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>.-J.
.r
GEDANKENMACHT
UND
HYSTERIE
CARL LUDWIG SCHLEICH
/
ERNST ROWOHLT VERLAG / BERUN 1920
^f$4^
Diese Arbeit wurde der Öffentlich-
keit zuerst in Form eines Vortrags,
gehalten im Charlottenburger Rathaus-
saal, am 15. Januar 1920, bekannt.
Copyright 1920 by
ERNST ROWOHLT VERLAG, BERLIN W35
Gewiß wirdMandiem unter Ihnen dieZusammenstellungf
der beiden Begriffe meines Themas etwas verwunder-
lich ersdieinen. Was hat die Macht der Gedanken mit
der Hysterie zu tun? Wie kommt der Mensdiheit fundamen-
talster und königlidister Besitz, die Krone ihrer Organi-
ganisation in Beziehung zu jener krankhaften Verzerrung
mensdilicher Seelentätigkeit, die man, ein Schreckgespenst
der Familien mit erwachsenen Toditern, ein Vexierbild aller
editen Krankheitsformen mit dem Sammelnamen der Hysterie
benennt, mit einem Worte, in dem sidi — wie soll man
es nur sagen — Geringsdiätzung mit staunendem Inter-
esse, Vorwurf mit Bedauern, Tadel mit Mitleid misdien?
Und doch — wir werden im Verlaufe und gegen das Ende
unserer Ausspradie einsehen müssen, daß, wie so oft, audi
hier die Krankheitsersdieinung nidits ist als ein versdiobener
Medianismus ganz naturlicher, normalphysiologisdier Vor-
gänge, wi.e ja so oft Krankheit, wie Virdiow sagt, nidits ist als
Leben unter veränderten Bedingungen. Die Funktionen des
kranken Leibes sind unter Bedingungen mit dem Charakter
der Gefährdung im Prinzip keine anderen, als die des nor-
malen, gesetzmäßigen Ablaufes der Korperfunktionen. Ja, oft
sdion hat umgekehrt das kranke Leben, die Funktion der Zelle
unter abnormen Widerständen, denen die Abwehrmedia-
nismen derselben nidit oder nodi nidit angepaßt sind,
uns sdieinwerferartige Einblicke in das normale Getriebe
der Organismen tun lassen, die grundlegend geworden
sind für das Verständnis der Gesetze des normalen Lebens-
ablaufes an sidi. So hat man neuerdings versudit, aus
f^f. *. •^--. -'t *" ■ ^
den Vorgangen religiöser Verzückungen, Tänze uud Kon-
vulsionen zwingende Rücksdilusse auf daseigentlidieWesea
der religiösen Grundstimmungen der Seele zu ziehen.
Ähnliches traf für midi nun sdion weit früher im be-
sonderen Maße für das Studium der vielstrahligen Irrlicht-
zuckungen einer hysterisdien Seelenverfassung zu —
ja, idi will es vorwegnehmen, in gewissem Sinne sind die
hysterisdien Ersdieinungen allein geeignet, sogar über den
gesamten Weltprozeß, über die Natur der Schöpfung, über
die Konstitution von Kraft und Stoff, von Belebtem und
Unbelebtem ein flammendes Licht der reinen Erkenntnis
zu ergießen. Um das ganz würdigen und verstehen zu
können, muß idi Sie allerdings bitten, mir auf einem langen
Marsdie durch die Wunderwelt der Entstehung der Ge-
danken in unserem Leibe zu folgen und midi auf einer
Art ingenieurhafter Reise in nur wenig betretene Provinzen
unseres Gehirns zu begleiten. Denn, daß ich es nur gleidi
sage, idi will Ihnen heute keinen philosophischen Vortrag
halten über die sdiwersten erkenntnistheoretisdien Probleme,
sondern idi will Ihnen als Naturforsdier rein physiologisdie
(d. h. die Lehre von den Funktionen unserer Nerven-
apparate umfassende) Vorgange aufdecken und möglidist
einfadi beschreiben, wonadi ich allerdings hoffen darf,
daß meine Ausführungen audi in die Dunkelheiten
einiger problematisdier philosophisdier Begriffe hinein-
leuditen werden. Man hat midi öfter wohl halb spöttisdi
eine Art von Gehirningenieur genannt Idi akzeptiere den
Ausdruck für heute gem. Ich möchte wohl imstande sein,
mit der Präzision eines gelernten Ingenieurs die staunens-
werten Vorgänge |im mikroskopisdien Betrieb der klein-
sdiiffsmasdiinenartig ratternden Ganglien und im Fili-
grannetz der Nervenfasern zu besdireiben, um aus den
Wundern allein die Mensdienherzen erbeben und höher
sdilagen zu madien über die Allmacht des unstreitig ahn-
baren Ersinners und Erbauers all der unzählbaren Weber-
sdiiffchen und Zauberspindeln» durch weldie Gedanken,
Empfin düngten, Gefühle, Erkenntnisse in den Krypten
unseres Sdiädels erzeugt werden. Ist es dodi unendlidi
schwer, aus dem Wirrwarr der versdiiedenen Begriffe der
Philosophen aller Zeiten allein sich eine Basis unangreif-
barer Anschauungen zu gestalten. Allein die Ausdrücke
,,Seele**, „Geist**, „Vernunft«, „Gefühl**, „Gemüt**, „Herz**,
„Verstand** werden fast von keinem Autor in einem
gleichen Sinne gebraucht. Im Gegenteil : hier herrsdit eine
ungeheure Konfusion, welche in den Erzeugnissen der
Poesie, namentlidi in der Novelle und dem Roman — audi
die sdiriftstellernden Damen sind dabei durchaus nicht aus-
genommen — ihren Höhepunkt an willkürlich vertauschten
Ausdrücken für dieselbe Sache erreicht. Denn mir ist kein
Gedidit philosophisdien Inhalts, kein Roman bekannt, in
dem nicht Seele und Geist, Herz und Gefühl, Gemüt und
Empfindung usw. umsdiichtig miteinander verwechselt und
vermengt werden. Und dodi müßte das alles eigentlidi
einen festumsdiriebenen Sinn haben. Man sagt doch auch
nidit Stroh, wenn man Zellulose meint, und nidit Hafer,
wenn man von Getreide redet. Diskutiert man nämlich über
philosophische Dinge etwa eine Stunde lang, so müßte
man eigentlich zuvor mindestens vier Stunden vorausgehen
lassen, um sich zu einigen, was man unter Geist, Seele,
Vernunft usw. innerhalb des Rahmens einer behaglichen
Aussprache verstanden wissen will, sonst entsteht leicht
aus dem Begriffsdiaos ein verrauschender hohler Wortstreit,
der lebhaft an die ungemütlichen Verkehrsformen der
Volker angesichts des Turmes zu Babel erinnert. Es
müßte in der Tat endlich einmal so etwas wie eine philo-
sophisdie Postmarken-Konvention von Neuem*) inszeniert
werden, auf der festzustellen wäre, genau wie man ein
*) Wie mir Prof. Arthur Liebert mitteilt, ist ia der Tat so etwas sdion
einmal resultatlos versucht worden.
internationales Normalmaß, den Meterstab zu Paris, auf-
bewahrt, genau, wie es eine internationale Valuta gibt,
was denn alle Intellektuellen der Welt unter einem be-
stimmten Begriff, wie Geist, Seele usw., von einem ge-
gebenen Datum an gemeinsam zu verstehen sidi verpfliditen.
Allerdings modite idi nidit deii Vorsitz einer soldien
Gelehrtenversammlung fuhren in Anbetradit sdiwerer mog-
lidier korperlidier Sdiädigungen meines Gehör- und Re-
zeptionsorganes inklusive seiner gleidifalls verletzbaren
Hüllen! Solange das nidit gesdiehen oder unausführbar
ist, habe idi midi entsdilossen, einen prinzipiell andern
Weg zu besdireiten. Idi habe den Versudit gemadit, auf
rein gehirnmedianisdien, ganglienfunktionellen Bahnen den
Vorgängen im Zentralapparat und an den Nerven nadizu-
spQren, weldie einer jeden der genannten Begriffsbildungen
wie „Geist^, „Verstand'^ „Gemfif' usw. zugrunde liegen
resp. sie erzeugen, d. h. idi habe midi gefragt, was ge-
sdiieht im Gehirn, wenn wir denken, fühlen, unser bewußt
sind, wenn wir phantasieren, spredien, handeln usw. So
z. B. habe idi nidit über die philosophisdien oder psydio-
logisdien Bedingungen des Humors eigene Gedanken zu
dem Ozean von Ideen, die man sdion über die drolligste
und dodi widitigste Sädie der Welt hinweggespült hat,
hinzuzufügen versucht, sondern idi habe midi wie ein
riditiger Elektrotediniker gefragt, was gesdiieht im Ge-
hirn, wenn wir ladien müssen resp. weldie Bedingungen
sind es, weldie den gesamten Ladiakt zwingend und
reflexartig einleiten. Die Resultate dieser Art Frage-
stellung, die wohl die erste dieser Art gewesen ist,*)
werden wir hier nur kurz streifen können, idi will
nur zuvorderst andeuten, daß also diese Methode
meiner Untersudiungen darauf abzielt, audi für die uns
hier vornehmlidi besdiäftigenden Grundlagen des Denk-
'^) S. mein Buch mVod der Seele" bei S. Fisdier, Berlin, 12. Aufl.
«
8
Prozesses» die funktionelle Erzeugfungf der Gedanken,
diejenigen Gehirnvorgänge gleichsam elektrotedinisdi
aufzudecken » an dessen 'Ende die erkennbare, kost-
barste und versdienkbare Blüte des Menscfaengeistes
aufleuditet mit siegender Gewalt, jene Zaubermacht, die uns
Mensdien allein, soweit wir sehen können, befähigt hat,
bis zu einem hohen Grade die Gewalten und Produktions-
kräfte der Natur in unsere personlidien und kulturellen
Dienste zu zwingen,*) ja einen Teil anderer Mitbewohner
dieses Planeten, die Tiere, wenn audi nidit alle, am wenig-
sten merkwürdigerweise die winzigsten, unter unser Joch
einzuspannen.
Es muß also unsere erste Frage sein : Wie entsteht ein
Gedanke, wie ist eine Idee möglich?
Die bisher absolut materialistische Naturwissensdiaft ist
an dieser Stelle allmählidi budistäblich aufgesessen, denn es
war einer der Kerngedanken Dubois-Reymondsdier Prägung,
ein Hauptpunkt unter den sieben vermeintlidi unlösbaren
Welträtseln seines „Ignorabimus'' (d. h. ^^ii' werden es
niemals wissen!^) zu behaupten, daß es ewig unbegreifbar
bleiben müsse, wie aus einer physisdien Berührung,
einer nodi so deutlichen Empfindung von warm, kalt,
rauh, glatt, der Gedanke von Kälte, Hitze, Rauhigkeit,
Glätte werden könne! „Wie können aus einer pommerschen
Kartoffel Gedanken entstehen?^ hat einmal ein anderer mir
befreundeter Physiologe gefragt**) und audi dies als ein
*) Wir können nicht wissen, ob irgendwo auf anderen Planeten
oder planetenähnlichen Gestirnen etwas ähnlidies wie unser Geist
entstanden ist. — Da es sogar denkbar ist, dafi überall, selbst
in Sonnenfeuem geistige Organisation vorhanden ist, so bleibt uns
die Moglidikeit, trotz Copemikus und Keppler, anzunehmen, dafi wir
eine Art begünstigter Stelle des Weltalls auf unserem Erdenkreisel
einnehmen!
**) Hoffentlich hat er dabei nicht an mich und meine Ostsee-Heimat
gedacht!
unlösbares Problem hingestellt. Nun, ich meine, hier liegt
eine absolut falsche Fragfestellungf vor, auf welche die
eigfensinnige Sphinx des Lebens wirklich nur mit Kopf-
schütteln, wie immer in solchen Fällen, antworten konnte.
Die Frage ist nämlich ebenso sinnlos, wie wenn man sich
den Kopf darüber zerbrechen wollte, warum aus Feuer eine
Feuersäule, aus Wasser ein Wasserbecken entstehen,
wie bewegte Luft zum Wind, zum Ton, zum Klange
werden kann! Bei beiden Fragen lautet natürlidi die Ant-
wort einfach genug: es entsteht der Gedanke aus dem
Stoffe und seiner Berührung mit unseren Gedankenbildnem
wie bei der Zeugung deshalb, weil der Stoff nidits ist,
als ein Gedankenknäuel, Gedankeninhalt, weil alles Korper-
lidie eine rhythmisdie Struktur und Inkarnation von Ge-
danken ist! In allem steckt aber Idee deshalb, weil ohne
Idee die vorangegangen ist, es gar nichts Körperliches
geben kann.*) Es ist dem Menschengeiste absolut unfaß-
bar, was schon der alte Plato grundlegend erkannt hatte,
daß es irgend etwas auf der Welt geben konnte, von dem
nicht vorher die Idee irgendwie vorhanden gewesen sein
müßte, zum mindesten müßten die Möglichkeiten seiner
Entstehung ersonnen gewesen sein. Das ist der kurze
Inhalt der sogenannten Platonischen Ideenlehre: wir können
es wohl einsehen, daß ein Uhrmacher eine Idee von einer
eigenartigen Uhr faßt und sie dann konstruiert, wir können
aber nidit mehr begreifen, daß eine komplizierte Uhr
z. B. mit Apostelaufmarsch, Glodcengeläut und Choral-
*) Ober die Geisti^fkeiten eines Stoffes, z. B. des Eisens und seiner
Beziehungen zu anderen Stoffen, seine Eigenschaften, sein Gefüge,
seine Verwendbarkeit in Menschenhand könnte man eine Bibliothek
füllen. Es gibt keinen noch so winzigen Bestandteil der Natur, der
nicht eines Tages einen Propheten unter den Menschen fände. Der
aber hat seine Geistigkeiten abgelesen. Sie stecken nidit als eigene
Produkte in seinem Gehirn, sondern sie sind Geistigkeiten, weldie dem
Entdecker zugerufen haben: „Sieh! und verkünde was idi euch
Menschen zu sagen habef
10
spiel durdi Zufall oder Naturbedingungen/ wie die
Materialisten sagen, sidi gebildet haben könne. Hierzu,
wie zu allen anderen Zufallsbildungen noch viel kompli-
zierterer Natur, wie es die Lebensbildung und die Funktionen
des Lebens, zum Beispiel die Dichtungen des Faust oder
Dante's Holle darstellen, kann einfach nicht die Zeit ge-
reicht haben, seit welcher nachweislich die Erde steht 1
Es haben Mathematiker von Fach mittels der Wahr-
scheinlichkeits- und Kombinationslehre ausgerechnet, daß,
wenn z. B. 40 Würfel 40 Einsen auf einmal aus dem ge-
sdiüttelten Bedier fallen lassen sollten, die Chancen dafür
erst in etwa 100 Jahren beginnen würden, während eine
setzende Hand in wenigen Sekunden die 40 Einsen neben-
einander reihen kann. Wenn aus einem Sack voll un-
zähliger Buchstaben ein einziger Goethevers entstehen
sollte, so würden dazu sdion 100 000 Jahre Sadc-
sdiüttelns nicht ausreidien; abgesehen davon, daß erst so
etwas wie Sack und Budistaben von Zufalls Gnaden herbei-
geschüttelt werden müßten; bis aber die 227000 Milliarden
Moleküle einer Eiweißzelle sich zusammen gefunden hätten
zu „zufälligen '^ LebensäuBerungen, würden darüber Mil-
lionen von Jahren vergangen sein und eine Zeitspanne
gedacht werden müssen, vor welcher die ganze Erde und
ihre Moleküle noch gar nicht der ewigen Saatenhand der
Sterne entsdileudert waren! Hier kommt also die Zufalls-
theorie arg in die Brüche, in Zeitnot, wie man beim
Sdiaditurnier sagt. Ein noch stärkerer Einwand gegen
die Zufallstheorie des Materialismus ist das Bestehen der
strengen Naturgesetze, die audi oft als die alleinigen
Arrangeure der Welt hingestellt werden. Wie kann diese
Karrikatur des Gesetzmäßigen, dieser Spotter aller Regel,
dieser Genickbrecher der Wahrscheinlidikeiten, dieser
Henker des Errechenbaren gedacht werden als eine
Majestät der strengsten Ordnung, als der drakonische
Gesetzgeber des Weltgesdiehens, der eben die Natur-
11
gesetze geschaffen hat uns zur Gnade; denn ohne sie, ohne
Konstanz alles Naturgeschehens würden wir alle ohne
Orientierungsmoglidikeit in der Welt, also wahnsinnig
sein, (so z. B. wenn ein Stein bald in die Luft, bald in
eine beliebige Windriditung seitwärts, bald in einer Zidc-
zackform oder wilden Spirale fiele). Ohne konstante Fall-
gesetze keine Orientierung im Himmel und auf Erden I
Also, wir müssen es annehmen, im Stoff und in allem Ge-
schehen ist ein geistiges Gesetz. Wo aber Gesetz ist,
müssen wir uns auch einen Gesetzgeber denken, eine
Überlegung, die, wie tausend andere, direkt zum Sdiopfer-
begriff führt, zum Mindesten aber zu einer Annahme einer
die Welt und ihre Erscheinungen vorausdenkenden und
formenden plastisdien Idee. Diese plastisdie Ideenkraft,
dies Ideenplasma ist nun allem Körperlidien und Geistigen
gemeinsam durch rhythmisdie Verteilung und Gruppierung
der Urelemente des Äthers, auch Elektronen und Ionen
genannt, und es kann uns dann nidit mehr verwundem,
daß die Berührung von rhythmisdien Liditfelderkomplexen
mit Liditfeldergruppierungen von einer anderen Konstitution
wie Zi B. die der tastenden Fingerkuppe gegen einen Glas-
stab zu einem Sichdurchflie^en beider Strahlenwirbel an der
Berührungsflädie führt. Hier liest eben mein Geist Geist
ab, genau, wie wenn der Gegenstand ein zusammengeballtes
Ideenknäuel wäre mit tausenden darauf eingeritzten tele-
graphisdien Zeidien, die nun ein feiner Apparat von
eingestimmten Ideenrythmen abtippt, wie ein Telegraphist
die Telegraphenzeidien von einer Papierrolle. Nun kommt
dazu, daß ja damit konform die moderne Physik über-
haupt den Stoff als die Mater rerum d. i. Materie
zu leugnen beginnt. Es ist alles geistig, alles Lichtfelder-
ballung und es sdieint uns nur alles mehr oder wenig
fest oder flüssig oder gasformig, weil die Berührung ryth-
mischer Schwingungen von Atherbewegungen bestimmter
Systeme mit Systemen anderer Konstitutionen Dissonanzen,
12
Discrepanzen, Interferenzen, also Lichtwirbel, Ablenkung'en,
Durcfarieselungen, Strudelwirkungen erreget, diewirMensdien
eben Empfindungen, Gefühle usw. konventionell benennen.
Wir sind für unser Weltbild an den Rhythmus unserer
Organe gebunden, wie das eine einfache Überlegung be-
weist. Wir wissen, daß der Mensch im Stande ist^ nicht
mehr als 10 Beobaditungen während des Verlaufes einer
Sekunde zu madien. Es gibt aber Geschwindigkeiten,
die viel zu sdinell sind, als daß unser Auge z. B. sie
nodi wahrnehmen konnte. Würden wir im Stande sein
z. B. etwa 30 — 40 Beobachtungen innerhalb einer Sekunde
zu madien, so würden wir die Welt ganz anders sehen.
Wir würden die abgesdiossene Flintenkugel als einen
Stridi in der Luft, das Gras wachsen, das Wasser sidi
dehnen sehen und im Sandkorn oder im Glase die rol-
lenden Moleküle erkennen, welche unsern armen langsamen
Augen jetzt als eine feste Materie ersdieinen. Es ist
eben alles bewegt, im Sonder-Rhythmus schwingend und jeder
Schwingungskurve entspricht eine vielleicht einmal menscfa-
lidi fixierbare Form, der eine Schwingungsadise zu
Grunde liegt.
Das Eisen konnte folgende Molekülrotation haben:
das Gold diese: Qß/Wl
Silber solche: (VWV\
Schwefel :
m^
Eiweiß:
usw.
13
Wie wir nun aber dazu kommen, aus diesen primären
spezifischen Berührungen Gedanken zu bauen und Aus-
sagen darüber zu madien, das bedarf eben jener weiteren
Betrachtung, weldie uns direkt in den Mechanismus des
Gehirns hineinführt und zu dessen Aufdedcung idi die
bildlidie Darstellung zu Hilfe nehmen muß.
Zuvor nodi einige Einzelbe trachtungen.
Die Wunderorgel, welche in der knöchernen Elfenbein-
kapsel unseres Schädels eingebettet ist wie eine der Welt
und ihrem Rauschen entgegenharrende Aeolsharfe, die
mit unendlich vielen feinen, zarten, mikroskopisdien
Glodcchen, Saiten und Registern bedeckt ist, baut sich
auf aus 1500 Millionen kleinen klingenden und singenden
Sternchen, welche die kalte Wissenschaft Ganglien (d. h.
Knotehen, Wunderknäuelchen) nennt. Kant hatte wohl
recht, wenn er ausrief, daß zwef Dinge in ihm stets einen
heiligen Sdiauer erwedcen, wenn er sie betradite und
überdenke: der Sternenhimmel da droben und die Stimme
des Gewissens da drinnen in ihm. Denn diese zauber-
hafte geheimnisvolle Stimme ist ja durchaus gebunden an
die Funktion von vielen Millionen kleinster zuckender,
phosphorleuditender, klingender und singender Glitzer-
stemchen, die in dem Wolkengrau des Gehirns, der grauen
Hirnrinde, ausgebreitet sind zu einer wunderbaren Schicht
eines geistiges Leben vermittelnden Art Himmels, in den
so oft, wie wir sehen werden fälsdilich, der Thron der Seele
verlegt worden ist.
Das Gehirn ist so gebaut, daß es aus zwei Hälften
besteht, welche durdi eine Art Querbalken, ein breites
Bandkabel mit Millionen telegraphischen Drahtbündeln
untereinander in Verbindung stehen. Es ist so gebaut,
als hätte man ein Kornähr^nbündel oder einen Riesenstrauß
von Maiglöckdien in zwei Hälften geteilt und oben aus-
einandergebogen und die Stengel oder Halme da, wo die
Hand das Bündel hält, über Kreuz gelegt.
14
Dann wQrde der Sdiidit a^ die Summe der Kornähren oder
die der Maisrlöckchen der ^auen Hirnrinde entspredien,
und 6* würde die Drahtfiden bedeuten, welche von jeder
einzelnen Zelte in das Körperzellengeffige hinableiten
resp. von den Körpenellen hinaufführten in das System
der Ganglien -Glödcdien und -Ähren. Bei c' wäre die
widttijfe Kreuzun(f der Ganglienstenglein zu sudben,
welche es bedingt, dafi alles, was im rechten Gehirn
geschieht, auf die Unke Seite des Körpers bezogen werden
muß, und alles, was links im Gehirn gesdiieht, auf die
redite KSrperhälfte ein- und ausstrahlt, wenigstens soweit
es sidi um Aktionen oder Lähmungen der Muskulatur
unddesGefühls, alsoderKontakt-undSchmerzempfindungen
bezieht. Ein Bluterguß oder ein Schufi ins linke Gehirn
muß also auf der rechten Seite Lähmungen hervorrufen
und umgekehrt. Was sonst im rediten oder linken Gehirn
vor sich geht, außer der Muskeltätigkeit und den Von
gangen des körperlichen Gefühls, soll uns sehr bald
besdiäftigen.
Bei d^ liegt das sdion erwähnte Querkabel zwisdien
beiden Himhälften, das eine bisher gar nicht erkannte
ungeheure Rolle für die Funktion der Gedankenbildung
spielt, wie wir bald erkennen werden.
Nun hat der soeben durch den entsetzlidien Frieden,
m:m kann wohl sagen, gebrandmarkte Krieg mit allen
seinen Verletzungen und Verstümmelungen die Rolle eines
• 15
gfanz grrausamen Experimentators übernommen, indem
Menden an Mensdien Millionen von Verletzungen des
Gehirns verübt haben, wie sie raffinierter und plangemäßer
kein Weltalls-Dämon hätte ersinnen können. Ist doch
keine Stelle im Wunderbau des Gehirns gewesen, die
verborgen genug von der sorgsamen Hand der Natur gebettet
gelegen hätte, als daß sie nidit irgend ein hinterlistiges
Kugel- oder Plattgesdioß, eine Metallhülse, oder ein -Splitter
mit rasantem Vemichtungsfluge erreicht hätte! Wahrlich,
ein grausames Millionenexperiment in allergrößtem Stile!
Und wenn hier die Wissenschaft nichts wesentlidi neues
entdedct hätte, so mußte sie entweder falsch orientiert,
im Banne festgelegter Dogmen gestanden haben, oder sie
muß durch gehends durch schlechte Hirnleben- Beobaditer
vertreten gewesen sein. Leider, leider war beides der
Fall. Den Tausenden von Ärzten ist gegenüber der
gewaltigen Experimentalpathologie des Feldzuges am
Gehirn- und Nervenorgan nidits wesentlidi Neues ein-
gefallen, bis auf eins, dessen Wertsdiätzung idi anderen
überlassen muß, da ich selbst diese neue' Entdeckung
gemacht zu haben glaube an der Hand von sehr vielen
Hirnschußverletzungen, weldie mir zum Verständnis der
Gehirnfunktionen offenbar ganz neue Deutungsmöglidi-
keiten an die Hand gegeben hat. Ich will sie ihnen nicht
vore/ithalten: es ist die Entdedcung, daß die beiden
Gehirnhälften erstens außer der beiden gemeinsamen,
genannten Muskel- und Gefühlsfunktion ganz verschiedene
Ämter gleichsam im Haushalt der Ideen und der Gedanken
zu vertreten haben, die wir gleidi kennen lernen werden.
Und zweitens, daß das eine Gehirn das andere in jedem
Äugenblidce, in dem ein Mensdi das beabsichtigt, betrachten
kann wie einen vor ihn hingelegten Stein, daß ferner
beide Gehirnhälften das Rückenmark und seine Tätigkeiten
überwadien können und daß beide Hälften imstande
sind, Willens- und Vorstellungsimpulse vermöge des
16
sympathischen NervengfeflechteSy ein Riesengfesträuch feinster
nervöser Zweiglein um die Blutgefäße des Gehirns ge-
lagert, an die Korperzellen jeden Organsystems zu über-
tragen. Hier leuchten zum ersten Male die Wege und
die Schmugglerpfade auf, auf denen der Transport der
Ideen an den Leib und seine Funktionen und Bildungen
erfolgen kann. Blitzartig und unversehens ist hier der
Zusammenhang zwischen Gedankenmadit und Hysterie
enthüllt, dem wir noch ausführlich nachzugehen haben und
dem das Thema des heutigen Abends gewidmet ist.
Zeichnen wir uns nun zuvörderst einmal eine Ganglien-
gruppe auf, an welcher wir einige Details schildern wollen,
welche zum Verständnis eben dieser Beziehungen un-
erläßlich sind.
Wir haben hier vier Ganglienzellen mit Kern und Kem-
korperdien, deren jede wir uns aus der Kleinigkeit von
227000 Milliarden Molekülen in rasender rhythmischer
17
Strömung^, zu denken haben, trotzdem wir sie unter dem
Mikroskop in fester Form, dank der lang'samen Filmarbeit
unseres Auges, wahrnehmen. Diese Gangflienkus^elcfaen
enthalten in sich einen Kiem und ein Kemkorpercfaen aus so-
genannter Nucleinsubstanz, welcher der eigentliche Betriebs-
direktor ist der Arsenale und Organe und der Milliarden
Gruppeninstitute des Zellkorpers (ihres Protoplasmas, ihres
Eiweißes, der Kern ist dann das Eigelb). Man sieht,
eine einzige Zelle ist schon eine Elektrizitätszentrale, eine
A. E. G. für sich, und von einem Elementarorganismus
dieses Zellgebildes, wie Virdiow meinte, kann gar keine
Rede mehr sein; eine einzelne der vielen Milliarden Korper-
zellen ist offenbar eih Organismus für sich, genau wie
der Mensdi als Ganzes mit Seele, Geist, Leib, Organen,
Flüssigkeitstromen und einer Unmasse eingeborener und
erlernbarer Funktionen, nur daß diese Milliarden Lebens-
flitterdien eben zusammengehalten sind nicht durdi ihre»
freien Willen zum Dienste des Ganzen, sondern sich
lenken und leiten lassen durch eine unsichtbare, weiße
Konigin, die sie sich erst gesdiaffen hat, und die ewig
vergeblidi in irgend einer Art Bienenthron des Lebens-
stockes gesucht werden wird, weil ihr Konigssitz über de»
Sternen thront und nur Lehen ist von dem Herrscher über
den Sternen, Wolken und der Atmosphäre — die Seele»
Der Zellstaat ist also keine Republik — hier hat Virchow
seine politisdie Oberzeugung in der Konstruktion des
Körperbildes einen üblen Streidi gespielt — sondern er
ist eine freilich metaphysische Monardiie, ihr Reich ist allein
ihre Schöpfung und ihre Herrsdiaft übt sie unsiditbar,
aber nidit unerkennbar, wie idi das leider an dieser
Stelle nidit näher ausführen kann, aber doch noch ein-
mal ausführlich zu begründen gedenke.
Aber zurück zu den Ganglien! Diese Millionenschar
von glitzernden Kleinlebewesen, die auffällig den Ur-
anfängen, den Erstgeborenen organischen Lebens, den
18
Amöben gleichen, was zu denken gibt, haben also einen
Kern und um sich einen Kranz eines eigentfimlidien
bluthaltigen Gewebes, die Neuroglia, welche nadi meiner
Auffassung die Rolle eines Hemmungsapparates spielt.
Sie ist handsdiuhartig um sämtliche Ganglien gehüllt, die
also hier wie vielstrahlige Finger mit flüssigkeitshaltigen
Überzügen, wie feudite Sdiirmfutterale aufzufassen wären.
Sie spielt für jedes Ganglien die Rolle, die in leider ent-
sdiwundenen Zeiten die blau -seidenen Lampenschirm-
klappen um die einstmals gasführenden Beleuchtungskörper
unserer Scfalafwagenkupees übernahmen. Ihr Herabklappen
vor die Strahlenkugel bedeutete Abblenden, ihre Öffnung
und ihr Rückklappen liefi die Lampe voll leuditen. Das
erstere brachte Sdilaf, und das zweite, das Aufklappen,
Erwachen. Genau so funktioniert nun der feudite Ganglien-
sdiirmüberzug: ist er voll blauen Hemmungssaftes, so ist
das Ganglienlicfatlein gedämpft, gehemmt, und kein solches
Glfihwfirmdien kann Strahlen senden oder Feuerzeichen
an seinen Nadibar geben; ist es aber leer, trodcen, durch
Gefäßzusammenziehung verengt, so fällt von Sternlein zu
Sternlein Gruß um Gruß, Mitteilung zu Mitteilung, rhyth-
mische Welle zur rhythmischen Welle, d. h., strenger aus*
gedrückt: ein von den Nerven übermittelter, fortgepflanzter
Stoß winzigster Billardkügelein (der Nervenmoleküle) kann
die Besonderheit seiner Schwingungswelle den Ganglien
der Nadibarschaft übermitteln. Unter die erste Funktipn
der Hemmungseinschaltung, d. h., der aktiven Blut- und
Saftffillung der Neuroglia fällt alles, was Schlaf oder
sdilafähnlich in uns ist, also Narkose, Hypnose, Morphium,
Opium, Skopolaminwirkung; alle diese Vorgänge um-
fassen auf dem Wege besonderer Nervengespinste die
Fasern des Nervus sympathicus die Gefäßrohren und
füllen damit die eigentümlidien handschuh- und fransen-
artigen Umhüllungen der Ganglien, die man eben
Neuroglia nennt. Im höchsten Falle der Hemmung
2* 19
des Blutumlaufes, wie bei Drosselung, Hirnblutung, Ge-
sdiwulstbildung, tritt komplette Hemmung aller elektroiden
a) Blttt^fafl, b) Gans^lien des Sympathicus, Veren^rer und Er-
weiterer der Bluts^efiHfie, dadurch Leitun^fsvermittler oder Hemmer
der HimzeUenitröme.
Ganglienverbindung ein, d. h. Bewußtlosigkeit aus Blut-
uberfüUe und Neurogliaüberscfawemmung, im extremsten
Falle die definitive Hemmung auch von Herz- und Atmungs-
tatigkeit, d. h. die Lebenshemmung, welche den Rudc-
zug der Konigin, der Seele, aus den Palästen des physischen
Harfendomes zur Folge hat, wie man so sagt: den Tod.
Andererseits können die Verengerer der Blutgefäße,
gleichfalls Abkömmlinge der Umerven aller organisdien
Reizbarkeit, des Sympathicus, die Hemmungsmaschen der
Neuroglia entleeren, d. h. jene blauen Sdilafwagenseiden-
kappen hodiziehen und die Liditaktion der Ganglien geht
ihre Bahn. Im erhöhten Reizzustand fuhrt das zur Unruhe,
Aufgeregtheit, Neurasthenie, Angst, Gedankenfludit, Rase-
rei, Hallunzination, und im exstremsten Falle der kompletten
Leere der Neuroglia zur Ohnmadit und einer anderen
Form der Bewußtlosigkeit, der durdi Blutleere. Man wird
gestört, weil alle Telephonglockdien gleichzeitig miteinander
anläuten, was keine Telephonistin, audi kein Menschengeist
im Elfenbeinkästdien des Schädels aushalten kann, ohne
ganz konfuse und unorientiert zu werden.
Für gewohnlidi und normalerweise aber übernimmt das
Herz mit seinem periodischen Pulsdrude die Rolle des Ein- und
20
AusscfaaltenSy indem durch Ein- und Ausstromen der Blut-
welle in die vielverzweigten Kanäle der Neuroglia wechselnd
die Ganglienbahnen freigegeben oder abgestellt werden, so-
daß eben in jeder Pulsphase, gleidi einer Sekunde, jene lOMit-
teilungen der Ganglien unter sidi gemadit werden können,
die wir Beobachtung oder Wahrnehmung nennen.
Jedermann 'weiß, daß abnorm langsamer oder abnorm
besdileunigter Puls unserem Bewußtseinszustande eine
besondere Färbung gibt, wie bei der Ermüdung z. B. oder
im Fieber; die Erklärung dafür ergibt sidi ohne weiteres
aus dem soeben Gesagten, Bedenken wir noch, daß
rhythmisch die Sonne beim Auf- und Untergang Erwachen
und Sdilaf durch die im Leibe gelegene „Marconiplatte
des Weltalls^ übermittelt und erwägen wir, daß durch
Beimengung aller moglidien Bestandteile zum Blute, audi
von Sekretionsstoffen der inneren Organe, die Tätigkeit der
Ganglien auf dem Wege der Blutsaftveränderung viel-
farbig beeinflußt (alteriert) wird, so haben wir genügend
Vorkenntnisse, um uns jetzt an den Kern unserer Unter-
suchung, an den Mechanismus des Denkens zu madien.
Es bedurfte dieses, wie ich gestehe, langatmigen Umweges,
um den sdiweren Problemen sieghaft zu Leibe zu gehen.
Zeidinen wir uns zunächst in rein schematischer Weise
einen Durchsdinitt durch beide Hirnhälften, die durch den
genannten Querbalken kabelartig verbunden sind, so er-
halten wir folgendes Bild,
s
^•>^u)^
t»l
21
in welchem L linkes, R rechtes Gehirn und Q das Him-
kabel bedeutet. Die schraffierte Zone auf der linken
Gehirnhälfte 9 Sy bedeutet den Sitz der Sprache in der
sog'en. Broca*schen Hirnwindung*. Die Pfeile bei beiden
Himhälften bezeichnen die Richtung der Zu- und Ableitung*
von Reizstromen, also L zu: die Riditung der Strome von
der Peripherie des Leibes zum linken Hirn; R ab: die
Richtung^ der ableitenden Strome von der rechten Hirn-
halfte her. Die beiden Pfeile innerhalb des Querbalkens
bedeuten die Richtung der Schaltstrome im Verkehr zwischen
rechts und links und umg'ekehrt.
Nun hat sich eben durdi die Gehimverletzung^en, die
wir im Lazarett zu beobachten Gelegenheit hatten, heraus-
Sfestellt*), daß. der Denkprozeß auf die Weise zustande
kommt, daß in das linke Gehirn von den sämtlichen
Sinnesorganen her (Gefühl, Gesdimack, Geruch, Gehör,
Gesicht, Muskelgeffihl, Raumsinn mit all ihren Modifika-
tionen) in der Riditung des Pfeiles Lrzu Reizwellen zu-
Sfeffihrt erhält und die Eigenschaften der betasteten, ge-
fühlten, g'eschmeckten, gesehenen usw. Dinge in der obeM
gfesdiilderten Weise abliest, d. h. die Form der Ätherr
9diwing'ungen und ihr Anprall an die Rhythmen der Emp-
findungsnerven an dem Erregungszustande der Moleküle
der Ganglien registriert.
Das würde an sich noch nicht zu einem Urteil über
die Natur dessen, was empfunden wird, führen, nämlich
nicht übermitteln, ob etwas kalt, glatt, warm, rauh, hell,
dunkel, laut, leise, bitter, süß ist, wenn nicht vermöge
des Hineinleuchtens des Gesamtganglienapparates der
rechten Hirnhälfte in die linke von diesem festgestellt
würde, was in den „Arbeitskammem^ des linken Zwilling^s-
*) Die exakte Beweisfühmns: für diese AnschauuQs: kann hier nicbt
versucht werden. Ich spreche ja nicht vor einem Forum von Ar^en,
sondern von Laien, für die die Beweisführung: sehr mühsam und
zettraubend wäre.
22
bruders STCSchieht; d. h. die Vorgängfe der linken Strom-
-erregung werden rechts kontrolliert. Stellen wir uns ein-
mal vor, es seien ein paar Tausend Ganglienzellen links
in Erregung durch die Berührung eines Glasstabes durch
eine Fingerspitze, wobei .telegraphisch vom Finger zum
linken Gehirn gemeldet würde: Finger linker Hand fühlt
etwas kaltes, jedenfalls kälteres, als Hauttemperatur, zu*-
gleich allseitig glatt und rund, zwei stumpfe Enden; das
gleichzeitig betrachtende Auge würde melden: durdi-
sichtig, lichtstrahlend, reflektierend, spiegelnd, schätzungs-
weise 10 cm lang, wenige Zentimer dick, frei beweglich
— so würde das alles immer noch nicht ausreichen, um
uns einen „Begrifft dessen zu geben, was soeben die
Hand umgriffen hat. Das linke Gehirn für sich über-
mittelt zunächst nur die allgemeinen, man mochte sagen
physikalischen Eigenschaften des „Gegenstandes^, d. h.
dessen, was dem Rhythmus der Sinne sich „entgegenstellt^,
es notifiziert die Diskrepanzen, Lichtfelddurchrieselungen,
das Aufschäumen der Rhythmen der Sinnesnerven gegen
die Rhythmen des Berührten, Betasteten, Gesehenen usw.
Es ist das linke Gehirn ein Katasterbeamter,, der
Registrator der Berfihrungsaktion der adjektivischen Welt,
d. h, der Welt des „Gegenständlichen^, er registriert die
Tatsachen des Prozesses und ihre „Aktenstöße^ ohne
ein Urteil zu fällen, was Sache des Richters ist. Dieser
Richter ist eben das rechte Gehirn, welches, aufmerksam
hineinsieht in die Maschen der linken Himhälfte und
hier eine Gruppe von Ganglien aufleuchten sieht, welche
in ihrer Gesamtheit eine neue Art eines „Gegenstandes^
für dasselbe bildet, genau, wie wenn wir einen Stein
vor uns zur Betrachtung auf den Tisch legen. Denn das
rechte Gehirn ist nach unseren beweisbaren Anschauungen
der Sitz der Phantasie. Es fügt dem links aufleuchtenden
Gangliengruppenherde noch etwas hinzu» das sich zu
ihm verhält, wie der Mondhof zum Mond, wie die Fransen
23
um einen Teppich, wie die feinen Spitzen um ein
Taschentuch, wie die Wellenkreise um einen ins Wasser
gefallenen Stein. Es umkreist die gesamte, links auf-
schäumende Welle als eine Bewegungseinheit und über-
trägt ihre Impulse, sie weiterrollend durch die Flutkanäle
des Querkabels und läßt ihre Berge und Täler hier zur
Parade aufmarschieren vor blitzartig in Bereitschaft ge-
stellten Scheinwerfern der Erinnerung, des Gedächt-
nisses, des Vergleiches, des schon Erlebten, des
schon Erfahrenen, und im Falle des nicht Erfahrenen
vor den Schlagbaum und die Sehlinien der Möglich-
keiten, Wahrscheinlichkeiten und vor die Feuer-
probe von Ursache und Wirkung.
Hier erst entsteht die Einverleibung des Gegenständ-
lichen, Wahrgenommenen, Empfundenen in den persön-
lichen Erlebniskreis meines betrachtenden Individuums, es
werden die „objektiven'' Eigenschaften des Gegenstandes
mein subjektives Eigentum nach Maßgabe meiner Erleb-
nisse, Erinnerungen und der Kraft meiner Fähigkeit zur
Beziehung von Erscheinung zu ihren Ursachen. So erst
kommt aus dem Glatten die Glätte, aus dem Runden die
Rundheit, aus dem Kalten die Kühle als „Begriff' zu
Stande, wiederum durch Gruppenbildungen schon einmal
in ähnlicher Weise erregter Ganglienkomplexe der rechten
Seite und aus der Summe der rechts kontrollierten und
vor die Gruppenfackeln verschiedener summierter Begriffe
gestellt, resultiert das „Urteil" d. h. die Wesenheit des
in seine „Ur-Teile" von der Phantasie zerrissenen
Gegenstandes; das, was dem linken Gehirn da gemeldet
ist, ist „Glas!" und seiner Form nach ein „Glasstab 1"
Dieses Urteil aber wiederum ist an sich ein stummer
Gedanken- Vorgang im rechten Gehirn; er würde auch
stumm bleiben, wenn die erregten Stromkomplexe, die
aufsprühenden Feuerschalen und Fanale der Begriffe, die
dadurch gespeicherten Kraftwellen elektroider Spannung
24
sich einseitig im Gebiet der Phantasie, der Träume und der
Gedankenspinnereien verlören, und allmählich im Meer
der rechten Ganglienwellen, am Strande des nicht mehr
Ausdenkbaren verebbten. Ist aber genügend Stromreiz
vorhanden, so kann aus den Zentralherden der rechts
aufgespeicherten Gangliengruppenwitterungen zweierlei
erfolgen unter gleichzeitiger Einschaltung der gesamten
von Außen- und Innenwelt erzeugten Reservekraft in
beiden Hirnhälften (von der wir noch zu sprechen haben
werden): einmal kann der Anblick des Glasstabes seine
Begriffsfestsetzung zu einer Handlung führen, d. h. der
von einem Muskelsystem, dem Benda'schen Hirnmuskel,
ein- und ausschaltbare Strom geht auf die Korpermus-
kulatur über, also es erfolgt eine Willensaktion, eine
Handlung, also eine Muskelkraftauslosung im Glieder-
system des Korpers, der „begriffene^ Glasstab wird
„ergriffen** oder: der erregte Kraftstrom flutet durch den
Balken zurück in das links gelegene Sprachzentrum, von
dem aus nun die Muskelaktion, die Handlungen des
Kehlkopfes, des Gaumens, der Zunge, der Kiefer einge-
leitet wird; d. h. der Prozeß des Innengeschehens wird
durch die Projektion der rhythmischen Bewegung nach
links und von da nach außen zur Aussage, zum Wort:
„Glasstab !** Da haben wir die drei Register der Him-
orgel: das reale, das ideale, das aktive; oder: das adjek-
tivische, das subjektivische und das verbale Register*),
wobei verbal gleichbedeutend ist mit Satzverbum bildend,
mit Aktion des Muskels, mit dem allgemeinen Tatregister;
denn auch die Sprache ist Tat, Muskeltat, Umsetzung
eines geistigen Innengeschehens in reale, manifeste, nach-
ahmende Lautgemische von Qbertragungskraft. Ursprüng-
liche Beobachtungen werden durch Nachahmungsgeräusche
aus einem Gemisch von. Vokalen und Konsonantenver-
kettungen unter Begleitung von Gesten- und Minenspiel
*) Das j^emischte Wort -Tat-Regster* (Mauthner).
25
dem Miturmensehen mitteilbar gemacht, z. B. in den
Worten: Blitz, Donner, Krachen, Zischen, Schleidien,
Rauschen usw usw. Haben wir so die Entwicklungsge-
schichte, gleichsam die fortlaufende Neugeburt der Be-
griffe im Allgemeinen, wie ich hoffe, zwingend durch
gehirnphysiologische Gesetzmäßigkeiten aufgedeckt in
voller Obereinstimmung mit dem größten Philosophen
aller Zeiten, Emanuel Kant, so bedarf es noch der
Weiterfuhning dieser Erkenntnisse in die Hauptgebiete
des Denkens: die Logik und die Phantasie, in die-
jenigen Funktionen des Geistes also, welche die Philo-
sophen die Funktionen der reinen Vernunft und der
Vorstellung nennen, für welche ich gleichfalls absolut
unangreifbare physiologische Einzelakte, d. h. ein be^
schreibbares Himganglienspiel von grandioser Einfachheit
Ihnen aufzudecken gedenke.
Idi beginne mit einer physiologischen Analyse der
Funktionen der Phantasie, dieses Kronjuwels der Mensdi-
heit, welches wahrscheinlich allein diejenige geistige Be-
tätigung der Natur enthält, die den Menschen turmhodi
über all ihre sonstige Sdiopfungen heraushebt, weil sie
eine Brücke bildet zu dem größten Kunstwerk, das die Natur
überhaupt aufzuweisen hat: das herrliche, einfädle, gute
Menschenherz. Denn ohne die Vorstellungsmoglichkeit
vom Leiden der Kreatur, welche eben den Kernpunkt
der Phantasie ausmacht, wäre Mitgefühl, Mitleid und damit
Güte und Opferfähigkeit gar nicht denkbar. Mögen alle
anderen geistigen Fähigkeiten im Tierreidi ansatzweise
gleichfalls vertreten sein, eine der unseren gleidiwertige
Phantasie kann das Tier nidit besitzen, wie wir gleich
sehen werden: hier ist bei uns zu der im Tierischen er-
reichten Nervenfunktion geradezu etwas Metaphysisches, eift
Wunder, hinzugetreten, welches die Nervensubstanz zu einer
neuen, im Aufstieg der Materie zur Geistigkeit bis dahin
unerreiditen Krönung geführt hat und damit den Meiisdien
26
zwar als ein Tierwesen, wenn audi das hocfate, erscheinen
läßty aber ihn auch den ersten Sdiritt zur Göttlichkeit
z. B. dem Genie eines Christus, eines Goethe tun lafit.
Dieses metaphysische Wunder der Phantasietatigkeit, die
uns sogar gestattet, in unserem Innern nodi einmal die
ganze Welt mit allen ihren Ersdieinungen wie kleinen
Gottheiten geistig zu reproduzieren, Gott nachzudenken
und Betrachtungen über uns selbst, fiber unsere Stellung
im Kosmos, ja über einen Sdiopfer uns eine sdiier uner-
schopfbare Moglidikeit desNadisinnens gewährt, beruht nun
dennoch auf einem sehr einfadien, aber von der Natur
mit wunderbarer Genialität ersonnenen, mechanischen Vor-
gang. Um es gleich kurz zu sagen: es ist die Rüdcwärts-
schwingung der Nerven- und Ganglienbahnen, welche uns
gestattet, die Welt zu spiegeln, uns selbst in der Welt zu
betraditen, Zeit und Raum auszudenken und nadi Ur-
sachen der Erscheinungen zu sudien. Während nämlidi
für die gewohnlidie Betraditung, die audi dem Tiere zu
Gebote steht, alle Reize der Sinne von außen nach innen,
also gleidisam von den Klaviertasten zu dem Klavierkasten
und seinen Saiten schwingen, so daß ein Pferd mit allen
real sichtbaren Eigensdiaften, Formen und Farben vom
Auge zum Sehzentrum gleichsam abphotographiert wird,
geschieht bei der Phantasietätigkeit gerade das Umgekehrte:
alle Ganglien, weldie das Gruppenbild eines Schimmels
zusammensetzen, beginnen bei der Vorstellung eines
Sdiimmels zuerst zu schwingen, und dann erzittern in
rückwärts gerichteter Folge alle diese Nervenelemente bis
zu den Stäbchen des Augenhintergrundes, die beim wirk-
lichen Anblick eines weißen Rosses beteiligt gewesen sind.
Das heißt eben, die Klaviersaiten beginnen primär zu
erzittern, erregt von der schwebenden Reservekraft, weldie
meinem Willen*) gehorcht, und bewegen auf scheinbar
*) Ober den Medianismoi dei Willei liehe mein Buch „Vom Sdialtweric
der Gedanken", Berlin, S. Fisdier, 27. Auflage.
27
mystische Weise rückwärts den ganzen Klaviaturmedianismus
über Saiten, Hebel und Sdilagwerk bis zu den Tasten*).
Daß das wirklidi so ist, beweist schlagend die Tatsadie,
daß beim Denken eines „Phantasie-Schimmels" die Pupillen
des Auges sich genau so verengen, als wenn das Auge
das reelle Bild eines hellen Pferdes von außen empfinge!
Übrigens ist der namentlich jetzt jedem so wohlbekannte
Vorgang der Springbrunnenbildung im Munde bei der
Vorstellung von Kaviar oder Hummersalat genau dasselbe.
Die Vorstellung einer Speise erzeugt Saftmedianismen
genau so, als wenn der Bissen schon im Munde stedete.
Man sieht hier sdilagend die nahe Beziehung von der
Phantasie zur Erinnerung, zu den Traum-Halluzinationen,
und es ist sehr sdion ferdadit von der sinnigen Phantasie
der Griechen, daß sie dem geflügelten Sohne und Diener
des Gottes der Hypnose, S. Majestät Hypnos, Morpheus,
drei Genossen mitgab: den Eikelos, den Gaukler (gleicher
Wortklang!) den Schürer der Erinnerungsträume, den
Kaleidoskopträger des Hindämmems und den Pfaantasus,
den Träger der motivischen Kombinationen, den Wolken-
bildner Schoner und traumbildhafter Moglidikeiten. Wenn
sie den beiden Kammerdienern des Morpheus noch
als dritten den Phobetor hinzufügten, den Erreger und
Entzünder von Furcht und Entsetzen, den eigentlichen Gott
der Warnung und des Alpdruckes, so haben wir hier
wunderhübsch drei sehr wesentliche Elemente der Phantasie
beieinander: ihre nahe* Beziehung zu Erinnerung, Traum und
Halluzination, ihre Verwandschaft zu Grund und Ursache,
und ihre Zeugungskraft von Furdit, Angst, Bedrohungsge-
fühlen im Spiel mit lebensgefährlichen Denkmoglidikeiten.
Bei näherer Betrachtung nun ergibt sidi, daß die Bilder
der Phantasie fast durchweg Bilder des Augenlichtes sind**),
*) Phantasietatiglceit ist also beherrschte Hallucination 1
**) Die der Logik sind Sache des Ohres. Audi das Gelesene ist
aufsfesdiriebenes Gehortes.
28
miteinbegriffen die Phantasie von Raum und Zeit und
daß die Erwägun^fsmoglicfakeit von Ursadie und Wirkung,
eigentlidi zu einem psychisdien Experiment geführt hat
von entscheidender Bedeutung für die Stellung des
Mensdien im All und auf Erden. Ein Tier muß jedes
Element der Außen- oder Innenerregung als einmalig,
reflexauslosend empfinden, weil es offenbar ohne Schluß-
kräftige Phantasie ist. Warum idi das so kühn behaupten
kann, wird gleidi erhellen*). Es kann sidi nicht fragen,
warum geht die Sonne auf und unter, sondern es folgt
dem Reiz des Sonnenaufganges und dem Untergang des
Lichtes reflektorisdi. Wir aber konnten einst fragen:
Warum fällt der Apfel in einer geraden Riditung zum
Erdmittelpunkt? Das tat Newton und seine durdi die
Phantasie erzwungenen Experimente des Denkens führten
audi zu vielfach geistig abgeänderten Bedingungen des
Fallgesetzes sdiließlidi zur Beantwortung* einer so uner-
hörten Fragte, warum die Sonne auf- und untergeht?
Femer zu der noch viel unerhörteren Erkenntnis, daß sie
das gar nicht tut, sondern daß wir mit der Erde einen
rhythmisdien Taumelweg machen, welcher uns den Gang
der Sonne nur vortäuscht! So ist der Mensdi durdi die
Setzung der Möglichkeit, daß ein Ereignis gedankengemäß
auch anders ablaufen könne, durch eine unzählige Kette
von solchen Gedankenexperimenten ohne alle äußeren
*) Wenn Tiere Phantasie haben, und das ist wohl ^ewifi, denn sie
träumen, so haben sie dodi nidit die Kraft, ihre Vorstellun^fen in
Aussage (Sprache) oder auf kausalen Ermgungen beruhende Willkür-
handlungen hinüberzusdiieben. Ihnen fehlt also sicher die Ansdilufi-
moglidikeit einer rudimentären Phantasie an bewufite Handlungssysteme«
also das verbale Register. Dagegen haben sie die Möglichkeit ihre
Vorstellungen durch Gesten, Schwanzwedeln, Pfotenbitten, ja durdi
mimisdies Lachen zum Ausdruck zu bringen. Denn Hunde haben
sicher Humor. Ihr Humor entladt sich aber nidit durdi Atemstofie,
sondern ist nur auf Mimik-Aktion besdirankt.
29
Apparate dazu gekommen, die Naturj^esetze zu erkennen^und
er ist dadurch zu einem armen und zugleich doch so reichen
dahinwankenden Ahasver in einer Wüste von Ursadien
geworden! Denn leider zwar ist er ein Ursadientier, aber
dodi für die letzten Ursachen ein klein wenig zu besdiränkt.
Hier haben wir die nähere Erklärung für die Einheit des-
Denkaktes von der Wahrnehmung im linken Gehirn und
ihrer blitzartig und gleichzeitig einsetzenden Umschillerung
mit Ideen in der rechten Gehirnhälfte; die immer not-
wendige Parade des einfach real Wahrgenommenen vor
den Generalen der Kant'sdien Kategorien-Einreihung, des
Fixationsobjektes (wie Arthur Trebitsch sagen würde) in
die Begriffe voii Raum und Zeit, und ihre Feuerprobe
vor dem Begriffe der Kausalität. Alles Andere, was
sonst noch zum Mondhof der links aufleuchtenden, nach rechts
abgebogenen „reflektierten" Gangliengruppen gehört, wie
Vergleich mit dem schon Erlebten, ihre Scheinwerfer-
betrachtung vor der Warte der Möglichkeiten und Wahr-
scheinlichkeiten, wird gleichfalls mittels des Idealregisters
der Phantasie in der rechten Hirnhälfte glatt von der
Partitur aller aufgezeichneten Erfahrungen abgelesen.
Jetzt ist es an der Zeit, daß ich den schon ä:weimal
gebrauchten Begriff von der elektrischen ^eservekraft des
Gehirns etwas näher beschreibe. Der ewige Anprall, von
Millionen von Außenreizen und ebensovielen Innenreizen
(Milieu und Innensekretion) bringt es zuwege, daß dauernd
im Gesamtapparat so etwas Ähnliches wie eine Art Reibungs-
elektrizität entsteht (Reibung der Außen- und Innenreize
an den Ganglienmaschindien), deren gewaltige Gesamt-
kraft für gewöhnlich langsam im Strom der Gedanken
abschwillt und nur manchmal, wie das Beispiel einer
schallenden Ohrfeige beweist, zu explosionsartigem Aus-
^
• *) Auch sie zu begreifen gegen den au^fensdieinlichsten Augensdiein
bei der wissenschaftlich erschlossenen Rotationsraserei der sdieinbar Feste-
sten/ Wohlg^egnindetsten, was die Steine zeigen, unserer Mutter Elrde.
30
brud verwandt wird.*) Es befindet sieb wahrscheinlich
im' Gehimweiß 0nsula Reilii) beider Hälften eine Art
<t;
o — a lasula Reilii.
scliwebender, blitzbereiter Gewitterwolken, ein Depot akku-
mulierter Stromenergie, welche durch willkQrlidie Muskel-
tätisfkeit in Aktion und zwar in beliebig gewollter Riditung
zu versetzen ist Hier steckt das Problem des „Freien
Willens". Es ist doch keine Frage, daß ich zum mindesten
das Gefühl habe, eine in mir mobile Kraft (eben die
Reservekraft) bald auf meine Körpermaschine, bald auf
mein Sprachzentrum, bald in meine Organe stiller phan-
tastischer Betraditung (auch „Dahindösen" genannt) will-
kürlich loslassen zu können und ich habe es vorausgesagt**),
daß . im Gehirn ein Muskel tätig sein müsse, der die
drei Orgelregister ideal , real , verbal - aktiv beliebig
meistert. Jede pbysiologisdie Erklärung des Denkvorganges
*) Bei Kindern, welche nodi keinen vollgültig arbeitenden Kausal-
apparat besitzen, leJgl aidi diese Reaervekraft reiJit auffalligf Sie ist
so gewaltig, dafi unsere kleinen Tnunpler und Strampler unuUiligc Kilo-
neter anBeinbewegungssuinmen über Tag leisten können, was sehr zwedc-
gemKS ist zur Auibildung ihrer Beininuskulatur, uns Erwachsenen aber
ebfadi unleislbar sein würde. Wir müssen eben einen gröfleren TeÜ
unserer R«Mrvekraft zum Denken verwenden. Das ist auch der Grund,
warum Sportsleute so selten Gedankeiiathleteii sind. Das invcJviert
one Lehre vom Recht*- oder Linksidioteal
**) S. Sdialtwerk der Gedanken.
wäre haltlos ohne diesen aktiven Apparat zur Strom-
einstellung in eins der großen Gebiete geistig -leiblichen
Geschehens! Nun, der Muskel ist gefunden: es ist der
von Prof. Benda zuerst im Mikroskop gesehene Muskel
der Neuroglia, der eben stromrichtungbestimmend
wirkt, während die Gefäßmuskeln nadi meiner Theorie dem
Hemmungsapparate zugehoren. Also audi im Gehirn ist
wie überall in der Natur d^r Wille gebunden an eine
muskuläre Tätigkeit, weldie in letzter Linie eine Kette
von kleinsten Dynamitexplosionen innerhalb der mikro-
skopischen Muskelkästdien (nach Ottomar Rosenbach) be-
deutet: Wir sehen also hier, daß der V(fille des Mensdien
eine Art Zündkraft hat, was äußerst widitig ist für meine
Theorie von der Infektiosität der Ideen, namentlidi audi
der sdilediten Ideen, und von der Obertragbarkeit meines
Willens auf den einer anderen Person in der Hypnose.*)
Genug, die Macht der Gedanken ist also nur ausnahms-
weise ein flatterndes Spiel der Phantasie, nämlidi nur im
Falle völliger Entspannung des Benda*schen Muskel im
Zustand der Ruhe, des Hindämmems, des Halbschlafes
und der halbbewußten Träumerei, was man so eigentlidi
„phantasieren^^ nennt, für gewohnlidi gehordit sie einem
Aktionsapparat, der von der Ichzone des Ganglien-
apparates, über die ich deinnädist zu berichten haben
werde**), kommandiert und eingestellt wird. Dieses will-
kürliche Spiel von phantasievoller Betrachtung des Gegen-
ständlidien und der Vorgänge im Lebensumkreise hat nun
den Mensdien auf die Stufe einer Beherrsdiung der
Naturbedingungen gebradit, weldie. zum Aufrechtgehen,
zur Sprache, zum Handwerk, zur Bekleidung, zur An-
*) In der H3rpno9e ist die b'ewufite Orientierung in Raum und Zeit ab-
gfedampft, lo dafi die Icfazone des betreffenden Hypnotisierten freiliegt,
blofiiiegt für die Wiliensinfektion eines Andern.
**) Siehe Lessing-Hodiscfaule ab 19. Januar 1920. ^Das Idi und die
Unsterblichkeit. "
32
siedelunsr, zur Ethik, zum Anpflanzen der Emährungs-
saaten, zur Züditung der Tiere, zur Beherrschung der
gesamten Sdiopferkraft der Natur und zur Indienststellung
der „rohen^ Kräfte des Alls, d. h. zur Gesamtkultur ge-
führt hat. Das Alles im Namen der Phantasie, dieser nur
dem Mensdien gegebenen Rudcspiegelung der Welt und
der Moglidikeit, sie in sidi neu aufzubauen und dem
gottlidien Schopfungsplane nahe zu kommen. Das Tier
kann keine der Phantasietätigkeit völlig ähnliche Funktion
besitzen, denn es ist ohne Handwerk, es hat keine von
ihm selbst aktiv gewediselte, dem Klima anpaßbare Selbst-
versorgung mit Kleidungsstüdeen; es kennt weder Moral
noch Ethik, weder Kunst noch Wissensdiaft, kann sich
sidi selbst nidit vorstellen und hat kein Bedürfnis nadi
Kausalität und Kultur. Mit einem Worte, es variiert sich
nicht selbsttätig. Ein Elefant vor Hunderttausenden von
Jahren sah genau so aus und lebte genau unter gleichen
Bedingungen wie heute, eine Maus vor zehntausend
Jahren trieb dasselbe, was unsere heutigen Mäuse tun,
während zwisdien einem Höhlenmenschen und einem
Chauffeur im Dreß dodi einige deutlidie Untersdiiede
bestehen! Hätte der Elefant unsere Phantasie, er hätte
sie audi angewandt, um seine enorm überlegene Kraft
gegen den Menschen aktiv zu Massenzerstörungen und zu
unserer Vernichtung zur Wirkung zu bringen; so ist es
umgekehrt gekommen: wir haben ihn und seine Riesen-
sippe beinahe ausgerottet. Hätten die Gorilla das Hand-
werk erfunden, Hämmer, Sdiießbüchsen und Schwerter,
sie wären unser längst Herr geworden. Kein Tier konnte
eben seine Arme, seine Sinne verlängern, wie wir, zur
Fernwirkung und zum mikroskopisdien Sehen und Denken,
weil ihm die kausale Phantasie fehlte. Ebenso sind wir
durch die Phantasie zum aufrechten Gang gekommen, weil
wir es den Tieren und den stürzenden Baumstämmen ab-
gesehen haben, daß ihre Gewalt doppelt so groß ist, wenn
33
sie uns von oben überstürzen. So haben wir durdi
phantasievoUe Nachahmung von Geräusdien allmählidi die
Spradie erlernt. Beides, aufrediter Gang und Spradie
durdi die Phantasie, weil es dem Nachgrübeln als zwedc-
mafiig erschien. Das Tier kann sidi nidit selbst variieren,
darum hat es weder Spradie noch Handwerk, nodi Kostüm-
Wechsel, es ist allein dem Rhythmus des Milieus preis-
gegeben, während der Mensch durdi Phantasie diesen
Rhythmus zu seinen Gunsten in seinHerrsdierjodi zu spannen
gelernt hat. Wer will femer leugnen, daß es die Phantasie
war, die uns Wissensdiaft und Kunst, den Wiederaufbau
der Welt im Rausche der Dichtung und im Meer der Tone
gebracht hat? Wer leugnet es, daß alle Sittlichkeit in der
Phantasie begründet liegt, namlidi so zu handeln, wie ein
gedadites, verehrtes und geliebtes Ideal von gewesenen
oder nodi lebenden Mitmenschen, ein Gott handeln würde
in einem problematischen Falle?
Bei diesen Betraditungen über die Phantasie mochte
ich BLudk aufmerksam madien auf die Unterschiede, weldie
in der Richtung der Phantasiebetätigung meiner Meinung
nach zwischen Mann und Frau, so wie beider gegenüber
dem Kinde bestehen. Die Phantasie des Mannes ist
vomehmlidi bedacht auf seine Stellung zur Gemeinsam-
keit und Genossensdiaft, seine Betätigung im Staat und
vor der öffentlidikeit, sie umkreist gern den Begriff der
vorgespielten Heldenhaftigkeit und der besonderen Rolle
im Kampf mit den Elementen und den Naturgewalten.
Ist er an sich sdion ein Experimentierobjekt, ein Versuchs-
kanindien der Natur, weldier als Vorpostenkämpfer in
Eis und Pole, in den Grund der Erde, bis zur Grenze
der Atmosphäre in die Luft vorgesdiickt wird, um der
Mensdiheit neue Arenen der Tat zu erschließen, so ver-
stärkt seine Phantasie nodi der gewaltige Trieb nadi
Vorwärts in Kunst und Wissenschaft, er hat eine Richtung
zur Fortentwicklung durch heroischen Einsatz der Per-
34
sonlicfakeit und damit einen Hang zur Unsterblichkeit
seines Namens und einen Zug ins Metaphysisdie. Man
kann sagen, seine Eitelkeit gaukelt ihm durdi die Phan-
tasie irgend eine Fuhrerschaft vor, die bei großer Sehn-
sucht auch zur Hohe führen kann. Der Mann ist also
der Grubler über den Zusammenhang der Dinge, der
Ergründer, der Finder und die Gemeinschaft der Männer-
pfaantasie hat ja der Erde beinahe eine elektrisdie Him-
organisation durdi Apparate und Bewegungstrager auf-
gezwungen durdi Sdiaffung von städtisdien Gehimzen-
tralen und eines telegraphisdien Netzes von Signalen,
weldie in jedem Stücke ein Riesenabbild der Nerven-
organisation unseres eigenen Gehimtastapparates ist
Im Gegensatz hierzu geht die Phantasie der Frau von
Natur auf Erhaltung ihrer hohen Begehrbarkeit, im letzten
Sinne auf die Moglidikeit der Mutterschaft aus. Dadurdi
gewinnt der Charakter der Frau ganz von selbst eine
tiefere, schollenstandige, bodenwurzelnde Beziehung zum
Oberlieferten, wie sie ja audi wohl als Erhaltung „frohen
Busens, reiner Sitte, frommen Wandelns^ die hodiste
Schätzung in allen Landen erreidit hat. Ihr Wesen ist
eigentlich konservativ und nidit evolutionistisdi-vorwärts-
drangend, was mehr ein Produkt der Kultur, als der Natur
sein dürfte«
Die Phantasie des Kindes ist voll spielerischer Naivität.
Ja, es hat eine Art heiterer Phantasiestimmung, falls es
nodi nidit erzogen (denkuniformiert) ist, die ihm etwas
Geniehaftes gibt. Es beseelt und belebt alles und denkt
es phantastisdi um: ein Stuhl ist eine elektrisdie Bahn,
den frei gehaltenen Eimer füllt ein nicht vorhandener
Quell aus der steinernen Wand, ein Kissen ist ein Bär
oder ein Affe, ein runder Holzkopf ein zärtlich geliebtes
Lebewesen. Die Riditung seiner Phantasie ist die eines
naiven Egoismus ohne Sdiuld, eine Paradiesesstimmung,
aus der es Federhalter, Fibel, Alphabet und Schiefertafel
35
vertreiben. In seinen Spielen steckt die testamentarisdi
verankerte Notwendigkeit früherer Mensdiheitsperioden;
nichts spielt ein Kind so gerne als Sand graben, Wasser-
rinnen ziehen, Kanäle bauen, Flüfidien und Pfützen durch-
waten und kriegerische Zusammenrottungen bilden, die
einst die Not der jungen Mensdiheit mit bitterem Ernste
eingeübt hat. Diese Beziehung tritt deutlidi bei fast
zitternder Lust des Kindes beim Anblidc oder Berührung
mit Ziegen, Kühen, Lämmern, I^erden zu Tage, die einst
die Genossen der Herdenvolker waren. Hier blüht
aus der Wonne der erstmaligen Begrüßung der Begleiter
unserer Altvordern beim Kinde eine händeklatschende
Erregung auf, die an die Wahrheit des alten Sokratisdien
Satzes gemahnt, wonach alles Lernen und Wissen ein
Wiedererkennen sein soll.
So ist es die freischaffende Phantasie, weldie das Reale
umkreist wie Arabesken und Variationen um das Herz eines
Akkordes zittern, weldie mit rankenden Rosen die Terz
des Todes aus gekreuztem Holze umkränzt, die Phantasie,
welche ihre flatternden Tauben um alle Türme, Kuppeln,
und Giebel des Gegenständlichen kreisen läßt und ihre
spürenden Sdiwärmsporen hineinsendet in alle geheimnis-
vollen Gewölbe und Krypten der Lebenswunder und
Mysterien der Welt! So steht ganz im Gegensatz zu dieser
Rosenkonigin des Mensdiengeistes die Logik fest wie ein
eiserner Tyrann da, wie ein Scharf riditer, der die vaga-
bundierenden Spielleute des Traumlebens ausrottet, ein
schneidender Wind, weldier die Himmelswolkenspiele von
Zaubergebilden der gestaltenden Einbildungskraft wegbläst
wie einen Rauch vom Herdfeuer! Und doch sind sie
Geschwisterkinder des rdflektiven Denkens. Das muß
bildhaft belegt werden. Zeichnen wir uns wieder unser
Schema der beiden Hirnhälften, so können wir es ver-
stehen, daß z. B. 2x2 als Empfihdungsangelegenheit des
zweimal gezählten Fingerpaares oder des zweimal
36
empfundenen Pulsscfalag^paares als widersprudislos im
Realregfister gemeldet wird; es ist damit die Multiplikation
wie eine links als real empfundene Manipulation vorhanden.
Wird nun dieser Prozefi der reinen Empfindung als eine
links schwingende Gangliengruppe, redits als eine neue
gegenstandliche Einheit paraphrasiert, umfranzt, um-
sponnen mit Moglidikeiten, und wollte nun jemand laut
und voller Ernst dazwischen ausrufen: 1,2x2 ist 5!^ so
gesdiieht Folgendes: ein gewisses Unbehagen, eine Art
höhnender Spottstimmung, eine Neigung zur Abwehr, ein
Gefühl ärgerlichen Unzufriedenseins bedrückt uns, d. h.
unser aller sympathisdies Nervensystem erhält eine Art
Zerrung, weldie sich bis zu einem physisdien Unbehagen
m der Magengegend, d. h. dem Zentralsitz des sympa-
thisdien Sonnengefledites, des Grundstodces alles nervösen
Lebens fortpflanzen kann. Es erregt aber audi im rechten
Gehirn geradezu einen Stromstrudel, weldien wir durdi
verschieden gerichtete Pfeile andeuten wollen. Das ist
der Strudel der Fragezeichen!
37
Es ist ein allgemeines physiologisches Gesetz , daß
überall, wo etwas Störendes im Betriebe geschieht, erstens
mehr Blut zugeführt wird und zweitens der bedrohte Teil
mit besonderem Kraftstrom aus dem Reservefond des
weißen Hirnlagers versorgt wird. So schießt auch viel
Blut in die Phantasiezone, welche etwas Ungereimtes zu
verarbeiten hat; Blut isoliert aber, und so wird die be-
gleitende energische elektrisdie Stromwelle eines Teils
durch Neurogliahemmung redits abgefangen, umstellt, ein-
geengt, und ist gezwungen, sich ins linke Hirn zurück zu
ergießen, dahin, wo hinzuströmen jede redite Energie-
gruppe strebt zum Sprachzentrum, zur Aussage, zum Pro-
testruf: „Nein! Nein! Niemals!^ Damit nidit genug, die
entfesselte Protestwelle kann sich nicht immer voll in
Worten entladen, Worte werden leidit und oft durdi
Gesten illustriert und so begleitet unser abwehrendes
„Neinl^ die Geste der Anerkennungsversagung: das ener-
gische Kopfsdiütteln und eine hohnende Mimik des Ge-
sichtes. Wenn aber nun ein anderer sagt: „Nein, Nein!
2X2 ist und bleibt 4**, so gibt es>in ganz anderes Strom-
spiel in den beiden Gehirnhälften. Links sind 2X2 als
real genommen und rechts entsteht kein Stromwirbel,
keine Verhedderung der Ideen, kein Ganglienknarren,
keine Verwirrung der aufgescheuchten Denkmoglicfakeiten,
sondern ein harmonisch geschlossener, volltonender Akkord
wird allseitig durdi den Blutstrom in der Neuroglia umzirkelt,
in klaren Krystallrahmen gefaßt und es werden keine
Nadibarganglien Einbrfidie in diese einzige Denkmoglicfa-
keit, keine widersprechende „Einfalle'' gestattet, Real-
und Idealregister sdiwingen in einer Einheit unter seeli-
schem Wohlbehagen eine Zeitlang hin und her, wie die
beiden Schenkel einer Stimmgabel, wobei der linke Sdienkel
wie der rechte harmonisdi vibrieren.
Hier stellt sidi also die Tatsadie heraus, daß die Logik
eine Art ästhetischen Wohlbehagens im Himmechanismus
38
erzeugt, das wir durch Nacfalafi aller Muskelspannung'
befaasflidi mit einem Kopfnicken, der Geste des Beusrens
/
und Verbeugens beantworten, während alles Unlogische
zugleich ein asthetisdies Unbehagen, das Gefühl einer
schnarrenden Disharmonie erzeugt Es kreischt hier etwas
auf, wie audi ein Sdienkel einer tönenden Stimmgabel auf-
knirsdit, wenn man ihn mit einem Blatt Papier berührt.
Dasselbe Aufknirschen der Gehimspulen gleich dem Hin-
eingeraten von mehreren Körnchen Sand in einen Prä-
zisionsapparat empfinden wir, wenn Dinge miteinander
verbunden werden sollen, welche gleichsam nidit unter
einen Hut, nicht unter Dadi und Fadi, „gedadit^ werden
können, unmöglidi vereinbar sind, wie z« B. bei der Addition
von 7 Stühlen und 2 Tisdien — ja — hol' es der Kuckuck,
zu was? Solange man die Einheit, die einsprudislos
aufleuditende Phantasiezellengruppe, in diesem Falle „Mö-
belstücke^ (also 7 Stühle und 2 Tisdie sind 9 Möbelstücke)
nicht gefunden hat, kann das ästhetische Wohlbehagen
eines schlußkräftigen Gedankenspiels nidit erfüllt werden.
Ähnlidi oder vielmehr genau so ist es in der Mathematik
und Algebra, z. B. können Brüche ^/s und ^/b nicbt
ohne Weiteres zu einer Leuchtkuppel der reditsseitigen
Gangliengruppe addiert werden, wenn nicht vorher durch
eine Redinungsmanipulation von
39
beide Nenner auf den Oberbesfriff von 72stel gebracht
sind, dann sind
,, , ,, 27 + 56 83
I' + /• = -^2— = 72
und damit ist die ästhetische Schwingun^swelle von redits
nach links im Gehirn moglidi {geworden. Sagt man z. B.
der Mensch ist ein Tier, so kann das für einen Augen-
blick das GeffihI einer logisch begründbaren Gleichsetzung
erscheinen. Jedenfalls regt ein soldi faalbwahrer Satz
zum Nachdenken an und seine Sdieinwahrheit wird bei-
behalten, bis die Phantasie durdi M^infälle^ in den Begriff
die Gleidiheit von Tier und Mensch durch Vergleiche in
Frage stellt. In die beabsiditigte Harmonie der Gleidi-
sdiwingung von rechts und links im Gehirn fallen plötz-
lich die Einwände gegen diese Form von Gewaltigung
der Logik ein, deren Erwachen durch ein AUgemeingefGhl
des Zweifeins d. i. das Hin- und Hersdiwanken der phan-
tasievollen Innenbeleuditung sidi ankündigt. Verdichten
sich diese tastenden, streifenden Wolken zu Regen, so
hagelt es nur so auf den aufgespannten Begriffsschirm
mit Einfällen, wie z. B.: Aber der Mensdi geht aufredit,
hat eine Sprache, besitzt Handwerkzeug, kleidet sidi, hat
Kultur, kennt Poesie usw., lauter Dinge, die das Tier
nicht hat; die Logik sagt also, physisch ist der Mensdi
hodistens tierähnlidi, er ist ein Tier mit Phantasie begabt,
„der Mensdi ist ein phantastisches Tier''. Dabei be-
ruhigen wir uns, denn es hat Allgemeingültigkeit und bei
unserer Kenntnis vom Wesen der Phantasiebegabung des
Menschen kann diesem Satze nichl widersprochen werden.
Er ist fast mathematisch richtig, wie a^a, beide Him-
stimmgabel- Schenkel schwingen im gleichen Sinne, ja,
ihre Aussagen sind sogar in gewissem Sinne vertauschbar,
denn wenn der Mensch ein phantastisches Tier ist, so
wäre auch ein Tier, mit Phantasie begabt, ein Mensch
oder sehr menschenähnlich. Das heißt, die Harmonie
40
zwischen dem Real- und Idealrej^ster unserer Himorgei
ist hergestellt.
So ergibt sich ohne Weiteres durch Analyse der Him-
funktion, was die Philosophie und Erkenntniskritik schon
längst also formuliert hat: daß dasjenige logisch ist, was
Allgemeingültigkeit- hat und in sich widerspruchslos ist.
Die Allgemeingültigkeit basiert auf der Gleichheit der
Zell- und Neuroglia- und Blutumlaufsfunktion und dem
allen Menschen gemeinsamen Mechanismus der Nerven-
elemente und die Widerspruchslosigkeit beruht auf der
Unmöglichkeit, durch die wildeste Phantasietätigkeit Ein-
wände, Einbrüche und »»Einfälle^ in ein allseitig ge-
schlossenes Lichtreservoir der rechten Gangliengruppen zu
ersinnen. Nur eins konnte die reine Erkenntnistheorie
nicht erklären oder aufdecken, warum nämlich das Behagen
bei einer logischen Gedankenkette ein künstlerisch ästhe-
tisches Vergnügen, eine Rhythmuserhohung der Persönlich-
keit bedeutet» und wodurch dies Wohlgefühl entsteht. Das
sei ein bescheidener Hinweis darauf, daß unsere Methode
der Deutung geistiger Gedankenbewe'gungen durch phy-
siologischen Mechanismus vollauf berechtigt ist.
Wird übrigens die Unlogik überrasdiend und knickartig
eingeführt in Behauptungen der Art, wie sie z. B. tatsäcfalidi
ein Schüler, der aufgefordert wurde, einen Satz zu bilden,
sidi leistete: „der Konig ist ein Tisdi^, so entsteht audi ein
Assoziationsknidc, es knackt etwas im Denkapparat, und
die gänzlidie Unmöglichkeit, einen Begriffsregensdiirm
zum Unterkriedien von Tisdi und Konig unter ein Dadi
und Fadi zu ersinnen, führt zur Verwirrung der Ganglien-
busdiel, zur Gehimübemimpelung, die nur das Ladien
auszugleiten vermag.*) Die strenge Logik dagegen ist gänz-
lidi humorlos und protestlos, weil es bei ihrer Handhabung
durdi Meistergehim zu soldier Art Knickung und Ganglien-
*) Siehe: „Von der Seele*. Humor.
41
verrenkunsf gar nicht kommen kann« Das ist das Unge-
mütliche an jedem, der nidits ist als reiner Denker. Wehe
dem Geiste» der nichts ist als ein Präzisionsinstrument
der beiden Vorderhime» dem die Intention der Weltall«^
Steuerung durdi das Sonnengefledit» das Hineingreifen
der unbewußt sicheren Ffihrersdiaft dessen, was man GemOt
nennt, fehlt. Wehe der Kultur, die reines Vorderhim-
Produkt ist! Ohne die Sympathicusanteilnahme am Denk-
prozeß und seine Steuerung durch die empfundenen Richt-
linien des Gesamtwillens der Welt ist alles Denken eitel
und vergebens. Das mit dem Herzen denken darf nie
ein Mensch, nie ein Volk verlernen: immer droht der
Zusammenbruch. Alle Kulturen versinken durch Ober-
sdiätzung des Verstandes zu Ungunsten des Gemütes;
auch diesen Kernsatz menschlidier Gedankentatigkeit
können wir aus dem Mechanismus der Ganglienfunktionen
einfadi ablesen und kräftig unterstützen. Leider muß idi
es mir an dieser Stelle versagen, den Medianismus des
Gefühls zu erlautem, dessen, was wir Herz und Gemfit
nennen, der einzig und allein an Urvorstellungen und
dem unterbewußten Wissen des Sympathicus unter dem
Zwerdifell (Plexus solaris), wo also einst mit einer divi-
natorisdien Ahnung des Zusammenhanges die Griedien
die „Seele" vermuteten, gebunden ist im Verein mit der
Phantasietätigkeit der rechten Himhälfte. Alles, was
Gemüts- und Gefühlserregung ist, ist sympathisches
Empfinden, und kommt auf Mitleidsstimmungen mit sidi
und mit anderen auf „Einfühlung" hinaus und hat die
allernächste Beziehung zur inneren Unruhe, zum direkten
Schmerz und der Bedrohung des Bestandes, und zwar
durdi vergleidiweises an die Stellesetzen des eigenen
Gesdiickes (des Ichs) an die Leidempfindung des anderen,
einer Kreatur überhaupt, eines gefallenen Vogeleins, ja einer
in der Hand geknickten Blume, eines blitzgetroffenen oder
sturmgebrodienen Baumes, ja, an das mit der Phantasie
42
vorsfestellte Weh des Unbelebten, der Erde, des Alls, des
Gottes! Das Mitschwins^en des sympathisdien Gefühls-
medianismus durdi die Phantasie ist das, was wir im
aUerdingfs falschen Sprachgfebraudi unserer Diditer und
audi des Alltag unsere Seele, Mensdienseele nennen, ffir
die man besser Herz und Gemüt sa^en wurde, weil
die Seele etwas Metaphysisches ist, gar nidit dem Korper
angehört, sondern der goldene Faden aus deih Glutenherz
der Welt, der Allseele ist, weldier sidi erst den Korper
erbaut hat und ihn oberhalb der Sphären seiner Inkarnation
lenkt, leitet und zusammenhält; sowohl Sympathicus, Gehirn,
Ruckenmark und alles Gewebe sind ihre Werke, und sie
betätigt sich in jeder Stunde an den feinsten Sdiwingungen
und dem Weben des gesamten Zellebens. Die Brücke
aber zu ihr ist für keines Mensdiengeistes nodi so zarte
Sohlen betretbar, sie ist wenigstens wissenschaftlich nidit
aufspürbar, ihr kann man nur mit dem Glauben und der
Kunst nadilausdien mit geheimnisvollen Sdiauem, wie sie
die Gefilde und Wälder unseres Leibes und der Welt
durdirauscht und fiberstrahlt. Sie aber mit sdieuer Hand
umtasten und ihrem unerkennbaren Wesen nadispüren
mit einer Sehnsucht, die ewig ist, wie sie selbst, ihre Er*
zeugerin, das kann der Geist und die phantasievolle
Ahnung tun, die beides ihr Werk, ihr Apparat sind. Die
gemeinsame harmonische Betätigung dieses Apparates
wollen wir Verstand nennen, und den Einklang dieser
Verstandestätigkeit in die Ziele, Riditung und das Wesen
der metaphysischen Seele ist das, was wir Vernunft nennen,
das goldene Band, weldies alle Mensdiengedanken ver-
bindet mit dem Plan der Welt, mit ihrem nur ahnbaren
Sinn und dem rätselhaftem Wege, auf dem sidi Erde,
Planeten, Sonne und Glutennebel und -Spiralen, weldie
Milchstraßen bilden, fortbewegen, denn alles ist auf einem
Spiralwege zur unausdenkbaren Ewigkeit. Das aber, wo von
uns zwar unentzifferbare aber fühlbare Funkenmeldungen zur
43
Riditung und vom Rhythmus des Alls übermittelt werden»
ist die Marconiplatte des sympathisdien Nervengfeflechtes,
der vom gfrofien Ganglion unseres inneren Leibes aus-
strahlend jedes Orgfan umspinnt mit den feinsten Faser-
masdien eines beinahe allmäditigen Waltens und Schaffens,
der ebensowohl die Tätigkeiten der Drüsen und der für
den geistigen Lauf unseres bewufiten Himapparates so
widitigen Saftproduktionen (innere Sekretion) beherrsdit,
wie die Aktionen des eigentlidi geistigen Apparates selbst,
die Himf unkttonen und ihre Regelung durdi den Hemmungs-
apparat des Blutes und der Neuroglia. Hier im Sym-
pathicus und seinen vom Rhythmus des Alls und dem
des Milieu gesteuerten gegebenen Signalen haben wir
die tiefsten Gewölbe des Unbewußten oder des Unter-
bewußten zu sudien. Sie durdirinnen alle geistigen
Tätigkeiten normaler Weise. Ihr Widerspruch gegen die
aussdiließlidie Betätigung einer dem Egoismus zuneigenden
Funktion des Vorderhims, gegen die Alleinherrsdiaft der
sogenannten Mentalität, d. h. der Betraditungsweise der
Welt und der Umgebung nur aus den kalten Scheinwerfern
des Gedankens, bäumt sidi auf unter Qualempfindungen
und Peinigungen, die man eben die Stimme des Gewissens
nennt. Vor diesem ungeheuren Wunder, das die Stemen-
welt unser 1500 Millionen leuditender Ganglienzellen zu-
sammenhält und riditet mit den Zwergenfingerdien einer
metaphysisdi eingestellten Regulation durdi den Sympa-
thicus, dessen Widersprudi gegen die Oberwudierungen
der Selbstsudit eben das Gewissen ausmadit, zog der
größte Philosoph der Welt, Emanuel Kant, seinen Hut,
ebenso wie vor der Welt der Sterne da über uns.
Eine Frage, weldie nun vielfadi unsidiere Begriffs-
sdiwankungen angeriditet hat und nodi anriditet, ist die,
weldie sidi klar zu werden sudit, was eigentlidi in unserem
Denken subjektiv und was objektiv ist. Man kann ja
soweit gehen wie Sdiopenhauer, diese ganze Welt und
44
ihre Ersdieinungen als eine subjektive Halluzination von
uns zu erklären. Man erinnere sidi an das bekannte
Gespräch Schopenhauers mit Goethe. Beide wandeln das
Tal entlang; in prachtvollem Purpurleuditen überstrahlt der
Sonnenuntergfang nodi einmal die Erde und beide Geistes-
konige staunen die Schönheit des Anblickes an. Da sagt
Sdiopenhauer: ^^Und nun zu denken, Exzellenz, daß das
Alles, die Glut, die Wolken, die beleuditete Erde, die
Sonne im koniglidien Purpurmantel gar nidit wären, wenn
wir nidit wären, die wir sie uns vorstellen!" Worauf
Goethe sdiulterklopfend ausrief: „Umgekehrt! mein
Lieber! Sie wären nidit, wenn sie, die Sonne, nidit wäre!"
In der Tat, dies Gesprädi enthält die berührte Kern-
frage: „Was ist subjektiv, was ist objektiv?*' in klassischer
Form. Um Sdiopenhauer zu widerlegen, nach weldiem alles
nur Vorstellung, die Welt eine Art halluzinatorisdien
Traumes von uns ist, mufi man dodi die einfache Frage
aufwerfen, gebraudit man denn zum Halluzinieren nidit
einen Apparat, unseren Geist, der dodi dann wieder eine
Art Camera obscura, eine photographisdie Dunkelkammer
wäre, die umgekehrt, me beim natürlidien Photographieren,
aus ihrer Innenplatte hinaus, durdi Linse und Liditrohr
sdieinwerferartig die Welt hinausprojizierte in die Welt?
Aber die halluzinierende Platte, ein Illusionen produzierender
Apparat müfite dodi sidier audi Mnrklich d.h. objektiv dasein,
um Vorstellungen vom Sandkorn bis zum lieben Gott zu
ermöglichen. Auch kann ich mir „vorstellen" mit meinem
Denkapparat und dem ihm innewohnenden Kausalitäts-
bedürfnis, das ein gewaltiger Gott uns und das All träumt,
daß die Welt eine Halluzination eines Urgewaltigen sei,
aber ich kann nidit annehmen, daß ein Sandkorn des
Alls, der winzige Mensch imstande sein sollte, sich einen
Gott und eine unendliche Welt auszudenken; das ist bei-
nahe größenwahnsinnige Oberhebung, abgesehen davon,
daß dodi auch dazu ein Apparat, das Gehirn, gehorte.
45
Nein, der Apparat des Mensdien ist vorhanden. Ich bin,
weil ich midi fühlen und denken kann, aber mein ganzer
Leib und mein Geist ist nur ein winziges Prisma, in
weldiem Welt und Himmel, Sterne und Sonne ihr ewigfes
Licht bredien zum bunten Farbenbande wie die Strahlen
in einem Tautropfen; wie wunderbar aber muß dieses
Prisma, dieser Tautropfen geistig eingestellt und gebaut
sein, wenn sie das ganze All wiederzustrahlen vermögen 1
Was ist nun aber an dieser Spiegelung wirklich, was
produziert in der Tat- dieser Apparat selbsttätig, was ist
objektiv und was subjektiv? Wir wissen sdhon aus unse-
%/vi/C
A.<J^*«/
rem Schema von der gedoppelten Gehimhälftenfunktion,
daß links die ganze adjektivisdie Welt durch die Sinnes-
taster empfunden wird, es ist also unmittelbar einleuchtend,
daß alles, was zum linken Himgebiet Meldungen entsendet,
real ist, selbst dann, wenn diese Realität nichts sein sollte,
als ein Effekt einer ätherischen Bewegung. Wenn die
ganze Welt sidi auflosen ließe in Bewegungsprobleme von
Lichtfeldern, dann wäre immer nodi der Vorgang der
Reibung der Erscheinungen an den Lichtfeldergruppierungen
meiner Sinnestaster ein durchaus realer; der Geist de&
Gegenständlidien, sein gedanklicher Gehalt wird dann abge-
lesen von den ebenfalls geistigen Rotationssystemen meiner
Ganglien. Geist schnuppert, tastet, deutelt am Geist: das
ergibt Wahrnehmungen, inneres Zusammenprallen, An-
46
rempelungen^ Durdirieselungen von Liditwellen, die wir
eben für „wahr*^ d. h. nachwa^fbar, wirklidi, real nehmen.
Alles, was also in der linken Himhälfte als ^egenstandlidi
empfindbar ist, ist auch objektiv, d. h. ihm entspridit ein
wirklidier Vorgang. Zu unserm eigensten Eigentum wird
dieser Vorgang erst durdi die Umsdileierung, Betastung,
Umsdiillerung durdi das reditsseitige Phantasieregister,
weil dieses meine gesamten Erlebnisse durch Erinnerung
und Gedächtnis aufspeidiert und das soeben gegenstand-
lidi Gewordene einreiht in die Kategorien meiner Er-
fahrung und vor den Hodistkommandierenden, den Ma-
jestäten der Logik und der Phantasie einen Parademarsch
voUffihren laßt. Dadurdi erhält nun selbst der betastete
Glasstab und alles Beobachtete sofort einen subjektiven
Einsdilag und Arthur Trebitsch hat wohl Redit, wenn
er in geistvoller Weise die Ansidit verfidit, dafi Sehen
schon Denken ist, daß der ganze Apparat vom Fixieren
des Bildes bis zum Urteil sofort in Sdiwingung ist, so
wie etwas eben fixiert wird, resp. sobald unsere Ganglien-
apparate von einem Gegenstand fixiert werden, was
richtiger sein durfte. In keiner Beweisführung kann diese
Tatsadie so klar begriffen werden, wie in der unsrigen
von der versdiiedenen Funktion beider Hirnhälften, die
aber stets wie siamesische Zwillinge miteinander ver-
wachsen, audi zu gleicher Zeit in Aktion treten. Nun
aber geschieht in der rechten Hälfte des Gehirns,
also im Phantasiegebiet, etwas Merkwürdiges.
Nadi einem subjektiv eingefangenen Eindruck eines Glas-
stabes z. B. kann, wenn die Zone des Ichs im Gesamt*
gehim unsere aufgespeicherte R^servekraft voll und nadi-
haltig auf diese Glasstabgruppe leitet, weldie durdi Logik,
Erfahrung und Routine den Glasstab als soldien klassi-
fiziert und eingereiht hat in den großen Aktensdirank der
personUdien Erlebnisse, so kann, meine idi, von hier aus
dieser Phantasiebezirk sich gleichsam wie eine heuge-
47
borene geistige Einheit, wie etwas zusammengeballtes
SelbstandigeSi wie eine Art erzeugter Systase oder geistiger
Zellkomplexy wie Rhythmuskontakt und -Infektion im Phan-
tasiegebiet ausdehnen. Unendlidie Möglichkeiten, Wahr-
scheinlidikeiten, Variationen, Gesetzmäßigkeiten, Hypo-
thesen können erwogen werden, aber sie sind alle völlig
subjektiv, alleiniges Eigentum des Gedankenspinners für
sidi. Wenn aber Newton sidi seinen Phantasien über den
fallenden Apfel überließ, und diese führten sdiließlidi
weiter und weiter in vermutete Geheimnisse, die dem All
und seinen Gesetzen angehören, so gesdiah und kann es
immer wieder gesdiehen, das gewaltige Wunder einer
Gedankenmadit, mittels deren die völlig subjektive
Mensdienphantasie Dinge produziert, weldie AUgemein-
gultigkeit haben, und widerspruchslos sind, logisdi also
unwiderlegbar. Dann gebiert die vom Objektiven befrudi-
tete Phantasie, so subjektiv sie audi gearbeitet hat,
dennodi etwas, was auch objektiv riditig ist, d. h. die
Phantasie und die Logik entsdileiem die Welt; sie finden
ihre realen Gesetze, sie denken die Gottesgedanken der
Natur nadh, sie sdiaffen und bauen die Welt geistig nodi
einmal, sie betreten die Werkstätten und Arsenale der
Sdiopferkraft und verkünden den Brüdern, was sie im
Reich des Metaphysisdien mit untrüglidiem Geistesauge er-
blicken. Denn alles Geistige, ob falsdi, ob riditig, infiziert,
wie die Bazillen, es übersteigert den Rhythmus des Gedankens
kontaktartig; daher haben Gedanken ihre ungeheure Madit
über die Massen gewonnen. Ideen sind infektiös und von
der Phantasie des Einzelnen gewonnene unwiderleglidie
Betraditungsspannungen, Konzentrationen des Geistes zu
explosionsartigem, dynamitähnlichem Gefüge können zu
der geballten Flocke werden, die durdi Vogeltritt im
Sdinee entstanden, sdiließlidi zur Lawine wird. Denn der
ursprünglidi subjektive, über„zeugende'S also infizierende,
befruditende Gedanke von den Grundgesetzen der Natur
48
kann Völker in Bewegung und den Erdball in Brand und
Vemiditung versetzen, wie wir, die Oberlebenden dieser
Weltkatastrophe, das schaudernd mit angesehen haben
und noch mit erleben.
Die Macht der Gedanken aufiert sich also nidit allein
in der Auffindung von Gesetzen der Natur, wie z. B. des
Gedankens, daß alle Menschen vor Gott gleidi seien;
sondern sie ist deshalb ebenso segensreidi wie gefährlidi,
weil sie infektiös ist. Dann wehe! wenn von unreifen
Gehirnen der Menge soldie Gedanken wie die der Gleich-
heit der Menschen vor Gott, unlogisdi verzerrt, eine
problematiscJie Ableitung erfahren, wie etwa: „Also sind
auch die Menschen unter sidi gleidi**! so entsteht der
umstürzende Irrtum, welcher nodi viel ansteckender, seudien-
artiger wütet, als die produktive, frucJitbare, erkenntnis-
schaffende, positive Idee. Irrtum und Lüge sind ja die
beiden Wechselbalge der Phantasie, die bei einem ge-
wissen Eigensinn, dem Beharren auf falsdien Ideenketten
eine oft unausrottbare, verzweiflunggebärende Madit ent-
falten. So können IrrtOmer und Sdieinformeln die un-
heimliche Macht ansteckender fixer Ideen erreichen und
wahnsinnsartig zur Vemiditung führen, weil eine der Zone
der Phantasie eingekeilte Phantasterei die Tyrannei
eines Kronprätendenten der Vernunft gevrinnen kann.
Es gibt also auch im Gehirn falsdie Smerdisse und
Demetriusse, weldie sich auf die Thronsessel schwingen.
Sparen wir uns dies grause Bild für die Analyse
der Hysterie auf, bei der die falsch gericjitete, lügen-
ähnlidie Phantasie die ungeheuerlichsten Bocksprünge und
Epilepsien der Vernunft fabriziert, bleiben wir für jetzt
nodi bei den viel erquiddicheren Leistungen, welche die
Macht der Gedanken der Mensdiheit sdion beschert hat.
Es kommt uns ja hier nidit auf eine Aufzählung aller
Gebiete an, auf denen die Gedankenmacht sich sdion be-
tätigt hat und nocJi betätigen wird, sondern wir wollen
4 49
ja our die physiologisdien Wege am Gehirnapparat
studieren» den Medianismus erkennen, an weldien auch
der Durdisdinittsmensdi wie das Genie gfebunden ist
Ich kann hier natürlich nur darauf hinweisen, was alles
die Betraditung eines objektiven Vorganges, also der
reale Anstoß im Bereidi einer koniglidien Sdiopferkraft
der Phantasie der Menschheit schon gesdienkt hat. Wie
Pythagoras die Musik der Sphären ersann, wie schon die
agyptisdien Astronomen die Sonnen- und Mondfinstemisse
bis auf Hunderttausende von Jahren riditig voraus be-
rechnet haben; wie Copemikus, Keppler und Newton die
Erde eingereiht haben als ein winziges dunkeles Rad am
großen Ewigkeitsumlauf der Gestirne; wie der Bau und
die Bestandteile von Sonnen und Monden bis in ihre
metallisdien und gasigen Urelemente durdi Auffindung
der Spektralanalyse von Kirdihof und Bunsen erkennbar
geworden sind. Und jetzt erleben wir es, daß Einstein
die letzten Unstimmigkeiten der Newton'schen Umlaufs-
lehre der Sterne redinerisdi beseitigt hat und Prophe-
zeihungen von sidieren Zukunftsgeschehnissen am Himmel
verkündet. Wir müssen das alles hier nur andeutungs-
weise berühren, müssen audi die Wunderwerke der Kunst
und des Glaubens hier aussdialten, wir wollen nur die
Wunder des Lebens an sidi von rein physiologischen
Gesichtspunkten aus betrachten. Da mocjite idi auf ein
Problem näher eingehen, welcjies uns alle lebhaft inter-
essiert, nämlich auf das Grundgeheimnis der Form alles
Belebten. In diesem Geheimnis scjilummert ja die Frager
wie ist der Mensch, das Tier, die Pflanze überhaupt ge-
worden, sei es durcji den Sc^opfungsruf, den Gottesodem^
durc^ allmählicjien Aufbau, durc^ natürliche Zuchtwahl
oder sonstwie? Und zwar deshalb will ic^ — freilich
kurz — dies Gebiet streifen, weil in ihm die glänzendsten
Beispiele für den Obergang der subjektiven Idee zur
objektiven Wahrheit aufzufinden sind.
50
Es ist eine merkwürdige Tatsadie, dafi alle Lebewesen»
audi der Mensch, so gebaut sind, daß, wenn man ihre
Gestalt durch eine gedachte Mittellinie trennt/ in der
Mittelachse dann zwei sidi spiegelnde Hälften entstehen,
zwei Hälften, die wie im Spiegelbilde genau in optisdier
Umkehning sidi gleidien. Ob wir eine Pflanze nehmen,
einen Bacillus oder einen Regenwurm, einen Hasen oder
einen Menschen, wenn vAr diese Prozedur vollziehen, so
können wir die Doppelseitigkeit, die Bilateralität des Leibes
ohne weiteres durchgehend im ganzen Reidie der Na-
tur erkennen. Es gibt also nur „bilateral^ geformte
Lebewesen*).
Es ist ein erhabenes Beispiel für das intensiv phantasie-
volle Denken eines Goethe, der ein ebenso großer
Naturerkenner wie Diditer war, daß er Sdiiller gegenüber
energisch betonte, es gäbe eine Urpflanze, eben jene bei
a gezeidinete, und er würde sich nicht wundem,, wenn er
ihr eines Tages im Walde begegnen würde. Worauf
Sdiiller sehr heftig erwiderte, das sei keine Wahrheit,
*) Audi das sosfenaimte Uligeformte hat eine ^fonnte Scfawiiiguii|^
adise. Im so^fea. Unbelebten, x. B. im Kristall, sind drei form-
bildende Achsen vorhanden.
51
audi keine Entdeckung» sondern das sei nichts als eine
Idee, was Goethe sehr lebhaft verstimmte. Ein Ulassisdi
grandioser Streit zwisdien zwei Geistesheroen über unser
Thema: was ist objektiv? was ist subjektiv? Goethe
hielt seine Idee vom Urphänomen» von der Grundgestalt
aller Pflanzen für objektiv richtig und Sdiiller für einen
geistreichen Einfall» ein Aperfu ohne jede Realität! Wer
hatte Redit? Wir können auf Grund unserer Gehirn-
medianik» im Wissen von den versdiiedenen Funktionen
beider Gehirnhälften» es bestimmt sagen» warum alle beide
durchaus redit hatten. Goethe sah nidit» dafi Schiller
absolut im Redite war» dafi er die reale Existenz einer
solchen Urpflanze leugnete» sie ist audi bis auf den heu-
tigen Tag nidit gefunden» sie ist nidit körperlich wahr
vorhanden» aber Schiller konnte auch nidit wissen» daß
Goethe im Redit war» wenn er meinte» dafi seine Ur-
pflanze wirklich existiere und zwar als aufdeckbarer Plan
der Sdi5pfung oder eine wundersame Idee Gottes»
Millionen Variationen Ober dies Thema von dem Drei-
klang von Wurzel» Stiel und Blüte eine symphonisdie
Phantasie zu sdiaffen. Auch den Dreiklang gibt es
nirgends in der Natur» die menschlidie Phantasie hat ihn
erst erfunden» wie die ganze Harmonielehre; so fand auch
Goethe einen Plan» eine Idee der Natur» welche ihm die
Spuren an die Hand gab zu einer Weiicstatt» wo Gott
selbst beim Basteln safi. Er fand also durch völlig intui-
tive Phantasie eine Wahrheit» die weit über die Wahr-
heit der Erscheinungen hinausgeht» er fand das geistige
Skelett der ganzen Pflanzenwelt! Erst die heutige Botanik
weifi diese Grofitat der Gedankenmadit eines Goethe
voll zu sdiätzen. Hier hat sidi aus Tausenden einzelner
objektiver Beobaditungen im Auge und Gehirn Goethes
eine fruditbare Systase» eine Verschmelzung» ein Ideen-
amalgam von funktionierenden Zellen zu einer Einheit
zusammengeballt» welche sdiliefilidi mit spielender Gewalt
52
alle Ersdieinungfen der Pflanzenformen zusammenpreßte
und unter einem real möglichen einheitlichen Gesichts-
winkel von rechts nadi links projizierte. Goethes Auge
sah die Idealpflanze durdi Rfidcwärtsrichtung seiner Nerven-
schwingungen (Phantasie), wie wir einen Sdhimmel bei
gesdilossenen Augen sehen können — ein Idealfall, wie
Subjektives zur objektiven Wahrheit werden kann. Etwas
ganz ähnliches, aber wohl von Goethe infiziert, konnte
Hadcel für die Tierwelt vollziehen mit seiner Gastraea-
theorie.
Er konstruierte den belebten Tierleib aus einer Magen-
einstulpung im Protoplasma und entwickelte so die ge-
dadite Urform der Tierwesen durdi einen Protoplasma-
klumpen mit einer eingestülpten Magendelle. Wiederum
eine objektive Wahrheit durch phantasievolle Systase
eines Subjektes herbeigezaubert.
Sowohl von Goethe, wie von Haedcel reidilicfa infiziert,
bin idi nun nodi einen Schritt weiter gegangen und habe
die Urformen aller Lebewesen in der Kreisform gesucht,
wodurdi beide Theorien, die Goethes und Haeckels zu
einer dritten, nodi einheitlidieren verschmolzen werden
können und zugleidi das Rätsel des Bilateralismus gelost
ist Denn wenn man eine Kugel teilt, so müssen natfir-
lidi sidi beide Hälften spiegeln.
53
I
f
Nun lafit sidi die Kugfei leidit zu einem Oval verziehen,
und die Kuppel zur Delle umstülpen, womit wir auf
Hädcels Gastraeawesen, wie von selbst stoßen.
Oval Oval mit Delle
Aber audi der Bazillus ist 'so entwidcelbar, audi der
Spirillus, die barodce Verzeidinung des Stabes und durdi
weitere Ausstfilpunj^en gelangten wir unsdiwer zu Goethes
n
u
Ä,;
64
Urpflanze^ a) u« b) und von da zu allen Tierformen vom
Regenwurm führend zum Menschen:
Dabei will idi bemerken, daß die modernen Maler den
Mensdien ja ähnlidi formen» nodi einen Schritt weiter
ins Gebiet des Unbelebten» Kristallisdien gehen und den
Wfirfel als die Urgestalt alles Belebten und Unbelebten
herbeiholen (im Kubismus) und den Menschen also
zeichnen:
Das enthält, so komisdi es aussieht, eine freilich un-
bewußte fernliegende Ahnung: nämlldi alles Kristallisdie
ist nadi meiner Theorie tatsächlich aus Würfeln konstruier-
bar auf diese Weise; und der Obergang des geradlinigen
Kristallkorpers in dem Diamanten zu gebogenen runden
55
Linien ist der in Formen zum Ausdruck kommende Sdiritt
des Unbelebten in das Leben; denn der Diamant ist
Kristallkohle, Kohle ist aber das Skelett aller Eiweiß-
Substanzen, den Grundorgfanisatoren des Lebens I
So weit führt die sdiopferisdie Phantasie und also auch
das Grundgeheimnis der Doppelseitigfkeit aller Lebewesen
inklusive des Mensdien, seine Doppelseitigkeit von Gehirn,
Auge, Herz und aller Organe, ja die Doppelseitigkeit
seiner Personlidikeit für sein Idi und seinen Anderen in
ihm: Faust-Mephisto, Don Quidiote und Sandio Pansa,
Achill und Tersites in einer Brust — leuchtet hier erkennt-
nisgemäS auf. Denn es ist klar, wenn eine Kugel in zwei
gleidie Teile zu teilen ist, so müssen audi alle Ab-
kömmlinge der Kugel durch einen gedaditen Sdinitt
„bilateral^ teilbar sein.*)
Im Verlaufe dieses Vortrages ist oftmals der Gedanke
ausgesprodien, daß die Seele als eine metaphysisdie,
wissensdiaftlidi nidit analysierbare Kraft, als die Urkraft,
die nur zu umsdireiben ist und nur an ihren Wider-
ständen resp. Schöpfungen erkannt werden kann, die
*) Für Skeptiker sei erwähnt, dafi die linksseitige Lage des Herzens
und die reditsseitige Lage der Leber kein Gegenbeweis für diese Theorie
bedeutet, weil das Herz nur versdioben ist aus Gründen, die idi anders-
wo erörtert habe. An sich ist auch das Herz bilateral zersdineidbar mit
gleidien Hälften. Die Leber ist aber zur Milz bilateral und ebenso
in sidi bilateral teilbar zu zwei beim Lachen zum Beispiel klappenartig
die Gallenblase entleerenden Prefiflügeln. Daher steigt die Galle auf-
wärts und darum ist Lachen die hygienisdiste Zwergfellmassage.
56
Sdiöpferin alles dessen sei, was wir Stoff, Gebildei Körper,
Geist usw. nennen. Daß die Seele nidit umg^ekehrt ein
Produkt, eine Art Sekretion des GehirnSi wie etwa die
Galle, sein kann, ist durdiaus beweisbar. Denn erstens
ist das Gehirn oder die Nervensubstanz, weldie dieses
kostbare Destillat liefern sollten, keine Druse, sie sondert
nidits ab, und zweitens kann man von einer Produktion
irj^end eines Seelenstoffes an keiner Stelle des Körpers
etwas entdecken, soldier müßte aber vorhanden sein, wenn
etwas Leiblidies wieder ein Produkt hervordestillierte.
Also könnte nur die Nerven- und Gehirnsubstanz als soldie
insgfesamt dasjenigfe sdiemenhaft produzieren, was wir
falsdilidi unsere Seele nennen. Dageg'en aber spridit,
daß die Verletzunjf des gfesamten Rückenmarkskabels,
also die Summe aller Nervenleitunj^en, dem seelisdien
Bestand des Körpers nichts anhaben kann und daß erheb-
lidie Teile des Gehirns zerstört, zerfallen, ausgestoßen
werden können, wie die scfareddidien Verletzungen dieses
furchtbaren Krieges zur Genüge erwiesen haben, ohne
daß unsere Seele die geringste Einbuße erleidet. Eßlöffel-
weise haben meine Verbandsdiwestern im Lazarett Gehim-
substanz ausfließen und im Verband abgestoßen liegend
gesehen, ohne daß die betreffenden Verletzten nur den
geringsten Defekt ihres seelidien Bestandes aufwiesen. Ja
nodi mehr: ehe wir überhaupt nodi ein „Idi^, ein Bewußt-
sein haben, waltet in uns dodi sdion bildendes, gestalten-
des, weises und unendlich mehr als der Menscfaengeist
leistendes formendes, harmonisches Prinzip, das überall
im Körper weiß, was not tut und es mit einer Sidierheit
zweckmäßig einriditet, wie es keine menschliche Uhrmacfaer-
oder Künstlerhand leisten könnte. Ich will da nur die
Tatsadie feststellen, daß bei einem bewußtlosen Neu-
geborenen, ebenso wie bei sonst bewußtlosen Mensdien,
audi den Greisen, die ihr „Icfa^ schon wieder verloren
haben, die Verletzung eines der feinsten optisdien Apparate
57
derErde, die Hornhaut, ferner die Glaslinse hinter der Pupille
durdi eine mystisdie Zauberhand so beantwortet wird, daft
bei der Heilunjf die neugebildeten Zellen (von wem neu-
gebildet, wenn nidit von einer plastisdien Idee?) sidi
sdiließlidi so gruppieren, als ob sie die gesamten Ge-
setze der höheren mathematisdien Optik in ihre Zwergen-
fingerdien eingesogen hätten; sie lagern sidi alle so lidit-
zweckgemäß (was heißt Zweck anders als Ahnung vom
Ziel, weldies also die Zellen kennen müssen?), daß jeder
Sonnenstrahl und die gesamte Form- und Farbenwelt auf
einen kleinen Fleck der Netzhaut zentriert werden. Dies
Beispiel allein beweist, wie viele andere, daß eine ge-
staltende, herrsdiende, riditunggebende Idee im Leibe
immer am Werke ist, die die Bildung und Bedeutung der
Zellen leitet und lenkt. Also wird sie, diese Idee, auch
wohl fähig gewesen sein, die Organe zu sdiaffen, durch
weldie sie sidi inkamiert, medianisiert, manifestiert hat.
Diese plastisdie Idee meines Individuums und aller seiner
Bestandteile aber ist erst „meine Seele ^, sie ist ein
Teil der Allseele, sie ist die Sdiopferin meines Leibes,
meines Gehirns, meines Ich, meines Geistes, meines
Sympathicus und damit meiner persönlidien Bindung an sie,
denn Letzterer ist der Hauptvermittler, die Empfängerstation
ihres Weltwillens, der Sitz aller Wirkungssphären meines
Unterbewußtseins, weldies im Allrhythmus verankert, im
„Idi^' seine leitenden Steuerräderdien und Ganglien-
zQgel in Milliardenzahl ausbreitet. Die Seele hat den
Leib gebildet, auch mein Geist ist ihr Werk, mein Apparat
zur Offenbarung ihres moralisdien und Scfaonheitswillens,
den idi für meinen Teil zu erfüllen habe, falls ich Anspruch
madie auf ein ihr dienendes Vernunftwesen, das heißt ein
Wesen, bei weldiem Gesinnung, Geist und Handeln im
Einklang steht mit dem Träger meiner seelischen Ziele,
dem unbewußten Wissen vom Wesen des Lebens und des
Alls, der Weltallsmarconiplatte: meinem Nervus sympathicus.
58
Wo aber ist auch nur ein Sdiatten eines Beweises vor-
handen dafür, daß eine Idee Formen sdiaffen kann? Wo
kommt das vor?
Nun, idi will es grleicfa sagen, bei der Hysterie!
Das ist die eigentumlidie, metaphysisdie Bedeutung
dieser weitverbreiteten Krankheitsform, die eigentlidi gar
keine Krankheit ist, sondern eine Gauklerin, Vorspieglerin,
Zauberin von krankheitsähnlidien Zuständen, die deshalb
etwas so ungemein Rätselhaftes, Vexierbildartiges, Symp-
tome verzerrendes gerade für Ärzte hat, weil niemand bis-
her den eigentlichen Grund dieser sonderbaren Variationen
über Themata sonst wohl erkennbarer Krankheitsursachen
und Erscheinungen hat aufdecken können. Hat man dodi
die Hysterie geradezu für ein Leiden erklärt, das „Krank-
heit ohne Ursadie^ bedeute, und ist man doch soweit
gegangen, jede Krankheit, für die man keine Ursadie fand,
für hysterisdi zu erklären. Da gibt es nämlich keinen
Bazillus der Hysterie wie für Cholera oder Typhus, da
gibt es keine Konstitutionsanlage und meist kein patho-
logisch-anatomisdies Bild; selbst das Ultramikroskop
konnte weder im Gehirn noch sonst im Korpergewebe
eine Veränderung nachweisen, die typisdi für die Hysterie
wäre. Audi in den Leidien Hysterisdier spürt der Pro-
sektor vergebens, wie bei so vielen Erkrankungen des
„Geistes^ nadi irgendweldien Verstecken und Nisthohlen
eines siditbaren hysterischen Koboldes, eines Clowns seiner
alles auf den Kopf stellenden Fakirkunststücke! Audi
ein diemisches Gift der Hysterie hat sich nicht finden
lassen. Das alles ist sdion Grund genug, von dem weib-
lichen Gescfalechte den Jahrhundertfludi zu nehmen,
als seien die Organe, weldie eben das Weib zum Weibe madien,
die spezifischen weiblidien primären und sekundären Ge-
sdileditsdrüsen und ihre Anhänge die Herde der Hysterie«
Es wäre also bald an der Zeit, der Hysterie einen andern
Namen zu geben, denn er besagt (von votiqa gleidi Keim-
59
hfiUe), daß die Brutstätte der Mensdiheit, das menscfalicfae,
einwärts gehegte Nest der Mensdienjungen der Herd dieses
hysterisdien IrrlicfatfeuerSy weldies alle Orj^ane durdizuckt,
seL Das ist nun ein Grundirrtum, und die Medizin hat
allzu oft da, wo sie keine Diagnose stellen konnte, diesen
Begriff der Hysterie verwandt wie einen Regensdiirm,
unter dem man sidi behaglidi verkriedien konnte, wenn
es Ratsei hagelte. Das ist schon deshalb falsdi, weil es
ebensoviel hysterische Männer wie Frauen gibt und weil
audi Kinder beiderlei Gesdiledites alle Formen der Hysterie
audi ohne „Hystera^ aufweisen können. Ebenso irrtum-
lidi ist die Ansdiauung, weldie die Hysterie mit einem
Zustand molekularer Obererregbarkeit glaubt erklären zu
können. Erstens kann man sich unter dieser molekularen
Erregbarkeit des ganzen Nervensystems nidits redit Faß-
bares denken, und zweitens haben die bekannten Erregungs-
zustände der Nerven, wie z. B. die der Neurasthenie, ganz
andere Symptome, als sie die Hysterie aufzeigt. Auch
die innere Sekretion als Ursadie der Oberflutung der
Blutwellen mit Selbstgiften, weldie von allen Drusen des
Körpers, derSdiilddriise, derNebensdiilddrfise, der Thymus-
drüse, der Milz, der Nebennieren, der Zirbeldrüse, der
Generationsdrusen geliefert werden, ist nidit ausreidiend,
obwohl diese innere Sekretion und ihre Störungen ein
ganzes Heer sehr nahe verwandter krankhafter Zustände,
audi soldier des Geistes, zu erzeugen vermögen. Audi
hier gibt die sdiarfumsdireibbare Symptomenkette der
Blutkrankheiten ganz andere Bilder, als sie die Hysterie
aufweist. Nein — die Hysterie hat g^nz wo anders ihren
Ursprung als in irgendweldien stofflidien Veränderungen,
sie ist geistiger Natur, sie birgt ein nodi zu enträtselndes,
metaphysisdies Geheimnis, merkwürdiger und wunderbarer
als jedes spiritistisdie Gesdiehen, verbluffender als alle bis-
her studierten Erscheinungen okkulter Vorgänge, staunens-
werter audi als alle behaupteten oder bewiesenen Fakir-
60
Schaustellungen der Inder; sie ist ein riditiger Herd von
Zauberei und ein Tempel der Maja, die mit Geister-
' erscheinungen, Sdiredcgebilden, Gespensterei und Fata-
morganaspiegelungen nur allzu bereitwillig schaltet und
waltet. Idi sage nidits gegen Okkultismus und Spiritis-
mus, die moglidierweise andere, reichere Erkenntnisquellen
des metaphysischen Wesens der Seele und ihrer Mächte
beibringen können, hier aber bei der Hysterie sind Dinge
beobachtbar von soldier sdieinbaren Unerklärbarkeit, dafi
mein Bedürfnis nadi metaphysisdien Wundem bei ihrem
Studium durdiaus gedeckt ist, ja ich muß im Prinzip er-
klären, daß eine einigermaßen ehrfurchtsvolle und das
Metaphysische mit in Betracht ziehende Beobachtung der
Wunder der Natur im Gewaltigen wie im Winzigsten auch
dem Wunderdurstigsten unter den Menschen soviel Denk-
rätsel uiid Anschauungsstoff darbietet, daß man nicht erst
Tische, Stühle und Kommoden von Geisterhänden rüdcen
zu lassen braucht, um überzeugt zu werden, daß das
Wesen der Natur auf lauter Geistigkeiten beruht, ange-
sichts derer z. B. das Eingreifen Verstorbener in irdisches
Geschehen für mich doch nur einen einzelnen, wenn auch
unbedingt hochinteressanten Spezialfall bedeuten würde,
wenn es wirklich eines Tages erwiesen werden konnte.
Idi fühle die Geister der Verstorbenen, die Seele meiner
dahingegangenen Lieben in mir stündlidi, täglidi wadi
und lebendig und audi ohne Klopflaute mir Liebes, Gutes
und Segnendes, Führendes, Leitendes, an das Gewissen
Rührendes metaphysisch zuraunen, daß idi durchaus nicht
überrasdit sein würde, wenn mir der Geist eines geliebten
Verstorbenen ersdiiene. Idi sehe größere Wunder der
Natur in der Zeugung, in dem Wachstum, in der Media-
nisierung von Geist und den Inkarnationen von Ideen
überall, als es soldi ein Geisterscheinen für midi sein könnte.
Allein der Anblick eines eben geborenen neuen Mensdien
enthält für mich eine tausendmal ergreifendere Unbegreif-
61
lidikeity als es das Wiederersdieinen eines mir s^enommenen
Menschen vollbringen konnte! Aber worin äußert sich
denn das Wunder bei der Hysterie? Nun, darin, daß sie
ein unwiderleglidier Beweis für unsere oben entwickelte
Anschauung ist, daß rings im Weltall alles aus Idee
geschaffen, aus Geist geboren isti Weil sie im so-
genannten Kranken das sichtbar aufzeigt, was der Welt
und ihrer Inkarnation zu Grunde liegt, das unsiditbare
Geborenwerden des Stoffes aus der Gedankenmadit eines
unleugbar geistigen Wesens! Sie ist ein Spezialfall
der Schöpfung aus Idee und soweit idi sehe, der einzig
erkennbare objektive Beweis für die allgemeingültige Lehre
Piatos, daß erst die Idee von der Welt da war,
ehe sie selbst entstehen konnte!
Das wird nun allerdings für viele, namentlidi für Philo-
sophen etwas direkt Verblüffendes haben: die Platonisdie
Ideenlehre und die Hysterie! Je verwunderlicher aber
diese Gegenüberstellung ist, desto schlagender müssen
meine Beweise für diese Behauptung sein, einer Be-
hauptung, die bisher von niemand gesagt, idi weiß audi
nidit einmal, ob von irgend jemand gebilligt worden ist.
Idi stehe also hier ganz allein und ich würde es nicht
wagen, so sicher etwas absolut Neues, was eine ganz
neue Weltanschauung im Anerkennungsfalle er-
zwingen muß, zu betonen, wenn nidit meine Beweise
absolut logisdi zwingend, d. h. allgemeingültig und wider-
sprudislos wären.
Was zu beweisen wäre, das ist also die Behauptung, daß
das Funktionsspiel der Phantasie, die Summe der Funk-
tionen alles dessen, was also den Begriff der Vor-
stellungsmoglidikeit ausmadit, einen bildnerisdien, for^
menden, plastischen Einfluß auf das physisdie Gesdiehen
im Korper, am Betriebe der Zellmedianismen ausübt. Da
muß zunädist der Nachweis geführt werden, daß überhaupt
die Phantasie imstande ist, Zutritt durdi die Zäune und
62
Gehege des Zellengeffis^es und der Medianismen des
Blutumlaufes sowie der peripherisdien Nervenstrome in
jedem Korpergewebe erhalten kann.
Denn ich will es nodi einmal sagen: die Hysterie
ist nicht eine Erkrankung des Nervensystems an sich (eine
molekulare Obererregbarkeit der Nervensubstanz), sie ist
auch keine durch innere Sekretion der Leibdrüsen erzeugte,
meist anfallsweise auftretende Selbstvergiftung (Auto-
intoxiation) des Organismus, sondern sie ist eine
Perversion der Phantasietätigkeit. Ihr Wesen be-
ruht auf einem abnormen Eindringen der Phantasiestrome
der rechten Gehirnhälfte in den Betrieb der Korper-
gewebe, was eine Abnormität bedeutet. Denn beim völlig
gesunden Mensdien erreicht die Vorstellung nur in sehr
bescheidenem Maße das Gefüge der Körperformen der
Peripherie. So ist es z. B. bei einer großen Reihe von
Menschen mit lebhafter Phantasie. Die Hysterie ist
überhaupt meist ein Leiden, was vornehmlich Phantasie-
mensdien, also Künstlernaturen und zwar meist soldie mit
nicht vollem Ausgleich zwischen künstlerischem
Wollen und Können sich entwickelt, so ist es, sage
ich, bei solchen sonst gesunden Menschen mit lebhafter
Phantasie ' nichts Außergewöhnliches, daß sie ihre Vor-
stellung projizieren können in bestimmte Organe. Sehr viele
Studenten der Medizin bemerken subjektiv die sämtlidien
Symptome sämtlicher Krankheiten, von denen sie ihre Lehrer
oder Büdier reden hören. Idi kenne einen Arzt, der mir er-
zählte, daß jedesmal nachdem er einen Diphtheriekranken
besudit hat, schon beim Treppenherabgehen sidi bei ihm
ein deutlicher Schmerz der Halsmandeln einstellt und daß
nach dem Untersudien eines an Blinddarmentzündung
Kranken sich bei ihm sdimerzhaftes Ziehen in der rediten
Unterleibshälfte, dem Sitz genannten Leidens bemerk-
bar madiL Allein bei Sdiilderungen vom Bergsteigen,
fanatischem Schaukeln, Rodelsdilittenfahrten, Rutsdibahn-
63
erlebnisseo^ bekommeD viele Menschen jenes mariomte
Schneiden and Zieh^i im Leibe» das dem physischen
Schmerze wie sein Vorbote ahnfich siehL Da d«r Schmelz
ein Kurrschinß der einzehien Nachbarstringe von Emp-
findungsnerven, an jeder Korperstelle auslosbar, ist« so
beweisen diese Falle alle, dafi die Phantasie und die
Vorstellungskomplexe ubeihaupt imstande sind, einzudrin-
gen in Gewebe und hier Sensationen auszulosen, die eine
abno^e und gesteigerte Funktion erzwingen, wie ein
Preßdruck oder wie ein abnormer Kontakt^ Übrigens
besagen unsere oben zitierten Tatsachen vom Verengem
der Pupillen beim Phantasie-Vorstellen eines Schimmels,
sowie der Speichelfluß beim Gedanken an appetitliche
Speisen schon im Prinzip den Vorgang des bestehenden
Einflusses der Funktionen der Phantasie auf die Nerven-
und Sekretionstatigkeit. Es ist das nichts mehr und nichts
weniger auf den ersten Blick als eine mysteriöse Fem-
wirkung. Wenn wir uns aber unser Bild von den Nerven-
ganglien des Gehirns mit ihren NeurogliaumhüUungen nodi
einmal reproduzieren (s. o. Seite 15) und die Um-
spinnung der Neuroglia- Blutgefäße mit den Ganglien-
geflediten des Nervus sympathicus ins Gedächtnis zuruck-
*) ■. nVoQ der Seele", Theorie des Schmerzes. JEin Onkel Ton
mir, ein Pastor, behauptete den Schnupfen aus Gewohnheit zu be-
kommen, weil er nur alle Montag Schnupfen habe, auch wenn er
Sonntags in seiner zugigen Kirche nicht gepredigt habe.
64
i
rufen und dazu bedenken, daß dieses Wunderaetz sym*
pathisdier TastkSrperdien durdi feine Gespinnste von
Nervenfiligran durch den stanzen Leib, audi durdi alle
Drüsen zu den verschiedensten Funktionsbetätigfungen ver-
bunden sind, so haben wir In dieser Tatsadie die Mog»
lidikeit, daß Ganglien -Gruppenfunktionen, die Systasen,
die Vorstellungseinheiten, „Smerdisheerde^, ihre Strom-
akkumulation bis tief hinein in alle Gewebe rein physi-
kalisch übertragen können, deutlich vor Augen. Wir
brauchen dazu nur beide Bilder im Geiste zu kombinieren,
etwa in der Art:
wobei die umrahmte Zellgruppe von Ganglien a, a^ a',
ihre Stromleitung auf 6, 6\ fr^ übergehen laßt
Wie aber wirkt nun diese auf die sympathisdien Ge-
flechte abgelenkte Stromwelle auf das Gewebe? Daß es
jedes Organ der Sinne, jeden Nerven, jede Drüse, jedes
Muskelsystem und Blutgefäßsystem erreichen kann, ist des-
halb klar, weil die Geflechte des Sympathicus eben eine
Allgegenwärtigkeit und Ästchenverzweigung in allen Ge-
bieten, die Zellen tragen, besitzen. Das, beweist ja allein
unser Herzklopfen bei freudigen oder angstvollen Vor-
stellungen, bei Schreck und Shok, wobei der Sympathicus
den Herzschlag alteriert; das beweist die Möglichkeit des
Errötens und Erblassens bei Sc^am oder großer Ergriffen-
heit, wo die psychische Erregung auf dem Wege der
Klingelzüge und Scfaleusenklappen des Sympathicus die
65
Bluts^fäßmuskulatur zusammenkrampfen oder, erschlaffe»
lassen kann; das heißt vom Gesicht bis unter die Rippen die
Korperhaut blutwellenartig überschwemmt oder entebbt. Da
diese Impulse des inneren Erlebens an Zellen jeden Sdilages,,
an die Nerven- und Muskelz^Ue, Drfisenzelle und Hom-
zelle der Nägel und Haare nicht wenig^er als an die der
Knodienhäute und Knorpel heranreichen, einfadi, weil jede
2^11e von den Sympathicussträngen und von den Aus-
läufern der Rudcenmarksbündel berührt wird» so ist die
Stromeinheit von Vorstellungswurzeln, Sympathicusfasem
und peripherisdiem Nervennetz plus jeder einzelnen Ge--
webszelle anatomisch-physisdi garantiert. Für den feineren
Mechanismus dieser Zelleinwirkung bedarf es nodi eines
Bilddiens.
Stellen wir uns irgend eine Zelle, z. B. eine Hom-
zelle der tiefsten Hautsdiidit vor, so hat es die feinere
Histologie unserer Tage erwiesen, daß zarte Nerven-
bündel das Innere jeder Zelle bis zum Kern erreidien.
Wir brauchen uns nur vorzustellen, daß von diesen Nerven-
fäden der eine einen antriebartigen Einfluß auf das Zell-
leben hat, den wir mit -f~ bezeidinen, und der andere
einen hemmenden, den wir mit — ausdrücken, so können
wir uns den Medianismus des Zellebens sehr einfach vor-
stellen nadi Analogie des Antagonismus der Herznerven
z. B., wo es einen Besdileuniger und einen hemmenden
Nerven gibt (Nerv, vagus und Nerv, sympathicus), nach
der Analogie der Gefäßmuskeln und der Korpermuskeln,
66
der Saftdrusen und der Pupillentätigkeit, die sämtlidi
antagonistisdi einj^estellt werden. Der positive Nerven-
impuls und der negative halten sidi für gewohnlidi ein das
normale Zelleben garantierendes Gleidigewidit. Das Leben
der Zelle pendelt gleidisam zwisdien den beiden entgegen-
gesetzten Impulsen hin und her, es schwankt in der
Diagonale beider Kraftspannungen (der positiven und
der negativen).*) Mit diesen Bildchen haben wir nun
die Moglidikeity sämtlidie Ersdieinungen der Hysterie
zu erklären und unsem Beweis von der Natur derselben
als einer Perversion der Phantasietätigkeit von der ein-
fadien Funktionsstörung bis zu dem Kardinalpunkt: der
Madit des (jedankens, Korperlidies zu sdiaffen, anzutreten.
Dabei müssen wir nun allerdings die ganze, verzweifelt
komplizierte und scheinbar kaum entwirrbare Symptomen-
verhedderung der Hysterie Revue passieren lassen. Aber
gerade die restlose Deutung aller Vexierbilder dieser
Elfen- und Hexen-, Kobold- und Widitelmänndien-
Schabernacke durdi das Spiel der Phantasie, die Zuruck-
führung aller Details auf diese eine kardinale Ansdiauung,
des Eindringens der Phantasie in die Maschen des Gewebes,
gibt uns ja erst die neue Erkenntnis von der Natur
dieses bisher unentwirrbaren Netzes von Rätseln. Da idi
Ihnen hier keine medizinisdie Vorlesung über die Symptomen-
reihe aller hysterischen Ersdieinungen zu geben beab-
sichtige, kann idi midi darauf beschränken, diese Merkmale
der Hysterie in große Gruppen zu teilen, in die alle
bisher beobaditeten Symptome sidi restlos auflosen lassen,
und nur hier und da muß ich auf die Sdiilderung einiger
*) Diese Polarität an der Zelle enthüt j^leidilaUs ein Grundgesets
der Natur. Sie besa^ dafi die positive» vorwartsdranj^nde Kraft
stets gehemmt wird durch eine widerstrebende, negative ebenbürtige.
Was hier für den feinsten Zellmechanismus gilt, bestätigt aadi das
Leben im Grofien: Kraft md Hemmung, Ormuzd und Ahriman, Gott
und Teufel.
5*
67
besonders markanter Fälle einstehen, weil sie die Natur
der Hysterie besonders klar durchschauen lassen.
Daß die Hysterie sidi äußert in einer merkwurdigfen Ober»
Steigerung' normaler Empfindungen, wird uns ohne weiteres
durch unser Sdiema vom Plus und Minus des Nerven-
einflusses auf das Zelleben klar. Wenn also eine besondere
Oberempfindlidikeit der Haut, eine höhere Feinfuhligkeit
der Empfindungstaster der Haut oder Bauchhaut, der Schleim-
häute, ja der großen Blutgefäße, sich einstellt, so ist das
ohne weiteres als eine Steigerung des positiven Funktions-
einflusses der -h -Nerven auf die Zellen der Tastkorper
und sensiblen Fasern der betreffenden Gewebe erklärbar;
wir müssen nur darauf achten, in jedem solchen beobachteten
Falle die Phantasie als die Urheberin solcher Ober-
empfindlic^keiten zu erkennen. Das ist nun in der
erdrückenden Mehrzahl aller Fälle deutlich erweisbar;
mir selbst ist unter Hunderten von Hysterikern männlichen
und weiblidien Gesc^lecJites keiner bekannt geworden,
bei dem nicht ausch'ücklich zugegeben wurde, daß ein
psychischer Vorgang, besonders eine Erregung der Ge-
danken und Vorstellungen eng verkettet ist mit der
krankhaften Empfindung. Aber auch die einfache Tat-
sache des anfallweisen Schubes einer solcher Über-
empfindlicjikeit beweist, daß Kraftspannungen besonderer
Art, Akkumulationen wie bei der Epilepsie notig sind, um
den Anfall auszulosen und hier ist wieder ausnahmslos
konstatierbar, daß seelische Anstoße der besonders erregten
Vorstellung dem Anfall mehr oder weniger lange voraus-
gehen. Ich brauche nur einen absolut unverfänglichen
Autor und einen klassischen Kenner der Hysterie, meinen
hochverehrten Kollegen Geheimrat Moll zitieren, um aus
seinen gesperrt gedruckten Schilderungen der Hysterie
in der Eulenburgsc^en Enzyklopädie, also einen Meister
der Darstellung dieser Krankheit, um Ihnen auch von
anderer Seite das Hindurchleuchten der Phantasie-
68
vorstellunsfen als Quelle der Hysterie deutlidi vor Augen
zu fuhren, wobei idi bemerken will, daß Wendungen wie
lebhafte EindrQdce und Gefiihle, verstärkte Affekte gar
nidits anderes nadi unserer Kenntnis vom Mechanismus
der Gehirnhälften bedeuten können, als Steigerungen der
Phantasietätigkeit. Ist dodi das Gebunden- und das
Beherrschtsein des Ichs, das Moll besonders betont, nidits
anderes als der Einbrudi der Phantasiegebilde in die Zone
des Ichs. DasTldi aber ist, wie idi anderwärts ausführlich
auseinandersetzen werde, sdion ein Produkt Mer Phantasie,
denn nur der Mensch, der das Wunder der phantastisdien
Vorstellung in seine Geburtswiege von den Händen der
Natur gelegt erhalten hat, hat ein „Idi'^, das Tier hat
keines. Der Philosoph Feuerbach sagt: „Der Mensdi
untersdieidet sidi vom Tier nur dadurdi, daß er sich sich
selber vorzustellen vermag; ein Tier kann sidi nicht sich
vorstellen''. Das heißt aber nidits anderes, als „das Idi**
ist ein Produkt der Phantasie. Um wie viel mehr alles,
was dieses Ich besonders färbt, beeindruckt, affiziert
(Affekte erzeugt), lebhaft verändert. Wobei idi nodi
bemerken will, daß der Affekt wie die Dämonie nichts
ist, als der durch eine Vorstellung von verlangendem
Willen erzwungene Kurzsdiluß seelisdier Motive mit dem
Aktionsapparat der Muskeln.
Nadi diesen Vorbemerkungen zitiere idi Moll: „Das
Willenlose, das in Ansprudi genommen Werden durdi
jeden sensiblen Reiz und die scheinbar dadurdi bedingte
Hingabe (!) an jeden, durdi einen soldien hervorgerufenen
Eindruck (!), die daraus entspringende Stimmungsabhängig-
keit (!) von Äußerlidikeiten und der hieraus wieder
hervorgehende, fortwährende, oft ganz jähe und anscheinend
unmotivierte Wedisel in den Stimmungen selbst, die so-
genannte Launenhaftigkeit (!) und wie man sidi audi
ausdrückt: dieses Gebunden- und Beherrschtsein des
Idis (!) sowie das daraus entstehende „Gefühl der eigenen
69
Unzulänglidikeit^ (!) und die hieraus erwadisende Un-
zufriedenheit mit sidi selbst, visrbunden mit einem oft
recht starken Unjflficklidikeitsgefühl (l), eine immer und
immer wieder durchbrechende Wehleidigkeit in allem an
augenblicklichen Frohsinn und heiterem Übermut (!), das
ist es, was .... das eigentfimlidie psychisdie Verhalten
der Hysterie ausmadif
So Moll: Nun, was sind »^Hingabe an einen Eindruck''»
,.Stimmungsabhängigkeit% „Uunenhaftigkeit'', „Beherrscht-
sein des Idis'', „Gefühl der Unzulänglichkeit'', „Unglücklidi-
keits-Gefühl", „Wehleidigkeit" — anders als Tätigkeiten
der Phantasie, die hierbei von Moll überall als ein roter
Faden durdileuditet durch die Häufung der Umsdireibung,
und wir braudien nur hinzuzufügen, daß diese Vor-
stellungsketten, geboren vom Spiel der Phantasie, verkettet
mit Grundempfindungen des Sympathicus (siehe die obigen
Definitionen von Gefühl und Gemüt) daß diese Ver-
kettungen perversefweise eingreifen in den Körperbe-
stand, um die Natur der Hysterie bei allen funktionellen
Störungen aufgedeckt zu haben. Zu diesen Störungen
der Funktion gehören natürlidi alle Plus- und Minusseiten
der Funktion, je nach der Phantasie-Belastung der Zell-
nerven auf ihrer positiven oder negativen Seite, also
ebenso Oberempfindlidikeiten wie Unempfindlichkeiten,
Taubheitszonen, Gefühlslähmungen, ebenso Krämpfe und
Krampfanfälle in jedem Muskelgebiet, wie Lähmungen und
Ersdilaffungen, ferner Gesdimacks- und Gerudisperversi-
täten. Über- und Unterfunktionen von Drüsentätigkeiten,
Sdiweißanfälle, Hauttrockenheit, Übertalgproduktion, Haut-
fetbnangel, Tränenfluß, Tränenmangel, Zusammenpressen
des Magens, der Därme bis zum Erbredien, Lähmungen
der Verdauungssdiläuche, Erregungen und Versagungen
der Sexualsphäre usw. usw. Man stelle sidi vor, welch
ungeheuer vielseitiges Programm diese Aufzählung allein
darbietet, aus dem idi nur einige eigentümliche Fälle
70
faerausgfreifen willi die scheinbar Beziehung'en zum Meta-
physischen und Mediumimus aufweisen. Es Ist das die
hysterisdie Hellhorigfkeit und das hysterisdie Hellsehen.
Lassen wir wieder Moll spredien. Eine Hysterisdie hört
das Ticken einer Taschenuhr in dem nebenan geleg-enen
Zimmer. Sie hört das leise Gehen auf schwellendem
Teppidi in einem durch mehrere andere Zimmer getrennten
dritten; sie hört das Atmen ihres kranken Kindes im
darüber g'elegenen Stockwerke. Einzelne Hysterisdie
erkennen nodi die Gej^enstände in finsterer Nadit und
sehen die Bewerbungen, welche ihnen im Dunkeln vor-
gemacht wurden. Sie fühlen den Hauch der Luft, der
davon ausgeht, und unterscheiden (im Dunkeln) mittels
Gefühls die versdiiedenen feinen Gewebe, weldie ihnen vor-
gdegt werden. Eine Hysterisdie ging im Stockdunkeln
zwisd&en wahllos verstellte Möbelstücke in einem zum
Reinmadien bestimmten Zimmer sdinell hindurdi, ohne
auch nur ein Teebrettchen am Boden zu berühren. Wie
kommt diese Feinfühligksit der Sinne zustande, die an
das blitzsdmelle Durdifliegen der Fledermäuse in einem
mit Bindfäden durchzogenen und dürchspannten Dunkel-
raum erinnert? Was hat das mit Phantasie zu tun?
Diese Frage ist heikel, sie droht das ganze Gebäude
unserer Konstruktion zum Zusammensturz zu bringen. Aber
sie ist dennodi nidit von Belang, denn diese Ober-
empfindlidikeit der Sinne hat dodi etwas mit der über-
ladenen Tätigkeit der rediten Hirnhälfte zu tun.
Weil nämlidi im Dunkeln überhaupt die rechte Hirn-
hätfte in höherer Aktionstätigkeit ist (wegen Fortfalls
einer großen Kette von Sinnenreizen auf der linken
Hälfte durdi das Auge und einer meist mit dem Dunkeln
verbundenen Stille des Sdilafzimmers), so ist die redite
Hälfte des Gehirns (ein Grundgesetz der Funktion des
Bhits) blutüberfüUter als im Hellen; die Phantasie -
tätigkeit reißt noch dazu das Spiel der Blutwellen
71
Sfewaltsam an sich, infolsfedessen ist die linke Hirnhalfte
naturgemafi blutleerer; hier sind also die Taster der
Sinnesapparate hemmung^sloserj anscfalußfähiger und emp-
findlicher, so daß eine Überempfindlichkeit vorgestäuscht
wird, die ihren Grund aber in einer größeren Hemmungs-
losigkeit hat, die eben die Blutleere links bedingt Diese
wiederum ist die Folge einer Blutanhäufung im rediten
Vorderhirn. Auf diese Weise kann völlig ungezwungen
auch die indianerhafte Hellhorigkeit und adleraugenähnlidie
Hellsiditigkeit sowie die fledermausartige Feinfuhligkeit
der Haut im Dunkeln durch die in Anspruch genommene
Phantasietatigkeit erklart werden. Sie entfaltet hier ihre
Macht freilich mehr indirekt, wahrend die erdrückende
Mehrzahl der Fälle ihre direkte Urheberschaft der
hysterischen Zustände erkennen läßt.
Von dem Eintritt dieser Ueberfunktionen der Sinne zu
denen auch das Errotenkonnen, das Weinenkönnen, das
Sidiblaßmachen, das willkurlidie Verändern der Pulszahl
und des Herzschiagens gehört, bis zum Auftreten und
Erzeugen krankhafter Zustände ist nur ein Schritt Unter
den Hysterischen gibt es Personen« welche zeitweise Aus-
tritt von Flüssigkeiten, ja von Blut in die Gewebe auf-
weisen ohne jede Veranlassung durdi Verletzung oder
Giftwirkung (Arzeneiodeme nach Antipyrin, Jod usw.) audi
solche, die auf Grund ihrer Vorstellung Blutwasser (Ödem-
bildung) in gewollten Teilen ihres Leibes auftreten lassen
kSnnen, und in der Medizinisdien Gesellschaft wurde
eine Negerin vorgestellt, welche ihre Brust jederzeit
bluten lassen konnte. Diese Personen nennt man auch
Stigmatisierte.
Es sind Hysterisehe, bei denen das Kommando der
Phantasie und des ihr angeschlossenen Willens (Motiven-
lehre I) ausreicht, um mit Hilfe der Muskelerweiterung des
Sympathicus die kleinsten Gefäßrohre so weit in ihrem
Gefüge lockern zu können, daß Serum und Blut durdi
72
die Lücken der Gefäße in das Gewebe hinubertropfeln
können. Hierher gehören auch die Falle von Ober-
tra^ng gewisser Hautausschläge allein durch den An-
blick, wofür ich ein typisches Beispiel erzählen kann.
Eline Patientin von> mir war in meiner Sprechstunde
mit einem roten Ausschlag der Hand infolge Primeln-
wirkung. Eine Hysterische betritt nach ihr den Raum,
fragte, was die hinausgehende Dame an der Hand
habe. Als ich es ihr sagte, meinte sie: „Passen Sie
auf, den Ausschlag bekomme ich auch!^ In der Tat
meldete sie sich einige Tage später mit sehr ähn-
licher Schwellung und Rötung derselben Hand. Was
kann hier anderes diese Imitation eines Primelausschlages
erzeugt haben, als die gestaltende Vorstellung, die Phan-
tasie? Daß Krankheitszustände imitiert werden können
durch Vorstellungszwang, dafür gibt es in der Geschichte
zahllose Beispiele, wie ja überhaupt die Nachahmungs-
sucht, die clown- und affenartige Kopierungsmanie hier
Orgien feiert. Nur eine merkwürdige Nachahmung mit
metaphysischem Einschlag bei einem hysterischen Mann
will ich Ihnen erzählen, für welchen Kollege Oelsner,
mein trefflicher Mitarbeiter im Lazarett am Reichskanzler-
platz, ein einwandfreier Zeuge ist, ebenso wie Herr
Generalarzt Lohrisch. Ein Unteroffizier mit Gelenk-
schüssen durch beide Schultern, der nach viermonat-
licher Behandlung wieder die Arme frei bewegen konnte,
sah es mit an, daß in ein Bett ihm vis-a-vis ein
neuer Kranker mit Krampfzuständen gebracht wurde.
Diese Krampfzustände waren sicher keine Wundstarr-
krampfanfälle. Es fiel aber von einem Nervenarzt unvor-
sichtigerweise das Wort: vielleicht ist es doch Tetanus
(das lateinische Wort für Wundstarrkrampf), welches der
Schulterschußkranke aufschnappte. Am nächsten Tage
bekam nicht der Himschußkranke mit anderweitigen
Zuckungen Wundstarrkrampf, sondern der Unteroffizier
73
mit beinahe völlig verheilten Schulterschußwunden bekam
einen typischen Tetanusanfall von da ab bis zu zwolfmal
des Tages, typisch mit allen Symptomen des Starrkrampfes
(Gliederkrämpfe, Krampfanfalle der Bauchdecken, der
Kiefernmuskulatur, Stimmritzenkrämpfe mit Blauwerden
des Gesichtes usw.), kurz alles, außer Fieber. Die
Rfickenmarkspunktion mit Ablassen von Ruckenmarks-
saft ergab vollige Freiheit von den Erregern des Wund-
starrkrampfes und mit diesem Safte eingespritzte Meer-
schweinchen blieben starrkrampffrei (untrügliches Mittel
zur positiven Feststellung, ob Tetanus vorliegt oder nicht).
Als wir dem Kranken dann sagten: „Der Mann dadrubcn
hat keinen Tetanus, und Sie auch nichtl'' und ihm das
Wesen der Probe klarmachten, war der Wundstarrkrampf
verschwunden. Ein typischer Fall von Abreaction eines
Motives, nur daß dieses Motiv nicht wie Freud will, im
Unterbewußtsein steckte, sondern in der Phantasiezone
des Bewußten. Was an diesem Fall das Rätselhafte ist,
ist die Kenntnis und Imitation sämtlicher Symptome, so wie
sie nur ein medizinisches Lehrbuch aufzuweisen vermag,
hier aber von jemand unbewußt geliefert wurde, der,
wie er wenigstens behauptete, nie einen Tetanuskranken
zu sehen und zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte.
Aber selbst wenn das der Fall gewesen wäre, wie bringt
die Phantasie es fertig, einen Stimmritzenkrampf zu insze-
nieren — wer von uns kann das? — anders als durch
ein abnormes Schlagbaumheben über den Chaussee-
straßen der Muskelgewebe vor dem Anprall der Phantasie,
welche für gewohnlich keinen Zutritt in die Gewebs-
maschen hat, ihn aber im hysterischen Zustand perverser
Weise gewinnt? Der Mann war übrigens ein phantastischer
Affektmensch, von dem sich seine Zimmerkameraden die
wildesten Landsknechtsgeschichten aus den Feldlagern
erzählten. Kollege Grabley hat mir von einem Mann er-
zählt, der es durch Willensdressur ähnlich wie die Yogi-
74
leute in Indien erreicht hatte, seine Schulter-, Ellen-
bogen- und Hüftgelenke beliebig aus- und einzurenken,
wozu schon eine nicht geringe Stromkraft der Phantasie
gehören durfte. Solche Menschen gehören für mich,
wie auch die echten Fakiere, unbedingt zu den Hysterie-
verdächtigen, weil eben bei ihnen ein aktiver Einbruch
der Phantasie in die Struktur auch kompliziertester
Organe möglich ist Übrigens haben auch sehr viele
okkultistische Medien einen hysterischen Einschlag, wo-
ffir auch die Lust zur phantastischen Luge und zur Vor-
spiegelung von einem Können und Fähigkeitsbesitz ge-
hört, welche sie zum Mittelpunkt eines möglichst all-
gemeinen Interesses machen. Hysterische simulieren Über-
fälle, Beraubungen, Schändungen, um die Aufmerksamkeit
auf ihr ihnen nicht genügend beachtetes ^Ich^ selbst
unter Anwendung von Gewaltmaßregeln, bis zu gefähr-
lichen Selbstmordversuchen, unter allen Umständen zu
lenken. Was ist das anders als eine Tyrannei der Phantasie,
welche die Umgebung zwingen will, ihre Besitzer ebenso
wichtig und im Zentrallicht der Welt stehen zu sehen,
wie sie sich selbst?
Das alles ist sehr interessant als faktischer Beweis für
den Einbrudi der Phantasie in die Leibeszonen jeden
Sitzes und jeder Bildungi aber es trifft noch nicht den
Kernpunkt unserer Auffassung, wonach die Phantasie
(Hrekt schöpferisch Formen erzeugt, worinnen eben das
Platonisdie Problem der Madit der Ideen, das Schopfungs-
problem, wenn auch an winzigster Stelle, enthalten wäre.
Nun, wenn Sie meinen eigenen Erlebnissen von den
Erzeugungen eines Bienenstidies innerhalb 15 Minuten am
Auge ohne Biene, allein ausgelöst durch das Summen
eines Ventilators*) im Zimmer einer jungen Dame, wenn
*) Seite für dieie Beispiele:
«Vom Schaltwerk der Gedaokeo*
„Die Hysterie ein metaphysisches Problem'
75
das Auftreten von Bläschen» Bartwfichsen am Kinn der
Fraui ja eines starkwadisenden Eckzahnes nach Anblick
eines Walrosses nidit glaubhaft ersdieinen solltei wem
mein ganzes an anderer Stelle niedergelegtes Material
nicht genügt, der höre wieder unseren klassischen Gewährs-
mann in der Realencyklopädie der Medizin Bd. X,
Seite 192 und 190.
,,Die gesteigerte Erregbarkeit in der trophischen (Bildungs-
gebiet) Sphäre gibt sich in allerhand Hypertrophien
und Hyperplasien (Neubildungen) zu erkennen. Die
üppige FfiUe, die sich bei Hysterisdien so oft findet, ist ein
Ausdruck derselben. Sonst offenbart sie sidi in verstärktem
Bartwuchs, - Bart der Weiber — in vermehrter Epidermis-
bildung, in beschleunigtem Wachstum oder Verdickung
der Nägel, in der vermehrten Bildung von Pigment . . .
und in allerhand krankhaften Affektionen entzündlichen
Charakters ... in exzematösen und acneartigen Ausschlägen
und, wie ich zu beobachten in der Lage war, in Hyper-
ostosen an den Phalangen (Knodienneubildungen) der
großen Zehen und in Synovitis«- und Parasynovitis genu.
(Auftreibungen der Gelenkhäute)'', Dazu gehört nach
Moll audi die Fähigkeit von Blutweinen und Blutschwitzen.
S. 191 an genannter Stelle erwähnt er die Bildung
eines Klumpfußes als hysterisdier Klumpfuß, und
Seite 187: m1<^ habe es erlebt, daß (auf das Auftreten
von Gelenksdimerz und Schwellung hin) einer hyste-
risdien Person ein Stück Korper nach dem anderen ab-
genommen wurde, bis von ihr kaum mehr als Rumpf
und Kopf noch übrig war, in weldi ersteren man
sdiließlich auch noch eindrang, um die Ovarien zu
entfernen**. Wenn Moll hier nidit übertreibt, und
das ist ausgeschlossen, denn er ist einer unserer zu-
verlässigsten Beobaditer, so muß doch wohl entweder
der Operateur wahnsinnig gewesen sein zusammen mit
seinem Opfer, oder aber es haben sich so kolossale Neu-
76
bildungen auf hysterischer Basis entwidcelt, daß eben
Gesdiwülste vorjfetäuscht wurden.*)
Nun, diese Dinge beweisen zur GenQge und schlagend,
daß die Hysterie eine Formen schaffende Ideenperversion
ist, daß sie im Kranken das aufweist^ was das Grundgesetz
der Natur ist, Formenbildung aus Idee. Also fort mit dem
Namen der Hysterie, sie hat nicht das geringste mit der
Keimstätte des Weibes zu tun, sie ist keine Ungezogenheit
junger und alternder Mädchen, sondern sie ist eine Aus-
schweifung der Phantasie, ein Gewaltstreich derselben,
ein Einbrudi in die Fluren und Heimstätten friedlicher
Zellager. Man sollte sie also eine Arroganz, eine Prae-
tention, eine Orgie der Phantasie, eine Phantasiasrs
nennen und ihr zwei Unterbezeichnungen geben:
Phantasiasis functionalis, oder
formativa plastica.
Mit diesen beiden Begriffen glaube idi allen Symptomen
dieser Zwillingssdiwester des Proteus, diesem Bastard
zwischen Maja und Fata Morgana zu Leibe gehen zu können.
Ja, was nodi widitiger ist, erst diese Betrachtungsweise
ergibt Aussichten auf eine einzig rationelle Behand-
lung des weitverbreiteten Leidens. Sie kann nur von den
systematischen Übungen am Mechanismus der Phantasie-
Organe ausgehen durch eine Art rhythmischer Gymnastik
der Benda'sdien und der Gefäßmuskeln nadi dem Prinzipe
der Exerzitien des Ignatius von Ldyola, wofür idi schon
*) Wollte jemand einwenden, diese Hyperplasien und Hypertrophien
seien keine editen Geschwülste, so muß man bedenken, dafi echte Ge-
schwulste Zeu^n^rsangele^enheiten physischer Natur (und ebenfalls
mysteriösen Ursprungs sind) aber nichts mit GedankeneinflSssen zu tun
haben. Mir genügt, dafi die Hysterie auf rein geistigem Wege Sub-
stanz erzeugt, um der Idee Beweiskraft für die Priorität bei der Er-
zeugung der Substanz überhaupt zuzuspredien. Uebrigens erzeugt sie die
Substanz in allen drei Aggregat-Zustanden: feste (Geschwülste), flüssige
(Oedeme) und gasformige (enorme Gasbildung im Magen und Darm).
77
in meinem Budie ^Vom Sdialtwerk der Gedanken" von
besten Erfolgen beriditen konnte.
Wir sind am Ende unserer Ausführungen, deren Er-
gebnis sich in folgendem kurzen Satze ausdrücken läftt:
Für Piatos Behauptung, daß die scfaopferisdie Idee
der Welt ihrer wirklidien Erscheinung vorangegangen
sein muß, gibt es nur eine Erfahrungstatsache: Das
ist der Symptomenkomplex der Hysterie, insofern
hier die allerdings krankhaft eingestellte Phantasie»
alsoObersteigerung^einer Idee, zu Formveränderungen
im Leibe führt, die eine Neusdiaffung von Substanz
bedeuten.
14. Januar 1920.
7B Otto Ebner, Komm.-Ges.^ Beiiw S.
\
ERNST ROWOHLT VERLAG / BERUN W35
In Vorbereitung:
CARL LUDWIG SCHLEICH
Meine
Lebenserinnerungen
ERSCHEINT ENDE DIESES JAHRES
CARL LUDWIG SCHLEICH
Aphorismen
ERSCHEINT IM JULI DIESES JAHRES
ERNST ROWOHLT VERLAG / BERLIN W35
Die neue Wochensdirift :
DAS
TAGE-BUCH
HERAUSGEBER STEFAN GROSSMANN
Einzelheft 1.50 M. Vierteljahrspreis 18. — M-
Aus dem Inhalt der bisher erschienenen Hefte :
Theodor Fontane: Über Wilhelm IL — Gerh. Hauptmann:
Abgekürzte Lebenschronik — Alfred Polgar: hin paar
Tage in Berlin — Stefan Großmann: Enthüllungshändler
Iwan Goll: Pariser Tagebuch — Walter Rathenau: De pro-
fundis — Carl Ludwig Schleich: Erinnerungen an Rudolf
virchow — Hugo v. Hofmannsthal: Reflexionen — Wilhelm
Schmidtbonn: Der Fährmann — Alfons Paquet: Berichte
aus Sowjetrußland — George D. Herron: Der Verrat der
vierzehn Punkte — Walter Hasenclever: Ode an eine
Tänzerin — Rudolf Borchardt: Falsche Zungen — Carl
Ludwig Schleich: Mein Vater — Walther Rathenau: Die
Geschichte der Wahrheit — Ferdinand Tonnies: Recht und
Unrecht — Abbe Wetterle: Frankreichs elsässisches Problem
O. M. Fontana: Bildungsarbeit in der österreichischen Volks'
wehr — Hermann Hesse: Winterbrief aus dem Süden
Thomas Mann: Klärungen — Aus dem Tagebuch
Wirtschaftliches Tagebuch — Glossen
Probeheft bitten wir direkt vom Verlag zu verlangen