ſich forgfältig nah dem Befinden Schmidle's. Mir wäre 
es viel lieber gewefen, wenn fie das nicht gethan hätten, denn ich 
merkte fchon bei dem erften freundlichen Worte, daß feine Hoffnun⸗ 
gen wieder hoch empor wuchſen. Ach, es iſt etwas Gefährliches 
um ein Paar ſchöne ſchwarze Augen, und mein Freund war übers 
haupt nicht der Mann, fein Herz, das fchon entzündet war, vor 
ihnen zu bewahren. Trotz allen meinen Ermahnungen und 'troß 

Hadländers Werke. VI. 8 


114 Nur natürlich! 


den Berfprechungen, die er mir gegeben, war Schmidle, der jept 
am Wagenſchlage fland, plöplich wieder ein ganz anderer Menſch 
geworden, ald Schmidle, der vorhin neben mir unter dem Meilen- 
zeiger faß. Er verficherte den Damen, er, der fo viel reite und jo 
gut mit Pferden umzugehen wille, babe keine Abnuug davon, was 
vorhin fein Roß angewandelt. Er könne nicht anders glauben, 
als dag fi eine Schmeißfliege irgendwo in der Wolle fefigebifien, 
oder das arme Thier an den Lichtern genirt habe. „Ja, meine 
Damen,“ fuhr er fort, „ich hatte Mühe, Meifter über das Pferd 
zu werden und ed wäre auf ein Haar mit mir geftürzt.“ 


Bet dieſer ungeheuren Prablerei bemerkte ich fehr gut, daß die | 


junge Dame ftill lächelnd an dem Anzuge Schmidle's herunterſah, 
der bier und da einige erdfarbige Flede zeigte und daß fie einige 
abgerifjene Kleeblätter betrachtete, die verrätherifch aus feinem Haar 
und aus den Kalten feines Rocks bervorblidten. Trotz meinem 
Winke mit den Augen und meiner ungeduldigen Miene konnte mein 
Zreund ed nicht über fich gewinnen, den Vorſchlag der jungen Dame 
abzulehnen, die ihn bat, doch bis M. neben’ dem Wagen herzureis 
ten. Er warf mir dagegen einen flehenden Blick zu, und war über 
haupt in feiner ganzen Unnatürlichkeit fo komiſch, daß ich nicht 
böfe fein konnte, fondern ihm vielmehr den Bügel hielt und ihm 
aufs Neue zu Roß half. Der Wagen fuhr fort, zuerit, da eb 
bergauf ging, im Schritt, und fpäter bergab im Trab. Auch id 
bielt mid) diesmal an der linten Seite des Wagens, um zu feinem 
Schup und zu feiner Hülfe nöthigenfalls bereit zu fein. 

Es dauerte nicht lange, fo hatte er wieder denfelben komifchen 
Sig eingenommen wie früher, den Oberleib nah voran und ben 
Hut nad hinten, was jeßt um fo Jächerlicher ausfah, da er die 
fürdterlichften Anftrengungen machte, ungeswungen und möglichft 
elegant auf dem Sattel zu bleiben. Seine fchweren Athemzüge, 
dad fiere Auge und die zufammengepreßten Mundwinkel ſtraften 
das luſtig ſein ſollende Lächeln, das er hier und da heworbrachte 


v 





Nur natürlich! 115 


fo wie die Stellung feiner rechten Hand, die er leicht an die Hüfte 
gelegt, . gewaltig Zügen, und übrigens wurde ed von Minute zu 
Minute. fchlimmer mit ihm. Sehr gut bemerkte ich, daß die Da⸗ 
men im Wagen Mühe hatten, ihr lautes Gelächter zu verbergen. 
Der Kutiher auf dem Bod fah in ftiller Freude beftändig hinter 
fi, und trieb, da es jept flärker bergab ging, feine Pferfe zu 
eiligerem Laufe an. Wir mußten folgen. Schmidle's Geficht, das 
vorhin ſehr bleich geweſen war, ging in eine unnatürliche NRöthe 
über, fein Hut, den ich ihm, von den Damen .ungefehen, zuweilen 
wieder zurechtgerüdt hatte, ſank immer wieder fehneller hinten hinab. 
Den einen Bügel hatte er fchon lange verloren und er konnte ihn 
troß den verzweifeltften Anftrengungen nicht wieder erfallen. Dabei 
fuhren feine Ellbogen auf und ab und verurfachten eine Bewegung, 
als wolle er einen Verſuch zum Fliegen machen. Wohl dachte ich 
in dieſem Eritifdyen Augenblide daran, fein Pferd und das meinige 
anzubalten und zurüdzubleiben. Aber was hätte ed geholfen? — 
Nein, nur eine fürmliche Niederlage vor den Augen der jungen 
Dame Tonnte ihn vielleicht für die Zukunft heilen. Und fie blieb 
nicht lange aus. Umſonſt warf er flehende Blicke zu mir herüber, 
umfonft erfaßte er die Zügel und riß fie mit aller Kraft zurüd, je 
härter er zog, je ftärfer trabte das Pferd, und je ftärker fein Pferd 
trabte, je mehr ließ der Kutfcher feine Säule laufen und je heftiger 
lachten die Damen. Es war Schmerz und Freude in immer ſtei⸗ 
genden Verhältnifien. Doc der Schmerz gewann für einen Augen 
blick das Uebergewicht. Schmidle, der jeßt flatt der Zügel den 
Sattelknopf erfaßt hatte, berührte unfanft die Selten feines Pfer- 
des mit den Sporen, das Thier begann unruhig zu werden, prallte 
vor und zuräd, ging vorn und hinten in die Höhe und eö dauerte 
feine Minute, fo ſchoß Schmidle mit einer merkwürdigen Geſchwin⸗ 
digkeit vom Sattel in den Sand binab, geleitet von dem brüflen- 
den Gelächter des Kutſchers und den nichts weniger ald mitleidigen 
Bliden der Damen. Die jüngere beugte fi) etwas hinaus, Do 


116 Nur natärlid! 


ih fowohl wie der unglüdfiche Schmidle fah, wie fie das Lachen 
nicht verbergen Tonnte, und und ziemlich fpöttifch eine glüdliche 
Reife wünfchte. Dann fuhr der Wagen davon und war tn furger 
Zeit Hinter der näcften und legten Anhöhe vor M. unfern Bliden 
entichwunden. Außer einem großen Riſſe in feinem Rode und 
einigen Beulen in feinem Hut hatte Schmidle keinen Schaden ge- 
nommen. Nur war er äußerft niedergeihlagen, und da ich den 
Erzürnten fpielte, und ihm ohne ein Wort zu fagen auf's Pferd 
half, fo ritten wir ftillfehweigend im Schritt davon und erreichten 
M. in kurzer Zeit. 

An dem Thore wandte ich mich mit kurzen Worten an ihn 
und fragte: ob er denn noch wiſſe, in welchen Gaftbof. die Damen 
eingefehrt feten, damit wir fie finden könnten. „Denn,“ feßte id 
hinzu, „deine beiden Niederlagen von heute Morgen werden did 
nicht abhalten, den Eleganten und Unnatürlichen zu fpielen, um 
Dich und mich Tächerlich zn machen;“ worauf er ftatt aller Antwort 
mit dem Kopf fhüttelte und mich verficherte, es fei ihm ganz gleich, 
wohin wir ritten. Er fühle fehr gut fein Unreht und feine Unge 
ſchicklichkeit und werde fi) für die Zukunft gewiß in Acht nehmen. 

Bald erreichten wir einen Gafthof, flellten unfere Pferde ein 
und gingen in ein Zimmer hinauf, wofelbft Schmidle bei einer 
guten Klafche Wein und einer Cigarre -bald über den Morgenfpa- 
zierritt zu lächeln anfing, fo daß ich es nochmals wagen Tonnte, 
ihm mit allen möglichen Details fein auffallendes Betragen vorzu⸗ 
ftellen, und wie died eher geeignet fei, ihm ein weibliches Gerz 
abgeneigt, ald gewogen zu machen. Ein berbeigerufener Schneider 
feßte den Rod meines Freundes wieder In gehörigen Stand, und 
da e8 bald Zeit zum Efjen war, gingen wir hinunter in den Speiſe⸗ 
faal, wo fih außer und noch eine Heine Gefellfchaft befand: zwei 
junge Damen und zwei fehr junge Herren, die man auch fügkich 
Knaben hätte nennen können. Mir fchien es, als ſeien es Schüler 
irgend eines Gymnafiums, die fi allmälig zur Univerfität vor- 





Nur natürlich! 117 


bereiten, Sie trugen kurze Sammetröde, blau und grüne Eerevids 
Müpen und hatten ſich ſchon ein gewilles burfchikofes Weſen an- 
gewöhnt, das aber, durch fchülerhafte Befcheidenheit gemildert, etwas 
fehr Naives und Luſtiges Hatte. Auch die beiden Mädchen, die 
zwifchen achtzehn und neunzehn Jahren alt fein mochten ımd die 
recht hübſch waren, hatten etwas Heitered und Ungezwungenes. 
Wir ſetzten und zufammen an den Tifch und wurden bald die beiten 
Freunde. Ich ließ ed mir anfänglich befonderd angelegen fein, die 
Zreundfchaft der beiden jungen Herren zu gewinnen, was mir auch 
dadurh gelang, dag ich ihnen häufig etwas vortrant und mid 
einige Mal erfundigte, im wie vielften Semefter fie ftudirten. Mein 
Freund Schmidle war feit heute Morgen wie umgewandelt. Er 
war natürlich und deßhalb fehr liebenswärdig. Wenn ihm aud 
zumetlen im Eifer des Geſprächs ein Sagdausdrud entfuhr, fo 
feßte er hinzu: So fagen die Jäger, deren ich aber feiner bin, 
und zum Belege hierfür nahm er fogar feinen Anftand, lachend 
feiner früher erwähnten Jagdpartie zu gedenken, wo er das Reh 
gefchoflen, als es eben aus feinem Sandloche hervor kam, 

Wenn auch unfer Project, mit den beiden Damen aus dem 
englifhen Hof, von denen wir aber feine Spur mehr fanden, das 
fhöne Schloß und die herrlichen Parkanlagen M's. anzufehen, 
förmlich zu Wafjer wurde, fo wandelten wir Doch nach Tifche in 
nicht minder Tiebenswürdiger Gefellichaft durch die fchattigen Alleen; 
beſonders ich hatte bei dem Tauſche fehr gewonnen, deun anftatt, 
wie Schmidle gewünfcht, der alten Tante die herabhängenden Trauer: 
weiden an dem Meinen See zu zeigen, war ich fo glüdlich, meine 
ſchöne neungehnjährige Begleiterin darauf aufmerkſam machen zu 
können. Ob Schmidle, der unterdefjen mit der andern Dame und 
einem der jungen Herren, während der zweite bei mir ald Ehren- 
wache blieb,. auf dem Hügel zu dem fleinernen Amor ging, dort 
einen Anfnüpfungspunft fand, kann ich nicht genau angeben; nur 
fo viel weiß ich, daß er mit feiner Begleiterin am Arm Inftig las 


118 Kur natürlich! 


hend wieder mit mir zufammentraf und daß er mir darauf freudig 
die Hand drüdte mit der leifen Verfiherung: er würde ganz gläd- 
Hd fein, wenn ihm nicht heute Abend der fatale Ritt nad der 
Stadt bevorftände. Ich Hatte Schon ein Auskunftsmittel gefunden, 
indem die beiden jungen Herren meiuen Borfchlag, die Pferde nach 
@. zu reiten, wohin auch fie wollten, mit Freuden annahmen, 
wogegen wir und ihrer Pläpe in dem Wagen bedienten. 

Schmidle war heute der liebenswäürdigfte Menſch von der Welt. 
Dei einem Meinen Souper, das wir einnahmen, verwundete fich 
feine Begleiterin mit dem Mefjer, und da er diefe Verlegung mit 
einem Keinen englifchen Pflafter, das er flets bei fih führte, auf 
das funftgerechtefte bededte, fo Eonnte er auf die Frage der beiden 
Damen nicht läugnen, daß er mit dergleichen Sachen viel zu thun 
habe, und er geftand auch gern und willig, daß er Apotheler fet. 
Ihm folgte aber auch der Lohn für feine Aufrichtigkeit und Natür⸗ 
lichkeit auf dem Fuße nah, denn die beiden Mädchen erflärten 
ihm freudig, auch fie hätten in C. einen Ontel, der Apotheker 
fei und den er vielleicht kenne. Er fei der Befiker der Löwen⸗ 
apothete. 

Bon der Freude Schmidle’3 über diefe Entdedung will ich nichts 
fagen, da ed meiner ſchwachen Feder doch unmöglich wäre, ein ges 
treued Bild davon zu entwerfen. Bald beftiegen wir den Bagen, 
die beiden jungen Herren fchwangen fi auf unfere Pferde und 
mein Freund fand diefe neue Reifeart um fo viel behaglicher und 
befier, daß er im Uebermaße feines Glücks fogar des unglädlichen 
Ritts von heute Morgen erwähnte. Sehr ergüplich malte er feinen 
zweimaligen Fall vom Pferde aus und er that ed mit folder Xe- 
bendigkeit und folder Treue, daß die beiden Mädchen mehrmals 
laut lachten, aber mit einem ganz andern Tone, ald die junge 
ſchwarze Dame and dem englifchen Hof. Nur lieg fih Schmidle 
bei feiner Erzählung eine große Unwahrheit zu Schulden kommen, 


indem er mid als denjenigen angab, den die ſchwarzen Augen der 


\ 








Nur natürlich! 119 


ſchönen Dame angezogen, und als ſei er nur mir zu Liebe mit- 
geritten. 

Es verfteht fi von felbft, daß ich feine Erzählung als wahr 
pafliten und mir die Nedereien der jungen Mädchen über mein 
mißlungenes Abenteuer gefallen ließ. 

Es war ein wunderfchöner Abend, Wir fangen und lachten 
in dem offenen Wagen, und die beiden jungen Herren bielten mit 
unfern Pferden auf der Chauſſee Kleine Wettrennen. So erreichten 
wir die Stadt. Bor dem Thore beftiegen wir unfere Roſſe wieder, 
wünfchten den Damen gute Nacht und Schmidle ſprach ſtill lächelnd 
Die Vermuthung aus, daß er fie wiederfehen werde. Der Glüdliche 
wollte abwarten, welchen Eindrud er morgen früh in feinem Ar⸗ 
beitöcoftüme, vor der Reibſchaale ftehend, im Gegenfage zu heute 
Abend, auf das Mädchen machen würde. Ach, er hatte große 
herrliche Pläne! — 

Ich ging allein in meine Kaferne, und hörte in den nächiten 
Zagen nichts von meinem Freunde; aber ungefähr eine Woche nad 
unferm merkwürdigen Spazierritte befam ich einen Brief von ihm, 
worin er mir ſchrieb, daß er der glücklichſte Menfch auf der ganzen 
Belt fei; er habe fich mit der Nichte feines Prinzipals verlobt und 
fhon die Einwilligung feines Baters erhalten. Ich eilte zu ihm 
und wir befprachen uns lange und freundlich im Beinen Stübchen 
hinter der Apothele, wo Scmidle mir gerührt die Hand drüdte, 
und ich konnte nicht umhin, ihm aud für die Zufunft den Wahl- 
ſpruch zu empfehlen, den ich ihm fo oft gejagt: „Nur natürlich!“ 


124 Laternenunglüd. 





Die der fechöten bedeutend größer, ald die der vorigen, für Die 
Frauen der geheimen Hofräthe, der Majore zc., führen zwei Stearins 
fichter (bis hieher befreiter Gerichtsſtand). 





Die der fünften Rangklaſſe, den Frauen der Kanzleidirectoren, 
der geheimen Legationsräthe, Oberkriegsräthe, Oberſtlieutenants, 
haben in der Größe das Uebermögliche gethan. Dieſe Laternen 
find von Meſſing und führen zwei Wachslichter. 


Raternenunglüd, 125 


Bon der vierten Klaſſe an Hört die Beleuchtung mit Laternen 
auf, und bier iſt gewöhnlich ein männlicher Bedienter angeftellt, 
der die Frau Directorin oder Frau Oberftin als Schupengel ber 
„gleitet. 

Ditto bei der dritten Rangflafie. 

Zweite und erfte Rangklaſſe, die Excellenzen, gehen entweder 
gar nicht in's Theater oder bedienen fich eigener Equipagen und 
Drofäten. 

Wir können nun verfihern, daß fowohl die Frau Hoftath als 
die Frau Kanzleirath fidy nicht Über die ihnen angewiefene Rang⸗ 
Hafie, die fiebente, verftieg. Ihre Katernen waren von weißem 
Blech, etwas länglih und führten ein Wachslicht. Da fie, wie 
ſchon gefagt, gewöhnlich zufammen nah Haufe gingen, fo hatten 
fie zwei Laternen zur Verfügung, von denen eine, den Zug eröffnend, 
die Straße beleuchtete, die andere, den Zug befchließend, einen ma⸗ 
giſchen Lichteffect auf die Dahinwandelnden warf. 

Da fügte e8 das Schiefat, daß der Kanzlelrath in einer Auc⸗ 
tion um billiges Geld eine Laterne erftand, bie offenbar der ſechs⸗ 
ten Rangklaſſe angehörte, denn, obgleich etwas beffert, war fie 
außerordentlich groß und führte zwei Stearinlichter. Hätte der 


126 . Laternenunglüd. 





Kanzleirath einige Menſchenkenntniß befeilen, fo würde er an dem 
Erftaunen des Auctionärd, fowie an dem gerechten Unwillen, der 
deutlich auf dem Geſichte aller anmwefenden Frauen, weldye der Auc 
tion beiwohnten, gefchrieben ftand, gelefen haben, wie fehr er gegen 
die Rangordnung verftoßen. Doc er fah von allem dem wide. 
Die Laterne wurde nah Hanfe gebracht und von dem beöhaften 
Dienſtmädchen hell und blank gepupt. 

Grabftein ber Freundichaft, unglückſelige Laterne ! 

Verehrter Leſer, laß uns zwei Thränen weinen. 


Das Theater war beendigt und beide Frauen wandelten dahin. 
Voraus ging Hofraths Ride mit der Laterne der fiebenten Rang 
klaſſe. Ihnen folgte Kanzleiraths Bäbele mit der nenerkanften 
Laterne. Wahrſcheinlich hätte die Hofräthin den ſchrecklichen Ber 
rath an ihrer Freundfchaft folchergeftalt nicht entdedt, wenn es ihr 
nicht unglüdliher Weife eingefallen wäre, die Freundin mitten 
auf dem Schloßplatz auf die Schönheit des Abends aufmerkfam zu 
machen. 

„3 iſt doch ein wunderfhöner Abend, Kanzleiräthin, diefer 
Abend heut Abend. Siehft du, wie die Gaslichter fo heil brennen ?“ 


Laternenungtück. 127 


„Ja, und aus den Anlagen heraus, mein' ich, hört man die 
Nachtigallen ſchlagen, Hofräthin.“ 

„Ja, Kanzleiräthin, und wie auf dem Theater die Wetterhex 
vom Mond ſo ſchön beleuchtet iſt! Und die — Aber, Bäbele, was 
hat Sie für eine Laterne?“ 

„Na, nu, Frau Hofrath, das iſt die Latern' von der Frau 
Kanzleirath.“ 

„Von — der — Frau Kanzlei — rath?“ 

„Das habe ich wahrhaftig vergeſſen, dir zu ſagen, mein Mann 
bat fie neulich in der Auction gekauft.“ 

Die Hofräthin war in ihren heiltgften Gefühlen gekränkt, und 
ihr weiches Herz, das ohnehin von dem ſchönen Abend poetifch 
angeregt war, zog fih Trampfhaft zufammen. Sie heftete ihren 
umflorten Blick auf ihre Heine Laterne von weißem Blech mit 
dem einzigen Wachslicht, warf alsdann einen Blick des Schmerzes 
auf die Laterne der fechdten Rangklafie, einen fürchterlichen Zorn⸗ 

blick auf die Kanzleiräthin und eilte ſchweigend in der dunklen 
Nacht davon. 

Die Kanzleträthin fchüttelte den Kopf und ging ebenfalls ihrer 
Wege, d. h. direct ihrer Wohnung zu. Dort angelommen, mußte 
Bäbele noch einen Ausgang beforgen, während fich die Kanzleirä- 
thin in ihre innerften Gemächer zurüdzog. Ein folches Benehmen 
hatte fie von der Freundin nicht erwartet. 

Bäbele aber fegte die Laterne auf den Abfag der Treppe hin 
und ging, ihren Ausgang ohne Laterne zu beforgen. 

Kurze Zett darauf fam die Frau Hofräthin ebenfalld nad 
Haufe und hatte fich etwas gefammelt. „Die Kanzleiräthin,” fprach 
fie bei fi, „it doch nicht Schuld. Freilich hochmüthig ift fie 
immer gewejen. Ste wird die Laterne, die ihr nicht zutommt, 
gewiß nimmer gebrauchen, fie wird fie nie mehr vor deine Augen 
bringen,“ 


- 


128 Laternenunglüd. 


Damit öffnete fie ihre Hausthür und — — Auf dem eriten 
Abſatz der Hausflur ſtand die unglüdfelige Laterne, hell und firah- 
Iend, als weilte fie fagen: Sieh mid an, Hofräthin,, fieh meine 
beiden Stearinlichter. Juhe, ſechsſste Rangklaſſe! 

Da ſchwamm es der Hofräthtn vor den Augen, die Laterne 
nahm den ganzen Platz der Treppe ein und die unglüdliche Frau 
mußte fie uotbwendig berühren. Wenden wir unfere Blicke ab. 
Die Laterne fiel zufälliger Weiſe die Treppe hinunter — alle vier 
Scheiben zerbrachen, die Kichter Löfchten aus, und Bäbele als fie 
nad Haufe kam, ſchlug die Hände über dem Kopf zuſammen. 


Mit dem Bruch der Scheiben war auch der Bruch der Freund⸗ 
haft volftändig. Hornentbrannt fchliefen beide Zrauen ein, und 
mertwürdiger Weiſe träumten Beide die ganze Nacht von der ſechs⸗ 
ten Rangklafie und vom befreiten Gerichtäftand. 


Was Sollen wir dem Leſer weiter fagen? Die Harmonie war 
geftört und der Teufel der Zwietracht beutete Alles aus, um eine 
Annäherung der gekränkten Herzen ferner unmöglich zu machen. 

Schon am andern Morgen kaufte die Kanzleiräthin einen grü- 
nen Hut und die Hofräthin einen grünen Shawl. Der Hofrath 
and der Kanzleirath aber wunderten ſich ungemein, daß fie in der 
nähften Woche dreimal Stodfifche in brauner Sauce efjen mußten. 
Die Theaterbiflete wurden um ein Billiges verlauft, von einem 
Klopfen zur Mittagsftunde ward nie mehr eiwas gehört und am 
nächſten Quartal zogen beide Kamtlien aus, der Hofrath in die 
verlängerte Nedarftraße, der Kanzleirath an den Feuerfee. 


Meder den Sternen aber weinte der Engel der Freundſchaft 
auf eine Laterne der fechöten Rangklaſſe. 


Zaternenunglüd. 129 








Mehrere Jahre fpäter, ed war gerade ber 17. Januar 1849, 
Da begegneten ſich beide Frauen auf dem Schloßplage — tiefges 
beugt durch die Zeitereigniffe —, weinend und verjühnt ſanken fie 
ſich in die Arme und lispeiten — deutſche Grundrechte $ 7. 


Gadiänders Werte. VL. 9 


In Scene feben. 


— 


Wenn man eine fertige Arbeit betrachtet, fo denkt man felten 
der Schwierigkeiten, der Mühe und Arbeit, deren e8 bedurfte, um 
ein Werk auf den Punkt zu bringen, daß es dem Auge wohlgefällt, 
den Sinnen genießbar erfcheint; wer denkt daran bei dem fertigen 
Balaft, einem vollendeten Gemälde, bei einem Rod, der einem 
eben durch den Schneider angepaßt wird? Noch weniger aber als 
man bei al’ diefen Werken auf die Einzelnheiten ihrer Entftehung 
zurücdblict, tt Dies der Zul, wenn man des Morgens im Fauteuil 
eine Gigarre raucht oder ded Mittags aus der Reftauration kommt 
und an einer Straßenede den Theaterzettel Tiest. 

„Norma.“ 


3a, das Wort und die ganze Reihenfolge des Perjonals 
kommt dem Lefer fo natürlich und unzweifelhaft vor, es verfteht 
fih fo von felbft, daß heute Norma fein muß, weil geſtern Diefe 
Oper auf dem Zettel angekündigt ftand, daß es dem Laien ganz 
unbegreiflich ift, wenn man ihn fagt, daß dieſes einzige Wort 
Norma dem Jutendanten, dem Kapellmeiiter, den Regtjjeuren, kurz 
allen denen, die bei der Oper mehr zu thun haben als fih zu 





In Scene fepen. 131 


ſchminken und anzuziehen, vielleicht "eine fchlaflofe Nacht verurfacht 
bat. Was ich oben von der Undankbarkeit fprach, die man im 
Allgemeinen gegen fertige Werke ausübt, fo iſt dies namentlich bei 
dem Theater der Fall, O, fo ein Theaterzettel ift ein ftiller klarer 
See, die Buchſtaben und Worte auf demfelben ftellen fich dem Auge 
des Befchauenden fo natürlich dar wie die Furchen, Die der leife 
Wind auf dem WBafjerfpiegel zieht. Aber der Menfch begehre nim⸗ 
mer zu fchauen, wie der Mare See noch vor wenigen Stunden 
ausfah, ehe eine mächtige Hand ihn ebnete und glättete, wie es 
noch unter der blanken Oberfläche in feinem Innern kocht und gährt, 
und es nur eines einzigen Tropfend mehr bedarf, — fei ed num 
der Tropfen, den einer der Sänger über den Durft trinkt, oder fei 
ed ein Hoffmanndtropfen, den die Prima Douna zu fih nehmen 
zu müjjen glaubt — um die Wellen zu empören, daß fie in lauten 
Zojen über den Strand jchlagen. 

a, wir find undankbar, fehr undankbar. Bald wird uns eine Oper 
zu oft gegeben, bald ift und ein Schaufpiel zu lang, denn wir glauben 
ja, daß der Intendant blos mit feinem Aermel zu fchütteln brauche, 
um etwad Anderes über die Bretter raufıhen zu laſſen. Hat man 
nun den Zettel von oben angefangen zu lejen, ſich da fchon über 
Diverfed geärgert, über ein aufgehobenes Abonnement, oder ein 
Benefiz zu Gunften für Diefen oder Jenen, der einen eigentlich 
gar nichtd angeht, hat man es niedergefchludt, daß man flatt eine 
gewünfchte Oper zu hören, oder ein leichtfüßiges Ballet über die 
Bühne fäufeln zu fehen, ein fünfactiges Drama in dröhnendem 
Galoppſchritt Über die Brettir folk flirten hören, fo ftellen ſich deu 
Bliden, che man zu den Perjonen gelangt, oft noch ein yaar 
Worte dar, die man entweder leichtfinnig überhüpft, oder die man 
undanfbarer und unverſtändiger Weife unter dieſelbe Rubrik wirft, 
wie wenn man in den Zeltungen liest: „Ausverkauf“ oder „Herabs 
geſetzte Preiſe“ oder „Nur nod) heute,” fowie wenn auf den Zetteln. 
der herumziehenden Künftlergefellichaften das bekannte „Auf Ver⸗ 


132 In Scene fegen. 


langen zum allerlepten Male“ fteht, — id; meine die gewichtigen 
Worte: „Neu in Scene gefept.“ 

Es ift eigentlih unverantwortiih und traurig, daß wir Died 
Wort nie gehörig beachten, daß Wenige darüber nachdenfen, welch 
ungeheuer Großed der Ausdrud: „In Scene feßen,” in ſich begreift. 
Es ift auf dem Zettel wie beim Spiel die Hauptfache; es ift Die 
Hofe, die der Regiſſeur dem Nadten, dem Unſchicklichen anzieht, 
es ift die Wattirung, durch die er einem klappernden Verfe ein 
rundes ftattliches Anfehen gibt, es ift die Scheere, die das Rockchen 
den Tänzerinnen kürzt und das begierige Auge üppige Zormen fehen 
läßt, es ift der Tange Zalar, der oft den nach der Rhetorik der 
Handwerksburſchen Declamirenden zum Oberpriefter oder König 
umwandelt: e8 ift Alles in Allem, ſowohl auf den Brettern, welche 
die Welt bedeuten, als wie in der Welt ſelbſt. Sept fih nicht 
Zeder in Scene, wenn er am Morgen feinem Bette entfteigt, mag 
die Garderobe in einem durchlöcherten Flauß oder in einem feidenen 
Schlafrock beftehen, mag die Decoration eine Dachlammer oder Das 
Gemach efned Palaftes fein? Und da es ſchon einem einzelnen 
Menfchen oft fchwer genug wird, fich felbft ordentlich in Scene zu 
fegen, um anftändig erfcheinen zu können, welche Arbeit hat aljo 
der arme Regifjeur, der ein ganzes Perſonal fo weit bringt, Daß 
ed wie ein Uhrwerk in einander greift und das aufgegebene Stüd 
ohne Störung zu Ende fpielt. Muß er fih nicht um Alles bes 
fümmern, um Garderobe und Decorationen, um Requifiten und 
Mufit, um Lampenpuger und Statiften, und Alles das erft, nach» 
dem er vielleicht fchon ange vorher das Stüd zu Haufe durchge⸗ 
nommen, bier eine Stelle gekürzt, da eine Stelle geftrichen und 
fein Dentvermögen faft vernichtet Hat, um nur berauszubringen, 
wie er alle Rollen ſchicklich befegen will. — — 

Seit langen Jahren ift Egmont von Goethe nicht mehr geges 
ben worden. Pldtzlich kommt von oben herunter der Befehl: das 
Stück nen in Scene zu fegen und baldigft zu geben, — Egmont 


In Scene fegen. 133 


von Goethe! Der Auftrag hat dem Regiſſeur fein Abendbrod fehr 
vergällt, denn da ft für ein paar Dupend redender Perfonen zu 
forgen, für eine Unzahl von Statiften, außerdem fpielt er noch die 
Hauptrolle, die er fett Jahren nicht mehr angefehen, und die feinem 
Gedächtniß allmälig entfhlüpft if. Noch fpät am Abend, als er 
nad Haufe fommt, händigt er feinem Bedienten einen Zettel ein, 
wonach ihm der Infpictent des Theaters am folgenden Morgen in 
der Früh fämmtliche Rollen ſchicken mug. Er fchreibt noch eine 
Maſſe von Heinen Briefen an feine Freunde; der eine beißt ein 
altes Kupferwerk aus den Zeiten des niederländifchen Befreiungs- 
frieges, der andere hat ſich mit der Geſchichte felbft viel beichäftigt, 
ein driiter hat den Egmont vor einiger Zeit in X. gejehen, ber, 
befigt eine Mafje alter Schwerter und Hellebarden, die gut zu 
brauchen wären, jener das echte Exemplar eines Ordens vom gols 
denen Vließe. Alle werden um irgend etwas gebeten, und fo den 
Kopf voll von Egmont legt fi) der Negifjeur zu Bett. Im Traum 
erjcheint ihm Herzog Alba „und verlangt in eigener Perfon mits 
fptelen zu dürfen, denn feiner würde das fo gut machen wie er 
ſelbſt. Kaum hat der Träumende, durd die Erfcheinung des blu⸗ 
tigen Kriegsmanns erfchroden, ihm Alles bewilligt, was er verlangt, 
fo erfcheint der Schanfpieler, dem Die Rolle von Gott und Eon 
tractd wegen zufommt, und fpricht fie für fih an. Die beiden 
Afpiranten gerathen in Streit, der wirkliche Herzog zieht fein 
Schwert und der Schaufpieler feinen Eontract aus der Taſche, den 
er in Stüde zerreißen will und feine Entlaffung fordert. Wer 
weiß, wie fih diefer Kampf endigen würde, wenn nicht noch zur 
rechten Zeit Wilhelm von Oranien die Beiden verdrängte. Doc 
jegt fommt der Negiffeur vom Regen in die Traufe, denn da ihm. 
immer die Kraftftelle ded Prinzen, wo er ein paar Thränen fließen 
laͤßt, im Andenken tft, fo erfcheint er als heulendes und ſchluch— 
zendes Gefpenft und will fih gar nicht zur Ruhe bringen lafien. 
Auch Klärchen ſchwebt heran; aber es ift eigentlih die Schau-- 


134 In Scene feßen. 


fpielerin, welche diefe Rolle fptelt. Ste bittet den guten Regiſſeur 
nit ihrer fehmeichelnden, zarten Stimme um ein neues, ſchönes 
Coſtüm, und der unruhig fih bin und ber wälzende Mann ver- 
fpricht, ihr das fchönfte Kleid aufzuheben. Doch bat er noch Feine 
Ruhe, jept raufcht das niedere Volk heran, die Bürger von Brüffel, 
und fohreien nicht nach Freiheit, fondern nad neuen Coſtümen; 
die Garden des Herzogs von Alba, die langen fteifen Spanier, 
wollen auch neu gekleidet fein, und ſchon denkt der Regifieur, wie 
ſchön ihnen die Röcke Ttehen würden, die er auf einem niederlän— 
diſchen Gemälde aus jener Zeit gefehen. Er denkt an die Koften, 
die allenfalls noch herauszufchlagen wären, als es ihm plöplich fo 
vorfommt, als fei er — Egmont im Kerkerz die himmlische Muſik 
ertönt, der Hintergrund öffnet fih, Klärchen erfcheint, aber ftatt 
der Friedenspalme fchwingt fie in ihrer Hand ein Decret von der 
Dberhofintendanz, worin der Negiffeur mit dürren Maren Worten 
zur Sparfamkeit aufgefordert wird. Der arme Mann fährt aus 
feinem leichten Schlummer emvor, greift nach einem Glafe Waſſer 
und legt fih wieder hin. Diesmal ift ihm Morpheus günftiger, 
doc weil er fih unaufhörlich mit dem Egmont befhäftigt, träumt 
er wieder von der Tragödie, und es umfchwebt ihn diesmal das 
Balletcorps und bittet ihn, die nöthigen Pagen auszuleſen: 


Sie neigen fih, beugen ſich, 
Schweben auf und ab. 


„Eine Hexenzunft!“ murmelt der träumende Regiſſeur mit Mephi⸗ 
ſtopheles, ſieht aber mit Wohlgefallen den reizenden Bewegungen 
zu. Wilder wird der Tanz, tiefer der Schlaf, aber undeutlicher 
die Geſtalten, und endlich erblickt der Regiſſeur nichts mehr als 
Himmel und Tricots. — Er iſt ſanft entſchlummert. 

In der Nacht war es uns nicht möglich, die Wohnung des 
Regiſſeurs genau zu beſehen, doch jetzt erlaubt uns der helle Tag, 
einen Blick in die geheimen Gemächer zu werfen. Wie ſich die 








In Scene fepen. 135 


Zeiten geändert haben! Poeten und Künftler find von ihren Mans 
farden herabgeftiegen in den eriten Stock oder in glänzende Par- 
terrewohnungen, und wenn die Kunft felbft mit ihren Jüngern in 
Wechfelwirkung fteht, fo muß fie bedeutend emporfteigen; doch 
Hoffentlich nicht in die leer ftehenden Dachſtuben, fondern als gei⸗ 
flige8 Wefen gen Himmel, wo fie hingehört, um und von da herab 
mit ihren Strahlen zu durchdringen. 

Es iſt eine Parterremohnung, vor der wir ftehben, und wäh: 
rend ein gähnender Bedienter in Livree die Glasthüre Öffnet, welche 
in den Vorſaal führt, fchlüpfen wir hinein und können unbeforgt 
fein, daß uns Niemand hört, denn auf dem Boden Tiegen Teppiche, 
Bärenfelle, und die Thüren, die uns dur Ihr Sinarren verrathen 
tönnten, find ausgehoben und haben Vorhängen von buntem, glän- 
zendem Stoffe Plap gemächt. In den Zimmern felbft find fchwel« 
fende Divans, Blumentifche, die den Herrlichften Duft ausftrömen; 
Gemälde und Kupferftiche in goldenen Nahmen bededen Die Wände, 
und Bildfäulen der Venus in allen möglichen Stellungen find in 
den Eden placirt. Im zweiten Zimmer befindet fich der Regiſſeur 
im eleganten Schlafrod ; er liegt in einem prächtigen Fauteuil ; 
vor ihm fteht ein Marmortifchchen, auf dem der Kaffee fervirt ift, 
und ein angenehmer Duft, der und entgegenftrömt, fagt uns, daß 
er eine fehr feine Havannarigarre rauche. Obgleich es erft act 
Uhr ift, ift doch Schon Geſellſchaft da. So eben trat der Theater: 
diener ein und brachte einen Stoß vergilbter Papiere, es find die 
verlangten Rollen des Egmont. Der Theaterdiener tft ein ganz 
merkwürdiger Menfch ; obgleich er nichts zu thun hat, als Aus⸗ 
gänge zu beforgen, Briefe auf die Poft zu tragen, Proben anzus 
fagen, dem BPerfonale die Monatsgagen zu bringen, fo weiß er 
mit einer ungemeinen Feinheit in diefe untergeordneten Gefchäfte 
einen Faden aus den höhern Zweigen des Theaterweſens hinabzu⸗ 
ziehen und da oben, wenn auch ganz unbemerlt, die Hände im 
Spiel zu haben. Der Theaterdiener wird „Herr“ genannt, iſt bei 


136 In Scene feßen. 


» Hoftheatern meiftens ein alter gedienter Soldat, der die Medaille 
im Knopfloch trägt. Auf feinen Xippen fteht ein beftändiges Ki- 
hein, und er macht fih ein Geſchäft daraus, das ganze Thearer⸗ 
perfonal fo zu ftudiren, daß er weiß, bei dem braucht ed nur eines 
Ausweifes, bei dem einer Heinen Bemerkung, bei Jenem ein wohl- 
angebrachtes Lächeln, um zu erfahren, was er zu wiffen wänfdt. 

Dabei muß der Theaterdiener ein ſtarkes Gedächtniß befiten, 
muß alle alten Stüde mit ihren Beſetzungen wie feine Taſchen 
fennen. 9a, er ift ein unentbehrliches Glied in der langen Kette, 
an der dad ganze Perfonal zappelt. Ohne feinen Willen wird viels 
feiht Norma an dem und dem Abend nicht gegeben. Die erfte 
Sängerin hat zufällig etwas Anderes zu thun, ald in der Oper zu 
fingen, und klagt am Abend vor der Borftellung ihrem Kammer⸗ 
mädchen die Noth. Der Theaterdiener fommt ind Vorzimmer und 
fagt Xifettchen eine Probe an. „Ad, mein lieber Freund ‚” ent- 
gegnet ihm dieſe, „ich glaube, wir können morgen unmöglich fin⸗ 
gen; ich verfidhere Ste, wir find ganz heifer;“ — Die Zofen der 

Künftlerinnen reden nämlich immer in der Mehrzahl. — Der Thea⸗ 
terbiener denkt einen Augenblid' nah und plößlich fällt ihm eine 
ſchnippiſche Antwort ein, die ihm Mademoifelle E., die Soubrette, 
vor einigen Tagen gegeben. Er nit mit dem Kopf und geht 
nachdenkend fort. Der gute Intendant, der ſich nicht wenig freut, 
die Norma endlich glücklich herausgeſchält zu haben, wird. fehr un- 
angenehm überrafcht, als ihm der Theaterdiener meldet, daß die 
erfte Sängerin von einer fo entfeglichen Heiferfeit befallen wäre, 
daß fie fein Wort fprechen könne. Die Regifjenre find augenblid- 
ich nicht bei der Hand, der Zettel für morgen muß in Die Druderei, 

und da weiß denn ein Muger Theaterdiener zu rechter Zeit ſchüch⸗ 
tern den Namen eines Stüdes hinzuwerfen, das lange nicht gege⸗ 
ben wurde. Wird dieſe Idee von dem Chef aufgefaßt, jo hat Jener 
gewonnenes Spiel und läuft mit Freuden nochmals herum, das 
andere Stück anzufagen, denn er kommt ja auch in das Hauf der 





In Scene fepen. 137 


Soubrette, der er dadurch vielleicht einen genußreichen Abend vers 
dDirbt. Aber auch wegen anderer Motive läßt der Theaterdiener 
feine Minen Ipringen. Der erite Held ift vielleicht gerade krank, 
und der zweite Held, der eben kein Held ift, möchte gern einmal 
den Wallenftein fpielen; denn ein durchreifender Touriſt, der fein 
Freund iſt, möchte den großen Mimen gern einmal in einer Glanz» 
rolle fehen, um mit ihm ein Kapitel in feinen Reifetablerten auge 
füllen zu können, und died wäre nur unter diefen Umſtänden mög⸗ 
lich. Ein Anderer möchte feinem Eollegen gern den Spaß-verders 
ben und ihm einen Stein in den Weg legen, damit ein Stüd, in 
dem Sener eine Lieblingörolle hat, nicht gegeben wird. — Dod 
wir fchweifen zu weit ab und ehren lieber ind Zimmer des Regifs 
feurs zurüd, wo wir vielleicht beſſere Gelegenheit haben, dergleichen 
interejjante Betrachtungen anzuftellen. . 

Der Theaterdiener, der gegen den Regiſſeur noch viel gefchmei- 
diger ift, als gegen den Chef felbit, denn Eriterer ift ein praftifcher 
Theatermenſch und läßt fich nicht Leicht etwas vormachen, rüdt das 
Marmortifhchen näher und legt den Rollenftog mit einem gelinden 
Seufzer darauf hin. Der Regijjenr läßt das Zeitungsblatt neben 
fi) fallen und wirft die Nollen auf dem Tiſche aus einander, Da 
es dem Theaterdiener für jegt nur darum zu thun tft, zu wiffen, 
wie die Partien aufs Neue befept werden, damit es fieht, ob feine 
Proteges auch gehörig bedacht find, fo fängt eran, den Regifjenr 
leife auszuforjchen. 

„Da haben der Herr Regiſſeur wieder eine fchwere Arbeit.“ 
Keine Antwort, „Nun, die meiften Rollen werden bleiben, wie 
fie früher gewefen find.“ Der Regiſſeur blättert emfig in den 
Bapieren fort. „Seit Herr C., der den Alba zum Tepten Male 
fpielte, geftorben tft, ift das Stüd nicht mehr gegeben worden. — 
Der Herr Regiffeur werden Mühe haben —“ — „Das wär’ das 
Wenigfte,” entgegnet ibm diefer, „Herr M. wird diefe Rolle eben 
fo gut ſpielen.“ — Das fohreibt fih der Theaterdiener gleich 





138 In Scene fegen. 


hinter das linke Ohr und fährt fo mit Fragen fort, bis er ziem- 
Sich mit der Nollenvertheilung im Klaren ifl. „Befehlen der Herr 
Regifieur, daß ich wiederkommen ſoll?“ — „Gegen Mittag, ja, 
Adieu!“ 

Der Theaterdiener empfiehlt ſich und der Regiſſeur iſt allein 
und hält in Gedanken einen ähnlichen Monolog wie König Phi— 
lipp, als er ſeine Brieftaſche durchmuſtert. Er ſieht die Namen, 
die auf den vor ihm ausgebreiteten Rollen ſtehen, bald mit Lächeln, 
bald mit Kopfſchütteln an. Ach, er iſt ja auch nur ein Menſch, 
und ihm fällt ein, wie ſich Dieſer und Jener gegen ihn benommen, 
und wenn er auch zu rechtlich iſt, um Jemand zu unterdrücken, ſo 
kann man es ihm doch nicht verdenken, wenn er gerade dem, der 
ihm beſtändig opponirt, eine Eſelsbrücke bauen ſollte. Auf dieſe 
Art hat Mancher den Sieg bei St. Quentin längſt verwirkt und 
wird zu den Todten gezählt. Dieſe vergilbten Rollen zeigen mit 
den Namen der verſchiedenen Schauſpieler, die auf ihnen gezeichnet 
und wieder ausgeſtrichen ſind, aufs beſte die Laufbahn, die mancher 
Künſtler gemacht hat. Hier iſt die Rolle des erſten Bürgers von 
Brüſſel und mit manchem durchſtrichenen Namen verſehen. Hier 
nahm manches junge Talent ſeinen Anlauf, manches kam höchſtens 
bis zur Rolle des Gomez; der ſpielte einmal den jungen Herzog 
von Alba und wurde bei Seite gelegt, und von fo vielen tft faum 
ein einziger, der ſich bis zu einer erften Rolle durchdrang und ſich 
da erhielt. Auch der Regiſſeur hat diefen Weg gemacht; aber er 
ſieht mit ftillem Vergnügen, wie die Roflenhefte, auf denen fein 
Name prangt, allmälig dider wurden; er fieht einen ganzen Lebens— 
lauf dazwifchen Iiegen, und jede Rolle, die er durchfieht, bringt 
ihm traurige und angenehme Stunden ins Gedächtniß. Wo find 
al’ die Klärchen geblieben, mit denen er auf den Brettern, fowie 
im Leben gefpielt. Auf dem Mollenbefte fteht eine zahlreiche Lifte 
von Namen, die einft [hönen jungen Mädchen angehörten, aber die 
meiften find alt geworden, verfchollen, geitorben und verdorben. 


— 





In Scene ſetzen. 139 


Andere find weiter gerüdt, Doch wenn fie auch didere Rollen beka⸗ 
men, find fie doch nicht aufwärts geftiegen. Aus jungen Liebha- 
berinnen wurden fie auf den Brettern und in der Wirklichfeit Müt- 
ter und feifende Matronen. Aber wenn man alle dieſe hört, geſchah 
ihnen bittered Unrecht. Sie wurden unterdrüdt und würden Klärs 
hen beute noch fo gut fpielen, wie vor fünf und zwanzig Jahren. 
Doch ftill, es Hopft, und ein lebendiges Beiſpiel tritt ein. Es tft 
Madame H., die vor etlichen zehn Jahren mit dem Regiſſeur Lieb- 
haber fpielte und auf die zarte Neigung, die fie früher fo oft auf 
den Brettern verband, eine feſte Freundfchaft baute, welche fie jept 
bei Fleinen Bitten geltend macht. And dem jungen naiven Mäd- 
chen ging fie ind Zach der zärtlichen Mütter über, wurde nach und 
nach Ehrendame der Königinnen, fpielt auch in alten Stüden vor: 
nebme Perjonen felbft, denn fie hat eine fattlihe hohe Figur, 
über welche ſich der Königsmantel fehr ſchön zur Schau häns 
gen läßt. 

Obgleich es dem Regiſſeur nicht angenehm ift, unterbrochen zu 
werden, rüdt er doch der Dame Anftandöhalber einen Seſſel Hin, 
und fie läßt fi mit einer unnachahmlichen Grazie nieder. „Ach, 
guten Morgen, lieber Regifjeur, hab’ ſchon lange die Idee gehabt, 
Sie zu befuchen, fomme aber nie dazu.” — „So,“ entgegnet diefer 
ziemlich lang gezogen, „und was führt Sie jetzt zu mir!" — 
„Ach,“ declamirt die H. fchmachtend: 

„Es ift eine alte Gefchichte, 
Doc bleibt fie immer neu, 
Und wen fie juft paffiret, 
Dem bricht das Herz entzwei.“ 

„Sie wiften ja, lieber Regiſſeur, daß mit dem nächiten Jahre 
mein Contract zu Ende läuft, und da Sie Alles bei der hohen In⸗ 
tendanz vermögen, fo werden Ste doch, hoffe ich, einer alten Col 
fegin, wollte fagen, einer Collegin, die ſchon lange mit Ihnen 
ſpielt, das Wort reden.“ 


140 In Scene fegen. 


Der Regiffeur hat während Diefer Rebe, die ihm nicht neu iſt. 
in den Rollen des Stüdes geblättert und ohne gerade der Dante 
auf ihre Bitte eine Antwort zu geben, legt er ein bünned Hefthen- 
vor die Madame H. hin, ed ift die Rolle von Clärchens Mutter, 
auf der ihr Name prangt. 

„Aber, Lieber Freund,“ führt diefe überrafht fort, „wad ma- 
‚hen Ste denn da? Sie find doch fehr zerſtreut. Sie dachten on 
mich und ſchreiben meinen Namen auf dies Rollenheft?“ 

„Ja,“ entgegnete der Regifjeur, jedoch ohne aufzufehen; denn 
ed iſt gefährlich, einer Künftlerin, die Heldinnen fpielt, bei Mo⸗ 
menten, wo man ihr etwad Unangenehmesd fagen muß, in das 
Auge zu bliden. „Ich that es nicht in der Zerfireuung; es it 
gewiß beffer, liebe H., daß Sie anfangen, fih in Müttern zu 
verfuchen. Wiffen Sie, die Zeit rüdt vorwärts, ich werde auch 
allmälig alt, und ich verfichere Ste, daß es mir ſehr läſtig win, 
noch den Egmont und dergleichen jugendliche Rollen zu ſpielen.“ 
War die Dame wirklich durch die ihr zugedachte Rolle fo über— 
rafcht, oder affeetirte fie nur die Beſtürzung und den Berdruß, der 
fi) auf ihrem Gefiht und an der ganzen Haltung deutlich bliden 
fieß, genug, das drohende Feuer in ihrem Blick verfhwand, fie 
wandte den Kopf recht‘ würdevoll gegen den Regiffenr, bob eine 
ihrer Hände mit einer unnahahmlichen Bewegung gegen das Herz 
und lispelte mehr, als fie ſprach: „Aber, lieber Regifjeur, wie kann 
ich bei meinem edlen Wefen fo ein Weib fpielen, die Mutter ciner 
ſolchen Tochter. Ah! Ich würde ganz meine gewöhnlide Natür— 
fichkeit verlieren, und jeder würde mir anfehen, daß ich mit Wider— 
willen einen folchen Charakter darftelle.“ 

Aber der Herr Regifjeur blieb trotz dieſen Lamentationen feft. 
Er zuete die Achſeln und verficherte, vergeblich einem Auskunfts⸗ 
mittel nachgedacht zu haben. „Sehen Ste,” fagt er und ftedt fi 
eine neue Gigarre an, „die M, ift krank, die W. auf Urlaub und 
der R. fo wenig wie der Y⸗-Z. kann ich doch eine folhe Rolle 








In Scene fegen. 137 


Soubrette, der er dadurch vieleicht einen genußreichen Abend vers 
Dirbt. Aber auch wegen anderer Motive läßt der Theaterdiener 
feine Minen fpringen. Der erite Held ift vielleicht gerade krank, 
und der zweite Held, der eben kein Held ift, möchte gern einmal 
den Wallenftein fpielen; denn ein durchreifender Touriſt, der fein 
Freund tft, möchte den großen Mimen gern einmal in einer Glanz» 
rolle fehen, um mit ihm ein Kapitel in feinen Reifetabletten aus⸗ 
füllen zu können, und Died wäre nur unter diefen Umſtänden mög- 
lich. Ein Anderer möchte feinem Collegen gern den Spaß-verders 
ben und ihm einen Stein in den Weg legen, damit ein Stück, in 
dem Jener eine Lieblingsrolle hat, nicht gegeben wird. — Doch 
wir fohweifen zu weit ab und kehren lieber ind Zimmer des Regif- 
feurs zurüd, wo wir vielleicht befjere Gelegenheit haben, dergleichen 
interejjante Betrachtungen anzuftellen. . 

Der Theaterdiener, der gegen den Regiſſeur noch viel geſchmei⸗ 
diger tft, als gegen den Chef felbft, denn Erfterer ift ein praktifcher 
Theatermenfch und läßt ſich nicht Leicht etwas vormachen, rüdt das 
Marmortifchchen näher und legt den Rollenftoß mit einem gelinden 
Seufzer darauf hin. Der Regiſſeur läßt das Zeitungsblatt neben 
fich fallen und wirft die Rollen auf dem Tifche aus einander. Da 
es dem Theaterdiener für jegt nur darum zu thun iſt, zu wiffen, 
wie die Partien aufs Neue befegt werden, damit es fieht, ob feine 
Protegss auch gehörig bedacht find, fo fängt er an, den Regifjenr 
leife auszuforſchen. 

„Da haben der Herr Regifjeur wieder eine ſchwere Arbeit.” 
Keine Antwort, „Nun, die meiften Nollen werden bleiben, wie 
fie früher gewefen find.“ Der Regifjeur blättert emfig in den 
Papieren fort. „Seit Herr C., der den Alba zum leßten Male 
fpielte, geftorben ift, ift das Stüd nicht mehr gegeben worden. — 
Der Herr Regiffeur werden Mühe haben —“ — „Das wär’ das 
Wenigſte,“ entgegnet ihm diefer, „Herr M. wird diefe Rolle eben⸗ 
fo gut ſpielen.“ — Das fehreibt ſich der Theaterdiener gleich 


- 


142 In Scene fepen. 


Blick, der Bediente macht mit feinem äußerſt dummen Geficht ein 
Eompliment, und die Dame ift verfchwunden. Raſch wendet fi 
nun der Regiſſeur ins Zimmer zurüd, klopft anmuthig Die Afche 
von der Cigarre und ruft dem Bedienten hinaus: „das verfluchte 
ewige Stören! Ich bin für Niemand mehr zu Haus!“ 

Er ſetzt fih wieder in feinen Fautenil und fährt fort im den 
Rollen, fowie in den Büchern, die ihm nach und nah von feinen 
Freunden geſchickt werden, zu blättern. Wenn ihm aud nicht ges 
trade die Ecene, die er mit der H. hatte, alte Sugenderinnerungen, 
weder traurig noch komiſch, ins Gedächtniß zurüdtuft, jo findet er 
dagegen auf den gelben Papieren manchen Namen, der ihm ein 
Lächeln oder einen ftillen Seufzer abgelodt. Auch Bemerkungen, 
die bie und da von den darftchenden Künftlern zwijchen den Reden 
eingefchrieben wurden, fommen ihm äußerft komiſch vor. Da heißt's 
bei einer Stelle: „der rechte Arm wird ausgeſtreckt, der Kopf würde 
voll zurüdgeworfen, oder die Augen werden fchmachtend gefchlofjen;“ | 
bei einer andern: „hier trete ih drei Schritte zurüd, knirſche mit 
den Zähnen und floße drei Seufzer aus;“ hinter einem langen Re 
nologe ftehen Die Worte: „als ich zum lepten Dale diefe Rolle ſpielte, | 
gerubten Se. Durchlaucht der Fürſt, der in Hufarenuniform im. 
Theater war, mid aufmerkſam anzuhören und am Schluſſe bei: 


fällig mit dem Kopfe zu niden; auch applaudirte das Barterre 


dreimal.“ in anderes Notabene hieß: „bier ftügte ich mich mit dem 
linken Arm auf mein Schwert, legte den rechten Ellbogen, auf dem 
mein Kopf rubte, darauf und bildete fo, wie meine Freunde mich 
ſpäter verſicherten, eine maleriſche Stellung.“ 

Das alles liest der Regiſſeur durch, vertheilt die noch hir⸗ 
den Rollen, ſchreibt die Zahl der Statiſten auf, ſowie das ganze 
Ballet, das er im Stück zu verwenden gedenkt; Einige ſollen Pagen 
machen, Andere führen bei den Volksſcenen in Brüſſel Tänze auf, 
und der Nachwuchs des Ballets, die Kinder unter zehn Jahren, 
follen die Straßen bevöltern, hin und ber reunen und Beine Spiele, 


In Scene Segen. 143 


treiben. So ift e8 elf Uhr geworden. Es ſchellt draußen, der 
Bediente bringt ein Meines Billet und meldet zugleich drei Tänzes 
rinnen, die aufzuwarten wünfchen. In dem Briefe bittet ein College, 
der bisher die Rolle des Vanſen fpielte, da er zufällig gehört babe, 
daß der Egmont auf dem Repertoire flünde, um Abnahme diefer 
Rolle und um Zutheilung des Herzogd Alba, da lepterer eigentlich 
mehr Intriguant fet als erfterer, und er für dies Fach doc, enga- 
girt ſei. Der Brief wird ad Acta gelegt und die Tänzerinnen vors 
gelafien. Neue Klagen und Befchwerden. Die drei Grazien kom⸗ 
men eben aus der TZanzftunde, wo fie erfuhren, daß ihnen zu einem 
Zanz auf heute Abend, in dem fie die Solopartien haben, feine 
neuen Schuhe gemacht werden follen. Dem Regiſſeur werden die 
alten vorgezeigt, die von fleifchfarbener Seide und jedenfalls fehr 
defect, ſogar durchlöchert find. Doch zudt er die Achfeln und rech⸗ 
net ihnen vor, daß die ausgefegte Summe für neue Schuhe faft 
überfhritten fei und er alfo nichts mehr dürfe machen lafjen. Aber 
das Kleeblatt Täpt ſich fo bald nicht abweifen, fie beftürmen den 
guten Mann mit Bitten, und Schmeicheleien, verfihern ihm, daß 
fie auf den durchgetangten Sohlen faſt nicht mehr ftehen könnten, 
eine fogar, die fehr fchöne Waden hat, macht, während fie die 
Schuhe vorzeigt, ein Heined Battement, um zu zeigen, daß man 
bei der Borftellung die defecten Stellen deutlich fehen könne, was 
den Regijjeur rührt, und fie erhalten endlich die Erlaubniß, die 
jehr nothwendigen neuen Schuhe machen zu lafien. 

Nachdem ſich die Tänzerinnen noch einige Secunden in dem 
Zimmer des Regifjeurs umgeſehen, da eine fchöne Stideret bewuns 
dert, bier die Stellung der Venus nicht ganz natürlich fanden, 
trifft der Regiffeur Anftalten, fich feines Schlafrods zu entledigen, 
um Toilette zu machen , cine Bewegung, welche die drei alsbald in 
die Flucht fchlägt. Jetzt wird dem Bedienten gefchellt, doc, kaum 
ift diefer eingetreten, um feinem Herrn die nöthigen Sachen zur 
Zoilette hinzureichen, als draußen wieder heftig gefchellt wird, 


144 In Scene fepen. 


Schon ift der gevlagte Mann im Begriff, feinen Schlafrock wieder 
feſter um ſich zu ziehen, als er an dem Iauten Gelächter der vor 
der Thür Stehenden erkennt, daß es ein paar gnte Freunde find, 
vor denen er fih nicht zu geniren hat. Er läßt affo den Schlafrod 
fallen und läßt fi, nachdem er noch einen Blick zum Fenſter hin⸗ 
ausgeworfen hat, ein paar belle Beinkleider geben, die er dem 
Sonnenfhein zu Liebe heute anziehen will. Indejien find zmei 
junge Männer an die Thür getreten, die in ihrem Aeußern den 
fhärfiten Contraft bilden. Der erfte ift von einer langen, febr 
fangen Geftalt, auf der ein intereſſantes, aber fehr blaſſes Geficht, 
von heilblonden Haaren umgeben, jehr von oben herab auf die 
Belt fieht. Er ift recht elegant gekleidet, trägt bunte carrirte 
Beinkleiver, eine ſchwarze Atlaßweſte, auf der ein Feines Stüdcen 
goldener Kette vrangt; ein ähnliches Geſchmeide verbindet die fr 
loffalen Knöpfe zweier Zuchnadeln, mit denen der lange junge 
Mann das ſchwarzſammtne Halstuch verziert hat; ein Krad nad 
dem meueften Schnitt mit pfundfchweren Knöpfen, auf denen ein 
Fuchskopf cifelirt iſt, vollendet dad Ganze. Er fchreitet mit are 
Ben Schritten durch den Borfaal, wobel er einer Tanne zu vergleis 
chen ift, die vom wilden Sturmwind bewegt bin und ber ſchwankt. 
Der Andere, der wenigſtens einen guten Schub Heiner ift als der 
Erſte, aber dagegen der Breite defto mehr zugefeßt bat, iſt faum 
im Stande, ihm zu folgen. Beide mögen vielleicht fünf bis ſechs 
und zwanzig Jahre alt fein, fehen aber aus ganz verfchiedenen Um: 
ftänden weit älter aus nnd find bei ihrem Eintreten über dies Ka 
pitel gerade in einen Meinen Streit verwidelt. 

„Sch verfihere dich,“ fagte der Zange, „daß du mit jedem 
Tage unförmliher und dider wirft. Alles Jugendliche ift aus 
deiner Erfheinung verfhwunden, und wenn nicht dein Findijcher 
Kopf wäre, der, beiläufig" gefagt, weniger zu deinem Körper als 
zu deimen Neigungen und Gefinnungen paßt, fo könnte man dich 


für einen alten Kerl von fünfzig Jahren halten.” Das ſprach der | 








In Scene ſetzen. 145 


Zange finfter und ernft und mit folchem Tone, als ſei die Sache 
durch den Ausſpruch abgemacht und Tieße fich nichts weiter darauf 
entgegnen. Doch der Feine Dide, der freundlich Tachend hinter 
dem Langen hertrippelte und zu ihm emporfah, ſchenkte Diefem 
nichts und verglich ihn mit einem Streihhölzchen, von dem aber 
oben der Schwefel abgebrannt fei. So gelangten Beide in das 
Zimmer des Regiſſeurs, als er fi gerade befchäftigte, Das 
belle Beinkleid anzuziehen. Der Lange bleibt bei diefem Anblick 
wie erftaunt unter der Thür des Zimmers ftehen und fagt mit 
überrafchtem Zone, während fi) der Dide in eine Sophaede legt 
und nach einer Gigarre langt: „Ach, Tieber Regiſſeur, Sie wollen 
heute ein helles Beinkleid anziehen? Welche Idee! Es gibt ja in 
einer Stunde Negen. Dann follten Sie fih auch mehr iu Adht 
nehmen und fich nicht hier bei den offenen Thüren anziehen. Ich 
habe Ihneu das fchon oft genug geſagt.“ 

Der Regiffenr läßt langfanı die Hand ſinken und ſchaut nody 
einmal zum Fenſter hinaus, dann fagt er ruhig: „Ia, Sie haben 
Necht, ed wird doc in kurzem fchlechtes Wetter. Johann, eine 
Tchwarze Hofe!“ Und der Dide bricht in ein lautes Gelächter aus, 

Bon den beiden eben Cingetretenen, die ich den Xefer zwar 
bezeichnet, aber nody nicht vorgeftellt habe, ift der Lange Echaus 
Spieler und der Dicke Scriftiteller. Daß der Mime ein Mann von 
Talent und Fähigkeiten iſt, läßt fich daraus abnehmen, weil er mit 
dem verftändigen, fcharfblidenden Regtfjeur in fo vertraulichem Ver⸗ 
bältniffe fteht, fo daß diejer fogar auf die Meinung und das rs 
theil des Untergebenen etwas hält. Was den Schriftfteller betrifft, 
fo ſchweigt die Geſchich!e. 

Der Lange ift indejjen mit einigen großen Schritten im Zins 
mer umbergeftürzt und hat in kurzem die Rollenhefte des Egmont 
auf dem’ Tifche entdeckt. „Ab, der Egmont!“ ruft er laut. „Ich 
befomme dod) den DOranien? Nicht wahr? ch verfichere Ste, ich 
habe mic fehr darauf gefreut und ſchon fange über das Coſtüm 

Hadländers Werte, VI. 10 


146 In Scene -fepen. 


nadhgedaht, dad mir am Bellen dazu ftehen wird. Was denfen 
Sie zu einem ſchwarzen Sammetkleide? Ic nehme dazu eine kurze 
blonde Perrüde und einen rotben Bart.” — „Wie dein natürlicher 
iſt,“ fchaltet der Dide ein. Doc hoffe ich, wird dir jept endlich 
einmal Befehl ertheilt werden, ihn abzufchneiden; deun tu, der 
fo jehr auf Treue des Coſtüms inclufive Perrüde und Bart fiebt, 
wirt Dod wohl willen, daß damals diefer Wangenſchmuck nidt 
Mode war.“ Der Lange ficht ihn mit einem großen Blide an 
und antwortet ganz ruhig: „Glaub' mir nur, daß ich beiler weiß, 
was fi für meine Rolle paßt als du.” Schon droht wieder, wie 
beim Gintritt, ein Heiner Streit zu beginnen, wenn nicht der Re⸗ 
gijjenr gerade angezogen wäre, feinen Hut nimmt, und fo das 
Zeichen zum Aufbruch gibt. 

Die Drei gehen fort, und auf der Treppe wird dem Regiſſeur 
noch ein Billet gebracht. Es iſt von dem Kapellmeifter, der aus 
fragt, ob der Egmont wirklich in den näditen acht Tagen gegeben 
werde, was ihm eigentlich nicht recht gelegen fei, deun er babe 
ſchon für das nächſte Concert etwas von der Beethoven’ihen Muſik 
aus dieſer Tragödie beſtimmt. Kaum iſt der Brief gelejen, fo wird 
der Regiſſeur auf der Straße von einem jungen Diplomaten mit 
der Frage angehalten: „Sie geben näditens Egmont? Wiſſen Sie, 
wir haben dieſen Winter über die Tragödie einige Male gefprochen, 
und da gab ich Ihnen einige Stellen an, die bei uns geitrichen 
wurden und nothwendig auch hier wegbfeiben müſſen.“ Der Res 
gijjeur dankte ihm lächelnd und verfichert ihm, daß er wohl daran 
gedacht habe. Für heute Morgen wäre Egmont nun glüdlich be⸗ 
endigt, denn odgleih ihm bie und da auf der Straße Eoflegen 
begeguen, Die mit einer Bitte oder Klage auf ihn zulenken wollen, 
fo thut dod der Regiſſeur, als fähe er fie nicht, nur um auf einen 
Augenblid von Alem, was Egmont heißt, befreit zu fein. - 

Indeſſen find Nachmittags die Roflen vertheilt und ift auf den 
folgenden Morgen eine Probe angefagt worden. Schom in der 








Su Scene fegen. 147 


Frühe find eine Menge Leute da gewefen, die den Regifjeur haben 
ſprechen wollen, Doch hat der Bediente den ſtrengſten Befehl erhalten, 
Niemand vorzulaffen, da er fonft mit den Vorbereitungen nicht fertig 
werden würde. f 

Auf dem dunklen Theater hat fich indeß das Perfonal verfame 
melt und fteht da und dort in Meinen Gruppen beifammen. Die 
Zimmerlente tragen die alten Couliſſen herbei oder find auf dem 
Schnürboden befhäftigt. Der Thenterdiener geht herum und flüftert 
bald dem Einen, bald dem Andern eine Bemerkung zu. Die Leute, 
die bei dem Erjcheinen des Regifjeurs etwas anbringen wollen, halten 
ſich an der eriten Goulifje auf, um ihn gleich überfallen zu können, 
und ihre Zahl tft nicht Bein. 

Wie der Theaterdiener in feiner Art ein ganz eigenthümficher 
Menſch tft, gibt es deren beim Perſonal noch viele jtehente Ber: 
fonen, die wie die Masken auf dem italienijchen Theater mit wenigen 
Variationen faft immer denjelben Charakter haben. Unter den Cho— 
risten ift einer, der die andern in jeder Beziehung überragt oder zu 
überragen glaubt. Das tjt meiftens eine große flarfe Figur, der 
im Nittercoftüm wie ein rechter Schlagetodt ausficht, und der fid) 
durch allerhand Kleinigkeiten bemerkbar zu machen weiß. Gewöhn⸗ 
Lich ftellt er fi) vorn hin, macht auffallende Geften und Bewegun⸗ 
gen, und wo der Chor ſich in pleno zu freuen hat oder betrübt 
fein muß, drüdt er feinen Schmerz noch heftiger aus, - oder lacht 
mit lauter Stimme einige Secunden früher als die Andern. Gr 
ift e8, dem fich bei vorkommenden Gelegenheiten der erfte Tenor an 
die treue Freundeöbruft wirft, und der mit flarfem Arm den Ohn⸗ 
mächtigen aufrecht zu erhalten hat. Bet Balletten fpielt er den 
Zauberkönig oder auch Ungeheuer und ift im Allgemeinen dadurch 
fenntlih,/ daß er an feinen Kleidern, Die mit denen der übrigen 
Choriſten gleich fein follten, beftändig eine Meine Auszeichnung 
hat. Bald ift es eine Trefje, bald eine Reihe Knöpfe mehr, bald 
eine farbige Feder, wo der ganze übrige Chor nur fchwarze oder 


148 In Ecene jepen. 


weiße hat. Da fich diefer Mann dur Heine Dienfte bei ten Re 
giffeuren in Gunft zu fegen weiß, fo hält es fchwer, ihn von feinem 
Poften zu verdrängen, denn wenn er auch auf der Bühne nicht ſelbſt 
mitzuwirken bat, weiß er fih doch immer binter den Conliſſen ein 
eines Gejchäftchen zu machen. Bald biigt und donnert er, bald 
läßt er die Kanonen aus der Entfernung fpielen, bald dirigirt er 
das Meine Gewehrfener und läutet mit den Gloden. Ihm gegen: 
über, doch weniger glüdlich und anhaltend, regiert eine bandfefte 
Dame die Choriftinnen; doch ift dies weibliche Perſonal nicht gut⸗ 
müthig genug, um einer einzigen zn erlauben, daß fie fich immer 
vordränge, und dann fährt and die rauhe Hand der Zeit weit 
unnahfichtiger über die Wange der Herrfcherin. Bet flänmigen 
Bäuerinnen fann fie noch immer eine der Erften voritellen, doch bei 
jungen unfchuldigen Gefpielinnen irgend einer Prinzeffin, wo fie 
vor fünf und zwanzig Jahren anmuthig glänzte, muß fie fi) ge 
fallen laſſen, von dem jungen nafeweiien Volk verdrängt zu werden. 
Dann fallen auch im menschlichen Leben allerhand Verhältniſſe vor, 
die fie nöthigten, eine Zuflucht Hinter der geichlofienen Phalanz ihrer 
Colleginnen zu fuchen, wobet fie ed dann nicht unterläßt, fich auf 
die Zehen zu ftellen, um den Kopf fo weit wie möglich vorftreden 
zu können. 

Eine andere, nicht minder beachtenswerthe und fehr wichtige 
Derfon in dem Haushalte des Theaters ift der Infpicient. Da der 
Poſten eines Infpicienten einen Mann verlangt, der eine Unzahl 
von Stüden faſt auswendig weiß, der das Theater durch und durch 
fennt, fo find es meiftend gediente Veteranen, denen ein folder 
Poſten anvertraut wird. Diefer Mann, der den ganzen Tag in 
feiner Rumpellammer zu thun bat, wobei er die alten roſtigen 
Schilder hin und ber wirft, zur Vorftellung herrichtet und wieder 
aufräumt, wo er die Dedellannen und Becher, aus denen die tapferı 
Nitter getrunken, zufammenftellt, hat ſich durch dieſe immerwährenden 
Arbeiten mit den lebloſen klappernden Gegenſtänden ein finſteres, 








In Scene fegen. 149 


mürrifches Wefen angewöhnt, das er an allen feinen Collegen und 
felbft an den Borgefepten ausläßt. Dabei find ihm feine alten Ges 
rätbichaften ein wahres Heiligthum, und ein Nagel, der ihm nad 
der Borftellung an irgend einem Stüde fehlt, ift im Stande, ihn 
für mehrere Tage unglüdlich zu machen. Der Infpictent ift gewöhn⸗ 
lich von Natur ein gutmüthiger Menfch, was ſich auch auf feinem 
Geſichte ausdrüdt, weßhalb der Ingrimm und der Schmerz, der ihm 
durch die rohe Behandlung jeiner Requifiten verurfacht wird, auf 
feinem diden lächelnden Geficht nicht recht die Oberhand gewinnen 
fann. Sein Gefchäft verbietet ihm, in der Kleidung fehr gewählt 
zu fein, und da ihm bei dem Herumftöbern in den Winkeln zumeis 
len die Perrüde etwas verfchoben wird, fo fieht der Mann nicht 
felten fehr poffirlih aus, wenn er jo mit einigen mächtigen Ritter: 
fAhwertern unter dem Arm an das Tageslicht Heraufiteigt. Des 
Abends bei der Borftellung läuft er Hinter den Couliſſen umber, 
um jedem der Schaufpieler zu fagen, wann der Augenblid da tft, 
daß er auftreten muß. Dann lieöt er das Stichwort, ed mag einen 
noch fo rührenden Monolog beſchließen, mit näfelndem Tone ab, 
gibt dem Schaufpieler einen Heinen Puff, nimmt haftig eine Priſe 
und eilt auf eine andere Seite der Bühne, wo e8 vielleicht eben 
bligen foll, oder wo er den Befehl zu geben bat, daß ein paar 
Heine Balletmädchen, Die ald Genien in ihren Hänggurten zappeln, 
über die Bühne fliegen follen. 

Jetzt endlich fehlägt e8 zehn Uhr; der Regiffeur fommt in Be 
gleitung des langen Schanfpielerd, von dem ich oben ſprach, und 
der ihn regelmäßig zu den Proben abholt; denn der Negiffeur, ein 
Heiner König in feinem Reiche, Hat fo gut Günftlinge wie jeder 
Andere. Hter auf der Probe hat jein Auftreten wirklich etwas Kö⸗ 
nigliches, und er wird umringt von der Schaar der Supplicanten, 
die fih in der erften Couliſſe hinter leinwandenen Bäumen und 
hölzernen Steinen verbargen. Zuerſt naht fi ihm der Maſchiniſt, 
der zugleich Decorateur tft, umd entfchuldigt fi) über einen veruns 


150 In Scene feßen. 


glüdten Mondichein, oder daß eines der Garderobemädchen geftern 
bei der Tegten Scene, wo der Hintergrund das offene Meer dar- 
ftellte, ind Wafjer gegangen ſei, er babe fie zurüdhalten wollen, 
doch fei es zu fpät geweſen. Der Anführer der Stattiten, der, 
weil er in vorfommenden Fällen die Gefechte zu führen hat, 
Schlachtenlenker genaunt wird, bringt die Lifte, auf der die Solda⸗ 
ten verzeichnet find, die im Hintergrunde warten, bis der Augen» 
blick kommt, wo fie als Leibwache des Herzogs von Alba über die 
Bretter marfchiren follen. Der Balletmeifter, dem der Regiſſenr 
heute Morgen einige Zeilen jchrieb, er möge doch bei den Volks—⸗ 
feiten in Brüfjel durch einige Tänzer im Hintergrunde einen Meinen 
Tanz aufführen laffen, fteht auf der Bühne und macht nur einige 
- "Schritte gegen den Regifieur, damit diefer die gleiche Anzahl gegen 
ihn machen fol. Er thut dies nur, um feiner Würde nichts zu 
vergeben, obendrein, da er alle Urfache hat, ſich über das Begehren 
des Regiſſeur beleidigt zu finden, denn er jagt diefem, daß er es 
ſehr geſchmacklos fände, wenn man verlange, daß das Ballet im 
Hintergrunde tanzen folle. Der Regijfeur weiß ihn nur durch das 
Berfprechen zu beruhigen, daß dort ein Heiner hölzerner Hügel ges 
baut werden foll, auf welchem man vom Parterre and die Tänze 
Deutlich fehen könne. So hat der beichäftigte Mann: nad allen 
Seiten zu fragen, zu beantworten, Bitten zu gewähren oder abzus 
Thlagen. „Lieber Bruder,” fagte der Herzog Alba zu ihm, „du 
fönnteft mir zu der Rolle auch eine neue Perrüde machen laſſen; 
ich verfichere dich, die alte paßt gar nicht mehr dazu.“ Vanſen, 
der Schreiber, kommt und beklagt fih, daß er in der Garderobe 
feinen Roc finden könne, der zerriffen genug wäre. Kaum find 
die Beiden abgefertigt, und der Regiſſeur ift glüdlih an fel- 
nen Tifch gelangt, worauf die Klingel und fein Hut fteht, fo 
fühlt er ſich leiſe am Roc gezupft. Es iſt eine Ehoriftin von eis 
ner Statur, die ſich gern auszeichnen möchte, und da fie wegen 
ihrer unanfehnlichen Geftalt von den Adern immer zurüdgedrängt 


In Scene fegen. 151 


wird, bat fie ſich auf die Gaflenjungen und dergleichen verlegt und 
bittet den Regiſſeur, fie bei den Volksfeſten in Brüfjel einen fol« 
hen fpielen zu laſſen. Nach einer Zeichnung und Belchreibung, 
Die er heute Morgen dem Decoratenr zuſchickte, hat diefer das Thea- 
ter zu der erften Scene, wo Jetter im Begriff ift, nach der Scheibe 
zu fchießen, hergerichtet. Der Regiſſeur, der die Niederlande bes 
reiste, hat dort einigen Kleinen Peften der Art beigewohnt und die 
Häufer auf dem Theater geſchmückt, wie fie dafelbft verziert waren. 
Bor den Giebeln hängen bunte Fahnen mit Nanıen verfchiedener 
Ortfchaften und Dörfer, die Theilnehmer zu dem Scheibenfchießen 
fandten. Auf dem Boden fißen Gruppen.von Kindern, und der 
Regiifenr zeigt ihnen, wie fie fpielen und ſich herumbalgen müfjen; 
and dürfen fie zuweilen fehreien und lant jubeln. So beginnt die 
Probe, doch gibt es noch Unfägliches zu thun. Bald ftehen die 
Zandlente im Hintergrunde zu Did auf einander, bald find die Reihen 
zu dünn und füllen das Theater nicht aus. Die Statiften, welche 
die gemüthlichen holländischen Soldaten darftellen follen, marſchiren 
ängftlih Hin und her mit angezogenen Snieen und fteifen Fuß— 
ſpitzen, als wenn fie auf dem Grereirplage wären. Die Damen 
des Ballet, die Teichtfügige Bauernmädchen machen follen, ſchweben 
wie Numphen einher, machen ftatt natürlicher Bewegungen die 
ausgeſuchteſten Attitüden, kurz, es tft noch nicht die Idee won einem 
wirklihen Leben in dem Gewühl. Der Regiſſeur Läuft herum, 
ftellt bier eine Gruppe zufammen, jagt dort die Kinder auseinan- 
der und fordert fie auf, laut zn ſchreien; endlich geht die Sache 
etwas befier; doch faum wird ed von Neuem probirt, fo haben die 
Meilten das eben Gemachte wieder vergeffen und ed muß ihnen 
abermals gezeigt werden; befonders die Kinder find fehüchtern und 
fürchten fi, His vorn auf die Bühne zu laufen, weßhalb der Re- 
giffeur einen Korb mit Aepfeln fommen läßt, und der Inſpicient 
muß einen nach dem andern über die Bühne rollen laſſen. Dept 
wird's befier, die Kinder laufen den Uepfeln nad, werfen einander 


152 In Scene feßen. 


um, überpurzeln fih und die Sache wird natürliher. Eo geht 
die Probe fort. Die Ecenen zwijchen Egmont, Bradeburg und 
Klärchen erfordern weniger Mühe; doc hat der Regifjeur auch bier 
innmer noch genug zu thun, um dem Ganzen die gehörige Rundung 
zu geben. Da müſſen die Farben der Decoration, der Möbel mit 
den Coſtümen übereinftimmen, und wenn er endlich nach feiner beften 
Einfiht alle dieſe Sachen ordentlich zufammengeftellt hat, fo kommt 
ihm oft noch die Meinung eines einzelnen Künitlerd dazwifchen, 
und er muß, um die Gollegen bei guter Laune zu erhalten, die 
ganze Anordnung wieder umwerfen. 

So glaubt Alba, daß ein rother Sammetmantel zu feinem 
Coſtüme befjer ftehen würde, was aber nun zu den Möbeln von 
derfelben Farbe und demfelben Stoffe nicht gut pajjen würde. Der 
lange Schaufpieler, der den Oranien fpielt, überzeugt den guten 
Regifjeur in einer ſchwachen Stunde, Daß er zu feinem fchwarzen 
Klelde auf jeden Fall blaue Möbeln haben müjje, und fo geht das 
fort, untermifht mit andern Heinen Störungen, die jeden Augen 
blick eintreten. Klärchen iſt heijer und faun ihre Reden kaum fpre 
hen, auch zerftreut und fieht oft Hinter den Eoulifjen umher, als 
fuche fie dort etwas. Die Mutter Dagegen, die fih noch der feligen 
Zeit erinnerte, wo fie Klärchen fpielte, verfpricht fich jeden Augen 
blick und fagt oft in der Zerftreuung lange Säge von den Reden 
ihrer Tochter. Hinter den Couliſſen wogt und murmelt es durch 
einander, und der Regiſſeur muß oftmals feine Klingel gebrauchen 
und Ruhe gebieten, damit er die auf der Bühne Befindlichen hören 
kaun. In Gruppen ftehen die Schaufpieler, die Ehoriften und 
Statiften vor und in den Garderoben zujanmen, betrachten die 
Kleider, die dort audgehängt find, haben daran etwas auszuſetzen, 
oder einer ärgert fi über den andern, wenn Jener ein befieres 
Kleid hat als Dieſer. Vanſen bat fih fo in feine Role hinein⸗ 
ſtudirt, daß er den aufrührerifchen Schreiber auch hinter den Cou⸗ 
Kiffen fortfpielt. Er beweist eben dem Bradeburg, der gerade feinen 





In Scene ſetzen. 153 


Contract in der Taſche hat, daß er danach den Egmont rechtmäßig 
Tür fih in Anfprud nehmen könne; zufällig kommt der zweite Te- 
nor Hinzu und if vol Gift nnd Galle Über deu Regiſſeur, der 
won ihm verlangt, er foll die gemeinſchaftlichen Reden der Bürger 
mitfprechen. Auf der andern Seite flehen die Choriftinnen beifam- 
men und Alle haben fi) über den Regiffeur zu beflagen. Diefe 
wollte heute Morgen von der Probe diöpenfirt fein, und troß dem, 
daß fie eine große Wäſche hat oder ausziehen will, muß fie doch 
bleiben; eine Andere, die unverheirathet ift, wurde von ihm auf 
das Gröbfte beleidigt, indem er fie geftern ermahnte, zur heutigen 
Probe ihre Kinder mitzubringen; einer Dritten endlich, die beim 
wehmüthigften Chrre oder bei Ausbrüchen der Verzweiflung oder 
des Schmerzed ruhig ihren Stridftrumpf bearbeitete, wurde diefe 
Thätigkeit auf der Probe unterfagt und fie dadurd auf das Em⸗ 
pfindlichite gekränkt. 

So dauern die Proben fort, Morgens und Nachmittags, und 
allmältg taucht aus dem Chaos ein fefter Kern hervor, und bei der 
Generalprobe fieht fih im günftigften Falle der Negiffeur für feine 
viele Arbeit und Mühe belohnt, denn die Vorftellung verfpricht 
eine glänzende zu werden. Auf dem Zettel von heute ftebt fchon 
für morgen der Egmont angekündigt aber noch ift mande Tüde 
des Schickſals zu fürchten, die vielleicht die ganze Vorftellung für 
längere Zeit hinausſchieben kann, die wirkliche oder fingirte Krank: 
beit eined Mitgliedes, und der Regiſſeur fieht an diefem Tage dem 
Theaterdiener immer mit Schreden entgegen, weil er die unbeil- 
fhwangern Worte zu hören glaubt: Herr oder Madame So und 
So find frank geworden. Doc kommt diesmal der Tag der Auf- 
führung ohne Störung heran. Der Zettel wird gedrudt, Öffentlich 
angeklebt, und jegt iſt fo leicht an eine Veränderung nicht mehr 
zu denken. Während nun ſchon von drei Uhr Nachmittags an der 
Regiſſeur Inden Garderoben und auf der Bühne herumkriecht, hier 
andere Coftüme ausfuht, dort noch Anorönung für die Möbeln 


154 An Scene ſetzen. 


trifft, während der Mann dabei ermüdet und abgefpannt von der 
tagelangen Arbeit obendrein feine Rolle hervorholen und noch eins 
mal ablefen muß, fchlendert man auf der Gaſſe gemächlich in's 
Kaffeehaus und Tiest au der Ede den angellebten Zettel. „Egmont,“ 
meint Einer, „wäre mir ſchon recht.“ — „Mir au,” fagt ein An 
derer, „und Der und Der, und Die und Die fpielt mit; die Bes 
fegung ift ziemlich.“ — „Ja,“ fügt ein Dritter gähnend Hinzu, 
„wenn ich mid, nur nicht bei Durchlefung des Theaterzetteld immer 
ärgern müßte, da lefen die Schaufpieler ihre Roflen ein halbmal 
durch, haften zu ihrem Vergnügen eine Stunde Probe, und dann 
macht ſich fo ein Regiſſeur wichtig und läßt auf den Zettel druden: 
„Neu in Scene geſetzt!“ 


m. — ni — — — — — — — — 





- Vergnügen auf der Iagd. 


Wenn ih von dem Manne, den ich hier anfzuführen die Ehre 
habe, bemerfe, daß er kein gewaltiger, Jäger vor dem Herrn war, 
fo will das nicht fagen, er habe ein Steinfchloß von einem Pers 
cuſſionsſchloß nicht unterfcheiden können, oder er habe nicht gewußt, 
dag man Feldhühner im Sommer und Hafen im Winter ſchießt. 
Nichts weniger; befagter Mann kannte fogar den größten Theil der 
gangbaren Jägerausdrüde, und hätte um Alles in der Welt nicht 
von den Hörnern eines Rehbocks oder den Beinen einer Schneyfe 
geiprochen. Hierin war er fehr correct, und vierzehn Tage nach der 
Jagdzeit konnte es ihm wohl begegnen, daß er Jemand verfidherte, 
feine Lichter feien außerordentlich gut und über feine Ständer 
könne er fich nicht beklagen. 

Soeben hat er .ein Billet erhalten mit der Einladung zu einem 
Zreibjagen, wofelbit Füchfe, Hafen und Böde gefchofen werden. 
Beſonders auf letzteres freut er ſich außerordentlich; denn obgleich 
er gefprächsweife wohl vor diefem oder jenem fehwierigen Schufje 
jpricht, den er einem unglüdlichen Reh männlichen Gefchlechtd beis 
gebracht, fo ift die Sache doch im Grunde eine Dichtung, was er 





156 Bergnügen auf der Jagd. 


vertrauten Freunden eingefteht und alsdann verfihert: „Im Winter, 
wenn ich Zeit habe die Jagden zu befuchen, haben die Böde abge= 
worfen, und was den Pinfel anbelangt, da kann man niht vor⸗ 
fihtig genug fein.“ 

Alfo die Einladung ift angefonmen. Das Rendezvous if vier 
Stunden von dem Orte, wo fidh der Jagdliebhaber befindet, anf 


— — \ 


morgen früh ſieben Uhr feſtgeſetzt. So ſehr es ihn freut, einmal . 


einen Tag lang knallen zu können, fo iſt ihm doch der Umſtand, 
Morgens vor fieben Uhr einige Stunden fahren zu müſſen, äußerft 
fatal, und wer weiß, ob er die Einladung annähme, wenn er fih 
nicht fo fehr darauf freute, heute Abend in Geſellſchaft auf die fte= 
hende geiftreiche Phrafe: „Aber heute ift e8 kalt!“ Leicht hinwerfen 
zu können: „Pah, was iſt für und Jäger die Kälte! — „En, 
Sie lieben die Jagd?“ — „Leideuſchaftlich,“ antwortet er, indem 
er_fich die Hände reibt. „Nur raubt es mir Zeit, viel Zeitz gleih 
“ morgen bin ich wieder genöthigt, einen ganzen Tag zu opfern, da 
mid, mein Freund &. dringend eingeladen hat.“ 

Das Wetter ift, wie e8 ein Jäger nur wünſchen fann. Seit 
heute Nachmittag hat ſich der Himmel aufgeklärt; es iſt Froſt ein 
gefallen, und als unfer Freund Abends nach Haufe gebt, tritt er 
in fo viel Wafferlachen, als er eben erreichen Tann, um fi zu 
überzeugen, daß ed wirklich friert. Bor einigen Tagen ift Schnee 
gefallen und eine weiße Dede liegt über Berg und Thal. 

Was die Jagdausrüſtung anbelangt, fo ift unfer Dilettant 
‚ damit verfehen wie Einer. Er befipt einen grauen Jagdrod, did 
furze Hofen, wollene Strümpfe, bie bis über's Knie reichen, und 
rothe juchtenlederne Stiefeln, die das ganze Jahr einen unansitch 


lichen Geſtank verbreiten, dafür aber auch, weil fie wenig gebraudt 


‚werden, im Winter auf der Jagd der Näſſe gutwillig den Gintritt 


geftatten. Er Kat fi einen grauen Filzhut angefchafft mit einem | 


theuern Gemsbart und Spielhahnfedern verziert. Das Pulverhorn 
iſt zum Aufdrücken, der Schrotbeutel zum Umbiegen eingerichtet, 


— — — — — — 





Bergnügen auf der Jagd. 157 


AlUes auf's Neuefte. Auch eine Zündhütchenuhr fehlt nicht; da er 
ıber den Mechanismus derfelben nicht zu handhaben verfteht, ſo 
wird fie. nur zur Parade mitgenommen und er müht fich meiftens 
3b, mit den erftarrten Fingern das Zündhütchen aufzufepen. Daß 
er ein ausgezeichnetes Gewehr befipt, brauchen wir gar nicht zu 
erwähnen, Dafjelbe fchiept weit hin und Hält auf achtzig Schritte 
die Schrote merkwürdig zufammen. Nur bat e3 einen einzigen 
Eleinen Fehler: es ſtößt fehr ſtark und hätte dem Liebhaber bei 
einem erften Verſuch mit etwas flarfer Ladung beinahe zwei feiner 
ſchönſten Badenzähne gefoftet. 

Der Jagdliebhaber fommt in fein Zimmer und ruft feinem 
Bedienten — „Johann, mein Gewehr! den Jagdrod, die Hojen, 
die hohen Strümpfe und die langen Stiefel!“ — Bald find alle 
dieſe Sachen um ihn verfanmelt und er fieht fich veranlaßt, dem 
Bedienten einen Beinen Wifcher zu ertheilen. Die Motten haben 
in den Aermel des Node ein Koch. gefrefjen und im der Hofe einen 
Theil verlegt, den man gern in gutem Zuftande befipt. Diefer 
Wifcher wird bedeutend verftärkt, da die Stiefeln, troß der häufi⸗ 
gen Ermahnungen, fie fleißig einzufchmieren, vor Dürre ordentlich 
Happern. Im Grunde tröjtet fih der Jagliebhaber damit, daß es 
nicht viel zu fagen hat, wenn auch an den Kleidungdftüden etwas 
fehlt, wenn nur die Waffe in gutem Zuftande ift. | 

Diefe fteht, forgfältig in ein grünes wollenes Zutteral geſtedt, 
in einer Ecke des Zimmers und wird nun hervorgeholt und feierlich 
enthüllt. Doch wer malt den Schrecken des Jagdliebhabers, als er 
bemerkt, daß das Gewehr in⸗ und auswendig mit einer förmlichen 
Kruſte von Roſt bedeckt iſt, und als er ſieht, daß die Batterie von 
verbranntem Pulver ſtarrt! — „Gerechter Gott! wer hat das ges 
than? Wie iſt das möglich?“ Er weiß zu gewiß, daß er das 
Gewehr ſelbſt in's Futteral geſteckt, rein und blank, nachdem er es 
ſorgfältig mit Mandelöl eingerieben. Ein ſchwetes Gewitter ſteigt 
über dem Haupt des Bedienten empor, der troſtlos daſteht und ſich 


148 In Ecene jeßen. 


weiße hat. Da fi diefer Mann durch Meine Dienfte bei den Re 
giſſeuren in Gunft zu ſetzen weiß, fo hält es fchwer, ihn von feinem 
Poſten zu verdrängen, denn wenn er auch auf der Bühne nicht felbit 
mitzuwirfen bat, weiß er fi doch immer hinter den Couliſſen ein 
eines Sejchäftchen zu machen. Bald bligt und donnert er, bald 
läßt er die Kanonen aus der Entfernung fpielen, bald dirigirt er 
das Meine Gewehrfener und läutet mit den Gloden. Ihm gegen: 
über, doch weniger glüdlih und anhaltend, regiert eine baudfefte 
Dame die Choriftinnen; doch ift dies weibliche Perfonal nicht gut⸗ 
mütbig genug, um einer einzigen zn erlauben, daß fie ſich immer 
vordränge, und dann fährt auch Die rauhe Hand der Zeit weit 
unnadhfihtiger über die Wange der Herrfcherin. Bei flämmigen 
Bäuerinnen fann fie noch immer eine der Erften voritellen, doch bei 
jungen unfchuldigen Gefpielinnen irgend einer Prinzeffin, wo fie 
vor fünf und zwanzig Jahren anmuthig glänzte, muß fie fich ge 
fallen fafıen, von dem jungen nafeweifen Bolt verdrängt zu werden. 
Dann fallen auch im menfchlichen Zchen allerhand Verhältniſſe vor, 
die fie nöthigten, eine Zuflucht hinter der gejchloffenen Phalanx ihrer 
EoNeginnen zu fuchen, wobei fie ed dann nicht unterläßt, fich auf 
die Zehen zu ftelen, un den Kopf fo weit wie möglich vorftreden 
zu können. 

Eine andere, nicht minder beachtenswerthbe und ſehr wichtige 
Derfon in dem Haushalte des Theaters ift der Infpictent. Da der 
Poſten eines Infpiclenten einen Mann verlangt, der eine Unzahl 
von Stüden falt auswendig weiß, der das Theater durch und durch 
kennt, fo find es meiſtens gebiente Veteranen, denen ein folcher 
Poſten anvertraut wird. Diefer Mann, der den ganzen Tag in 
feiner Rumpelfammer zu thun bat, wobei er die alten rojtigen 
Schilder hin und her wirft, zur Borftellung herrichtet und wieder 
aufräumt, wo er die Dedellannen und Becher, aus denen die tapferı 
Nitter getrunken, zufammenftellt, hat fi) durch diefe Immerwährenten 
Arbeiten mit den lebloſen klappernden Gegenftänden ein finfteres, 











In Scene fegen. 149 


mürrifches Wefen angewöhnt, das er an allen feinen Gollegen und 
feldft an den Borgefegten ausläßt. Dabei find ihm feine alten Ge- 
rätbichaften ein wahres Heiligtum, und ein Nagel, der ihm nad 
der Borftellung an irgend einem Stüde fehlt, ift im Stande, ihn 
für mehrere Tage unglüdlich zu machen. Der Inſpicient ift gewöhn⸗ 
lich von Ratur ein gutmüthiger Menfh, was fih auch auf feinem 
Geſichte ausdrückt, weßhalb der Ingrimm und der Schmerz, der ihm 
durd die rohe Behandlung feiner Nequifiten verurfacht wird, auf 
feinem diden lächelnden Geſicht nicht recht die Oberhand gewinnen 
fann. Sein Gefchäft verbietet ihm, in der Kleidung fehr gewählt 
zu fein, und da ihm bei dem Herumftübern in den Winkeln zuwei⸗ 
Ien die Perrüde etwas verfchoben wird, fo fieht der Mann nicht 
felten fehr poffirlih aus, wenn er jo mit einigen mächtigen Ritter- 
fchwertern unter dem Arm an das Tageslicht heraufiteigt. Des 
Abends bei der Borftellung läuft er hinter den Goulifjen umber, 
um jedem der Schaufpieler zu fagen, wann der Augenblid da ift, 
daß er auftreten muß. Dann lieöt er das Stichwort, es mag einen 
noch fo rührenden Monolog befchließen, mit näjelndem Zone ab, 
gibt dem Schaufpieler einen Heinen Puff, nimmt haftig eine Prife 
und eilt auf eine andere Seite der Bühne, wo e3 vielleicht eben 
blitzen foll, oder wo er den Befehl zu geben hat, daß ein paar 
Heine Balletmädchen, die ald Genien in ihren Hänggurten zappeln, 
über die Bühne fliegen follen. 

Jetzt endlich, ſchlägt es zehn Uhr; der Regiffeur fommt in Bes 
gleitung des langen Schanfpielerd, von dem ich oben fprach, und 
der ihn regelmäßig zu den Proben abholt; denn der Negiffeur, ein 
Heiner König in feinem Reiche, Hat fo gut Günftlinge wie jeder 
Andere. Hier auf der Probe bat jein Auftreten wirklich etwas Kö⸗ 
nigliches, und er wird umringt von der Schaar der Supplicanten, 
die fih in der erſten Eoulifje hinter leinwandenen Bäumen nnd 
hölzernen Steinen verbargen. Zuerſt naht ſich ihm der Mafchinift, 
der zugleich Decoratenr ift, und entfchuldigt ſich über einen verun⸗ 


150 In Scene fegen. 


glüdten Mondichein, oder daß eines der Garderobemädchen geftern 
bei der Tegten Scene, wo der Hintergrund das offene Meer dar: 
ftellte, ind Waſſer gegangen fei, er habe fie zurüdhalten wollen, 
doch fei ed zu ſpät gewefen. Der Anführer der Statiiten, der, 
weil er in vorfommenden Fällen die Gefechte zu führen bat, 
Schlachtenlenker genannt wird, bringt die Lifte, auf der die Solda- 
ten verzeichnet find, die im Hintergrunde warten, bis der Augen: 
blick kommt, wo fie als Leibwache des Herzogs von Alba über die 
Bretter marfchiren follen. Der Balletmeifter, dem der Regiſſenr 
heute Morgen einige Zeilen ſchrieb, er möge doch bei den Volks— 
feiten in Brüfjel durd einige Tänzer im Hintergrunde einen Heinen 
. Tanz aufführen laſſen, fteht auf der Bühne und macht nur einige 
"Schritte gegen den Regiffeur, damit diefer die gleiche Anzahl gegen 
ihn machen fol. Gr thut dies nur, um feiner Würde nichts zu 
vergeben, obendrein, da er alle Urſache hat, fi Über das Begehren 
des Negifjeur beleidigt zu finden, denn er jagt diefem, daß er es 
ſehr gefohmadios fände, wenn man verlange, daß das Ballet im 
Hintergrunde tanzen folle. Der Regijjeur weiß ihn nur durd das 
Berfprechen zu beruhigen, daß dort ein Meiner hölzerner Hügel ges 
baut werden foll, auf welchem man vom Parterre ans die Tänze 
deutlich fehen fünne. So hat der beichäftigte Mann: nach allen 
Seiten zu fragen, zu beantworten, Bitten zu gewähren oder abzu: 
Thlagen. „Lieber Bruder,” fagte der Herzog Alba zu ihm, „du 
Tönnteft mir zu der Rolle auch eine neue Perrüde machen fallen; 
ich verfichere dich, die alte paßt gar nicht mehr dazu.” Vanſen, 
der Schreiber, kommt und beklagt fi, daß er in der Garderobe 
feinen Rod finden könne, der zerriffen genug wäre. Kaum find 
die Beiden abgefertigt, und der Regiſſeur ift glüdlih an fel- 
nen Tifch gelangt, worauf die Klingel und fein Hut flieht, fo 
fühlt er ſich feife am Rock gezupft. Es iſt eine Ehoriftin von klei⸗ 
ner Statur, die ſich gern auszeichnen möchte, und da fie wegen 
ihrer unanfehnlichen Geftalt von den Andern immer zurüdgedrängt 


In Scene fehen. 151 


wird, bat fie ſich auf die Gaſſenjungen und dergleichen verlegt und 
bittet den Regiſſeur, fie bei den Volksfeſten in Brüffel einen jols 
hen fpielen zu laſſen. Nach einer Zeichnung und Beichreibung, 
Die er heute Morgen dem Decorateur zuſchickte, hat dDiefer das Thea⸗ 
ter zu der erften Scene, wo Jetter im Begriff tft, nach der Scheibe 
zu ſchießen, hergerichtet. Der Regiſſeur, der die Niederlande bes 
reiste, hat dort einigen Heinen Feſten der Art beigewohnt und die 
Häufer auf dem Theater geſchmückt, wie fie dafelbft verziert waren. 
Bor den Giebeln Hängen bunte Fahnen mit Namen verfchichener 
Ortſchaften und Dörfer, die Theilnehmer zu dem Scheibenfchiegen 
fandten. Auf dem Boden figen Gruppen von Kindern, und der 
Regiſſeur zeigt ihnen, wie fie fpielen und fich herumbalgen müſſen; 
auch dürfen fie zuweilen fehreien und laut jubeln. So beginnt Die 
Probe, doch gibt es noch Unfägliches zu thun. Bald ftehen die 
Landleute im Hintergrunde zu Did auf einander, bald find die Reihen 
zu dünn und füllen das Theater nicht aus. Die Statiften, welche 
die gemüthlichen holländiſchen Soldaten darftellen follen, marſchiren 
ängitlih hin und ber mit angezogenen Knieen und fteifen Fuß⸗ 
fpipen, als wenn fie auf dem Exercirplage wären. Die Damen 
des Ballets, die leichtfügige Bauernmädchen machen follen, ſchweben 
wie Nymphen einher, machen ftatt natürlicher Bewegungen Die 
ausgefuchteften Attitüden, kurz, es ift noch nicht die Idee won einem 
wirklichen Leben in dem Gewühl. Der Regiſſeur läuft herum, 
ftelt bier eine Gruppe zufammen, jagt dort die Kinder auseinan⸗ 
der und fordert fie auf, Taut zu fchreienz endlich geht die Sache 
etwas befier; doch faum wird es von Neuen probirt, fo haben die 
Meiften das eben Gemachte wieder vergeflen und ed muß ihnen 
abermals gezeigt werden; befonders die Kinder find fehüchtern und 
fürdten fich, bis vorn auf die Bühne zu laufen, weßhalb der Res 
aiffeur einen Korb mit Aepfeln fommen läßt, und der Jnfpictent 
muß einen nad dem andern über die Bühne rollen laſſen. Sept 

wird’3 befier, die Kinder laufen den Aepfeln nach, werfen einander 


152 In Scene Sehen. 


um, Üüberpurzeln fih und die Sache wird natürlicher. Eo geht 
die Probe fort. Die Scenen zwijchen Egmont, Bradeburg und 
Klärchen erfordern weniger Mühe; doch hat der Regifieur aud bier 
immer nod genug zu thun, um dem Ganzen Die gehörige Rundung 
zu geben. Da müſſen die Farben der Decoration, der Möbel mit 
den Coftümen übereinftimmen, und wenn er endlich nad) feiner beften 
Einſicht alle diefe Sachen ordentlich zufammengeftellt hat, fo kommt 
ihm oft noch die Meinung eines einzelnen Künitlerd dazwifchen, 
und er muß, um die Gollegen bei guter Laune zu erhalten, die 
ganze Anordnung wieder umwerfen. 

Sp glaubt Alba, daß ein rotber Sammetmantel zu feinen 
Eoftüme befjer ſtehen würde, was aber nun zu den Möbeln von 
derfelben Farbe und demfelben Stoffe nicht gut pajjen würde. Der 
ange Schaufpieler, der den Oranien fpielt, überzeugt den guten 
Regifjeur in einer ſchwachen Stunde, daß er zu feinem fchwarzen 
Kleide auf jeden Fall blaue Möbeln haben müjle, und fo geht das 
fort, untermifht mit andern Heinen Störungen, die jeden Augen— 
blick eintreten. Klärchen ijt heifer und kann ihre Reden faum fpre= 
hen, auch zerftreut und fieht oft hinter den Couliſſen umher, als 
ſuche fie dort etwas. Die Mutter dagegen, die fich noch der feligen 
Zeit erinnerte, wo fie Klärchen fpielte, verfpricht fi) jeden Augen= 
blick und fagt oft in der Zerftreuung lange Säge von den Reden 
ihrer Tochter. Hinter den Couliſſen wogt und murmelt es durch 
einander, und der Regifjeur muß oftmals feine Klingel gebrauchen 
und Ruhe gebieten, damit er die auf der Bühne Befindlichen hören 
faun, In Gruppen ftehen die Schaufpieler, Die Choriften und 
Statiften vor und in den Garderoben zujammen, betrachten die 
Kleider, die dort audgehängt find, haben daran etwas andzufegen, 
oder einer ärgert fih über den andern, wenn Jener ein befjeres 
Kleid hat als Dieſer. Banfen hat fih fo in feine Rolle hinein 
ſtudirt, daß er den aufrührerifchen Schreiber auch hinter den Cou— 
liſſen fortfpielt. Er beweist eben dem Bradeburg, der gerade feinen 








In Scene ſetzen. 153 


- 


Eontract in der Tafche hat, daß er danach den Egmont rechtmäßig 
für fih in Anſpruch nehmen könne; zufällig kommt der zweite Te⸗ 
nor Hinzu und ift vol Gift nnd Galle über den Regiſſeur, der 
von ihm verlanft, er foll die gemeinfchaftlichen. Reden der Bürger 
mitfprehen. Auf der andern Seite ſtehen die Choriftinnen beifam- 
men und Ale haben fih über den Regiffeur zu beflagen. Diefe 
wollte heute Morgen von der Probe dispenfirt fein, und troß dem, 
daß fie eine große Wäſche hat oder ausziehen will, muß fie doch 
bleiben; eine Andere, die unverheirathet ift, wurde von ihm auf 
das Gröbfte beleidigt, indem er fie geftern ermahnte, zur heutigen 
Probe ihre Kinder mitzubringen; einer Dritten endlich, die bein 
wehmüthigften Chore oder bei Ausbrüchen der Verzweiflung oder 
des Schmerzes ruhig ihren Stridftrunpf bearbeitete, wurde diefe 
Thätigkeit auf der Probe unterfagt und fie dadurch auf das Em: 
pfindfichite gekränkt. 

So dauern die Proben fort, Morgens und Nachmittags, und 
allmälig taucht aus dem Chaos ein fefter Kern hervor, und bei der 
Generalprobe fieht fich im günftigiten Falle der Regiffeur für feine 
viele Arbeit und Mühe belohnt, denn die Borftellung verfpricht 
eine glänzende zu werden. Auf dem Zettel von heute fteht fchon 
für morgen der Egmont angefündigt aber noch ift manche Tücke 
des Schickſals zu fürchten, die vielleicht die ganze Borftellung für 
längere Zeit hinausſchieben kann, die wirkliche oder fingirte Krant: 
heit eined Mitgliedes, und der Regifjeur fiebt an diefem Tage dem 
Theaterdiener immer mit Schreden entgegen, weil er die unbeils 
fchwangern Worte zu hören glaubt: Herr oder Madame So und 
So find frank geworden. Doch kommt diesmal der Tag der Aufs 
führung ohne Störung heran, Der Zettel wird gedrudt, Öffentlich; 
angeffebt, und jept ift fo leicht an eine Veränderung nicht mehr 
zu denken. Während nun ſchon von drei Uhr Nachmittags an der 
Regiſſeur Inden Garderoben und auf der Bühne herumfriecht, hier 
andere Coſtüme ausfucht, dort noch Anordnung für die Möbeln 


154 In Scene feßen. 


trifft, während der Mann dabei ermüdet und abgefpannt von der 
tagelangen Arbeit obendrein feine Role hervorholen und noch eins 
mal ablefen muß, fchlendert man auf der Gaſſe gemächlich in's 
Kaffeehaus und liest an der Ede den angeklebten Fettel. „Egmont,“ 





meint Einer, „wäre mir ſchon recht.” — „Mir auch,“ fagt ein Ans 


derer, „und Der und Der, und Die und Die fpielt mit; die Be 
feßung iſt ziemlich.“ — „Ja ,* fügt ein Dritter gähnend Hinzu, 
„wenn ich mich nur nicht bei Durchlefung des Theaterzetteld immer 
ärgern müßte, da Iefen die Schaufpieler ihre Roflen ein halbmal 
durch, halten zu ihrem Vergnügen eine Stunde Probe, und Daun 
macht fih fo ein Regiffeur wichtig und läßt auf den Zettel druden: 
„Neu in Scene gejept!“ 


— — ME — — ——— ——— — 





- Vergnügen auf der Iagd. 


— — — 


Wenn ich von dem Manne, den ich hier aufzuführen die Ehre 
habe, bemerke, daß er kein gewaltiger Jäger vor dem Herrn war, 
ſo will das nicht ſagen, er habe ein Steinſchloß von einem Per⸗ 
cuſſionsſchloß nicht unterſcheiden koönnen, oder er habe nicht gewußt, 
dag man Zeldhühner im Sommer und Hafen im Winter fchießt. 
Nichts weniger; befagter Mann kannte fogar den größten Theil der 
gangbaren Jägerausprüde, und hätte um Alles in der Welt nicht 
von den Hörnern eines Rehbocks oder den Beinen einer Schnepfe 
geiprochen. Hierin war er fehr correct, und vierzehn Tage nach der 
Iagdzeit konnte e8 ihm wohl begegnen, daß er Jemand verficherte, 
feine Lichter feien außerordentlich gut und über feine Ständer 
könne er fih nicht beklagen. 

Soeben hat er .ein Billet erhalten mit der Einladung zu einem 
Zreibjagen, wofelbft Füchfe, Hafen und Börde gefchofien werden. 
Beſonders auf lepteres freut er fih außerordentlich; denn obgleich 
er gefprächsweife wohl vor diefem oder jenem ſchwierigen Schuſſe 
fpricht, den er einem unglüdlichen Reh männlichen Geſchlechts beis 
gebracht, fo ift Die Sache doch im Grunde eine Dichtung, was er 


156 Bergnügen auf der Jagd. 


vertrauten Freunden eingefteht und alsdann verfihert: „Im Winter, 
wenn ich Zeit habe die Jagden zu befuchen, haben die Böde abge⸗ 
worfen, und was den Pinfel anbelangt, da kann man nicht vor: 
fihtig genug fein.“ 

Alfo die Einladung ift angelommen. Das Rendezvous ift vier 
Stunden von dem Orte, wo fi der Jagdliebhaber befindet, auf 
morgen früh fieben Uhr feftgefegt. So fehr es ihn freut, einmal 
einen Tag lang knallen zu können, fo ift ihm doc der Umſtand, 
Morgens vor fieben Uhr einige Stunden fahren zu müſſen, äußerft 
fatal, und wer weiß, ob er die Einladung annähme, wenn er fid 
nicht fo fehr darauf freute, heute Abend in Geſellſchaft auf die fte 
hende geiftreiche Phrafe: „Aber heute ift es kalt!“ Leicht Hinwerfen 
zu können: „Pah, was tft für und Jäger die Kälte!“ — „En, 
Sie lieben die Jagd?" — „Leidenſchaftlich,“ antwortet er, indem 
er, fich die Hände reibt. „Nur ranbt e8 mir Zeit, viel Zeitz gleih 
“morgen bin ich wieder genöthigt, einen ganzen Tag zu opfern, da 
mid) mein Freund &. dringend eingeladen hat.“ 

Das Wetter iſt, wie es ein Jäger nur wünſchen kann. Seit 
heute Nachmittag bat fi der Himmel aufgeklärt; es iſt Froſt eins 
gefallen, und als unfer Freund Abends nach Haufe geht, tritt er 
in fo viel Wafferlachen, als er eben erreichen kann, um fidy zu, 
überzeugen, daß ed wirklich friert. Bor einigen Tagen ift Schnee 
gefallen und eine weiße Dede liegt über Berg und Thal. 

Was die Jagdausrüftung anbelangt, fo tft unfer Dilettant | 
‚ damit verfehen wie Einer, Er befißt einen grauen Jagdrock, Dide 
furze Hofen, wollene Strümpfe, die bis über's Knie reichen, und 
rothe juchtenlederne Stiefeln, die das ganze Jahr einen unausitebs | 
lihen Geſtank verbreiten, dafür aber auch, weil fie wenig gebraudıt 
‚werden, im Winter auf der Jagd der Näfje gutwillig den Eintritt 
geitatten. Er hat fih einen grauen Filzhut angefchafft mit einem 
theuern Gemsbart und Spielhahnfedern verziert. Das Pulverbhorn 
iſt zum Aufdrücken, der Schrosbentel zum Umbiegen ngeriätet, 


Vergnügen auf der Jagd. 157 


Alles auf's Neueſte. Auch eine Zündhütchenuhr fehlt nicht; da er 
aber den Mechanismus derfelben nicht zu handhaben veriteht, fo 
wird fie nur zur Parade mitgenommen und er müht fich meiftens 
ab, mit den erftarrten Fingern das Zündhütchen aufzufeßen. Daß 
er ein audgezeichneted Gewehr befipt, brauchen wir gar nicht zu 
erwähnen. Daſſelbe ſchießt weit hin und hält auf achizig Schritte 
die Schrote merkwürdig zufammen. Nur bat ed einen einzigen 
PFleinen Fehler: es ſtößt fehr ſtark und hätte dem Liebhaber bei 
einem erften Verſuch mit etwas ftarker Ladung beinahe zwei feiner 
Thönften Badenzähne gekoftet. 

Der Jagdliebhaber kommt in fein Zimmer und ruft feinem 
Bedienten — „Johann, mein Gewehr! den Jagdrock, die Hofen, 
die hohen Strümpfe und die langen Stiefel!" — Bald find alle 
diefe Sachen um ihn verfammelt und er fieht fich veranlagt, dem 
Bedienten einen Heinen Wifcher zu ertheilen. Die Motten haben 
in den Aermel des Rods ein Loch. gefreffen und in der Hofe einen 
Theil verlegt, den man gern in gutem Zuftande befipt. Dieſer 
Wifcher wird bedeutend verftärkt, da die Stiefeln, trog der häufi⸗ 
gen Ermahnungen, fie fleißig einzufchmieren, vor Dürre ordentlich 
Happern. Im Grunde tröjtet fih der Jagliebhaber damit, daß es 
nicht viel zu fagen hat, wenn auch an den Kleidungsftüden etwas 
fehlt, wenn nur die Waffe in gutem Zuftande ift. 

Dieſe fteht, forgfältig in ein grünes wollenes Zutteral geſtect, 
in einer Ecke des Zimmers und wird nun hervorgeholt und feierlich 
enthüllt. Doch wer malt den Schrecken des Jagdliebhabers, als er 
bemerkt, daß das Gewehr in⸗ und auswendig mit einer förmlichen 
Kruſte von Roſt bedeckt iſt, und als er ſieht, daß die Batterie von 
verbranntem Pulver ſtarrt! — „Gerechter Gott! wer hat dad ger 
than? Wie iſt das möglich?“ Er weiß zu gewiß, daß er das 
Gewehr ſelbſt in's Futteral geſteckt, rein und blank, nachdem er es 
ſorgfältig mit Mandelöl eingerieben. Gin ſchwetes Gewitter ſteigt 
über dem Haupt des Bedienten empor, der troſtlos daſteht und ſich 


⸗ 


156 Vergnügen auf der Jagd. 


vertrauten Freunden eingeſteht und alsdann verſichert: „Im Winter, 


wenn ich Zeit babe die Jagden zu beſuchen, haben die Böcke abge: 
worfen, und was den Pinfel anbelangt, da kann man nicht vor: 
fihtig genug fein.“ 

Alfo die Einladung ift angelommen. Das Rendezvous tft vier 
Stunden vou dem Orte, wo ſich der Jagdliebhaber befindet, auf 
morgen früh fieben Uhr feftgefept. So fehr es ihn freut, einmal 
einen Tag lang fnallen zu können, fo tft ihm doch der Umſtand, 
Morgens vor fieben Uhr einige Stunden fahren zu müſſen, äußert 
fatal, und wer weiß, ob er die Ginladung annähme, wenn er fid 
nicht fo fehr darauf freute, heute Abend in Geſellſchaft auf Die fte 
hende geiftreiche Phrafe: „Aber heute ift es kalt!“ Leicht hinwerfen 
zu können: „Pah, was ift für und Jäger die Kälte!“ — „En, 
Sie lieben die Jagd?" — „Leidenſchaftlich,“ antwortet er, indem 
er.fich die Hände reibt. „Nur raubt es mir Zeit, viel Zeitz gleid 


— — 





morgen bin ich wieder genöthigt, einen ganzen Tag zu opfern, da 


mich mein Freund X. dringend eingeladen hat.” 


Das Wetter ift, wie e8 ein Jäger nur wünjhen kaun. Seit 
heute Nachmittag hat fich der Himmel aufgeklaͤrt; es’ift Froſt ein | 


gefallen, und als unfer Freund Abends nach Haufe gebt, tritt er 


in jo viel Waflerlachen, ald er eben erreichen Tann, um fi zu: 


Überzeugen, daß es wirklich friert. Bor einigen Zagen iſt Schnee 
gefallen und eine weiße Dede Liegt über Berg und Thal. 


Was die Jagdansrüftung anbelangt, fo tft unfer Dilettant | 


damit verfehen wie Einer. Er befigt einen grauen Jagdrod, dide 
furze Hofen, wollene Strümpfe, die bis über's Knie reichen, und 
zothe juchtenlederne Stiefeln, die das ganze Jahr einen unausſteh⸗ 
lihen Geftanf verbreiten, dafür aber auch, weil fie wenig gebraudt 
‚werden, im Winter auf der Jagd der Näſſe gutwillig den Eintritt 
geftatten. Er Hat fi einen grauen Filzhut angefchafft mit einem 
theuern Gemsbart und Spielhahnfedern verziert. Das Pulverhorn 
ift zum Aufdrüden, der Schrosbentel zum Umbiegen eingerichtet, 





Vergnügen auf der agb. 157 


Alles auf's Neuefte. Auch eine Zündhütchenupr fehlt nicht; da er 
aber den Mechanismus derjelben nicht zu handhaben verfteht, fo 
wird fie. nur zur Parade mitgenommen und er müht fich meiftens 
ab, mit den erftarrten Fingern das Zündhütchen aufzuſetzen. Daß 
er ein ausgezeichnetes Gewehr befipt, brauchen wir gar nicht zu 
erwähnen. Daſſelbe jchießt weit hin und hält auf achtzig Schritte 
die Schrote merkwürdig zufanmen. Nur bat es einen einzigen 
feinen Fehler: es ftößt fehr ſtark und hätte dem Liebhaber bei 
einem erften Berfuch mit etwas flarfer Ladung beinahe zwei feiner 
ſchönſten Badenzähne gekoftet. 

Der Jagdliebhaber kommt in fein Zimmer und ruft feinem 
Bedienten — „Johann, mein Gewehr! den Jagdrod, die Hojen, 
die hohen Strümpfe und die langen Stiefel!" — Bald find alle 
diefe Sachen um ihn verfammelt und er ſieht fih veranlagt, dem 
Bedienten einen Heinen Wiſcher zu ertheilen. Die Motten haben 
in den Aermel des Rods ein Koch. gefrefien und in der Hofe einen 
Theil verlegt, den man gern in gutem Zuſtande befißt. Diefer 
Wifcher wird bedeutend verftärtt, da die Stiefeln, troß der häufi⸗ 
gen Ermahnungen, fie fleipig einzufchmieren, vor Dürre ordentlich 
Happern. Im Grunde tröjtet fih der Sagliebhaber damit, daß ed 
nicht viel zu jagen hat, wenn auch an den Kleidungdftüden etwas 
fehlt, wenn nur die Waffe in gutem Zuſtande ift. 

Diefe fteht, forgfältig in ein grünes wollenes Futteral geſtedt, 
in einer Ecke des Zimmers und wird nun hervorgeholt und feierlich 
enthüllt. Doch wer malt den Schrecken des Jagdliebhabers, als er 
bemerkt, daß das Gewehr in⸗ und auswendig mit einer förmlichen 
Kruſte von Roſt bedeckt iſt, und als er ſieht, daß die Batterie von 
verbranntem Pulver ſtarrt! — „Gerechter Gott! wer hat dad ge⸗ 
than? Wie iſt das möglich?“ Er weiß zu gewiß, daß er das 
Gewehr ſelbſt in's Futteral geſteckt, rein und blank, nachdem er es 
ſorgfältig mit Mandelöl eingerieben. Ein ſchwetes Gewitter ſteigt 
über dem Haupt des Bedienten empor, der troſtlos daſteht und ſich 


158 Bergnügen auf der Jagd. 


nach den eıften Worten als TIhäter bekennt. Er hat dad Gewehr 
mit zu einer Herbflfeier genommen, und nachdem er an einem ſchö⸗ 


nen Radhmittage zwei Pfund Pulver daraus verfnallt, hat ers | 





ungepugt in's Yutteral geftedt und das Pugen vergefien. Glück 


licher weife tft der fehr biegfame und ſchmiegſame Ladſtock nicht 
eingeroftet und Herr und Diener befchäftigen ſich ſofort mit einer 


fehr eindringlichen, aber unangenehmen Herbftnachieier. — Was it 


zu thbun? Das Gewehr muß gepußt fein, und Da ed unterdeilen 
eilf Uhr Abends geworden ift, fo muß man fidy jelbft damit he 
fhäftigen. Die Waffe wird auseinandergefchraubt, und nach zweis 
ftündiger mühfamer Arbeit tritt der fefte Grund des Rohres überall 
wieder zu Tage; die Batterie ift jauber und blank, und während 
dem hat der Bediente No und Hofe etwas geflidt und die Stie 
feln mit Del und Talglicht gehörig bedient. 


— 





Als endlich Alles in Ordnung iſt, ſchlägt es zwei Uhr, ud | 


da der Poftwagen nach dem Orte des Rendezvous um halb drei 
abfährt, fo ift keine Zeit mehr zn verlieren. Der Jagdliebhaber, 
ohne zu Bette gekommen zu fein, wirft fi) geduldig in Die Jagd—⸗ 
Heider, hängt Pulverhorn, Schrotbeutel und Zündhütchenuhr um, 
nimmt den Muff, feßt den Jagdhut mit den Spielhahnfedern auf 
und widelt fi in den Mantel. Es wird rafch eine Taſſe Kaffee 
gekocht, und nach einem halb wehmüthigen Bli auf fein unberühr 





tes Bett eilt er nach dem BPofthofe, den Vergnügungen entgegen, die 


feiner harren. 
Draußen ift ed grimmkalt, die Sterne funfeln am klaren Him- 


mel, der Schnee knirſcht unter den Füßen des Dahinwandelnden, 


und ehe er noch den Poſthof erreicht, hängen große Eiszapfen an 
feinem Barte. — Im Eilwagen ift er die einzige Perfon, und wenn 
er deßhalb auch die Beine nad) Belieben ausftreden kann, fo leidet 
er dafür fehr an Froſt. Umſonſt widelt er fih in feinen Mantel, 


die Nachtluft dringt fchneidend durch. Seine Zähne klappern und | 


and den Füßen tft alles Gefühl verſchwunden. 


Vergnügen anf der Jagd. 159 


Endlich nach vier langen Stunden fommt er am beftimmten 
Derte an. Es ift halb fieben und der Tag fängt an zu dämmern. 
Sm Wirthshauſe, wohin er befcieden worden, wird er in eine 
zuroße Stube gewiejen, wo ihm ein dider Holzrauch jagt, Daß das 
Seeuer eben angelegt worden. — Er iſt der Erfte auf dem Platze, 
und nachdem er das Gewehr von fich gelegt, trippelt er, halb er⸗ 
ſt arrt, in der Stube auf und ab, um fid) etwas zu erwärmen. 
Bald erjcheint ein Kellner mit fehr verfchlafenen Aeußern, der ihn 
gähnend fragt, was er zu genießen wünfche. — Nachdem der Jagd 
Liebhaber einige Angenblide überlegt, entfcheidet er ſich für Choko— 
Lade mit geröjteten Brod und Butter. 

Unterdeffen wird e8 Tag und vor dem Gafthofe verſammeln 

Tid) die Treiber. Sie haben lange hellgraue Leinwandkittel au, 
Pelzmützen auf den Kopfe und die Hände ſtecken in Dichten Filzhand- 
Schuhen. Die meiften führen einen langen Stod und Alle ſpringen 
im Schnee herum, ſchlagen in die Hände, um dieſe zu erwärnen, 
und blajen ihren Athen in dien Dampfwolken von ſich. — Seht 
kommen auch einige berrichaftliche Jäger an, mit andern Treibern 
hinter fjich, deren einer einen Frühſtückranzen trägt und einen 
Schweißhund an der Leine führt. Alle haben blaue Baden und 
roth angelaufene Naſen; ein Anblid, der den Jagdliebhaber jept 
um jo fehmerzlicher an die vergangene Nacht erinnert, da der Ofen 
anfängt, eine behagliche Wärme auszujtrömen und Die duftende 
heiße Chokolade vor ihm auf dem Tifche fteht. 

Dort fteigt Die Sonne über die Berge und wirft-einen feuer⸗ 
rothen Schein auf den Schnee bie vor das Wirthshaus, den Rauch 
vergoldend, der aus den Schornfteinen des Dorf hie und da aufs 
zufteigen beginnt. Die Jagdhunde fihauen emper und ſchütteln 
fi. — Eben ift die Chofolade und ein ganzer Teller voll gerdite 
ten Brods mit Butter verzehrt, ald draußen unter den Treibern 
eine allgemeine Bewegung entſteht. Herr v. &., der nahe beim 
Dorf während der Jagdzeit auf feinem Landgut wohnt, fommt mit 


160 Vergnügen auf der Jagd. 


einigen andern Herren, und die Jagd kann beginnen. — Unfer Held 
ergreift fein Gewehr und eilt vor das Haus. Allgemeine Begrüßung. 
Man wird vorgeftellt und läßt fidh vorftellen, und ift in wenigen 
Augenbliden befannt. 

Gleich vor dem Dorf beginnt der erfte Trieb. — Ein alter 
Jäger des Herrn von X. führt unfern Jagdliebhaber und einen 
andern jungen Herrn auf ihren Stand. Während fie fo im Schnee 
dahin gehen, leitet der Jäger die Gonverfation mit den Worten ein, 
daß ed doch nicht mehr fo kalt fei wie geitern; er zeigt auf einige 
Wolken, die unterdefjen emporgeftiegen find, und fchüttelt halb ver- 
drießlich mit dem Kopf, wobei er eine Hand voll Schuee vom Bo⸗ 
den aufhebt, um zu zeigen, daß er naß fei und fich Leicht zufammıen- 
ballen laſſe. 

Bald iſt der Stand erreicht, die Beiden werden aufgeftellt, und 
da die Treiber einen weiten Weg zu machen haben, fo gefellt ſich 
der junge Herr aus der Nahbarichaft zu unferm Lichhaber, und 
Beide beginnen ein Jagdgeſpräch, aus welchem der Zeptere zu feinem 
großen Schreden erfieht, daß jener heute wahrjcheinfich zum erften- 
mal eine Jagd mitmacht. Er weiß niht, was ein Zwilling ift, 
er fpricht vom Haar des Haafen, und der Sagdliebhaber befommt 
beinahe Krämpfe, als ihm der Andere von einem Nehbod erzählt, 
der ein ganz verdrehtes Horn gehabt habe. Kurz, in einer Viertel: 
ftunde ift c8 heraus, daß der junge Herr nod nie auf der Jagd 
gewejen, denn er bittet den Jagdliebhaber, ihm beim Laden feines 
Gewehrs behülflich zu fein. — Man kann fi den Schredfen des 
Mannes denken. . In aller Kürze, denn die Treiber erfcheinen ſchon 
auf den Höhen des Feldes, gibt er dem jungen Herrn die allernoth- 
wendigften Anweiſungen und bittet ihn aufs Dringendfte, nicht 
auf den Weg zu hießen, auf dem Beide ftehen. 

Der Trieb beginnt, die Treiber fangen an ihr Fellow! Jellow! 
zu fchreien, und ein einzelner Hafe kommt in voller Flucht übers 
Zeld einher, gerade mitten zwifchen unfern beiden Freunden. Der 








Vergnügen auf der Jagd. 161 


Jagdliebhaber nimmt ſein Gewehr auf und macht ſich in größter 
Ruhe fertig; der junge Herr, der vor dem Trieb noch ein noth⸗ 
wendiges Gefchäft hat verrichten wollen, knöpft in aller Haft feinen 
Rock zu, fadelt mit dem Gewehr herum, der Hafe jtugt, wendet fid) 
und eilt in einem weiten Bogen den andern Schüßen zu, deren 
einer ihn gemächlich niederftredt. 

Bald folgen mehrere dieſem eriten Schlachtopfer menfchlicher 
Grauſamkeit. Sie fpringen behend auf dem Schnee hin und ber, 
gejagt von den Treibern und flugend vor den aufgeftellten Schützen; 
fie fommen vor und eilen zurüd, fpringen rechts und fpringen linke, 
ftehen und halten die Xöffel empor. Drei bis vier der beherzteften 
machen einen tollfühnen Verſuch und eilen gerade auf die Schüßen los. 
Piff! paff! pum! drei wälzen fih in ihrem Blute, und der vierte, 
der nahe an unferem Sagdliebhaber vorbeitommt, fchnellt unter dem 
Schuſſe dahin und zeigt hohnlachend fein weißes Hintertheil. 

Die Treiber fommen näher, dad Gefecht wird hitziger. Hafen 
die Menge; ed Enallt auf allen Seiten. Der junge Herr, der wiis 
thend in den Schnee hinein fhießt, erlegt einen angefchofjenen, 
halbtodten Hafen, der fih mühfam vor ihn hingefchleppt hat. Toll⸗ 
fühn gemacht Durch Diefen Sieg, wendet er fi) mit dem Gewehr 
und nallt einigen Flüchtlingen nah, ohne ihnen die Wolle anzus 
brennen. Sept kommen nod einige Nachzügler und unfer Jagdlieb⸗ 
baber, der noch nichts erlegt hat, verftärkt fchnell die Ladung feines 
Gewehre, um von diefen legten Früchten noch eine für fich zu brechen. 

Ein fehr flarfer Hafe fommt ihm gerade in den Schuß. In 
der Hige drüdt er beide Läufe zugleich los; freilich ftürzt der Haſe 
im Teuer zufammen, aber der Jagdliebhaber befommt zugleich einen 
fo fürdterlihen Schlag von feinem Gewehr, daß er einen lauten 
Schrei ausitößt. Im felben Augenblid knallt es neben ihm: der 
junge Herr hat trotz aller Ermahnung über den Weg geſchoſſen. 
Unfer Jagdliebhaber hört hinter fich die Schrotförner in den Schnee 
ſchlagen und fteht da, von doppeltem Entſetzen gefefjelt. 

Salländers Werte, VI 11 


162 Bergnügen auf der Jagd. 


So endigt der erfte Trieb. Die Treiber kommen vor den 
Schüpen in einer Iangen Linie aus den Büfchen heraus. Biele 
bringen geſchoſſene Hafen mit, die in die Linie zurüdgelanfen und 
dort liegen geblieben. Der Trieb ift fehr gnt ausgefallen, der Jagd⸗ 
eigenthümer reibt fih die Hände und überzählt vergnügt die lange 
Reihe von getödteten Hafen, die vor ihm auf dem Schnee audge- 
breitet werden; Die Hunde, an der Leine gehalten, dringen fehnfüchtig 
näher, die Getödteten befchnuppernd und hie und da den Schweiß 
aufledend. Der Jagdliebhaber unterfudht mit der verdrießlichften 
Miene von der Welt fein Gewehr, und faun nicht begreifen, weßhalb 
es fo furchtbar ſtößt. Seine rechte Wange tft roth und aufgelaufen, 
als habe er feit mehreren Tagen mit furchtbarem Zahnweh gekämpft. 

Der Himmel hat fi) unterdeflen bezogen und einzelne Schnee- 
floden, vom Winde hin und her gejagt, fchweben ald Vorpoſten 
eines wahrfcheinlich flarfen Schneegeftöberd, langfam herab, Die 

Hafen werden auf große Stöde geftreift und auf einen Wagen ges 
haͤngt, welcher der Jagd Iangfam folgt. — „Meine Herren,“ fagt der 
Sagdeigenthümer, „glauben Sie, daß ed noch zu früh zum Früh—⸗ 
ſtücken iſt? Wie e8 Ihnen befiebt. Wollen wir jet einen Heinen 
Imbiß nehmen oder noch einen Trieb machen?“ — Bei dem Worte 
Frühſtück tritt ein ftämmiger Bauer aus dem Haufen hervor; derfelbe 
trägt einen Stuhl mit einem einzigen Bein, an welchem eine ftarfe 
eiferne Spige, um ihn in den Boden zu treiben, und an diefem 
Stuhl hängt ein gewaltiger Ranzen, mit einem großen Wolfspelz 
überzogen, und diefer Ranzen enthält ein ganz vortreffliches Früh: 
ſtück. Da fih aber die meiften Jäger dafür entfcheiden, noch einen 
oder zwei Triebe zu machen, fo tritt der Bauer mit dem Ranzen 
wieder unter die Treiber zurück. 

„Meine Herren,” fagt der Jagdeigenthümer, „wir wenden uns 
dort links aus dem Walde hinaus, gegen die Haide hin, und id 
bitte nur, feinen der Füchſe durchgehen zu laſſen, die wahrfchein: 
lid in Menge erfheinen werden. — Haben Sie fchon Füchfe ges 








Bergnügen auf der Jagd. 163 


ſchoſſen?“ fragt er den Jagdliebhaber und den jungen Herrn. 
Der lebtere verneint, der erfle aber zeigt ftillfchweigend feinen Jagd⸗ 
muff, der allerdings von Fuchspelz iſt, was aber im Grunde nicht 
viel fagen will. — „Alfo vorwärts!” ruft der Sagdeigenthümer. 
Die Förſter ftellen die Treiber an und die Jäger ziehen links in 
den Wald hinein, wo derfelbe Lichter zu werden beginnt. 

Zu dem jungen Herrn gefellt fidr ein alter Förſter, der ihn von 
früher kennt und vorhin augefehen, wie er ſich ziemlich ungefchidt 
benommen ; er gibt ihm einige freundfhaftliche Ermahnungen. — 
„Wiſſen Sie was?” fagte der Alte, „gehen Sie mit mir in den 
Trieb, das tft recht amufant, namentlih wo es viele Füchſe gibt. 
Der Fuchs ift von einer unbegreiflichen Schlauheit; er ift im Stande, 
fih iu einer Wegfurche zu verfteden, läßt die Treiber vorbeigehen 
und reißt dann hinten aus. Da kann man ihm nadfnallen, daß 
es ein wahres Bergnügen iſt.“ — Der junge Herr nimmt dad Anz 
erbieten dankbar an und folgt mit dem alten Jäger den Treibern. 
Er wirft fein Gewehr über die Schulter und watet plaudernd durch 
den tiefen Schnee. . 

„Sind Sie fhon lange bei der Jägerei?“ fragt er den alten 
Zörfter, und diefer. entgegnet: „Ia, das mögen ſchon an die vierzig 
Jahre fein; aber damals und jept, welch ein Unterfchich! Man 
kann das heutzutag feine Jagd mehr nennen, die paar Hafen und 
Füchſe und hie und da ein Reh! Du lieber Gott! was war das 
noch für ein Hochwildſtand vor dreißig Jahren! und die Saunen, 
die ed da gab! Auch ſchoß man jeden Winter einen bis zwei 
Wölfe.“ 

„ah ja, Wölfe!“ meint der jurhe Herr und ſchnalzt vor Jagd⸗ 
Inf. „Ich wüßte nicht, was ich darum gäbe, fo einen Wolf zu 
[hießen. Aber man fpürt ja feit längerer Zeit wieder Wölfe hier 
im Land. Kamen fie nicht in dieſes Revier?“ — „Waren aud 
da, junger Herr,” erwidert der alte Förſter, den plößlich die Luſt 
anzukommen fehlen, einiges Latein preis zu geben. „Man hat in 


164 Vergnügen auf der Jagd. 


den Zeitungen von zweien gefafelt. Ia, profit die Mahlzeit! Es 
war ein ganzed Rudel. Gott firaf mich, aber es waren wenigftens 
ihrer zwanzig.“ — „Ah!“ — „Wenigftend zwanzig. Sie haben 
body die Berichte von den Schafen gelejen, die fie zerriiien baben, 
von der ungeheuren Menge Schafe? Das thun nicht zwei Wölfe. 
Sie waren, wie man e8 fo nennt, ordentlich conftituirt, und Der 
Luchs, der damals gefchofien wurde, führte fo ‚eine Art Obercoms 
mando über fie. Sehen Sie” — und damit blieb der Alte plößs 
ih ftehen — „bier auf Ddiefem Fleck ftand ich, dort drüben auf 
der Haide war der Schäfer des Orts, und da unten, wo die um- 
geftürzte Eiche liegt, ſah ich fie vorbei fommen; wie gefagt, we⸗ 
nigftend ihrer zwanzig, und der Luchs voranz der trug ein Reh, 
und jeder der Wölfe hatte ein Schaf im Rachen. Ja, das war 
für die Schäfer eine harte Zeit.” — „Aber,“ entgegnet der junge 
Her, „man bat ja nur zwei gefchofien, da müfjen die andern noch 
im Lande fein, und es könnte und heute zufällig ein Wolf begeg- 
nen.” — „Das tft wohl möglich,“ meint der alte Förfter, „freilich 
nicht ſehr wahrfheinfih; aber was tft in der Welt nidt (dom 
Alles gefchehen, namentlich auf der Jagd? Ja, da fommen Dinge 
vor! Aber jept müfjen wir den Treibern nad, fie find fchon weit 
voraus.“ 

Die Beiden fchreiten rüftig darauf los und find bald auf der 
Linie, von der aus getrieben wird. Der junge Herr verfuht fein 
Gewehr von Neuem zu laden, benimmt fich aber dabei wieder fo unges 
(hielt, daß der alte Jäger überlegt, ob es rathfam fei, ihn mit 
in die Treiberlinie zu nehmen, ob es nicht beffer wäre, ihn an 
irgend einem verlorenen Poſten aufzuftellen, wo er Niemand Scha⸗ 
den zufügen könnte. Er wählt das Leptere. Die Beiden ftehen 
gerade an der umgeftürzten Eiche. — „Das tft ein fehr merkwürdi⸗ 
ger Platz,“ fagt der alte Förfter. „Die Eiche hier heißt die Fuchs⸗ 
eiche.“ — „Gi, und warum die Fuchseiche?“ — „Das follten Sie 
nicht wiſſen,“ meint der alte Förfter, „und waren Doch fo viel auf 


. 





Bergnügen auf der Jagd. 165 


der Jagd?“ — „Sa, ich erinnere mich dunkel, etwas davon gehört 
zu haben.” 

„Natürlich,“ entgegnet der Förfter „Der Fuchs ift das 
ſchlauſte Thier, das es gibt. Daß er fih bei den Dörfern, an 
den Hühnerftällen herumtreibt, wiffen Sie. Sollte man aber glau, 
ben, daß fo ein Vieh eine Ahnung davon hat, wenn er den an⸗ 
dern Tag getrieben werden foll und wo die Jagd lésgehen wird? 
Gott firaf mich! und das wifien fie manchmal befier als die Jä⸗ 
gerburfchen.” — „Unglaublih!" — „Das ift no nicht Alles,“ 
fährt der Alte fort. „Ste machen während der Jagd Zeichen an 
gewifie Bäume und theilen fi) dadurch mit, wo die fchlechten 
Schügen fliehen und wo es am hitzigſten hergeht. Und deßwegen 
beißt dies hier die Fuchseiche. Was fie für Zeichen machen, das 
fann kein Menfch wiflen; aber fo viel ift gewiß, daß die Füchſe 
während des Triebs ihre Richtung vor Allem hieher nehmen, und 
wenn fie gefehen haben, was fie fehen wollten, gehen fie entweder 
gerade aus oder kehren um und fuchen fich zu retten wie fie können.“ 

„Ei!“ meint der junge Herr, „und wer macht denn die Zei⸗ 
hen an die Eiche?” — „Das thnt immer der gefcheidtefte Fuchs, 
der Oberfuchs.“ — „So muß ja bier ein abfonderlich guter Pla 
fein?” — „Das will ich meinen; ih habe mich hier aufitellen 
wollen, aber wenn's Ihnen Vergnügen macht, fo bleiben Sie da.“ 
— „Dad wäre mir wirklich recht angenehm.” — „Alfo abgemadht! 
"Bleiben Sie bier ftehben. Halten Ste fih aber ſtill und rühren 
Sie fein Glied am Leib.“ Im Abgeben fügt der Alte hinzu: „Am 
Ende haben Sie fogar dad Glück und ſchießen den Oberfuchs.“ — 
„Aber,“ ruft ihm der junge Herr nah, „woran erfennt man 
denn eigentlich den Oberfuchs?“ — „Sie werden mir doch nidt 
weiß machen wollen, daß Sie den Oberfuchs nicht zu unterfcheiden 
wiſſen!“ acht der alte Jäger und geht feines Wegs. — „Natürs 
lich!“ erwidert der junge Herr und ftellt ſich in Pofitur. 

Auf der andern Seite find die Schüßen auch aufgeftellt ; der 





166 Bergnügen auf der Jagd. 


Jagdliebhaber hat wirklich einen guten Platz befommen und ſteht 
zwifchen dem Herrn von &. und einem andern vortrefflichen Schü» 
ben. or fih haben fie eine. junge Waldkultur, von der fie durd 
einen tiefen, mit niedrigem Gefträud bewachfenen Graben getrennt 
find; in ihrem Rüden ift die Hatde. Der Jagdliebhaber ift unge 
mein aufgeregt, theild weil er wirklich begierig iſt, einmal einen 
Fuchs zu ſchießen, theild weil ex fürchtet, fich vor den guten Schü. 
ben zu blamiren. Herr von &. legt beide Hnde vor den Mum 
und ruft ihm leife zu: „Wenn der Fuchs kommt, fi nur nidt 
gerührt!" — Die Aufftellung der dret Herren tft fehr gut gewählt. 
Jeder fteht hinter einer großen Buche, die ihn vollſtändig deckt. 
Der Trieb beginnt. Lange tft Alles ſtill; hie und da fleigt 
eine Elfter Trächzend auf, oder es flreift ein Rabe mit fchwerem 
Flügelfchlag durch den Wald. Jetzt erfchallt in weiter Ferne ein 
Jeifes Jellow, Jellow! Doch iſt's wohl nur ein blinder Lärm; man 
hört nichts weiter al8 den Auf des Echos in den Bergen. Sept 
wieder: Jellow! Jellow! Zuerft ein einzelner Ruf, dann mehrere 
bintet einander, und nicht lange, fo ruft ed: Jellow Fuchs! längs 
der ganzen Linie der Treiber. Der Jagdliebhaber ftellt fih auf 
die Fußſpitzen, faßt frampfhaft fein Gewehr und fein Herz podt 
hörbar. Drüben im Laub, ihm gerade gegenüber, rafchelt es; er 
fiebt recht Herrn von &. an: diefer macht ihm ein dringendes 
Zeichen, aufzupaffen; er flieht links: der andere Schüße bedeutet 
ihm dafjelbe. Er ftrengt feine Augen unglaublih an. Sept if 
ihm, als bemerfe er drüben anf der andern Seite des Grabensd 
einen ‚Heinen gelben Sandhaufen, der aber plößlich wieder ver 
ſchwindet. Dad Rafcheln kommt näher — er fieht nichts. Sein 
Nachbar links gibt ihm ein dringendes Zeichen, indem er den Jet 
gefinger wie ein Gewehr an die Wange legt, und Herr von &. 
afbeitet wie ein Telegraph. Dem Iagdliebhaber bricht der Schweiß 
aus: er fol ſchießen und, fieht nichts. Drüben erfcheinen die Trei⸗ 
ber, einige vorwigige Buben voraus; einer derfelben wirft feinen 





- Vergnügen anf der Jagd. 167 


Prügel in den Graben und brüllt hinaus: „Jellow! Jellow Fuchs!“ 
Herr von X. ftößt einen derben Fluch aus, der andere Schüße 
zielt Taltblütig wie auf das Fußgeſtell des Jagdliebhabers. Dicht 
vor demfelben fährt ein Fuchs in die Höhe, beinahe zwifchen feinen 
Füßen dur, über die Hatde hin. Es knallt von allen Seiten. 
Der Jagdliebhaber, dem es fchwarz vor den Augen geworden ift, 
wendet ſich ebenfalls gegen den Fliehenden, drüdt abermals die 
beiden Käufe feines Gewehrs zugleich ab, erhält einen noch furdt- 
bareren Schlag als das erftemal, verliert das Gleichgewicht, ſtürzt 
rüdlings in den Graben und liegt da in feines Nichts durchboh⸗ 
rendem Gefühle, umtobt von dem Gelächter der Treiber. 

Glüädlicherweife bat der Jagdeigenthümer den Fuchs erlegt; er 
ist im Feuer zuſammengeſtürzt. Der aute Schuß mildert feinen 
Zorn über die Ungefchicktichkeit des Jagdliebhabers. — Man richtet 
ihn auf, und da er glüdlicherweife keinen Schaden genommen bat, 
fo erzählen ihm feine beiden Nahbarn, wie der Fuchs nicht drei 
Schritte vor ihm Hinter einem abgehauenen Baumftamme geftedt. 
„Auf Ehre, fo nahe,“ fagte Herr von &., „daß wenn ih nad ihm 
gefchofien Hätte, ich unfehlbar Ihre Waden mit verlept haben 
müßte.“ ' 

Sp endigt der zweite Trieb, — Die Treiber umftchen den 
Fuchs, er hat die Augen verdreht und zeigt noch im Tode Die 
Zähne. Einer gibt ihm noch einen derben Schlag auf den Kopf, 
denn man hat Beifpiele, daß der Fuchs ſich nur todt ftellt und 
nachher die Treiber, die ihn fortfchleppen wollen, in die Waden 
beißt. — „Meine Herren,” ruft der Jagdeigenthümer, „jebt kommt 
der Frühftüdstrieb! Wo iſt der Cafpar mit dem Ranzen?” — 
„Caſpar tft zurüdgeblieben und wird gleich erfcheinen,” meinen die 
Treiber. 

Die Bauern lagern fih an den Rand des Grabens, ziehen ihr 
Stück Brod aus der Tafche und erzählen fi) Jagdabenteuer. Herr 
v. X. ſchaut ungeduldig nach Gafpar in den Wald hinein, und der 


168 Bergnügen auf der Jagd. 


alte Körfter begreift nicht, wo der junge Herr von der Fuchseiche 
bleibt, der ebenfalls noch nicht da iſt. Es ift im Wald fo ftill 
wie in einer Kirche; man hört die nafjen Blätter von den Bäumen 
rafheln. Auf einmal fällt ein entfernter Schuß; Alles lauſcht. 
Gleich darauf fällt ein zweiter, und man hört in der Entfernung 
ein gedämpfted Hurrah. — „Was ift das?” fragt Herr v. X. — 
Der alte Förfter meint, ed fei in der Gegend der umgeflürzten 
Eiche, nimmt einem der Treiber den Schweißhund ab und mad 
fih eiligft dahin auf den Weg. 

„Sehen wir mit!“ ruft Herr v. X. Die Schützen folgen und 
der größte Theil. der Treiber ſchließt fih an. Eilig dringt man 
vor. Der alte Zörfter bat recht, die Schüſſe find in der Rid- 
tung ik umgeftürzten Eiche gefallen. Dort Tiegt fie, und — 
mertnfirdiger Anblick! vorihr fieht man Caſpar, den Frühftüdträger, 
wie er im Begriff ift, dem jungen Herrn das Gewehr aus der Hand 
zu winden. Man fpringt hinzu, und es ergibt fih für Jäger, 
die einige Meilen von jeder menfhlihen Wohnung entfernt, von 
mehreren ſtarken Trieben hungrig und durſtig find, die troftlofefte 
Geſchichte. Gafpar vermag vor Grimm nicht zu fprechen, und fo 
erzählt denn der junge Herr, hochroth vor Scham und ftotternd 
vor Verlegenheit. 

„Ih ſtand,“ füngt er an, „lange forgfältig umherſpähend au 
der Fuchseiche. Endlich riefen die Bauern Jellow. Doc mit jeder 
Minute entfernten fie fi) weiter und weiter von mir. Ich fand 
da, einfam und allein, nur mit meinen Gedanken befchäftigt, von 
einem recht großen Jagdglück träumend. Ic geftehe, ein Hafe, 
felbft ein Fuchs, wäre für mich nichts gewefen, fogar der Ober 
fuchs nicht.“ — Bei diefem Ausdrud ſieht ſich die ganze Geſellſchaft 
erftaunt an, — „Nein,“ fährt der junge Herr fort, „einen Wolf 
zu Ichießen, das war mein Gedanke, einen von den achtzehn, die 
noch im Revier herumſpuken.“ — Abermaliges Erftaunen. — „Alles 
ift ruhig. Ich fehe rings um mich ber, da gewahre ich endlich 


Vergnügen auf der Jagd. 169 


gwifchen den Gefträuchen einen Gegenftand, der meine ganze Aufs 
merkfamteit in Anſpruch nimmt. Meine Herren, ich fehe im Ges 
ſträuch, feine zwanzig Schritte vor mir, einen Wolf.” — Drittes 
Eritaunen. — „Ich ziele genau, ich drücke ab, der Wolf liegt uns 
beweglih — ich ziele nochmals, ich fehleße wieder, da ertönt neben 
mir ein fauter Schrei; der Bauer dort flürzt auf mich zu und bes 
bauptet, ich habe in den Fräühſtücksranzen geſchoſſen.“ 

Bei dem Worte Frühftüdsrangen entfteht unter den Sägern 
allgemeine Aufregung. — „Das ift zu arg!” meint Herr v. X. — 
„Unerhört!” ruft der Iagdliebhaber, und Alles eilt der Gegend zu, 
wo Das Corpus delieti im Gefträuh Liegt. Man fchnallt den 
Wolfsranzen auf. Leider hat der junge Herr fehr gut gezielt: die 
Blechkapſel ift mehrmals durchlöchert und die gebratenen Hüpnenbt, 
Zungen, die Schinken, dad Brod [hwimmen in rothem Wein. — Was 
ift zu thun? Der junge Herr iſt durch die Scham und Verlegenheit 
fattfam beftraft;z Herr v. X. fucht die unverfehrten Trümmer aus dem 
Nanzen zufammen und fängt als gebildeter Mann zuerft an zu 
lachen. Der Zagdliebhaber ftimmt eifrig ein; er tft außerordentlid) 
vergnügt, daß es noch einen ungefchieteren Schügen gibt als er, 
und unter allgemeiner Heiterkeit geht der Frühftüdötrieb vor ſich, 
der auch ohne Störung und zur mäßigen Zufriedenheit abläuft. 

Nach dem Frühſtück ftedt man ſich eine Eigarre an; die Jagd» 
gefellfchaft mit Treibern und Hunden wendet fi über die vorhin 
erwähnte Haide einer größern Waldftrede zu, wo ſich nadı der Aus⸗ 
fage der Jäger ein ziemlich gefchonter Rehſtand befindet. — „Frei⸗ 
lich,“ meint einer, „fchießen die Gemeindefchügen Alles ohne Noth 
zufammen; aber ein bis zwei Rehböde in jedem Trieb wären doch 
nicht unmöglich.“ | 

Wer auf der Jagd fo ausgefprochened Unglück hat, wie unfere 
beiden Nimrode, der Jagdliebhaber und der junge Herr, der wird 
leider von den andern Schützen gemieden wie ein Angeftedter, und 
da die Zeiten vorbei find, wo der Jagdherr das Recht Hatte, für 


170 Bergnügen auf der Jagd. 


eine gefchoflene Gaiſe dem Webelthäter fünf mit dem Waidmeſſer 
aufzählen zu laſſen, fo ftellt man ſolch unglüdlihe Individuen 
Iteber auf einen verlorenen Boften, wo nie etwas anläuft, wo 
ihnen die Finger vor Kälte flarr und blan werden, wo fie nichts 
hören, als das Gekrächze eined Raubvogeld. Und dabei jagt man 
ihnen nicht, auf welch ſchlechtem Stand fie fi befinden; vielmehr 
rüdt der Forftbeamte, der fie anftellt, bedeutfam an feinem Hut, 
ſieht fih fchlau um und macht bloß ein Zeichen mit der Hand; 
Alles ganz leife und geheimnißvoll, als bemerke er fhon ein gan- 
zes Rudel Hochwild, oder er fagt auch: „Hier haben im vorigen 
Jahre der Herr Graf von N. einen ftarfen Bock geſchoſſen.“ 

Unterdefien wird ed empfindlich kalt; die Sonne ift hinter dem 
Waldrand verfhwunden, Nebel fteigeh auf und die Gefichter des 
Sagdliebhabers und des jungen Herrn fchillern in Blau, Violet, 
Roth und Gelb wie eine Farbenſchachtel. Rings herum knallt es 
Iuftig, bei ihnen iſt's öde und ſtill. Plöpli aber huſchen auf 
hundert, hundert und zwanzig Gänge im Walde einige Rebe vor 
bei. Wie fchlägt den Beiden das Herz! Links Tnalli es; die Rebe 
halten an und wenden, was im Laub auf dem Boden ein großes 
Geräuſch macht. Beide legen das Gewehr an die Wange und 
firengen ihr Sehorgan unmenfhlih an, um das Gewicht oder den 
Pinſel zu erbliden. Bergebens, fie ſehen nur die Umriſſe der 
Thiere. Die beiden Schügen erinnern fi, daß man ihnen gefagt 
bat, der Bod oder die Gais breche gewöhnlich zuerft hervor, aber 
wer von den beiden, ob Bock oder Gais zuerft, dad haben fie 
vergefien. Die Rebe kommen näher, erſchrecklich näher. Jeder 
denkt: wenn der Andere ſchießt, kann auch ich fehießen, der wird 
den Bock ſchon kennen. Sept faßt der Sagdliebhaber ein Herz und 
ſchießt beide Läufe ab. Bier Rehe fahren in ungehenern Sägen 
zwifchen Beiden durch, hinter ihmen in den Wald hinein. Der 
junge Herr ſchickt den Fliehenden zwei Schüffe nach ; aber es flürzt 
nichts, 








Vergnügen auf der Jagd. 171 


Der Trieb ift beendigt und Alles verfammelt fih, um heims 
zuziehen. — „Nun, haben Sie gefchoflen ?” fagt der alte Jäger 
zum Sagdliebhaber. „Ihnen müfjen ja vier Rehe angelaufen fein.“ 
Bon unfern beiden Nimrods will eben jeder verfichern, er babe dem 
ftarfen Bock, der darunter gewefen, ein Tüchtiges verfept, als ein 
alter Treiber hinzutritt und bemerkt, er habe die vier Rebe deut⸗ 
ich gejehen, es feien vier Gaiſen geweſen. — Der Zagdliebhaber 
und der junge Herr verflummen plößlich und beten in Gedanken: 
„Heiliger Hubertus, wenn nur fein Unglüd gefchehen iſt!“ 

Die Jagd ift zu Ende und man kehrt tüchtig durchfroren auf 
das Dorf zurüd, wo der erfte Trieb begonnen hat. Hier wird 
zum Beſchluß der legte und beite Trieb gemacht, an der Wirthö- 
tafel nämlich, wo ein Sauerkraut mit Umftänden, d. h. mit Erben, 
Schweinefleifh, Blutwurft und dergleichen anfgetifcht if. Man ißt 
fehr viel, man trinkt noch mehr, renommirt wird ungeheuer, und 
am Ende fährt Alles nach Haufe. 

Mitten in der Nacht kommt der Jagdliebhaber in fein Zim- 
mer; ihn fröftelt und er läßt fi) einen Kamillenthee machen, der 
auch feine Wirkung thut. Am andern Morgen wacht er mit einem 
ftarken Huften und Schnupfen auf. Sein Barbier erfchricdt, als 
er ihn im Bette Liegen fieht, und bringt ihm einen Handfptegel. 
Die rechte Wange ded Jagdlieldabers iſt fürchterlich aufgelaufen. 
— Um zehn Uhr bringt ihm fein Bedienter einen Brief vom 
Tagdeigenthümer, der ihm mit wenigen freundlichen Worten den 
Rath gibt, künftig nicht wieder auf Rehe zu ſchießen, bevor er 
gelernt habe, einen Bock von einer Gais zu unterfcheiden ; heute 
früh hätten die Jäger eine Gais heimgebradht, die von ihm im 
legten Trieb gefchofjen worden. Der Jagdliebhaber feufzt und 
nimmt den erften Löffel einer fehr bittern Arznei, die ihm der Arzt 
verfchrieben, 


Beifende Engländer im ®rient. 


Wenn man heutzutage etwas über eine Tour liest, die Diefer 
oder Iener gemacht hat, fo fann man fidh fiher darauf verlafien, 
gleich beim erften Kapitel, neben Klagen über.fchlechte Wirthshäuſer 
und theure Rechnungen und dergleichen Fatalitäten mehr, die Eng- 
länder, die dem Erzähler Degegneten oder nicht begegneten, nad 
Kräften lächerlich gemacht zu finden. Das ift einmal jet bet uns 
zur Mode geworden und feit Heine oder Saphir — ich weiß nit 
recht, wer — einmal gefagt, er finde in der Welt nichts profatfcher, 
als einen kattunenen Regenſchirm oder einen reifenden Engländer, 
fo werden täglich über diefe Melodien neue Variationen gemacht. 
Dem fcheinen die Söhne Albions aus Steifleinen fabrizirt, Jenem 
‚fommt die ganze Figur wie in einer Nürnberger Fabrik aus Holz 
gefchnigt vor, und alle ftellen fie dar, wie die Knochen im Fleifch, 
die einem’beim Genuß des faftigen Stüdes Landfchaft unangenehm 
den Geſchmack verderben. 

Daß der Engländer in feiner trodenen, eher abftoßenden als 
anziehenden, Manier dem guten gemüthlichen Deutfchen ftet3 fremd 


Reifende Engländer im Orient. 173 


gegenüber tritt, finde ich fehr natürlich, Xebterer zu Hanfe mit 
allen möglichen Tefjeln und Banden an Haus, Arbeitstifch und 
Staat gefettet, freut fich einige Jahre voraus auf die Reife in den 
Rheingau, die er zu machen gedenkt, legt heute einen Thaler in 
die Ede der Schublade und morgen wieder einen, ſchickt ſchon Ans 
fangs Januar, wenn die Neujahrörechnungen bezahlt find, feinen 
Koffer zum Sattler und geht in den erſten vier Wochen regelmäßig 
täglich wenigftens einmal bei der Werfitatt vorbei, damit fein 
Meifegeräth ja bis zum Auguft fertig iſt, lebt in fteter Beſorgniß 
und Angft, ob auch der neue Rod und die Stiefeln von Glanz 
leder fertig werden, und fo kommt langfam der Frühling und geht 
vorüber. Da fährt eines fchönen Sommermorgend der Staats» 
minifter, oder wer fonft der Vorgefepte ift, in's Bad, und unfer 
Reiſender kommt Mittags mit feelenvergnügtem Gefiht nach Haufe, 
ein großes gefaltetes Papier in der Rodtafche, Es ift fein Neifes 
paß: „Borzeiger dieſes 20.” Früher dachte er mit Vergnügen an 
feine Tour, malte fih die fröhlichen Stunden, .die er genießen 
würde, vecht lebendig aus; jebt, wo fih die Zeit der Erfüllung 
nähert, denkt er ängſtlicher daran, es könnt’ ihm noch etwas da⸗ 
zwifchen fommen ; er wagt es nicht mehr, die Genüſſe, die ihm 
bevorſtehen, auszudenken ; er fchließt, fo oft ihm ein folcher Ges 
danfe überlommt, die Augen, und ein Heiner Stoßfeufzer entfährt 
ihm ; er iſt in einer unangenehmen Spannung, fpricht gegen Nie- 
mand mehr von feinem Vorhaben und wundert ſich doch dabei, 
daß die Leute nicht auf der Straße ftehen bleiben und wenn er 
tommt, einander zuflüftern:: der reist auch morgen. So nimmt 
er unruhig fein Boftbillet, padt eilig und unruhig feine Sachen 
und erft, wenn er das rauchende Dampfboot befteigt, ihm der 
Kellner auf dem Verdeck den Kaffee fervirt bat, erft wenn er fich 
die Cigarre angezündet, und um fich fchauend drei Kreuze nach der 
Gegend hinmacht, wo fein Arbeitötifch, fein Zwinger fteht, fprins 
gen feinem Herzen taufend Reife und es fchwillt ihm auf, wie ein 


174 Reiſende Engländer 


englifher Twiftballen, dem man feine Emballage genommen ; er 
wacht auf, er ift des Löftlichften Humors, denn er reist ja; dem 
Kellner überläßt er in der Zreude feines Herzens die vier Kreuzer, 
die diefer ihm herausgeben will, rechts und links bietet ex den 
Paflagieren feine Tabaklsdoſe oder feine Gigarren an, und vom Ka 
pitän bis zum Schiffsjungen hat er fchon jeden gefragt, ob nicht 
bald zum drittenmale geläutet würde, Er fleigt mit großen Schritten 
auf dem Verde herum, und fucht bei Jedem, der nicht gerade 
mit Andern befhäftigt tft, feine feligen Empfindungen anzubringen. 
An der Brüflung neben dem Steuerruder fteht ein hagerer Tanger 
Herr; feinen Kopf mit einem bleichen Geſicht und den etwas in’s 
Nöthliche fpielenden Haaren bededt eine ſackähnliche Retfemüge mit 
großem Schirm. Ueber dem zugelnöpften Rode trägt er ein Män⸗ 
telhen von waſſerdichtem Zeug, das ihm bis an die Knie reicht. 
Seine Stiefeln find von ungefhwärztem Leder oder er trägt viel 
leicht auch Schuhe und Kamaſchen. Bor ihm liegt ein Panorama 
des Rheinlaufes und in der Hand hält er ein Buch, violet einge: 
bunden und vergoldet; neben ihm lehnt ein großer Regenfchirm, 
obgleich an dem ganzen Himmel fein Wöltchen zu fehen iſt. Auf 
merkſam blickt der Iange Herr in die Gegend und fieht zuweilen in 
fein Bud. Zu dieſem gefellt fich der Deutfche, „Ad, mein Her, 
ein köftlicher Morgen — Ste reifen wahrfcheinlich auch nad) Köln? 
— wir werden heute eine herrliche Gegend haben — Kennen Sie 
die Tour? — Ich verfihere Sie, ich freue mich unendlich auf den 
Rheingau, — Waren Ste fhon da?” — Der lange Herr nidt 
mit dem Kopfe. „Nicht wahr, Sie finden ihn köſtlich?“ fährt der 
Unermüdliche fort. „Ah, Caub und die Pfalz, Bornhofen und 
die Brüder, es gibt nichts Schöneres.” — Bis hieher bleibt der 
lange Herr ſtehen; dann nimmt er, ohne zu antworten, feinen 
Regenfhirm unter den Arm, geht drei Schritte Tinte, fept Ihn 
wieder hin und blickt wie früher in die Gegend. Unſer Reifender 
fieht ihm überrafht nach; Doc glaubt er endlich, der lange Herr 


\ 


im Orient. 175 


ift ein vornehmer Herr, ein Prinz vielleicht oder ein hoher Adeliger, 
und da findet er es ganz natürlich, ſo en Bagatelle behandelt zu 
werden, ja ganz natürlich, und er würde ſich als ächter Deutſcher 
geärgert haben, hätte der Prinz oder Baron freundlich mit ihm 
geſprochen. Er zieht ſich langſam zurück, ſtets nach dem langen 
Herrn hinſchielend, und Arm und Körper bereithaltend, gleich eine 
Verbeugung zu machen, im Fall ſich der Herr noch einmal umſehen 
würde, dann ihn durch einen tiefen Bückling wegen feiner Zudring⸗ 
fichkeit um Berzeihung zu bitten — dies wäre doc feine Schul⸗ 
digfeit. Dann geht er raſch zum Kellner. „Wer tft der Herr dort 
mit der diden Mütze und den weißen Schuhen ?“ 

„Der da? ein Engländer.” 

„Sp, wahrſcheinlich ein vornehmer Lord oder fo ein reicher 
Marquis ?“ 

„Sm Gegentheil, ein fehr armer, denn er hat heute Morgen 
eine halbe Portion Kaffee ohne Zuder genommen.“ 

Nach diefen Mittheilungen verwandeln fih plöglich alle Ideen 
unferes Reifenden, „Sp, fein Lord!“ murmelte er für fi, „der 
grobe Kerl gibt mir feine Antwort, fieht mich gar nicht an, fo ein 
StodsEngländer.“ Er geht einigemale bei dem langen Engländer 
vorbei und fieht ihn verächtlich von der Seite an. „Habe ich doch 
immer gehört, daß es kein arroganteres, unangenehmeres Volk gebe, 
als dieſe Engländer, diefe hölzernen Kerls, ohne Bildung und Les 
bensart. s ift Doch ein häßliches Volk!“ Der halbe Tag ift ihm 
dadurch verdorben und tin feinem Herzen keimen die fehlechteften 
Meinungen, die fchlimmften Ideen über Alt-England. 

Ah, und an dem Allem ift der Tange, freilich fehr trodene . 
Sohn Albiond fat unſchuldig. Er iſt ja nicht dem Aftenpulte 
oder Gott weiß was fonft für Banden entfchlüpft, und freut fid 
nicht, im frifcher Luft und Morgenthau andere fröhlihe Menfchen 
. zu finden, denen er, wie der Deutſche, fein Vergnügen mittheilen 
fann, das er empfindet, wenn taufenderlei Gegenftände bei ihm 


‘ 
176 Neifende Engländer 


vorbeifliegen. Er langweilt ſich bei feiner Zuur; das Meilen ift 
ihm ein Geſchäft, eine Arbeit, denn unter hundert Engländern 
reifen vielleicht keine zehn, weil es ihnen Freude verurſacht. Der 
zieht gähnend durch's Land und freut fi), wenn er wieder zu Hauſe 
fein wird; denn er iſt an den Rhein oder nad Italien gereist, 
weil es fo Mode ift, und die meiften feiner Bekannten auch dort 
waren. Gin Anderer fucht dem politifchen Zärm, der ibn auf feiner 
Infel faft taub macht, zu entfliehen. Dem Dritten hat fein Arzt 
verordnet, für ein Jahr lang, jtatt der Nebel Londons, die frijdhe 
kräftige Luft Deutfchlands einzuathmen. Der Bierte, Fünfte und 
wer weiß wie vielfte emdlich reist, weil er zu Haus mit feinen 
Renten nicht auskommen kann. Gr verläßt Porter und Roaſtbeaf, 
um draußen in einer freiwilligen, aber unangenehmen Verbannung 


zu leben. — Armer Engländer, du haft fchon viel mit Deiner 
Zangenweile und deinem Guide zu thun, und freut Dich auf den 


Abend, wenn endlich das Dampfboot anlegt, du dein Buch zu: 
machen darfft und für heute feine alten Schlöjjer und Klöfter mehr 
die ftilfen Träume deines finnigen Iheevergnügens flören! Kann 
man ed dir da verargen, daß du einem langweiligen Deutijchen, 
der dich zu Tode landſchaftern will, zu entfliehen fuchft, und ihm 
nicht antworteft ! Nein, du bift vielmehr zu loben, daß du fo 
ruhig Eopfnidend auf die Seite gehſt, Harmlofer, du könntet ja 
auch ftehen bleiben und grob werden. 

Wie ſchon gefagt, an diejem fremdartigen Aneinanderftreifen 
mit und haben die Engländer eben fo wenig die ganze Schuld, 
wie wir. Als vor langen Jahren das Reifen diefer Iufulaner fo 
recht anfing, wurden fie wie goldbriugende Gottheiten, wie reide 
Füllhörner betrachtet. Sie warfen mit Pfunden und Guineen um 
fih, und wir fanden e8 dafür ganz natürlich, daß der englijche 





Reifende den Hut auf dem Kopf behielt, wenn er mit uns fprad, 


eigentlich mit uns ſprach kann man nicht fagen, denn fo weit ließ. 


er fi) nicht ein, fondern er fragte nur, und wenn wir und ber 


im Orient. 177 


ausnahmen, es ebenſo zu machen, gab er uns keine oder ſehr 
ſpärliche Antworten. Dies war ſo ſeine Manier, und wir hätten 
es ihm eben fo machen können, ohne daß er eine Beleidigung darin 
gefehen hätte; denn er war das von Jugend auf fo gewohnt, und 
mußte unfer unterthäntges Hutabziehen, und wenn wir fo zierlich 
mit dem Buße auskratzten, für Tächerlichen Servilisnus Halten. 
Das that denn auch der Sohn Albiond und war viel zu Flug, um 
ſich gegen und zu ändern, denn er hatte gleich bemerkt, daß er uns 
recht anfahren, fehr kurz und grob behandeln müßte, um für das 
entfegliche Geld, das wir ihn zur Revanche bezahlen ließen, recht 
gut behandelt und mit der größten Unterwürfigkeit bedient zu wers 
den. Es ift Dies leider bei und nur zu wahr; ich habe mehrmals 
mit den höflichften Geberten in einem Gaſthof um ein Zimmerchen 
gebeten, nnd wurde vielmal fcheel angefehen und hinten hinaus 
ſechs Treppen hoch zunächſt an den Bedientenſtuben logirt. Doch 
wenn ich ein anderesmal meinen Koffer gleich in's Zimmer werfen 
ließ, Hausknecht und Kellner recht grob anſühr oder mich ihnen 
nur mit einegg langen Gähnen und ohne ein Wort zu fprechen 
präfentirte, befam ich ein gutes Zimmer und lebte herrlich und in 
Freunden. Daß endlich der Engländer, wenn er zu und fonmt, 
fo eigenfinnig bei feinen Gebränden, bei feiner Sprache und den 
Gewohnheiten bleibt, die ihm von Haufe aus anfleben, können wir 
ihm nie verzeihen. Warum lernt er nicht deutſch — und läßt, ftatt 
dem Singen der Theemafhine zugulaufhen, niht Chamvagners 
pfropfen gegen die Dede fliegen ? warum behält er feinen Hut auf 
dem Kopfe und drüdt und dagegen recht herzlich die Hand? Ach! 
wie undankbar find wir! Dank fei ed dem Engländer und Frans 
zofen, daß fie nationell bei und auftreten und und zeigen, wie ein 
Menfch leben muß, um gebildet zu fcheinen. Woher wüßten wir 
fonft, daß man franzöfifch plappern muß, um guten Ton zu haben 
und daß es nöthig ift, Thee zu trinken, damit man aud fo inte 
refiant blaß ausfieht, wie die Engländerinnen Und, ernftlich ge« 
Sadländers Werte. VI. 12 


178 Zeiſende Engländer 


ſprochen, wie Noth thäte es uns, etwas von dem Stolze des Eng- 
länders zu haben, der es unter feiner Würde hält, auch nur in 
der Kleidung, eine andere Natien, am allerwenigften uns, nad 
zuäffen. Ah, nähmen wir doc ebenfalls den biederen ehrlichen 
Deutihen mit, wenn wir verreidten und ließen dafür zu Haufe 
die lumpigen Fetzen von fremden Gebräuchen, mit denen wir uns 
umhängen und die uns Meiden, wie den Eſel die Löwenhaut. — 
Nein, ich wollte fagen, wie den Löwen die Efelähant, denn wir 
fönnten die Löwen-fein, ächte Löwen, aber feine Lions. Mit 
welcher Luſt, wie viel Tieber Tieß ich mich bei einem Gedränge 
tüchtig gegen eine Mauer rennen, wenn der, der mid) angerannt 
hätte, fi) mit einem: „Ich bitt’ um Verzeihung!“ zu entjchuldigen 
juchte, ald mic, leicht auf den Fuß treten, um ein: Pardon Mon- 
‚sieur ! entgegen zu nehmen. — Zum Teufel das Pardon! — 
Auf meinen Reifen find mir immer die Engländer ein inter: 
eſſantes Studium gewefen, und wenn man unter hundert Paſſa⸗ 
gieren den einzigen Briten herausfennt, fo fann ihm das, wie ſchon 


geſagt, nur zur Ehre gereihen. Daß fie ihre Eigenthümlichkeit 


immer bit zum LXächerlichen feithalten und übertreiben, iſt freilich 
auch wahr, und wenn es fein vernünftiger Menfch billigen fann, 
dag man von vornherein die Söhne Albions ohne Unterfchied als 


lächerliche Perfon Hinftellt, wie den Pantalon in der italienijcen | 


Komödie, kann ich e8 mir doch nicht verwehren, die zuweilen wirf- 
lich komiſchen Figuren der reifenden Engländer, die mir begegneten, 
in ein Paar Skizzen darzuftellen. Ort und Klima tragen auch 
viel dazu bei, Manches in anderer Beleuchtung zu ſehen, und wenn 
mich aud auf einem reinlichen rheinifchen Dampfboote die blendende 





Wäfche des Engländers freut, fo ift doch die forgfältige Erhaltung . 


derſelben in dem Schmuge türkijcher Wirthöhäufer etwas geſucht 
und eine wohl eingerichtete und fauber erhaltene Theemafchine un- 
ter den Palmen des Nils wohl im Stande, dem Unparteiifchen ein 
Heines Lächeln zu entlocken. 


im Orient, 179 


Se mehr man fi) von dem Hanptreifeftiih, Holland, dem 
Rhein entlang, die Schweiz, Tirol nah Italien — wetlich gegen 
Frankreich und hauptſächlich Hftlich gegen dad Innere von Deutſch⸗ 
land verliert, um fo feltener trifft man die enalifchen Reifenden, 
ich fage felten gegen die Mafje derjenigen, welche die obengenannte 
große Route einhalten; denn im Allgemeinen findet man unter jedem 
Himmelöftrich, daß von zehn Reifenden ſechs Engländer find, Nur 
einzelne wißbegierige oder neugierige Exemplare find e8, welche die 
Hauptitraße verlaſſen, um rechts oder links abzufchweifen. 

Auf der obern Donau fanden wir noch viele Söhne und Töch⸗ 
ter Albions, von denen der größte Theil der Kaiſerſtadt Wien eine 
Bifite machen wollte. Hier war auf dem Dampfboot von allen 
Nationen noch eine recht noble Auswahl, und wenn nicht zuwetlen 
ein ehrlicher Defterreicher mit einem deutfchen Wort zwifchen die 
Eonverfation gefahren wäre, hätte man glauben können, in Eng⸗ 
land oder Frankreich zu fein. Doch. wie plöglih und gänzlich äns 
derte ſich diefe Scene, ald wir Wien verlafien, um unfere Reife 
nach Peſth oder weiter hinab fortzufegen. Die Kaiferftadt hatte, 
ein gewaltiger Magnet, fat die ganze fafhionable Welt, die wir 
mitgebradht, angezogen und hielt fie feſt. Verſchwunden war der 
kurze Makintoſh und der feegrüne flatternde Schleier Englands, ſo⸗ 
wie die weißen Glacehandſchuhe und die Maſſe überflüffiger Nedens- 
arten Frankreichs. Wir hatten die vielen nüchternen und langweis 
ligen Gefichter, die den Kupferftich ihres Buchs lieber anfahen, als 
das Original felbft auf der Spike des Felſens, gegen gefunde 
fräftige Phyfiognomien vertaufcht und wahrhaft fehr Dabei gewons- 
nen. Neben und fand der Defterreicher mit dem gutmüthigen Ge⸗ 
fiht, und wem neben diefem Ausdrud der ſchwarze Bart und die 
dunflere Befichtöfarbe etwas Abeıtenerliches gab, war der Ungar. 

Auf der Galathee, fo hieß unfer Boot, war ein fehr Iuftiges 
Leben. Wir hatten ſchönes Wetter, Alles plauderte durcheinander, 
und jeder freute fi am der Freude des Andern und den grünen 


189 -Reifende Engländer 


Bellen der prächtig dabinftrömenden Donau. So kamen wir nad 
Peſth, von wo und der Zriny, ein fchönes, faft neues Dampfichiff, 
weiter hinab durch die Ebenen Ungarns nach der Walachei führen 
follte. Bor den Fenitern unſers Gaſthofs in Pefth lag dies Schiff; 
doch fiel am Morgen der Abfahrt ein fo dichter Nebel, was un? 
freilich einen guten Tag verjprah, daß wir nur den Dampf des 
Schornfteins erbliden konnten, der fih mit Mühe einen Weg durch 
die weißen Mafien bahnte. Dann und wann, wenn fid) Die Nebel 
etwas zufammenballten, fenkten oder erhoben, blidte einer der Mas 
ften bindurd, auf weldhem die Flagge mit den ungarijchen Farben 
flatterte.. Am Ufer fanden Gruppen von Ungarn, in ihren weißen 
und ſchwarzen Schafpelzen mit den gutgeformten Gefihtern, Die 
dem Boote neugierig zujahen oder ſich mit ihren Kleinen Pferden 
beichäftigten, die, am Boden liegend, vom audgebreiteten Tuche ihr 


ärmliches Futter verzehrten und fich zur harten Arbeit des Schiff: 


ziehens ftärtten. Wir waren Alle froh, ftatt der langweiligen nobeln 
GSejellichaft, die und geftern umfchnatterte, einmal wieder eine ans 
dere Welt um uns verjammelt zu fehen. — Fahrt immer zu, den 
Rhein hinab und hinauf, Ihr Franzoſen und Engländer, und laßt 
euch von eurem Buch den großen Sagenkranz vor Augen zaubern, 
den jened Klofter und diefe Burg umgibt, laßt euch immerhin er- 
zählen von finniger Minne und edler Aufopferung; wir wollen 
einmal den Glacehandfchuh ausziehen, um dem derben Wallachen Die 
Hand zu reihen und uns von dem fräftigen Ungarn erzählen laſſen: 


Bei Semlin ſchlug man das Lager, 
Alle Türken zu verjagen. — 


Lebt wohl, leichtfertiger Franzoſe und guter, aber langweiliger 
Sohn Englands! — Doch was feh’ ih? Während ih fo am Zen» 
fter meine Träume habe, ift der Nebel etwas gewichen. — Welche 
Flagge wird da aufgezogen? noch verdeden mir fie die zerriſſenen 
Nebelmafien — doch jept Hat fie die höchfte Spike des Hauptma- 


tm Orient. 181 


es erflettert und der frifche Morgenwind entfaltet vor uns die 
Karben Englands. — Ja, fie war ed, und der dienftfertige Kellner, 
den wir um die Urfache Diefer feltfamen Ericheinung auf einem 
dfterreidhifchen Schiffe befragten, gab uns die tröftliche Nachricht: 
die beiten Kajüten auf dem Ded habe Seine Herrlichkeit der Lord 
Zondonderry eingenommen, der nebit Gemahlin und einer großen 
Dienerfchaft nah Konftantinopel wolle. Es war wirliih fo — 
verfchwunden waren meine Träume; denn ald wir das Boot befties 
gen, fah ich wohl mande Fräftige Phyfignomie, aber das ganze 
Schiff hatte nichts mehr vom Charakter des interejjanten Landes, 
dem ed angehörte, fondern fah ganz englijch aus, n 

Auf dem Berded mochte man fich wenden, wohin man wollte, 
fo flieg man auf eines jener nüchternen Gelichter mit blonden Haas 
ren, bis an die Naſe in bunte, farbige Halsbinden vermummt, die 
einem Körper angehörten, der fich langfam herumbewegte und ſich 
eine Beine Arbeit madte. An dem einen Radkaften fland der erfte 
Kammerdiener und padte Silberzeug aus und ein; ein anderer faß 
daneben und die Beiden drehten jeden Xöffel einigemal in den Hän⸗ 
den herum, ehe fie ihn einem Dritten gaben, ‚der ihn abpußte und 
wieder weglegte. Neben den andern Nadkaften hatten fih die 
Kammerjungfern der Lady poftirt und wühlten in einem unends 
lihen Haufen weißer Leinwand. Die Bedienten zweiten Rangs 
lagen an der Spike des Schiffs und die Kifte, die dieſer rechts 
gerüct hatte, fchob jener wieder links. Der eine pupte an einer 
Iheemafchine, der andere polirte ein Paar Stiefeln und pfiff dabet, 
wie die englifchen Stallbedienten, wenn fie die ungeduldigen Pferde 
beruhigen wollen. 

Die Donaudampfichifffaehrtsgefellfhafft hatte, um dem ehren- 
werthen Lord das Leben auf ihren Schiffen fo bequem als möglich 
zu machen, guf ihre Nechnung einen englifchen Koch engagirt, der 
zu gewilien Stunden für Seine Herrlichkeit allein Tochen mußte. 
An dem Theil des Schiffes, wo fich die Küche befand, war des Ge: 


182 Reiſende Engländer 


klappers kein Ende und England florirte Hoch. Hier liefen Die Bes 
dienten mit ihren Theelannen und Beafſteakpfannen aus und ein, 
und wir andern harmlofen Pafjagiere waren in beftändiger Gefahr 
überrannt zu werden; befonders an dem’eriten Tage unferer Fahrt, 
ehe die dienenden Töchter und Söhne Albions jeden Winkel zu 
ihrem Gebrauch eingerichtet und mit Kiften und Kaften verftellt 
hatten, erging ed und wie in dem bekannten Märchen: . wen der 
Eſel nicht fchlägt, den fneipt der Krebs, und wen der Krebs vers 
fhont, dem wird von der Katze der Ruß in die Augen gefragt. 
Der glüdlich bei der Küche vorbeifam, ohne von einer Portion 
Sauce angebrüht zu werden, dem fchob vielleicht der Kutſcher ein 
Rad des fchweren Wagens auf den Fuß, oder fprang ihm vom Bod 
herab auf ein Hühnerauge, und wer bier glüdlich vorbeilam, der 
wurde wenigftend von den Stiefel yupenden und Kleider außflopfen- 
den Bedienten tüchtig eingeftaubt. Die Herrfhaft all’ diefed Un⸗ 
wefens, der edle Lord mit feiner Gemahlin, beläftigte und noch am 
allerwenigften. Die Dame faß ſchon am frühen Morgen in ihrer 
Kajüte und ließ fi von dem Herrn Gemahl die courfähigen Pafja- 
giere der Neihe nach vorführen. Sie war eine Dame in den Bier: 
‚zigen und einftens gewiß fehr fchön gewefen. Man fah nod) heute 
die deutlichen Spuren davon. Der Stuhl der Lady ftand im ihrer 
Kabine dicht am Radfaften, wodurch fie den ganzen Tag wie ein 
Sulz in eine zitternde Bewegung verfeßt wurde, was Außerft ko⸗ 
mifch ausjah. 

Während der vier Tage, die wir zufammen reisten, Tam fie 
vielleicht zweimal auf's Verdeck, um fich die Gegend anzufehen. 
Während der übrigen Zeit Tieß fie fih von ihrer Kammerjungfer 
anfagen, wo fie fih gerade befand, und fah fih daun in ihrem 
Guide viel lieber die Stahlftihe an, die im Grunde ſchöner waren, 
als die Gegend felbft und was die edle Dame viel bequemer hatte. 
Der Lord dagegen ließ ſich häufig auf dem Verde biiden und fah 
beinahe, wie alle andern Menfchen aus; nur Hatte er Kinn umd 





im Orient. 183 


Hals ebenfalls in einer großen Binde verwahrt, und trug den Hut 
fehr auf dem Hinterkopfe. 

Die Ungarn und Wallachen, die auf dem Schiffe waren, fühls 
ten ſich durch die Ausbreitung des englifchen Comforts noch weit 
unbehaglicher als wir. Sie drüdten fi) an die Schiffewände und 
wagten es faum, über das Verdeck zu gehen. Doch ging die Sache 
fo lange gut, als wir und auf den Zriny befanden, der genug 
Kajüten hatte, um den ausgebreiteten Forderungen der engliichen 
Herrſchaft Genüge zu leiften. Sobald wir aber unterhalb Orſova 
durch das eiferne Thor auf Kähnen fchiffen mußten, und dann auf 
ein andered Dampfboot, die Panonia, kamen, fo geriethen Seine 
Herrlichkeit fehr in Verlegenheit, denn da das Schiff nur drei Ka- 
jüten hatte, eine für die Damen, eine für den erften und eine für 
den zweiten Platz, von denen nur die erftere kleine abgetheilte 
Sthlafftellen hatte, fo mußte der Lord fich entfchließen, Die Nacht 
in unferer Kajüte zugubringen. Anfänglich hatte er lange Debats 
ten mit dem Kapitän, die wir zu unjerm großen Ergötzen mit ans 
börten, und trogdem daß die Dampfichifffahrtögefellichaft alles Mög— 
liche gethan hatte, um die Engländer zufrieden zu ftellen, beflagte 
fih Doch der Lord über fchlechte und unaufmerkfame Behandlung 
auf den Donaufcifien. 

Den erſten Abend auf der Panonia konnte er ſich lange nicht 
entſchließen, mit uns ein gemeinſchaftliches Schlafgemach zu bes 
ziehen, ſondern ſpazierte lange auf dem Verdeck umher, und als es 
gegen neun Uhr anfing zu regnen, mußten ſich fünf bis ſechs ſeiner 
dienſtbaren Geiſter mit aufgeſpaunten Regenſchirmen oben hinftellen, 
unter denen er hin und her ſpazierte. Doch bald wurde ihm das 
Wetter zu arg und wir ſaßen gerade bei einem Glaſe Punſch, als 
der Kapitän hereintrat und uns lachend aufforderte, auf die Ans 
alten Achtung zu geben, die er jebt machen müfje, um dem Xord 
ein würdiges Nachtlager zu bereiten. Die Ihür öffnete ſich und 
ein Paar betheerte Schiffsjungen kamen herein, die ein großes 


184 Reifende Engländer 


Flaggentuch trugen, das fie wie eine ſpaniſche Wand an den Eden 
der Kajüte befeitigten und fo ein abgefondertes Zimmerchen bildeten. 
Der Kapitän batte, um einen Spaß zu machen, eines mit den 
engliſchen Farben gewählt, was aber Seine Herrlichkeit fehr gün> 
fig aufnabm und fi wohlgemuth dahinter zur Ruhe begab. 

Bei Ruſtſchuck verließen wir dad Dampfboot, um von da un 
fere Reife zu Land über Schumla und Adrianopel nad) Konftan- 
tinopel fortzufegen. Ginigemal hatte Die Lady den Wunſch ge 
äußert, diefe Tour ebenfalld zu machen, und nur den dringenden 
Borftellungen ded Kapitäns, der Pafjagiere und des Herrn Gemahls, 
der keine Luſt verfpürte, das bequeme Schiff zu verlajjen, daß fie 
auf der ganzen Tour mit den größten Unbequemlichfeiten zu käm⸗ 
pfen babe, daß fie nirgends ein Wirthshaus, gejchweige denn ein 
ordentliches Hotel finden würde, und dann daß weder an einen 
Magen nody an eine Sänfte zu denken fei, hatte fie endlich Gehör 
gegeben und war von ihrem Borfage abgegangen. Gin anderer 
Pafjagier dagegen, ein junger Maun, der für einen Engländer 
ſehr umgänglidy und liebenswürdig war, ſchloß fih und au, und 
verließ ebenfalld das Schiff, un unfern Ritt durd die Türkei mit 


zumachen. Wir Deutihe nahmen jeder nur einen Meinen Reifefad 


mit, der mit der nothwendigiten Wäfche angefüllt war und hatten 
unfere Kleidung fo viel wie möglich vereinfacht. Die Hüte blieben 
natürlich bei unferm Gepäck auf dem Schiffe und wir fegten eine 
leichte Neifemüße auf. Der Engländer dagegen hatte einen ſchwar—⸗ 
zen Frad an, einen Makintofh darüber und auf dem Kopf einen 
Hut. Auch war fein Gepäck ganz anders befhaffen, als unfere 
arnıfeligen Bündelchen. Als wir uns in den Nachen fegten, um 
über die Donau zu fahren, fahen wir, daß er zwei koloſſale Nadıts 
färle mitgenommen hatte, und auf unjere Frage, wad er mit al 
denn Gepäcke wolle, verſicherte er uns ganz ernfthaft, er babe nur 
die allernothwendigften Sachen mitgenommen. Doch wurden wir 
ſchon im erften Nachtlager gewahr, was er unter diefen nothwen⸗ 


im Orient. 185 


digen Sachen verftand. Das war in einem elenden türkifchen Neſt, 
ein Haus ohne Kenfter und Thüren, auf einem Lehmboden ohne 
Tiſche und Stühle, auf dem wir und angezogen wie wir waren 
binftreden mußten. Am andern Morgen, ehe wir Mebrigen aufs 
fanden, war der Engländer fchon hinausgegangen und fchleppte 
bald darauf einen feiner Nachtſäcke in die Stube, öffnete ihn und 
ein vorwigiger Blick, den ich darauf warf, befehrte mich, daß der 
Sad ganz mit weißer Wäfche angefüllt ſei. Als der Tag herans 
bämmerte, erhoben wir und au, und ich, der zufällig neben dem 
Engländer lag, wollte eben ruhig meine Toilette machen, als er 
wich erflaunt fragte, ob ich denn keine reine Wäjche anziehen wolle? 
Ich entgegnete ihm lachend, daß ich dafür nicht geforgt habe, wors . 
auf er mich mit einem Blick des tiefſten Mitleidensd, dem aber eine 
fleine Dofid Berachtung beigemifcht war, anfah. Wie aber auch 
die Andern feine reinen Hemden anzogen, war er ganz überrafcht 
und fah, während er feine Wäſche wechfelte, mit einem wehmüthigen 
Blick zum Fenfter hinaus. Er blickte wahrfcheinlid einer traurigen 
Zukunft entgegen, denn er fühlte fih gewiß fehr verlafjen unter 
uns jchmugigen Leuten, die auf einer türkiſchen Zandreife nicht jeden 
Tag ein veined Hemd anzogen. Er hatte von diefen Artikel beis 
Läufig gefagt zwei Dußend in feinen Nachtfäden, eine Unzahl von 
Schnupftühern und weiter gar nichts. Diejen Mangel an Rein» 
lichkeit verzieh er und erſt, als wir ihm vorrechneten, daß wir wes 
nigftens ſechs Padpferde mehr nöthig hätten, wenn Jeder von uns 
zwei ſolcher Nachtſäcke mit ſich fchleppen wollte. Dieſe Eigenheit 
abgerechnet, fowie fein beſtändiges Mißvergnügen, daß unfere 
Tagemärfche zu Fein wären, war er ein ganz guter und angeneh⸗ 
mer Gejellfchafter und wir famen glüdlich mit ihm in Konftantis 
nopel an. 
Der rigt honourable Lord Londonderry, wie auf allen feinen 
Kiften und Koffern fand, nebft Frau Gemahlin und Dienerfchaft, 
war ſchon einige Tage vor und in Pera angelommen und fepte die 


186 - Reifende Engländer 


Stadt durd fein Erfcheinen nicht wenig in Alarm. Bon der Ne 
gierung waren ihm mehrere Kawafchen (Wachen) gegeben worden, die, 
wenn er in den Straßen von Stambul ritt oder fuhr, beitändig 
hinter oder vor ihm paradirten, Bei unferm Aufenthalt in Kon» 
ftantinopel verloren wir ihn bei dem Khönen, was wir fahen, bald 
aus dem Gefichte und wurden erſt wieder durch eine Lächerliche Ges 
fhichte, die zwifchen der Zady und dem Sultan vorfiel, auf ihn 
aufmerkſam. 

Nachdem Seine Herrlichkeit eine offizielle Audienz bei dem 
Padiſchah gehabt, wünſchte auch die Lady das erhabene Antlitz des 
Großherrn von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen. Doch da es dem 
Sultan nicht erlaubt iſt, ein weibliches Weſen, das ihm nicht eigen 
gehört, und am allerwenigſten eine weibliche Ungläubige in ſeinem 
Palaſte zu empfangen, ſo zerbrach man ſich den Kopf, wie man die 
Bitte der Lady, da man fie ihr nicht gern abſchlagen mochte, bewil⸗ 
ligen könnte. Endlich. fand man einen Audweg. Die Lady mußte 
Befchitdefch, das Sommerpalais ded Sultans, an einen gewiilen 
Tage Abends zu der und der Stunde befehen, wo ihr der Sultan 
von ungefähr begegnen und ebenfo von ungefähr ein paar Worte 
mit ihr reden wollte, So gefchah es denn auch. Die Lady erfchien 
und Hatte fi zu diefer feierlichen Gelegenheit fo mit Diamanten 
behängt, deren fie eine ziemliche Anzahl befißt, daß die türkiſchen 
Palaftoffiziere, die fie empfingen, es für ihre Pflicht hielten, dies 
dem Padiſchah heimlich zu melden, worauf diefer nad einiger Ber 
rathung fämmtlichen Anwefenden befahl, ihre mit Brillanten befegte 
Niſchah (Ehrenzeichen) ebenfalls umzuhängen, worauf von den 
Großen des Reichs, die die Lady in einem Schwarm überall Hin 
begleiteten, fich Einer nach dem Andern verlor, um mit dem großen 
Stern gefhmüdt wieder zu kommen. Auf einer Terraffe begegnet 
‚der Padifchah endlich Ihrer Herrlichkeit, bleibt ſtehen und fragt 
den damaligen Minifter Redſchid Pafchah, der ihn begleitet: wer 
die Dame ſei? Ste wird ihm vorgeftellt, und nachdem er einige 











im Orient. | 187 


Forte mit ihr gewechfelt, geht er weiter, bleibt aber nad) wenigen 
Schritten wieder ftehen, blickt der Dame nah und gibt, da er fidh 
über die Mafie der Edelfteine, womit fie gefhmüdt war, höchlich 
verwunderte, dem Minifter den figlichen Auftrag, fich bei der Lady 
zu erkundigen, ob die Steine auch alle ächt feien, und was fie wohl 
gefoftet hätten, Redſchid Paſchah, als ein gewandter Mann, ftellt 
der Dame die legte Frage mit Uebergehung der eriten und erhält 
Darüber eine ausführliche und beftimmte Antwort; denn fie liebte 
es fehr, die ungeheuren Summen anzugeben, die der Schmuck wirk⸗ 
Lich gekoftet. 

In Konftantinopel gab ed zur Zeit unferes Aufenthaltes wenig 
Engländer. Auch hatten wir auf dem Dampfboote Erescend, das 
uns nad Beirut brachte, keinen in unferer Geſellſchaft. Doch ka⸗ 
nıen wir in Marmarizza, wo die ganze englifche Flotte damals lag, 
mit mehreren zufammen und fanden jept wieder einzelne Exemplare 
faft auf unferer ganzen Reife. In Beirut lag nody die englifche 
Artillerie, die am Hafen unter großen grünen Zelten campirte; fie 
hatte ihre Küche zwifchen zwei hohen Mauern aufgefchlagen, worin 
ed immer ungemein lieblich roch. Hier lebten die Söhne Albions 
berrfih und in Freuden, denn ihre Schiffe freuzten beftändig auf 
der Rhede und verfahen fie mit dem Nöthiaften; auch die Einwoh- 
ner ließen ihnen vorzugsweife die beften Sachen zufommen; denn 
„die Inglefe,“ wie fie von dem Volk genannt wurden, hatten fidh 
durch ihre gewaltigen Bombardements in großen Nefpect gefebt, 
und diefer Name war befonderd an der fyrifchen Küfte ein Zaubers 
wort, mit dem man überall durchfam. 

Dft wenn wir durch die Bazard oder über die Plätze Beiruts 
wanbdelten, blieben die Heinen Buben um uns fteben, und erft nadı= 
dent fie und fattfam betrachtet, riefen fie: „Inglefe, Ingleſe, puff, 
puff!“ und liefen fchreiend davon, Wenn man die englifchen Sol» 
daten und Seeleute nicht fchon au ihrer Kleidung erfannt hätte, 
fo hätte man fie doch ficher an ihrem Benehmen von den andern 


188 Reiſende Engländer 


Nationen unterfchieden; denn während der Franzofe lachend und 
Ihwadronirend umherſchlenderte und der äfterreichifche Seemann 
vor jedem gutgekleideten Franken freundlichgrüßend an den Hut 
griff, ftarrte der Engländer mit dem falten nüchternen Geficht Die 
Häufer und den Himmel an und rannte Jedem in die Seite, Der 
ihm nicht auswich. Die Offiziere und Gentlemen, die neben dem 
Genuß des guten Porters und NRoaftbeaf, das ihnen von den Schifs 
fen verabreicht- wurde, auch zuweilen ein geiftiged Bergnügen haben 
wollten, ftellten deßhalb mitunter in der Ebene hinter der Stadt 
große Jagden an, zu denen fie fi anfänglich einen lebendigen 
Schakal hatten kommen laſſen. Doc diefes Thier, kaum in reis 
heit gefegt, zog fich fchleunigft in die Schluchten des Gebirgs zus 
rüd, wohin ihm die englifchen Jagdliebhaber nicht folgen konnten, 
weßhalb fie fih in der Folge eines Hundes bedienten, der befjer in 
der Ebene blieb und wo fie das Dergnügen, ihn zu been, länger 
genießen konnten. 

Noch vor unferer Abreife von Beirut wurden die Kanoniere 
eingefhifft und die meiften Engländer zogen fi nach Satda, Acre 
und Jaffa, wo wir fie fpäter wieder trafen. Bon letzterer Stadt 
aus machten fie häufig Ausflüge nad Kamleh und Jerufalem. wo 
wir ihnen bie und da in kleinen Gruppen zu fünf bis ſechs begeg⸗ 
neten; ohne daß wir ein Wort mit ihnen wechjelten, erfannten wir 
ſchon von Weiten, wer unter diefem Trupp Franzoſe oder Eng» 
läuder jet, an der Art zu Pferde zu fißen, an dem runden Hnte, 
der niemals fehlen durfte, oder an der großen Halsbinde. Letzteres 
machten fogar unfere Beduinen feherzweife nach, und wenn fich fo 
ein duukelgefärbter Kerl den Shawl fauitdid um den Hals wand, 
ging er gefpreizt umher und fagte wohlgefällig: „Inglefe! Inglefe!“ 

In Gazza war ed, wo wir die Mode der Briten, auch in die 
unwirthbarften Gegenden alles zum Comfort Gehörige mitzufchleps 
pen, einmal recht aus Herzensgrund fegneten. Ibrahim Paſcha, 
der fich unferer befonders aunahm, hatte uns in der Heinen Stadt, 


1 








im Orient. 189 


die mit Soldaten von der unglüdlichen Armee aus Damaskus über 
fült war, ein freilich fehr armfeliges Quartier verfchafft; doch ges 
brady ed und am Nothwendigften, und da wir gehofft hatten, von 
Jaffa aus zu Schiff nach Alerandrien zu kommen, hatten wir und 
weder mit Eß⸗ noch Trinfgefchirren verfehen, und in Gazza waren 
nicht einmal Lebensmittel, gefchweige denn etwas Anderes zu. ber 
fommen. Da erfuhr Giovanni, unfer vortrefflicher Dolmetfcher, 
daß mehrere englische Offiziere bier ftationirt feien, um ſich mit 
eigenen Augen zu überzeugen, daß Ibrahim Paſcha Syrien wirklich 
verlajie. Wir machten ihnen einen Befuh und wurden dafür auf 
den Abend zum Thee eingeladen. Hier war denn Alles auf’3 Beſte 
eingerichtet; da war die fingende Theemafchine, da waren die gros 
Ben Porzellantafien, die filbernen Löffel, der Spülnapf und bie 
Kryſtallfläſchchen mit Arak und Rum; da brachten Bedienten 
das geröftete Brod herein, ganz wie in England; da fehlte nichts. 
bis auf die dDamaftene Zifchdede, die auf ein Paar großen Kiften 
ausgebreitet war und um welche wir auf Kiffen und Zeppichen 
lagen. 

Während unferes Aufenthalts in Gazza waren wir öfters bet 
diefen englifchen Offizieren und machten Beine Touren mit ihnen 
in die Umgegend und an dad Meer und als wir abreisten fand es 
fih, daß einer derfelben, ein Kapitän E. aus Bombay, die Tour 
durch die Wüfte machen würde, was uns fehr angenehm war, denn 
außer feiner Perfon, er ſprach geläufig franzöfifch und konnte, wenn 
er gerade aufgelegt war, recht unterhaltend fein, führte er drei Be⸗ 
dienten mit fih, fowie in einer großen Kifte alles mögliche Ges 
ſchirr zum Efjen und Trinken, und das fam uns bei der gänzlichen 
Armuth, in der wir und befanden, trefflich zu Statten. Wie mit 
Zauberkraft ließ er aus diefer Kifte eine Menge Sachen herausſpa⸗ 
zieren, von denen wir glaubten, daß nicht die Hälfte Plap habe. 
Am erften Abend machte es ihm Spaß, uns alle diefe Geräthe, 
Zeller, Gläfer, Mefjer, Zeuchter, Theefervice zu zeigen, und er blieb 


190 Reifende Engländer 


fi) auch in diefer Gefälligkeit gegen uns faft immer gleih. Doch 
hatte er dafür eine Menge anderer Eigenheiten, die uns oft lächer- 
lich vorlamen, ja oft verdrüßlicd machten. So hatte er mit feinen 
drei Bedienten ein ewiges Gezänke, und wenn fie nicht auf feinen 
Wink flogen, quälte er fie bis in die Nacht hinein mit allerlei 
unndthigen Aufträgen, oder beftrafte fie, fowte auch feine Kameel⸗ 
treiber mit tüchtigen Schlägen, wozu er feinen Steigbügelriemen 
gebrauchte. Seinen Kanımerdiener und Koch, der ein Grieche war, 
aber gebrochen franzöfifch ſprach, beftrafte er meiftens mit Worten, 
wobei wir uns des Lachens faum enthalten konnten. So fagte er 
ihm 3. B., und auch eben nicht im beften Franzöſiſch: „N’est ce 
pas, vous &tes une böte. Cites mois, que vous &tes une böte? 
Eh bien parlez done: je suis une böte!“ Daß trieb er fo lange, 
bis der arme Kerl fagte: „je suis une böte!“ Und daun gab er 
ihm zur Antwort; „Ah oui, grande bötel® Dann verlangte er 
auch von feinem Bedienten, daß feine Befehle buchftäblich, wie das 
englifche Gefeß, befolgt würden. So hatte er einmal einen großen 
Korb mit Fifchen gekauft, und befahl: dieſe follten zum Abendeſſen 
gebraten werden. Ein großer Theil derfelben erfchien auch wirklich 
auf's-Beſte zubereitet, und ehe die Schüffel noch geleert war, waren 
wir Alle volltommen gefättigt. Der Kapitän legte ſich auf feinen 
Teppich Hin und vertraute mir: er babe etwas zu viel gegefien. 
Während er fo da lag und an die Dede des Zeltes hinauf fah, 
fam ihm ein Gedanke, Er rief den Koch und fragte ihn, ob er 
auch die Fiſche alle gebraten habe. Diefer antwortete: er habe 
außer denen, die zu uns in's Zelt gekommen feien, auch für fi 
und die andern Bedienten einen Theil zubereitet; doc fet immer 
noch eine gute Portion im Korb übrig geblieben. Darauf fing 
der Kapitän ganz ruhig mit ihm die bekannte Unterredung an: 
„N’est ce pas, vous ötes une böte“ etc. und da er befohlen habe, 
daß die Fiſche alle gebraten werden follten, fo möge er gleich die 
übrigen noch zurichten. Da half keine Widerrede, und obgleich es 





im Orient. 191 


ſchon fpät war, wurde doch ein neues prafjelndes Feuer angemacht 
und die Fifche gebraten. Ungefähr un Mitternacht, als wir Alle 
fchliefen, brachte der Koch die Schüfiel ins Zelt, wedte feinen 
Herrn, der einen davon verfuchte und fie dann wieder hinaustra- 
gen ließ. 

Eine andere große Eigenheit des Mannes war, daß er und an- 
fangs erflärte, er verftehe nur englifch und franzöfifh. Wir ließen 
daher oft unferer Zunge freien Lauf, und fagten in deutfcher Sprache 
Manches über feine Eigenheiten, was gerade Fein Kompliment für 
ihn war, und am Schluſſe unferer Wüftenreife offenbarte er uns, 
Daß er zwei Jahre in Frankfurt am Main gelebt und fehr gut 
deutſch verftehe. 

Am Ende des Tagmarfches hatten wir auch zumellen einen 
feinen Streit mit ihm, denn da ed ihm in dem ausgedörrten 
Sand der Wüfte fehr Heiß geworden war, fo wollte er, als wir 
und Aegypten näberten, zum Auffchlagen der Zelte einen Pla ges 
fucht haben, der fchön feucht und kühl fei, weßhalb er zum Extrem 
überging und nicht felten die Nacht in Siimpfen zubringen wollte. 
In Kahira, wo er auf feinen früheren Reifen ſchon einmal gewe 
fen, führte er uns in einen englifchen Gaſthof, -in eine großartige 
Anftalt, die zugleich die Poftverbindung zwifhen England und 
Dftindien beforgt, inden die Briefkajten von Liverpool auf den 
englifchen Dampfbooten nach Alezandrien gebracht werden; dort 
liegen die Barken des Gaſthofs von Kahira bereit, welche Briefe 
und Paſſagiere den Nil herauf nach diefer Stadt bringen. Hier 
wird den Reifenden faum Zeit gelafien, ein Mittagsmahl einzuneh- 
men, worauf fie zu Pferd oder in Sänften und fogar in großen 
zweiräderigen Wagen durch die Wüfte nach Suez gefchafft werden, 
um ein anderes Dampfboot zu befteigen, das fie nach Bombay bringt. 
Wenn ed auch gewiß für den Reifenden angenehm ift, fo weit von 
der Heimath in fremdem Lande allen möglichen Comfort.zu finden, 
den man nur zu Haufe genießen kann; wenn ed auch ein eigeneö 


192 Reiſende Engländer 


Vergnügen gewährt, von einem Spaziergang unter den Palmen am 
Ni, wo man am andern Ufer die mächtigen Pyramiden in maje 
ftätifchen Reiben flieht, zurüdzufehren und fih an eine Tafel zu 
fegen, die bis anf die geringfte Kleinigkeit nach europälfchem Be 
griff elegant ſervirt iſt; — fo muß dod der Reiſende dieſe An 
nehmlichkeit in dem engliſchen Gaſthof zu Kahira wirklich enorm 
bezahlen. 

Zur Zeit unferes Aufenthaltes dafelbft waren wir die einzigen 
Fremden. Einige ftreifende Engländer waren wenige Tage vorher 
nah Alesandrien abgereist und hatten bei dem Beſuch der Pyra- 
miden von Ghizet den fie begleitenden Fellahs eine komiſche Scene 
zum Beften gegeben, die aber faft einen traurigen Ausgang gehabt 
hätte. Um nah den Pyramiden zu gelangen, muß man einen 
Meinen Arm des Nild pafiiren, auf dem fich aber weder Boot noch 
Brüde befindet. Doch da das Waſſer fehr feicht ift, machen fih 
die Fellah einen befondern Erwerb daraus, die Reifenden auf ihren 
Schultern an’d andere Ufer zu tragen. Jene Engländer kommen 
alfo auch in Begleitung einerZady hieher und Die dienftfertigen Feb 
lah bieten gleich ihren Rüden an, um fie hinüber zu tragen. Ta 
ihnen aber dad Waſſer In der Mitte des Fluſſes bi über die Anie 
reicht, fo pflegen fie das graue Hemd, ihr einziges Aleidungsftüd, 
etwas in die Höhe zu fohlagen. Die Cavalcade beginnt, zwei der 
Engländer find glüdlih and andere Ufer gebracht worden, und bie 
Lady hat gerade einen handfeften Fellah beftiegen, während ber 

-Herr Gemahl noch am lifer bleibt, um in feinem Guide etwas 
nachzuleſen. Mag es nun fein, daß der Träger der Dame eine 
etwas tiefere Fuhrt wählte, genug, er rollt fein Hemd etwas höher 
auf, als die andern, und der Engländer ſchreit dem Fellah in gu- 
tem Engliſch mit heftiger Stimme nah; doch dieſer verfteht Ihn 
nicht, und wandert ruhig weiter, Der Engländer, der am Ufer 
verzweiflungsvoll die Hände ringt, "erinnert ſich des arabiſchen Bor- 
tes: Burda! Burda! — Halt, halt! weiches er nun unzählige Male 


im Orient. 193 


ausruft. Doch der Fellah, der wahrfcheinlich nicht weiß, was er 
will, flieht fich Tächelnd um und geht abermals weiter. Seht ver 
tiert der am Ufer den Kopf, reißt eine Piftofe heraus und ſchießt 
nah dem Araber. Diefer läßt nun die Engländerin ins Wafler 
fallen, winkt einigen feiner Kameraden, die in vollem Laufe zu⸗ 
rüdfchren und den Gemahl wahrfcheinlich übel zugerichtet haben 
goürden, wenn fich nicht der Dolmetfcher der Briten ins Mittel 
gelegt Hätte. 

Bon einem andern Engländer, der vor wenigen Jahren die 
Pyramiden und die Sphing beinchte, erzählen die Fellahs unter 
Kopfſchütteln, daß er mit vielen Koften und großer Mühe das 
Vordertheil diefes Niefenbildes vom Sand habe entblößen laſſen, 
am die Inſchrift der Tafel, welche fie zwijchen den Klauen hält, 
abzuſchreiben. Nach einigen Wochen angeftrengter Arbeit habe er 
feinen Zwei erreicht, dann aber die ganze Geſchichte wieder zudeden 
Jaſſen. 

Auf unſerer Tour nach jenen rieſenhaften Denkmalen war es 
unſer engliſcher Kapitän, der zu mancherlei komiſchen Auftritten 
Veranlaſſung gab. Bald hatte er mit den Arabern Streit, weil 
fie nach feiner Idee zu viel für die kleinen gebrannten Mumien, 
Käfer, Pagoden und andere Figuren forderten, die man tn den 
Gräbern findet und die das Volk zum Verkauf ausbietet; bald jagte 
er diefe Leute, welche fich in dichten Schaaren um uns verfammel- 
ten auseinander, und verfolgte einzelne, die ihm laut lachend ent- 
liefen, auf feinem Pferde, Doch z0g er dabei beftändig den Kürzern 
und die gewandten Araber Hatten ihn förmlich zum Beften. Bald 
that einer, als würde er eingeholt, fprang dann auf die Seite und 
fchrie das Pferd an, daß ed flupig und ſcheu zu werden drohte, 
So trieb er ed den ganzen Tag auf dem Hin⸗, wie auf dem Heim⸗ 
wege. Ju dem englifhen Hotel, wohin er uns. doch eigentlich ge- 
führt, biteb er ſelbſt nicht Tange, fondern da es ihm zu theuer war, 


miethete er fich ein paar Stuben und fam nur zum Schhftäg und 
 dedtänders Werte. VI. 


196 Neifende Engländer 


der und wieder eine fange Zeit gefangen hielt. Diefer Edle nämlich 
wohnte auf demfelben Eorridvor wie wir, und hatte während der 
Dauer der Quarantäne beftändig die Zeichen der beften Gejundheit 
gegeben. Das konnte die große Menge geleerter Porterflafchen, 
dte vor feinem Lokal aufgefchichtet waren, jowie die Rechnung des 
Speifewirthes bezeugen, welche nad den vielen Beafſteaks, die er 
täglich genoß, gewiß nicht Hein war. 

An dem Morgen, wo fi) unfere Gefangenfchaft endigte, waren 
wir ſchon fehr früh_bei der Hand, padten unfere Sachen und ſahen 
fehbnfüchtig hinüber nach Zavalette, in deren Gaffen wir und bald 
wieder als freie Menfchen bewegen konnten. Ein Paar junge 
Franzoſen, die auf der andern Seite neben uns wohnten, trieben 
vor Freude über ihre Erlöjung allerhand Tollheiten, tanzten die 
Treppen hinab und hinauf, und erfundigten fih wohl hundertmal, 
ob nicht bald der Quarantänearzt käme, um uns zu entlaflen. 
Bald darauf öffnete fih auch Die Thür des Engländers, umd er 
trat in feinem Schlafrod, die weiße Müße auf dem Kopfe heraus 
und fah uns mit recht Häglichem Gefichte an. „Aber mein Gott !“ 
tiefen wir ihm zu, „warum find Sie noch nicht angezogen? es 
geht ja gleich fort.” — „OD, 0,” entgegnete der Engländer, „id 
fühle mich fehr krank.” Das war eine fchredliche Antwort für 
und; denn jeden Augenblid follte der Arzt fommen, konnte die 
Krankheit des Engländers für einen Peſtanfall halten und uns Alle, 
die wir mit ihm in Berührung gelommen waren, auf weitere 
vierzig Tage in Quarantäne ſetzen. Es war ein entfeglicher 
Moment, und fo viel wir dem Mann im Schlafrod zuredeten, fid 
anzuziehen und ja dem Arzt von der Unpäßlichkeit nichts zu fagen, 
jo that er gerade das Gegenteil. Doc da der Quarantänearzt, 
der gleich darauf eintrat, ein vernünftiger Mann war, fo konſul⸗ 
tirte er den Koch der Anftalt, der ihm anvertraute, daß der Engs 
Länder geftern Abend nicht weniger als vier Portionen Schild: 
frötenfuppe verfpeist habe, wonach fich die Unpäßlichkeit leicht ers 











im Orient. 197 


klären ließ und wir in Gnaden entlaffen wurden. Daß wir fhnell 
entflohen, und nicht erſt warteten, bis der kranke Engländer feine 
Sachen zufammengepadt hatte, kann fich jeder denken. Schon 
tanzte unfer Boot anf den Wellen des neuen Hafens, und wir 
fahen das Dampfboot vor Anker liegen, das und morgen ſchon 
nad Italien führen follte, als wir zurüdblidend noch immer die 
Geſtalt jenes Engländers unter den Bogen des Eorridors ftehen 
ſahen. Sein Bedienter ftopfte einige Eolofjale Nachtfäde aus, und 
der Herr, noch immer im Schlafrod und der weißen Müße, unters 
fuchte mit feinem Fernrohr St. Elmo und Xavalette, und fchrieb 
darüber von der Quarantäne aus gewiß viel Geiftreiches in fein 
Tagebuch. 


Ein Ausflug in dm Schwarzwald. 


Gegen die Mitte des Monats September fchien der Sommer 
noch einmal in feinem vollen Glanze, in feiner ganzen Hiße bei 
und eingefehrt. Es Tag bei dem Harften Himmel eine wirklid 
drüdende Schwüle auf den breiten fchattenlofen Straßen Stutt- 
garts, und felbft die Winde, die fich fonft Hier nicht ſelten machen, 
fparten diesmal ihren Athem und trieben, weil es ihnen vielleiht 
im Thale zu heiß war, auf den Bergen umher unter Buchenlaub 
und Rebenranken ihr loſes Spiel, indep fie uns faft verfchmachten 
liegen. Nicht nur in der Mittagszeit war es außerordentlich warm, 
fondern auch am frühen Morgen und fpäten Abend -berrichte eine 
Kuft fo Tau, wie fie in diefen Monaten vielleicht an den himmli—⸗ 
fhen Küften bei Neapel oder in den Ebenen bei Pavia und Mai- 
fand herrſcht, und der Himmel war fo dunfelblau und Har, wie 
er über Italien ſchwebt. Trotz der Annehmlichkeit, auch einmal im 
September noch ſolche Tage zu haben, fo warm und beraufchend, 
wie die der füdlichen Länder, die wir oft darum beneiden, fo 
Tommt doch diefe Sache felten, wir find nicht eingerichtet, die Hige 


, 





Ein Ausflug in den Schwarzwald. 199 


zu empfangen und zu brechen, wie wir es mit der Kälte machen ; 
und fehlt der erquidende Seewind, der am Abend Über deu ein⸗ 
fürmig fihlagenden Wellen Hinftreicht und fühlend das Geficht des 
Spaziergängers küßt; bei uns wächst nicht der Orangenbaum, deſſen 
füße duftige Blüthe die Hiße zu verzehren und Kühlung auszubreiten 
ſcheint; und dann eine Hauptſache: uns fehlt das Eis, ich meine 
Gefrorened, wie man es in jeder, auch in der Heinften Stadt 
Staliens in Auswahl haben kann. Preilih wagt fih auch Bier 
wohl in einigen Konditoreien, wenn ed einmal vierzehn Tage hin⸗ 
tereinander fehr heiß gewefen tft, zuweilen eine fchüchterne Tafel 
vor die Thür, auf der man die Worte: „Glace oder Gefrorenes“ 
fiest, aber man findet da ein oder auch wohl zwei Arten Eis, halb 
warm und fein fteinhartes Pezze, fondern ein Glas voll dicken 
Breies. Stößt man felbft zuweilen einmal auf gutes Eis, fo 
Tann man es doch nicht auf der Straße fipend und die Vorüber⸗ 
wandeinden betrachtend unter einem anfgefpannten Dache, das den 
Zuftzug durchftreichen läßt, genießen, fondern man muß fi in der 
dunpfigen Stube damit regaliren. 

Doch ländlich, fittlih; und wir haben fo viel Schönes im 
deutfchen Vaterland, daß man nur fiherzwetfe die Vorzüge anderer 
Ränder herbeiwünſchen kann; und fo auch bier. Mitte September 
war es alfo entfeglich Heiß. Ich Hatte Feine Luſt zum Arbeiten, 
und fehlenderte entweder dicht an den Häufern hin, das Bischen 
Schatten, das da zu finden war, auffuchend, oder lag zu Haufe, 
mich mit kaltem Brunnenwafjer kühlend. Da trat eined Tages 
mein Freund Sigmund in meine ftille Klaufe, und trug mir nad 
den erften Begrüßungen mit einem gelinden Fluch über die gräß- 
liche Hitze eine Idee vor, Die erfrifchender war, ald Eid und Sor- 
bet. „Weißt du was,“ fagte er, „wir wollen für einige Tage 
hinausgehen aus Stuttgart nach dem Nedarthal in den Schwarz. 
wald, und uns dort unter die himmelhohen Tannen an irgend ein 
Mares Bergwaſſer Tegen. Ich verfihere dich, da tft dad Moos 


200 Ein Ausflug 


weich und fühl und unfer Blut rollt, wie der Duell felbft, wieder 
frifh und lebendig.“ Lange Überlegen ift nie meine Sache gewes 
fen, und fo faßen wir denn am andern Morgen um fünf Uhr, 
nachdem ih um ein Haar die Poflzeit verfchlafen hätte, im Eilwa⸗ 
gen, der nach Freudenftadt fährt. 

Ad, ih hatte lange keinen Sommermorgen mehr im Freien 
erlebt! Ein Schaufpiel, das wir, weil es und fo nahe liegt und 
fo wenig Eoftet, fo felten befuchen. Die Sonne vergoldete Die 
Spigen der Bäume, und die Reben riugs an allen Bergen bededte 
bie und da noch ein feiner Nebelfchleier; dabei der duftige Geruch 
des Grafes und des frifchen Laubes, das uns bald von allen Sei- 
ten umgab; denn wir gelangten in furzer Zeit nad dem Schön⸗ 
buch, einem Walde, wie fein Name fagt, voll herrlicher Buchen, 
Gr liegt ſchon auf der Höhe der Filder, einer ziemlichen Hochebene. 
Die Sonne warf ihre Strahlen quer über die Berge weg in den 
Schönbuhenwald, und ließ und weit hineinſehen. Wie an fo 
manchen Orten, bat auch hier in der herrlichſten Natur Die Ge 
fhichte oder ein einzelner Menſch feine blutigen Spuren hinterlaſ⸗ 
fen; denn wenn wir fie auch nicht fahen, fo fteht doch etwas tiefer 
in dem Walde die von dem Volke fogenannte Hutten⸗Eiche, wo 
Hans von Hutten von der Hand des Herzogs Ulrich fill. Mir hat 
diefer Baum immer fehr leid gethan, denn er fommt mir wie ein 
Menſch vor, der unfchuldig von dem Blute eines Grmordeten be 
fpript wird, das in der Erinnerung der Welt immer an ihm leben 
bleibt, und wie Die Menfchen ed machen, fo betrachten auch viel 
leicht die umfichenden Buchen die arme Eiche mit finftern Blicken. 
Doc weiter von diefem Wald! Uns trug der Wagen durch die 
weiten gefegneten Gefilde Württembergs, welche in ihrem jeßigen 
Flor das Herz fo freudig anlachen, daß alle finfteren Erinnerangen 
aus demfelben weichen müſſen. Wir ließen Böblingen und Herren- 
berg Hinter uns, zwei Poftflationen, wo ich nicht umhin Tonnte, 
mic darüber zu verwundern, mit welcher beifpiellofen Langſamkeit 














Inden Schwarzwald. 201 


das Umfpannen vor fidy gebt, oder vielmehr warum auf jedem Dies 
fer Heinen Orte der Wagen, der doch den Namen eines Eilwagens 
führt, Halbe Stunden lang wie ein Lohnkutſcher vor dem Pofthaufe 
fteht, ebe die neuen Pferde kommen. 

In Nagold war bei unferer Ankunft die Mittagstafel ſervirt 
und uns wurde ein für den Drt wirklich fehr gutes und bifliges 
Eſſen; aber nie habe ich eine folche Menge Fliegen gefeben, wie 
hier, die fogleich die aufgetragenen Speifen bedeckten; auch fcheint 
Nagold und befonderd das Wirthshaus, in dem wir und befanden, 
von jeher diefed Glück gehabt zu haben; denn einer unferer Reife 
gefellfchaft erzählte und eine hierauf bezügliche vecht artige Anek— 
dote. Als der Herzog Karl von Württemberg eined Tages in der 
Gegend jagte, und in dieſem Wirthshaus, das damals fhon exi⸗ 
ftirte, die Tafel für ihn bereitet war, befchwerte er fich über die 
Maije der Fliegen, die ihn befäftigte, und fagte halb verdrüßlich, 
halb Iachend zu der Birthin: fie folle den Fliegen hinter dem Ofen 
einen eigenen Tiſch ferviren; es ſei doch nicht anftändig, daß fie 
ungeladen an feinem Tifche zu Gaſte wären; was die Muge Fran 
alsbald beforgte, fich aber, nachdem fie mehrere Schüfjeln hinter den 
Ofen geſetzt, ehrfurchtsvoll mit den Worten an den Herzog wandte: 
„Servirt ift; befehlen nun Euer Durchlaucht auch, daß fich die 
Fliegen an ihren eigenen Tifch begeben.“ 

Ih war fehr begierig, endlih den Schwarzwald zu fehen, 
von dem ich fo viel gelefen und mir fo Manches Hatte erzählen 
laſſen. Dod fängt er nach Freudenftadt zu nicht plöglich an, fons 
dern hängt mit dem Schönbuch zufammen, au defien Ausläufern 
einzelne Beine Tannen ſchon mit den Buchen, vermifht find, bie 
fi) in einem gewaltigen Greöcendo bis auf die Höhen des Schwarz⸗ 
waldes ziehen, fchon bei Freudeuftadt ald wahre Niefen die Berge 
bededen und fi in die duftigen Thäler hinabziehen. Bei guter 
Zeit kamen wir nach Freudenſtadt, wo wir die Racht bleiben wolls 
ten, und benupten den fchönen Abend zu einem Heinen Spazier- 


202 Ein Ausflug 


gang in den Bald. Bir traten vor das alterthämlihe Thor, das 
als Verzierung mehrere in Stein gehauene Eolofiale Köpfe bat, und 
ſahen vor uns die herrlichfte Gegend ausgebreitet, Feine Zernficht, 
aber zwei Tiebliche Thäler, die ſich rechts und links eine kurze Zeit 
hinzogen und dann zwiſchen den Bergen verloren. Mit Recht hat 
der Schwarzwald feinen Namen; denn befonders gegen den blauen 
Himmel und das frifche Träftige Grün der Ihäler ftiht die dunkel⸗ 
grüne Zarbe des.Nadelholzes recht fhwarz ab. Den Weg verlaftend, 
gingen wir durch Grass und Kleefelder in das Ihal hinab, und 
fanden bier die erften deutjchen Bergigmeinnicht wieder, Denn die 
fepten blauen Blümchen diefer Art babe ich am Fuße des Libanon 
gepflüdt. Die Mühle im Thal, fie lag fo wunderbar heimlich, 
Hatte ihre Arbeit eingeftellt, und das Waſſer Schoß raufhend über 
das Wehr hinaus. Wir folgten dem Bache einige Schritte, bis zu 
einer Brüde, die in den Wald führt, von der wir feinen muntern 
Sprüngen eine Zeit lang nachſchauten. Mir fchienen bier Die 
Menſchen mir der Natur fo verwandt; den fchlanfen Wuchs der 
Zaune, das Haar dunfel und glänzend, wie dad diefed Baumes, 
und dad ganze Wefen Fräftig und frifch, wie der Bach, der vor 
und binfprang mit fhwarzen Steinen befäet, denen dad anklebende 
Mood etwas Xebendiges gab, und die fo traulich zu uns aufzublis 
den ſchienen, diefe Augen des Baches, wie die ſchwarzen finnigen 
Augen der Schwarzwaldmädchen. 

Im Balde legten wir uns ins Moos unter mannsdické Tan 
nen, dieſen ewig grünen Säulen des Waldpalaſtes. Nie ift mir 
ein Lager fo duftig, ein Moos fo frifch und grün vorgelommen, wie 
dad, worauf wir ruhten. Bei uns vorbei famen Mädchen, die auf 
dem Kopfe Körbe trugen und Männer mit großen Aexten, und e3 
fhien mir, als gingen alle träumend bei und vorüber und freuten 
fi auf ihren Heerd, an dem fie fi von des Tages Mühen erholen 
wollten. Die Waldblumen, die um und flanden, neigten ihre 
Köpfe, als wollten fie ſchlummern; die ganze Natur ſchien füch zur 


ee GR 





in den Schwarzwald. " 203 


Nachtruhe bereit zu machen; aus dem Thale fliegen blaue Nebel 
auf, die zuerft die unterften Tannen bededten und dann an ihnen 
binanfkletterten, das ganze Thal ausfüllend. Auch wir gingen 
endlich unferm Haufe zu, und nachdem ich mir noch einen tüchtigen 
Knotenſtock gekauft hatte, legten wir und fehr zeitig zu Bett, um 
unfere Füße zu fehonen, denen wir morgen eine flarfe Tour zumus 
then wollten. Am andern Morgen erhoben wir uns zu guter Zeit 
und eilten aus dem Städtchen, von wo wir den Weg nad Schöms» 
berg einfchlugen, um von da weiter in den dichteften Schwarzwald 
zu fommen. 

Der Morgen war herrlich, der Himmel ganz unbewölkt! Ans 
fangs waren wir nod allein auf der Straße, und erft nachdem 
wir eine Stunde gegangen waren, kamen Holzfäller und Mädchen 
aus den Seitenwegen hervor, und Alle boten uns freundlich einen 
guten Morgen. Es iſt doch etwas befondered um Tannenwälder 
überhaupt, und vorzüglich um den Schwarzwald. Der Anblid der 
hnurgeraden glänzenden Stämme tft dem Auge vielleicht nicht fo 
wohltpuend, wie das unordentlich durch einander ftehende Laub 
von Eichens oder Buchenwäldern, und doch wieder traulicher. Bon 
den Dichten Maſſen des Laubwaldes kehren Blick und Gedanken 
bald gefättigt zurück, und ſenken fich in die eigene Bruſt; nicht fo 
beim Tannenwald, wo dem Auge kein Halt geboten wird, und es, 
die Phantafie mit fortreißend, ſich weiter und wetter zwifchen den 
glatten Stämmen verliert oder auf den treppenförmigen Aeften den 
Baum leicht erfteigt und von der Spige weit ind Land fchaut, 
vielleicht Häufer und Fenſter von dem Sonnenftrahle glänzen flieht, 
der es vor wenig Augenbliden aufgeküßt. Areilich ift der Tannen⸗ 
wald ftumm, wenn der Wind nicht durch die Spigen der Bäume 
ftreicht oder ein Auerhahn falzend auffliegt; es begleitet fein har- 
monifcher Gefang der Vögel den Wanderer, und doch hört man zus 
weilen Klänge, die auch ohne Melodie dad Herz ergreifen und Die 
Phantaſie wunderbar befhäftigen; ich meine den fehallenden Schlag 


204 Ein Ausflug 


der Axt gegen den Baum, den man weithin hört, oder Das Knar⸗ 
ren eined Holzwagens, der fi) in den engen Pfaden ächzend fort: 
bewegt. Rad, einigen Stunden beftändigen, doch nicht ſtarken Ani: 
wärtäfteigend erreichten wir Schömberg, ein Meines Dorf, wenn 
man die fünf bis ſechs Häufer, die dort um die Kirche Liegen, fo 
nennen darf. Bis bier hatte und ein ziemlich breiter Weg geführt, 
auf dem wir nicht irre gehen konnten, doc jept wollten wir aud 
diefen verlafien, um auf FZußpfaden und Holzfchleifen nach Alpirs 
bach zu gelangen, das eine der fehönften Partien ded Schwarzwal: 
des fein fol. Kinder, die vor den Häufern in Schömberg fpielten, 
liefen, als wir fie um den Weg oder einen Führer fragten, bei un: 
ferm Anblick fohreiend davon, und konnten nur durch einige Kreuzer, 
die wir ihnen fchenkten, zum Stehen gebracht werden, aber an 
Reden oder und Antwortgeben war darum Doc nicht zu denken. 
Bon meinem norddeutfchen Dialekte verftanden fie wahrſcheinlich 
fein Wort, und felbft mein Freund Sigmund, der doch ein gebo- 
rener Württemberger tft, konnte ſich ſchwer mit ihnen verftändigen. 
Da fonft kein menfchliches Wefen zu fehen war, fo drang jeder von 
und in ein Haus, um Jemand audfindig zu machen, der und einen 
Führer verfchaffe. Ich war glüdlicher als mein Freund, und fing 
auf der LZeitertreppe des Meinen Haufes, tin das ich geratben, ein 
Weſen, von dem ich im eriten Augenblide nit wußte, ob es ein 
menfchliches ſei; doch hielt ich meinen Fang feſt und gab ihm durd 
ein Zeichen zu verftehen, es möge mir auf die Straße folgen; denn 
von den Reden, die es mir zu halten fchien, verftand ich feine 
Syibe. Beim Tage fah ich, daß ed ein Weib fei, aber von einer 
Häßlichkeit, wie ich bis jept Feines gefehen. Kaum vier Fuß hoch, 

verwachfen, fladerten um das gelbliche Geficht fußlange Ins Röth— 

liche fptelende Haare in einzelnen Strängen. Es war das Konters 

fet irgend eines bösartigen Waldweibes aus einem Märchen; indeh 

war die Fran fehr umgänglih und obgleich fie und feinen Führer 

verſchaffen Konnte, denn die Erwachfenen feien alle im Wald heim 


in den Schwarzwald. 205 


Holzſchlagen, fagte fie, und von den Kindern fei noch nie eines 
bis Alpirsbach gekommen, was beiläufig gefagt, nur zwei Stunden 
find, fo befchrieb fie und doch den Weg fo genau, daß wir ihn 
au felbft gefunden haben. Diefer Weg führte anfänglich durch 
den Bogt Jockele's Wald, was ind Genießbare überfeßt, der Wald 
des Schultheipen Jacob heißt. 

Trotz der mehrtägigen Hiße war der Boden des Wegd, den 
wir jeßt zu machen hatten, feucht und naß, weil die Tannen bier 
jehr dicht flanden und Sonnenlicht und Luftzug feinen Durchgang 
geftatteten. Bald ging unfer Weg abwärts, bald aufwärts, und 
gewährte den fchönften Anblid, wenn er am Abhang des Berges 
vorbeiltef und wir die Tannen fo recht betrachten Tonnten, wie fie 
fo regelmäßig neben und aufwärts bis zur Spige eines Berges und 
ebenfo abwärts bis in's Thal fliegen, wo wir die feingezadten 
Gipfel der höchften Tannen wie Meine Sträucher vor uns fpielen 
faben und fie mit den Händen erreichen zu können glaubten. Bon 
Zeit zu Zeit kamen wir an fogenannten Holzfchleifen vorbei, zwei 
bi8 drei Fuß breiten Pfaden, Die von der Spitze des Berges bis 
in's Thal ausgehauen find und gerade hinablaufen, daß es einem 
Menfchen beinahe unmöglich ift, da binabzuflettern. Auf fle wer: 
den die gefällten Stimme, nachdem fie ihrer Rinde beraubt und 
behauen find, gelegt und fihießen fo bei dem geringften Anftoß pols 
ternd in's Thal hinab, wo die zahlreichen Bäche, die der Schwarze 
wald befigt, dazu benußt werden, fie weiter zu bringen. Doch find 
diefer Transportmittel noch innmer zu wenig, um namentlid Das 
Brennholz in's Unterland zu bringen, was daher im Gegenfaß zu 
dem wohlfeilen Preife, zu dem man ed im Schwarzwalde kaufen 
fann, in den Städten fehr thener if. Mein Freund Sigmund, 
als ehrbarer Hausvater, klagte mir beftändig darüber, wie ihm das 
Herz biute, wenn er bier oben mitunter das frhönfte Holz, weil 
man ed nicht Alles fortfchaffen könne, verfaulen fehe. Und fo war 
es auch: wir haben manches Klafter an ftehengebliebenen Bau ms 


206 Gin Ausflug 


ſtrünken und Tiegengebliebenem Holze gefunden, dad ſchon ver: 
fault war. 

Es war Mittag und ſchon fehr Heiß, als wir Alpirsbach vor 
and liegen ſahen. Dod mußten wir nod weit binabfteigen in Das 
zerflüftete, wildromantifche Thal, durch das die Kinzig fließt und 
in deſſen tiefitem Grunde das Dertchen felbft liegt. Wir Beide 
waren von der Hitze und dem Herumklettern in den Bergen ziemlid 
müde geworden, und freuten und nicht wenig, ein gutes Gaſthaus 
zu finden, wo wir uns etwas ausruhen und erfrifchen Tonnten. 
Anfänglich war unjere Abficht gewefen, über Schiltah und Wolfach 
nad Rippoldsau zu gehen, was man und bier abrietb, da Diefer 
Weg dem Kinzigthale entlang für und, die wir nur die Abficht 
hatten, den Schwarzwald felbft, das heißt feine himmelhohen Tan⸗ 
nen und Waldwege zu bewundern, wenig belohnend fe. In Als 
pirsbach befahen wir das einzige Merfwürdige, was der Ort bietet, 
ein altes Benediktinerfiofter, welches im Jahre 1095 von Rottmann 
von Hanfen und Adelbert von Zollern geftiftet wurde. Die fehr. 
Heine Kirche defjelben hatte man jegt weiß angeftrichen und für den 
evangelifchen Gottesdienft eingerichtet. Der Kreuzgang war mit. 
Bildhauerarbeit verziert und wenn nicht einer von den fchönften, 
die ich gefehen, doch einer der Ödeften und unheimlichften. Er um 
gab von vier Seiten einen Meinen Hof, zu dem entweder nie ein | 
Eingang gewefen ober derſelbe vermauert warz denn dem Boden | 
hatte feit Ianger Zeit kein menſchlicher Fuß mehr betreten; «es 
wucherte da ein Wald von Unkraut, allerlei Schmaroperpflanzen 
bedeckten die Fenſter theilweije und verdunfelten den Gang noch 
mehr. Ich Hätte ihn wohl beim Mondfchein fehen mögen, da müßte 
er eine gute Staffage zu einer fohauerlichen Novelle abgeben. 

In der brennenditen Sonnenhige fliegen wir wieder aus dem 
Thale herauf in den Wald, um nad Rippoldsau zu kommen, Auf 
dem Wege begegueten und wieder viele Mädchen mit ſchwarzen Aus 
gen und ſchwarzen Haaren, die fie in lange Zöpfe geflochten über 


in den Schwarzwald. 207 


den Rüden hinabhängen lafien. Sie famen vom Keld, wo fie vom 
frühen Morgen an bis jeßt gearbeitet hatten, und da die Hipe zu 
groß wurde, nah Haufe zurückkehrten. Die meilten waren fchlante 
volle Beftalten, die unfern Gruß freundlich erwiderten. Bon einer 
der hübfcheften, mit der ih mich unterhielt, und die mir, nachdem 
id) eine lange Rede gehalten, recht naiv antwortete, fie habe mid 
nicht verftanden, erfuhr ih endlich, nach vielen Umfchreibungen, 
daß fle Maria heiße, worauf wir uns ald gute Freunde trennten. 
Bir litten bei dem Bergfteigen nicht wenig von der Hiße, und was 
en endlich recht froh, wieder in den Schatten der Tannen zu foms 
men. Doch fliegen wir luſtig und guter Dinge, lachend und fingend 
aufwärts und vertrieben uns die Zeit, indem wir uns bald Märs 
chen, bald felbft erlebte Anekdoten erzählten. 

Meine Phantafie ift nie fo regſam, als wenn ih im Wald 
Ipaziere, und hundert Pläne und Gedanken, wenn auch vielleicht 
alle ohne Werth, tauchen in mir auf; heute waren wir Beide bes 
fonders glücklich, Novellen zu erfinden, wir verwarfen aber alle als 
nicht tauglich, His auf eine, die und fehr pikant vorfam. Gin juns 
ger, wohlbeleibter, aber dabei fehr fauler Poet, ſieht im erſten Ka⸗ 
pitel der Novelle endlih ein, daß eben dieſe Faulheit nicht viel 
auf's Papier bräcte, und daß er in dem Gewühl und der Zers 
freuung der großen Welt, die ihn umgab, nicht im Stande fei, 
feine Phantafie.und das Biöchen Geift, das er befipt, aus der Les 
thargie, in die Beide gefallen, aufzurütteln, worauf er im zweiten 
Kapitel aus gewaltigen, nichtöfagenden Monologen, die er hält, den 
Gedanken auffifcht, fi) mit feinem Bedienten in ein einfames Haus 
im Walde zurüdzuziehen, um da ein noch zu erdenkendes, unſterb⸗ 
liches Werk zu fchreiben: ein Plan, der im dritten Kapitel zur 
Ausführung fommt, wo Beide fi in ein einfamed Dorf am Wald» 
ande begeben und viel Dinte und Papier mitnehmen, auf daß, 
jedoch, wie das vierte Kapitel, das aus weißen Blättern befteht 
fehr traurig anzeigt, nichts gefchrieben wird. Das fünfte Kapitel, 





208 Ein Ausflug > 


‚ein fehr wehmüthiges, fagt ans, wie der Poet und fein Diener, 
anftatt zu arbeiten, nad verfchiedenen Richtungen im Bald und 
auf den Dörfern herumftreifen; im fechöten erwacht die noch nicht 
ganz gefunfene moralifche Kraft des Poeten, und er faßt im fie 
benten Kapitel den großen Entſchluß, feine und feines Bebienten 
Kleider bis auf den Schlafrod fortzuſchicken, um alfo genöthigt zu 
fein, den ganzen Tag über zu Haufe zu bleiben, was im achten 
Kapitel am Schiuß des eriten Bandes ausgeführt wird. Die drei 
eriten Kapitel des zweiten Bandes find höchſt matt und langweilig, 
weil bier der Poet arbeitet, und nur hie und da in der Dunkelheit 
Abends Spaziergänge macht. Im vierten überfällt ihn eine gewal 
tige Sehnfucht, und ein gewiſſes Etwas feheint ihn nach einer Ge: 
gend hinzutreiben, die er früher nie betreten. An einem fchmwülen 
Abend geht er im fünften Kapitel dorthin, und findet — — — ein 
hübſches Landhaus, in dem eine alte Dame mit ihrer fehr ſchönen 
und jungen Tochter und einer Kammerjungfer wohnt. Die Tochter 
fipt zufällig im Garten und fpielt Guitarre und zufällig ein Lied, : 
von dem er zufällig die Schlußftrophe weiß, die er ald Erwiderung 
auf die eriten Strophen fingt, und fi dann zurüdzieht. Im den 
folgenden Kapiteln ſieht man, wie nach dem Lauf der Welt der 
Poet und die junge Dame fich ineinander verlieben und der Schluß 
des zweiten Bandes findet den Poeten in der gräßlichiten Verzweif— 
lung, denn die junge Dame hat ihn in der Nachmittagdftunde in 
eine heimliche Laube, die fie im Walde hat herrichten Tafien, zu 
einem Rendezvous eingeladen; er hat ja nichts als den Schlafrod 
bei fih! Diefer zweite Band fchließt fehr lehrreich, befonders für 
junge Poeten, indem er zeigt, wie man fih von der Begierde nad 
Arbeit nicht dürfe hinreißen laſſen. Hier fchloffen wir die Novelle, 
indem der Andrang diefes gräßlichen Umſtandes auf den Poeten 
und gar zu arg dünkte, um ihn auszugleichen. Auch mochten wir 
feinen Selbftmord auf uns nehmen. 

Bald ftiegen wir eifrig den Berg hinan, bald fepten wir uns 








in den Schwarzwald. 209 


zu einer Gefellfehaft von Holzfällern, die auf dem Stamme einer 
umgehauenen Tanne fipend ihr Mittagsmahl hielten, was meiſtens 
fehr einfach aus Milch beftand, in die fie ſchwarzes Brod brodten, 
und kamen durch dieſe Abwechslung etwas langfamer, aber auch 
frifcher auf die Höhe des Berges, von wo wir leiht und rafch abs 
wärts fliegen. Schon lange hatte ich mir gewünſcht, einen Meiler 
zu fehen, diefe ſchwarze Waldherberge, in der die Ritter mit ihren 
Knappen und Nößlein einkehrten, wenn fie den Weg verloren und 
die Nacht fie überrafcht auf den einfamen Waldpfaden. Eine Köh⸗ 
lerhütte behält für mich wenigftend, von der erften Lektüre in der 
Jugend ber, einen poetifhen Schein, der bis dahin um fo größer 
war, da ich noch feine in der Wirklichkeit gejehen. Sie kommt faſt 
in allen abendländifchen Sagen und Märchen vor, die wir als Kin⸗ 
der gelefen, in den fchauerlichen Geſchichten von Rübezahl, in der 
Sage von Grifeldis, die fogar ein Köhlerkind war. Der Schwarz- 
wald tft, möchte ich fagen, die Heimath der Köhlerhütten, und doch 
hatten wir heute noch feine gefehen; wohl mehrere runde verbrannte 
Pläße, von denen die Kohlen ſchon weggeräumt waren, und aud) 
einen, den man eben aus trodenen Tannenäften errichtete, doch war 
dies Alles nicht das rechte; ein Meiler muß fhwarz gebrannt fein 
und noch rauhen; dann muß auch die Köhlerhütte dabei ftehen, 
vor der der Köhler felbft mit feinem Hunde fißt und an die graus 
figen Schidfale denkt, von denen ihm der Ritter, den er geftern 
beberbergt, erzählt hat. 

Bon dem Herabfteigen ermüdet, feßten wir und auf eine Tanne, 
die auf der Holzfchleife, wo fie noch lag, erft fürzlich von dem Gipfel 
des Berges herabgerutfcht fehien, denn fie war frifch behauen. Um 
uns fliegen die rothen und weißen Tannen fo fenkrecht in die Höhe, 
als wären fie alle nach dem Loth geordnet, und dieſer Trieb ift fo 
ftark bei ihnen, daß große Stämme, die ald Schößlinge fchief aus 
dem Boden kamen, fi) bogen und parallel den Andern emporwuchs 


fen. Reben diefen mächtigen Tannen des Schwarzwaldes, die dies 
Hadlänvders Werte. VL 14 


210 Ein Ausflug 


fer Landſchaft eine impofante dunkle Färbung geben, mildern bie 
heimlichen klaren Bergwafier, die überall herfommen und munter 
in's Thal ftürzen, das Düftere des Bildes, helle Lichter auflegend. 
Wir faßen jept gerade neben einem ſolchen Bächlein, deffen frijches 
Waller wir zu den Brombeeren tranken, die in großer Menge um 
und wuchſen, und folgten mit den Augen, fo weit die Bäume es 
zuließen, feinem Laufe in’s Thal, wo es ſich einem Arme der Kin 
zig zugefellt, den wir über die Spigen der Bäume hinweg hie und 
da aus dem Grün hervorbligen fahen. Da ftieg auf einmal neben 
uns etwas tiefer, ald wir faßen, ein blauer Rauch auf, und Sig 
mund verficherte mich, dies müſſe ein Meiler fein, und wahrſchein⸗ 
lich einer, wie wir ihn gerade wünfchten, ſchwarz oder rauchend. 
Eilig rutſchten wir die Holzfchleife hinab und arbeiteten und dann 
durch das Gebüfch, bis wir endlich auf einem freien Platz das Ge 
fuchte fanden, — ein flattlicher Meiler, der jedoch ſchon ansgebrannt 
war und nur noch von Zeit zu Zeit aus der Spige rauchte, weh 
halb wir ihn auch nicht früher fahen. Neben ihm lagen einige 
Gruben, die voll Wafjer waren, das zur Abkühlung der Kohlen ge 
braucht wird. Auch die Köhferhütte Tag in der Nähe, jah mit 
aber doch ein wenig gar zu ärmlich und einfach aus. Sie beftand 
aus zufammengeftellten Baumftämmen, die oben durch ſchwache Reis 
fer verbunden waren und, mit Moos und Geſträuch verftopft, feht 
dünne Wände gaben. Das Innere war durch einen Baumftanım 
am Boden in zwei Theile getheilt, wovon der binterfte das Lager 
des Köhler, aus Laub und Moos beftehend, enthielt, der vordere 
zur Küche zu dienen ſchien; denn zwifchen drei Steinen waren 
Spuren von halbverbrannten Kohlen und Holzafche, neben der in 
einem Winkel ein Haufen Kartoffeln lag. Bor der Hütte ftand die 
Wurzel eines Baumes, die oben glatt gehauen, eine Art von Stuhl 
gab, auf dem eine große Holzagt eingehauen war; ein langer Schür⸗ 
banm lehnte daneben. Doch war der Herr diefer Geräthſchaften 
nirgends zu fehen, Wir riefen einigemal in den Wald hinein, und 


in den Schwarzwald. 211 


Hätten den Köhler in feinem rußigen Gewand gar zu gern zwifchen 
den Bäumen hervortreten fehen; doc warteten wir eine halbe 
Stunde vergebens, und fahen und endlich genöthigt, mit der Köhlers 
Hütte zufrieden zu fein und unfern Weg fortzufeßen. Im kurzer 
Zeit waren wir unten im Thale, wo das Dörfchen Reinerzau Tiegt, 
das jedoch nur aus einzelnen Häufern befteht, die an den Arm der 
Kinzig, von dem ich oben ſprach, einem Meinen Bache, zerftreut 
liegen. Sigmund fagte mir, daß ſchon dieſer Bach zur Fortfchafe 
fung von ziemlich greßen Flößen in die Kinzig felbft benügt würde, 
die fie Daun weiter bid Kehl trägt, wo fie auf dem Rhein zu grüößes 
ren verbunden werden und nad den Niederlanden abgehen. Ob⸗ 
gleich diejer Badı viele Schleufen hatte, war e8 mir Doch unerklärs 
lich, wie das Wafler, das an den meiften Stellen faum die Kiefel 
bedeete, im Stande jet, einen Baumftanım zu tragen, und ich würde 
mit einigen Zweifeln hierüber nach Haufe zurüdgelehrt fein, wenn 
mich nicht zufälliger Weife der Augenſchein davon überzeugt hätte. 
Wir waren nämlih faum einige Hundert Schritte den Bach auf- 
wärts gegangen, jo famen uns in geitredten Laufe mehrere Flößer 
entgegen, ftarke, Träftige Menfchen, mit großen Stangen und Aexten 
bewaffnet, im runden Hut und kurzer Jade, große lederne Stiefel, 
bis über die Knie Hinaufgezogen, von denen ein Theil an den 
Schleuſen, die wir vor und fahen, ftehen blich, die andern mit 
einem Rufe bet und vorbeiftürzten. Wir traten 'ebenfall3 näher, 
und erfuhren von dem Flößer, der die jchwere Schleufe, bei der wir 
uns eben befanden, allein aufwand, daß im nächſten Augenblick ein 
Zloß fommen würde, und wirklich fam er aud) gleich darauf um 
eine Ede des Baches, die ganze Breite defjelben einnehmend. Gr 
beftand aus fehr fehweren Balken, Die fi) nicht felten ächzend an 
den Ufern binfchoben und Doc von dem Wafler, das fich hinter der 
Schleufe gefammelt hatte, mit unglaublider Schnelle bid an das 
Thor derfelben, das kaum breit genug war, ihn durchzulaſſen, daher 
getrieben wurde. Wir fprangen auf die Bank der Schleufe, wo 


212 Gin Ausflng 


der Bach einen Zal von wenigftens fünf Zuß bildete, und fahen 
dem Anblick geſpannt entgegen, wo die Spige des Floßes, auf 
dem einer der Flößer mit gefpreizten Beinen ftand, und ſich durch 
eine eingefchlagene Art fefthielt, ſich hinabſtürzen würde. Manch» 
mal kommen hiebei Uuglüdsfälle vor, indem die Spitze, durch Die 
nachfolgenden Balken gedrängt, fehr häufig auf dem Grunde des 
Waſſers figen bleibt und der Flößer, der vorn fteht, durch den ge⸗ 
waltigen Stoß, den dies verurfacht, hinabgefchleudert wird, und 
nicht felten überfahren ihn die Balken, die fih im Augenblicke dar⸗ 
auf wieder losmachen und befchädigen ihn ſtark. Doc ging es 
heute ganz glüdlih ab. Der ohnehin ſchon fehr rafhe Lauf des 
Zloßes wurde durch den Fall noch verftärkt, und er ſchoß mit einer 
folhen Gewalt und Gefchwindigfeit durch die Schleufe, daß Der 
Flößer an ter Spipe einen Augenblid bis an die Mitte des Leibes 
unter Wafjer war und das Gebälk des Schleufenwerkes zitterte. 
Auf breiten Flüſſen Ienkt ein anderer Mann das Ende, das fonft 
gewaltig hin⸗ und herfchlagen würde, was e8 bier bei der Enge des 
Baches nicht gut konnte; und Doch drängten die legten Balken mit 
ziemlichem Speltafel gegen die lifer und das Schleufenwerl. Der 
ganze Floß Hatte ſechszehn Glieder und mochte, wie man uns [pä- 
ter fagte, einen Werth von ungefähr zwei taufend Gulden haben. 
Es ſteckt überhaupt ein gewaltiger Neichthum in den Stämmen 
des Schwarzwaldes und man findet vielleicht nirgends fo reiche 
Bauern wie bier; befonderd in Neinerzau fol fehr viel Geld fein, 
und in einem Beinen Wirthshauſe, wo wir abftiegen, zeigte uns 
unfer Führer drei Brüder, die zufammengenonmen vielleiht ein 
Bermögen von einer Millton Gulden haben. 

Biele Partien des Schwarzwaldes und befonderd das Thal, in 
welchem Reinerzau liegt, wo wir uns gerade befanden, erinnert 
lebhaft an die Schweiz. Die untern Abhänge der Berge find wie 
dort mit frifhem Grün befleidet und eben fo fängt auch in dem 
Drittel der Höhe diefelbe Art dunkler ſchöner Tannen an, die ſich 


in den Schwarzwald. 213 


bis über den Gipfel heraufziehen. Faſt in jedem That fließt ein 
klares Bergwaſſer, das feine Rahrung von Kleinen Bächen erhält, 
die fih von allen Seiten, Stiberfaden gleich, durch Die Tannen⸗ 
und BWiefengründe fchlängeln, Sogar die Häufer des Schwarz 
waldes, die auch nicht felten in der Mitte des Berges, wo Die 
Wieſe aufhört, Liegen, haben Achnlichkeit mit den Sennhütten der 
Schweiz. Die platten Dächer, auf denen große Steine liegen, bes 
decken Gebäude, die aud bier ganz von Holz find, und deuen nur, 
um vollkommen den Schweizerhäufern zu gleichen, die Gallerien 
fehlen, welche Ießtere von außen umgeben, und auf denen die Ein: 
gänge zu den Stuben befindlich find. Das Innere der Schwarze 
wälder Häufer iſt dagegen noch viel heimlicher, als das der gewöhn⸗ 
lichen Sennhütte; doc find die Wohnhänſer der reichen Schwei⸗ 
zerbauern geräumiger und reinlicher. Man fieht e8 den Häuſern 
auf dem Schwarzwald au, daß fie Holz in Menge zum Bau ver- 
wenden fünnen, denn das ganze Getäfel, Fußboden und Dede bes 
ftehen aus glatt gehobelten Zannenbrettern: eine Tapete, die fehr 
warm hält und freundlich ausfieht, aber dagegen auch viele Mängel 
bat, und fehr bald der Aufenthalt von dem mantafaltigften Unge⸗ 
ziefer wird. Die Möblirung diefer Häufer iſt fehr einfach und alt» 
modifh, und in den meiſten der einzige Zierath der Stube die 
Schwarzwälder hr, die man in allen Größen und fehr billig 
kauft. — So wie die meiften Bergbewohner hat der Schwarzwäl- 
der fein Eoftüm erhalten. Der Bauer trägt ſchwarze kurze Bein- 
leider, bis zu denen die Stiefel von ſchwarzem Leder hinaufreichen, 
eine dunkle Wefte, einen fchwarzen oder dunkelbraunen Rod, der 
mit Grün ausgefchlagen iſt, und auf dem Kopfe einen fchwarzen 
runden Hut mit großer Scheibe, den ebenfalls ein grünes Band 
fhmüdt; ein Anzug, der fo die Farbe ihres Waldes hat, 'wo zwi⸗ 
fchen den alten Dunkeln Zannen bie und da ein junger Sprößling 
oder ein ander Laubholz grün bervortritt. Ich glaube wirklich, 
fie wollen die Farbe ihres Waldes im Koflüme nachahmen; denn 


214 Ein Ausflug 


die Tannen find ihr Reichthum und ihr Stolz. Die Flößer tragen 
Wämſer von dunkler Leinwand, kurze Beinkleider, welche ein Hands 
breiter grüner Hofenträger in die Höhe hält, und ihre befannten 
großen Stiefel, womit fie dad ganze Bein bebeden können. 

Bon Reinerzau nahmen wir einen Führer, der und über den 
Noßberg nach Rippoldsau führen follte, wohin wir noch eine fehr 
befchwerlihe Tour hatten. Wir gingen einen ſchmalen, fchlechten 
Fußweg, der auf der Höhe des Berges, wo gerade ſtark gehauen 
wurde, eine lange Strede mit mächtigen Stämmen bededt war, Die 
wir umgehen mußten. Schon ſank die Sonne, als wir die andere 
Seite erreicht hatten, und dad reizende Schappacherthal lag in der 
Ihönften Abendbeleuchtung vor und. Wir verließen bier den Fuß⸗ 
. pfad, den wir biöher verfolgt, und begaben uns auf eine der Holz⸗ 
fchleifen, die ins Thal führt, aber noch fleiler ald ein Hausdach 
hinabläuft, und deßhalb das Klettern einigermaßen gefährlich macht. 
Wir ſetzten und in das fchöne Moos am Fuße einer Tanne und 
ſahen lange Zeit mit Vergnügen in das Thal und auf die gegen 
überliegenden Berge, die höchiten des Schwarzwaldes. Dort lag 
der Kniebis, auf welchem die Straße nad dem Elſaß und aljo nad) 
Frankreich führt. Auf feinen höchſten Punkten befinden fih zwei 
Forts, der Noßbühl und das Fort Alesander. Dort fahen die 
hohen Tannen ſchon oft franzöfifhe Bajonette funkeln, und Die als 
ten Bäume haben gewiß oft mißmuthig das Haupt gefchüttelt, Daß fie 
nicht über die Köpfe der zügellofen Banden zufammenftürzen fonn= 
ten, die von dort hinabftiegen, ein herrliches, gefegnetes Land zu 
verheeren. Doch weg mit diefen traurigen Bildern, die einer Längft 
vergangenen Zeit angehören, und fo Gott will, nie wiederlehren ! 
Biel fieber wandten wir unfern Blick in das freundliche Thal vor 
und, in dem Mühlen und Bauernhänfer liegen, und dad wir von 
unferer Höhe aus bis Rippoldsau verfolgen fonnten. Bor dieſem 
Leinen Badeort fteht eine fchöne Abtei und Kirche, deren Thurm 
von den legten Strahler der Abendfonne geküßt wurde. Mir fiel 


in den Schwarzwald. 215 


Hier Tebhaft ein Lied von Alfred de Muffet ein, deffen erfle 
Sirophe heißt: 


D wie gern im Abendftrahle, 
Tief im Thale, 

Seh ich einem Todtenmahle 
Aehnlich, ſchwarzer Münfter Bau. 


Das Hinabfteigen, oder vielmehr das Hinabrntfchen ins Thal 
ging ziemlich raſch von Statten, und in einer Stunde waren wir 
in Rippoldsau, wo wir noch ein Bad nahmen und uns dann fehr 
ermüdet zu Bett legten. Es ift bier gar nicht meine Abſicht, eine 
Beſchreibung ded Bades Rippoldsau zu liefern, nur fo viel fet 
gefagt, daß e8 fehr großartige elegante Gebäude hat, dievon hüb⸗ 
ſchen Spaziergängen und fonftigen Anlagen umgeben, recht heimlich 
in dem engen Thale liegen. Am andern Morgen fah der Himmel 
nicht mehr fo klar aus wie geftern und vorgeftern ; vielmehr zeig« 
ten ſich bie und da Wollenftreifen und die Thäler waren mit Nes 
bei bededt. Wir brachen fehr früh auf, um bei guter Zeit nad 
Freudenftadt zu fommen, was auf dem nähften Wege nur zwei 
Stunden find. Wir nahmen feinen Führer mit, denn da es doc 
nur unfere Abfiht war, im Walde berumzuftreichen, fo wäre es 
und ſelbſt im fchlimmen Zalle nicht unangenehm gewefen, uns eine 
Stunde weiter zu verirren. Der Weg führte von Rippoldsau gleich 
den Berg hinan, und fenkte fih dann in ein wildes Thal, durch 
Das ein Arm der Kinzig ftürzte, der in feinem engen felfigen Bett 
unzählige Waſſerfälle und Heine Seen bildet. Der Thalgrund, in 
dem ſich eine Heine hölzerne Brüde, die über den Bach führte, bes 
fand, war ungemein ſtill und traulich; nur zuweilen hörte man 
weithin das Schalen einer Art, und die Kühle des nafjen Grafes, 
fowte der frifche Harzduft ftärkte Herz und Sinne. Trotz des trüs 
ben Himmels war doch die Luft fehr heiß und wir befchloffen nad 
dem mühfamen Klettern über den Berg, . bier in der Schlucht ein 


216 Ein Ausflug 


Bad zu nehmen, was wir aud alsbald ausführten. Doch das 
Waller war eisfalt, und trieb und nebft der Beforgniß, die immer 
fi) am Himmel zufammenziehenden Wolfen möchten uns noch ein 
anderes Bad zufommen lafjen, bald wieder in die Kleider. Wieder 
Hing’s den Berg hinan, auf einem befjeren Wege ald dem biöheri- 
gen, denn hier hatte man Stamm an Stamm gelegt, um ihn glatt 
und feft zu machen. Bald jedoch verlor fich diefe gute Bahn und 
von drei Fußwegen, die fih unferm Blick zeigten, wählten wir, 
wie fi) fpäter auswies, gerade den unrechten. Wenn wir auch 
heute Morgen über allenfallfiges Verirren gefcherzt hatten, fo war 
ed und doch jept bei dem heranziehenden Wetter nicht gerade jehr 
angenehm. Der Himmel wurde dunkler und fernhin vollte ſchon 
ein fange nachhallender Donner über die Wipfel der Tannen. Der 
von und gewählte Weg führte aber aufwärts bis auf eine Ebene 
des Berges, wo eine Gefellfchaft der nobelften Tannen beifammen 
ftanden, und verlor fih dann ind Moos. Was war zu thun? 
Zurückgehen mochten wir nicht; denn Xreudenftadt mußte vor uns 
liegen. Alfo gerade aus! Wir gingen unter den großen Stämmen 
hin, über einen ausgezeichneten Moosteppich, der mir gerade audfah, 
als Hätte Ihn feit langer Zeit kein menfchliher Fuß betreten. Auch 
zeigte fi), nachdem wir eine gute Strecke gegangen, weder eine 
Ausfiht ind Thal, noch ein Fußpfad. Sigmund erinnerte mid 
an Hauff's Märchen: das alte Herz und meinte, wir würden viel- 
leicht auf den Tannenbühl gerathen fein, wo das Glasmännlein 
refidire; der Gedanke war gut, und mac langem Scherzen und 
Lachen ſuchten wir aud unferm Gedächtniß den Vers zufammen 
zu bringen, mit weldhem dad Männlein zu citiren ift, und ed ges 
fang uns auch nach vielem Studiren, Dann ftellten wir und nad 
der Gegend, wo die didften Tannen ftanden, und ich, der ein wirt 
liches Sonntagskind ift, ſprach laut und feierlich die Worte: 
Schatzhauſer im grünen Tannenwald, 
Biſt Thon viel hundert Jahre alt; 





Inden Schwarzwald. 217 


Dein iſt al’ Land, wo Tannen ftehn, 
Läßt Dich nur Sonntagkindern feh'n. 


und — — — und im erften Augenblid verging uns alles Lachen, 
und wir fahen einander mit fonderbaren Bliden an; denn einige 
Schritte vor nnd, hinter einer großen Tanne hervor, trat das Glas⸗ 
männlein, oder wentgitens ein Männlein in feinem Koftüme, mit 
fhwarzem Wämschen, großem Hut, furzen Höschen und Strümpfen 
mit Schuhen, und fah uns fragend an. Weberrafcht traten wir auf 
den Kleinen zu, der fi aber alsbald im beiten Schwäbifch nad) 
unfern Wünjchen erfundigte. Leider war er nicht das Glasmänn⸗ 
lein, das und vielleicht auch Drei Wünſche erfüllt hätte, fondern es 
war ein Knabe aus einen der benachbarten Höfe, doch wies er uns 
freundlich auf einen nahen Pfad, der und in einer halben Stunde 
nach Freudenftadt brachte. Und es war hohe Zeit, der Himmel 
lag fo ſchwarz auf den Bergen, daß er an einigen Stellen faft nicht 
mehr von den Tannen zu unterjcheiden war, und kaum waren 
wir ins Gafthaus getreten, fo brach ein unerhörted Gewitter los. 
Es ging freilich in einer Stunde wieder vorüber, doch war in 
den nächſten Tagen an ein Weiterwandern nicht zu denken, da bier 
fih das Wetter nah einem Gewitter gewöhnlich für mehrere Tage 
trübt und häufige Regenſchauer nachfolgen. Deßhalb fchlofjen wir 
unfere Tour und fuhrem-über Wildbad nach Stuttgart zurüd. 


Eine Reife nach Paris. 


Es gibt auf der ganzen Welt nichts Heimlicheres und Angenchs 
mered, ald im eigenen bequemen Wagen mit Boftpferden von einem 
Ort zum andern zu. reifen. Der Wagen ift eingerichtet wie eine 
gut möblirte Wohnftube; man hat alle Reiſebedürfniſſe des menſch⸗ 
lichen Lebens rings um fidh vereinigt. Im jener Ede ruht Pfeife 
und Tabak verborgen, in der andern eine ganze Bibliothel. Im 
Fond befindet fih die Uhr, vorne liegt das Fernrohr; und man 
braucht nur unter den Sig zu langen, um eine wohlgefüllte Korb: 
flafhe zu ergreifen; das nöthige Glas Hierzu findet man in einer 
der Seitentafchen. Ia, und bei diefer höchft liebenswärdigen Art 
zu reifen, „hat man in Vergleich mit allen andern Arten des Fort: 
fommend ungeheure Vorzüge. Ich brauche mich nicht nach einer 
eigenfinnigen Poſtuhr zu richten, die mich graufam ftraft, wenn der 
Oberkellner meines Hotels die Rechnung zu langſam anfertigt, oder 
wenn der Hausknecht mit meinen ſchweren Koffern nicht ſchnell genug 
auf dad Bureau trabt. Dabei fahre ich in meinem eigenen Wägen 
ſchneller und überhole die Poſt, d. h. in Deutfchland, ſchon nad 
den erſten Stationen, wenn ich vieleicht auch eine Stunde fpäter 


Eine Reife nah Parts, ‚219 


abgefahren bin. Nebenbei ift meine perfönliche Freiheit in keiner 
Weife eingefchräntt. Ich kann meine Beine auöftreden, wie ich 
will, und der unberechenbarfte Vortheil ift unftreitig der, daß ich 
feinem reifenden Engländer gegenüber zu fipen brauche. Fahre ich 
mit einem liebenswärdigen Begleiter oder mit einer noch liebens⸗ 
wöürdigeren Begleiterin, fo brauche ich dem Boftillon nur an einer 
fchönen Stelle zugurufen, daß ex halten fol, und wir können eine 
anmuthige Gegend, ein ſchönes Schloß, eine herrliche Ruine mit 
aller Muße beſchauen. Bin ich allein, fo kann ih, wenn ed mir 
darum zu thun tft, Gefellichaft zu haben, und ich zu Thorheiten 
aufgelegt bin, überall welche finden. Und dann erſt das Fahren 
in einer fhönen Sommernaht! Es muß im Laufe des Tages ein 
wenig geregnet haben, damit der Staub nicht aufwirbeln Tann. 
Dichte Wollen ziehen noch langfam über der Erde hin, und der 
volle Mond arbeitet fih ruhig hindurch, Die Gegend mit hellen 
Stiberftreifen verzierend. Gin Poftillon lobt dem andern bein Um⸗ 
fpannen die Größe des Trinkgeldes, und alle fahren wie beſeſſen 
darauf los. Du Tiegft in die Ede des Wagens gefchmiegt, vorn 
auf dem Bode ſitzt der Bediente, leife mit dem Schwager plaudernd. 
Die Wagenlaterne wirft einen zitternden Schein auf den Boden, 
und wie Müden ein Licht in der Stube umflattern, fo fpringen, 
vom rafchen Fahren aufgeregt, Beine Erbllümpchen in dem hellen 
Scheine hin und ber. Ad, und die ganze Natur ift fo fill und 
feierlich; e8 wird dunkel nah und fern, und Alles nimmt eine phan⸗ 
taftifhe Geſtalt an. Die riefenhaften Pappeln an der Chanfiee 
bufchen eilfertig vorbei, und wenn man aud von Weiten ganz ges 
nau ſah, wie fie dicht beifammen itanden und mit einander. plau- 
derten, fo ftehen fie do beim Näherkommen gerade und vereinzelt 
da, wie ertappte Schulbuben. Und dann in der Nacht die Einfuhr 
in eine Stadt, das Klirren aufdem Pflafter, die fchlafenden Häufer, 
das Blaſen des Poftillons — das iſt Die PVoefie des Reifens! 

Ya, dies ift freilich die Poefle des Reiſens, aber fie ift fehr 


220 Eine Reiſe 


theuer und fchon faft ganz verfchwunden; man wird bald nur noch 
von ihr den Kindern und Enkeln erzählen können, wie von einer 
alten, fabelhaften Geſchichte. An die Stelle der Chauſſee, die fid 
maleriſch zwifchen Thal und Berg windet, tft der Schienenweg 
getreten, der einförmig und langweilig in gerader Linie dahin zieht. 
Statt des fanft ſchaukelnden Wagens find Diligencen, Waggons, 
Charabancs, und wie alle diefe Marter-Inftrumente noch heißen 
mögen, entflanden, die in einer ewigen, nervenzerftörenden Bewegung 
Durch ein feuerfpeiendes Ungeheuer, Locomotive genannt, mit rafender 
Schnelligkeit dahin gerijjen werden — bald auf hohen Dämmen 
über tiefe Thäler hinweg, bald mit entjeglichem Gekrach und Ge 
feufze, dur den Schooß der Erde. 


Immer zu, immer zu 
Ohne Raft und Ruh’. 


Es war im Sommer 1844 zu Göln am Rhein. Da fapen 
wir etwa unfer Zehn, einträchtig in den großen Omnibus des Kö 
niglichen Hofes gezwängt, um hinaus nad dem Bahnhof zu fahren. 
E83 wäre ungefähr Zeit geweſen, um nicht gerade in der legten 
Minute anzulommen. Doc, gefiel ed dem lieben Gott, unfere Ge 
duld in der Geftalt eines reifenden Sngländers, eines Tangbeinigen, 
Happerdürren und rothhaarigen Gentleman aus dem Spezereiladen, 
hart auf die Probe zu ftellen. Obgleich diefer Edle, wie wir, vor 
Fünf aus dem Schlaf war aufgeftört worden, obgleih man ihn 
fünf⸗ bis ſechsmal gewedt hatte, fo forderte der liebenswürdige Auss 
länder gerade in dem Augenblid warmes Waſſer zum Nafiren, als 
wir nad) haftigem Verſchlingen unferes Frühftüds in den Wagen 
fliegen. Und wir mußten warten, wir alle, unfer Zehn, mußten 
warten diefes einzigen Iumpigen Engländer wegen. So will es 
das Gaſthofgeſetz. Endlich kam er die Treppen herab, bezahlte aufs 
Umftändlichfte feine Rechnung, zankte fich über einige Pfennige, die 
ihm zu viel angerechnet feien, und war nicht eher zum Ginfteigen 


a wu . 


nad Paris. 221 


zu bringen, als bis der Kutſcher in die Pferde hieb und alles Ernftes 
Miene machte, daven zu fahren. 

Man muß es dem Bahnhof in Cöln nachſagen, daß er aufs 
Zwermäßigfte eingerichtet ift. Die Anfahrten find alle fehr bequem, 
die Räumlichkeiten für Pafiagiere und Güter wohl eingerichtet, und 
das Perfonal fehr zuvorkommend und höflich. Es war, wie ges 
fagt, fchon ziemlich fpät geworden, und um die Kaffe wogte und 
drängte es ganz gewaltig. Man hat bier eine finnreiche Einrichtung 
getroffen, um das heranftrömende Publitum zu vermögen, daß es 
fih von einer Seite zur Kaffe hinbegibt und von der andern Seite 
wieder wegflutet. Sie befteht in einer Barriere, die in eiuem ſpitzen 
Winkel gerade fo nahe vor das Kaffenfenfter gerüdt tft, daß fich 
allenfalls noch ein ziemlich wohlbeleibter Menfch durchdrängen kann. 
Zum Weberfluß für Iemanden, der, obgleich er eine ganze Reihe 
Zeute dort ankommen und bier abgehen fieht, noch im Zweifel fein 
tönnte, ob fie auch den richtigen Weg gewählt, fieht man an jeder 
Seite der Barriere eine große fette Hand gemalt, die ruhig und 
gemeflen jedem Anktommenden den Weg zeigt. Man muß alfo 
Schon fehr verhärtet oder ein ganzer Engländer fein, um troß diefen 
deutlichen Hinweiſungen die Sache verkehrt anzugreifen. Heute 
Morgens aber paffirte ed nicht nur einem Einzelnem dieſes feltenen 
Volkes, fondern als ich in die Barriere trat und ungefähr noch 
der Sehöte bi zum Kafjenfeniter war, lenkte drüben eine ganze 
Familie Engländer nach forgfältigem Umberfchauen und Prüfen in 
den verbotenen Weg ein, und entgegen. Es war ein Engländer 
Bater, eine Engländerin Mutter, und fechs englijche Kinder, alle 
acht fehr pikant blond und äußert mager. Alle Hatten den Mund 
weiter geöffnet, als gerade nöthig war, — ein ſtark auögeprägter 
Familienzug; nur ließen die drei jungen Gentlemen gleich dem 
Bater die Unterlippe herabhangen, während die drei Ladies, analog 
der Mutter, die Oberlippe emporzogen. So fanden wir, zwei 
feindliche Parteien, einander gegenüber, und meine überhöflichen 


* 


222 Eine Reife 


Landdlente, wenn fie bei dem Kaffenfenfter vorbei fich durch die 
wegfperrenden Engländer mit Mühe hindurch zwängten, baten diefe 
freundlihft um Verzeihung. Gerade vor mir in der Barriere ftand 
ein Mann von ganz kolofialem Körperbau. Der Raum war ihm 
eigentlich zu Mein, denn er mußte halb links vorwärts marfchiren, 
um die Barriere nicht auseinander zu drüden. Ich war recht auf 
den Augenblick gefpannt, wo diefer Koloß der englifchen Kamilie 
drüben begegnen würde, weil neben ihnen an ein Ausweichen nicht zu 
denken war. Sept hatte er fein Billet gelddt und fland nun mit 
einer fonderbar lächelnden Miene dem Engländer gegenüber. Diefer 
drängte feinerfeitd auch vorwärts, Madame drängte ihren Herrn 
Gemahl, und die fech8 Kinder im entfehlichiten Gedränge drüdten 
die Mutter vorwärte. Es war ein Kampf auf Leben und Tor. 


Sie dffneten ihre Mäufer weiter und zogen fie frampfhaft. zufam, 


men, wie Fifche auf trodenem Sand. Aber alle Anftrengungen 
waren vergebend. Der dide große Mann ging unaufhaltiam und 
ruhig weiter, wie das Verhängniß, und riß alles Widerftrebens 
ungeachtet die ganze Familie mit fi fort. Der Engländer fluchte 
auf englifch, der dide Mann fchimpfte deutſch dazwiſchen, einige 
Bahnauffeher bemühten fich, die Streitenden zur Ruhe zu bringen, 


der Kaſſier ftredte feinen Mund an die kleine Deffnung und bat 


um Stille, dazwifchen begann die große Glocke zu Täuten und gab 


das Zeichen zur Abfahrt. Alle, mit Ausnahme jener Injulaner, 


hatten ihre Billets und eilten in die Säle, die auf den Bahnhof 
führten. An der Ede fchaute ich mich noch einmal um, und der 
Engländer, dem jept Ein- und Ausgang zu Gebot fland, wählte 
trog der Ermahnung des Kaffierd aufs nene den leptern, um vor- 
zudringen, und ging, als er endlich feine Billets errungen, ruhig 
auf der andern Seite ab. Ich kann ed mir nicht anders erklären, 
als daß der Engländer diefed GegensdensStrom:Schwimmen mit 
allen Seefifchen gemein bat. Es liegt in feiner Natur, er kann 
nicht anders, 








nad Paris. 223 


‚Die Pläpe auf der Eifenbahn find bekanntlich in drei Klaffen 
eingetheilt, erfte, zweite und dritte, oder Diligence, Charabancs 
und Waggons, und faft ohne Unterfchied ift auf allen Bahnen für 
die Bequemlichkeit des zweiten und dritten Plapes fehr ſchlecht ge⸗ 
forgt, obgleich fie, namentlich der zweite, bei Weitem mehr als 
der erite benupt werden. Auf der rheinifchen Bahn find die Dili- 
gencen allerdings recht zierlicd, und elegant eingerichtet. Sig und 
Zehnen find gepolftert, und durch die Eintheilung der Plätze ift 
es möglich geworden, daß jeder Reifende eine Ede bat. Auf der 
zweiten Klaſſe dagegen find die Sige faum mit einem magern 
Polfter verfehen, die Wagen haben feine Scheiben und man fann 
fi) vermittelt eines zwilchenen Vorhanges faum gegen Regen und 
Wind fihügen. Da das Wetter im Verhältniſſe zum Charakter 
des ganzen Sommers gut zu nennen war, fo nahm ich mir einen 
Platz der zweiten Klafje, jepte mich aber anf einen der dritten, 
deren Wagen gänzlich unbededt find und eine freie Ausficht ges 
währen. 

Es war die höchfte Zeit, und kaum hatten wir und niederges 
laſſen, als die Locomotive, das dritte Geläute auf dem Bahnhofe 
mit ihrem eigenthünilich gellenden Pfiff beantwortend, ſich langſam 
in Bewegung ſetzte und davon fuhr. Die erſten Stationen auf 
der Bahn von Cöln nach Aachen bieten nicht viel Intereſſantes 
dar. Das Terrain iſt eben und flach, und kleine Hügel haben 
höchſtens einen zwanzig Fuß tiefen Einſchnitt oder einen ebenſo 
hohen Damm bedingt. 

Die Geſellſchaft unſeres Wagens beſtand theils aus Arbeitern, 
Handwerksleuten, Soldaten, Krämern, meiſtens Leuten, die in 
Geſchäften reisten; theils befanden ſich viele Paſſagiere der erſten 
und zweiten Klaſſe hier, die wie ich einen Blick auf die Gegend 
thun wollten. Mir gegenüber ſaßen ein paar gelehrte Herren aus 
der Schweiz, die fich freuten, an mir Jemanden gefunden zu haben, 
der hier befannt war und fie über Manches aufklären konnte. Wir 


224 Eine Reife 


wurden in furzer Zeit recht befannt mit einander, und da fie 
aud nach Brüfjel und weiter hinaus wollten, fo würden wir und 
wahrfcheinlich zu einer Geſellſchaft vereinigt haben, wenn nicht der 
Dämon der Zwietracht ſchon auf der nächſten Station eine junge 
hübſche Wienerin zwifchen uns gejeßt hätte, die durch ihr freied, 
munteres Benehmen den würdigen Herren ein Aergerniß gab, wel⸗ 
ches fie bis auf mich auszudehnen Urſache zu Haben glaubten. 
Diefe junge Dame, fehr fein und elegant gekleidet, hüpfte, als der 
Wagen bielt, herein, fchaute fich neugierig nach allen Seiten um, 
und kam erft im Augenblide, als der Zug wieder fortging, auf 
eine etwas gewaltfame Art zum Sigen, inden fie durdy dad Prellen 
der Wagen fait umgeworfen wurde und fich wahrfcheinlidh wehe 
gethan hätte, wenn ich fie nicht in meinen Armen aufgefangen. 
Erſtes Aergerniß der beiden Herren, welches fich durch eine nur 
fparfam fortgefeßte Eonverfation fund gab. Defto mehr aber plau- 
derte meine Meine Nachbarin, und bald hatte fie mir Zwed und 
Biel ihrer Reife anvertraut. Sie war kürzlich verheirathet und 
teiöte in Begleitung: ihres Mannes, der aber, häufig au Kopf 
ſchmerzen leidend, ed nicht wagte, ſich der Zugluft auszufegen, und 
deßhalb auf der eriten Klafie geblieben war. Sie zeigte mir oben 
an der Stirn die Stelle, we er zu leiten pflegte, und erzählte, 
daß fie nad) Aachen wollten, um dort die Bäder zu gebrauchen. 
Sp ein Wagen auf der Eifenbahn ift eigentlich recht dazu gemacht, 
um eine heimliche Gonverfation zu führen, denn dad Raſſeln und 
Dröhnen ift fo groß, dab die Nebenfigenden genau Achtung geben | 
müſſen, um von dem Gefpräch etwas zu erlanfchen. 

Hinter und ſaßen ein paar ehrliche Handwerker mit ihren Frauen, 
welche ſich über Die verfchiedenen Unglüdsfälle laut genug unters 
hielten , die auf den Etfenbahnen fchon paffirt feien. Obgleich durd 
Die guten Einrichtungen der Direktion und die Umſicht der Loco⸗ 
motivs und Zugführer in der Art fi nicht viel zugetragen hat, fo 
wurden doch einzelne Vorfälle von den guten Leuten fo ins Ente 





nad) Paris. 225 


feglicdhe gezogen, daß meiner Heinen Nachbarin angit und bang 
wurde. Namentlidy die Gefchichte des armen Mädchens, vor furs 
zem paffirt, die, in einem der offnen Wagen fibend, fich bis zum 
Zunnel mit einer Nachbarin recht freundlich unterhalten hatte, aber 
verfchwunden war, ald der Eonvot aus der jenjeitigen Deffnung 
wieder hervorkam. Man fchiefte natürlich von der nächſten Station 
gleich wieder zurüd und fand die Unglüdlidye in höchſt beklagens— 
werthem Zuftande im Tunnel liegen. Obgleich fie nichts geftand, 
erklärte man fi die Sache auf die natürlichfte Weife, daß fie näm⸗ 
lich and dem Wagen gefprungen fet, um freiwillig ihrem Xeben ein 
Ende zu machen. | 
Meine Heine Nachbarin, die nicht gut begreifen konnte, wie 
ein Menſch feined Lebens fo überdrüffig fein könne, rückte näher an 
mich heran und erfundigte fi) etwas ängftlih, ob es denn nicht 
vielleicht möglich fei, daß das Mädchen fchwindelig geworden oder 
daß der fehr flarke Luftzug etwas zu dem Unglüd beigetragen. 
Sehr naive Fragen, die ich im Angefihte des unterivdifchen Weges 
aus wohl erklärbaren Gründen achjelzudend beantwortete. Sept 
ftieß die Kocomotive einen gellenden Pfiff aus. Das Raſſeln und 
Klappern der Mafchine, die jept in den Eingang des Tunnels 
fuhr, war wirklich betäubend. Meine Beine Nachbarin fuhr aus 
Schreden heftig zufanımen und gegen mich bin, ich fuhr aus Mit- 
gefühl etwas Weniges gegen fie bin, und fo fuhren wir zufammen 
durch den faft eine halbe Stunde langen, gänzlich finftern Tunnel. 
Eine wahre Höllenfahrt, dad Dröhnen, Raſſeln, SKlappern der 
Mafchine, das Kuirfchen der eifernen Räder gegen die Schienen, 
doppelt fürchterlich Durch das Gewölbe, das uns rings einfchließt, 
hiezu der Lärm des Dampfed; der Weg, den wir durchfliegen, fin 
fterer als die dunkelſte Nacht, nur zuweilen erhellt von den rechts 
und links umberfliegenden feurigen Kohlen, die Alles noch fchredlis 
cher machen und bier und da in taufend Funken zerftieben, auf 
wenige Sekunden die erftaunten und Ängftlichen Geſichter beleuch⸗ 
Sadländers Werte. VI. 15 


226 Eine Reife 


tend. Auch ohne Furcht atmet man jenfeits etwas leihter auf, 
beim Eintritt ind rofige Licht. 

Meine Nachbarin hatte, wie fie mir geftand, die Augen fett 
gefchlofien gehabt und alle Heiligen zum Schug angerufen. Doch 
wollte fie gefunden haben, daß der Luftzug nicht fo ſtark fet, als 
fie fi) vorgeftellt. Auch glaubte fie nicht, daß er im Stande wäre, 
ein Mädchen zu entführen. Ihren eleganten weißfeidenen Hut 
hatte er aber dennoch ein wenig auf die Seite gerüdt. Auch auf 
die beiden erwähnten Herren ſchien der Drud der Luft fonderbar ein» 
gewirkt zu haben, denn fie, die früher gegen und gelehrt waren, 
hatten jet plöglich eine ganze Schwenkung gemadt und zeigten 
uns ihre Kehrſeite. 

Unterdeflen fuhren wir raſch vorwärts, erreihten Düren mit 
feinen vielen Dampfmafchinen und mit feinem unausſtehlichen 
Glodenipiel, das alle Biertelftunden, feit den zwanzig Jahren, Die 
ich dieſe Stadt kenne, die Melodie des bekannten Liedes: „Heil 
dir im Siegerkranz“ fpielt, fahen bald darauf Stolberg mit feinen 
Kupferwerten und Galmeigruben, deren große fladernde Feuer ſich 
namentlich Abends fehr gut ausnehmen, und kamen fo in die Ge 
gend von Aachen. Die Eifenbahn hat hier einen ſehr fchönen 
Wald durdfchnitten, der früher in feinem dichten Laubwerk zwei 
malerifch gelegene Burgen des alten Kaiferd Karl verbarg, zu wel⸗ 
hen man nur auf vielfach gewundenem Wege hingelangen konnte. 
Es that mir leid um die fchönen alten Ruinen, Ihre heimliche 
Zage iſt verfhwunden, der Damm der Bahn führt haushoch neben 
ihnen vorbei und ftellt fie neben fi und der Eolofjalen Brüde über 
das Wurmtbal, das bier beginnt, den Blicken recht kalt und pros 
fatfch blos. 

. Jetzt find wir in Aachen, haben zur Rechten die alte Kaiſer⸗ 

ftadt mit dem Dome Karld des Großen, rings von freundlichen 
Bergen umgeben, unter denen der fogenannte Lußberg body empor⸗ 
ragt. Links liegt das kleine Burtſcheid mit ſeiner ſtattlichen Abtei 


— 


nad Bari. 297 


und den fteilen engen Straßen. — Arabien mein Heimathland ! 

Der Zug hält hier eine halbe Stunde an, und alle Pafjagiere 
verlafien die Wagen, um fih durch einige freie Bewegungen von 
dem heftigen Zufammenrüden zu erholen. Meine Heine Nachbarin 
fucchte ihren Mann auf, mit dem fie gleich darauf zurüdtam und 
und gegenfeitig vorftellte ine unglüdliche vertrodnete Seftalt, 
der Herr Gemahl, und ganz dad Gegentheil feiner Begleiterin. 
Er hatte, obgleich es noch uicht falt war, drei Röcke über einander 
an, wenn ich nicht irre, eine ungeheure Halsbinde à 1l’Anglaise 
bededte ihm Kinn und Mund, und unter dem Hute biidte eine 
fchwarzfeidene Mütze hervor, die er ald Mittel gegen das Kopfweh 
trug. Die junge Dame, der ich von den Schönheiten der nun 
folgenden Bahn feine ſchlechten Schilderungen gemacht, fah mit 
Sehnfuht nad Welten, wo ſich der Schienenweg den Berg binan 
309, und machte einige leiſe fchüchterne Verſuche, den Herın Ges 
mahl zum Weiterfahren zu bewegen. 

„Lieber Fritz,“ ſprach fie, mit der vollen Kraft ihrer einfchmeis 
chenden Stimme, „wir wollten ja ohnehin nad Brüffel. Wenn 
Ihnen nun dad Fahren Erleichterung verfchafft, fo wäre ed am 
Ende befjer, wir fegen heute unfere Fahrt bei dem guten Wetter 
fort.” Obgleich ich der jungen Frau, aber natürlich in dem gleich 
gültigften Zone half, fo warf ich Doc einige nicht fchlechtklingende 
Phraſen dazwiichen, und am Ende fagte der Gemahl Ja und ging 
hinweg, um Karten bis Brüfjel zu holen. Als er zurüdtam, vers 
ſprach er obendrein, er wolle einen Berfuh machen, bei und auf 
dem offenen Wagen zu fahren, was von der hübſchen Wienerin 
mit großer Freude aufgenommen wurde. 

Während dieſer Zeit gingen Die gelehrten Herren um uns 
herum, wie brüflende Löwen, und wandten ihr Gefiht weg, wenn 
fie in meine Nähe kamen. Auch fah ich Hier die ganze Heerde 
manlauffperrender Engländer wieder, die fih in allen Eden des 


228 Eine Reife 


Bahnhofes umbertrieben, an der Spitze Bater und Mutter, denen 
die Kinder alle Bewegungen, alle Ausrufe des Erftaunend oder der 
Mißbilligung auf das Genauefte nachmachten. Jetzt ertönte die 
Glocke wieder und Alles ftrönte in die Wagen, um einen guten 
Plap zu bekommen, unter dem bier das Umgekehrte wie bei ge- 
wöhnlichen Fuhrwerken zu verftehen tft, indem die Rüdfibe des 
Zuftzugd wegen fehr geſucht find. Hier beginnt mit einer fehr 
ftarfen Steigung, von einer ftehenden Maſchine gezogen, die Fahrt 
nach Verviers und Lüttich, die jeden Schritt Terrainhindernijje zu 
überwinden bat und deßhalb vielleicht zu den merkwürdigſten Eifen- 
bahnen der ganzen Welt gehört. 

Ein galvanifcher Telegraph gibt der zwei Stunden von Aachen 
anf der Höhe ftehenden Mafchine ein Zeichen, daß Alles bereit fei, 
worauf fie fih in Bewegung feßt. Im Vergleich zu der fehr ftarfen 
Steigung geht es rafch genug hinauf. Oben wartet die Locomo⸗ 
tive, die von bier bis Herbeöthal ihre ganze Kraft gebrauchen muß⸗ 
da die Bahn beftändig im Verhältniß von ı bid 120 aufiteigt. 

Es iſt nicht meine Abficht, alle Einzelnheiten der ſchönen rhei⸗ 
nifchebelgifhen Bahn genau und ausführlich, wie es ſchon oft ge 
ſchah, zu befchreiben. Nur freute es mich, daß felbit mein kranker 
Wiener verficherte, ed gerene ihn nicht, die Tour zu machen, und 
daß feine liebenswürdige Frau ganz außer fih war. Bald ſtand 
fie auf, um fo die Sache beſſer überfehen zu können, bald wandte 
fie fih um, und lachte, wenn der Kohlenſtaub der Mafchine fie 
augenblidlich nöthigte, die Augen zu fchliegen. 

Gleich auf der Höhe hinter Aachen windet fi) die Bahn durch 
tiefen Sand fort, und man verläßt nur bie untertrdifchen Wege, 
um auf hohen Brücken über tiefe Thäler zu fliegen. Dabei ift die 
Gegend fehr ſchön — ein dichter Wald, der fogenannte aachener 
Bufch, mit Heinen, aber fehr tiefen Thälern, aus denen bier und 
da freundliche Häufer hervorbliden — vorbei, vorbei! Kaum fieht 
man einen bemertenswertben Punkt vor fih, fo hat man ihn er 


“ 








nad Paris. 229. 


reicht und läßt ihn gleich darauf weit hinter fih. Sept pfeift die 
Mafchine auf's neue, und wenn man aus dem Wagen fpäht, um 
das Stationshaus oder einen Tunnel zu erbliden, dem das Signal 
gelten könnte, wird man überrafcht, ich möchte fagen, erfchredt, 
da man bemerkt, wie der Zug auf ein fehr breites und tiefes Thal 
lo8rast, und man feine Idee hat, wie da hinüber zu kommen. 
Test biegt fih die Bahn etwas, und man fieht durch das Thal 
lang hingeſtreckt ein wahrhaft riefenhaftiges Werk, eine ungeheure 
Brüde, die von einer Höhe zur andern führt. Die Bogen find 
doppelt über einander gefeßt, und die Höhe der mittleren beträgt 
an 220 Zuß. Dies Werk ift, was elegante Bauart anbetrifft, nur 
mit den fchöuften der altrönifchen Wafierleitungen zu ‚vergleichen, 
vielleicht mit der des prachtliebenden Juſtinian bei Konftantinopel. 
Es tft die befaunte und berühmte Brüde über das Geulthal, 

Bei Herbesthal an der preußifchsbelgifchen Gränze, durch eine 
große eiferne Brüde repräfentirt, welche dieſſeits den preußifchen 
Adler, jenfeits den beigifchen Löwen führen wird, mußten wir eine 
Zeit lang warten, theild der Mauth halber, theils um einen Eifen- 
Convoi zu erwarten, der von Xüttich bier angezeigt war. 

Bald darauf fegten wir und wieder in Bewegung, begleitet und 
beauffichtigt von einer Menge belgifcher Zollbeamten, die hoch auf 
den Wagen thronten, um zu überwachen, daß nicht ein vorwitziger 
Paſſagier unvifitirt den Zug verließe. Obgleich an diefen Grenzen 
alles Mögliche gethan ift, um den Verkehr zu erleichtern, und das 
Bifitiren felbft ohne fonderliche Strenge vor fi) gebt, fo hat man 
fih doch 3. B. fehr im Acht zu nehmen, daß man nicht ein Meines 
Pädchen, einen Nachtjad oder dergleichen bei fih im Wagen Hält, 
indem man es den Blicken der nachſuchenden Offizianten zu ent 
ziehen ſucht. Ein folches würde nämlich in Verviers fortgenommen 
uud ohne Gnade plombirt nach Aachen zurüdgefchickt werden. Meine 
Nachbarin führte eine Heine zierlich gearbeitete Reiſetaſche bei fich, 
in welcher fie allerlei überflüffige Gegenftände hatte, Die ihr ab-“ 


230 Eine Reife 


fehr nothwendig erfchienen, als Flacons, einige Bücher, verfchiedene 
Schadteln mit Magenpaftillen u. dgl. m. Doch war ihre Furcht 
und Gewiiienhaftigkeit fo groß, daß fie dem Mauthoffizianten bie 
ganze Geſchichte einhändigen wollte, der fie aber lachend zurüchwies. 
Ueberhaupt kann ich nicht umbin, ſowohl den preußifchen ald den 
beigifhen Douanen das Zeugniß zu geben, daß fie fih bei ihrem 
delicaten Geſchäft mit äußerfter Schonung und Artigkeit benchmen. 

Bon Dolhain, das neben dem hoben Damme der Bahn tief 
im Grunde liegt, und wieder hoch von der Veſte Limburg überragt 
wird, fällt die Bahn noch ftärker, als fie von Aachen nad) Herbes⸗ 
thal flieg. Die Locomotive arbeitet bier gar nicht, fondern der Zug 
fäuft von felbit hinab, forgfältig überwacht von den Mafchinijten 
und Gonductenren, von denen fich jeder bei feinem Pollen an 
Bremfe und Hemmmafcine befindet. Auch iſt dieſe Vorſicht hier 
nicht unnöthig. Der Weg geht an einem felfigen Thalgeländer 
vorbei, und da oft große Steinmafjen es gänzlich unmöglich ge 
macht haben, die Bahn geradeaus zu führen, fo bildet fie zuweilen 
ſtarke Krümmungen. Bei abſchüſſigen Stellen und- ſtarken Biegun- 
gen hat man die inwendige Schiene einige Zoll tiefer gelegt, wo» 
durh die Wagen etwas chief zu ftehen kommen. Obendrein bat 
man auch noch zwifchen den Geleifen eine dritte höhere Schiene 
angelegt, und durch diefe Borfichtsmaßregel tft an folchen gefähr- 
lichen Stellen das Ausfpringen des Zuges gänzlich unmöglich 
gemacht. 

Bald fahen wir Bervierd vor und; eine fehr gewerbfleißige 
Stadt, Liegt fie in einem ſchönen Thale, zwiihen großen Gärten 
und Parkanlagen der reichen Fabrikherren verftedt. Der Schienen 
weg läuft längs einem ziemlich Iebhaften Theile Verviers vorbet, 
um auf die andere Sette zu dem Bahnhofe zu gelangen. Ste 
ſchneidet bier die fhönften Gartenanlagen zuweilen mitten entzwei, 
und die reichen Eigenthümer haben ihr Beſitzthum durch Tolofjale 
Drüden, die fie über die Bahn hinwegführten, nothbürftig wieder 


nach Paris, 931 


zufammengeflidi. Hier in Verviers wird alles Paflfagiergut, das 
am Platze bleibt oder weiter ins Belgifche geht, vifitirt, zu wels 
chem Ende daB ganze Gepäck in einen großen Saal gefchleppt wird, 
wo man e8 auf Tifche legt, die dort im Quadrat aufgeftellt find. 
Ich hätte mir Diefe Eeremonte noch gefallen lafien, wenn man einzeln 
oder wagenweife dort bineingeführt worden wäre, aber wir mußten 
alle auf einmal in den Saal, wurden mit den freundlichiten Mienen 
und Tieblihften Worten angelodt, und kaum war man darin, fo 
war man gefangen und wurde nicht wieder hinausgelafien. 

Da unfer Eonvot fehr ſtark war, fo herrfchte in dem Saale 
ein wahrhaft betäubendes Gewühl und Spektakel. Da wurde ges 
drängt, geftoßen, gerufen, geweint, geflucht, gebeten, gelacht, Alles 
in mehreren Sprachen; doc war deutfch und franzöfiich vorherr- 
hend. Eine unglüdtihe, fehr dicke und ältliche Dame arbeitete 
ſich wie rafend durch das Gedränge und fuchte nach einer Hauben- 
Ihachtel, die ihr abhanden gefommen. Wo fie ein Gepädftüd 
erblicdte, das mit dem verlorenen irgend eine Aechnlichkeit hatte, 
ftürzte fie furienartig darauf bin, und ed begann dann nicht felten 
ein Kampf auf Leben und Tod. So mit der manlauffperrenden 
englifchen Familie. Die beiden jüngften Sprößlinge derfelben waren 
vom Papa in eine Ede poftirt worden, wo ihr ganzes Gepäck beis 
fammen lag. Unglücklicherweiſe hatte fih die Haubenfchachtel der 
dicken Dame hinter zwei riefigen Koffern der englifchen Familie ver- 
frochen, Aber was bleibt dem ängſtlich fuchenden Blid einer Mutter 
verborgen? Bald hatte fie ihren verlorenen LXiebling entdedt, und 
die beiden jungen Engländer bei Seite ſchiebend, wollte fie fid 
ihrer Schachtel bemächtigen. Doc Albtond Jugend wich nicht 
vom Plage, und der Xeltere behauptete: dies Stüd gehöre feinem 
Papa. Unglüdliche alte Dame! Bergebens war ihr Bemühen, zu 
der Schachtel zu dringen; die beiden riefigen Koffern dienten den 
Infulanern als Bollwerk, und fie gaben die Schachtel nicht heraus, 
denn fie behaupteten, es fet ein Stiefeltoffer der Mama, Anfänge 


232 Eine Reife 


lich erftarrte die dDide Dame bei diefer frevelhaften Aeußerung, und 
die Arme fanfen ihr matt herab, Dann aber made fie mit ver: 
doppelter Wuth einen neuen Angriff, wälzte fich über einen der 
Koffer bin, riß mit augenbfidlicher Gefchwindigkeit von der Schachtel 
den Dedel ab und zog eine ungeheure Haube hervor mit hand, 
breiten Kanten und fenerrotbem Bande, und darauf begann fie dies 
Beweisſtück den jungen Engländern fo kräftig wie möglich um bie 
Köpfe zu fhlagen. Diefe ließen überrafcht- ihre Unterlippen noch 
wetter herabhängen als fonft, und die dide Frau entfernte ſich 
triumphirend mit ihrem wiedereroberten Schatz. Man muß aber ja 
nicht glauben, daß diefe Scene große Aufmerkſamkeit erregt hätte. 
Es wurden deren an allen Erden ded Saaled mehr oder minder 
ftarfe gefpielt. „Nehmen Sie fi nur in Acht,” ſchrie eine Stimme, 
„Sie werfen mir ja Ihren Koffer auf meinen Nachtſack?“ — „Hören 
Ste, mein Herr,” ſchrie eine andere, „ich finde e8 durchaus nidt 
gentil, fih fo vorzudrängen.“ — „Herr Controleur, ich bitte Sie, 
einen Augenblick!“ — „Mir fehlt mein Nachtſack!“ jammerte ein 
Anderer dazwiſchen. — „DO, er wird fih finden!“ — „Ich ver⸗ 
fihere Sie, nein, er fehlt, er ift grün, roth und weiß, mit einem 
meffingenen Schloß. Ic kenne ihn unter Taufenden heraus.” So 
ging e8 in dem Saale fort. Das war ein entjepliches Durchein- 
ander von Efferten, Menfchen und Stimmen. Dazwiſchen raſſelten 
die Schlüfjel und dröhnten die ſchweren Koffer, wenn fie mit voller 
Kraft zugefchlagen wurden. Damen öffneten ihre Ricchfläfchchen 
und auf allen Gefichtern malte ſich eine gewiſſe Angft; kam es von 
der flürmifchen Menfchenmenge her, oder erblaßte manch hübfches 

Geficht, wenn e8 fah, mit welcher Fertigkeit die Beanten ein vers 
borgened Zach im Koffer aufzufinden wußten ? 

.. 3 fand in einer Ede an der Thüre und befchügte meine 
kleine Wienerin aus allen Kräften gegen die floßende und heran- 
drängende Volksmenge. Ich deckte fie fo viel wia möglich mit mei» 
nem Körper und brauchte meine Ellbogen auf das Kräftigfte, um 














nah Paris, 233 


einiger Maßen Plap zu machen. Doc vergebend. Unſer Plag 
an der Thüre war einer von den fchlechteften. Der Herr Gemahl 
hatte fich entfernt, um nad feinen Koffern zu fehen, und wenn wir 
auch vor wenigen Augenbliden feine ſchwarzſeidene Mütze hier und 
da auftauchen fahen, fo war er doch jeßt im Gedränge verfchwuns 
den, und id konnte ihn nirgends mehr entdeden. Seine großen 
Koffer fanden noch unangerährt auf dem Tifche, und einer der 
Beamten Mopfte zuweilen laut mit der Hand daran, um den Eigen⸗ 
thümer herbei zu loden, da nicht viel Zeit mehr übrig war. Meine 
Begleiterin fuchte in fteigender Angft mit den Augen ihren Gefähr- 
ten und wurde blaß und immer bläffer. Sie hielt fich frampfhaft 
an meinem Arm und zitterte heftig. Auch mir war es unbegreif—⸗ 
lich, wo ihr Mann mochte bingerathen fein, Plöglich fehaue ich 
durch die Slasthür neben mir und fehe ihn von den, Wagen fom- 
men, ein kleines Padet in der Hand, das er wahrfceinlich vergefs 
fen Hatte. Das Gedränge um und wurde immer heftiger. Alles 
ftrömte vorbei, um den andern Ausgang zu gewinnen. Troß 
dem, daß ich meine Nachbarin fo gut wie möglich beſchützte, konnte 
ich doch nicht verhindern, daß ein fchwerer Koffer, der bei und vor- 
beigefchleppt wurde, fie etwas unfanft berührte. Sie zudte zuſam⸗ 
men, fhloß die Augen und fiel ohumädtig in meinen Arm. Da 
befand ich mich denn in einer ganz verfludhten Stellung. Draußen 
der Gemahl an der Glasthär, den die Beamten als ihrem Regle- 
ment zuwider dort nicht hereinlafien wollten. „Deffnen Sie doch!“ 
fchrie der unglüdlihe Mann, und dabei blidte er mich an, als er 
fah, Daß feine Frau mit gefchlofjenen Augen in meinen Armen 
lag. „Deffnen Sie doch!“ Was follte th um Gotteswillen an⸗ 
fangen? der Beamte, der innerhalb ftand, und der, wenn von der 
Ihür die Rede gewefen wäre, Doch wohl felbft am beften hätte öff- 
nen können, wandte fich beim Anblick meiner ohnmäcdhtigen Gefähr- 
tin zu mir hin, indem er mir fagte: „Ia, mein Herr, Öffnen Sie, 
es ift beſſer!“ Und mir flammte in diefem Augenblif ein unge 


234 Eine Retfe 


Heures Licht anf. Doc wie follte ich Aermiter öffnen, da ich ge 
nug zu thun hatte, um die unglüdliche Wienerin feitzubalten. 
Alles ftrömte unerbittlich bei mir vorbei. Da gewahrte ich zum 
Glück jene dide Dame, deren pfiffig lächelndes, freudeſtrahlendes 
Geſicht verfündete, daß fie irgend eine unbedeutende Kleinigkeit 
glüdlich eingefchmuggelt habe. 

„Madame,“ rief ih ihr zu, indem ich fie beim Koftbarften, 
was fie befaß, bet ihrer Haubenfchachtel, fefthielt, „ftehen Ste mir 
einen Augenblid bei.” 

„Deffnen Ste,” ſchrie der Gemahl draußen. — „Oeffnen Sie,“ 
fagte der Beamte. — Und ich fepte mit halb abgewandtem Geſicht 
hinzu: „Ja, Madame, Öffnen Sie.” 

Eine zierlich gearbeitete Broſche war von der funftfertigen 
Hand der alten mitleidigen Dame alsbald befeitigt; im felben 
Augenblid verfchwand der Gemahl an der verfchloftenen Glasthür, 
um auf der andern Seite den Eingang zu gewinnen. Meine arme 
Heine Ohnmächtige athmete tief auf und wollte noch immer nidt 
die Augen öffnen, obgleih an ihrem fchwarzfeidenen Oberrod ſchon 
drei Schleifen geöffnet waren. Dem Himmel Dank, daß in diejem 
Augenblid der beftürzte Wiener herbeikam und ich ihm feine Frau 
überliefern konnte, bevor die unermüdlich dicke Dame in ihrem Ents 
hülluugs⸗Geſchäft weiter fortfchritt. Ich wollte die Götter nicht 
ferner verfuchen, und eilte zu meinem Koffer, denn es war in jeder 
Hinſicht die höchſte Zett. 

Als guter Staatsbürger führte ich natürlich nichts Manthbar 
sed bei mir, und wurde in wenig Augenbliden erlöst. Man machte 


auf meinen Koffer, wie auf alle übrigen, einen Kreideftrich, und fo 


bezeichnet, durfte ich mit meinen Sachen die Ausgangsthür paffiren, 
Bald ſaßen wir wieder im offenen Wagen beifammen, der Wiener 
nämlich, die Wienerin und ih, Die beiden gelehrten Herren da 


gegen hatten einen andern Waggon beftiegen: fie flohen meine 


Nähe! England war in einem Eharabanc, und auch die dicke freund 


nah Paris. 235 


liche Dame befand fich in demfelben Waggon, nur in einer andern 
Ede. Hier in Vewiers fing man fhon an, Zeitungen und Bros 
ſchüren Öffentlich auszubieten, wie e8 in Belgien und Frankreich in 
den Theatern Mode ift. Auch Tief ein Menfch in einer weißen Blouſe 
den Zug auf und ab, feine Beinkleider hatte er auf das Solidefte 
unten mit Xeder beſetzt. Er redete jeden Wagen ungefähr an, wie 
folgt: „Meine Herren und Damen, viele von Ihnen werden Parid 
fehen wollen, die Hanptftadt Frankreichs und Europas, den Mittels 
punft der ganzen Welt! Ich erlaube mir, Ihnen eine Karte zu 
überreichen, eine Karte der uneigennügigften und folideften Gefells 
Thaft, die je von Brüffel nah Paris gefahren. Nehmen. Sie, 
meine Herren, nehmen Sie! Mittags und Abends! In zwei und 
zwanzig Stunden! eher früher als fpäter, die beften und bequems 
ften Wagen.” Auf diefe Art fchrie der Kerl in Einem fort, wähs 
rend er bald rechts, bald, links bei uns vorbei lief, Obgleich ich 
im Ganzen dergleichen Anpreifungen haſſe, und mich wie bei Pris 
vatskotterien und allen dergleichen Gefchichten nicht gern darauf 
einlaffe, fo kam ich doch hier zu einer Karte und wußte nicht, wie. 
Sch hatte wohl, aber fehr entfernt, daran gedacht, Paris zu fehen, 
und wandte mich bei dem Anruf des Menfchen etwas herum. In 
demfelben Augenblid {hob er mir auch fchon eine Karte zwifchen 
die Finger und verficherte mir nochmals, es fei die. befte Gefell- 
ſchaft. Jetzt z0g die Locomotive Sangfam an, und ich hörte durch 
das Geräuſch des Dampfes nur einzelne Säße, die er ftärfer bes 
tonte, „Ganz bequeme Wagen — in zwei und zwanzig Stunden 
präcis!“ Sch ftedte die Karte zu mir und konnte nicht begreifen, 
wie ein Menſch fih zu einem folhen Commiſſions-Geſchäfte her 
gab, das doch gewiß nichts einbrachte. 

War ſchon von Aachen nach Vervierd die Gegend reizend und 
intereffant gewefen, fo fonnte man in der That nichts Anmuthiges 
red ſehen, als die Thäler, durch welche wir nun dahin flogen. 
Die Bahn, welche fich fo recht eigenfinnig auf dem geradeften Weg 


236 Eine Reife 


über Thal und Berg einen Durchgang erzwang, dedte fo viele 
beimlihe Schönheiten auf, die fich bis dahin fern von der ſtaubi— 
gen Landitrage verborgen hatten. Bald kamen Meine freundliche 
Dörfer, deren Hänfer um ein ungeheures Fabrikgebdude mit rau⸗ 
hendem Scornftein gruppirt waren, gerade wie fih in alter Zeit 
die Landbewohner um Thurm und Warte eines alten Ritterfchloi- 
ſes fchaarten, nur in anderm Sinne: hier juchten fie Schuß, dert 
fanden fie Nahrung. 

Nah der Scene im Mauthhauſe hatte ich mit meiner Rachba- 
rig noch fein Wort gewecfelt. Der Herr Gemahl ſchaute etwas 
verdrießlich drein und behauptete, fein Kopfiveh plage ihn mehr als 
vorhin. Die Dame jchaute zum Wagen hinaus und hatte mir 
noch feinen einzigen Blick geſchenkt. Ic wußte aber auch wahr- 
baftig nicht, wie ich das Geſpräch wieder beginnen follte — von 
der Gegend und dem Wetter, das war zu gejucht, ich wollte unbe 
fangen erfcheinen. Die Wienerin hatte ihren Shawl etwas zurüd- 
geworfen und ih konnte fein Auge von der verfluchten dritten 
Sthleife verwenden. Ueberhaupt war mir das ganze Schleifenfus 
ftem etwas Neues, doch hielt ich in Gedanken der ganzen Mode 
der Meberröde eine Beine Xobrede, malte mir Die hohe Nüplichkeit 
und Brauchbarkfeit diefes Kleidungsftüdes fo Tebhaft aus, daß meine 
Phantafie nun plöglich Worte befam und ich, vielleicht ein wenig 
unpafjend, meiner hübfchen Nachbarin verficherte, gegen ein gewöhn- 
liches Kleid, habe ein Meberrod für mic etwas ungemein Reizen⸗ 
des, ja’ Poetifches. Sie wandte den Kopf herum und fah mid 
mit einem feltfamen Blid an. Anfänglich war diefer Bli etwas 
ernft, Doch fpielte er ins Freundliche, und plöglich brach fie in ein 
lautes Lachen aus, wobei fie auf eine Schaar junger Fohlen zeigte, 
die neben der Bahn auf einer Wiefe ihre poffirlihen Sprünge 
machten. Wenn th nur hätte heraus bringen können, wem das 
Gelächter gegolten, den Fohlen oder der dritten Schleife! Dod 
war ih ſchon zufrieden, daß ihre ernfle Laune gewichen war und 





nah Paris, 237 


fie mit mir über die Iufligften Dinge lachte und ſprach. Obgleich 
mir einer der Conducteure verficherte, Die Wagenzüge von Verviers 
nah Lüttich würden der vielen Brüden, Tunnels, Krümmungen 
wegen nur fehr langfam geführt, fo Fonnte ich doch das gar nicht 
finden, fondern wir waren im Umſehen in leßterer Stadt. Das 
Aus- und Einpaden der Paſſagiere dauert bier eine kleine halbe 
Etunde; dann geht dert Eonvoi, von einer ftehenden Mafchine ge⸗ 
zogen, ziemlich fteil den Berg hinauf, nach Ans, wo die fchüne 
malerifche Gegend aufhört und man auf einer ungeheuren Ebene 
Dahin fliegt. Wenn auch alles Land rechts und links aufd Herr- 
Lichte angebaut ift und einem üppigen Garten gleicht, fo ermüden 
doch die unabjehbaren Flächen das Auge, und man kann in Ver⸗ 
fuchung kommen, die ungeheure Schnelligkeit, mit welcher der Zug 
- dahin fährt, noch langfam zu finden. Wir verließen die Waggons, 
und mein guter Wiener mit feiner ſchönen Frau nahm feinen Platz 
in der Diligence wieder ein, Da ich den meinigen in einem Eha- 
rabanc genommen, fo hätte ich fie derlafien müffen, doch waren 
diefe zweiten Pläße fo entfeglih überfüllt, daß ich blos aus dem 
Grunde mein Billet zur erften Wagenclajje umtaufchte. Und fo 
faßen wir wieder beifammen im traulichen Verein. Auch die dide 
Dame hatte fi) zu und gefunden. — Doc die gelehrten Herren 
ſah man niemald wieder! So kamen wir nach Tirlemont, wo 
ſelbſt noch ald ſchwache Erinnerung an die Berge ein kleiner Tun⸗ 
nel zu paffirem ift, erreichten bald LZömwen, dann Mecheln, das Ei⸗ 
fenbahnherz Belgiens, wo alle Linien ihren Zufammenfluß haben 
und Alles aus⸗ und etuftrömt. 

Hier dauerte das Ein» und Ausfleigen eine ziemliche Zeit. Bon 
bier aus werden Wagen gewechfelt, und man muß fich genau in 
Acht nehmen, daß man auf dem richtigen Zug gelangt, denn es 
gehen zuweilen zu gleicher Zeit hier Züge nad) Aachen, Antwerpen, 
Brüffel und Oftende ab. Im der letzten Zeit hatten wir in unferer 
Diligence große Berathungen über Die Wahl des Gafthofes angeftellt, 


236 Eine Reife 


über Thal und Berg einen Durchgang erzwang, dedte fo viele 
heimliche Schönheiten auf, die fich bis dahin fern von der ſtaubi⸗ 
gen Landſtraße verborgen hatten. Bald kamen fleine freundliche 
Dörfer, deren Häufer um ein ungeheured Fabrikgebaͤude mit rau- 
hendem Schornſtein gruppirt waren, gerade wie fih in alter Zeit 
die Randbewohner un Thurm und Warte eines alten Nitterfchloi- 
ſes fchaarten, nur in anderm Sinne: hier ſuchten fie Schuß, dort 
fanden fie Nahrung. 

Nach der Scene im Mautbhanfe hatte ich mit meiner Nachba⸗ 
rig noch fein Wort gewechjelt. Der Herr Gemahl ſchaute etwas 
verdrießlich drein und behauptete, fein Kopfweh plage ihn mehr als 
vorhin. Die Dame fchaute zum Wagen hinaus und hatte mir 
noch feinen einzigen Blick geſchenkt. Ic wußte aber auch wahr: 
baftig nicht, wie ich das Geſpräch wieder beginnen follte — von 
der Gegend und dem Wetter, dad war zu gefucht, ich wollte unbe 
fangen erfcheinen. Die Wienerin hatte ihren Shawl etwas zurüd 
geworfen und ich konnte Fein Auge von der verfluchten dritten 
Schleife verwenden. Ueberhaupt war mir das ganze Schleifenfy: 
ftem etwas Neues, doch hielt ih in Gedanfen der ganzen Mode 
der Ueberröcke eine Kleine Lobrede, malte mir die hohe Nützlichkeit 
und Brauchbarkeit diefes Kleidungsftüres fo lebhaft aus, daß meine 
Phantafle nun plöglich Worte befam und ich, vielleicht ein wenig 
unpafjend, meiner hübfchen Nachbarin verficherte, gegen ein gewöhn- 
liches Kleid, habe ein Ueberrod für mich etwas ungemein Reizen⸗ 
des, ja’ Poetifchese. Sie wandte den Kopf herum und fah mid 
mit einem feltfamen Blid an. Anfingli war diefer Blick etwas 
ernit, doch fpielte er ins Freundliche, und plöglich brach fie in ein 
lauted Lachen ans, wobei fie auf eine Schaar junger Fohlen zeigte, 
die neben der Bahn auf einer Wiefe ihre poffirlihen Sprünge 
machten. Wenn ih nur hätte heraus bringen können, wem dad 
Gelächter gegolten, den Fohlen oder der dritten Schleife! Doch 
war ih ſchon zufrieden, daß ihre ernfle Laune gewichen war und 

















nach Paris, 237 


fie mit mir über die Iuftigften Dinge lachte und ſprach. Obgleich 
mir einer der Conducteure verficherte, Die Wagenzüge von Verviers 
nah Lüttich würden der vielen Brüden, Zunneld, Krümmungen 
wegen nur fehr langfam geführt, fo Tonnte ich doch das gar nicht 
finden, fondern wir waren im Umfehen in legterer Stadt. Das 
Aus- und Einpaden der Pajlagiere dauert bier eine Beine halbe 
Etunde; dann geht der Eonvoi, von einer ftehenden Mafchine ges 
zogen, ziemlich fteil den Berg hinauf, nach Ans, wo die fchöne 
maderifche Gegend aufhört und man auf einer ungeheuren (Ebene 
dabin fliegt. Wenn auch alles Land rechts und links aufs Herrs 
fichfte angebaut ift und einem üppigen Garten gleicht, fo ermüden 
Doch die unabfehbaren Flächen das Auge, und man kann in Per: 
fuchung fommen, die ungeheure Schnelligkeit, mit welcher der Zug 
dahin fährt, noch langſam zu finden. Wir verließen die Waggons, 
und mein guter Wiener mit feiner Tchönen Frau nahm feinen Platz 
in der Diltgence wieder ein. Da ich den meinigen in einem Cha⸗ 
rabanc genommen, fo hätte ich fie verlafien müſſen, doch waren 
diefe zweiten Pläße fo entfeglich überfüllt, daß ich blos aus dem 
Grunde mein Billet zur erften Wagenclajje umtaufchte. Und fo 
faßen wir wieder beifammen im traulichen Berein. Auch die dicke 
Dame hatte ſich zu und gefunden. — Doch die gelehrten Herren 
fab man niemald wieder! So famen wir nad Tirlemont, wo⸗ 
ſelbſt noch als ſchwache Erinnerung an die Berge ein Heiner Tun⸗ 
nel au paffiren tft, erreichten bald Löwen, dann Mecheln, das Eis 
fenbahnherz Belgiens, wo alle Linien ihren Zufammenfluß haben 
und Alles auds und einftrömt. 
Hier dauerte das Eins und Ausfteigen eine ziemliche Zeit. Bon 
bier and werden Wagen gewechfelt, und man muß fih genau in 
Acht nehmen, Daß man auf den richtigen Zug gelangt, denn es 
gehen zumeilen zu gleicher Zeit hier Züge nad Aachen, Antwerpen, 
Brüjjel und Oftende ab. Im der lebten Zeit hatten wir in unferer 
Diligence große Berathungen über die Wahl des Gaſthofes angeftellt, 


938 Eine Reife 


den wir in Brüſſel gemeinfchaftlich beziehen wollten. Die Heine 
Frau meinte: Wir find unfer drei, wir können Morgens audgehen, 
um zufammen zu frühftüden, können ohne zu große Koften einen 
eigenen Wagen nehmen, kurz, leben ganz en famille. Der alte 
Herr, der mich liebgewonnen zu haben fchien, indem er mich für 
einen ſehr praftifhen Menfchen hielt, da ich nämlich zufällig in 
Zirlemont die Flucht feines Nachtſackes verhütet, willigte ebenfalls 
in dieſes Zufammenleben, und ich ſtraubte mich wahrhaftig nicht 
dagegen. 

In Mecheln ſtiegen die Beiden einen Augenblick aus, und ich 
unterließ nicht, ihnen nochmals die größte Vorſicht anzuempfehlen, 
damit ſie den richtigen Wagenzug nicht verfehlten. Indeſſen nahm 
das Getümmel auf dem Bahnhofe zu, es war hier eine wahre Ueber⸗ 
ſchwemmung von Paſſagieren, Koffern und Mantelſäcken, Alles 
drängte und wogte durcheinander. Die Locomotiven fuhren ziſchend 
auf und ab, es begann die große Glocke zu läuten, und Alles eilte 
ſeinen Plätzen zu. „Nach Brüſſel!“ ſchrie der Conducteur, der auf 
unſerm Wagenſchlage ſtand; ich wiederholte eben ſo laut: nach 
Brüſſel, und ſpähte dabei ängſtlich um mich her, ohne von den 
Beiden auch nur das Geringſte zu entdecken. Der Menſchenknäul 
auf dem Bahnhofe war aber auch gar zu groß, und die lebendige 
Strömung aus den Warteſälen wollte gar nicht aufhören. Sept 
biafen die Eonducteure des antwerpener Zugs, der zuerft fortging, 
und die Locomotive fährt dicht bet unfern Wagen vorüber. Hinter 
der Locomotive kommt der Tender, dann einige Padwagen, und die 
Gefchwindigkeit des Fahrens nimmt zu. Nun folgen einige offene 
Wagen, jebt die Diligence, und in einer derfelben fehe ich zu meinem 
größten Schreden meine hübſche Wienerin mit ihrem Gemahl fipen, 
die luſtig nach Antwerpen fteuerten. Ich Ichne mich zum Wagens 
fhlage hinaus und ſchreie fo laut wie möglich: „Aber um Gottes 
willen! wo wollen Ste hin?" — „Nad Brüſſel,“ antwortete die 
Dame und fepte mit einem fonderbaren Blick Hinzu: „Warum haben 


nach Paris. | 239 


Sie Ihre Reiferoute geändert?" — Heilige Gerechtigkeit, das war 
zu hart beftraft! Ic flürze an den Wagenfchlag, welchen der Con⸗ 
ducteur eben abgefchloffen. „Wohin, mein Herr?“ ruft mir dieſer zu, 
als ich verfuchte, das Schloß zu Öffnen. — „Nach Brüffel,“ ſchreie 
ich ihm entgegen. — „Sie find auf dem rechten Zuge.” — „Nein, 
nein,” entgegnete ich, ich muß nach Antwerpen.” — „3a fo,“ ants 
wortete er mir eben fo gleichgültig, „das ift zu fpät. Der Convoi 
bat ſchon den Bahnhof verlafien.” Sehr verftiimmt werfe ich mich 
in die Ede der Diligence, konnte aber nad) einigen Augenbliden 
ruhigen Nachdenkens nicht umbin, über diefe höchſt unangenehme 
Verwechſelung zu lachen, indem ich bei mir überlegte, welch’ merk 
würdigen Einfluß die Eifenbahnen auf unfere focialen Berhältnifie 
ausübten. 

Ungefähr um drei Uhr Nachmittags langte ich, ſtatt in ange 
nehmer Geſellſchaft, allein und ziemlich ärgerlich in Brüſſel an. Ich 
ging ind „Hotel de Flandre,“ und befand mic, in der Laune, in 
der man ein fchlechtes Zimmer doppelt empfindet, und died ward 
mir in dem fonft ausgezeichneten Gafthofe der großen Menge Frem⸗ 
den wegen zu Theil. Ich kannte Brüffel fchon von früher her, 
hatte feine Merkwürdigkeiten alle gefehen, und würde mich nur in 
der angenehmen Gefellfihaft von heute Morgen ein paar Tage gut 
amüfirt haben. Dadurch, daß die Hauptftraße dieſer Stadt, die 
rue de la Madeleine, vom Place royal fteil den Berg hinab geht, 
wird das behagliche Flankiren, fonft in fremden Städten eine meiner 
liebſten Befchäftigungen, bier zu einer wahren Arbeit. Als ich 
meine Brieftafche auf den Tiſch Tegte, fiel mir bie Karte in die 
Hände, die mir in Verviers der Commiſſionär gegeben, und mir 
kam ploͤtzlich der Gedanke: „Wie, wenn du die ſechs Tage, die du 
für Brüfjel, Antwerpen, Oſtende zc. beftimmt, dazu anwenden wür⸗ 
Heft, einen Begriff von der Hänfermafje zu befommen, die man Paris 
nerant?“ Mehr konnte ich natürlich in der Zeit doch nicht profitiren, 
ih zündete mir eine Gigarre an, und fehritt die Straße hinab, ins 


x 


240 Eine Reife 


dem ich die auf meiner Karte angegebene Hausnummer fuchte. 
Endlich finde ich dad Haus, das von oben bis unten mit großen 
Placaten bededt ift, aus denen man mit ellenlangen Buchftaben 
Iefen fann: „Paris, midi et soir.” ch verglich nochmals meine 
Karte mit ver Firma, die Über der Thür angebradt war, und als 
th nun vor dem Büreau ftand und nad) den Abfahrtäftunden der 
Wagen nach Paris forfchte, fiel mir plöglich ein, wie fehr ich Heute 
Mittag Unrecht gehabt, die Thätigkeit des Commifjionärs in Ber: 
vierd für eine nußlofe anzufehen, denn hatte ih mich doch felbit 
durch ihn beitimmen lafien, gerade dieje und feine andere Anſtalt 
aufzufuchen. Der Beamte war fehr artig, und nachdem er mir eben- 
falls verfichert, feine Gefellfchaft habe die bequemften Wagen, fepte 
er mir auseinander, dag man hier in Brüſſel den Plag bis nad 
Paris bezahle. Die Gefellfchaft laſſe alsdann die Paffagiere eine 
halbe Stunde vor der Abfahrt in ihren betreffenden Hotels abholen 
und nach der Eifenbahn führen. Diefe Abfahrtsftunde fei Mittags 
ein lihr; man führe mit der Eifenbahn bis Quievraiu, wo alddann 
die Mefiagerie bereit fände, um die Pafjagiere nah Paris zu be 
fördern. . Die ganze Fahrt dauerte nicht Über zweiundzwanzig Stun- 
den. Nachdem er mir died Alles auseinander gefept, ſah er wegen 
eined Plapes für Morgen in feinen Liften nah, und es fand fick, 
dag nur noch ein einziger, und dieſer gerade in der Rotunde, fre 
war. 

Fuür den, der die Einrichtung der franzöfifchen Eilwagen nic 
fennt, bemerfe ich, daß ein folder viererlei Pläge hat, Deren Preiſe 
fehr verfchieden find. Um mit der Höhe anzufangen, ift oben zur 
dem Wagen das Banquet, auch Impertale oder Eapriolet genan!, 
doc, tft die erfte Benennung die allgemeine, dann fommt das Kon - 
der befte und theuerfte Platz, nach demfelben der Interieur, t:: 
eigentliche Wagenkörper, und- an diefem hängt hinten die Rotunde, 
zu acht Perfonen eingerichtet, eigentlich nur zu ſechs, doch ftor” 
man cher mehr wie acht, als weniger hinein. Bon dem Fahrern in 


nad Paris. | 241 


diefer Rotunde nun hatte mir einer meiner Freunde, der freilich mit 
außerordentlich Iangen Gliedmaßen begabt, und defien Laune über 
haupt leicht zu trüben ift, eine wahrhaft jammervofle Schilderung 
gemacht, wie er, zwifchen zwei dicken Damen eingeflemmt, von Dies 
fen wie von zwei Mühlfteinen in der Nacht faſt gemahlen warte, 
während ihm gegenüber ein fechs und ein halb Schuh langer Nas 
tionalgardift faß, deſſen Beine mit den feinigen nicht gut harmos 
nirten. Wenn ich überhaupt nach Paris fahren wollte, fo mußte 
ed, um nicht einen Tag zu verlieren, morgen gefchehen. Doch wie 
gefagt, vor der Rotunde hatte ich einen unüberwindlichen Abſcheu, 
weßhalb ich dem Beamten mein Bedauern ausdrückte, diefen Platz 
niht annehmen zu können, und mid) an eine andere Gefellfchaft in 
berjelben Straße wandte. Es war die wohlbefaunte und berühmte 
der Herren Lafitte, Gaillard und Comp. Hier war au fchon 
Alles ziemlich beſetzt, doch fanden fich noch Pläße auf dem Banquet 
und glüdlicher Weife un coin, d. h. Eplaß, worauf man naments 
lih in dem Banquet zu fehen hat. Man zeigte mir dort in einem 
Refervewagen diefen coin auf dem Banquet, den ich einnehmen könnte, 
und obgleich ſich der Sig fehr in der Höhe befand, fo ſchien es 
mir Doch da oben, was frijche Luft und Ausſicht anbelangt, nicht 
übel zu fein. Auch dachte ich: wenn der Wagen umfjchlägt, was 
zuweilen vorfommt, fo Haft du Numero eins und kommſt nicht 
unter die Räder, Ferner wußte mir der Beamte fo viel Gutes 
und Angenehmed von dem Banquet vorzufchwaßen, fogar von der 
Liedenswürdigfeit des Conducteurd, der morgen zufällig fahre, daß 
ih mich kurz entfhloß, meine 45 Francs bezahlte und eine Karte 
erbielt Numero 1 auf dem Banquet. So war idy denn unmwiders 
tuflih für Paris beftimmt und zog meined Weges. Abends wurs 
den im königlichen Theater „Die Krondlamanten” von Auber ges 
geben, eine mir befannte Oper, weßhalb ich es vorzog, das Heine 
neugebaute Thöätre de nouveautes zu beſuchen. Hier wurde ein 
neued Vaudeville gegeben: „Paris voleur,” und obendrein hieß es 
Oadländers Werke. VI. 16 





242 Eine Reife 


auf dem Zettel: die Mafchinerie würde durch Dampf getrieben. 
Dies war nun allerdings ein Heiner Buff, denn obgleich fich wirfs 
lich zu diefem Zwed eine Dampfmaschine bier befand, hatte man 
noch feine Conceſſion erhalten, um ſie in Wirkfamkeit treten zu 
laſſen, weßhalb heute noch Alles auf dem natürlichen Wege vor fid 
ging. Weberhaupt kann ich die Nüplichkeit und Brauchbarfeit einer 
Dampfmafchine, um die Decorationen zu bewegen, nicht einfehen, 
und wenn auch vielleicht eine Erfparnig an Menſchenkräften bewirkt 
wird, fo erfordert doch die Mafchine ihren Mafchiniften, ihren Heizer 
2c., und muß vielleicht Nachmittags um drei, vier Uhr fchon geheizt 
werden, um für jeden Act einmal die Decoration zu wechleln; denn 
ich Tenne feines von den neuen franzöfifhen Stüden, weder Oper, 
Maudeville, nach Trauers und Luſtſpiel, wo die Decoration nit 
den ganzen Act ftehen bliebe. Was aber die Ausſchmückung und 
Einrichtung diefes neuen Theaters betrifft, fo fand ich fie äußerft 
zwedmäßig, zierlic und elegant. Das Haus tft Klein und hat nur 
vier Logenreihen; ftatt eines ſchweren Kronleuchters, der die obere 
Gallerie theilweife am Sehen verhindert, befinden ſich an den Xos 
genbrüftungen des erften und zweiten Ranges große Gasflammen, 
mit mattgefchliffenen Gläfern bededt, die ein helles und ſchönes 
Licht geben. Die Dede, welche gewölbt ift, befteht theilweife and 
gemaltem Glas, hinter den ebenfalls Gasflammen brennen, welche 
auf diefe Art ein gebämpftes, wohlthuendes Licht verbreiten. 

Bon dem Stüde felbft kann ich nicht umbin zu fagen, daß es 
äußerit fchlecht war, und wurde es, wie viele dergleichen Neuigfeis 
ten, nur durch ein oder zwei beliebte Künftler gehalten, fowie durch 
einige Couplets, weil fie voll Bezüglichkeiten waren. Am nächſten 
Morgen, es mochte ungefähr fechd hr fein, kam der Kellner und 
ſprach mir von einem ältlichen Herrn, der geftern Abend fpät von 
Antwerpen gefommen- fei und fich nach mir erkundigt habe. Weber: 
raſcht fuhr ih aus dem Bett empor, und meine erfte Frage war, 
ob der Herr allein gekommen ſei. „Ia wohl,“ entgegnete der Kell» 


nah Paris. 243 


ner, „fogar ohne Gepäck.“ Ich warf mich verdrießlich wieder Hin. 
„Und will er was von mir?” fagte ich ziemlidy heftig. „Ja,“ ant⸗ 
wortete der Kellner, „da ich ihm fagte, Sie würden heute nad 
Paris abreijen, fo bedauerte er es fehr und wünſchte Ste diefen 
Morgen einen Augenblid zu fehen.“ 

Indem er fo fprach, klopfte es ſchon an die Stubenthür, und 
auf mein: Herein, erfchten der Kopf meines theuren Begleiters, des 
Wienerd mit der fehwarzfeidenen Müge, und nidte mir freundlich 
zu. „Ha, ha!“ lachte er, „dad war geftern ein fataler Streich. 
Meine Fran bat Recht gehabt, indem fie immer behauptete, wir 
feien auf einem verkehrten Wagen.” — „Und jegt ift Ihre Frau 
Semahlin... 2" unterbrah ih ihn. — „Ste tit in Antwerpen 
geblieben,” entgegnete der Wiener, „hat geftern über Kopf» und 
alles mögliche andere Weh geflagt und fich bei ihrer Ankunft gleich 
zu Bette gelegt. Ich benußte darauf geftern den legten Zug, theils 
um nad Ihnen zu forſchen, theils um bei meinem hiefigen Banquier 
Gelder zu erheben.” — „Und wollen Ste einige Tage in Antwerpen 
bleiben?“ fragte ih. — „Das nicht,“ entgegnete der Wiener; „denn 
meine Frau wünſcht bald nad Brüſſel zu kommen. — Ich hätte 
fie geitern Abend ſchon mitgebracht, doch erjchten mir die Tour von 
Cõln nah Antwerpen ſtark und anftrengend genng. Sie freut fid) 
recht darauf, Sie wieder zu ſehen,“ fegte er hinzu, „und wir kön⸗ 
nen und zwei bis drei Tage recht gut amüfiren.“ — Ich lachte fo 
recht. aus Ingrimm laut auf, indem ich ihn meine Karte zeigte, 
die Karte für Numero 1 auf dem Banquet nah Paris. 

„Ach,“ meinte er, „das ift unangenehm. Und wie lange den⸗ 
ten Sie auszubleiben?” „Bor ſechs Tagen kann ich nicht zurüd 
fein,“ entgegnete ich, während ich ihn um Erlaubniß bat, aufitehen 
zu dürfen und mic anzuziehen. „Bitte vecht fehr,“ ſprach der höfe 
liche Wiener, „ed thut mir wirklich leid, daß Sie abreifen, aber 
wenn ed Ihnen recht ift, fönnen wir wenigſtens heute Morgen eins 
mal zuſammen frühſtücken — en famille.“ 


244 Eine Reife 


Ich zog mid an und padte meine Geſchichten zufammen, bes 
flimmte meinen Koffer zum Dableiben, indem ich nur einen Nacht⸗ 
fat mitnehmen wollte. Dann frühftüdten wir beide zufammen, 
und man kann ſich denfen, gerade fo freundlich und angenehm, fo 
ganz en famille, wie e8 die junge Frau geftern vorausgejept. Der 
Herr Gemahl war noch fo freundlih, mich um ein Uhr an die 
Eiſenbahn zu begleiten, wo ih ihm mit aller Beredtfamteit ein 
Berfprechen abzundthigen fuchte, daß er bis zu meiner Rückkehr 
hier verweilen wolle. „Sie bleiben mit Ihrer Frau Gemahlin,“ 
fagte ih, „in Antwerpen, wo Sie zwei Tage nöthig haben, um 
die Rubensgalerie anzufehen, gehen alsdann nad) Gent und Brügge 
und verweilen darauf einige Zett in Oftende, wo Sie nothwendiger 
Weife ein paar Seebäder nehmen müfjen.“ 

Obgleich er mir gerade kein feites Verfprechen gab, fo ſchien er 
doc auch nicht abgeneigt, und fo trennten wir uns. 

Die Bahn von Brüjjel nad Valenciennes ift kürzlich wohl 
fertig geworden, bietet aber wenig Jutereſſantes, da fie beftändig 
durch das flache Land führt. Etwas Unangenehmeres, als die hie— 
figen Hemmmafchinen für den ganzen Körper, befonderd für die 
Ohren find, weiß ich nicht. Bor jeder Station fangen die Con⸗ 
ducteure an zu fchrauben, um den Lauf der Wagen aufzuhalten, es 
drüden fich eiferne Stangen gegen die Schienen, was ein fo er- 
bärmliches Gekreiſch und Gezitter verurfacht; ich kann e8 nicht ans 
ders vergleichen, als mit dem Zone, wenn man mit einen eifernen 
Griffel über eine Glasſcheibe fährt, nur zehntaufendmal verftärkt. 
Obendrein wird auf dieſer Tour faft jeden Augenblid angehalten, 
zuweilen bei einem einzelneu Haufe, wo eine Heine Seitenbahn abs 
geht und fehnurgerade auf eine Menge großer fchwarzer Schornfleine 
führt, wahrfcheintich Eifenfabriten, die fi fo mit der Hauptbahn 
in Verbindung feßen. Ic hatte mich in einen Wagen gefept, an 
bem fi eine Tafel befand, mit dem Worte „Tabagie“, wo man 
alfo rauchen konnte, Hier war die Gefellfhaft num freilich fehr 


nah Paris. 245 


gemifcht, beftand aber meiſtens aus jungen Iuftigen Belgiern und 
Franzoſen, die mit ihrem Lärmen und Schreien felbit die Locomo⸗ 
tive übertönten. Da wurden allerhand Späſſe getrieben, die mits 
unter nicht gerade zu den zarteften gehörten, oder fie nedten eins 
ander, kurz, trieben alle mögliche Spielerei, und fo viel kann ich 
mit Gewißheit fagen, daß faft feiner der jungen Männer anhaltend 
zwei Sekunden lang ruhig fiben geblieben wäre. Endlich gegen 
drei Uhr kamen wir nad Quievrain, wo vor dem Bahnhofe ſchon 
drei mächtige Eilwagen vollftändig befpannt hielten. Kaum waren 
wir ausgeftiegen, fo ging dad Gefchrei der Conducteure 108, die fo 
ſchnell wie möglich ihre Paffagiere zufammenbringen wollten, um 
davonzufahren. Zwiſchen Diejen Mefagerieen, der „Meſſagerie 
royale,“ der „Mefiagerie Lafitte et Gaillard“ und „led Jamelles,“ 
herrſcht, befonders da fie zu gleicher Zeit abfahren, immer eine Kleine 
Giferfuht, da jede zuerft in Paris anfomnen möchte, weßhalb fie 
alles Mögliche thun, ihre Abfahrt zu befchleunigen und einer vor 
der andern einen Kleinen Vorſprung zu gewinnen. Wenn aud zu 
diefem Zweck jede Gefellihaft auf der. Eifenbahn ihren eigenen 
Padwagen bat, den fie, angefommen, nur aufzufchließen braucht, 
um die Güter hinauszuräumen, fo ift Doch die Zahl derfelben meis 
ftend fo groß, daß eine ziemliche Zeit Darüber hingeht. Ich bes 
trachtete mir indeijen unfern Wagen und fand, wenn fihon das 
Banquet auf dem Nefervewagen, den man mir in Brüfjel gezeigt, 
hoch genug angebracht war, daß doch die Eopie, wie es meiſt in 
der Welt gejchieht, nur weit hinter dem Original zurücdblieb, denn 
der Sig, den ich num beſteigen follte, befand fich in einer wirklich 
fabelhaften Höhe. Mein erfter Verfuh, da hinaufzufommen, mißs 
fang vollitändig. Es gehörte auch hierzu eine ganz genaue Kennt 
niß des Terrains. So lange die eifernen Staffeln an der Seite 
des Eoupes bis auf defien Dad) führten, gelang es mir; doch um 
von da auf den Sitz des Kutjchers zu fommen, mußte man dem 
Körper einen kräftigen Schwung geben, und um dies zu bewerfs 


246 Eine Reife 


ftelligen, hätte ich von unten herauf die erfte Stufe ftatt mit dem 
rechten, mit dem linken Zuß antreten müfjen. Ich mußte alfo wies 
der hinunter, und nad) mehreren Verſuchen hatte ih im Auf» und 
Abklettern eine ziemliche Fertigkeit erworben. Da der Wagen auf 
den Zwifchenftationen oft nur wenige Minuten anhält, fo ift es 
nöthig, bei vorfommenden Gelegenheiten fchnell ab» und aufiteigen 
zu können. Endlich war Alles fertig, doch hatte uns die „Meſſa⸗ 
gerie royale“ einen Heinen Borfprung abgewonnen; denn ald unfer 
Poſtillon die Peitſche aufhob, um in die Pferde zu hauen, fuhr 
jene fhon im vollen Galopp davon, fam uns alfo um vielleicht 
fünfzig Schritte voraus, was aber bier einen bedeutenden Inter 
fhied macht, indem der Wagen, welcher zuerft vor dem Städtchen 
Quievrain, wo die franzöfifchsbelgifche Gränze ift, bei dem Mauth⸗ 
baufe anfommt, auch zuerft vifitirt wird, und fonach der andere 
wohl eine Heine Stunde warten muß. Dieſe Zeit wird indeſſen 
Dazu angewandt, ein fehr theures und ſchlechtes Diner einzunehmen, 
in einer Reitauration, die fich gerade dem Mauthhauſe gegenüber 
befindet. Dort fanden fi nad und nad alle Paflagiere ein, und 
ih hatte? Muße, unfere ganze Neifegefellfchaft anzufchauen. Ich 
trat in das Zimmer und erftaunte nicht wenig, ald ih oben am 
Tiſche die beiden würdigen Gelehrten erblidte, die mit mir von 
Eöln nah Aachen gefahren waren. Da fi neben ihnen noch ein 
piay offen befand, fo feßte ich mich dorthin und begann ein Ges 
fpräch mit ihnen. Schon aus den erften Worten bemerkte id, daß 
ihr Groll gegen mid nachgelafien hatte, denn fie waren freundlicher 
als neulich, und der eine, indem er luftig mit den Augen blinzelte, 
fing an, mich über meine Wiener Nachbarin etwas zu neden, und 
ich traute meinen Ohren faum, als der andere der Herren darauf 
fagte: „Diesmal find wir glüdlicher ald Sie, denn wir haben bei 
uns im Interieur eine junge Franzöfin, hübſch“ — „und“ fiel der 
Andere ein, „fehr anftändig.”“ 

Bei diefen Worten fah ich mich neugierig im Saale um, doch 





‘ 


nad Paris, 247 


war nichts da, was die Befchreibung hätte rechtfertigen können. 
Außer ein paar unvermeidlichen Soldaten befanden fih am Tifche 
drei alte und fehr dicke Damen, die nebft ein paar Dienftmädchen 
und Kindern den Inhalt der Rotunde ausmachten. Das Coup«é 
gehörte dreien Damen, die unten am Tifche faßen, und die ſämmt⸗ 
lich über die erfte und zweite Periode der Jugend hinüber waren. 
Die ſchwarzen Herren, welche den Grund meiner Forfchungen wohl 
errietben, ftießen ſich lachend an und vertrauten mir, ihre Gefells 
fchafterin, die fie gemeint, befinde fih noch draußen bei dem Was 
gen. „Dort aber kommt fie,“ fagte der eine, und beide blidten 
fhüchtern und verfhämt auf ihre Teller. Ich fchaute auf, und 
offenberzig geflanden, ich hätte den Herren keinen fo guten Gefchmad 
zugetrant. Es war eine leichte, allerliebfte Figur, die in das Zims 
mer trat, oder vielmehr hereinhüpfte. Sie trug einen feinen Stroh» 
but am Arm, und in der Hand hatte fie einen Keinen Friſirkamm, 
mit welchem fie eben befchäftig war, ihr ſchönes braune Haar zu 
ordnen. Ihr Anzug beftand aus einem fchwarzfeidenen Kleide, das 
fehr einfady gemacht war, und nur eine merkwürdige lange Taille 
zeigte. Es war eine jener gutgeformten niedlichen Geftalten, wie 
fie die frangöfifchen Künftler, namentlich im „Charivari,“ mit wenig 
Strichen hinzuwerfen verftehen. 

Nachdem fie mit der Herftellung ihres Kopfputzes fertig gewor⸗ 
ben, fegte fie fi und gegenüber und mufterte Jeden von und Der 
Neihe nach mit einem einzigen vieljagenden, aber fehr fichern Blicke. 
Der eine der Herren ftieß mich an, und obgleich ich, als gelte es 
etwas Anderem, gleichgiltig die Achfeln zudte, jo ärgerte ich mich 
doch über das gute Glück diefer Herren. Die Heine Franzöfin war, 
wie gefagt, angenchm, ſah auch recht Iuftig aus, obgleich man ihr 
auf den eriten Anblid anmerkte, daß fie gerade nicht einer höheren 
Glafie der Sejellfchaft angehörte. Während des Diners, bei welchem 
fie gegen die Gewohnheit der Franzoſen ziemlich der Weinflafche 
zuſprach, fchaute fie beftändig durch das Feufter nad dem Mauth- 


248 Eine Reife 


hauſe, ftürzte bald an die Thüre, dem Conducteur zu rufen, bald 
an dad Fenfter, um zu fehen, ob ihre Effekten noch nicht an die 
Meihe kämen. Endlich rief unfer Conducteur fie ab, fie nahm feie 
nen Arm und floh mit ihm die Straße nah dem Wagen. Ih 
machte den beiden Herren meine Gratulation über die Eroberung, 
und um ihnen ihr DBetragen von geftern zu vergelten, erlaubte id 
mir einige derbe Späße über die Fahrt, die vor und lag. 

Es dauerte ziemlich lange, bis die Effekten der Dame vifitirt wa 
ven, und die zollbaren Sachen, brüfjeler Spipen, Foulards ꝛc. wollten 
fein Ende nehmen. Endlich kam fie wieder und jegte ihr Diner 
fort. Doch, wie ich jhon vorhin bemerkte, ſprach fie in Gemein 
fhaft mit dem Conducteur, den fie zum Eſſen eingeladen und neben 
ſich gejeßt, etwas zu flark der Weinflafche zu. Es ſchien mir, als 
muftere fie meine Perfönlichkeit, und fchenfe mir mehr Blide, 
als ihrer Wagengefellichaft, den beiden Herren, und ich hatte mid, 
ich könnte wohl fagen, leider! nicht getäufcht. Nach dem Eſſen 
fagte mir der Gonducteur, die Dame fürchte fih vor dem Fahren 
im Interieur und wolle zu uns auf's Banquet hinaufftelgen. Uns 
glüdliche Gelehrte! Wie wohlgemuth fliegen fie nad gehaftener 
Bifitation in den Wagen und feßten fich zurecht! Ich war auf 
mein Banquet binaufgeflettert und alles in Ordnung gebradyt, mit 
Ausnahme der Rranzöfin, denn dieſe wurde von den Zollbeamten 
noch einmal freundfchaftlid ind Lokal genöthigt; weil fie eine un 
gewöhnlich große Neifetafche bei fich trug mit deren Juhalt ſich die 
Beamten befannt zu machen wänfchten. Endlih war fie befreit, 
die beiden Herren bfidten zum Wagen heraus und wunderten fih 
nicht wenig, als eine Leiter gebracht und an das Banquet gefept 
wurde. Sept flieg Die Dame zu uns hinauf, der Poftillon hieb 
auf die Pferde, und wir flogen im Galopp auf der Landſtraße 
dahin. 

Wer beim gewöhnlichen Fahren mit unfern Wagen und auf 
unfern Chanfjeen es nur im Geringften unbehaglich findet, went 


nah Parts, 949 


fih das Fuhrwerk zuweilen etwas ſtark auf die Seite neigt, oder 
wenn er einen Roſſelenker bat, der bei andern Fahrzeugen fo nah 
vorbeijagt, daß man Fein Blatt Poftpapier zwifchen die beiden Ach» 
fen legen könnte, oder wer fi fchon auf die andere Seite drückt, 
wenn ein folider deutfher Poftillon in einem Kleinen Bogen um 
die Ede fährt, ein ſolcher befteige nie das Banquet eines franzöfis 
ſchen Eilwagend, will er nicht während der zwanzigflündigen Kahrt 
eine eben fo lange geiftige und leibliche Tortur ausſtehen. Die 
Mefjagerien find mit fünf ſchweren, kräftigen, flammändifchen Pfer⸗ 
den befpannt, zwei an der Deichfel und drei vorn. Ehe die Fahrt 
losgeht, leben diefe Thiere in befländigem Streit: bald fchlägt Dies, 
Dald das, und die andern beißen nad allen Richtungen um fich her⸗ 
um, wobei fie jenes laute kreifchende Geſchrei ausftoßen, das den 
Pferden eigen ifl. Der Poftillon hat jept vielmehr fein Augens 
merk auf fie zu richten, als während der Fahrt; denn bald prellen 
die DVorderpferde rechts und links, bald ziehen die Hinterpferde die 
Deichfel nach der verkehrten Richtung. Dabet iſt die Straße, die 
vielleicht viermal fo breit ift, als unfere Chauſſeen, auf der Mitte 
der ganzen Ränge von Brüſſel nach Paris gepflaftert; dieſer Stein- 
damm ift fo ſchmal, und obendrein erhößt, daß von zwei breiten 
Wagen, die fi) begegnen, Die äußern Näder von dem Damme ber 
ab auf die Chauſſee gleiten, und da fie dort in die weiche Erde manch⸗ 
mal einjchneiden, fo neigt fich der fchwer beladene Wagen fo auf die 
Seite, daß man jeden Augenblid umzufchlagen glaubt. Wer weiß 
auch, was gefihähe, wenn diefed Ausweichen nicht meiftend im vollen 
Galopp vor fih ginge, und äußerſt kurz gemacht würde, fo daß die 
vordern Pferde fhon wieder auf dem Steindamme find, um ben 
Wagen binaufzuziehen, indeß die Hintern Näder noch in die Ehanfs 
fee einfchneiden. Dabei fahren die Poftillons bald im fharfen 
Trab, bald im vollen Galopp,. wie es ihnen gerade einfällt, und 
wenn ed einmal eine Zeit lang ziemlich ruhig gegangen iſt, und 
man will den Verſuch machen, ein wenig zu ſchlummern, fo wird 


250 Eine Reife 


man durdy ein entfepliches Geſchrei des Poſtillons anfgefchredt, 
der in feine fünf Pferde wie toll hineinhaut, bis da8 ganze Geſpann 
in einem vollkommenen Durchgehen in voller Garriere dahin rast. 
Unfere Dame auf dem Banquet, die uns ofjenberzig anvertraute, 
die Sefellfchaft da unten im Wagen, aus lauter alten Herren und 
Damen beftehend, fei äußerft Iangweilig, war von einer auffallen» 
den Luftigkeit, welche mir im Verein mit ihrem ſtark gerötheten 
Gefichte nicht recht gefallen wollte. Während der erften Stunde 
unferes Fahrens, fang fie in Einem fort Eouplet3 aus den neneften 
Pariſer Vandevilles, oder fie machte dem alten guimüthigen Con⸗ 
ductenr eine Liebeserklärung über die andere, der mid alddann 
lächelnd anftieß und mir mit einer Pantomime, als tränfe er ein 
Glas aus, zuläcdelte Ich faß aus Galanterie in der Mitte, und 
die Dame ftieß mich ihrerfeits ebenfalls an und machte eine Geberde, 
als habe fie den Eonducteur nur zum Beſten, und wer weiß, ob die 
Beiden hinter meinem Rüden nicht mich felbft auslachten! Ich 
fam mir in der That wie verrathen und verkauft vor und fab mid 
in einer fonderbaren Geſellſchaft; denn hatte ich ſchon geſtern ges 
glaubt, daß meine gute liebe Wienerin in ihrer Natürlichkeit etwas 
weit gegangen fei, fo bat ich fie für Diefen Verdacht jebt tan 
fendmal um Berzeihung. Im Anfang hatte ih mich, duch ihr 
äußert freies Betragen aufgemuntert, mit der Franzöſin in allerlei 
Redensarten eingelafien, die man gerade nicht überall anbringen 
darf; doch Fam ich Hier ſchön an, denn da ſich auch der Eonductenr 
nicht eben äußerſt zart in die Unterhaltung mifchte, fo wurden Sas 
hen und Segenftände verhandelt, die einem deutfchen Ohre aus dem 
Munde einer Danıe doch etwas ungewohnt erfcheinen. Ich mußte 
aber hier wieder der franzdfifchen Sprache den großen Vorzug einräus 
men, den fie für eine leichte Eonverfation vor unferer foliden deutſchen 
voraus hatz denn wenn ich zuweilen verfuchte, eine im Franzöſi⸗ 
ſchen etwas ſtark klingende Phrafe der Dame zu überfepen, fo er 
ſchrak ich wirklich felbjt vor dem Klange, den diefe im Deutſchen 


nad Paris, 251 


hatte. Nebenbei wurde diefe Teichtfertige Unterhaltung von der Fran⸗ 
zöfin mit einer gewifien Decenz, wenn ich mich fo ansdrüden darf, 
jedenfalls aber mit großer Feinheit und Eleganz geführt. 

So fuhren wir dahin und famen nach Valenciennes, wo unfere 
Päſſe vifitirt und weggenommen wurden, wogegen wir einen frans 
zöfifchen Paß erhielten, der zwei Fraucs Eoftete. Die fonft fo freien 
und artigen Franzoſen hätten eigentlich fchon lange von diefer 
häßlichen Gewohnbeit, fi den Eintritt in ihr Zand mit zwei Francs 
bezahlen zu Tafien, abkommen follen. Ich würde nichts dagegen 
haben, wenn man fich hiedurch eine Erleichterung erfaufte, aber im 
Segentheil, man ift genöthigt, diefen franzöſiſchen Paß in Paris 
bei der Abreife gegen den heimatblichen umzutaufchen, wodurch man 
wenigftend ein paar Stunden Zeit verliert, die man dort weit befs. 
fer anwenden könnte. Ein Kaufmann, der mit im Wagen war, 
erzählte mir fpäter, daß er die Wegnahme feines Pafjes dadurch 
verhindert, indem er vorgab, er reiſe nur bis Peronne. Selbſt 
diefe franzöfifchen Päſſe erhält man nicht im Augenblid, fondern ein 
Kerl in einer halb zerrifienen Bloufe rannte dem Wagen bis vor die 
Stadt nach und überreichte, auf dem Wagentritt ftehend, jedem Paſſa⸗ 
gier das Papier, was auch wieder einige Sous koſtete. Bald wurde 
ed Nacht, nnd ich muß geftehen, daß ed auf dem Banquet oben gar 
nicht fehr angenehm war. 8 regnete und ging ein kühler Wind, 
wobei die arme Zranzöfin, die nur einen leichten Shawl trug, ers 
bärmlich fror. Sie nahm in Cambray unfern gut gemeinten Rath 
an, fich ind Interieur zu begeben, wo fie auch blieb bis zum Ans 
bruch des Zages. Dann aber Metterte fie wieder zu uns herauf, um 
frifche Kuft zu genießen, wie fie ſagte. Waren ihre Gefichtäzüge 
geftern Abend etwas mehr als fanft geröthet geweien, jo fah fie 
dagegen todienblaß aus und ſehr durchwacht. Ich kann bier nicht 
umhin, die Artigkeit eines franzöfifchen Poftillond zu erwähnen, der 
als er auf den Wagen fteigen wollte, und das traurige Ausſehen 
feiner Landsmännin bemerkte, ypldglih ins Haus ‚zurüdeilte und 


252 Eine Reife 


eine frifch aufgegangene duftende Roſe brachte, die er ihr mit der 


Bemerkung überreichte, der füße Geruch würde fie erquiden. 


Bald erreichten wir Senlis, wo gefrühftüädt wurde, und nah 


einigen Stunden fahen wir Paris vor und ausgebreitet liegen. ch 


ſuchte Die Kirche Notre Dame; doch fieht man fie von hier aus 


niht. Dagegen ragt der Montmartre hinter der Stadt hervor, das 
ganze Terrain beherrfchend. Bald glänzte und die große Befeitis 
gungslinie entgegen, aus einzelnen Forts, Schanzen und Mauern 
beftebend, Alles aus weißgrauem Stein aufgebaut. Seht erreichten 
wir dad Faubourg St. Martin, wo unfer ganzer Wagen gewogen 
wurde, und dann waren wir in Parid. Ich kann unmöglich bes 
ſchreiben, welchen Eindrud es auf mich machte, durch diefe Straßen, 
‚bei diefen Häufern vorbei zu fahren, einen Boden unter mir zu 
haben, der, um mit den eitlen Franzoſen zu fprechen, in fo vieler 
Hinficht der Mittelpunkt der Welt war und if. Bet jedem Schritt, 
den wir vor und famen, nahm dad Gewähl und Gedränge von 
Menfchen, Equipagen und Karren zu; ebenfo die eigenthümliche 
Dekoration der Häufer. Hatten fich diefe am äußerften Ende der 
Borftadt mit einem oder zwei Aushängefchildern begnügt, fo nahm 
ihre Eitelkeit zu, je weiter wir famen, und bald fahen wir fait fein 
Gebäude mehr, das nicht von unten bis oben mit ellenlangen Buch⸗ 
ftaben bemalt war, mit Namen von Eigenthümern verjchiedener Ges 
Thäfte, mit Angaben, welche Art Magazine fih dort befanden, das 
neben riefige Theaterzettel oder Anzeigen von Berkäufen. Kurz, 
jeded Haus erzählte den Vorübergehenden auf dad Preundlichite, 
wen es beherberge und was bier alles für Xebensbedürfniffe und 
Luxusartikel zu haben feien, 

Nun erreichten wir Porte St. Martin, ein ſchwarzes hochges 
wölbtes Thor, und eined der wenigen, welches die Revolution vers 
ſchonte. Wir durchſchnitten die Boulevards und kamen in die Stadt, 
wo das Gedränge und der Spektafel auf eine wahrhaft erfchredende 
Art zunahm. Ich weiß nicht, follich es Leichtfinn, Selbftvertrauen 


nah Paris. 253 


oder GSefchiclichkeit nennen, daß der Poftilon in vollem Trabe 
durch die überfüllten Straßen und um fcharfe Eden fuhr: Bei 
legterem half der Conducteur den Wagen bdirigiren, indem er die 
Hemmmafdine fleißig und aufmerkſam handhabte. 

Eine lange Zeit fuhren wir durd die Straße St. Honore, 
bi8 wir die Bureaus der Meffagerie erreichten, in einem großen 
Hofe, mit Eilmagen aller Art vollgepftopft. Meine Begleiterin 
fuchte alsbald ihre Kiften und Kaften zufammen, und 


Schnell war ihre Spur verfhwunden, 
Sobald das Mädchen Abſchied nahm. 


Die beiden Herren fah ich mit ihren Nachtfären im Hofe umher: 
irren; vielleicht fuchten fie mich, do war ich mit dem Conducteur 
und meinem Gepäde beſchäftigt; dann fah ich fie zu einem der Hof- 
thore hinausgehen, ehe ich ihnen zurufen konnte. Sie waren fort 
und natürlich an kein Wiederfinden zu denken. Auch der Conduc⸗ 
teur empfahl fih, und fo ftand ich denn allein, nahm meinen Nachts 
ſack auf die Schulter und fuchte ein Unterfommen im Hotel Lafitte 
neben der Mefjagerie, was ich aud fand. 

Es Hat mir einmal ein Freund erzählt, daß er vor langen 
Jahren mit einem Landsmann, ebenfalls einem Deutfchen, durch Die 
Porte St. Martin nah Paris hereinfuhr. Beide wollten hier ihr 
Glück verfuhen; der Eine war ein Schriftichneider, der Andere ein 
fehr geſchickter Ebenifl. Es waren junge Leute und ihr Gepäd 
natürlich fehr unbedeutend, fo daß Jeder e8 bequem in feine Taſche 
fhieben konnte. Der Schriftfchneider fpricht mit dem Eonducteur 
und erkundigt fi) nach einem wohlfeilen Gaſthauſe, während der 
Andere auf. die Straße hinaus und zufällig in ein Kaffeehaus tritt, 
um dort etwas zu fich zu nehmen. Beide denken, fie werden fid) 
natürlich gleich wiederfinden. Doch gerathen fie zufälliger Weife in 
entgegengefeßter Richtung auseinander. Es wird Abend, und fie 
finden fich nicht wieder, ebenfo den andern Tag, da Keiner bes 


252 | Eine Reife 


eine frifch aufgegangene duftende Rofe brachte, die er ihr mit Der 
Bemerkung überreichte, der füge Geruch würde fie erquiden. 

Bald erreichten wir Senlis, wo gefrühftüdt wurde, und nach 
einigen Stunden fahen wir Paris vor uns audgebreitet liegen. Ich 
fuchte Die Kirche Notre-Dame; doch flieht man fie von hier aus 
nicht. Dagegen ragt der Montmartre hinter der Stadt hervor, das 
ganze Terrain beherrfchend. Bald glänzte und die große Befefti- 
gungdlinie entgegen, aus einzelnen Forts, Schanzgen und Mauern 
beitehend, Alles aus weißgrauem Stein aufgebaut, Jetzt erreichten 
wir dad Faubourg St. Martin, wo unfer ganzer Wagen gewogen 
wurde, und dann waren wir in Parid. Ic kann unmöglich be— 
ſchreiben, welchen Eindrud es auf mich machte, durch diefe Straßen, 
‚bei diefen Häufern vorbei zu fahren, einen Boden unter mir zu 
haben, der, um mit den eitlen Sranzofen zu ſprechen, in fo vieler 
Hinficht der Mittelpunkt der Welt war und iſt. Bet jedem Schritt, 
den wir vor und famen, nahm das Gewühl und Gedränge von 
Menfhen, Eauipagen und Karren zu; ebenfo die eigenthümliche 
Dekoration der Häufer. Hatten ſich diefe am äußeriten Ende der 
Borftadt mit einem oder zwei Aushängefchildern begnügt, fo nahm 
ihre Eitelkeit zu, je weiter wir famen, und bald fahen wir fall fein 
Gebäude mehr, das nicht von unten bis oben mit ellenlangen Buch» 
ftaben bemalt war, mit Namen von Eigenthümern verjchiedener Ge- 
Ihäfte, mit Angaben, welche Art Magazine fih dort befanden, das 
neben riefige Ihenterzettel oder Anzeigen von Berläufen. Kurz, 
jedes Haus erzählte den Vorübergehenden auf dad Freundlichſte, 
wen ed beherberge und was hier alles für Lebensbedürfniſſe und 
Luxusartikel zu haben feien. 

Nun erreichten wir Porte St. Martin, ein fchwarzes hochge⸗ 
wölbtes Thor, und eines der wenigen, welches die Revolution vers 
ſchonte. Wir durchfchnitten die Boulevards und kamen in die Stadt, 
wo das Gedränge und der Spektakel auf eine wahrhaft erfchredende 
Art zunahm. Ich weiß nicht, ſoll ich es Leichtſinn, Selbſtvertrauen 


nah Paris, 253 


oder Gefchiclichkeit nennen, daß der Poftillon in vollem Trabe 
durch Die überfüllten Straßen und um fcharfe Eden fuhr. Bei 
legterem half der Conducteur den Wagen dirigiren, indem er bie 
Hemmmaſchine fleißig und aufmerkfam bandhabte. 

Eine lange Zeit fuhren wir durd die Straße St. Honore, 
bis wir die Bureaus der Mefjagerie erreichten, in einem großen 
Hofe, mit Eilmagen aller Art vollgepftopft. Meine Begleiterin 
fuchte alsbald ihre Kiften und Kaften zufammen, und 


Schnell war ihre Spur verfhwunden, 
Sobald das Mädchen Abfchied nahm. 


Die beiden Herren fah ich mit ihren Nachtfäden im Hofe umher: 
irren; vielleicht fuchten fie mich, doch war ich mit dem Eonducteur 
und meinen Gepäde befchäftigt; dann fah ich fie zu einem der Hof 
thore hinausgehen, ehe ich ihnen zurufen konnte Sie waren fort 
und natürlich an fein Wiederfinden zu denken. Auch der Conducs 
teur empfahl fid,, und fo ftand ich denn allein, nahm meinen Nachts 
ſack auf die Schulter und fuchte ein Unterfommen im Hotel Lafitte 
neben der Meflagerie, was ich aud) fand. 

Es Hat mir einmal ein Freund erzählt, daß er vor langen 
Jahren mit einem Landsmann, ebenfalls einem Deutfchen, durch die 
Porte St. Martin nad Paris hereinfuhr. Beide wollten bier ihr 
Glück verfuhen; der Eine war ein Schriftfchneider, der Andere ein 
ſehr geſchickter Ebeniſt. Es waren junge Leute und ihr Gepäd 
natürlich fehr unbedeutend, fo daß Jeder es bequem tn feine Taſche 
fhieben konnte. Der Schriftfchneider fpricht mit dem Conducteur 
und erkundigt ſich nad einem wohlfeilen Gafthaufe, während der 
Andere auf. die Straße hinaus und zufällig in ein Kaffeehaus tritt, 
um dort etwas zu fi) zu nehmen. Beide denken, fie werden fid) 
natürlich gleich wiederfinden. Doch gerathen fie zufälliger Weife in 
entgegengefepter Richtung auseinander. Es wird Abend, und fie 
finden fich nicht wieder, ebenfo den andern Tag, da Keiner U 


254 Eine Reife 


Andern Gafthaus weiß. Beide waren traurig darüber, da fie fi 
fo viel Schöne von dem Zufammenleben in Paris verfprocdhen. 
Doc gehen fie wohlgemuth "an ihre Gefchäfte, finden Arbeit, find 
fleißig und kommen emyor, während Jeder vom Andern glaubt, 
der arme Kerl wird geftorben jein oder nah Haufe zurückgekehrt. 
Endlich, nach zwanzig Jahren, begegneten ſich zufällig zwei woblbe 
leibte, wohlhabende Bürger in einem Kaffeehauſe, die fih plößlic 
erfennen und fidh erinnern, wie fie vor langer Zeit zufammen eins 
gewandert find. 

Ich Hatte diefe Geſchichte immer als etwas fabelhaft betrachtet, 
obgleich ich manche große Stadt gefehen; aber wie ich bier fo allein 
in die Straße hinausging und dieſes unfäglihe Menfchengewühl 
erbiichte, wie Zeder unbelümmert an dem Andern vorbeieilt, Keiner 
den Andern grüßt, wie in Meinen Städten, da fi) bier felten ein 
Paar kennt, zweifelte ich nicht mehr an deren Möglichkeit. Wenn 
man fo Stunden lang dur die Straßen gelaufen tft und nirgends 
einen Ruhepunkt findet, immer das gleiche unruhig wogende Xeben, 
das haſtige Hins und Herrennen, und wenn man bie Unzahl der 
Wagen erblict, die unaufhaltiam nach allen Richtungen hinftrömen 
und einen in kurzer Zeit in ganz andere, ebenfo unbekannte Stadt 
viertel bringen, wo man. den Rüdweg ohne Hülfe nicht mehr findet, 
fo fann man wohl glauben, daß ein Vorfall wie der erwähnte wahr 
if. Mir aber paffitte dagegen etwas, dad meinen eben geführten 
Beweis für die Möglichkeit jenes Falles beeinträchtigen könnte, wenn 
nicht Jeder einfehen würde, daß e8 der allerfeltfamfte Zufall war. 
Als ich nämlid von meinem Gafthof auf die Straße trat und auf 


dem klaſſiſchen Boden des Flanirens in diefer fchweren Kunft einen 


ſchwachen Verſuch zu machen begann, fah ich vor einem Hutladen 
eine Geftalt ftehen, die ich augenblidlich für einen meiner Bekann⸗ 
ten aus St. gehalten hätte, wenn ich nicht in Paris geweſen wäre. 
Es war ein junger Mann, der fi) während der Ferien auf Reifen 
begeben hatte und der von und den Namen Reifegefpenft erhalten. 


nad Paris. 255 


Er ſpukte nämlich ſchon vielleicht acht Tage vor feinem Auszuge 
in feinem Reifeanzuge umber, und um ſich von der Bortrefflich 
keit defjelben in allen Lagen zu überzeugen, beftieg er Kirchthürme 
und Berge, wo er fchon Hundertmal gewefen, jeßte ſich in ganz 
mijerable Fiaker und quälte uns mit allen möglichen Projekten zur 
Reife, die er machen wolle, worauf er jeden Abend herzlichen Ads 
fchied von uns nahm, und am andern Morgen fahen wir ihn ebenfo 
wohlgemuth wieder durch die Straßen wandeln. Endlich an einem 
fhönen Morgen war das Reiſegeſpenſt verfchwunden, und bier follte 
ich es wiederfinden. Sa, er war es, ich erfannte die großfarrirten 
Beinkleider, die grauen Gamafchen, den erbfenfarbigen Rod und 
den grauen breitfrämpigen Hut. 

Unfer Wiederfehen war wirklich rührend, Für mich war ed in 
jeder Hinficht interefjant, das Reifegefpenjt gefunden zu haben, denn 
ed wandelte fchon acht Tage bier herum und konnte mir daher zu 
mancherlei eine eine Anleitung geben. 

Unterdefien war es fpät geworden, und wir hatten nicht viel 
geſehen, da ih von dem Ungeheuren diefer Stadt mich fo ins 
Flaniren vertieft hatte, daß es fünf Uhr, Efienszeit, ſchlug, ebe 
wir nod daran dachten. Wir hatten flüchtig das Palais Royal 
durchirrt, die Tuilerieen, natürlih von außen gefehen, waren anf 
dem Plage de la Eoncorde geweſen, warfen einen Blick hinaus auf 
die Champs Elyſees und den ArcdesTriomphe de l'Etoile, und 
fpeisten aledann für 80 Sous ganz gut zu Mittag. Nachher zog 
ich mit dem Reifegefpenft wieder aus, und wir firchten diesmal Die 
Boulevards auf, wo wir hinauf» und hinabrannten, fo weit wir 
fommen fonnten. Wenn Paris fchon etwas von einer Hauptitadt 
der Welt hat, und die Boulevards der erfte Spaziergang von Paris 
find, fo find fie auch der erfte Spaziergang der Welt, und das 
kann man ihnen auch in ihrer Art zugeftehen. Wenn freilich der 
Molo von Neapel bei Mondfhein und Meerleuchten, mit dem 
Veſuv im Hintergrunde, der zuweilen dumpf Donnernd eine feuri 


256 Eine Reife 


Lohe ausftößt, auch feine großartigen Schönhetten bat, fo ziehe 
th Doc auf die Dauer die Boulevards von Paris vor. Man bat 
bier fo Alles, was die Seele nur verlangen kann, und braucht nur 
zuzulangen. Man findet Alles bier bis auf die geringften Kleinig« 
feiten fchön und appetitlich zugerichtet. Es muß notbwendig im 
Himmel Bonlevardd geben oder — doch wir wollen und in ein 
Kaffeehaus ſetzen und Eid ejjen und laſſen die Menge einen Aus 
genblick bei und vorbeifpazieren. Man braucht hier in Paris nicht 
wie in einer andern Stadt zu fragen: was beginnen wir nın ? 
fondern man fragt fih: wozu haben wir Zeit oder Luft? und fo 
war ed auch jetzt. Wir berathfchlagten, in welches Theater wir 
gehen follten. In welches Theater! wie einem bei der Idee, unter 
einem Dugend Theater die Auswahl zu haben, fo fonderbar wird, 
wenn man and einer deutfchen Nefidenz kommt, wo jede Woche 
einmal in einem einzigen gefpielt wird! Wir entfchieden uns für 
das Theater der Porte St. Martin. Dort wurde ein fünfactiges 
Spektakelſtück, „Don Gefar de Baſſan,“ gegeben, in welchen Fre⸗ 
deric Lemaitre glänzte. Es war mir intereffant, diefen berühmten 
Künftler zu fehen. Das heutige Stüd entftand, indem Lemaitre, 
welchem der Charakter des Don Gefar im Roy Blas fehr zufagte, 
fi von ein paar jungen Autoren ein Stüd fchreiben ließ, in wel« 
chem derfelbe Don Ceſar, wie ſchon der Titel des Stüds befagt, 
die Hauptrolle hat. Es war ein wahres Spektafelftüd, die erfte 
Scene ein Öffentlicher Markt zu Madrid, Vollögetümmel, Tanz 
von Zigeunern, deren Königin oder Herzogin ein paar Arien fingt. 
Ste ift die Primadonna und muß durch das ganze Stüd in allen 
Fächern wirken. Sie tanzt, fie fingt und fehaufpielt. Es kommt 
ein Page, der in irgend einem Cavallerie⸗Regimente dient und von 
feinem Gapitän mißhandelt worden iſt — jept erfcheint Lemaitre, 
Don Ceſar, der heruntergefommene, Teichtfinnige, ausſchweifende 
Menfch von guter Familie, Alles an ihm hierzu wunderbar übereins 
fimmend : der nachläffige Gang, das heifere Organ und das einzig 


nad Paris, 957 


zufammengeftellte Eoftum, ein Coftum, das, aus Sammt und 
Damaft beitehbend, vor der Zeit prachtvoll geweien war, und der 
es trägt, weiß fi noch in den übrig gebliebenen Lumpen mit Ans 
ftand zu bewegen; Collet und Beinkleider fahl und abgerifien, der 
eine Strumpf hängt nachläſſig herunter, und defjen Schleife ift vor 
dem Knie gebunden, während die andere an ihrem Plage fiht. Der 
graue Hut trägt Spuren von zahlreichen Hieben, und er ſowie 
die abgenugte Feder geben Deutliches Zeugniß, daß der Kopf, den 
fie fhmüden, nicht immer unter gutem Obdach und auf feidenen 
Polſtern ruht. Das einzige Wohlerhaltene an feinem ganzen Ans 
zuge tft feine Waffe, der überaus lange Stoßdegen, auf dem der 
ſehr zerfeßte roth und weiße Mantel ruht, Nachdem er den Pagen 
natürlicher Weife befhüßt, erfticht er den Kapitän und wird dafür, 
da man fich gerade in der heiligen Woche befindet, zum Tode ver- 
urtheilt. Wahrhaft groß tft Lemaitre im zweiten Act, wo er im 
Gefängnig nadhläffig auf einem Lehnſtuhl ausgeftredt Liegt, neben 
fiy Die Wanduhr, Die ihm anzeigt, dag er nur noch zwei Stunden 
zu leben bat. Es verfteht ſich aber von felbft, daß er von dem 
Pagen gerettet wird. Das Stüd an fidh ift ziemlich ſchwach und 
würde ohne Lemaitre gar nichts machen. Es ift Schade, daß das 
beifere Organ, welches im erften Acte nach einer durchichwelgten 
Nacht fo ganz an feinem Plage ift, nicht angenommen, fondern fein 
natürliches if. Man muß genau Achtung geben, um ihn zu ver- 
ftehen. Der .große Künftler foll auch im Leben etwas fehr Don 
Gefar de Baflan fein; anftändig und nobel, aber fehr ausfchweifend, 

Am andern Morgen nahm ich mir einen Fiaker und Entfchirte 
in Paris herum, um zu ſehen, fo viel es mir möglih. Beraufcht 
wie ich war von all’ dem Großen, kann ich mir felbft von dem Ges 
fehenen kein klares Bild machen, viel weniger einem Andern. Was 
fol ich mehr fagen, ald daß ich im Pantheon, im Dom der Inva⸗ 
fiden und in St. Denis war, daß ih vom Xouvre fo viel wi⸗ 


möglich fah, daß ich auf den Thurm der Kirche Notre Dame fti 
Hadländers Werte. VI. 


k 


258 Eine Reife 


im Pflanzengarten die Affen und Bären fah, im Palats Royal um- 
herlief, den berühmten und berüchtigten Greves und Carouſſelplatz 
befuchte und alsdann fpät am Abend verwirrt und betäubt zu Bette 
ging! Gott fol mich bewahren, daß ich es wage, etwas über dieſe 
allgewaltige Stadt zu fhreiben, felbft wenn ich auch flatt zwei 
Zage vierzehn Tage da gewefen wäre. Auch bin ich überzeugt, daß 
man mir died gern erlaffen wird. Da ich aber Die Fahrt auf der 
Meſſagerie aufs Gründlichfte fennen gelernt habe, fo will ich noch 
eine ſchwache Schilderung der Rüdfahrt von Paris nach Brüffel 
verfuchen, Die mit der Herfahrt Aehnlichkeit hatte, aber doch 
ganz verfchieden war, — Aehnlichkeit, da es daſſelbe unaufhörlich lange 
Dflafter war, diefelbe reizlofe Gegend, und die gleichen Stationen; 
verfchteden aber durch unfere Reifegefellfchaft, die äußerſt zahlreich, 
ja, zu zahlreich war. Wie die untern Regionen des Wagens befept 
waren, darum fümmerte ich mid wenig; bis zu und drang fein 
Aechzen der Rotundebewohner. 


Auf den Bergen ift Freiheit, der Hauch der Grüfte ꝛc. 


fagt der unfterbliche Schiller irgendwo. Aber wenn wir auch Frei⸗ 
heit und frifche Luft dort oben genug hatten, jo war leßtere fo ſtark 
mit Regen vermifht, daß wir die fchlechten flatternden Ledervor⸗ 
hänge vergeblich anftrengten, um und dagegen zu ſchützen. Mit dem 
Eondukteur, der fich, durch das Negenwetter getrieben, zu uns herein 
feßte, waren wir zu Bier auf dem Banquet, lauter hübfche, gut ges 
wachfene, aber fehr beleibte junge Leute. Ich ſaß zwiſchen zwei 
Franzoſen eingekeilt, die mich fonderbar anfahen, als ich meine 
Eigarrendofe herausholte, und mich darauf ganz nativ mit einem 
Blick aufden Condukteur fragten: „Aber Ste wollen rauchen, mein 
Herr?“ — „Ja fo, es tft in den franzäflichen Eilwagen verboten, 
zu rauchen, felbft auf dem Banquet, wenn keine Damen da find.” — 
„Allerdings, mein Herr!" — „Sehr gut!“ 

Und ſchon wollte ih meine Gigarre in größter Ruhe wieder 





nah Paris, 259 


einfchteben, als mir die beiden höflichen Franzoſen, wahrfcheintidy 
durch meine Folgſamkeit gerührt, verficherten, fo eine Heine Gigarre 
würde ihnen nichts ſchaden, ich möchte fie nur rauchen. Unfere 
Zage dort oben war in Wahrheit fchredlih, Keiner konnte fi 
neben dem Andern rühren, Der Regen goß in Strömen und drang 
zu uns berein, und hinter unferm Sitze war dad Leder nicht befeftigt 
fo daß Niemand den Kopf anlehnen fonnte. Und dabei hatten wir 
vier und zwanzig Stunden vor und, die beim furchtbaren Schütteln 
des Wagens auf dem entjeglichen Pflafter alfo zugebracht werden 
mußten. 

Sp famen wir zur Borftadt St. Martin heraus, paffirten die 
Barriöre und fuhren im fcharfen Trabe davon, als wir plößfich vor 
uns auf der Straße einen Mann gewahr wurden, der fich in fonders 
barer Lage befand. Er ſtreckte die Arme nach und aus, in der Art, 
wie es Beter au der Straße vor Heiligenbildern zu thun pflegen. 
Gäbe ed heut zu Tage ſchon Luftdvampfichiffe, fo hätte man ihn für 
einen Pafjagier halten können, der mit feinen ſämmtlichen Effekten 
einem folchen entfallen wäre. In feiner Nähe war weder Wagen 
noch Haus, noch fonft etwas zu fehen, und doch befand er ſich hier 
mitten im Regen, umgeben von zwei Koffern, einem Nachtſack und 
ein paar Hutfchachteln. Es dauerte indefjen nicht lange, fo wurden 
wir durch den Condukteur belehrt, daß der Mann dort ein fogenanns 
ter blinder Paflagier ſei, einer feiner beften Freunde, der um Alles 
in der Welt morgen nach Brüſſel müßte, 

„Es Aft ein Franzoſe, meine Herren,“ haranguirte uns der 
Condukteur, „ein Landsmann, der ſich in Berlegenheit befindet, wir 
müſſen ihm helfen.” — „Sa, ein Landsmann,“ wiederholten fenfzend 
meine beiden Reifegefährten, „aber wohin mit ibm?” Der Wagen 
hielt, und der Condukteur ließ fich die beiden Koffer, Hutfchachteln 
und Nachtſack heranfreihen und überlieg dem Neuangelommenen 
feinen Plag auf dem Banquet, wogegen er fi) troß des dichten 
Negend hinaus zum Poſtillon ſetzte. Der blinde Paflagier, ein 


260 - Eine Reife 


wohlgenährter Epicier der Aue St. Honore, Hetterte mit Mühe zu 
uns herauf, denn neben einem naſſen Mantel, den er auf den Schul⸗ 
tern trug, hinderten ihn ein paar große Melonen, die er unter dem 
Arme bielt, an freier Bewegung. Glüdlicher Weife kam er nicht 
neben mich zu fihen. Sein Mantel troff von Näffe, ein Umftand, 
der nur feinem Rahbar zu Gute kam. Dagegen aber verbreitete 
fih der unangenehme Geruch der überreifen Melonen ſchnell durch 
den ganzen Wagen. So fuhren wir dahin, eingeleilter als je, und 
wir alfe vier Tieferten einen fchlagenden Beweis, was der Menfch 
nicht alles auszuhalten vermag. Es dunfelte ſchon, als wir im 
Peronne einfuhren, wo dinirt wurde, Der Regen war hier fo ftarf 
geworden, daß unfere Mäntel während des Herabfleigens vom Wagen 
faft durchnaß wurden. Das Efien war leidlich und der Wein gut. 
Bei Tifhe fahen wir, wie ungeheuer alle Räume des Wagens anges 
füllt waren, man hörte nichts als Klagen über das Wetter, über 
das Pflafter und über die Tangweilige Fahrt. Bald mahnte der 
Condukteur zum Aufbruch, und wir zwängten uns wieder auf unfere 
Marterbant zufammen. | 

Da das Wetter immer abfcheulicher wurde, fo hatte der Conduk⸗ 
teur für den blinden Pafjagier eine andere Unterkunft gefunden, 
die aber für den Unglüdlichen nichts weniger als angenehm war. 
Er mußte hinter das Banquet zu dem Gepäd kriechen, wo durch 
Berfchtebung einiger Koffer und Frachtſtücke ein Raum hergerichtet 
war, dag ein Menfch zuſammengekauert ſitzen konnte. Obgleich wir 
fehr darum gebeten hatten, man möchte das Leder hinter unferm 
Rücken Schließen, fo bedauerte der Condukteur, daß er er es nicht 
thun könne, indem alle Schnallen gerifien ſeien. Nebenbei fuhr das 
Pafjagiergut auf dem Verde des Wagens hinter uns hin und ber, 
und ftieß uns nicht felten empfindlich an die Köpfe. Die beiden 
Melonen waren unter dem Sige angebracht worden, und fo fuhren 
wir in finflerer Nacht dahin. Bon Schlafen war natürlid Feine 
Rede; denn nachdem anfänglich der blinde Paſſagier lachend feine 











nad Paris. 261 


ſchreckliche Lage vorgeftellt, behauptete er ſehr ernfthaft, das ſei gar 
nit zum Aushalten, und er würde morgen früh an allen Gliedern 
zerfchlagen oder erftict fein. 

„Condukteur,“ fchrie er, „es berrfcht unter den Koffern und. 
Hutfchachteln eine wahre Revolution; ich bin Ariftofrat, aber die 
Volkspartei ift mächtiger, ich werde hinausvotirt. Condukteur, 
denen Sie um Gotteswillen, wenn der Wagen umſchlägt. DO, id 
werde alddann zermalmt auf dem Boden ankommen.“ — So ging 
ed ohne Unterbrechung fort. Bald zwängte er feinen Kopf durch 
dad Leder hinter und und bat, wir möchten doch auf feine Melonen 
wohl Act haben, daß ihnen Fein Leides gefchehe. Meine Nachbarn 
gaben ihm hier und da lachend Antworten, und nur der Eondufteur, 
der gern fchlafen wollte, brummte ihm verdrießlich zu, er möchte 
doch um Gottes willen Ruhe halten. Aber es war feine Rede das 
von. Schwieg er eine Biertelftunde lang, fo begann fein Gejchret 
nur defto Ärger und heftiger, „Condukteur!“ fehrieer, „ich eritide, 
ih bin ganz todt! O, ich unglüdklicher Denfch! Meine Herren, ich 
nehme Sie zum Zeugen, daß mir der Conduttenr meuchelmörderiſch 
nach dem Leben trachtet!“ 

So kamen wir nach Cambray, und meine Uhr zeigte mir, daß 
es glücklicher Weiſe ſchon Mitternacht ſei. Als wir dieſe Feſtung 
hinter uns hatten, wurde der blinde Paſſagier etwas ruhiger, und 
wir fingen an, und auf ein Bischen Schlaf zu freuen. Ich lehnte 
meinen Kopf gegen einen fchweren Koffer, der fich mir freundfchaft« 
ih von hinten genähert, und befand mic fo eine Zeit lang zwiſchen 
Schlafen und Wachen, ald der unausftehliche Menſch wieder anfing: 
„Condukteur, be, Condukteur!“ — „Zum Teufel, laſſen Ste mid 
zufrieden!" — „Condukteur!“ — „Was gibts denn um Gotied 
willen?” — „Haben Sie das Bud der Hundert und Eins gelefen, 
Condukteur?“ — „Ad, ich wollte, daß Sie mich in Frieden lies 
Ben!" — „Haben Sie e8 gelefen?“ fchrie er lauter. „Oder Sie, 
meine Herren?” wandte er ſich an uns. 


262 Eine Reife 


/ 

Meine Nachbarn Iachten und erwiderten ihm, daß fie es freilid 
kennten, aber was die Frage heißen follte. „Alfo haben Sie es 
geleſen?“ fuhr er fort. „Ein famoſes Buch, Sie werden ſich des 
Kapiteld von der Morgue erinnern, die Erzählung von der Amme 
aus der Normandie, die mit dem ihr anvertrauten Kinde, einem 
unmündigen Jüngling, nad Paris reist. O, meine Herren! Das 
arme Kind gerieth, wie ich, unter das Gepäd; es kam erftidt nad) 
Paris, wie ih erftidt nah Brüffel fommen werde. Conduftenr! 
gibt es eine Morgue in Brüſſel?“ Jetzt aber vereinigten wir unfere 
Boritellungen mit denen des Condukteurs und baten vereint um 
Ruhe, worauf der blinde Paſſagier hinter dem Leder her mit dum- 
pfer Stimme zur Antwort gab: er wolle fein möglichftes thun, aber 
es ſei hart, ftillfehweigend fterben zu müffen. 

Jetzt hatten wir eine Zeit lang Ruhe, und würden wahrfcein: 
lich aus Ermüdung eingefchlafen fein, wenn nicht unglücklicher Welfe 
eine der Melonen unter dem Sitze hervor und zu den Füßen meine? 
Nahbarg gerollt wäre. Diefer dehnte fih fchlaftrunten aus und 
bohrte feine beiden Abfäge fo heftig in die reife Frucht, daß fie 
"auseinander plaßte und einen wahrhaft betäubenden Geruch verbrei- 
tete. Diefer mußte fogar bis Hinter den Ledervorhang gedrungen 
fein, denn wenige Sekunden fpäter meldete ſich der blinde Paflagier 
‚aufs Neue und erkundigte fich beforgt, ob mit feinen Melonen etwas 
"vorgefallen ſei. Mein Nachbar verhehlte ihm das Unglüd nicht, 
Das gefchehen, worauf der Sammer des armen Epicier fo groß ward, 
Daß wir in ein allgemeines Gelächter ausbrachen. Anfänglich är- 
gerte ex fich darüber, doc bald ftimmte er mit ein, und bat fid 
nur die Freiheit aus, fein Unglüd bejammern zu dürfen, was er 
denn auch fo überaus Träftig that, dag von einem Schlafen ferner 
Die Rede gar nicht mehr fein konnte. 

Glücklicher Weiſe dämmerte bald der Morgen auf, und wir- 
erreichten Valenciennes. Bald kamen wir nad) Quivrain, wo wir 





nah Paris, 263 


und zum Eintritt in Belgien einer Viſitation unterwerfen mußten, 
die aber fehr gelinde auzfiel. 

Eine halbe Stunde darauf faß ich auf dem guten Bolfter des 
Eifenbahnwagend und floh gen Bräffel. Der blinde Pafjagier mit 
den Melonen befand fih in einem andern Wagen, und ich habe 
ihn nicht wieder gefehen. Doch tft mir jebt, mehr als ein Jahr 
nach dieſer denfwürdigen Nacht, der Geruh von Melonen fo zumwis 
der, daß ih nicht im Stande wäre, ein Stückchen von dieſer Frucht 
zu eſſen. 

Wie glücklich war ich, als ich nach der fo ſchlimm zugebrachten 
Naht eine Stunde in meinem bequemen Zinmer ded „Hotel de 
Flandre“ zu Brüffel ausruhen konnte, und alddann neu geftärkt, 
anf Die Straße ging. Unter dem Thorweg des Gafthofes fah ich 
einen Herrn und eine Dame, welche die Eifenbahnkarte eifrig ftudir- 
ten. Beide fchienen mir nicht fremd, und als ich näher trat, er- 
fannte ich den Wiener mit feiner liebenswürdigen Frau, welche ſich 
unter den Abfahrtöftunden eine für fie paflende ausfuchten, um nad 
Aachen zurüdzufehren. Glüdlicher Weife ließen fie fich bereden, 
noch ein paar Tage in Brüſſel zu bleiben und wenn mir die Dame 
auch anfänglich ein böfes Geficht machte, daß Th fie in Mecheln fo 
ſchnöde verlaffen (denn fie gab mir die Schuld), fo wurde fie doch 
bald wieder überaus lieb und freundlich, und wir verbrachten nod) 
ein paar recht vergnügte Tage en famille im „Hotel de Flandre“ 
zu Brüflel, 


— —— — — 


Eine Rigifahrt. 


Man muß auf dem Nigi gewefen fein, um in guter Gefellfchaft 
von Reifen fprechen zu dürfen. Es Hilft Alles nichts, wenn man 
auf die vielen Fragen, ob man dort war, geſchickterweiſe ablenfend 
3. B. von den Wundern des Balkan oder Libanon erzählt, von 
fteilen Päſſen fpricht, zwei Fuß breit, mit Schnee und Steinge 
rölle bededt, rechts eine Felfenwand von einigen Tanfend Fuß 
„Höhe, links ebenſo tief fteil hinab in's Meer, Päſſe, bei denen 
felbft das ficherſte Maulthier bedentlih den Kopf ſchüttelt. — 
Und Sie waren nicht auf dem Rigi?“ — Leider nein! Aber die 
Thäler zwifchen dem Libanon und Antilibanon find wunderbar 
ſchön; dort in der Gegend, wo Eden liegt, das ehemalige Para 
Died, wo Adam und Eva gelebt und geliebt und gefündigt.“ — 
„Aber der Rigi!“ — „Oder weiter hinauf zu den Cedern um die linke 
Ede von Balbeck, die alte berühmte Zempelruine, führt der Weg 
vorbei, prächtige, herrliche Bäume, diefe alten Cedern; fie waren 
ſchon zu Salomo's Zeiten befannt, man verfertigte Damals aus 
ihrem Holze Die Bundeslade, in der neneften Zeit unendlich viele 


⸗ 





Eine Rigifahrt. 265 


Bleiſtifte“ .. . . „Aber die Befteigung des Rigi ift eine Erinner- 
ung, die für’ ganze Leben bleibt, wunderbar großartig und herts 
ih! Mein Mann war mit mir droben, und Therefe und Roſalie. 
Bir find auf einem Pferd binaufgeritien, natürlich abwechfelnd; 
wir haben den Sonnenuntergang gefehen in gelb, roth, braun, 
violett und grün. Die ganze Natur war wie eine Eoloffale Fars 
benfchachtel mit Gold» und Silbermuſcheln.“ — „Ja, Mama, und 
erft die vielen Seren mit ihrem gottvollen, grünen Waſſer.“ — 
„Und Mama, das unausfprechlich reizende Alpenglühen, genau wie 
im Theater beim legten Zenfterl'n, nur viel fchöner und großate 
tiger, und dazu dad Blafen des Alphornd, den Kuhreigen, tu — 
im — tutututu — tü — tututu — td — tutututu — tu — u — u — 
u—“ „Und, lieber Freund,“ fagt der Vater der Familie, mit 
ber man fpricht, „die herrlichen, fetten Kühe, mit dem melodifchen 
Klang ihrer Glocke; hier lernt man erft unferen Schiller verftehen, 
wenn er 3. B. im Wilhelm Tell fagt: 


„Die braune Lieſel kenn’ ih am Geläute.” 


Alſo Ste waren wirklich nie auf dem Rigi?“ — „Ich muß unend- 
ih bedauern.“ — „Das ift fehr ſchade.“ 

Sp tft e8 uns häufig ergangen, geneigter Leſer. Was half 
es und, daß wir auf dem Meer Stürme durchgemacht, Schiffbrüche 
erlitten, dag wir mit wilden Arabern gekämpft, daß Kugeln civi⸗ 
lifirtter Rationen um unfere Ohren gepfiffen, daß wir das Glück 
hatten, das Oberhaupt der chriftlichen Kirche von Angefiht zu An⸗ 
geficht zu fehen, fowie mit Paſcha's von fehr vielen Ropfchweifen 
Pillau zu efien und Kaffee zu trinken! Es befand ſich eine empfind- 
liche Lücke in unferem Neifeleben — wir waren nicht aufdem Rigt, 
und diefen Fehler befchloffen. wir, im Laufe dieſes Sommers gut 
zu machen. 

Zu Nug und Srommen vieler unferer Leidendgefährten überges 
ben wir nun nachfolgende Skizze, ohne zu erflären, daß wir Einer 


m 


—* 


266 Eine Rigifahrt. 


der Helden derſelben geweſen. Wir verſchweigen das aus wahrer 
Menfchenliebe, und erlauben fogar Jedem, der nicht den Rigi bes 
ftiegen und Doch gerne dafür angefehen fein möchte, fih zu einem 
der drei jungen Leute zu befennen, die im Juli diefes Jahrs im 
Gaſthofe zur Eintracht in Weggis faßen, Hinter fi) den See, 
vor fi den Rigt. Es iſt eine wahrhafte Gefchichte, welche wir zu 
erzählen im Begriff find, und wenn der geneigte Xefer hiedurch 
einen Meinen Begriff erhält von dem Berge mit der fchönen Aus- 
fiht, fo erfährt er zu gleicher Zeit, zu welch’ fonderbaren Verwick⸗ 
ungen es führen fann, wenn man einen Strobhut mit blauem 
Band trägt, oder eine etwas lange Nafe hat, oder einen röthlicd- 
blonden Schnurcbart, defien Enden aufwärts gedreht find. 

Die eben benannten Wahrzeichen fah man bei den drei jungen 
Leuten, die vor der Befteigung des Berges ihr Diner in Weggis 
einnahmen. Der mit dem Strobhut und blauem Bande war Mus 
filer, die lange Nafe gehörte einem Schriftfteller, und der roth- 
blonde, emporgewichste Schnurrbart zierte die Oberlippe eines 
Malers. 

Der Vierwaldftätterfee zeigte Übrigens an diefen Tage den 
Reiſenden kein freundliches Gefiht. Es mußte geftern irgendwo 
gewittert haben, und die zerrifienen Wolkenmaſſen, welche der Wind 
in die Berge bineingejagt, Hatten fich zwifchen den Zaden feftge 
ſetzt, ſchwebten da bald lang geftredt wie graue Schleier, bald ſelt⸗ 
fame Formen bildend, als wollten fie die Geftalten der Felsgegend 
rings umber nahäffen. Das Wafler des See's war durdfichtig 
dunkelgrün, faft ohne Bewegung, und wie es dalag, fpiegelten fih 
die fchroffen Ufer finfter und unheimlich in ihm ab, und nur weis 
terhin war der See in geringer Bewegung unter dem Heinen Boote, 
das, eine gefräufelte Furche Hinter ſich berziehend, gen Zuzern 
Dampfte. Der Berg hatte nicht minder ein unfreundliches Anfehen ; 
feine Schluchten hinauf zogen duftige Wolkenmaſſen, fein Haupt 
war in dichte Nebel gehüllt. 





Eine Rigtfahrt. 267 


Am Fuß des Rigt iſt e8 erlaubt, vom Wetter zu fprechen, ja 
fogar Pflicht, dies zu thun. Bon gut und ſchlecht hängt das Ge- 
fingen der ganzen Tour ab, denn man fleigt ja nur hinauf, um 
einen freundlichen Blick der Sonne zu erhafchen, fet es bei ihrem 
Niedergang, fet ed bei ihrem Anfftehen. Aus diefem triftigen 
Grunde nun drehte fih die ganze Unterhaltung im Gafthofe um 
diefes Thema, man fragte den Wirth, die Wirthin, Kellner, Haus- 
fnechte und Stubenmädhen, man forfchte bei den anwefenden 
-Sremden, was file vom Wetter halten, und man ließ fi) über Ne 
bel, ja über Regen täufchen, denn man hoffte das Beſte. 

„Diele, die im Sonnenfcheih Hinaufgingen,“ fagte ein alter 
Führer (ed könnte auch wohl ein Gemfenjäger gewefen fein), hats 
ten droben fehr fchlechtes Wetter, und Andere, die im Regen und 
Rebel von bier gingen, genoßen auf dem Berge der fchönften Aus- 
fit. Begreiflicherwetfe hört man bier aber immer das Beſte vom 
Better, denn Führer und Pferdevermiether find mit dem Wirthe 
belannt und befreundet, und reichen einander die Hände, indem fie 
den Reifenden in einer guten Hoffnung den Berg hinauf fchiden. 

So auch unfere Drei! Sie rüfteten fih zum Aufbruch, indem 
fie nur einen gemeinfchaftlichen Nachtſack mitnahmen, und ihr übri⸗ 
ges Gepäck zurüdliegen. Bor dem Haufe ſah man eine Meine Ca⸗ 
zavanez da faßen Engländer fchon hoch zu Pferde in praftifchem 
Reifeanzug, den man ihnen nun einmal nicht abfprechen kann, den 
weichen Filshut auf dem SKopfe, um die Schultern den grauen 
Plaid gefchlungen, der Paletot, Mantel, Bettdede und Schlafrod 
vorzuftellen im Stande tft. 

Auch Damen wurden foeben beritten gemacht, Damen mit gros 
Ben, runden Strohhüten, die ihnen ein allerlichftes Ausſehen gaben, 
und fie fo vor der Sonne ſchützten. Weil fie jung und hübſch 
Waren, wurden fie vom Wirth felbft in den Sattel gehoben; au 
Ihnallte er ihnen den Bügel mit Umfiht und Sorgfalt. Es war 
ein Inftiges Getreibe, man fah bier auch Gefellfchaften, die zu 7” 


268 Eine Rigifahrt. 


binanfftiegen, alte Herren und dicke Damen, die ſich vor dem Reiten 
fürchteten, und keuchend an jeder Ede fliehen blieben, und fenfzend anf 
das zurüdgelegte, Meine Stüd Weges blidten Dann glommen rüftige 
Träger hinauf, zu zwei einen Seſſel tragend, ein bequemed aber 
etwas theures Transportmittel für Solche, die nicht reiten wollen, 
und denen dad Gehen zu fchwer wird. 

Unfere Drei hatten zufammen ein Pferd gemiethet, und der 
Strohhut mit dem blauen Bande beſtieg es zuerſt. Er ſchnallte 
den Nachtſack Hinter ſich, und hatte den Alpenſtock vor fih quer auf 
den Sattel gelegt. Die anderen Beiden nahmen, wie ſich's gehört, 
den Weg unter die Züße, und fliegen aufwärts, daß es eine Luſt 
und Freude war, 

Anfänglich führt der Weg durch eine Art hohle Gafle an 
Häufern ,; Ställen und Scheunen vorbei: die Ausficht rechts und 
links ift dur Baumgruppen und Gefträud verdedt, nur bie und 
da ift ein unbebeutender Blick in’s Thal erlaubt, und ein Feines 
Stückchen See, das durchblickt, ein paar ungewiſſe dunfle Felfen, 
die man fieht, laffen ahnen, daß man weiter oben eine wun⸗ 
derbare Ausfiht Hat. Und fo iſt es auch. Man fteigt fo allmälig 
über die Wohnungen der Menfhen empor und Täßt die lebten 
Häuſer hinter fih, denn was jept noch kommt, find Sommerwohe 
nungen, Sennhütten. Auch das Laubholz verläßt und; wir haben 
rechts und links Tannen und Fichten, präcdtige Farrenkräuter und 
ſchönes Unkraut mit glänzenden blühenden Blumen, die fi in 
feinem Garten neben ihren zahmen, gut erzogenen Schweſtern zu 
ſchämen brauchten. Ebenſo verändert fich der Weg nach und nad), er 
kommt nicht mehr gerade wie Anfangs vorwärts, fondern windet fi 
mühſam Hin und ber, bald links an die Bergwand bin, bald rechts 
an den Abgrund, wo leichte Holzſchranken eine moralifche Sichere 
heit gewähren; bald beiteht er aus weichem Sand, angenept von 
einem Felöbächlein, das Iuftig neben ihm hinabſpringt und murmelnd 
erzählt von der Schönheit droben; bald- ift er bedeckt mit Loderem 








Eine Rigifahrt. 269 


Steingeröll; bald hat er an feinen Seiten Tannen und Strauch⸗ 
wert, bald riefenhafte Felsſtücke, die auf unbegreifliche Weiſe fo 
von ihrem Stamme Ioögetrennt und hierher gerollt wurden. Hier 
müſſen einftens Rieſenkinder ihr harmloſes Spielwerk getrieben ha⸗ 
ben mit dieſen Felsblöcken, die jetzt unten mit grünem glänzendem 
Moos bewachſen ſind, eine beſcheidene Erdbeerfamilie ſchützend, die ſich 
dort eingeniſtet mit ihren grünen Gliedern und geſund ausſehenden 
Geſichtern, oben überwuchert von neugierigem Schlingkraut, das 
hinauf kletterte, um ſich in der Gegend umzuſehen. Und hoch ſind 
dieſe Steine, denn von unſern Dreien verſchwindet die große Naſe 
augenblicklich Hinter ihnen, nnd auch von dem gekräuſelten Schnurr⸗ 
bart, ja fogar von dem Reiter fieht man nichts mehr, ald den Stroh⸗ 
hut mit blauem Bande, 

Aber troß diefer Mannigfaltigkeit bleibt fih Etwas am Wege 
immer gleich, das ift, daß er beftändig aufwärts fteigt, bald leicht, 
bald fteil; nur zuweilen hat er einen Keinen Ruhepunkt, wie 
eben jetzt hinter: den großen Steinen, wo der Führer das Pferd 
anhält; wo fi der Strobhut, die Nafe und der Schnurrbart 
überrafcht und entzückt zu gleicher Zeit rechts wenden. 

Sie find ſchon fo Hoch geftiegen, daß fie einen ziemlichen Theil 
des wildromantifchen Sees der Vierwaldſtädte überbliden können, 
fo hoch, daß das tiefgrüne Waller in den unregelmäßigen Schludh- 
ten feiner Felsufer ganz wie unbeweglich erfcheint, daß das Dampfs 
boot ausficht, wie eine Meine Waflerfpinne, ja fo hoch, daß fie 
einzelne weiße Wollen unter fi fehen; in die Schluchten der Fels 
fen haben fi) diefe eingeffemmt, leichte, weiße, verlorene Wefen, 
verfprengte Schaaren des großen Wollenzugd droben, denen die 
Kraft mangelt, ſich zu erheben, und die langfam verſchwimmen 
und vergehen. 

Der Führer ſieht mit zufriedener Miene an den Himmel hinauf 
und erwidert dem Strohhut, der ſich quer auf ſeinen Sattel geſetzt, 
das Wetter werde fich aufklären und man einen ſchönen Sonnen⸗ 





270 Eine Rigifahrt. 


untergang haben. Der Schriftfleller mit der Rafe, fowie der Maler 
mit dem Schnurrbart, haben ſich niebergelaflen, und während der 
Grftere einige begeifterte Worte in fein Taſchenbuch fchreibt, hat 
der Leptere den Alvenftod wie einen Pinfel erfaßt und zeichnet 
wonnetrunfen die prächtigen Eonturen der Landſchaft in der Luft 
nad. Der Muſiker zu Pferde ſummt eine fentimentale Melodie in 
Es-dur, und dann fagt er: „Wir hätten aber auf Ehre nichts Ge 
fcheidteres thun können, ald trog Nebel und Regen bier herauf 
glimmen. Gebt nur Achtung, wir werden belohnt, und unfer 
Kührer hat Recht; feht dort die grauen Wolfen, in welch’ eigen- 
thümliche Bewegung fie gerathen, es ziehen hellere Streifen hin⸗ 
dur, von Nord nach Süd, und das ift ein Zeichen, daß der gute 
Wind Meifter wird.“ 

„Auch dort im Weiten regt es fi,“ ruft der Maler und bes 
ſchreibt große Kreife in der Luft, „die zufammengeballten dunklen 
Wolken über Luzern nehmen eine andere Stimmung an, es drängt 
fih ein heller Ton dur, bläulich grau, am Rande mit einer gel 
ben Schattirung.” 

„Es war nur ein Gewitter,” fagt der Mann mit dem Strob- 
hute. 

„Der Tag von Simon und Judä, 
Da rast der Sturm und will fein Opfer haben,“ 


deklamirt der Schriftfteller, worauf der Mufiter antwortet: 

„Und er bekam fein Opfer, denn während ich meinen Strohhnt 
retten wollte, fiet meine Brille in den See. Ich bin nur noch ein 
halber Mann.“ 

Der Führer trieb das Pferd wieder an, und auf’d Rene fliegen 
fie rüftig aufwärts, mit hellem Aug’ um ſich blickend, und athmeten 
die angenehme Bergluft in tiefen Zügen. Es war aber bier aud) 
eine andere Atmofphäre als drunten im Thal, fo würzig, fo Mar, 
fo ftärkend, das Grün der Wiefen glänzte in wunderbarer Friſche, 


Eine Rigifahrt. 271 


da8 Laub der Bäume hatte nicht gelitten vom Sonnenbrand und 
Dunft der Straße, dad war Alles jungfräulih und frifch, wie eben 
and der Knoſpe geichlüpft, wie eben aus der Erde hervorgebrochen. 
Und dazu die Haren Waſſer, die rechts und links herabfchoflen, 
unter berabhängenden Bäumen und Gefträuh, das fih auf die 
Wellen niederbeugte und fie füßte und fie freundlich bat, drunten 
das Thal zu grüßen, das Thal, das fie fahen, von dem fie viel 
‚gehört, wohin aber nur wenig auserwählte Blumen von ihnen 
gelangten, vielleicht ald Zweig auf dem Hut eines Wanderers, oder 
al8 Bouquet an der Bruft eines jungen Mädchens. 

Und wie feierlih und angenehm ftil war e8 bier oben auf 
dem Berge. Man Tonnte fein eigenes Herzklopfen hören, wenn 
man ftill ftand, man wurde durch die Mube fo feierlich geftimmt, 
dag man kaum laut zu fprechen wagte, und wenn man Töne vers 
nahm, fo hätte man fie um Alles nicht unterbrechen wollen, denn 
fie waren voll füßer geheiligter Erinnerungen. Die melandholifchen 
Klänge eines fernen Alphorns erinnerten füß und fihmeichelnd an 
die Zugendzeit, wo man deren vernommen und gelefen, und man 
erinnerte fih der Gefchichten von den armen Bewohnern diefer Berge, 
wenn fie hinabgeführt wurden in's Thal, und da fie nicht zurüd- 
fonnten, fat wahnfinnig wurden bei den befannten lieben Klängen. 

Das mochte auch der Maler denken, denn er horchte aufmerffam 
auf die feltfamen Töne, und als es aufhörte, funmte er ein Lied: 


Zu Straßburg auf der Schanze 

Da ging mein Trauern an. 

Das Alphorn Hört’ ich drüben wohl anflimmen, 
In's Vaterland mußt’ ich hinüberſchwimmen; 
Das ging niht an. — 


Nun Hang auch eine Glocke aus dem Thal herauf, und droben 
vom Berg antwortete eine andere ernft und feierlih. Was mod) 
ten die beiden wohl verfündigen? Vielleicht nichts Beſonderes; 


272 Eine Rigifahrt. 


aber es iſt wunderfan, wie bier auf dem Berge in der gewal⸗ 
tigen Natur Alles bedeutungsvoll, bilderreih if. Unwillkürlich 
ſieht man ein Feines Kirchlein geöffnet, eine zweifelhafte Selle 
dringt durch die alten gemalten Scheiben, und übergießt die Mutter 
Gottes und das CHriftusfind mit glühenden Zarben. Links in 
einer dunkeln Niſche Iniet eine alte Frau, . verloren in ein brün- 
fliges Gebet. Nachdem fie geendet Hat, macht fie ihr Kreuz, knixt 
vor dem Hodaltare und geht dann huftend hinaus, Dort bei dem 
jungen Mädchen vorbei, das vor der Mutter Gottes auf ihren 
Knieen Liegt, das Haupt tief gefentt und ftill weinend. — — 

So erzählen die Töne der Gloden, und wenn fie niht plötz— 
U aufhörten, würden fie und vielleicht auch fagen, warum bas 
junge Mädchen geweint; aber mit dem letzten Ton entfliehen Die 
Bilder, und das Alphorn, was in der Kerne nun wieder beginnt, 
fowie dad NRaufchen eines Bergwaſſers, das plößlich neben uns 
berunterfpringt, führen uns wieder tn Die Gegenwart zurück. 

Hier tft ein neuer Ruhepunkt mit einer weiteren fchöneren Aus⸗ 
fiht. Die Berge, die den See vorhin noch hoch umgaben, Tiegen 
nun lang bingeftredt unter uns in dunkelgrün, violett und braun, 
ja die Schluchten zeigen fih faft ſchwarz, nur von den unteren 
Abhängen glänzt helleres Grün, das in langen Streifen hinauf 
geht: gut bewäflerte Wiefen und Laubholz. Die Heinen Dörfer 
in den Buchten erfiheinen zierlich, ja komiſch; es iſt eine fchöne 
Miniaturwelt, das weiße Kirchlein und die andern Häuferchen, wie 
einem Spielzeug für Kinder entnommen, und, wie ed die Kinder 
zu machen pflegen, dort unregelmäßig bingebaut. 

Aber das Herz erweitert fich bei all’ dem Schönen und Großen, 
was man bier ſieht. Hinter Bergen und Felfen, die noch vor 
furzer Zeit unferen Horizont begrenzten, erfcheinen andere gewals 
tigere; bald einzelne Kuppen, bald lange Ketten, bie und da mit 
Schnee bededt, denn der ift noch liegen geblieben, da ihn die Sonne 
mit ihrem warmen Strahl nicht erreichen kann. Nur in einzelnen 


Eine Rigtfahrt. 273 


Punkten fieht man die Bergwände mit weißen Flächen bededt, 
saber die Gipfel diefer Berge find dunkelgrün, bräunlich, violett, 
ftellenweife in Dunft und Nebel gehült. Aber es ift eigenthüms 
lich, wie fie foheinbar fo hintereinander auftauchen und und kleine 
Weſen fo neugierig anftarren, faft bei jedem Schritt neue Berg- 
fpigen, neue Thäler. Es ift, als fei die ganze Natur lebendig 
geworden und richte fich langſam und feierlih empor, damit wir 
fie befjer fehen können. 

Neben den Klängen des Alphorns, die ein unfichtbarer Virtuos 
immerfort bervorbringt, hören wir jept das melodiſche Läuten der 
Kubgloden und fehen zahlreiche Heerden, wie fie an den Abhängen 
der Alp weiden und die frischen Kräuter abreißen oder und ge⸗ 
müthlich anftarren mit den großen dunklen Augen, genußreich wieder 
fäuend, das gutmüthige, breite, naſſe Maul weit vorgejtredt. Auch 
Ziegen klettern um und herum, Heine balbbraune, weißgefledte 
Wefen mit einer eidechfenartigen Behendigkeit. Sept ruhen fie im 
dichten Geftrüpp am Wege aus, und wenn wir näher fonmen, 
fahren fie abwärts, wedeln Iuftig mit ihrem unbedeutenden Schweif- 
hen und laffen die Meine Glode an ihrem Halſe erklingen. 

Der Weg hat fih unterdefien ſtark links gewandt und beginnt 
fteil und immer fteiler zu werden. „Das tit noch Alles nichts,“ 
jagt der Führer und zeigt auf eine ſenkrechte, vielleicht taufend 
Fuß hohe Felſenwand zu unferer Rechten; „dort muß man hinauf, 
da fangen die Berge erft recht an.“ 

Da nun unfere Drei ein Drittel DES Weges zurückgelegt haben, 
fo ift es nicht mehr als billig, daß im Reiten abgewechfelt wird, 
und an einer paflenden, einigermaßen ebenen Stelle hält der Führer 
an, und der Strobhut mit dem blauen Bande fteigt ab. Bevor 
fi) aber die Nafe, die nun an die Reihe fonımt, binauffhwingt, 
wird eine kurze Raft befchlofien, und alle Drei lagern fih auf dem 
Boden, das Neitpferd weidet nicht weit von ihnen, und der Führer 


ftellt fih auf einen Felsvoriprung und fchaut den "es zbinab, den 
Hackländers Werke. VI. 





274 | Eine Rigifahrt. 


fie gefommen, und nachdem er einen Augenblid alfo gethan, nimmt 
er feine Peitfhe mit kurzem Stiel und langer Schnur, und fängt 
an zu fuallen, daß ed in den Bergen wiederhallt. Doc treibt ihn 
hierzu nicht Die Luſt des Knallens allein, fondern fein ſcharfes Auge 
hat eine Partie anderer Neljenden entdedt, die nachkletten. Er 
horcht Hin und fagt: „es find drei Pferde.” Dann knallt er wies 
der wahrhaft marfdurchdringend, und drunten wird ihn, fheinbar 
leife, geantwortet. Dann juchzt er laut auf, was von unten als⸗ 
bald erwiedert wird, und hierauf fnallt er wieder und wechſelt jo 
ab mit feinen Freundfchaftäbezeugungen, bis ihn endlich der Maler 
mit dem rothen Bart, unter welchem eine tiefe Baßſtimme hervor— 
fommt, erfucht, gefälligft fein Maul und feine Peitfhe zu halten, 
worauf der Führer mit einem langen und gewaltigen Juchzer endigt. 

Die Drei figen da in gerechter Bewunderung, und Jeder von 
ihnen wendet natürlicher Weiſe feine Aufmerkſamkeit einem bejon= 
deren Gegenftande zu, Der Mufiker iſt fehr unruhig, bis er es 
herandgebradht hat, ans welcher Tonart das Alphorn geblajen 
wird; und dies zu ergründen fit feine Kleinigkeit, denn der Berg— 
horniſt wechfelt oftmals im Ausdrud feiner mufilalifchen Gefühle. 
Des Malers gieriges Auge fchweift unftät umher, um von Con— 
turen und Tönen fo viel ald möglich in fih aufzunehmen. Er 
ift wie ein Schwamm, und wenn er recht vollgejogen nad Haus 
fommt, fo braucht er nur vor die Staffelei hinzutreten, und es 
tröpfeln nur fo Bilder auf die Leinwand bin, Alpengegenden und 
Schneeberge mit und ohne Sonnenbeleuhtung, fliegende Wolken 
und blauer Himmel, ſchäumende Waldbähe und rubiggrafende 
Kühe. Der Dichter feines Theils ſchwärmt laut und feierlich, und 
denft an den unübertrefflichen Schiller; er hat einige Aehnlichkeit 
mit ihm, in der großen Nafe nämlich, und er ſchäumt vor Begei—⸗ 
fterung und verfichert einmal über's anderemal, daß nur auf den 
Bergen Freiheit fei, und daß der Hauch der Grüfte unmöglich 
hinaufdringen könne auf die Spike des Nigi. 





Eine Rigifahrt. 275 


Endlich verftummen alle Drei und fcheinen tief über etwas 
nachzudenken. „Es iſt doch fonderbar,“ fagt der Strohhut nad 
einer Pauſe, „daß ich heute Nacht im Traum diefe Gegend vor mir 
gefehen.” 

„Und ih!” fügt der rothe Schnurrbart bei. 

„Und ich!” feufzt die lange Nafe, und der Mund, der zu ihr 
gehört, lächelt ſüß und wonnevoll. 

„Es ift das fchon oft yalfirt,“ nahm der Mufiler wieder das 
Wort, „daß man von einer unbekannten Gegend träumt, und fpäter 
im Leben in diefe Gegend kommt, aber daß drei Leute in drei 
verfchiedenen Betten dajjelbe träumen, ift eine Merkwürdigkeit.“ 

„Und den Rigi fo deutlich vor ſich ſehen,“ feßte der Maler 
hinzu. 

„Und dabei ein ſüßes Liebesglüd erleben,“ meinte der Schrifts 
fteller. 

„Uuerhört !” fagten die Drei wie aus Einem Munde. 

„Wäre es lieber eine Nummer gewefen, die wir geträumt,” 
fegte der Maler hinzu, „fo hätten wir vieleicht das große Loos 
gewinnen können, aber Liebesglück — was thu’ ich damit? Daran 
hat es mir noch nie gefehlt.“ Bei diefen Worten faßte er mit 
beiden Händen feinen rothen Schnurrbart und drehte die Spipen 
jo fürchterlich aufwärts gegen Die Augen, daß dieſe unmwillfürlic) 
vor Schrecken zu blinzeln anfingen. 

„Im Grunde haft du Recht,“ verfeßte der Muſiker achjels 
zudend, „wozu auch Liebesglück? Kine Tonart im Leben, teren 
Anſchlag nur felten rein gelingt, Variationen über ein fehr abges 
drofchenes Thema.“ 

„D nein, fag’ das nicht!“ rief der Schriftiteller mit der großen 
Naſe: 

„Was iſt das Leben ohne Liebesglanz? 
Ich werf' es weg, da ſein Gehalt verſchwunden.“ 
Leider aber machte er mit ſeinen Citaten nicht den gewünſchten 


276 Eine Rigifahrt. 


Gindrud, woran nur feine Stinnme fchuld war, vielleicht wegen 
feiner Nafe, denn er näfelte bedeutend, namentlich wenn er be 
geiftert ſprach. Die Nafe ſchien wie eine Sourdine auf feinem 
Drgan zu fihen, und da er dies fühlte, machte es ihn oft traurig 
und nachdenfend. 

In diefem Augenblid ſprang der Führer wieder auf das äußerte 
Felsſtück und ließ trotz des Malers Verbot feine Peitſche knallend 
durch die Lüfte faufen, auch juchzte er dabei mehr ald nothwendig, 
und ganz dicht unter den ruhenden Reiſenden wurde Knallen und 
Juchzen wiederholt, fo daß ein paar Kühe erfchroden auf die 
Seite fuhren und mehrere Echo ſich laut verwunderten. 

Die neuen Aufwärtsjteigenden kamen jept näher; es waren 
dret Damen in gelben, gewöhnlichen Strohhüten, und vorn an 
diefe Strohhüte hatten fie Verlängerungen angefeßt, in Form von 
Augenfhirmen, in grüner, brauner und blauer Farbe. Diefe Da- 
men faßen fehr aufrecht in ihren Sätteln, jede hatte Hinter fi 
einen Nachtſack, und den drei Pferden folgte ein alter Diener 
zu Fuß, der, auf feinen Alpenftod geftüßt, ziemlich verdrießlich 
dreinfchaute, 

„Berade wie im Traume!“ fagte erftaunt der Strobhut im 
biauen Bande. 

„Drei Danen zu Pferde,“ ſetzte die Nafe hinzu. 

„„Nur den alten Diener fah ich nicht,“ meinte der Schuurrbart. 

Die drei Damen, die ganz nahe waren, befanden fih in an- 
ftändiger Toilette; grau war vorherrihend, und ihre Körperformen 
ziemlich verfchieden. Die Erſte war lang und Hager, und fchaute 
durch eine blaue Brille, Die Zweite war kurz und did, und hatte 
ein Meines Bud) in der Hand; die Dritte endlich war weder groß 
noch hager, weder kurz noch did, ein gefunder Mittelfchlag; fie 
pätichelte kofett ihr Pferd auf den Naden,' das aber — beiläufig 


gefagt — feine Notiz Hiervon nahm, denn fo wie es ftil ſtand, 


fentte es den Kopf, und fing an zu frefien. Weber das Lebensalter 











Eine Rigifahrt. 277 


in welchem fich diefe drei Damen befanden, war eö in der That 
ſchwer, etwas Genaues und zugleih Schmeichelhaftes zu fagen. 
Wenn man, fie als Pflanzen betrachtend, von ihnen hätte fagen 
wollen, fie ftünden noch in der Blüthe, fo meinte man offenbar 
Blumen mit fehr fpäter Entwidlung. Sie hatten die Laubregion 
hinter fi, uud näherten fich jener Höhe des Xebens, wo die Bes 
getation dürftiger wird, wo Nadelholz gedeiht, und wilde Rofen 
fparfamer wachſen. 

Es ift nun an fih nichts Sonderbares, daß man, am Rigi 
ausruhend, drei reitenden Damen begegnet, aber etwas Seltfames 
bleibt e8 immer, wenn man von diefem Faltum in der verganges 
nen Nacht träumte, wie unferen drei Neifenden geſchehen. Am 
fonderbarften aber war es, daß die erfte Dante mit der blauen 
Brille, fobald fie den Strohhut gewahr wurde, plögfich ihr Pferd 
anbielt, und, ftatt Links in die herrliche Gegend zu bliden, nad 
rechts fchaute, wo unfere drei Helden Tagerten ; wir können es nicht 
verfchmweigen, daß diefe Dame überrafcht war und, obgleich mit ger 
dämpfter Stimme, ausrief: „Ein Strohhut mit blauem Bande!“ 

Das ift aber noch nicht Alles. Denn troßdem wir In augen» 
Theinlicher Gefahr find, von dem geneigten LXefer für unwahr ges 
halten zn werden, fünnen wir nicht verfchweigen, daß die zweite 
Danıe im Vorbeireiten ebenfalls rechts fah, gleichfalls eritaunte, 
und gleichfalls wie zu ſich felber ſprach: „Welch' auffallend ſchöne 
Nafe!” Und dag die Dritte e8 gerade fo machte, nur mit dem Ins 
terfchiede, daß fie Strobhut und Nafe keines Blickes würdigte, das 
gegen von dem Anblid des emporftrebenden rothen Schnurbartes 
auf’8 Tieffte ergriffen ſchien. 

So zogen fie langſam vorbei; die drei jungen Männer grüß- 
ten fie achtungsvoll, und ed wurde ihnen herzlich gedankt. 

„Auf!“ rief der Schriftfteller, denn an ihm war jebt die Reihe 
zu reiten; „wir müflen ihnen folgen, der Zug des Herzens tft des 
Schickſals Stimme!“ - 


278 Eine Rigifaprt. 


„Aber dem Traume nad habe ich fie mir gang anderd vorge 
ſtellt,“ meinte der Muſiker. 

Und unter dem rotben Schnurrbart tönte ed hervor: „ältlich, 
auf Ehre, ziemlich ältlich!“ 

. Da aber die Nafe zn Pferd ſchon rüftig vorangeeilt war — 
fie faß majeftätifh im Sattel body erhaben — fo mußten die beis 
den Anderen folgen. Sie fließen ihre Alpenftöde kräftig in den 
Boden, und keuchten vorwärts. 

Der Weg zog fih jebt längs der vorhin erwähnten Feldwand 
bin, recht ſteil, recht fchmal, ziemlich gefährlich ausfhauend. Man 
glaubt kaum an die Möglichkeit, daß hier ein Pferd hinaufkfettern 
fönnte, und doch kommen die braven, rüftigen Thiere, ein gedruns 
gener Schlag, ſicher und fchnell vorwärts. Die Straße felbft if 
fo gut wie möglidh erhalten; der Felswand mühſam abgerungen, 
tft fie natürlich ſchmal, vieleicht nicht über vier Fuß breit, aber 
mit Holzgeländern verfehen, oder an der Seite des Abgruntes mit 
Bäumen und Sträuchern befeßt, wodurd dem Blick felten geftattet 
ift, in die Tiefe zu dringen; auch bat man ja bier fo viel Schönes 
zu fehen; die Ausfiht in's Thal, auf den See, wird mit jedem 
Schritte großartiger. Wahrhaftig, man hat nicht Zeit, an Gefahren 
zu denken, denen man auf diefem Wege unterliegen fünnte. Das 
Geläute, das man ſchon tiefer unten hörte, ertönt jeßt ganz In der 
Nähe; dort ift eine Heine Kapelle an den Felſen geflebt, die man 
im Augenblid erreicht; der Weg ift bier ein wenig breiter, und 
bildet einen Kleinen Pla, den hochſtämmige Tannen umftehen. In 
ihrem Schatten legt das weiße Kirchlein fo traulich; fie fireden 
ihre Zweige über das Dach defielben, fie haben es feterlich unter 
ihren Schug genommen. 

Es ift Schade, daß an diefem hübfchen, poetifchen Plägchen 
ein alter, unpoetifcher Kerl, der in einem Erdloche nebenan wohnt, 
die Honneurd macht. Hier wär ein Mönch in brauner Kutte ganz 
an feinem Plag, den Leuten das Weihwaſſer bietend und fie mit 


Eine Rigifahrt. 279 


frommem Gruße willfonmen heißend. Statt deffen erſcheint oben- 
benannter Wächter, oder was er fonft tft, ein Heiner, dider Mann, 
mit ziemlich rothem Geficht und preist fein Bier an, oder bietet 
ein Körbchen voll Erdbeeren zum Verkauf. 

Bor dem Kirchlein raften alle Reifenden einen Augenblid dem 
ſchönen Punkt zulieb, und auch weil gleich dahinter eine der fteil- 
fen Stellen des Weges kommt. Neben ber Tiefe fihlängelt er fi 
hinauf, jäh wie ein Dach, an dem wohl taufend Fuß tiefen Ab» 
grund vorbei, in den man bier vorzugsweife genau ſieht. Man 
ift froh, die Höhe zu erreichen, auf der man, ftatt der biäherigen 
Teichten Holzſchranken, nun mächtige verfprengte Felsblöcke zwifchen 
fi) und der Tiefe hat. 

Die erite fteilere Abdachung des Berges ift nun bier erftiegen, 
und der Weg führt über Alpenwiefen ebener und angenehmer fort. 
Vorher aber nimmt die Feldnatur noch einen gewaltigen Abfchied 
von und, fie entläßt uns an einem natürlichen, koloſſalen Thor, 
von ungeheuren Felsblöcken gebildet, Die einftens bei einer gewal⸗ 
tigen Revolution fo zufammenftürzten, daß fle für den Weg nur 
einen fchmalen, tunnelartigen Durchgang ließen. Schwärzlichgrau 
ift dies Geftein, finfter und drohend hängt es über unferen Häup- 
tern, während wir hindurchreiten. Die Wand zu unferer Rechten 
braucht nur einen Zoll zu weichen, und wir lägen unter einer Stein» 
mafje von Millionen von Gentnern begraben; man könnte bier 
wahrhaftig dergleichen denken, fo locker und zufällig find die Stein- 
mafjen übereinandergeworfen. Wenn man durchpaffirt ift, biidt 
man unwillfürlih zurüd, und fieht dann auf der höchften Spiße 
dieſer Felfen ein eiferned Kreuz feine Arme ausftreden. Die Füh- 
zer erzählen, daß unternehmende Leute mit Leitern da hinaufgeklet⸗ 
tert feien, um das chriftliche Zeichen dort oben zu befeftigen. 

Die drei Damen find eine gute Strede voraus, der alte Be⸗ 
diente keucht Hinter ihnen drein, doch ſchenkt Letzterer der Ausficht, 
die fich hinter ihm entfaltet, nicht einen einzigen Blick; wenn er ja 


y 
280 Eine Rigifahrt. 


einmal vom Boden auffieht, fo iſt es, um den Weg zu überbliden, 
der noch zurückzulegen. Die Damen dagegen fchauen oftmals rüd⸗ 
wärts, und es fommt den drei jungen Leuten vor, ald gelte, neben 
der Gegend, ihnen ein Theil diefer Blicke. Jetzt taucht vor ihnen 
ein Gebäude auf, ziemlich groß, von grünlicher Farbe, mit vielen 
Fenftern und großen Terraflen, das falte Bad, einer der am tiefe 
ften gelegenen Gafthöfe des Rigi. Das alte Bad liegt ziemlich 
ruhig da; auf der Hauptterraffe fpazieren ein alter Herr und eine 
junge Dame, und an der Ede fliehen zwei andere Herren, die mit 
Stäfern Herabichauen, und von denen Einer darauf eilig in's Zim- 
mer läuft. Die drei Damen und hinter ihnen die drei Herren 
kommen näher, und auf einmal wird das ftille Gaſthaus Tebendig. 
An allen Zenftern erfcheinen Köpfe, Gott mag wiflen, wo fie alle 
herfommen; fie erfcheinen und verfchwinden, und dann werden die 
Hansthüren und die Eingänge zur Terrafie geöffnet. Alles drängt 
fi in's Freie; bald iſt die Terrafje mit Menfchen angefüllt, und 
Alle Schauen angelegentlich herab, und plaudern zufammen, und 
machen Geberden, und eilen hin und ber; und an den Fenftern 
aller Stockwerke, die jegt leer find, erfcheinen Kellner und fchauen 
ebenfalls herab; aud an der Hausthüre ftehen welche, und auf der 
Treppe, Das ftille Haus hat fi) verwandelt wie ein Ameifenhans 
fen, nahdem man mit einem Fuß bineingetreten, und der ganze 
Speftafel gilt den Anlommenden. Ein Moment, wo neue Fremde 
erfcheinen, ift eine Erholung, eine Zerftreuung für alle Gäfte; ja 
Mancher ftellt draußen einen Lauerpoften aus, der e8 anjagen muß, 
fobald fi Jemand zeigt. Sind es Fremde, die dort kommen, 
oder vieleicht Bekannte? Kehren fie hier ein, oder gehen fie hin⸗ 
auf zur Staffel oder zum Kulm? 

Daß die eben Angelommenen nicht im Talten Bad bleiben, hat 
fi) bald entfchieden, denn die Damen Ienkten ihre Pferde vorbei, 
und bie drei Herren folgten ihnen. Sie laſſen das kalte Bad hin⸗ 
ter fich liegen, und wieder Geht es aufwärts, immer über fahle 





Eine Rigifahrt.. 281 


Wiefen mit einigen niedrigen Tannen, Heinen Sträuchern und 
großen Büfchen der zierlichften Farrenkräuter. Der Himmel bat 
wirklich heute ein Einſehen, und fängt an, ein freundliches Geſicht 
zu machen; die Wollen ftreifen von Nord nah Süd, fie find alls 
mälig deutlicher geworden, leichter, durchfichtiger, ja einige haben 
fi voneinander getrennt, und man fieht den Haren, blauen Himmel 
hindurch. Ja fogar die Sonne fängt an, fi freundlicht bemerk⸗ 
bar zu machen, denn vor unferen Reifenden, die.jept zufällig ganz 
weftlich ziehen, beginnt es in dem biäher Dunkeln Gewölbe aufzu⸗ 
flammen, und das gewaltige Sonnenlicht ſcheint Meifter geworden 
über Dunft und Nebel, und fendet gelbe, glänzende Strahlen em⸗ 
por. Die Wolfen heben und theilen fich, ein Theil, der finfter gen 
Süden zieht, erfcheint oben dunkelviolett, während er unten glühend 
roth angeftrahlt ift. Das Geftirn des Tages hat vor feinem Schei⸗ 
den gefiegt, und wird glänzend und ftrahlend das Schlachtfeld be- 
banpten. 

„Dort vor und auf der Höhe ift e8 ſchön,“ fante der Führer 
der drei jungen Leute, „wir haben einen guten Sonnenuntergang.” 
Und damit eilt er hinaufzukommen. 

Die Damen find ſchon oben, und von ihren Pferden abge⸗ 
feflen; fie machen Geberden des höchften Entzüdens, fie fcheinen 
einen Augenblick Willend, einander in die Arme fallen zu wollen; 
dann aber fahren fie wieder auseinander, und fchauen in ftiller 
Betrachtung nach drei verfehiedenen Gegenden. 

Sept haben auch unfere Reifenden den Berg erfliegen, und ftes 
ben ſprachlos. Sie fehen von einer andern Seite defjelben hinab 
in eine ganz neue Welt hinein, vor fich Berg, neben ſich Berg, hier 
durch grüne Wiefenthäler verbunden, dort einen tlefblauen Waflers 
fpiegel begrenzend, und rechts und links wieder Berge und wieder 
Wieſenthäler, Waldungen und Seen, und vor fich dafielbe, und 
weiter hinaus, fo weit dad Auge fchweift, abermals Berg neben 
Berg, Wald und Thal neben Wald und Thal, und Tang dazwiſchen 


282 Eine Rigifahrt. 


geftredt große, ruhige, glänzende Waflerflächen, tiefblan und tief: 
grün. Ad! und wie Alles das fiufenweife in einander verſchwimmt, 
wie man vor fich Alles fo deutlich fieht, wo Fels und Wald auf 
hört, und wo Feld und Wiefe anfängt, und wie die Schluchten 
hinausſchweifen, Die tiefgrünen, faft fchwarzen Tannenwälder, 
ſchlank und zierlih in lauter Schönheitslinien. Ind wie man 
vor fih noch die Gehege erkennt, und die einzelnen Wiefen und 
den Lauf eines Waldbachs, aber nur hie und da, wo zwifchen 
dem Grün der Spiegel des Waſſers hervorbligt; und die Häufer, 
die man im nächſten Umkreis noch deutlich fieht, die einzelnen Senn» 
hütten und die Heinen Dörfer mit dem Kirchthurm in der Mitte, 
und wie das allmälig weiterhin verſchwimmt und undeutlich 
wird, dort der Haufen Heiner, weißer Punkte, von denen man nur 
noch ahnt, daß es ein Dörfchen tft, und die vielfahe Färbung 
in den Bergen und Thälern, dur welche man allein erkennt, 
was man vor fih Hat. Dort jene grauen mafjenhaften Fel- 
fen; hellgrün, das find Wiefen, dunkelgrün, Zaubwaldungen, tief 
violett, Nadelholz; aber das Wafler der Seen dazwifchen vor fi, 
und wett, weit hinaus, bleibt immer Mar und deutlich ein glänzen: 
der Silberftreif in der dunfleren Landfchaft. Zulegt aber am grü- 
nen Streifen, den wir den Horlzont nennen, vergeht Alles in ein 
ander, Wiefe, Wald, Feld und Thal, Alles in einem einzigen dunk—⸗ 
len, grauen Ton, der fi dort am Himmel in den dichten Wolfen 
maſſen fortfegt. Und wie ift diefe Wolkenmaſſe fo feltfam geformt! 
In Norden und Süden liegt fie auf dem Horizont auf, im Weſten 

aber hat fie fich erhoben, und dort ftrahft die finfende Sonne dar 
unter hervor, ein glänzendes Niefenauge, das durch die finftere 
Woltenmafie wie durch dDräuende Augenbrauen bededt wird. Bald 
fenten fie fich tiefer, und laffen nur noch einen Heinen Strahl Des 
rothen, glühenden Lichtes durch, bald aber wallen fie hoch empor, 
"und das volle, glänzende Sonnenauge küßt liebend die aufjauch 
zende Erde, — — Ja aufjauchzend in Farbeupracht! Wenn die 


. 











Eine Rigifahrt. 283 


großartige Ausficht, Die man hier über weite Länderſtrecken genießt, 
Ihon beim Licht eines trüben Tages fo unbefchreiblich fchön tft, 
fo ift nichts annähernd Befchreibendes zu fagen von der Pracht und 
Herrlichkeit, wenn die Sonne, wie jegt bier, Alles mit einem letz⸗ 
ten, warmen Blick der Liebe vergoldet. Es ift rings umber wie 
ein Aufichrei der Luft und Freude; im Nu find alle Farben vers 
wandelt, wohin das Licht der Sonne tritt. Und wie fie fi fo 
allmälig ſenkt und alsdann hervorbridt unter den dunkelgrauen 
und violetten Wolkenmaſſen am Horizont, fo eilt das goldene Acht 
an den Bergen aufwärts, Alles, Feld und Wald, Berg und’ Wiefe, 
nochmals reich vergoldend. Wie hat fih les fo plöplich geäns 
dert, wie ift Alles and Nebel und Dämmerung fo plößlich aufge 
wet worden zum blühenden Licht des Tages! Selbſt die Schats 
ten, die in Schluchten und hinter Bergen geblieben find, theilen 
dad allgemeine Entizüden, fie find nicht mehr froftig grau, fondern 
bedect mit violettem Duft, über den ein rofiger Schimmer weht. 
Und wie drunten die Seen das Licht fo prächtig aufnehmen! Der 
Waſſerſpiegel, an den Ufern tiefgrün, hatte fo eben noch in der 
Mitte eine belle, Talte Eisfarbe; jept ift das Waſſer wie glühend 
geworden, und entlodt fogar den fchwarzen Ufern, auf fie widers 
frahlend, einen freundlichen warmen Ton. 

Es muß Hier oben fchön fein bei ganz Marem Himmel, wenn 
die Sonne ungeträbt verfhwindet vom wolfenlofen, klaren Horizont, 
aber ſchöner ift e8 gewiß, wenn fie wie heute untergebt, Tämpfend 
mit finfteren Wolkenmaſſen, und dann zulegt als Stegerin erjcheint 
im plöglich aufflammenden, rothglühenden Lichte. 

Man träumt zuweilen, daß man in einem finfteren Winkel 
fißt, hinter einem Meinen, unbelannten Zenfter, und hinausſchaut 
in eine weite, prächtige Gegend, fo heil erleuchtet, fo glänzend bes 
ſtrahlt von der Sonne, von fo Marer, durchfichtiger Luft bedeckt, 
daß man in der weiteften Entfernung alle Gegenftände auf's deut⸗ 
lihfte fieht, die einzelnen Blätter des Baumes, die Wellen Des 


284 Eine Rigifahrt. 


Bachs, glänzende Kiefel in demfelben. Dabei fühlt man, daß man 
nur träumt, Daß man etwas Ungewiſſes, nie Geſehenes, Etwas, 
das gleich verfchwinden wird, vor Augen hat. Wan blickt wonne 
trunten hinaus, man ſchöpft tiefen Athem, man faltet unwillkürlich 
die Hände, ſehnſuchtsvoll und bangend. — Hier iſt es gerade jr. 
Die Sonne berührt fcheinbar den Horizont, es wird nächſtens ein 
anderes, mächtiges Bild durch unſern Traum gehen; aber ehe dies 
geichieht, welch” wunderbares Ecyanfpiel! Wir fehen zwei Sonnen 
am Simmel über einander, eine dad Spiegelbild der anderen. Und 
jest fenten fih die Wolkenbrauen tief herab, die beiden, tiefroth 
glübenden Kugeln verdedend, auslöſchend. Gute Nacht! fagt die 
Sonne und ehe fie ganz verjchwindet, blinzelt fie und noch einmal 
mit ihrem Lichte zu. Es erfcheinen nur auf einen Augenblick wie 
drei, vier glänzende euer dort hinten auf den Teßten Bergen, wie 
ein Blig, ein Gedanke. Dann iſt e8 Dämmerung und grau rings 
umher. 

Unſere drei Freunde hatten dem ſeltenen, prächtigen Sonnen⸗ 
untergang aufmerkſam und entzückt zugeſchaut, und den Gefühlen, 
welche fie dabei beſchlichen, Jeder auf ſeine Art, Worte gegeben. 
Der Muſiker behauptete: die graue Wolkenmaſſe ohne das Licht 
der Sonne fei gewefen, wie ein crescendo langanhaltender Ton, 
ein melancholifcher Klang, zu dem endlich die Dominante wie ein 
Mißton tritt, wie um Erlöfung, um eine Terz flehend, die denn auch 
mit dem Lichtftrahl fanft hinzufomme, fo einen reichen, vollftändis 
gen Accord bildend in der Terzlage großartiger Harmonte. 

Der Maler verficherte, er habe eine folche Farbenverfchwendung 
noch nie gefehen, und wenn man das malen könnte und wollte, 
würde e8 Einem doch Niemand glauben. Nur ein einziger Ton 
einer folchen Farbe müßte unfehlbar alles neben fich todt fchlagen. 
Der Schriftfteller endlich hatte mit übereinandergefchlagenen Armen 
dageftanden, und das paflendfte gefagt, was er fagen konnte, näms 


Eine Rigifahrt. 2885 


lich — gar nichts. Er verſicherte die Freunde ſpäter, wenn er ein 
vollkommen bezeichnendes Gedicht über dieſen Untergang machen 
ſollte, ſo gäbe es nur Ein Mittel, um nicht lächerlich zu werden, 
und in der Stimmung zu bleiben; man ſetzte darüber hin: „Son⸗ 
nenuntergang auf dem Rigi,“ und füllte die ganze Seite mit Ge⸗ 
dankenſtrichen aus. 

Bei dem wunderbaren Anblick, den die Drei hatten, war es 
ihnen nicht unlieb, daß die drei Damen ſich in ihrer Nähe befan- 
den und daß diefelben ebenfo entzüdt das großartige Schaufpiel 
betrachteten wie fie. Leider Fünnen wir von dem alten Bedienten 
nicht daſſelbe fagen; er Hatte fih auf den Boden niedergefept 
und drehte dem ganzen Sonnenuntergang den Nüden. 

Kein anderes Schaufpiel als ein folches, das die Natur gratis 
gibt, ift wohl fo geeignet, die Herzen zu Öffnen und fie fchneller 
ſchlagen zu mahen in Freundfchaft und Liebe. Wir glauben dem 
geneigten Xefer ſchon genugfam gefagt zu haben, daß die drei fich 
gänzlich fremden Paare, die bier auf dem Rigi bei einander ftanden 
in einem gewifien Rapport waren; man braucht ſich dephalb nicht 
zu wundern, wenn wir weiter erzählen, das fie den Sonnenunter- 
gang gemeinschaftlich genoſſen, gemeinjchaftlich infofern, als Worte 
gewechfelt wurden wie man fie gewöhnlich nur zu genaueren Bes 
fannten fagt. 

Die Dame mit der blauen Brille (fie fah durch Diefelbe Allee 
in grünlichem Xichte) ſah es gern, daß der Muſiker fih in ihrer 
Nähe hielt, und als er mit Beziehung fagte: „Welch' ein volltönen- 
der, prachtvoller Accord!” entgegnete fie: „Ah, wenn Sie nur fe 
ben könnten, wie feltfam Ihr Strehhut glänzt und das blaue Band 
daran! Gewiß, ich wußte, daß wir uns bald erkennen würden.“ 
Etwas Achnliches fagten die beiden andern Damen, und die Kurze 
und Dice verficherte den Schriftfteller, fein Geficht glänge wunder⸗ 
bar, namentlich aber habe feine Nafe eine warme und unausſprech⸗ 
liche Farbe; und die Dritte fprach zum Maler, um feinen Mund 


286 Eine Rigifahrt. 


fpielen mächtige Flammen. Damit meinte fie offenbar den aufwärts 
gerichteten röthlihen Schnurrbart. 

Der Mufiker mit dem Strobhute war ein unternehmender, jun⸗ 
ger Mann, und nachdem die Eonne untergegangen war, hob er die 
Tame mit der blauen Brille auf ihr Pferd, und konnte dabei nicht 
unterlajjen, ihr ein ganz Bein wenig die Hand zu drüden, und dar 
auf fah fie ihn ſchmachtend und gefühlvoll an, fagte aber: „Rod 
nicht! Die Ungewißbeit it fo angenehm, wir wollen uns erjt jpäter 
erfennen.” Damit ritt fie dahin, und die beiden andern Damen 
folgten ihr. Auch ihnen hatte der Schriftſteller und der Maler 
Kuappendienfte gefeiftet, und hatte jedes Paar dabei einige unge 
nehme Worte gewedjelt. . 

Als der Maler, der nun reiten durfte, auf das Pierd flieg, 
ſprach er vor fih bin: „Sie ift doch im beten Xebensalter, und 
ſcheint von fehr guter Familie.“ 

Der Schrififteller aber, offenbar am meiften durdy das pracht 
volle Schauſpiel begeiftert, fah der diden Dame nah, und fang 
laut hinaus: 


Die Füritin zog zu Walde 

Mit Jägern und Marſchalk, 

Da ſah fie reiten balde 

Ein junger Edelfatt. 

Er ſprach: „Wie irrt dein Bügel, 
„Wie glänzt Agraff und Tre! 
„Wie Loder hängt dein Zügel, 
„Holdfelige Prinzeß!“ 


Der Weg zog fi) jetzt eine Zeitlang an dem weftlichen Ab 
bang des Berged bin, fait eben, denn dad, was man jept noch 
feigen mußte, war Sinderfpiel gegen das, was man ſchon geleiſtet 
hatte. Bald fahen fle die Migiftaffel vor fich liegen, ein ziemlich 
großed hölgernes Gebäude nach Art der Schweizerhänfer, wie man 


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Cine Rigifahrt. 287 


fie bei uns auf die Etagares ftellt; nur fehlten die Galerien und 
die bunte Farbe. Die Staffel fah ziemlich grau aus, wahrjcheinlich 
ein Zeichen ihres vorgerüdten Alters, Derfelbe Spektafel, wie im 
falten Bad, ging auch hier wieder vor fih; faum wurde man die 
Pferde der Reiſenden anfichtig, fo flrömte Alles vor die Thür — 
eine Terrafie hat die Staffel niht — und bald hatte ſich ein ziem- 
licher Haufen Neugieriger verjammelt, Die eine Art Spalier bildeten, 
durch welches zuerft die drei Damen, und dann die Herren paffiren 
mußten. Rigiftaffel ift der Gafthof des Berges, der am ftärfiten 
befucht ift; bier halten fi) die meilten Kurgäfte auf, das find ſolche, 
die wegen allerlei Xeiden des Körperd und Geifted unglaubliche 
Duantitäten des jchlapprigen grünen Getränts, was man Molken 
nennt, zu fi) nehmen lernen, oder welche den fehr vernünftigen 
Einfall Haben, fern vom Dunft und Dualm des niederen Landes 
und der Städte, für ein paar Wochen lang hier oben die gejunde 
färfende Bergluft einzuathmen. Vornehme Kurgäjte derfelben Art 
find auch melitend die Bewohner des falten Bades. 

Was nun den höchſten bewohnten Punkt des Berges anbelangt, 
den Rigi-Kulm, fo iſt dieß der Gaſthof für die fogenannten Paſſan- 
ten, das find Leute, welche mit redlichem Willen und guter Abficht 
den Rigi befteigen, um ſich an der großartigen Ausficht zu erfreuen, 
oder um einen guten Sonnenaufgang oder Untergang zu genießen, 
ein Unternehmen, dad in vielen Fällen von einem fchlechten Erfolge 
gefrönt wird, und wir hatten ſchon Gelegenheit, manche dergleichen 
Paſſanten zu fprechen, die im Herauffteigen langfam aber unwiders 
Rehlih vom Rebel eingehüflt wurden, ein Nebel, der ſich allmälig 
zu einem feinen Regen verdichtete, und die, endlich auf dem Rigi 
angefommen, dort fo viel Ausficht hatten, daß es ihnen volllommen 
gleichgüftig war, ob fie fih auf dem berühmten Berge befanden, 
oder z. B. in jener heiteren, gemüthlichen Gegend von Luckenwald 
und Füterbod, wo man, von Keipzig kommend, doch wenigftens Die 
Zerſtreuung hat, die erſten preuſiſchen Gensd’armen zu fehen. 


288 Eine Nigifahrt. 


Endlich langten unfere Reijenden auf dem Rigi-Kulm an. Die 
Pferde der Damen, müde geworden, waren zulegt in fehr langſamem 
Tempo gegangen, die drei Künftler aber, mächtig angefpornt durd 
den Wunſch, nicht zurüczubleiben, waren rafcher einhergefchritten, 
woher e8 fam, daß alle Sechs zu gleicher Zeit vor dem Thor des 
Gafthofes anfamen, dag ſowohl Strohhut und Nafe ala Schnurrbart 
den drei Damen beim Herabfteigen behülflih waren, und daß hie 
durch der Kellner auf die fehr verzeihliche Idee kam, für die eben 
angekommene Gefelfchaft genügten drei Zimmer & zwei Betten. 
Schweigen wir von den verfehämten Vorten, mit welchen der Dienft- 
befliffene zurecht gewiefen wurde. Glüdlicherweife war der Rigi⸗ 
Kulm noch nicht fo vollkommen befeßt, daß man den Spätlommenden, 
wie fchon oft gefchehen, eine Stren im großen Speijefaale ohne 
Anfehung des Gefchlechts anbieten mußte. Es waren noch Zimmer 
genug zu haben, und nachdem fich unfere Reifende auf einen Augen: 
blick zurüdgezogen, erfchienen fie an der Abendtafel, um gemeinſchaft⸗ 
lich ein kleines Souper einzunehmen. 

Während dieſes Soupers nun machten unſere drei Künſtler 
begreiflicherweiſe erſtens den gelungenen Verſuch, außerordentlich 
liebenswürdig zu erſcheinen, ſowie einen anderen, etwas Näheres 
über die drei Damen zu erfahren, der ihnen aber weniger gerieth. 
Solchen Fragen, wenn fie noch fo befcheiden geftellt waren, wußten 
die Damen geſchickt auszuweichen, ja fie mochten e8 nicht einmal 
leiden, daß die drei Künftler ihnen Aufflärung über fich felbft ga 
ben. Denn als der Mufiter z. B. von der Reife erzählen wollte, 
die fie bis an den Fuß des Nigi gehabt, Tegte die Dame mit ber 
‚blauen Brille ihre Hand fanft auf feinen Arm und fagte: „Laſſen 
wir das, mein Freund, das hört fich fpäter um fo angenehmer und 
befier.” Ja als der Maler, nach und nah warm geworden, anhub 
von feinen Bildern zu ſprechen, entgegnete die kurze und dicke 
Dame: „Wie freue ich mich, diefe Gallerie fpäter zu fehen!“ Dem 
Schriftfteller gar, der noch immer nicht aus der Stimmung eined 








Eine Rigifaprt. 289 


Edelfalfen herausgelommen, und der beim Defjert, als die Dame 
vom gejunden Mittelfchlag gerade eine Mandel verfpeiste, eine ans 
dere darreichte mit den Worten, die er flüfternd ſprach: 


„Ih biete ihn der Holden 
Dar, mit gebog'nem Knie; 
Mit einem Ringe golden 
Schmüdt den Gefang’nen fie“ 


wurde die Antwort zu Theil: „Bis heute war ich zweifelhaft, ob 
ich den goldnen Ring gerne geben werde, aber jebt glaube ich, daß 
ich mich dazu entfchließen könnte.“ 

Nach dem Souper ging Alles zu Bett. Die Damen hatten 
Numero 12 und 18, die Künftler Numero 14 und 15, und die Drei 
begaben fich noch einen Augenblid auf Numero 14, wo fie fih zu⸗ 
fammen auf ein Bett feßten, und bin und ber redeten über die 
Erlebniffe des Tages. In Numero 13 machten ed die Damen ger 
rade fo, das heißt, fie fprachen ebenfalls mit einander, ob fie aber 
dabei gleichfalls auf Einem Bette faßen, find wir nicht im Stand 
anzugeben, aber wir vermuthen ed. Nun haben aber auf dem Rigi- 
Kulm die Zimmer unter Anderem die Cigenfchaft, daß man deutlich 
jedes Wort vernimmt, was der Nachbar neben und ſpricht, und 
aus diefem Grunde war ed den drei Künftlern möglich, zu hören, 
dag nebenan von ihnen gefprochen wurde, und recht angenehme 
Sachen. „Es ift eigenthümlich,“ meinte eine Stimme, „daß drei 
an ſich unbedeutende Gegenftände fo zum füßen, geheimnißvollen 
Erkennen führen können, ein Strohhut mit blauem Bande —.” 

„Eine fo auffallend fchöne Nafe,“ fagte eine zweite Stinme, 

„Und ein prächtiger blonder Schnurrbart,“ fehte Die dritte 
Stimme hinzu, „fo keck aufwärts ftehend.“ 

So fprachen die drei Damen in Numero 13, und fagten fogar 
nod mehr, unter Anderem, daß fie fich erſchrecklich auf morgen freute, 


und dann hatten fie einen Beinen Streit mit einander, und die Cine 
Sadländers Werte. VI. 19 


290 Eine Rigifaprt. 


wollte etwas thun, wenn der erfte Strahl der Sonne über die Berge 
hervorbrähe und die ewigen Gletjcher vergolde; und die Andere 
meinte: nein fpäter, wenn auch die Ihäler mit ihrem NRofenlicht 
erfüllt feien; die Dritte aber fepte hinzu: um eine Million könne 
fie fih nicht dazu veritehen, eine fo fchöne Scene herbeizuführen 
vor den DBliden der rohen Menge. „Nein!“ rief die Dame vom 
gefunden Mittelfchlag, „wenn e8 droben auf der Höhe leer geworben 
ift, melnetwegen, nachdem wir Kaffee getrunfen, dann geben wir 
Drei wieder allein hinauf — fie werden uns ‚folgen, und dann 
ift der pafiende Monıent gelommen. 

So flüfterte es auf Numero 13, und der Schriftfteller, der auf 
Numero 14 in der Mitte zwiichen den beiden Freunden auf dem 
Bette ſaß, faßte rechtd Die Hand des‘ Strohhutes, links die des 
Schnurrbartes, drüdte fie und fagte leife: „nicht wahr, meine Freunde, 
wir werden folgen ?“ 

Damit gingen fie zu Bette, und bald war es ſtill in den Nums 
mern 12 bis 15, , 

Doch: 

„bei Hirten wird's bald Tag“ 


heißt es im Nachtlager von Granada, und vom Nachtlager auf dem 
Rigi, wenn man den Sonnenaufgang ſehen will, gilt daſſelbe. 
Die drei Freunde hatten kaum die Augen geſchloſſen, ſo träumten 
fie; und der Strohhut träumte gerade von einem anderen Strohhute 
mit grünem Vordach, die Nafe von einer anderen Rafe, der fie fih 
auffallend näherte, und der rothe Schnurrbart von Etwas, welches 
feine drohenden Spigen fanft herabdrüdte; da fchritt plöglich Son, 
derbares durch Diefe verfchiedenen Träume. Dem Mufiler war gerade, 
ald habe er eine Oper componirt, und als nun die Ouvertüre begann, 
ſah er zu feinem GEntfegen, daß die ganze Inftrumentation aus 
lauter Hörnern beftand, und das tutete wild und grauenvoll durch 
einander. 





Eine Rigifahrt. 291 


Dem Maler aber war ed, als fibe er auf grüner Haide und 
ſkizzire eine Kuhheerde, harmloſes Vieh, das fich anfänglich in einiger 
Entfernung von ihm hielt. Plötzlich aber kamen alle Kühe auf 
ihn zu und wollten- fehen, was er gemalt. Das war ein erfchred- 
ficher Moment; und fie hielten die naſſen Mäuler nuter feine Naſe, 
und dabei brüllten fie drohend, daß es Hang, als fagten fie: „Du 
du du du — — — nimm did in Acht! nimm dich in Acht — du 
Du du du! 

Des Schriftftellers Traum in diefem Augenblid war nicht fo 
unangenehm. Er wandelte mit feiner Holden über Berg und Flur, 
er fchwebte nur fo dahin. Da — plöglich, ganz in feiner Nihe — 
ertönte das Alphorn, und bei den melancholifchen Klängen fehmiegte 
fie ih an ihn, und er ftreichelte ihre frifchen dicken Wangen. — — 

Tu —tu —tu — tu — tutu — tutu tu —du — du —ti —tutu — tu — 
ti —tututu tn ol. 

So klang es immer ſtärker, und endlich erwachten die Drei aus 
ihrem feſten Schlummer. 

Der Schriftſteller allein hatte Wahrheit geträumt: es war ein 
Alphorn, das draußen vor dem Zimmer mit der ſeltenen Kraft einer 
kuhhirtlichen Zunge geblajen wurde. 

„Brennt's?“ rief der Mufiker, indem er an die Thüre fprang, 
Doc erhielt er zur Antwort: „man welt nur auf harmoniſche, 
freundliche Weife die Schläfer zum SonnensAufgang.” 

Sept ging aber in fänmtlichen Stodwerfen des Haufes ein 
wahrhaft mörderlicher Spektakel los. Ueberall krachten Bettftellen, 
von überall her vernahm man die dumpfen Töne, wie wenn Jemand 
haſtig und aufgeſchreckt feinem Lager entſpringt, dabei einen Stuhl 
umſtürzt oder ein Licht vom Tiſch herabwirft. Auch klingelten und 
klirrten Gläſer und Waſchſchüſſeln auf eine höchſt verdächtige Art. 
Dabei wurden Thüren nicht ohne Geräuſch auf- und zugemacht, 
und laute Stimmen riefen nach dem Kellner, nach dem Stuben⸗ 
mädchen, nach ihren Stiefeln, ihren Hoſen und Röcken. 


292 Eine Rigifahrt. 


Im Often ſah man einen gelben Streifen durch einigermaßen 
verdächtiges Gewölk mühſam durchdringen, und darüber hin flimmer⸗ 
ten ein paar blaſſe Sterne. 


zu — tu — tu— tutu — tu — ti —tu —tu — tu —tu — tu —tu —ti 
machte es draußen auf dem Gange, und der Spektakel im Hauſe 
wurde wahrhaft beunruhigend. 

Der Schriftfteller fprudelte in feiner Waſchſchüſſel herum, bes 
hielt aber dabet immer ein Auge auf den Himmel gerichtet. Es 
gab einen Sonnen-Aufgang, das war Har, aber er fürdhtete immer 
netdifche Wolken, die plöplich auffteigen und Alles in Nebel bringen. 


„Auf! ſprach der Fuchs zum Hafen: 
Auf! Hörft du nicht den Jäger blaſen?“ 


rief er dem Maler zu, der noch im Bett weilte, „mach', daß du heraus⸗ 
fommft, die Sonne wartet nicht.“ 


Das fchienen auch andere Zeute im Haufe zu denken, denn jept 
begannen fih die Schlafzimmer zu leeren und die Gorridord zu 
füllen. Dort ging, Tief, fprang, fcharrte, trippelte, hüpfte es, dann 
ſchoß es die Treppen hinab mit einem gewaltigen Gepolter; und 
dazwifchen hörte man es deutfch, franzöfifch, ſchweizeriſch, englifch, 
ruffifh und berlinerifch verfichern, daß der SonnensAufgang fuperb 
fein werde, von Tolofjal und ungeheuer großartig farbenprächtiger 
Birkung. Wenn man nun auf den Gang binaustrat, um fich der 
allgemeinen Flut anzufchließen, da fchaute es mitunter recht for 
mifh aus: da waren Unglüdliche genug, die in Iinterhofen und 
Strünpfen auf den Hausknecht warteten; aber bier bekümmert fid 
Keiner um den Andern, der Mann verläßt die Frau, der Bruder 
die Schwefter und entellt, um zur rechten Zeit zum Sonnen Aufgang 
zu fommen. 

Möge uns die geneigte LZeferin verzeihen, daß wir die grauen 
hafte Scene, die nun entfland, nicht weiter ausmalenz möge fie 





Eine Rigifahrt. 293 


auch unfer Zartgefühl verfichen, wenn wir noch binzufligen, daß 
der Nebel in diefem fürchterlihen Angenblid fo dicht wurde, daß 
man nichtd weiter als ihn bemerkte; daß ferner, als fih diefer Res 
bei endlich verzogen, Strohhut, Nafe und Schnurrbart die Treppen 
der Kanzel herabftolperten, und fchweigend in den Gafthof auf 
Rigi-Kulm binabeilten; daß fie ihre Rechnung bezahlten, ihre Als 
penitöde nahmen, und gen Arth binabpilgerten; daß fie nicht eher 
froh und heiter wurden, bis fie den Nebel Hinter fih hatten, der 
die Spiße des Rigi bededte, und in welchem die drei Damen wahrs 
Iheinlich noch Immer auf der grauen Kanzel flanden; und bis fie 
endlich im fchönften Sonnenfcein am Klöfterli anlangten. Da ſetz⸗ 
ten fich Die Drei nebeneinander .auf eine Bank, gerade fo, wie fie 
am vergangenen Abend auf dem Bett in Numero 14 gefeflen, und 
als fie einen Augenblid ausgeruht und einander verftohlen und 
zweifelnd von der Seite angefchaut, brachen fie in ein lautes und 
herzliches Lachen aus. 

„Gott ſei Dank!“ ſagte der Muſiker, „daß das Abenteuer ſo 
geendigt.“ 

„Gerechter Himmel!“ meinte der Maler und ſchauderte leiſe, 
„wenn fie mit uns vorlieb genommen hätten!“ 

„Aber obgleich etwas ältlich,“ verſetzte der Schriftſteller, „wa⸗ 
ven fie doch von ſehr guter Familie. — — Auf nach Valencia!“ 

Damit erhoben ſich alle Drei wieder, und ſprangen luſtig den 
Steg hinab. Ueber fanft abhängige Wieſen kamen fie, bei rauſchen⸗ 
den Wafjerfällen vorbei, die neben, ihnen in der Tiefe fchäumend, 
über glatte Kieſel und zwiſchen moosbewachſenen, felfigen, triefen- 
den Ufern dahinbrausten. Dann wandelten fie abwärts unter 
ſchwarzgrünen Tannen, hohe, fehlanfe Bäume, deren Spipen fie 
anfänglich mit der Hand berühren konnten, und auf deren zu Tage 
liegenden Wurzeln fie eine Biertelftunde fpäter traten. Dabei 
ſtürzte fich der Weg im Zickzack toll und verwegen die Abhänge hin- 


294 Eine Rigifahrt. 


ab, daß fie ihre Alpenftöde tüchtig gebrauchen mußten, um nicht 
den rollenden Steinen zu folgen, die ihr Fuß gelöst; dann rubte 
diefer Weg wieder aus, indem er faft eben durch einen waſſerreichen 
Wieſengrund fchlich, bei Heinen, niedrigen Häufern vorbei, wo die 
Leute vor der Thür ſaßen — denn es war Sonntag — und fie 
freundlich begrüßten. Darauf fihlenderte der Weg Durch einige 
Laubholz um den Bergabbang herum, und dann biieben die drei 
Reifenden überrafcht flehen, denn vor ihnen lag ein herrliches Rund: 
gemälde, eine fruchtbare, grüne Ebene, mit Obftbäumen, Häuſern 
und Dörfchen ; links war der dunkelgrüne Zugerfee, und an ih 
hingeſchmiegt, noch ziemlich tiefer drunten, das Heine Städtchen Arth. 

Hier fihien der Weg vor Freude über dieſen Anbli ganz tell 
zu werden, denn er fprang Topfüber in die Tiefe hinab, fteil und 
holperig, bald fich rechts, bald links wendend, ganz ausgelaſſen 
und entzüdt, daß er num endli die Felſen verlaffen Tonnte, und 
fih unten in den langen Wiefen behaglich ergehen, um zuletzt fer 
nen Staub und feine Hibe in den Haren Fluthen des See's zu 
fühlen. 

Als die drei Freunde auf diefem Wege ziemlich ermüdet nad) 
Arth Tanıen, und an das Ufer traten, wandte fid) dad Leine neue 
Dampfboot gerade vor Immenfee, und plätfcherte rüftig und mun⸗ | 
ter gen Arth. Nachdem ed_angelangt, verließen viele Pafjagiere 
das Ufer, und unfere drei Freunde, welche den Dämpfer bejteigen 
wollten, fanden dicht an der Landungsbrüde, und fahen die frem- 
den Gefichter an ihnen vorüberfommen. Da auf einmal gingen 
drei Herren an ihnen vorüber, alle Drei in hellen Sommer Ani 
gen, mit ernftem, geſetztem, ziemlich vornehmen Wefen, aber auf 
ziemlich verblichenen Geſichtern, und als fie bei den drei Künſtlern 
vorüber wollten, blieben fie einen Augenblid ftehen, um auf ihr 
Gepäck zu warten, und da erblicdte der Mufiker zu feiner großen 
Derwunderung einen Strohhut mit einem blauen Bande, ganz 


Eine Rigifahrt. 295 


genau wie der feinige, und der Maler einen rothen Schnurrbart, 
mit ebenfalld fehr drohend emporgerichteten Spitzen, und ber 
Schriftſteller endlih eine Naſe, die noch weit umfangreicher war 
als feine eigene. 

Damit gingen fie ftillfchweigend, aber innerlich Tachend, in das 
Boot, und fepten ſich auf dem Verdecke nieder; der Muſiker befchloß, 
ein anderes Band auf feinen Strohhut zu befeitigen, der Maler 
machte jebt ſchon den Verfuch, die Spiben feines Bartes in eine 
horizontale Richtung zu bringen, und der Schriftſteller — — der 
mußte leider feine große Nafe behalten. \ 





1) Bier Könige .» 
2) Herbitvergnügen 
3) Nur natürlich! 
4) Zaternenunglüd 
5) In Scene jegen 


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6) Vergnügen auf der Jagd 


7) Reifende Engländer im Orient 


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8, Ein Ausflug in den Schwarzwald 
9) Eine Reife nach Paris . 


10) Eine NRigtfahrt . 


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