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Full text of "Gedichte. Übertragen von Gisela Etzel"

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fclNKEAT5  GEDICHTE 


^be  3.  (T.  Saul  Collection 

of 

minctccntb  Century 

lEngliöb  Xitcraturc 

Ipuvcbaseö  in  pavt 

tluoiujb  a  contribution  to  tbe 

XibraiT  jfunDs  maöe  bv?  tbc 

iDepavtment    of  lEncilisb   In 

Tflniversitp  Colleoe. 


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Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/gedichtebertraOOkeat 


J^\u 


ljg^£, 


)OHN  KEAT3 

GEDICHTE 

ÜBERTRAGEN  VON  GISELA  ETZEL 


IM  INSEL-VERLAG  ZU  LEIPZIG 


PR 


ICH  SAH  VON  HUGELHÖH  INS  LAND  HINEIN  .  .  . 

ICH  sah  von  Hügelhöh  ins  Land  hinein. 
So  slille  lag  die  Lufi  im  Sonnenschein, 
Da6  volle  Knospen,  die  in  sanfiem  5ogen 
Die  leichien  schwanken  SIengel  seilwärls  zogen, 
Noch  glänzten  in  dem  bunten  Siernenprangen, 
Mit  dem  der  Morgen  schluchzend  sie  behangen. 
Die  Wolken  waren  weiB  und  rein  wie  Schafe, 
Die  nach  der  Schur  und  nadi  geruhigem  Schlafe 
Im  Bache  badeten;  sie  lagen  matt 
Im  blauen  Himmelsfeld;  und  51att  um  51att 
Schien  nur  ein  leiser  Atem  zu  bewegen. 
Das  Schweigen  nur  schien  seufzend  sich  zu  regen; 
Denn  jeder  Schatten,  der  ins  Grüne  fiel. 
Lag  steif  und  starr  und  wu^le  nichts  von  Spiel. 
Die  Landschaft  ruhte  still  und  weit  und  frei 
Und  lud  den  Blick  zu  trunkner  Schwelgerei: 
Des  Horizonts  kryslallnen  Glanz  zu  sehen 
Und  seinen  zarten  Linien  nachzugehen. 
Auch  jenem  Feldweg,  der  sich  seltsam  windet. 
Durch  Wälder  krümmt  und  fern,  ganz  fern  verschwindet; 
Und  an  bebuschten  Streifen  zu  erkennen. 
Wo  unter  Schatten  kühle  Wasser  rennen. 
Idi  schaute,  und  mir  war  so  wohl  und  klar, 
Als  fächle  sanft  des  Hermes'  Flügelpaar 
Die  Füfee  mir.  Mein  Herz  war  leicht  und  frei, 
Den  Geist  entzüd<ten  Freuden  mancherlei. 
Nach  buntem  Strauß  begann  ich  mich  zu  bücken. 
Mir  wei&e,  blaue,  goldne  Lusl  zu  pflüd<en: 

Ein  5usch  Maiglöckchen,  daran  Bienen  hängen, 

Die  wühlend  tief  in  sü^e  Kelche  drängen; 

Ein  Gufe  Goldregen  soll  darüber  fliegen. 

Und  langes  Gras  soll  meinen  Strauß  umschlie&en. 


Ihn  feucht  und  kühl  erhallen  und  in  Schallen 
Die  Veilchen  hülen,  dafe  sie  nichl  ermallen. 

Hier  grünt  ein  Haselstrauch,  um  den  mit  sdilanken 
Sdimiegsamen  Armen  wilde  Rosen  ranken, 
Und  dunkles  Geißblatt,  das  zu  lichten  Höhen 
Die  schwanke  Winde  hebt.  Daneben  stehen 
Und  wiegen  ihre  süfeen  Frühlingslräume 
In  kleiner  Reihe  schlanke  junge  5äume, 
Aus  wunderlichen  Wurzeln  aufgeschossen. 
Das  alte  moosige  Fleditwerk  wird  umgössen 
Von  klarem,  frischem,  sprudelfrohem  Quell; 
Im  Vorwärtshasten  plaudert  er  nodi  schnell 
Von  seiner  Töchter  blauer  Lieblichkeit- 
Von  Glod<enbIumen.  Ach,  er  ahnt  die  Zeü, 
Da  wohl  gedankenlose  Kinderhand 
Die  zarten  pflüd<t  und  wirft  in  Sonnenbrand. 

O  Ringelblume,  goldner,  goldner  Glanz! 

Entzünde  deinen  Kranz! 

Wisch  ab  den  Tau,  der  dir  vom  Aug  sich  stiehlt. 

Denn  Gott  Apoll  befiehlt, 

In  diesen  Tagen  soll  nur  eine  Weise 

Die  Harfen  rühren:  nur  zu  deinem  Preise! 

Und  wenn  er  morgen  deine  Augen  küfel, 

Sag  ihm,  da|  du  in  meinen  Wonnen  bist; 

Und  streif  ich  dann  in  fernem  Tal-  vielleidil 

Da&  seine  Stimme  meine  Stirn  umstreidit. 

Plallerbsen  stehen  flugbereit  auf  Zehen 
Und  lassen  rot  und  wei|e  Flügel  wehen; 
Ihr  spifeer  Finger  hascht  nach  allen  Dingen, 
Sie  fest  mit  winzigen  Ringen  zu  umschlingen. 

Sieh  hier  das  Bächlein,  niedrig  überbrüd<I 


Von  sdiwanken  Planken;  weile  hier  enlzüd<l 

Und  lausche,  wie  Natur  so  sanft  sich  rührt, 

Die  süfeer  noch  als  Taubenruf  verführt; 

Wie  still  das  Wasser  um  die  biegung  zieht: 

Kein  Flüstern,  das  hinauf  ins  Grüne  flieht. 

Kein  Grufe  den  Weiden.  Gras  und  Halme  kommen 

Durdi  wirre  Schatten  langsam  hergesdiwommen. 

So  langsam—  könntest  du  nicht  zwei  Sonette 

Gelesen  haben,  eh  im  trägen  Bette 

Dies  Gras  dorthintreibt,  wo  die  Strudel  kreisen 

Und  Holz  und  Halm  im  Tanzen  unterweisen 

Und  so  gesdiwäfeig  mit  den  Kieseln  lärmen? 

Elrifeen  stehen  dort  in  ganzen  Schwärmen 

Und  stemmen  sidi  dem  kräftigen  Strom  entgegen. 

Genießen  so  den  vollen  Sonnensegen 

Im  kühlen  Wasser.  Wie  sie  immer  ringen 

Um  diese  süfee  Lust!  Und  glifeernd  schlingen 

Sie  flink  den  Silberleib  durch  Kieselsand. 

Erhebe  nur  ein  wenig  deine  Hand, 

Im  selben  Augenblick  sind  alle  fort  — 

Und  senkst  du  sie,  sind  alle  wieder  dort. 

Sieh,  wie  die  kleinen  Wellchen  Freude  fühlen. 

Sich  zwischen  Kressenlocken  abzukühlen. 

Sie  nehmen  Kühlung  und  sie  geben  Feuchte 

Dem  krausen  Grün,  damit  es  frisdier  leudite. 

Gleich  guten  Menschen,  die  in  Redlichkeit 

Zu  wechselseitigem  Geben  gern  bereit. 

Von  niedern  Zweigen  schwingt  sich  hin  und  wieder 

Ein  Häuflein  bunter  Distelfinken  nieder: 

Nur  kurze  Zeit,  nur  nippen  und  geschwind 

Die  Federn  feuchten,  die  voll  Sonne  sind. 

Dann  plöblich  fort,  wie's  muntre  Laune  will. 

Doch  manchmal  hält  ihr  gelbes  Sdiwirren  still 

Und  zeigt  die  glänzend  schwarz  und  goldnen  Schwingen. 


War  idi  wie  sie  beslimml  zu  solchen  Dingen - 
Ach,  war  ich  sie,  ich  würde  beien  mögen, 
Dafe  meine  Lust  in  grünenden  Gehegen 
Nur  süBres  störe,  nur  ein  Mäddienkteid, 
Das  nahe  rauscht  und  voll  Behendigkeit 
Vom  Löwenzahn  die  Samenfäden  fegt- 
Als  eines  Mädchens  Fu&,  der  nah  sich  regt 
Und  der  im  Spiel  beim  schnellen  Vorwärtsgehen 
Den  Sauerampfer  schaukelt  mit  den  Zehen. 
Wie  würde  sie  erschredct  zusammenfahren, 
Weil  man  ihr  liebes  kindliches  Gebahren 
Entdeckt.  Oh,  übers  Wasser  sie  zu  leiten, 
Das  halbe  Lächeln  sehn,  das  Niedergleiten 
Der  scheuen  Blicke,  ihre  tiand  zu  fassen - 
Von  ihrem  Atem  mich  berühren  lassen! 
Und  wenn  sie  von  mir  geht-  da|  sie  sich  wende. 
Den  schönen  Blid<  durch  braune  Lod<en  sende! 

Was  weiter?  Primeln  hier  ein  voller  Strauß! 
O  schaue,  Seele,  träume,  ruhe  aus 
Und  sinke  schlummernd  hin;  dodi  immer  wed<e 
Dich  sanft  das  Piafeen  einer  Knospended<e, 
Dich  irgend  eines  Falters  trunkne  fiasl, 
Der  ruhlos  weilerfliegt  von  Rast  zu  Rast, 
Und  Luna  wed<e  dich,  wenn  sie  die  Schale 
Nun  aus  dem  Wogen  schimmernder  Opale, 
Aus  milchigen  Wolkenmeeren,  silbern  hebt 
Und  sacht  empor  in  Himmelsbläue  schwebt. 
O  Göttin  du  der  Dichter,  liebe  Lust 
Der  schönen  Welt  und  jeder  edlen  Brust! 
Du  Heiligenschein,  der  alle  Wasser  schmüd<l, 
Du  süBer  Kufe,  der  uns  mit  Tau  beglückt. 
Du  milde  Hand,  die  schöne  Augen  schliefet 
Und  sdiönen  Traum  in  stillen  Schlummer  giefet. 


Du  Freundin  von  Gebet  und  Sdiwärmerei, 

Von  Einsamkeit  und  Liebegrübelei! 

Didi  preise  idi  vor  allen  andern  Dingen, 

Die  tief  beglückend  uns  zum  Dichten  zwingen. 

Du  Paradiesesglanz,  du  ewiges  Licht, 

Du  bist  die  Seele,  die  der  Dichter  spricht. 

Du  nahst- und  irgend  eine  dunkle  Linie 

Wird  ihm  zum  Umri^  würdevoller  Pinie; 

Dein  Lächeln,  das  zur  dunklen  Erde  sdiwebt. 

Gibt  Silberfäden,  draus  er  Märchen  webt. 

Und  ist  solch  Märchen  köstlich  aufgebaut. 

So  atmen  wir  den  Duft  von  Sommerkraut 

Und  gleiten  hin  auf  üppigen  Wollustschwingen, 

Die  uns  in  himmlische  Regionen  bringen: 

Taufeuchte  Rosen  slreidieln  unsre  Wangen, 

Wir  sehen  Lorbeer  reich  in  51ülen  prangen. 

Zu  liäupten  gleiBl  Jasmin  in  voller  Laube, 

Und  lächelnd  blüht  aus  grünem  Kleid  die  Traube, 

Ein  Bächlein  hüpft,  mit  sanflem  Sang  zu  rühren 

Und  alles  Leid  ins  Weite  zu  entführen. 

Wir  fühlen  uns  befreit  von  Not  und  Welt 

Und  hoch  aufweise  Wolken  hingestellt. 

So  fühlte  er  wohl,  der  zuerst  erzählt. 

Wie  Amor  seine  Psyche  sich  erwählt: 

Was  sie  gefühlt,  als  erster  Ku|  ihr  glühte. 

Und  wie  sein  Seufzen  ihr  entgegenblühte. 

Und  wie  sie  beide  bebten  und  Verlangen 

In  Küssen  zitterte  auf  Mund  und  Wangen; 

Die  Silberlampe— und  der  Gott  im  Sdilafe— 

Dann  Dunkel- Einsamkeit- und  schwere  Strafe- 

Der  Elug  zum  Himmel- Ende  aller  Leiden- 

Und  ewige  Vereinigung  der  beiden.— 

So  fühlte  er  wohl,  der  die  Zweige  bog 

Und  unsern  Blid<  in  weite  Waldung  zog, 


Um  Faune  und  Dryaden  zu  belausdien, 

Wie  sie  so  sorglos  durch  die  Büsche  rauschen 

Und  sich  mit  süfeen  wilden  Blumen  kränzen 

Und  Freude  finden  in  verzüd<ten  Tänzen; 

Wie  Syrinx  flieh!  in  namenlosem  Schrecken 

Und  angslvoll  such!,  vor  Pan  sich  zu  verslecken. 

O  armer  Pani  Verloren  war  die  Spur 

Am  schilfigen  Slrom,  und  Windesseufzen  nur 

Erlauschiesl  du,  nur  schwermulvollen  liaudi, 

Der  leise  hingliil  über  Schilf  und  Slrauch.- 

Dem  war  Nalur  wohl  lief  ins  Herz  gedrungen. 
Der  einsl  Narzissus'  Liebespein  besungen. 
Er  schrill  vielleichl  durch  dunklen  Wald  und  fand 
Sich  plöfelich  an  umbuschlen  Teiches  Rand, 
Der  still  und  glall  und  ungewöhnlich  klar 
Dem  Himmelsblau  ein  Ireuer  Spiegel  war, 
Das  hie  und  da  durchs  dichle  Laubdadi  blickte 
Und  heilern  Grufe  in  müde  Schwermut  schid^le. 
Am  Ufer  stand  ein  einsam  Blümelein, 
Sah  sanft  und  traurig  in  den  Teich  hinein. 
In  dem  es  seine  bleiche  Sdiönheit  sah- 
So  unerreichbar-  und  so  greifbar  nah  I 
Taub  war  die  Blume  für  des  Zephirs  Werben, 
Nur  schauen  mochte  sie,  nur  glühn  und  sterben. 
Der  Dichter  stand  und  träumte  lange  dort, 
Und  seine  Seele  nahm  dies  Bild  mit  fort, 
Und  bald  darauf,  da  war  der  Sang  geschrieben 
Von  jung  Narziß  und  seinem  kranken  Lieben. 

In  weldies  Wunderreidi  war  Er  gedrungen. 
Der  uns  den  süßesten,  den  ewig  jungen. 
Den  anmutvollen  reinen  Sang  gesdienkl. 
Der  Seligkeiten  senkt 
ins  Herz  des  Mondsdieinwandrers,  ihm  enthüllt 


10 


Die  unsiditbaren  Götter,  itin  errüllt 

Mi!  Sphärenl\lang,  der  hoch  aus  Himmeln  tönt, 

Wo  Nactit  und  Glanz  sidi  friedevoil  versötint? 

O  sicher!  Dieser  wufete  nictits  von  Banden, 

Er  wandelte  in  wundersamen  Landen, 

Der  Fesseln  ledig  schwebte  er  davon, 

Um  dich  zu  sudien,  o  Endymioni 

Ein  Dichter  war  er,  ein  Verliebter  auch. 

Der  hodi  auf  Latmos  stand,  als  sü|er  Haudi 

Vom  heiligen  Myrlhental  sich  aufwärts  schwang 

Zugleich  mit  feierlichem,  frommem  Sang, 

Dem  Hymnus,  den  man  zu  Diana  schid<le, 

Die  hell  aus  dunklen  Himmeln  niederblid<te. 

Doch  ob  sie  audi  sich  huldvoll  lächelnd  neigte, 

Ein  Antlife  klar  wie  Kinderaugen  zeigte- 

Der  Diditer  weinte,  sie  so  sdiön  zu  sehn. 

So  einsam  durdi  die  Ewigkeiten  gehn: 

Hell  sang  die  Leier,  die  sein  Hymnus  sdiwellte. 

Der  Cynthia  den  Endymion  zugesellte. 

Du  Königin,  du  lieblichstes  Gesicht! 

Du  köstlich  reiner  Glanz,  du  mehr  als  Licht! 

Gleich  wie  dein  Lädieln  alles  überragt. 

So  jenes  Lied,  das  deine  Schönheit  sagt. 

O  gib  mir  Worte,  die  wie  Honig  fliegen. 

Ein  Wunder  deiner  Brautnacht  zu  erschließen: 

Wo  ferne  Sdiiffe  wie  im  Äther  hängen. 
Hielt  Phoebus  seiner  Räder  mächtiges  Drängen 
Für  kurz  zurüd<  und  lächelte  dich  an. 
Eh  weiter  stob  sein  feuriges  Gespann. 
Der  Abend  war  so  mild  und  leuchtend  klar. 
Daß,  wer  gesund  war,  auch  voll  Frohsinn  war 
Und  ausschritt  wie  Homer  beim  Hörnersdiall, 
Wie  jung  Apollo  auf  dem  Piedestal; 


11 


Und  Frauen  waren  schön  und  warm  belebt, 
Wie  Venus,  die  entzückt  die  Wimper  hebt. 
Die  Luft  war  lind  und  wehte  frisch  und  rein, 
Schlich  in  verhängte  Krankenstuben  ein 
Und  kühlte  sanft  den  Fieberschlaf  der  Kranken, 
Die  bald  in  liefen  festen  Schlummer  sanken. 
Sie  wachten  auf—  und  atmeten  gesund, 
Klar  war  ihr  Auge  und  erfrischt  ihr  Mund, 
Und  Schmerz  und  Fieberhifee  war  vergangen; 
Und  wie  sie  nun  erguickt  vom  Lager  sprangen. 
Da  sahn  sie  rings  geliebte  Freunde  stehn. 
Die  staunend  kaum  begriffen,  was  geschehn. 
Die  sie  umarmten  und  mit  inniglichen 
Gebärden  ihre  stille  Stirne  strichen.— 
Und  Jünglinge  und  Mäddien  sahn  betroffen 
Einander  an  und  glühten  in  Erhoffen, 
Denn  aller  Äugen  waren  lichterfüllt. 
Und  alles  Sehnen  lag  so  schlicht  enthüllt— 
Sie  staunten,  lächelten— bis  Poesie 
All  ihrer  Sehnsucht  schöne  Worte  lieh; 
In  süfeen  Reimen  wufete  man  zu  werben, 
Und  kein  Verliebter  brauchte  mehr  zu  sterben. 
O  Cynthia,  als  dein  lieber  Hirt  dich  kü^te— 
Wer  ist,  der  alle  Seligkeiten  wü&te. 
Die  da  erblühend  sich  herniedersenkten. 
Vielleicht  der  Erde  einen  Dichter  schenkten?— 
Doch  Seele,  sieh,  du  schweiftest  weit  genug, 
Zurüd<,  zurück  vom  allzuhohen  Flugl 


12 


M 


ODE  AN  EINE  NACHTIGALL 

EIN  Herz  lul  weh,  und  schläfriges  Erlahmen, 
Als  hall  ich  Gifl  gelrunken,  quäll  mich  sehr. 
Beläuble  micl?  ein  Trank  aus  gifligen  Samen? 
Mich  hülll  Vergessenheil,  ich  weife  nichts  mehr. 
Dodi  isl's  nichl  Neid  auf  dein  so  glüd<lich  Los— 
Nur  füUl  so  schwer  mil  Glüd<  dein  Glüd<  mich  an: 
Dafe  du,  des  Walds  beflügelle  Dryade, 

In  lieblich  kühlem  Scho|, 
Im  Sdiallen,  den  das  Buchengrün  dir  spann. 
Der  Freiheil  jubeln  kannsl,  der  Sommergnade. 

O  Wein  lefel!  Jungen  Wein,  den  Erde  kühlle. 
Den  dunkelkühl  ein  langes  Jahr  gereifl. 
Der  sonngebräunlen  Frohsinn  lanzen  fühlte. 
Und  der  des  Proven9alen  Lied  begreift; 
O  einen  Becher  warmen  Südens  jefetl 
O  Hippokrene,  die  zum  Rande  sdiäuml 
Und  gern  und  gut  Begeisterung  bereitet 

Mit  Lippen  rot  benefet, 
Didi  will  ich  trinken,  dafe  ich  ungesäumt 
Zum  Wald  entschweben  kann,  von  dir  geleitet. 

Entsdiweben,  ganz  vergehn—  und  ganz  vergessen. 

Was  du  in  deinem  Walde  nie  gekannt: 

Die  Menschennot,  die  Mühen  unermessen. 

Das  Sorgenfieber,  das  die  Herzen  bannt; 

Du  weifet  nidit,  wie  gelähmtes  Alter  stöhnt. 

Wie  Denken  immer  nur  Sich-härmen  heifet. 

Wie  Jugend  bleicht  und  schleicht  und  siecht  und  schwindet, 

Und  wie  Verzweiflung  höhnt. 
Wo  Schönheit,  wenn  ihr  Blick  das  Leben  preist. 
Um  Liebe  weinen. lernt  und  bald  erblindet. 


13 


Hinweg!  Zu  dir!  Doch  soll  nichl  5acchus  Wagen 
Mif  Paniherkraft  midi  ziehn,  nein!  Poesie 
Soll  mich  auf  unsichtbaren  Schwingen  tragen, 
Drüd<t  auch  dies  Hirn  noch  müde  Apathie. 
Schon  bin  ich  bei  dir!  Milde  ist  die  Nacht, 
Und  Luna  thront  mit  lächelndem  Gesicht 
Und  überblid<t  ihr  Sternenvolk  voll  Gnade, 

Doch  hat  sie  hier  nicht  Macht: 
Nur  mandimal  bläst  ein  Windhauch  etwas  Lidit 
Durdi  grüne  Dämmernis  auf  moosige  Pfade. 

Idi  sehe  nicht,  was  blüht  zu  meinen  Fü&en, 
Welch  sü&er  Balsam  rings  an  Zweigen  hängt; 
Dodi  auch  im  Dunkel  ahn  ich,  was  an  süfeen 
Duftwellen  atmend  in  die  Mainacht  drängt 
Aus  wildem  Beerenbaum  und  Gras  und  Strauch: 
Idi  atme  Wei^dornduft  und  Rosenblühn 
Und  Veilchen,  die  in  Blätterbetten  sterben. 

Und  Moschusrosen  auch. 
In  denen  morgens  bunte  Tropfen  glühn 
Und  abends  Sommerfliegen  sich  umwerben. 

Im  Dunkel  lausche  ich;  und  wie  Verlangen 
Mich  oft  schon  fafele  nach  dem  stillen  Grab, 
Wie  ich  dem  Tod,  mich  herzlich  zu  umfangen, 
Sdion  oft  in  Liedern  liebe  Namen  gab. 
So  sdieint  mir  Sterben  jefet  besonders  sdiön. 
Ach,  sdimerzlos  mich  zu  lösen  in  die  Nadit, 
Indefe  dein  Sang  in  heiligen  Ekslasen 

Beschüllel  Tal  und  Höhn 
Und  dodi  mein  Herz  nidit  höher  schlagen  madil. 
Das  nur  als  Duft  noch  sdiwingt  im  blumigen  Rasen. 

Du  Vöglein  wurdest  nidit  zum  Tod  geboren! 
Nein,  didi  zertritt  kein  hungerndes  Geschlecht. 


14 


Was  diese  Nach!  mir  lönl,  sang  in  die  Ohren 
Dem  ersten  König  schon,  dem  ersten  Knecht, 
Und  ist  vietleicht  derselbe  Sang,  der  lief 
Der  heimwehkranken  Ruth  zum  Herzen  klang. 
Als  sie  in  Tränen  schritt  durch  fremde  Gassen, 

Derselbe  Sang,  der  tief 
Bezaubernd  sich  um  Märchenschlösser  sdiwang 
Und  Feenreiche,  die  nun  längst  verlassen. 

Verlassen!  Ach,  dies  Wort  ist  wie  das  Klingen 
Trostloser  Glocken,  das  zu  mir  mich  mahnt! 
Audi  Phantasie  kann  nicht  Erlösung  bringen. 
Wenn  ihr  nidit  Hoffnung  einen  Weg  gebahnt. 
Lebwohl  1  I^ebwohl!  Dein  Schmerzgesang  enlsdiwebt 
Zum  Wiesengrund  aus  Waldes  hohem  Dom, 
Ins  Tal  hinab  und  sdiweigt  am  dunklen  Badie. 

Ward  mir  ein  Traum  belebt? 
Betrog  die  wachen  Sinne  ein  Phantom? 
Wer  sagt  mir,  ob  idi  sdilafe  oder  wadie! 


15 


L 


ODE  AUF  EINE  GRIECHISCHE  URNE 

lEBKEUSCHE  Braui  der  sielen  Sülle  du, 

Du  Pflegekind  von  Tag  und  Tag  und  Schweigen! 

Welch  blumiges  Waldgeschichichen  schildersi  du— 

Und  sagsi  es  sü|er  als  ein  Reimereigen? 

Weldi  blaltumrankie  Mär  umslreichi  dein  Rund 

Von  Göllern  oder  Menschen  oder  beiden 

In  Tempe  oder  in  Arkadiens  Hängen? 

Wer  sind  sie,  die  an  Mädchenangsl  sich  weiden? 

Was  jagl  so  loll?  Was  ring!  und  flieht  so  buni? 

Welch  Flölenlied?  Welch  lusiberauschles  Drängen? 

Gehörtes  Lied  isi  sü|,  doch  sü|er  ist 
Ein  ungehörtes:  sanfte  Flöte,  weiter! 
O  wie  du,  klanglos,  mehr  als  köstlidi  bist. 
Du  geisterhaft-lautlosen  Lieds  Begleiter! 
Nie  kannst  du,  Jugend,  lassen  von  dem  Sang, 
Wie  nie  die  Bäume  hier  ihr  Laub  verlieren; 
Du  ked<  Verliebter,  nie,  nie  kannst  du  küssen. 
So  nah  du  auch  dem  Ziel—  doch  sei  nicht  bang: 
Nie  welkt  siel  Wirst  du  auch  entbehren  müssen, 
Wird  Liebe  didi  und  Schönheit  sie  stets  zieren. 

Glücklicher  Baum  in  ewiger  Frühlingszeit, 
Nie  sinken  deiner  Zweige  Blätter  nieder. 
Glücklicher  Sänger,  ohne  Müdigkeit 
Für  immer  flötend  immer  neue  Lieder! 
Und  Liebe,  Liebe,  voll  von  größerem  Glück: 
Für  immer  hei&  und  der  Erfüllung  harrend. 
Du  immer  jagende,  du  immer  junge! 
Wie  steht  vor  dir  lebendige  Gier  zurüd<. 
Die  Herzen  satt  madit,  im  Genu|  erstarrend. 
Die  Hirn  erhifet  und  dürr  versengt  die  Zunge! 


16 


Und  wer  sind  diese  mit  dem  Priester  hier 

Und  jener  Färse?  Welcher  Gottheit  dQnl<en 

im  Grünen  sie  mit  schönstem  Opfertier, 

Dem  Kränze  blühen  um  die  seidnen  Flant<en? 

Welch  kleine  Stadt  an  Flug,  in  ßergeshain, 

An  Seeslrand,  Stadt  mit  5urg  zu  Wehr  und  Frieden, 

Steht  diesen  frommen  Tag  mit  leeren  Gassen? 

Du  kleine  Stadt  wirst  ewig  stumm  nun  sein, 

Denn  keinem  wird  die  Heimkehr  je  beschieden. 

Dir  kundzutun,  warum  du  so  verlassen. 

O  attische  Form,  so  schön  wie  nie  erschaut. 

Um  die  sich  marmorn  Mann  und  Mädchen  ranken. 

Mit  vollen  Zweigen  und  zertretnem  Kraut, 

Schweigende  Form  I  du  rufst  in  uns  Gedanken, 

Wie  Ewigkeit  es  tut :  kalt  Schäferspiel ! 

Sind  wir  mit  unserm  Leid  dahin,  so  findest 

Du  andres  Leid  und  wirst  in  Kümmernissen 

Den  Menschen  trösten,  dem  du  dies  verkündest: 

„Schönheit  ist  Wahrheit,  Wahr  ist  Schön!"-  Nicht  viel. 

Nur  dies  weiBt  du-  und  brauchst  nicht  mehr  zu  wissen.' 


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o 


ODE  AN  PSYCHE 

Göliin!  lausche  diesem  armen  Lied, 
Das  lieb  Erinnern,  sü&er  Zwang  geboren, 
Verzeih,  das  dein  Geheimnis  es  erriel 
Und  wiederkündet  deinen  eignen  Ohren: 
Ich  Iräumle  heul—  denn  sollle  wacher  Sinn 
Wohl  je  die  lichlbeschwingle  Psyche  schauen ?- 
In  lichtem  Walde  schrill  ich  für  mich  hin, 
Da  plöfelich  fafele  mich  ehrfürchlig  Grauen: 
Eng  Seil  an  Seile  lag  ein  schönes  Paar 
Ins  Gras  gebellet,  über  ihnen  spann 
Das  Laub  ein  flüsternd  Dach,  ein  Bächlein  rann 
Durchs  Grün,  l<aum  wahrnehmbar. 

Auf  blumiger  Au,  die  bunl  und  silberklar 
Und  kühl  und  duftend  in  die  Stille  sann, 
Sanflalmend  lagen  sie,  die  Flügel  bogen 
Sich  aneinander  und  die  Arme  auch. 
Die  Lippen  trennte  nur  ein  Atemhauch, 
Als  habe  Schlummer  Mund  von  Mund  gezogen, 
Als  würden  jungerwachle  Liebeswogen 
Zu  neuem  seligen  Küssen  sie  beglücken. 

Den  Knaben  kannte  ich; 
Du  Taube  doch,  du  lieblichstes  Enlzüd<en, 

Warst  Psydie  sidierlichl 

O  lefetgebornes  lieblichstes  Gesicht 

Hoch  über  des  Olymps  verbleichter  Pracht! 

O  schöner  du  als  erstes  Sternenlicht, 

Das  wie  ein  Glühwurm  in  den  Abend  wadil. 

ja  sdiöner  du!  Obgleich  nicht  ein  Altar 

Noch  Opfer  dir  geschichtet 
Und  nächtens  keine  sü|e  Mädchenschar 

Zu  dir  Gesänge  ridilel: 


lö 


Kein  Wort,  kein  Flöienspiel,  kein  frommer  Rauch, 
Der  sanft  aus  schwingenden  Gefäßen  wellte, 
Kein  Schrein,  kein  Hain,  nicht  ein  inbrünstiger  Hauch, 
Der  eines  bleichen  Priesters  Träumen  schwellte. 

O  Strahlendste!  Zu  spät  für  jene  Zeit, 
Zu  spät,  zu  spät  auch  für  leichtgläubige  Leier, 
Die  heilig  sprach  des  Waldes  Einsamkeit, 
Heilig  die  Luft,  das  Wasser  und  das  Feuer. 
Doch  selbst  in  unsern  Tagen,  die  so  ferne 
Von  froher  Frömmigkeit,  erglänzt  dein  Flug, 
Der  über  stürzenden  Olymp  dich  trug, 
Nun  meinen  Augen,  und  ich  bete  gerne. 
So  la|  mich  sein  die  sü|e  Mädchenschar, 

Die  betet  am  Altar, 
Dein  Wort,  dein  Flötenspiel,  dein  frommer  Rauch, 
Den  dir  ein  schwingend  Weihgefä^  entsendet. 
Dein  Schrein,  dein  Hain  und  dein  inbrünstiger  Hauch, 
Den  eines  bleichen  Priesters  Traum  dir  spendet. 

Ich  will,  dein  Priester,  dir  den  Tempel  richten 

In  meiner  Seele  unbegangnem  Hain: 

Verschlungene  Gedanken  sind  die  Fichten, 

Die  flüsternd  schüren  deinen  heiligen  Stein, 

In  dunklen  Gruppen  sollen  all  die  bäume 

Die  steilen  Bergesklüfte  dicht  befiedern. 

Und  schlummernde  Dryaden  wiegt  in  Träume 

Der  Wind,  der  Strom,  der  Wald  mit  seinen  Liedern. 

Und  in  der  Mitte  dieser  weiten  Stille 

Baut  dir  ein  rosiges  Heiligtum  mein  Wille 

Mit  allem,  was  inbrünstiges  Hirn  ersinnt. 

Umrankten  Gittern,  seltnen  Blütenglocken. 

Im  Blumenhain,  den  Phantasie  dir  spinnt, 

Ist  alles  Blühen  ewiges  Frohlod<en, 


19 


Und  dort  ist  dein  allsü&e  Seligkeit, 

So  weit  wie  Träume  fassen, 

Und  Fackel  nadits  und  Fenster,  das  bereit. 
Die  Liebe  einzulassen. 


20 


D 


ODE  AUF  DIE  MELANCHOLIE 

U  sollst  nicht  Lethe  suchen,  sollst  nicht  Wein 

Aus  harter  giftiger  Wolfsmiichwurzel  klopfen, 

Noch  soll  Proserpinas  blutrote  Pein, 

Nachtschattentraube,  deine  Stirn  umtropfen. 

Dein  Rosenkranz  sei  nicht  aus  Taxusperlen, 

Dein  Gram  soll  nicht  zum  flaumigen  Kauz  sich  retten, 

Im  schwarzen  Faller  ein  Symbol  erblid<en 

Und  klagend  wandeln  unter  Trauererlen, 

Sonst  wird  nur  schläfernd  Dunkel  dich  umbetten 

Und  deiner  Seele  wache  Qual  ersticken. 

Doch  wenn  Melancholie  herniederdrängt. 
Gleich  wie  vom  Frühlingshimmel  Wolkenweinen 
Um  grüne  Höhn  sein  graues  Bahrtuch  hängt 
Und  volle  Nahrung  gibt  den  müden  kleinen 
Kopfhängerischen  Blumen,—  oh,  so  drücke 
Dein  Leid  in  frühen  Rosenkelch  und  schmücke 
Päonienblühn  mit  dunklen  Gramgeschmeiden; 
Und  ist  die  Herzensherrin  trüb,  verdrossen— 
Halt  ihre  Hand  in  Händen  sanft  verschlossen 
Und  la&  den  Blid<  in  ihren  Augen  weiden. 

Sie  lebt,  wo  Schönheit  ist,  die  sterben  muS, 
Wo  Freude  ist,  die  stets,  die  Hand  am  Munde, 
Zum  Gehn  bereit—  bei  schmerzendem  Genu^, 
Der  Gifte  braut  aus  jeder  seligen  Stunde. 
Ja  selbst  im  Tempel  aller  hohen  Wonnen 
Besifet  Melancholie  Altar  und  Stätte- 
Wenngleich  nur  der  sie  sieht,  der  Mut  gewonnen, 
Der  Freudenbeere  allzusanfte  Glätte 
Mit  durstiger  Zunge  aufzutun:  er  findet 
Die  Schwermut  ihrer  Macht,  die  ewig  bindet. 


21 


ODE  AUF  DIE  INDOLENZ 

IN  Morgen  war,  da  sah  idi  drei  Gestalfen, 
Das  Haupl  gesenkt  und  Hand  in  Hand  geschmiegl, 
.Und  wie  sie  feierlich  vorüber  walllen 
Mil  sanfiem  Schrill,  von  wei&em  Kleid  umwiegt, 
Wars  so,  als  würde  marmornes  Gefä& 
Rundum  gedreht,  den  5ildsdimud<  zu  besehen, 
Bis  dafe  des  Reigens  Anfang  wiederl<ehrt; 
So  l<amen  sie,  dem  Urnenbitd  gemäfe. 
Und  wie  wir  fremd  vor  mancher  Urne  stehen. 
So  war  auch  hier  Verstehen  mir  verwehrt. 

Wie  kams,  da&  ich  eudi  Schatten  nidit  erkannte? 

Wars  Absicht,  dafe  wie  starres  Maskenbild, 

Den  51id<  verhüllt,  sich  keine  näher  wandte. 

Damit  nun  Trägheit  meine  Tage  füllt? 

Ihr  stahlt  euch  fort;  die  Stunde  trug  so  sdiwer: 

Wie  Wolkenschwall  kam  Indolenz  geschwommen. 

In  Sommerseligkeil  erlrank  mein  51id<, 

Und  Leid  und  Freude  sdimolz  im  sonnigen  Meer. 

Was  mu&tet  ihr  so  mahnend  wiederkommen? 

Entschwebt,  und  lafet  mir  nichts  als  nichts  zurüd<! 

Sie  nahten  sich  zum  drittenmal  und  wandten 
Den  Blidc  nach  mir—  und  wandelten  vorbei; 
Idi  wollte  folgen,  meine  Pulse  brannten. 
Euch  nadi!  so  riefs  in  mir,  idi  kenn  euch  drei! 
Du  bist  die  Liebe,  erste—  schönste  Maid! 
Du  zweite:  Ehrsucht  mit  den  bleichen  Wangen 
Und  müden  Augen,—  ach,  sie  schlummert  nie! 
Du  lefete,  viel  geschmäht  in  Ha&  und  Streit, 
Von  mir  geliebt  in  schmerzlich  süfeem  Bangen, 
Du  bist  mein  Dämon—  du  bist  Poesie! 


22 


Sie  sdiwanden—  und  ich  sehnte  midi  nadi  Schwingen. 

O  Torheil!—  Liebe?  Wem  erblühl  sie  je?— 

Und  Ehrsuchl?  Was  kann  arme  Ehrsucht  bringen? 

Was  ist  sie  mehr  als  eine  Wahnidee!  — 

Und  Poesie?  Nein,  so  beglüd<t  sie  nie— 

Mich  sicher  nie—  wie  süfee  Sommerstunden, 

In  die  des  Nichtstuns  goldner  Honig  taut. 

O  hinter  Mauern  seliger  Lethargie 

Ein  Leben  leben,  fern  von  Qual  und  Wunden, 

Von  Tag  und  Nacht  und  hastigem  Menschenlaut! 

Noch  einmal  nahten  sie  wie  stumme  Frage. 
Weshalb?  Mit  Träumen  war  mein  Schlaf  bestickt, 
Die  Seele  lag  gleich  buntdurchblühtem  Hage, 
Von  Sonnenglanz  und  Schattenspiel  durchblickt; 
Der  Morgen  war  bewölkt,  sein  Auge  schwer 
Von  Tränen,  doch  sie  flössen  nicht  hernieder; 
Durchs  offne  Fenster  lugte  junger  Wein, 
Drang  Knospenglut  und  klangen  Drossellieder— 
O  Schatten!  Geht  und  naht  euch  nun  nicht  mehr, 
Idi  hatte  keine  Tränen  euch  zu  weihn. 

Ihr  könnt  mein  Haupt  nicht  heben,  das  im  Grase, 
Im  buntdurchblühten,  kühl  in  Ruhe  sank; 
Mich  lüstet  nicht  nach  Ruhm,  nach  Lobesphrase, 
Nicht  Held  zu  sein  in  bürgerlichem  Schwank. 
Verweht  vor  meinem  Blick,  seid  noch  einmal 
Wie  alter  Urne  fremde  Traumfiguren. 
Lebt  ewig  wohl!  Noch  hab  ich  für  die  Nacht, 
Noch  für  den  Tag  Visionen  ohne  Zahl. 
Phantome  ihr,  entschwebt  in  Wolkenfluren, 
Mein  Geist  ruht  aus,  ihr  habt  ihn  nicht  in  Macht  1 


23 


D 


AN  DIE  HER5STZEIT 

U  Zeil  der  Feuchle  und  der  Fruchtbarkeil, 
Freundin  des  Sonnengolis,  der  Reife  sendet, 
Mit  itim  vereinigt,  da^  zur  Sü6igt<eit 
Des  Rankenweins  betaute  Traube  endet, 
Dafe  Apfellast  die  moosigen  Bäume  biegt, 
Da|  aller  Früctile  tierz  von  Saft  durchguolten, 
Da6  Kürbis  sdiwillt  und  iede  Nu&  sicti  füllt 
Mit  würzigem  Kern,  und  weictier  gelber  Pollen 
In  vielen  späten  Blumen  wartend  liegt, 
Und  jede  Biene  sdiwer  zur  Zelle  fliegt. 
Draus  Sommers  Segen  schäumend  überguillt. 

Wer  sah  nicht  oft  in  deiner  Pracht  dich  stehn? 

Sucht  einer  draußen,  mag  er  wohl  dich  finden 

Mit  Lächeln  über  weite  Speicher  gehn. 

Die  Haare  sanft  bewegt  von  Fächelwinden, 

Oder  auf  halbgemähtem  Ad<erreich 

Im  Mohnduft  schlafen:  vor  den  nächsten  Sdiwaden 

Voll  Blumen  hält  die  Sense  noch  zurüdk. 

Und  manchmal  gehst  du,  Ährenlesern  gleich. 

Quer  übern  Bach,  den  hohen  Kopf  beladen, 

Oder  du  läfel  den  ernsten  Hüterblick 

Im  gelben  Flu|  der  Obstweinkelter  baden. 

Wo  ist,  ach  wo,  des  Frühlings  Finkenschlag? 

O  still!  Musik—  auch  dir  ist  sie  verliehen— 

Wenn  wolkenbunt  verblüht  der  sanfte  Tag 

Und  Rosenschallen  über  Stoppeln  ziehen: 

Dann  klagt  in  Uferweiden  das  Gewimmel 

Der  winzigen  Mücken—  lebt  der  Wind  empor, 

Hebt  sidi  der  Sciileier,  stirbt  er,  sinkt  der  Flor- 

Erwachsne  Lämmer  blöken  laul  am  Bach, 

Und  Grillen  zirpen;  nun  entzückt  das  Ohr 

Rotbrüstchens  Flötensang  vom  Laubendach, 

Und  Schwalben  sammeln  zwitschernd  sich  im  Himmel. 


24 


¥ 


AN  DIE  HOFFNUNG 

ENN  ich  in  meinem  Zimmer  einsam  bin 
Und  häßliche  Gedanken  mich  umdunkeln, 
Wenn  keine  Traumlusi  schmeichelt  meinem  Sinn, 
Aus  kahlem  Leben  keine  Blülen  funkeln. 
Dann,  sü&e  Hoffnung,  schenke  Balsam  du, 
Mil  Silberschwingen  fächle  mich  in  Ruh. 

Und  wenn  ich  wandre  zu  Beginn  der  Nachl 
Durch  Did<ichle,  die  keinen  Mondglanz  kennen. 
Und  wenn  Verzagiheil  mich  bekümmert  macht 
Und  gut  versteht,  von  Frohsinn  mich  zu  trennen. 
Dann  lug  durchs  Laubendach  als  lichter  Stern 
Und  halt  den  Teufel  Kleinmut  von  mir  fern. 

Und  sollt  Verdruß,  der  Verzweiflung  liebt. 

Für  sie  nach  meinem  jungen  Herzen  krallen, 

Die  durch  die  Luft  gleich  schwarzer  Wolke  schiebt 

Und  immer  lauert,  auf  mich  herzufallen. 

Dann,  süfee  Hoffnung,  strahle  deine  Pracht 

Und  scheuche  ihn,  wie  Morgen  scheucht  die  Nadit ! 

Spricht  je  das  Schid<5al  jener,  die  mir  nah, 
Zu  meinem  Herzen  von  betrübten  Sorgen, 
O  Hoffnung,  heiliges  Auge,  lächle  da, 
Lafe  deine  sü^en  Tröstungen  mich  borgen, 
Himmlisches  Leuchten,  Hoffnung,  schenke  du. 
Mit  Silberschwingen  fächle  mich  in  Ruh ! 

Wenn  je  unglücklich  Lieben  an  mir  zehrt 
Zu  einer  grausam  unbarmherzigen  Schönen, 
So  la|  mich  denken,  da|  es  doch  von  Wert, 
Sonette  in  die  Mitternacht  zu  stöhnen! 
O  sü&e  Hoffnung,  schenke  Balsam  du. 
Mit  Silberschwingen  fächle  mich  in  Ruh! 


25 


Im  langen  Lauf  der  Jahre,  die  da  gehn, 
Gib  mir,  da|  unser  Land  der  Ehre  diene, 
Und  la&  midi  wieder  seine  Seele  sehn: 
Die  Freiheit—  nichl  nur  freiheilliche  Miene. 
Besondern  Glanz,  o  Hoffnung,  schenke  du— 
Und  gib  mir  unier  kühlen  Sdiwingen  Ruh! 

Die  grofee  Freiheil,  wei^  und  ungeschmückl, 
Um  deren  Reinheit  Patrioten  sterben, 
LaB  midi  nicht  sehn,  wie  sie  der  Purpur  drückt 
Und  sie  sidi  beugt  und  bietet  dem  Verderben; 
Doch  la|  mich  deine  Silbersdiwingen  sehn, 
Die  glifeernd  breit  in  dunklen  Himmeln  stehn. 

Und  wie  wohl  eines  Sternes  kleines  Licht 
Verheißungsvoll  in  schwarzen  Höhen  funkelt 
Und  milden  Strahls  durch  finstre  Wolken  bricht, 
So,  süße  Hoffnung,  wenn  mein  Sinn  umdunkelt 
Von  trübem  Ahnen,  dann  erscheine  du. 
Mit  Silbersdiwingen  fädile  midi  in  Ruh! 


26 


L 


AUF  DIE  PHANTASIE 

ASS  die  Phantasie  nur  sdiweifen, 
Freude  will  zuhaus  nicht  reifen; 
Denk,  dein  kleines  GIiid<  zerflie&t: 
Regen,  der  aufs  Pflaster  gie&t. 
Drum  lal  Phantasie  nur  streifen. 
Weiter  als  Gedanken  schweifen, 
Riegle  auf  des  Geistes  Tor— 
Lichtwärts  segelt  sie  empor. 
Sü&e  Phantasie  la^  frei, 
Sommers  Freude  flieht  vorbei, 
Und  des  Lenzes  liebe  Lust 
Welkt  wie  all  sein  Blütenblust; 
Herbstes  rote  Früchte  auch— 
Rot  von  Tau  und  Nebelraudi— 
Sind  dir  Uberdrug.  Was  nun? 
Still  am  Herde  sollst  du  ruhn, 
Wenn  die  Glut  zu  Glanz  entfadit 
Geister!  durch  die  Winternacht. 
Wenn  die  Erde  stumm  und  kalt 
Und  der  Schnee  sich  klebrig  ballt 
Um  des  Bauern  plumpen  Schuh, 
Nacht  sich  dehnt  der  Mittnacht  zu 
Und  aus  ihrem  Dunkelland 
Altes  Wirkliche  verbannt, 
Ruhe  dann  und  lag  von  hinnen— 
Ehrfurcht  leite  dies  Beginnen— 
Phantasie  zu  hohem  Flug! 
Genien  dienen  ihr  genug. 
Winter  weife  nur  Frost  zu  weben— 
Sie  wird  Schönheit  wiedergeben. 
Alles  bringt  sie  wieder  dar: 
Sommer,  der  dir  glühend  war. 
All  des  Maimonds  Blülenlasl, 


27 


Tauigen  Stiel  und  dornigen  Ast; 

All  des  Herbstes  reifen  Segen, 

Frudit  und  Duft  und  sanften  Regen, 

Misctit  sie  dir  zu  seligem  Trank— 

Scfilürfe  itin  und  sag  itir  Dank. 

Sctilürfe  itin—  und  zu  dir  zietit, 

Fernelier  ein  Erntelied; 

Reife  Halme  tiörst  du  fallen. 

Hörst  den  Sang  der  Naditigallen, 

Lerdienlust,  die  im  April 

Nie  den  Jubel  enden  will; 

Hörst  den  rautien  Ruf  der  Krätien, 

Die  nadi  Halm  und  Reisig  spätien. 

Und  du  sietist  im  ersten  Grün 

Enzian  und  Primeln  bliihn, 

Lilien  in  wei|er  Practit, 

Rose,  die  zur  Sonne  lactit. 

Und  das  mailichie  Frohlod<en 

Blauer  Hyazinttienglocken, 

Zweige,  Blätter,  Blütentasctien, 

Die  der  Regen  blank  gewasclien. 

Sietist  die  Feldmaus,  die  erwactit 

Lugt  aus  itirem  Wintersdiacht, 

Sctilange,  die  vom  Schlafen  mager, 

Lauert  im  durclisonnten  Lager; 

Sietist  den  Dornbuscti  Nestctien  wiegen. 

Drin  gefleckte  Eier  liegen. 

Und  im  moosigen  Bett  versteckt 

Feldtiutin,  das  die  Flügel  stredct. 

Hörst  die  Bienen,  die  im  Grün 

Summend  hin  und  wieder  ziehn, 

Eicheln,  die  zu  Boden  schlagen. 

Und  des  Herbstwinds  Sang  und  Klagen. 

Sü^e  Phantasie,  la^  frei  1 
2Ö 


Alles  wird  zum  Einerlei, 

Selbst  der  Liebsten  rosige  Wangen 

Scheinen  nidit  wie  einst  zu  prangen. 

Wo  ist  wollt  der  reife  Mund, 

Der  dir  neu  zu  jeder  Stund? 

Wo  ein  Anllife,  noch  so  hold. 

Dem  man  stets  begegnen  wollt? 

Wo  die  Stimme,  noch  so  lieb. 

Die  uns  stets  ein  Wohlklang  blieb? 

Denk  dein  kleines  Glüd<  zerf liefet: 

Regen,  der  aufs  Pflaster  gie|l. 

Drum  lafe  Phantasie  sich  schwingen, 

Sie  wird  dir  ein  Traumbild  bringen, 

Süfe,  wie  einst  Proserpina, 

Eh  der  Gott  der  Qual  sie  sah, 

Weife  von  Leib  und  weife  von  Lenden, 

So  wie  Hebe,  als  in  Händen 

Sie  den  Bedier  hob  und  klirrend, 

Jupiter  den  Sinn  verwirrend, 

Dafe  sein  Blid<  sidi  Sehnsucht  trank, 

Gürtel  ihr  und  Kleid  entsank. 

Auf  das  Nefe!  Gib  frei  die  Zügel  1 

Sdion  hebt  Phantasie  die  Flügel. 

Tore  auf!  Sie  will  entschweben. 

Um  dir  all  dies  Olück  zu  geben. 

Lafe  die  Phantasie  nur  sdiweifen, 
Freude  will  zuhaus  nidit  reifen. 


29 


SCHLAF  UND  POESIE 


¥ 


ÄS  ist  noch  sanfter  als  ein  Sommerwind? 

Ats  Bienensummen,  das  so  still  gelind 

Von  Keldi  zu  Kelch  die  Blütenstrafee  schwingt 

Und  milden  Frieden  in  die  Seele  bringt? 

Was  ist  geruhiger  als  im  Inselgrün 

Der  Moschusrose  unbemerktes  Blühn? 

Heilsamer  als  des  Talwalds  Blätterschwall? 

Geheimer  als  das  Nest  der  Nachtigall? 

Stillheitrer  ats  Cordelias  Angesicht? 

Traumvoller  als  erhabenstes  Gedicht?— 

Nur  du,  o  Schlaf,  der  zart  die  Augen  schlie|t, 

Ein  zärtlich  Lied  in  müde  Seelen  gie&t, 

Der  unser  frohes  Lager  leicht  umschreitet, 

Um  Trauerweiden  Mohngewinde  breitet. 

Der  Mädchenlocken  schweigend  wirrt  und  wendet. 

Nur  du,  dem  jeder  Morgen  Hymnen  sendet. 

Weil  deine  Kräfte  hell  und  froh  beglücken 

Die  Augen,  die  zum  Sonnenaufgang  blicken. 

Doch  was  ist  höher  noch  als  altes  Träumen? 

Was  frischer  noch  als  Frudit  von  Höhenbäumen? 

Was  wundervoller,  sanfter,  königlicher 

Als  Schwanenschwingen  oder  feierlicher 

Als  ferner  Adlerflug?—  Mit  nichts  vergleichen 

Läfet  sich  dies  eine  und  von  nichts  erreichen  1 

Daran  zu  denken,  hei|t  sich  zu  versenken. 

Sich  heiliger  Andacht  liebend  hinzuschenken. 

Es  übersdiauert  uns  mit  Ungewittern, 

Es  rüttelt  uns  wie  unterirdisches  Zittern, 

Und  manchmal  weht's  wie  Flüstern  von  den  vielen 

Geheimnissen,  die  in  den  Lüften  spielen— 

Von  irgend  einem  Wunder  um  uns  her. 

Da  blicken  wir  entzückt  und  spähen  sehr 


30 


Nach  fernem  Glanz,  nach  fremden  Luflgebilden, 

Nadi  einem  Ton  aus  himmlischen  Gefilden 

Und  nadi  dem  Lorbeer,  der  das  Haupl  uns  schmüd<l, 

Wenn  unser  Fu&  die  Erde  nichl  mehr  drüd<i. 

Und  manchmal  kommt  es  voller  Glanz  und  Glocken, 

Und  aus  dem  Herzen  brausen,  oh  Frohlodkenl 

Erhabne  Worle,  die  sich  goliwärls  schwingen, 

5is  Traum  und  Glul  in  Flüslern  still  verklingen. 

Ein  jeder,  der  die  lichte  Sonne  sah 
Und  alle  Wolken,  und  der  rein  und  nah 
Des  ewigen  Schöpfers  Gegenwarl  empfand, 
Mu&  fühlen,  was  idi  meine,  und  in  Brand 
Mu&  jefet  sein  Innres  lohn,  da  ich  ihm  bringe 
So  tief  empfundne  heimatliche  Dinge. 

O  Poesie!  Dir  beten  meine  Worte, 

Dafe  einmal  du  mir  auftun  magst  die  Pforte 

Zu  deinen  Himmeln—  oder  sollt  ich  knien 

Auf  Bergeshöhen  und  die  Harmonien, 

Die  deinem  Mund  entfliehn  und  mich  umschweben. 

Als  dein  getreues  Edio  wiedergeben? 

O  Poesie!  Dir  klagen  meine  Worte, 

Da&  einmal  du  mir  auftun  magst  die  Pforte 

Zu  deinen  Himmeln!  Möge  meinem  Flehen 

Ein  Lüftchen  nur  aus  diesen  Himmeln  wehen. 

Das—  Lorbeerblüten  eine  luftige  Wiege— 

Mir  trunkne  Wollust  bringt,  der  ich  erliege. 

Dann  steigt  vielleicht  mein  Geist  am  Sonnenlicht 

Empor  und  schaut  Apoll  ins  Angesicht; 

Und  kann  ich  höchste  Seligkeit  ertragen. 

So  werd  ich  bis  ins  Heiligste  mich  wagen. 

Da  wird  dann  moosige  laubverborgne  Stelle 

Mir  zum  Elysium—  zur  ewigen  Quelle, 


31 


Zum  Buch,  drin  viel  Entzückendes  zu  lesen 

Von  Blall  und  Blume  und  von  Spiel  und  Wesen 

Der  Wald-  und  Wassernymphen  und  von  Zweigen, 

Die  eines  Mädchens  Schlummer  kühl  umschweigen. 

Und  mancher  Vers  von  sellsam  fremder  Art, 

Der  wie  aus  andrer  Well  sich  offenbar!. 

Auch  Phantasien  werden  mich  umschweben. 

Mir  feierschöne  Traumvisionen  geben; 

In  frohem  Schweigen  will  ich  sie  durchziehn, 

So  wie  durch  Schluchieneinsamkeii  und  Grün 

Der  Flu&  Mäander  seine  Schleifen  zieht. 

Und  komm  ich  in  verwunschenes  Gebiet, 

In  Zaubergrotte,  in  erhabnen  Schatten, 

Auf  himmelferne  grüne  Bergesmatten, 

Die  strahlend  stehn  im  bunten  Blumenkleid, 

Verschämt  in  ihrer  eignen  Lieblichkeit— 

Dann  schreib  ich  das,  was  Menschensinn  versteht, 

Auf  meine  Tafeln,  dal  es  nicht  vergeht. 

Und  werde  dieser  Welten  Vielgestalten 

Mit  Riesenkräften  greifen,  fühlen,  halten 

Und  meinen  Geist  mit  Sporn  und  Ehrgeiz  plagen. 

Bis  an  den  Schultern  ihm  die  Schwingen  ragen, 

Die  jedes  Hemmnis  freudig  überwinden, 

Ihn  aufwärts  ziehn,  Unsterblichkeit  zu  finden  1 

Doch  halt,  bedenk!  Ein  einziger  Tag  ist  Leben- 
Tautropfen,  der  aus  Wipfellaub  soeben 
Herniederrinnl-  des  Wüden  Schlaf  im  Kahn, 
Den  Wirbelslrude!  rife  in  Todesbahn. 
Warum  so  schmerzliche  Vergleiche  geben? 
Blühsehnsuch!  einer  Rose  is!  das  Leben, 
Ein  Buch,  darin  viel  Abenleuer  sind. 
Ein  übermüüges  Mädchenluch  im  Wind, 
Ein  Vogel,  der  durdi  Sommersonne  gleüet. 


32 


Ein  Knabe,  der  auf  Ulmenästen  reitet 

Und  tiimmelfern  von  Sorge,  Gram  und  Denken. 

O  nur  zelin  Jatire,  tief  micli  zu  versenken 
In  Poesiel  da^  ich  das  Ziel  erfülle. 
Das  von  mir  selbst  verlangt  mein  eigner  Wille; 
DaB  ich  durch  diese  Lande,  die  ich  sehe. 
Mit  unermüdlich  wachen  Augen  gehel 
Des  alten  Pan  und  Floras  üppiges  Reich 
Durchstreife  ich  zunächst;  im  Gras  am  Teich 
Geh  ich  zur  Ruh  und  pflücke  reife  beeren 
Und  darf,  was  Phantasie  nur  sieht,  begehren: 
Im  Waldversteck  die  wei&en  Nymphen  fangen. 
Der  Sträubenden  viel  Küsse  abverlangen. 
Auf  zarte  Schultern  liebevoll  vermessen 
Inbrünstig  diese  kleine  Wunde  pressen. 
Die  sie  erschauern  macht,  bis  voll  Erbarmen 
Die  Spröde  mich  umfängt  mit  Weibesarmen. 
Und  andre  ruft  mit  anmutvollem  Lächeln 
Ein  Taubenpaar,  mir  Kühlung  zuzufächeln. 
Und  andre  tanzt  und  schwingt  mit  flüchtiger  Hand 
Rund  um  den  Kopf  ihr  grünendes  Gewand  — 
Und  tanzt  und  tanzt  mit  wohlgefälligem  Fug 
Und  lächelt  5aum  und  Blumen  ihren  Grufe. 
Und  andre  lockt  und  winkt  und  lockt  und  winkt 
Mich  durch  den  Hain,  der  hell  in  Blüten  blinkt, 
Bis  tief  in  seine  Blällereinsamkeil; 
Dort  liegen  wir  in  solcher  Traulichkeil 
Verkettet  und  verschlungen,  wie  beisammen 
Im  stillen  Muschelhaus  zwei  Perlen  flammen. 

Und  kann  ich  diese  Freuden  je  verlassen? 
Ich  muB  es  wohl,  um  Edleres  zu  fassen. 
Ein  Leben,  das  mich  alle  Leiden  lehrt: 
Was  Menschenherz  erkämpft,  erträgt,  begehrt. 


33 


Denn  oh:  von  dort,  wo  Sergesklüfte  blauen, 

Gleiiel  ein  Wagen  tier  aus  Woll<enauen, 

Den  Mähnenrosse  ziehn;  der  Lenker  blickt 

Aus  in  den  Wind,  ehrfürchtig  und  beglückt. 

Und  jefel  ersdiauert  leise  das  Gespann 

Am  Wolkenrand;  doch  munter  kommt  sodann. 

Vom  Sonnenauge  rings  umstrahlt  mit  Gold, 

In  Fröhlichkeit  das  Rad  herabgerollt. 

Und  immer  tiefer  wirbeln  seine  Speidien, 

Bis  sie  den  grünen  Hügelhang  erreichen; 

Dort  bleibt  der  Wagen  zwischen  Gräsern  stehn. 

Der  Lenker  spricht—  wie  seltsam  anzusehn— 

Zu  5erg  und  Bäumen,  und  alsbald  erscheinen 

Gestalten,  die  da  jubeln,  staunen,  weinen; 

Sie  wandern  her  auf  grausig  düstern  Wegen, 

Wo  mächtige  Eichen  dräun—  und  rastlos  regen 

Sie  müden  Fu|,  als  wollten  sie  ein  Lied 

Erjagen,  das  mit  flüchtigen  Winden  flieht. 

Horcht  wie  sie  murmeln,  lächeln,  lachen,  weinen. 

Mit  herbem  Mund,  erhobner  Hand  die  einen, 

Und  andre  haben  tief  in  ihren  Armen 

Den  Kopf  begraben;  manche  gehn  im  warmen 

Und  hellen  Glanz  der  lugend  durch  das  Grau, 

Zurück  sehn  diese,  jene  hoch  ins  Blau. 

Von  lausenden  hat  jeder  seine  Weise, 

Und  tausend  ziehn  vorbei.  Im  Schwesterkreise 

Kommt  tanzend  eine  Mädchenschar  geschwirrt. 

Das  lange  Haar  in  Lod<en  aufgewirrt. 

Nun  breite  Schwingen,  lener  dort  im  Wagen 

Beugt  weit  sich  vor,  und  seine  Blid<e  fragen. 

Er  scheint  zu  lauschen,  seine  Wangen  brennen. 

Er  sdireibt—  oh  dürft  idi  dies  Geschriebne  kennen! 

Die  Bilder  sind  entflohn—  Gespann  und  Wagen 


34 


Entflohn  ins  Himmellichf;  midi  aber  plagen 
Nun  doppell  schwer  die  ganz  realen  Dinge. 
Es  isl,  als  ob  die  Seele  unierginge 
In  Iriibem  Slrom,  im  Nichls.  Doch  idi  will  sehr 
Mich  gegen  Zweifel  wehren:  wach  und  hehr 
Sei  mir  der  Wagen  und  die  sellne  Fahrl, 
Die  er  gemachl. 

Hai  denn  die  Gegenwart 
Nichl  Raum  genug,  da|  Phantasie  sich  hebe 
Und  wie  in  allen  Zeilen  hoch  entschwebe, 
Die  Rosse  schirre,  lichtwärts  sie  zu  tragen, 
Um  sonderbare  Taten  dort  zu  wagen 
In  Wotl<enfernen?  Zeigte  sie  uns  nicht 
Das  Atemhaudien  des  Vergißmeinnicht 
So  gut  wie  hoch  des  Äthers  reines  Wehen? 
Läßt  sie  uns  nicht  den  tiefen  Sinn  verstehen 
Von  lupiters  weitschweifigen  Äugenbrauen— 
Und  lä|l  uns  doch  die  kleinen  Wiesen  schauen 
Im  zarten  Frühtingsgrün?  Ihr  Altar  ragte 
Auch  hier  auf  dieser  Insel;  wer  wohl  wagte 
Den  Chor  zu  übertönen,  der  ihr  scholl. 
In  Harmonien  brausend  aufwärts  schwoll. 
Bis  er  im  Weltenraum  sich  selbst  verdichtet 
Und  maditvoll  l<reisend  Klang  auf  Klang  gesdiidilel 
Zu  riesigem  Planet,  der  ewig  rollt 
Und  ewig  tönend  durch  Äonen  lolli? 
Ach,  damals  waren  sie  nodi  sehr  geehrt. 
Die  edlen  Musen,  und  man  hielt  sie  wert. 
Und  l<eine  Sorge  l<onnte  sie  bedrüd<en. 
Als  nur  zu  singen,  singend  zu  beglücken. 

Könnt  alt  dies  der  Vergessenheit  verfallen? 
ja.  Streit  und  Trug  und  Barbarei  vor  allen 


35 


War  sdiuld,  da&  sich  Apoll  errölend  wandle. 
Der  galt  bei  Menschen  weise,  der  nichl  kannle 
Apollos  iierrlidikeil;  ach,  sie  regierlen 
Ein  hölzern  Schaukelpferd  und  Iriumphierien 
Und  hiefeen's  Pegasus.  O  Geistesnadil! 
Das  Wellmeer  rolUe  seine  Wogenpradit, 
Die  liimmelswinde  bliesen,  und  das  Blau 
Enlblö^le  seine  ewige  5rusl;  der  Tau 
Beperlle  hell  das  Kleid  des  Sdimellerlings 
Und  sdimüd<le  alles:  Schönheil  wachle  rings! 
Was  warel  ihr  nichl  wach?  Doch  ihr  warl  blind 
Für  das,  was  fremd  euch  war—  ein  Labyrinth 
Kleinlidier  Regeln,  elender  Gesefee 
Hiell  euch  gefangen,  und  in  diesem  Nefee 
Lieft  ihr  einher  und  fingl  eudi  Verse  ein— 
Die  wu&iet  ihr  in  Ordnung  aufzureihn 
Und  zuzuslufeen.  Leidil  war  das  Geschäft, 
Handwerker  ihr,  die  lüstern  nachgeäfft 
Der  Poesiel  O,  wie  ihr  gottlos  wartl 
Ihr  lästertet  des  Gottes  Gegenwart 
Und  wu&let's  nidit—  o  nein!  Ihr  gingt  einher 
Und  sdiwenktel  eure  arme  Fahne  sehr. 
Die  schales  Motto  trug,  darunter  grofe 
Ein  Wort:  Boileau! 

O  die  ihr  körperlos 
Und  ewig  unsre  grünen  Höhn  umschwebt, 
O  ihr,  vor  denen  meine  Seele  bebt 
In  so  viel  Ehrfurcht,  dafe  sie  wahrlich  nidit 
Die  heiligen,  verehrten  Namen  spridit 
Vor  so  unheiligem  Volk.—  Hat  euch  die  Sdiande 
All  derer  nidit  entsefel?  Hat  eudi  am  Strande 
Der  Themse  das  Geiammer  wohl  ergöfet? 
Hat  euer  Weinen  nie  das  Land  genetjl 


36 


Am  sdiönen  Avon,  niemals  dorl  geklagi? 
O  nein,  ihr  habt  wohl  ganz  lebwohl  gesagt 
Der  Gegend,  die  den  Lorbeer  nicht  mehr  kannte, 
Und  nur  gezögert  noch,  um  euch  verwandte 
Einsame  Seelen  liebend  zu  umfangen. 
Die  schon  in  lugend  sich  zu  Tode  sangen?— 
Doch  ich  will  nicht  der  schweren  Zeiten  denken, 
Es  brachen  sdiönre  an,  denn  mit  Geschenken, 
Mit  frischen  Kränzen  habt  ihr  uns  beglückt. 
Und  an  so  manchem  Ort  hört  man  entzüd<t 
Viel  sü&esle  Musik:  bald  ist's  ein  Sdiwan, 
Des  sdiwarzer  Schnabel  auf  kryslallner  5ahn 
Das  Wasser  weckte—  und  des  Wassers  Singen; 
Bald  tropft  ein  melandiolisch  Flötenklingen 
Aus  Dornendickidil,  traut  im  Tal  verschlossen; 
Die  Erde  ist  von  zartem  Laut  umflossen: 
5eglüd<t  seid  ihr  und  froh! 

Gewi^l  Doch  dröhnte 
Oft  donnergrollend  der  Gesang  und  höhnte 
Die  edle  sü&e  Majestät  der  Kunst: 
Das  Plumpe,  Bärenhafte  kam  in  Gunst, 
Und  Polypheme,  die  sich  Dichter  nannten 
Und  als  Zerstörer  gegen  Throne  rannten. 
Begannen  roh  durchs  gro&e  Meer  zu  wühlen. 
Dodi  Poesie  ist  anders,  ist  zu  fühlen 
Als  breiter  ewiger  Strom  des  Lichts,—  ist  Madil, 
Die  niemals  schläft,  doch  stets  nur  milde  wadit: 
Sie  ruht,  und  mit  dem  Sdiwung  der  Augenlider 
Zwingt  sie  sidi  Tausende  gehorsam  nieder. 
Und  Güte  ist  ihr  Szepter;  Kraft  allein, 
Auch  Musenkraft,  kann  nur  ein  Engel  sein. 
Der  fiel  und  Freude  hat  an  Nadit  und  Dornen, 
An  Grab  und  Leichentuch  und  an  verworrnen 
Und  aufgewühlten  Dingen  und  vergibt. 


37 


Da6  aller  Dichtung  Ziel  die  Liebe  isi, 

Die  freundlidi  Irösiel  und  den  Sinn  erhebt. 

Doch  ich  frohlod<e,  denn  aus  billrem  Kraut 
Hebt—  schöner  als  ihn  Paphos  je  erschaut— 
Ein  Myrthenbaum  die  vollbeladnen  Äste 
Und  feiert  seine  immergrünen  Feste 
Mit  all  den  Vögeln,  die  voll  Fröhlichl<eit 
In  seinem  Schüfe  zu  Scherz  und  Spiel  bereit, 
Und  die  den  bluten  ihre  Lieder  singen. 
So  la^t  uns  durch  das  Dickicht  zu  ihm  dringen 
Und  um  ihn  her  die  Dornenbrut  vernichten. 
Dann  finden  einst  die  jungen  Rehe  dichten 
Und  blumigen  Rasen  hier—  nichts  störe  sie 
Als  eines  Liebenden  gebeugtes  Knie, 
Nichts  andres  teile  ihre  Einsamkeit 
Als  eines  Träumenden  Gelassenheit) 
Heil  euch,  ihr  lieben,  hoffnungsvollen  Träume! 
Nun  bahnt  sich  Phantasie  durch  enge  Räume 
Den  Weg  zu  allem  Lieblichen  und  Schönen, 
Und  die  wird  man  zu  Dichlerkönigen  krönen. 
Die  herzensfrohe,  schlichte  Dinge  geben. 
O  dürft  ich  diese  Freuden  noch  erleben  1 

Wird  man  nidit  sagen,  meine  Rede  sei 
Gar  sehr  verwegen,  solche  Schwärmerei 
Verstumme  lieber  und  verberge  sich. 
Denn  unklug  sei  es  sehr,  so  wissentlich 
Sich  abzuwenden  von  den  breiten  Pfaden, 
Den  Donnerkeil  auf  sich  herabzuladen? 
Nein!  Flüchte  ich,  so  sei  es  nur  zur  Sdiwelle 
Der  Poesie,  in  ihre  Tempelhelle! 
Und  fall  ich  hier,  so  wird  man  mich  bestatten 
In  tiefem  feierstummen  Pappelschatten: 
Geschornes  sanftes  Gras  wird  mich  beded<en 


36 


Und  ein  Gedenkworl  die  Erinnrung  wed<en. 
Doch  fori,  Verzweiflung!  Elendes  Verderben! 
Dich  solllen  die  nichi  kennen,  die  da  werben 
Um  edles  Ende,  denen  ewig  dürstet! 
Obgleich  kein  breites  Wissen  mich  gefürstet 
Und  ich  nicht  weife,  wie  sich  die  Winde  drehen. 
Die  hier-  und  dorthin  auseinander  wehen, 
Was  Menschen  tief  ersannen,  und  obgleidi 
Nicht  helle  Einsicht  aus  dem  dunklen  Reich 
Der  Seele  kommt,  besiegend  jede  Schranke, 
Rollt  doch  vor  mir  ein  Stern,  ein  Weltgedanke, 
Der  mich  durdistrahlt  und  der  mich  frei  gemadit, 
SodaB  in  mir  ein  klares  Bild  erwacht 
Von  Zweck  und  Ziel  der  Poesie;  so  klar 
Ist  mir  dies  Wissen  wie:  dafe  jedes  Jahr 
Vier  Zeiten  hat—  so  hell  und  fest  gegründet 
Wie  auf  dem  Dom  das  Kreuz;  und  so  verkündet 
—  O  welch  ein  Feigling  war  ich,  wenn  ich  zagte  — 
Mein  Mund  getrost,  was  ich  zu  denken  wagte. 
Ach,  lieber  lafet  mich  wandeln  blind  und  toll 
Am  Rand  des  schwarzen  Abgrunds,  lieber  soll 
Mein  Schwingenpaar  an  Sonnenglut  zergehen, 
Dafe  ich  kopfüber  stürze!—  Still,  lafe  sehen! 
Mein  Innres  mahnt  zu  mehr  Bedachtsamkeit: 
Ein  dunkles  Meer  dehnt  unermeßlich  weit. 
Besternt  mit  Inseln,  seine  breiten  Wellen. 
Weldi  rastlos  Mühn!  Welch  ungeheures  Schwellen! 
Wie  könnt  ich  je  dies  ganze  Meer  durchziehen! 
Vermessenheit!  Nun  müßt  ich  auf  den  Knieen 
Das  widerrufen,  was  ....  Unmöglich!  Nein) 

So  will  idi  ruhig  und  besdieiden  sein. 
Mag  dieser  stürmende  Versuch,  der  zart 
Begann,  verebben  auf  gleich  sanfte  Art, 


39 


Und  Friede  seil  Und  herzlich  sei  gedacht 

Der  Freundschafl,  die  so  hilfreich  sanfier  mach! 

Den  rauhen  Pfad  zum  Ruhm,  der  Brudergüte, 

Die  gern  ihn  schmückt  mit  mancher  lieben  Blüte,— 

Des  innigen  Händedrucks,  der  Herzen  bindet. 

In  Herzen  tiefe  Freudigkeit  entzündet, 

DaB  unbew  u&t  wohl  ein  Sonett  entsteht 

Und  uns  wie  Traumwort  von  den  Lippen  weht, 

Begeistrung  weckt  und  andachtvolles  Schweigen. 

Ein  ähnliches  Empfinden  mag  sich  zeigen, 

Wenn  wir  mit  kindlich  ehrfurchtsvoller  Hand 

Aus  seinem  stillen  Plafe  im  Bücherstand 

Ein  sehr  geliebtes  Buch  geholt  und  nun 

Uns  freun,  den  ersten  Blick  hineinzutun. 

Kaum  kann  ich  weitersdireiben,  denn  es  heben 

Sich  Melodien,  die  Erinnern  geben 

An  manches,  was  mich  damals  tief  beglückte. 

Als  es  zuerst  die  Seele  mir  entzückte: 

Und  es  erscheinen  mutige  Gestalten, 

Die  sichern  Griffs  den  heilen  Renner  halten— 

Und  Finger  seh  ich  prächtige  Locken  teilen— 

Und  Bacchus  wild  zu  Ariadne  eilen. 

Und  vieles  zieht  aus  flüchtigem  Wort  herauf. 

Schlag  idi  versonnen  ein  Portfolio  auf. 

Derartige  Dinge  sinds,  die  eine  Fülle 
Von  Büdern  wecken:  durch  die  Abendslille 
Im  Binsenwald  des  Schwans  geruhiger  Zug, 
Im  Dorngeheg  des  Hänflings  hastiger  Flug, 
Ein  durstiger  Falter,  der  zur  Rose  fliegt 
Und  lustdurchbebt  die  goldnen  Flügel  wiegt, 
Und  manches  Schöne  mehr  wei&  ich  zu  finden; 
Vor  allem  ihn  mit  seinen  Mohngewinden, 
Den  stillen  Schlaf,  denn  was  an  diesem  Sang 


40 


Zu  schaben,  dank  ich  ihm  zumeist:  der  Klang 
Geliebter  Stimmen  hatte  Plafe  gemacht 
Dem  gleich  geliebten  Wort  der  stillen  Nacht, 
Und  in  die  Kissen  lehnt  ich  mich  zuriicl< 
Und  sann  dem  Tage  nach  und  seinem  Glück. 
Es  war  in  eines  Dichters  Haus;  da  haben 
Geweihte  Ställen  alle  Freudengaben. 
Rings  von  den  Wänden  lächelten  der  alten 
Und  gro|en  Barden  ewige  Gestalten 
In  5ild  und  Büste  still  einander  an. 
Wohl  dem,  der  auf  die  Zukunft  hoffen  kann 
Für  seinen  Liebling  Ruhm!—  Dann  sah  ich  hier 
Der  Faune  und  der  Satyrn  wilde  Gier 
Im  duftigen  Weinlaub  wühlen  und  mit  ked<en 
Gebärden  braune  haarige  Hände  red<en 
Nach  eines  Apfelbaumes  reifer  Frucht; 
Dann  ragte  eines  Tempels  Marmorflucht, 
Zu  dem  ein  Mädchenzug  sich  hinbewegte, 
Auf  grünem  Teppich  schöne  Fü&e  regte: 
Die  Lieblichste  hielt  hoch  die  wei^e  Hand 
Dem  Glanz  des  Sonnenaufgangs  zugewandt; 
Dann  zweier  Schwestern  freundliche  Gestalten, 
Die  sich  bedächtig  an  den  Händen  halten. 
Und  zwischen  ihnen  tappt  ein  kleines  Kind; 
Und  andre  siehn  und  lausdien  in  den  Wind, 
Der  tauiges  Flötenspiel  herüberbringt.— 
Ein  ander  Bild:  Diana  nah  umringt 
Von  kecker  Nymphenschar  im  kühlen  Bade! 
Dort  wo  das  Wasser  schaukelt  ans  Gestade, 
Ist  es  von  Wasserlinsen  ganz  verhangen 
Mit  grünem  Schleier,  der  in  tiefen,  langen, 
Rhythmischen  Atemzügen  steigt  und  fällt. 
Ganz  wie  der  Wasserspiegel  ebbt  und  schwellt. 
Auch  Sappho  stand  mit  halbem  Lächeln  dort, 


41 


Der  sanften  Stirne  herber  Ernst  war  fort, 
Und  milden  Blid<s  und  lieitren  Angesidifs 
Sati  sie  lierab  und  lädielle  ins  Nichts. 

Und  Alfreds  Bild  hing  hier  und  blickte  traurig, 
Als  lausche  er  beständig  auf  das  schaurig 
Hilflose  Stöhnen  der  geguälten  Welt; 
Und  jener  andre  leidensstarl<e  Held, 
Kosciusko,  groB  und  einsam  und  verlassen. 

Petrarcas  Herzerschrecken  und  Erblassen 
Beim  Anblick  Lauras,  und  sein  Blid<,  der  nicht 
Von  ihrem  Antlife  lä6t!  O  hier  ist  Licht 
Und  höchstes  Glüd<,  denn  über  ihnen  waltet 
Der  Glanz  der  Poesie,  und  frei  entfaltet 
Sie  ihre  Schwingen  und  erschaut  im  Kreis 
Viel  Dinge,  die  ich  nidit  zu  nennen  wei|.— 

Schon  das  Bewu|tsein,  wo  idi  war,  genügte 
Den  Schlummer  fern  zu  halten,  doch  es  fügte 
Sich  überdies  Gedanke  an  Gedanke 
Und  bannte  mich,  so  da|  des  Morgens  sdiwanke 
Liditpfeile  mich  nodi  immer  wachend  fanden. 
Da  bin  ich  frisch  und  fröhlich  aufgestanden, 
Um  auszuführen,  was  ich  mir  ersann: 
Dies  Bildgewebe,  das  ich  schlaflos  spann. 
Mir  festzuhalten.  Ist's  nidit  gut,  so  wi^t. 
Mir  ist  es  lieb,  weil  es  mein  Odem  ist. 


42 


1SA5ELLA  ODER  DER  BASILIKUMTOPF 

SCHÖN  Isabell  wie  eine  Lilie  rein! 
Lorenzo  einem  jungen  Palmbaum  glich! 
Des  atemlosen  Sehnens  slarre  Pein, 
Wenn  sie  einander  sahn,  sie  jäh  beschlich; 
Doch  durften  sie  einander  nahe  sein, 
So  war's  als  ob  ein  Alp  von  ihnen  wich; 
Und  einsam,  nachts,  wenn  sie  einander  fern, 
Verband  sie  eines  Traumes  heller  Stern. 

Mit  jedem  Tag  ward  zärtlicher  ihr  Herz 
Und  zärtlicher  und  liefer  jede  Nacht. 
In  Haus  und  Feld  litt  er  der  Liebe  Schmerz, 
bis  klar  vor  seinem  Blick  ihr  Bild  erwacht. 
Und  slifeer  schien  sein  Wort  ihr  als  der  Scherz 
Des  Windes,  der  in  Blättern  spielt  und  lacht; 
Die  Laute  sang  ihr  seinen  Namen  nach. 
Den  ihre  Nadel  in  die  Seide  stach. 

Er  wu|te  gut,  wenn  ihre  zarte  Hand, 
Noch  eh  sie  selbst  erschien,  die  Tür  berührt; 
An  ihrem  Fenster  hing  sein  Blick  gebannt. 
Bis  er  zu  ihm  ihr  schönes  Bild  entführt; 
Er  sah  zum  Sternenhimmel  unverwandt. 
Weil  er  in  ihm  ihr  Nachlgebel  verspürt; 
In  banger  Qual  verbrachte  er  die  Nacht, 
Bis  auf  der  Treppe  hell  ihr  Schritt  erwachl.— 

Es  war  ein  langer  unruhvoller  Mai, 

Er  grämte  ihre  jungen  Wangen  bleich. 

„Ich  schwöre  mir,  dafe  es  nun  morgen  sei. 

Ja,  morgen  fleh  ich  um  mein  Königreich!"  — 

„O  wann,  Lorenzo,  wird  dein  Sehnen  frei 

Und  spricht  ein  Wort,  ein  Wort,  das  himmelgleich?' 


43 


So  Iräumien  sie  in  Nachi  und  Einsamkeii— 
Der  Tag  fand  ihn  zu  reden  nidil  bereit. 

Und  als  der  Rosen  frohe  Pradit  erblühl, 
Ward  Isabellens  Wange  fahl  und  schmal. 
Wie  einer  Muller  Wange,  die  verblühl 
Bei  ihres  Kindes  Fieberkampf  und  Qual. 
„Wie  krank  sie  isl,"  sprach  er,  „o  mein  Gemüt, 
Nun  sdiweige,—  nein,  bekenne  deine  Wahl: 
Die  Tränen,  ihre  Tränen  sind  ja  dein, 
Und  deinem  Leiden  wohl  gilt  ihre  Pein." 

So  spradi  er  zu  sidi  selbst.  Den  ganzen  Tag 

War  seines  Herzens  Schlag  wie  Hammerklang, 

Weil  seine  Seele  in  Inbrünsten  lag 

Und  betete  um  Mut  und  fiel  und  rang. 

Der  Hochflut  seines  Blutes  unterlag 

Der  Stimme  Kraft  und  seiner  Sehnsucht  Zwang; 

Sie  wurde  sanft,  demütig  wie  ein  Kind: 

Ja,  sanft  und  dennodi  wild,  wie  Kinder  sind. 

So  war  es  beinah  wiederum  geschehn, 
Da&  trüb  die  Nacht  sein  Liebesleid  umsdilol. 
Hält  Isabella  nicht  den  Blid<  gesehn, 
Der  hingegeben  ihr  sein  Herz  ergofe; 
Und  seine  Slirne  sah  sie  bleidi  vergehn 
Und  wieder  jäh  sich  röten;  adi,  da  flo^ 
Von  ihren  Lippen  zag  der  süfee  Laut: 
„Lorenzo!"—  ihr  aus  Träumen  so  vertraut. 

„O  Isabella  I  Ist  es  mehr  als  Traum, 
Dafe  ich  dir  sagen  darf  von  meinem  Weh? 
O  Gütige!  Gib  der  Verzeihung  CJaum, 
Da  ich  so  kühn,  so  hoffend  vor  dir  steh! 
Sieh,  meine  Seele  bebt  und  atmet  kaum. 
Weil  idi  in  deinem  Aug  ihr  Sdiid^sal  seh— 


44 


Doch  keine  Nachl  soll  mehr  in  Qual  vergehn, 
Nein,  frei  will  ich  mein  Hoffen  dir  geslehn! 

Liebe  1  Du  wecklest  midi  aus  kaller  Nachl! 
Herrin!  Du  führesl  mich  in  Sommerglull 
Dem  Ku&  des  Sonnenmorgens  sind  erwach! 
Alltausend  Blüten,  die  im  Lenz  geruht!"  — 
Die  Seligkeil  von  seinem  Antlib  lacht, 
Und  seine  scheuen  Lippen  finden  Mut. 
O,  ihre  Wonne  wuchs  so  licht  empor. 
Wie  in  den  Morgen  rings  der  Blumenflor. 

Und  scheidend  schwebten  sie  so  leichtbeschwingt 
Wie  Zwillingsrosen,  die  ein  Zephir  wiegt 
Und  trennl  und  inniger  zusammenbringt, 
Da&  Duft  in  Duft  und  Glut  in  Glut  sich  schmiegt. 
Sie  schritt  und  sang:  „In  meinem  Herzen  singt 
Ein  Vöglein,  das  der  Liebeslust  erliegt .  .  ." 
Und  er  stieg  einen  Hügel  schnell  hinan 
Und  belele  die  Abendsonne  an. 

Und  eh  die  Dämmerung  den  Schleier  hob 
Vom  Sternenlicht,  war  eins  dem  andern  nah. 
Und  eh  die  Dämmerung  den  Schleier  hob. 
War  jeden  Abend  eins  dem  andern  nah. 
In  stiller  Laube,  die  Muskat  umwob, 
Wo  keiner  je  sie  hörte  oder  sah— 
Ach,  gut  und  sü&  war  die  Verborgenheil, 
So  fern  den  Menschen  und  so  fern  dem  Leid. 

Doch  als  das  Leiden  kam,  traf  es  sie  sehr?- 
O  nein!  zu  tief  ist  unser  Mitgefühl, 
Die  Tränen  bittrer  Wehmut  sind  zu  schwer. 
Die  Mitleid  weint  an  ihrem  lefeten  Pfühl, 
Und  Liebende,  die  leiden,  gibt  es  mehr. 
Die  wohl  am  beslen  ruhten  still  und  kühl; 


45 


Nur  Theseus,  adi,  fand  selbsi  im  Tod  nidit  Ruh: 
jenseiis  des  Meers  nicki  sein  Gemahl  ihm  zu. 

Doch  pflegt  es  in  der  Liebe  so  zu  sein, 
DaB  ihr  ein  sü|er  Augenbhck  aufwiegt 
Ein  vollgeriittelt  Mafe  von  Gram  und  Pein. 
Obgleich  schön  Isabell  vom  Harm  besiegt 
Und  auf  Lorenzos  Grab  kein  Marmorslein 
Sich  glei&end  spreizt—  ja  dennodi,  dennodi  liegt 
In  Bitternis  selbst  Lust,  das  wei&  gar  gut 
Die  Biene,  die  am  Giftkelch  saugend  ruht. 

Mit  zweien  Brüdern  lebte  Isabell; 
Sie  trieben  Handel  nach  ererbtem  Braudi. 
Es  plagte  sich  für  sie  manch  jung  Gesell 
In  dumpfer  Gruben  faulem  Dunst  und  Reudi; 
Manch  krafigestraffte  Lende  siechte  schnell 
An  Wunden,  die  die  Peitsdie  hieb,  und  auch 
Im  Glanzgeflirr  des  Flusses  mandier  stand, 
Der  Erzgewinnung  opfernd  Aug  und  Hand. 

Es  stieg  der  Taucher  zu  des  Haifischs  Gier 
Hinab  in  Indiens  Meere  nur  für  sie. 
Die  Robbe  sdirie,  ein  pfeilgespid^tes  Tier, 
Auf  wei&er  Eisprairie,  sterbend  für  sie. 
Und  Leidgeschlagne  gab  es  tausend  schier, 
Die  Tag  und  Nacht  sidi  schindeten  für  sie; 
Wie  mahlte  doch  der  Geldgier  blinde  Sudit 
Für  diese  Armen  gar  so  bittre  Frucht] 

Woher  ihr  Stolz?  Weil  der  Fontänen  Strahl 
Viel  stolzer  strömt,  als  müdes  Elend  weint?— 
Woher  ihr  Stolz?  Weil  sanfter  sidi  zu  Tal 
Orangenhügel  stufen,  als  versteint 
Die  Stufen  abwärts  führen  vom  Spital?— 
Woher  ihr  Stolz,  dem  Milde  nicht  vereini? 


46 


Woher  ihr  Siolz,  den  gar  kein  Leiden  schmolz? 
Woher  in  Teufels  Namen  all  ihr  Slolz? 

Es  schlössen  diese  Florenliner  so 
In  blinder  Gier  sidh  ab  von  aller  Well 
Wie  zwei  Hebräer,  die,  verfilzt  und  roh. 
Von  Ha&  verfolgt,  ganz  nur  auf  sich  gestellt. 
Maulesel  waren  sie,  die  Gold  und  Stroh 
In  Speicher  schleppten,  brüderlich  gesellt 
Dem  Lug  und  Trug  und  nimmersatten  Geiz, 
Denn  nur  Gewinn,  Gewinn  bot  ihnen  Reiz. 

Ach,  wie  erspähten  diese  Blinden  nur 
Sdiön-Isabell  im  heimlich  stillen  Nest? 
Und  in  Lorenzos  Blid<  die  sli&e  Spur 
Vom  Liebesfest?—  O  ganz  Egyptens  Pest 
In  ihren  Argwohn,  der  dies  Glüd<  erfuhr! 
Wie  t<annten  diese  Blinden  Ost  und  West? 
Doch  wer  zu  ihnen  kam,  arglos  und  mild. 
Der  wurde  bald  ein  müdgehefetes  Wild.— 

O  vielberedter,  vielberühmter  Mann, 
Boccacc',  idi  flehe  um  Vergebung  dich; 
Die  Düfte  deiner  Myrthen  fleh  ich  an 
Und  deine  Lilien,  deren  Rot  verblich. 
Seit  deiner  Laute  Lefelakkord  verrann, 
Und  deine  Rosen,  die  dem  Monde  sich 
Verlobt—  vergebt  der  schrillen  Dissonanz 
In  dieses  Liedes  schlichtem  Blütenkranz. 

Vergib  mir,  Diditerl  Und  es  wird  mein  Sang 

Fortschreiten  nun  in  schid<lich  ernstem  Stil. 

Welch  toller  Einfall  war  es,  der  mich  zwang 

Um  alte  Kunde  neuer  Reime  Spiel 

Zu  ziehnl  Doch  ist's  geschehn  (und  wenn's  mi|lang) 

Zu  deinem  Preis,  denn  sieh,  es  war  mein  Ziel, 


47 


Die  Blüle,  die  dem  Süden  sü|  entsprang, 

Zu  wed<en  in  des  Nordwinds  wildem  Klang.— 

Die  Brüder  also  halten  bald  entdeckt, 
Wie's  um  Lorenz  und  Isabell  beslellt. 
Wie  wurde  da  itir  böser  Zorn  gewed<t. 
Da  nun  ein  langgehegler  Plan  zerschellt! 
Sie  sahen  sich  von  ihm,  der  sich  erkeckt, 
Zu  ihrer  Schwester  aufzusehn,  geprellt. 
Denn  ihre  Habsucht  traf  schon  längst  die  Wahl: 
Ein  reidier  Grundherr  nur  sei  ihr  Gemahl. 

Und  ha&erfüllt  berieten  nun  die  zwei. 
Und  jeder  grübelte  für  sich  allein. 
Bis  sie  sich  einig,  was  das  Beste  sei. 
Von  jenem  Lästigen  sich  zu  befrein. 
Und  endlich  war  erdacht  die  Teufelei, 
Und  endlich  kamen  beide  überein: 
An  irgend  einem  fernverborgnen  Ort 
Mord  zu  begehen—  schauerlichen  Mord. 

Und  so,  als  einst  im  frühen  Morgenlidit 

Auf  dem  Altan  Lorenzo  sich  erging 

Und  glücklich  war  in  lieber  Zuversidit, 

Und  bunt  der  Tau  an  Blatt  und  Blüten  hing. 

Da  riefen  sie  mit  freundlichem  Gesicht 

Zu  ihm  hinauf:  „Lorenzo,  komm  und  schwing 

Didi  schnell  aufs  Rofe,  zu  reiten  durdi  den  Hag, 

Noch  ist  es  kühl,  dodi  wird's  ein  heiler  Tag. 

Wir  wollen  audi  .  . .  vielmehr  es  scheint  uns  gut 
Kurz—  mitzureiten  plagt  uns  ein  Gelüst; 
Drum,  bitte,  komm,  eh  noch  der  Sonne  Glut 
Den  Hagebuttenrosenkranz  gekü&t."  — 
Und  höflich  grüßte  er  die  Sdilangenbrut 
Und  eilte  dann,  betört  von  so  viel  List, 


48 


betört  audi  von  des  Sommermorgens  Pradit, 
Sclinetl  anzutegen  I<nappe  Weidmannstradil. 

Dann  sdiritt  er  durch  des  Hofes  Säulengang 
Und  blieb  oft  stehn  und  iausdite  oft  empor, 
Ob  nictil  etwa  der  Herrin  Morgensang 
Herab  zu  seiner  Setinsudit  sicti  vertor— 
Ganz  hingegeben  seiner  Liebe  Zwang. 
Da  schlug  ein  siifees  Lachen  an  sein  Ohr; 
Er  blid<te  auf  und  sah  so  zart  und  licht 
Am  Gitterfenster  lächeln  ihr  Gesicht. 

„Heil,  Isabelll"  rief  er.  „Gebenedeit, 
DaB  ich  dich  grii&en  durfte,  eh  ich  ritt! 
Drei  arme  Stunden  nur  Abwesenheit— 
Und  schon  hängt  Sorge  sich  an  meinen  Schritt. 
Doch,  was  der  Liebe  dieser  Tag  entleiht, 
Bringt  überreich  der  traute  Abend  mit. 
Lebwohl,  du  Liebste,  dul"  „Lebwohl  auch  du!" 
Und  munter  singend  grüßte  sie  ilim  zu. 

Durchs  lieblidie  Florenz  ging  nun  der  Ritt 
Der  drei  Gefährten  zu  des  Arno  Strand, 
Wo  sich  die  Strömung  mit  den  Strudeln  stritt 
Und  an  den  Ufern  tanzend  Band  bei  Band 
Das  sdiarfe  Schilf  die  schnelle  F^lut  zerschnitt. 
Die  Brüder  bleich,  Lorenzo  liebdurchbrannt, 
Durchguerten  sie  den  seichten  Strom,  und  bald 
Umbrauste  sie  ein  grausig  düstrer  Wald. 

Dort  ward  Lorenz  erschlagen  und  verscharrt. 
Doch  seine  Seele,  die  so  hei|  geloht. 
Die  auf  der  Liebe  höchstes  Glüd<  geharrt, 
Sie  ädizte  nun  in  unerhörter  Not, 
Ihr  warmer  Lebensstrom  war  jäh  erstarrt. 
In  Eisesfrost  gebannt  durch  blulgen  Tod.— 


49 


Die  Mörder  wusdien  ihre  Sdiwerier  rein 
Und  jagien  wieder  nadi  Florenz  hinein. 

Der  Schwester  sagien  sie:  nadi  fernem  Land, 
Mil  dringenden  Geschäflen  reich  belraul, 
Sei  heui  zu  Schiff  l.orenzo  abgesandt.— 
Nun  nimm  den  Witwenschleier,  junge  braut. 
Leg  an  der  Witwen  trauerndes  Gewandt 
O,  Fluch  der  Hoffnung,  der  du  süfe  verfrauti 
Du  wirst  ihn  heut  nicht  sehn  und  morgen  nidit. 
Und  niemals  mehr  grüfet  dich  sein  Ängesidit. 

Sie  weint  um  Freuden,  die  nun  nidit  mehr  sind, 

Sie  weinte  bitterlich  bis  in  die  Nadit. 

Wie  schien  ihr  sonst  der  Abend  lieb  und  lind, 

Weil  überreiche  Wonnen  er  gebracht— 

Jebt  sah  ihr  Auge  sich  im  Dunkel  blind. 

Bis  in  den  Schatten  ihr  sein  Bild  erwacht. 

Und  immer  wieder  ihrem  Mund  entfloh 

Der  Sdimerzenslaut:  „Lorenzo!  Wo,  oh  wo?" 

Doch  Selbstsucht  hielt  nicht  lang  in  ihrer  Brust 
Der  Schmerzen  wilden  Nachlbrand  angesdiürt; 
Wohl  bangte  sie  nach  all  der  sü^en  Lust, 
Die  mit  so  flüchtgem  Ku&  sie  erst  berührt— 
Nicht  lange  doch—  denn  bald  hob  sich  bewu|t 
Die  Trauer,  die  nichts  Kleinliches  mehr  spürt, 
Und  Sorge,  da&  der  Reise  Unrast  gar 
Für  ihre  junge  Liebe  voll  Gefahr.— 

Aus  Nordlands  Höhlen  weht  wie  Todes  Haudi 

Zur  Herbstzeit  schon  des  Winters  Atem  schwer 

Aufs  Laub  und  wirft  es  welk  von  Baum  und  Strauch, 

Der  kranke  West  tanzt  mit  dem  toten  Heer 

Den  Totentanz  im  bleichen  Nebelrauch; 

Und  liegt  das  Land  ergraut  und  stumm  und  leer. 


50 


Dann  stürmt  der  Winter  ein.  O  Isabell, 

Audi  deiner  Sdiönheit  lierbst  t<am  allzuschnell. 

Denn  kein  Lorenzo  kam.  Und  welk  und  bleich 
Ward  ihre  Wange  von  so  herbem  Gram. 
Sie  fragte  oft  die  Brüder,  welch  ein  Reidi 
Nun  für  so  lange  schon  ihn  von  ihr  nahm? 
Da  logen  sie  von  Mal  zu  Mal.  Ihr  Streidi 
Wie  Raudi  vom  Tale  liinnom  auf  sie  kam; 
Sie  konnten  keine  Nacht  dem  Alp  entgehn, 
Die  Schwester  tot  im  Totenhemd  zu  sehn. 

Sie  würde  audi  in  Leid  gestorben  sein, 
Doch  da  war  etwas,  das  noch  finstrer  war 
Als  Tod;  es  kam  in  plöfelich  bittrer  Pein, 
So  wie  im  Todeskampf  oft  wunderbar 
Noch  einmal  glüht  des  Lebens  Widersdiein; 
Es  kam  wie  Lanzenstich,  der  grausam  klar 
Den  Wilden  wed<t  im  raudidurchbeizten  Zelt, 
Da|  schreiend  er  aus  hefstem  Schlafe  schnellt. 

Es  war  ein  visionäres  Bild:—  In  Nacht, 
In  träger  Mitternacht  Lorenzo  stand 
An  ihres  Lagers  Rand  und  weinte  sadil: 
Erloschen  war  in  Grabes  feuchtem  Sand 
Des  goldnen  Haares  sonnenwarme  Pracht, 
Erloschen  seiner  Lippen  roter  Brand, 
Der  Stimme  Wohllaut  tot,  und  gramestief 
Am  Ohr  vorbei  die  Tränenrinne  lieL 

O  grausig  klang  es,  wenn  der  Schatten  sprach; 

Denn  seine  arme  Zunge  mühte  sich 

Zu  sprechen,  wie  sie  einst  auf  Erden  spradi. 

Und  Isabella  lauschte  bitterlidi: 

Wie  seine  Stimme  oft  sich  zitternd  brach. 

Als  wenn  ein  Wind  gelähmte  Harfen  strich; 


51 


Als  wenn  ein  heisrer  Wind  durch  Dornen  sföhnt, 
So  war  von  Ädizen  jedes  Wort  durchtönl. 

Und  seilsam—  das  Phanlom  enlsefeie  nichl 
Das  arme  Weib;  sein  Blid<  war  mild  und  gro|, 
Von  Gram  verwirrl  und  dodi  von  Liebe  lichl; 
Es  redete:  es  spradi  vom  Todesslofe, 
Vom  Mord  im  liefen  Wald,  und  wie  so  dichl 
Sein  Grab  bewadisen  sei  mil  Kraul  und  Moos, 
Wie  schwarze  Fichlen  hielten  Totenwadil, 
Dorl  wo  die  Mörder  ihre  Tal  vollbradil. 

Und  Weiler  sprach  es:  „Süfee  Liebste  du! 
Waldbeeren  reifen  über  meinem  Mund, 
Ein  sdiwerer  Stein  ded<l  meine  FüBe  zu. 
Die  hohen  Buchen  stehen  blätterbunt 
Und  werfen  Frucht  herab;  die  Waldesruh 
Durchirrt  ein  ferner  Ruf  von  Hirt  und  Hund; 
Das  Heidekraul  ist  rot;  o  komme  bald. 
Komm  bald  und  weine  bei  dem  Grab  im  Wald. 

Ich  bin  ein  Schatten  nun,  der  das  Gebiet 

Des  Lebens  von  den  Grenzen  nur  erschaut; 

Ich  singe  nun  allein  das  heiige  Lied 

Zum  Ruf  der  Glod<en,  der  mir  so  vertraut; 

Und  wenn  das  Kraut  ein  Bienenschwarm  durdiziehl, 

Wie  lauscht  mein  Ohr  des  Lebens  süfeem  Laut, 

Des  Lebens—  darin  meine  Liebe  lebt. 

Dem  ferner,  ferner  stets  mein  Geisl  entschwebt. 

Ich  wei&,  was  war,  ich  fühle  tief,  was  ist. 
Und  würde  rasen,  könnte  das  ein  Geist! 
Dafe  du  um  midi  so  bleidi,  so  leidend  bist. 
Durchglüht  mein  Grab,  als  würde  es  umglei&t 
Von  einem  Glanz,  der  überirdisdi  ist; 
Ach,  ich  vergaß,  was  Erdenwonne  heiSl: 


52 


Dodi  heiliger  die  Liebe  midi  durdidringl, 
Seit  deine  bleiche  Seele  um  midi  ringl."  — 

Der  Geisl  entsdiwand,  nadidem  er  dies  gesagt. 
In  leisen  Wellen  wogle  rings  die  Nadit, 
So  wie  das  Dunkel  lanzt,  wenn  wir  verzagt 
Im  Bett  des  Tages  harte  Müh  bedadit 
Und  von  der  slürmenden  Gedankenjagd 
Verfolgt,  gehest,  kein  Auge  zugemadil. 
Und  Isabella  fuhr  verwirrl  empor 
Und  starrte  in  den  leeren  Nebelflor. 

„So  gibt  es,"  rief  sie,  „sdilimmeres  als  Qual? 
So  kannte  idi  des  Sdiid<sals  Fluch  noch  nidit. 
Da  ich  gemeint,  nur  dieses  sei  die  Wahl: 
Glüd<—  oder  Tod,  wem  es  an  Glück  gebridit; 
Dodi  hier  ist  Sdiuld—  des  Bruders  blutiger  Stahl 
O  Dank,  Geliebter!  Dank  für  den  Bericht  1 
Ja,  morgen  grüfet  didi  meiner  Liebe  Kufe, 
Und  wenn  idi  dich  im  Himmel  suchen  mufe!" 

Und  als  der  Morgen  kam,  da  war  gefafel 

Ihr  Plan,  zu  prüfen,  was  der  Geist  verriet. 

Dem  Liebsten,  den  die  Brüder  so  geha|t. 

Den  lefeten  Grufe,  das  lefele  Liebeslied 

Zu  weihn.  Kaum  war  der  Sterne  Licht  verblaSf, 

So  eilte  sie  ins  ferne  Waldgebiet, 

Und  dafe  nidit  Argwohn  folge  ihrem  Sdirill, 

Nahm  sie  die  alte  treue  Amme  mit. 

Sieh  nur!  Sie  eilen  hin  am  Uferrain, 

Und  Isabella  spricht  von  ihrem  Gram, 

Vom  fieidekraut  und  von  dem  schweren  Slein 

Und  zeigt  ein  Messer,  das  sie  mü  sich  nahm. 

„O  Kind,  wie  leidest  du  so  harte  Peinl 

Wann  wirst  du  wieder  froh?"—  Der  Abend  kam. 


53 


Da  hatlen  sie  Lorenzos  Grab  entded<l. 

In  Moos  und  Kraui  und  Beeren  lief  verslecki.— 

Wer  je  das  grüne  Gräberfeld  durchschriil, 
Der  wiihlle  wohl  im  Geisl  in  Lehm  und  Sand, 
Bis  er  von  allen,  die  die  Sense  schnill. 
Die  hohlen  Schädel  und  die  Knochen  fand. 
Und  schauderte,  wie  sehr  wohl  jeder  litl, 
Als  würgend  ihn  erfa&l  des  Todes  Hand  .  .  . 
Ach,  qualvoll  mochle  wohl  sein  Mitleid  sein— 
Qualvoller  noch  war  Isabellas  Pein. 

Ihr  Blick  durchdrang  der  Grube  dunklen  Schlund, 
Doch  sah  er  Tod  und  Wurm  und  Moder  nicht: 
Sah  wie  aus  klaren  Quells  kryslallnem  Mund 
Lorenzos  Leib,  Lorenzos  Angesicht. 
Wie  eine  Lilie,  die  in  Grabes  Grund 
Die  Wurzel  schlug,  so  stand  sie  ernst  und  lichl; 
Dann  sank  sie  hin  und  grub  so  fiebernd  hei&. 
Wie  nur  der  Schmerz  sich  einzugraben  wei|. 

Bald  lag  ein  Handschuh  aufgewühlt,  von  ihr 
Einst  selbst  mit  bunter  Stickerei  geschmückt— 
Wie  kü&t  sie  nun  die  fast  verblaute  Ziert 
An  ihrer  sü&en  Brust,  die  nie  beglüdkt 
Sich  füllen  sollte  für  des  Säuglings  Gier, 
Verbirgt  sie  ihn,  und  seine  Kälte  drüd<l 
Wie  Todeshand  ihr  Herz.  Sie  sprach  kein  Wort, 
Strich  nur  das  Haar  zurück—  und  suchte  fort. 

Betroffen  stand  die  alle  Magd  dabei. 
Bis  mit  der  Armen  Mitleid  sie  empfand. 
Und  sie  begriff,  wie  schwer  die  Arbeit  sei 
Für  Isabellas  ungeübte  Hand; 
Sie  kniete  hin  und  stand  der  Herrin  bei. 
Drei  Stunden  gruben  sie  so  unverwandt; 


54 


Da  endlidi  war's  geschehn—  und  ernst  und  licht 
Blieb  Isabell  und  schrie  und  raste  nicht.— 

Was  öffne  ich  des  Grabes  Moderschacht, 

Da6  schwarz  sein  schaudervoller  Rachen  gähnt?— 

Ach,  ob  des  allen  Liedes  süfeer  Pracht, 

Des  Liedes,  dem  die  Sage  ich  entlehnt] 

O  Leser,  der  für  solcher  Liebe  Macht 

Noch  liefres  Wort,  noch  reinem  Klang  ersehnt, 

Lies  die  Romanze,  lies  den  alten  Sang, 

Der  machtvoll  alle  Herzen  einst  bezwang  I— 

Wohl  war  viel  stumpfer  als  des  Perseus  Schwert 

Der  Stahl,  der  jefel  ein  Haupt  vom  Rumpfe  schnitt. 

Doch  war's  ein  Haupt,  so  schön  und  liebenswert, 

Da|  selbst  im  Tode  nicht  sein  Zauber  litt. 

Die  Liebe  höret  nimmer  auf  1  So  lehrt 

Ein  altes  Wort.  O  wie  in  Liebe  stritt 

Jung  Isabella  um  Lorenzos  Haupt- 

In  Liebe,  die  kein  Grabeshauch  beraubt! 

Und  Isabella  nahm  den  Kopf  mit  fori 
Und  kämmte  seines  Haars  verblafelen  Schein 
Und  pflegte  sorglich  ihren  heiligen  Hort: 
Um  seiner  Augen  hohle  Kämmerlein, 
In  denen  Licht  und  Liebe  jäh  verdorrt, 
Flocht  Locken  sie  und  weinte  still  hinein 
Und  wusch  den  Schafe  mit  Tränen  kühl  und  klar 
^JfX:  Und  kü|te  ihn  und  kämmte  neu  sein  Haar. 

Sie  nahm  ein  Tuch,  dem  seltne  Spezerein 
Gar  auserlesnen  Wohlgeruch  verliehn. 
Und  tauchte  es  in  einen  Saft  hinein 
Von  Blumen,  die  nur  in  Arabien  blühn; 
Das  sollte  nun  des  Kopfes  Bahrtuch  sein. 
^^^  Sie  barg  ihn  gut  darin  und  legte  ihn 


55 


In  einen  Topf  und  pflanzte  sü&es  Kraut, 
Basilikum,  darauf  und  weinte  taut. 

Und  sie  vergaß  das  Mond-  und  Sfernenlidit, 
Und  sie  vergaß  den  blauen  Sonnenlag, 
Und  sie  vergaß,  was  Wind  und  Welle  sprictit. 
Und  sie  vergaß  den  bunten  Herbst  im  Hag; 
Und  wenn  der  Tag  erstarb,  sie  sah  es  nidif, 
Und  sati  den  neuen  Morgen  nictit:  sie  lag 
Nur  immer  weinend  bei  dem  lieben  Kraut, 
Das  bis  ins  Herz  mit  Tränen  sie  betaut. 

Und  so  getränkt  wie  nie  ein  Kraut  zuvor 
Erhob  es  sich  in  grüner  Üppigkeit 
Und  duftete  wie  nie  ein  Kraut  zuvor 
Auf  Florentiner  Beeten  weit  und  breit. 
Wann  spro&  audi  je  Basilikum  empor 
Auf  einem  Boden,  so  voll  Fruchtbarkeit 
Wie  Menschenleid,  wie  Herzensnot  und  Tod! 
Wann  war's  ein  Menschenkopf,  der  Dünger  bot! 

Verbirg,  o  Muse,  trauernd  dein  Gesidit 
Und  raste  stumm,  wo  dumpf  Verzweiflung  stöhnt 
Wie  eine  Stimme,  die  aus  Grüften  bricht 
Und  höht  in  dunklen  Tiefen  wiedertönt. 
Hier  lafe  den  Tod  sich  freuen,  der  verspridit, 
Da&  sich  in  ihm  der  tiefste  Gram  versöhnt; 
Er  sefet  ein  mildes  Licht  auf  alle  Pein: 
Im  Totenhof  den  bleichen  Marmorstein. 

Ihr  trauertiefen  Töne  sdiludizt  und  bebt! 

O  weint,  ihr  Saiten  meiner  Leier,  weint, 

Dafe  wild  aus  euch  des  Schmerzes  Sturm  sidi  hebt 

Und  mit  des  Windes  Klage  sich  vereint! 

Wann  hätte  je  ein  Weib  wie  sie  gelebt. 

Dem  so  das  Schicksal  alles  Glück  verneint! 


56 


Der  Palme  gleich,  die  man  des  Safts  beslahl, 
So  slirbi  sie  hin  in  langsam  biltrer  Qual. 

O  siört  ihr  sanftes  Sterben  nicht!  O  quält 
Sie  nicht  noch  roh  ins  nahe  Grab  hinein  1  — 
Doch  ach,  die  Brüder,  deren  Herz  verstähll 
Von  Gier  und  Geiz,  sie  konnten  nicht  verzeihn. 
Dal  ihre  Schwester  sich  dem  Gram  vermählt. 
Statt  eines  reichen  Grundherrn  Braut  zu  sein; 
Und  auch  Verwandte  forschten  oft  und  viel, 
Warum  sie  mied  der  Jugend  Tanz  und  Spiel. 

Die  Brüder  hatten  staunend  bald  entdeckt, 
Dafe  dem  Basilikum  ihr  Weinen  galt: 
Das  blühte  wunderprächtig,  wie  erweckt 
Durch  Zauberwortes  wirkende  Gewalt; 
Doch  welcher  Wert  lag  denn  darin  versteckt, 
Da&  Isabell  dem  Kraut  zuliebe  kalt 
Für  alle  Freuden  war  und  wahnbestrickt 
Selbst  den  vergaß—  den  weü  man  fortgeschickt! 

Sie  harrten  lange  auf  Gelegenheit 

Dem  Rätsel  heimlich  auf  den  Grund  zu  sehn, 

Doch  nie  entfernte  Isabell  sich  weit 

Und  wollte  kaum  zum  Beichtgang  sich  verstehn. 

Und  wie's  den  Vogel  treibt  zur  Brütezeit 

Ins  teure  Nest  zurück  mit  Windeswehn, 

So  flog  sie  unruhvoll  zum  Hort  zurück 

Und  weinte  dort  bei  dem  begrabnen  Glück. 

Und  dennoch  stahlen  sie  das  Kraut  ihr  fort. 
Durchwühlten  es  bis  auf  der  Wurzeln  Grund: 
Ein  Totenkopf,  Lorenzos  Kopf  lag  dort- 
Wie  schnell  erkannten  sie  den  grausen  Fundl 
So  rächte  furditbar  sich  der  frevle  Mord. 
Enlsefet  entflohen  sie  zur  selben  Stund— 


57 


Fori  von  Florenz  und  fori  von  Hab  und  Gul, 
Verbannl,  verdamml  durdi  feig  vergossnes  Blul! 

Verbirg,  o  Muse,  Irauernd  dein  Gesichil 

O  weinl,  ihr  Sailen  meiner  Leier,  weinl  — 

Wie  eine  Summe,  die  aus  Gräbern  brichl 

Und  mil  des  Windes  Klage  sich  vereinl! 

Adi,  Isabell  erirug  dies  Lefele  nichl. 

Zu  lief  sdion  hal  ihr  billres  Leid  geweinl: 

Vom  Harm  verwirrl,  neigl  einsam  sie  das  Haupl, 

Des  lehlen  Trosls,  der  Tränen  selbsl  beraubl! 

Wie  blid<le  Milleid  billend  sie  umher 

Und  sprach  die  loten  Dinge  zärllich  an 

Und  fragte  sie,  wo  ihr  Basiltopf  war. 

Und  kam  des  Wegs  vorbei  ein  Wandersmann, 

Sie  hielt  ihn  an  und  bat  und  flehte  sehr. 

Und  wenn  er  ratlos  schwieg—  wie  klagte  dann 

In  stumpfen  Sdimerz  sie  stets  das  gleidie  Wort: 

„Was  nahmt  ihr  mein  Basilikum  mir  fort!" 

So  starb  sie  einsam  hin  in  müdem  Gram, 
Nach  dem  Basiltopf  fragend  bis  zum  Tod. 
Da  war  es  ganz  Florenz,  das  Anteil  nahm 
Und  soldiem  Liebesleid  sein  Mitleid  bot— 
Bis  dal  ein  Lied  von  Mund  zu  Munde  kam. 
Ein  traurig  Lied  von  Isabellas  Not; 
Und  heut  noch  singt  das  alte  Volkslied  dort: 
„Was  nahmt  ihr  mein  Basilikum  mir  forti" 


5Ö 


5 


SANKT  AGNES  ABEND 

ANKT  Agnes  Abend—  oh,  wie  fror  die  Well! 
Kalt  sa|  der  Kauz  Irofe  did<em  Federkleide, 
Der  Hase  hinkte  matt  durchs  eisige  Feld, 
Wollpelzige  Schafe  bebten  in  der  Heide. 
In  starren  Fingern  hing  der  Rosenkranz 
Des  Beters,  dessen  Atem  dampfend  jagte 
Wie  gollgefälligen  Weihrauchs  frommer  Tanz 
Und  um  der  Jungfrau  Bild,  das  strahlend  ragte. 
Wie  Wolke  wehte,  während  er  Gebete  sagte. 

Demütig  betet  er,  der  heilige  Mann, 

Bis  er  sein  Lidit  ergreift,  um  aufzustehen 

Und  bleich  und  barfuß  sachten  Schrittes  dann 

Durch  der  Kapelle  Chorgang  fortzugehen. 

Die  Totenstatuen  geben  ihm  Geleit, 

Die  hinter  schwarzen  Fegefeuergittern 

Gefangen  beten  voll  Beredsamkeit: 

Er  geht  vorbei  an  Damen  und  an  Rittern 

Und  denkt  der  Qual,  in  der  wohl  deren  Seelen  zittern. 

Er  wendet  nordwärts  sich  durdi  enges  Tor, 

Da  plöblidi  singt  Musik  mit  goldnen  Zungen— 

In  Tränen  lauscht  der  arme  Greis  empor. 

Doch  nein—  ilim  hat  sein  Glöckchen  schon  geklungen: 

All  seines  Lebens  Freuden  sind  verhallt. 

Ihn  will  Sankt  Agnes  Abend  büßend  sehen! 

Fort  eilt  er,  sifel  in  rauher  Asche  bald. 

Um  nachtdurchwachend  Gnade  zu  erflehen. 

Um  Sünders  Lohn  durch  Leid  und  Reue  zu  entgehen. 

Ein  sanft  Präludium  hatte  er  erlauscht; 
Und  das  kam  so:  auf  standen  Tür  und  Schranken 
Für  eiligen  Dienst.  Bald  kam  herabgerauschl 
Der  silbernen  Trompeten  helles  Zanken. 


59 


Die  ebnen  Hallen  harrlen  voller  Slolz 

Und  glühlen,  lausend  Gäsle  zu  empfangen; 

Geschnifete  Engel  spählen  slarr  vom  Holz, 

Das  rückgewehle  Haar  umfa|l  von  Spangen, 

Die  Flügel  kreuzweis  unler  kindlidi  runden  Wangen. 

Dann  brach  herein  die  laule  Luslbarkeii 
Mil  Feder,  Tiara  und  mil  bunlem  Glänze, 
Zahlreidi,  wie  Schallen  zahlreich  sind  im  Leid, 
Und  so  voll  Prunk  wie  höfisdie  Romanze— 
Die  alle  denk!  euch  fori,  und  wollt  euch  still 
Und  andachtsvoll  zu  einem  Fräulein  kehren. 
Die  heul  Sankt  Agnes'  Huld  erflehen  will. 
Um  liefen  sii&en  Liebeslraum  zu  mehren, 
Gut  eingedenk  der  alten  Frauen  weisen  Lehren. 

Sie  sagten,  dafe  den  lungfraun  Agnes'  Nacht 

Entzüd^ende  Visionen  oft  bereite, 

DaB  in  der  honigticiien  Millernadit 

Der  Liebste  huldigend  ans  Lager  gleite, 

Falls  sie  nur  recht  erfüllten  das  Geheiß: 

Sie  mü|ien  ohne  Nachtmahl  sdilafen  gehen. 

Sich  rüd<lings  bellen  und  um  keinen  Preis 

Zur  Rechten  oder  Linken  um  sidi  sehen. 

Nur  mit  erhobnem  Blid<  um  Wunschgewährung  flehen. 

Und  Magdalen  sann  diesem  Märchen  nadi. 

Empfand  nicht  der  Musik  verzücktes  Tönen, 

Die  wie  mit  Göttermund  in  Seufzern  sprach; 

Ihr  Mädchenblid<,  gesenkt,  sah  mandier  Schönen 

Prunkschleppe  gleiten—  doch  sie  achtet's  nidil. 

Mandi  Kavalier,  der  zarten  Gru&  ihr  sagte. 

Trat  still  zurüd<—  sie  aber  blid<te  nidil. 

Da  ihre  Seele  nach  ganz  andrem  fragte. 

Um  Agnes'  Traum,  den  sü&eslen  des  Jahres,  zagle. 


60 


Mii  fernverlornem  Blid<  schrill  sie  daher, 

Ihr  Alem  flog,  die  Lippen  beblen  Irunken, 

Die  heilige  Frisl  war  nah.  Sie  seufzte  sdiwer, 

Inmiilen  all  des  Lärmens  traumversunken. 

Und  Flüstern,  Lachen,  Spott  und  Liebessdiwur 

Und  Trommelbraus  und  51ick  voll  Dank  und  Strafe 

Schien  Traum  zu  sein:  sie  dachte  wadiend  nur 

An  Agnes,  ihre  ungesdiornen  Schafe 

Und  was  an  Seligkeil  sie  finden  sollt  im  Sdilafe. 

Sie  sehnte  sidi,  nun  bald  allein  zu  sein— 

Und  blieb  doch  nodi.  Indes  war  über  Moore 

Jung  Porphyro,  geguält  von  Liebespein 

Um  Magdalen  herbeigeeilt.  Am  Tore, 

Im  Pfeilerschatlen  harrt  er  und  beschwört 

Die  Heiligen,  sein  Warten  zu  entgelten 

Mit  günstigem  Augenblid<,  der  ihm  gehört: 

Nur  schaun,  nur  knien  vor  ihren  seligen  Welten! 

Und  sprechen—  fühlen—  küssenl—  Tat  man  dies  so  selten? 

Er  schleidit  hinein.  O  schlummre  nun,  Verrat, 

Kein  Auge  spähe)  Sonst,  sein  Herz  zu  morden, 

Sein  liebefiebernd  Herz,  war  wild  genaht 

Ein  Heer  von  Schwertern,  denn  barbarisdie  Horden, 

Zornheifee  Feindesbrut  enthielt  dies  Schloß; 

Die  Hunde  würden  selbst  mit  rauher  Kehle 

Ihm  Flüdie  heulen,  ihm  und  seinem  Tro&. 

Ein  Weib  nur  trohte  diesem  Hafebefehle, 

Ein  altes  Mütterchen,  das  siech  an  Leib  und  Seele. 

Ah,  Zufallsglüd<l  Das  alte  Weibchen  kam 
Am  Krüd<stod<  hinkend  langsam  hergeschlidien. 
Und  da  sie  ihre  Sdiritte  dorthin  nahm, 
Wo  er,  der  Fad<el  und  den  feierlichen 
Gesängen  fern,  im  Säulensdiatten  stand, 
Sdirak  sie  zurück  mit  angstverwirrlem  Lallen. 


61 


Doch  sie  erkannte  ihn,  nahm  seine  Hand: 
„Oh  Porphyro!  Hinweg  aus  diesen  Hallen, 
Die  ganze  Sippe  wird  dich  wütend  überfallen! 

Hinweg]  Hinweg!  Hier  ist  dir  alles  feind! 

Zwerg  Hildebrand  verfluchte  dich  im  Fieber, 

Und  selten  war  ein  Fluch  so  ernst  gemeint. 

Und  auch  Held  Morife  sah  dich  wahrlich  lieber 

Tot  als  lebendig!—  Weh,  oh  weh  mir!  Flieh!" 

„Adi,  Freundin!  Niemand  wird  uns  hier  entdecken. 

Nimm  Plafe  auf  dieser  Bank  und  sag  mir,  wie—" 

„Ihr  Heiligen!  Man  wird  dich  niederstrecken! 

Komm,  folge  mir!  Sonst  wird  dein  51ut  den  Boden  fled<en. 

Durch  niedre  Bogengänge  folgte  er, 

Die  hohe  Feder  grau  von  Spinngeweben. 

Mit  Weh  und  Seufzen  schlich  die  Alte  her— 

Dann  sah  er  sich  von  kleinem  Raum  umgeben. 

Der  kühl  und  schweigend  voller  Mondschein  sdiwamm. 

„Sag,  wo  ist  Magdalen?"  sprach  er;  „ich  flehe 

Bei  Agnes'  Webstuhl,  der  so  wundersam 

Nur  heiliger  Schar  erlaubt,  da&  sie  ihn  sehe. 

Nur  heiligerSdiwesternschar,  da&  sie  den  Faden  drehe." 

„Sankt  Agnes!  Ah,  es  ist  Sankt  Agnes  Nacht! 
Dodi  Menschen  morden  audi  an  heiligen  Tagen. 
Du  hast  wohl  über  Feen  und  Elfen  Madit 
Und  kannst  in  Hexensieben  Wasser  tragen, 
Dafe  du  so  kühn  bist?  Wahrlidi,  Porphyro, 
Du  wunderst  mich!—  Sankt  Agnes  Abend  heute! 
Die  junge  Herrin  wartet  glaubensfroh, 
DaB  Agnes  ihr  zukünftige  Freuden  deute. 
Ach,  lachen  mu|  idi  über  solche  jungen  Leute!" 

Sie  kidierte  im  matten  Mondenschein, 
Und  Porphyro  betrachtet  sie  mit  Staunen, 


62 


Wie  wohl  ein  Kind  ein  altes  Miillerlein, 

Das  ihm  von  Wichleln  spridii  und  von  Alraunen. 

Bald  aber  leuchlele  sein  Auge  auf, 

Als  seiner  Dame  Absichl  sie  berichlel, 

Sehnsüchiige  Tranen  sliegen  in  ihm  auf: 

O  junge  Seele,  die  sich  gläubig  ridifel 

Nach  all  dem  Spuk,  den  kalles  Aller  ihr  erdidilell 

Da  kam  ihm  ein  Gedanke,  der  wie  Blühn 

Von  roler  Rose  ihm  die  Slirn  belaule 

Und  Aufruhr  warf  ins  Herz;  der  Plan  war  kühn. 

Den  er  dem  armen  Weiblein  nun  verlraute. 

„Ohl"  rief  sie,  „wie  du  schlecht  und  gottlos  bistl 

Willst  du  der  Herrin  kindlidi  frommes  Wallen, 

Gebet  und  Traum  mit  unverschämter  List 

Und  frevlerisdiem  Tun  zum  Narren  halten? 

Geh,  geh  1  Du  bist  nicht  der,  für  den  ich  dich  gehalten  I" 

„Bei  Gott)  Idi  sdiwör's,  ihr  soll  kein  Leid  gesdiehn!" 

Spradi  Porphyro.  „O  mögen  keine  Gnaden 

Dereinst  an  meinem  Sterbebette  stehn. 

Kam  nur  ein  Haar  auf  ihrem  Haupt  zu  Schaden 

Und  sah  ich  roh  in  Leidenschaft  sie  an. 

Sieh,  diese  Tränen  sind  ein  Wahrheitszeidienl 

Dodi  willst  du.  Treuste,  mir  nidit  glauben,  dann 

Ruf  ich  jefet  selbst  dem  Feind  und  seinen  Streichen, 

Mag  diese  Meute  audi  den  wilden  Wölfen  gleidien." 

„Adi!  Was  erschred<st  du  eine  Seele  so. 

Die  sdiwadi,  gelähmt,  dem  Grabe  sdion  verfallen. 

Die  nur  noch  eines  kann,  mein  Porphyro: 

Von  früh  bis  spät  für  didi  Gebete  lallen."— 

Ihr  Klagen  rührte  ihn,  und  er  begann 

Sein  stürmend  Herz  in  sanftres  Wort  zu  zwingen, 

Sodafe  sein  Leid  ihr  Mitgefühl  gewann 


63 


Und  sie  versprach,  in  diesen  Liebesdingen 

Ihm  beizusiehen—  soll!  es  ihr  auch  Unheil  bringen. 

Sein  Wunsdi  war  der:  in  aller  Heimlichkeil 

Soll  sie  in  Magdalens  Gemach  ihn  führen, 

Versled<l  dort  will  er  die  gelieble  Maid 

Nur  sehn,  nur  seiner  Dame  Nähe  spüren, 

Nur  lauschen,  was  den  Feen  sie  verlraul. 

Die  bleicher  Zauber  ihr  ums  Lager  malle— 

Vielleichl,  vielleichl  gewinnen  eine  Braut!  — 

Niemals  Verliebten  soldie  Nadit  erstrahlte, 

Seil  Merlin  seinem  Dämon  höchste  Schuld  bezahlte. 

„So  sei  es,  wie  du  wünsdisl,"  sprach  Angela, 
„Idi  will  dorthin  die  Festgeschenke  bringen, 
Wie's  alter  Brauch;  das  Lautenspiel  lehnt  nah 
Bei  ihrem  Nähplafe.  Soll  der  Plan  gelingen. 
So  mu6  idi  eilen—  ach,  die  Zeil  vergeht. 
Mein  alter  Kopf  ist  schwadi  und  angstbeklommen  1 
Nun  warte,  Sohn,  und  kniee  im  Gebet- 
Wohl,  wohl—  du  sollst  zur  Ehe  sie  bekommen, 
Idi  helfe  dir—  und  wär's  auch  nicht  zu  unserm  Frommen. 

Und  eilig,  furditsam  humpelte  sie  fori. 

Wie  dehnten  sidi  die  sehnenden  Minuten. 

Sie  kam  zurüd<  mit  heisrem  Flüsterwort: 

„Komm  mit!"  Ihr  Blid<  schien  Späher  zu  vermuten. 

So  ängstlidi  irrte  er  von  Stein  zu  Stein. 

Manch  dunklen  Gang  mu&  Porphyro  durchsdireiten. 

Dann  sah  er  sich  in  keuschem  Raum  allein 

Und  barg  sidi  gut  in  Schattendunkelheiten 

Und  fühlte  dieses  Zimmers  reine  Seligkeiten. 

Die  Alle  ging  und  griff  mit  sdiwadier  Hand 
Im  Dunkel  nach  der  Treppenbalustrade, 
Als  plöfelich  wie  ein  Engel  vor  ihr  stand 


64 


Jung  Magdalen,  die  heut  in  Agnes'  Gnade. 

Mit  hellem  Kerzenlicht  und  Sorgsamkeil 

Half  sie  dem  Mütterchen  zur  Halle  nieder. 

Nun  Porphyro,  nun  halte  dich  bereit, 

Blick  hin  zum  Bett,  schon  kehrt  die  Taube  wieder: 

Wie  ist  ihr  Blick  so  mild,  so  strahlend  ihr  Gefieder! 

Das  Licht  erlosch,  als  sie  ins  Zimmer  lief. 

Im  Mondschein  glitt  sein  kleiner  Rauch  von  dannen. 

Sie  schlol  die  Tür,  sie  atmete  so  tief. 

Nun  waren  Geister  nah  und  nicht  zu  bannen. 

Kein  Laut  jefet—  Wehe  war  sein  Widerhall! 

Doch  hob  ihr  Herz  die  Brust  in  schweren  Wellen, 

Als  würde  zungenlose  Nachtigall 

Vergeblich  ihren  Hals  zum  Singen  schwellen 

Und  herzerstickt  hinsterben  bei  des  Tales  Quellen. 

Dreibogiges  Fenster  war  in  diesem  Raum, 
Üppig  umkränzt  von  Eichenschnifeereien 
Mit  Blüte,  Blatt  und  Frucht  vom  Rosenbaum, 
Und  Scheiben  leuchteten  in  farbigen  Reihen 
Wie  Diamant  und  bunter  Schmetterling. 
Und  zwischen  Heiligen  in  seligem  Sinnen 
Und  Waffenzier  und  Kriegstrophäen  hing 
An  Dämmerwand  ein  Wappenschild  darinnen, 
Mit  Blut  befleckt  von  Königen  und  Königinnen. 

Hier  sah  der  volle  Wintermond  herein. 

Der  Magdalen  mit  rotem  Glühen  schmückte. 

Auf  Brust  und  Hände  fiel's  wie  Rosenschein, 

Als  sie  nun  knieend  sich  herniederbückte; 

Ihr  silbern  Halskreuz  war  wie  Amethyst, 

Ihr  Haar  von  mildem  Heüigenschein  umgeben: 

Ein  Engel,  dem  der  Himmel  offen  ist! 

So  fühlte  Porphyro  in  tiefem  Beben. 

Sie  schien,  in  Unschuld  betend,  erdenfern  zu  schweben. 


65 


Wie  tiefe  Ohnmacht  hielt  es  ihn  in  bann, 
Als  sie  vom  Perlenkranz  ihr  Haar  entblö&te, 
Den  warmen  Schmud<  vom  Halse  nahm  und  dann 
Des  Kleides  angeschmiegte  Bänder  löste. 
Leis  knisternd  sinkt  das  Kleid.  Ein  wacher  Traum 
Lä&t  sie  in  ihrem  Bett  Sankt  Agnes  sehen, 
Dodi  voll  zurLid<zuschauen  wagt  sie  kaum. 
Sonst  würde  all  das  Zauberwerk  vergehen 
Und  all  ersehntes  Träumen  bliebe  ungesdiehen. 

Bald  bebte  sie  im  weichen  kühlen  Nest 

Und  lag  von  wacher  Ohnmacht  ganz  benommen. 

Bis  sie  der  mohnbekränzte  Schlummer  fest 

—  So  Leib  wie  Seele—  in  den  Arm  genommen. 

Weit  floh  die  Seele  nun  ins  Dunkel  fort 

Und  ruhte  fern  von  Schmerz  und  Lust,  versdilossen. 

So  wie  ein  Me&budi  an  unheiligem  Ort, 

Wie  Rosenkelch,  wenn  Regenfluten  gössen. 

Wie  keusdie  Knospen  oder  erste  Frühlingssprossen. 

Und  Porphyro  sah  hin  aufs  leere  Kleid 

Und  fühlte  seiner  Pulse  wildes  Rennen 

Und  stand  und  harrte  voller  Bangigkeit, 

Des  Schlummers  ruhiges  Atmen  zu  erkennen. 

Dann  kam  er  zage  aus  dem  Winkel  vor, 

Geräuschlos  wie  wohl  eines  Mäddiens  Bangen, 

Wenn  es  in  dunkler  Wildnis  sich  verlor; 

Zum  Lager  trat  er  hin  mit  heifeen  Wangen 

Und  hob  den  Vorhang—  o  wie  lag  sie  schlafumfangen! 

Als  sidi  der  Mond  verbarg  und  silberbleich 

Ein  Zwielicht  spann,  schob  er  an  Bettes  Seite 

Leis  einen  Tisch,  warf  halb  in  Angst  ein  reidi 

Gewand  darauf,  drin  Rot,  Gold,  Schwarz  sich  reihte. 

O  jefet  ein  schläfernd  Morpheus-Amulet, 

Da  plöfelich  sdirill  die  Festtrompeten  werben, 


66 


Die  Kesselpauke  und  die  Klarinett! 

Die  Saaliür  fälll  zurück—  ein  jäh  Ersterben, 

So  wie  Krystall,  das  schrill  zersprang,  verslummt  inScherben. 

Doch  hielt  azurlidriger  Schlaf  sie  fest 

In  bleidien,  duftigen  Lavendelkissen; 

Indessen  er  aus  wohlversted<lem  Nest 

Kandirtes  Obst  und  andre  Led<erbis5en, 

Gelees,  die  linder  sind  als  sü&er  Rahm, 

Und  seltne  Frucht  aus  südlichen  Geländen, 

Die  fern  von  Fez  mit  Handelssdiiffen  kam. 

Und  Spezerein  von  Syriens  Felsenwänden 

Gesdiwind  zum  Tische  trug  mit  fieberheißen  Händen. 

Dies  altes  häufte  er  in  goldne  Pracht 

Getriebner  Schalen  und  auf  Silberplalten, 

Und  alles  duftete  in  kühle  Nacht 

Und  glei&le  seltsam  hell  aus  tiefem  Schatten.— 

„Und  nun,  mein  Lieb,  mein  Engel  du,  wach  auf! 

Du  bist  wie  über  mir  des  Himmels  blauen, 

Und  ich,  dein  5eter,  hoffe  zu  dir  auf. 

O  laß  mich  deine  blauen  Augen  schauen. 

Sonst  wird  hier  neben  dir  mein  Sdimerz  in  Tränen  lauen." 

Und  kraftlos  sank  ins  Kissen  auf  ihr  Haar 

Sein  warmer  Arm.  Umsonst  sein  leises  Spredien. 

Des  Traumes  5ann,  der  Mittnachtzauber,  war 

Unmöglich  wie  vereister  Strom  zu  brechen. 

Der  Teller  Glanz  erstrahlt  im  Mondenlicht, 

Dem  Schmud<  und  Fransen  hundert  Spiegel  liehen. 

Doch  hinter  dunklen  Vorhang  leuchtet's  nicht. 

Nichts  kann  die  Herrin  ihrem  Traum  entziehen. 

Der  Nacht  so  tief  verstrid^ten  Wunderphantasieen. 

Er  griff  zur  Laute.  Zarte  Melodie 
Entlockte  er  in  sdimeidielnden  Akkorden: 


67 


Provencer  Lied  „La  belle  dame  sans  mercY," 

Ein  altes  Lied,  das  längst  sdion  stumm  geworden. 

Er  schlug  das  Spiel  in  ihrer  warmen  Näh. 

Sie  stöhnte  klagend,  wie  von  Sdimerz  betroffen. 

Er  hörte  auf—  sie  keuchte  schnell—  und  jäh 

Standen  erschred<t  die  blauen  Augen  offen. 

Er  sank  auf  seine  Kniee,  bleich  in  Angst  und  Hoffen. 

Sie  blid<te  offen,  und  trofedem  sie  wach, 

Hat  ihren  Traum  sie  immer  fortgesponnen. 

Der  aber  war  verändert,  sdieuchte,  adi. 

Des  Schlaftraums  tiefe  und  so  reine  Wonnen, 

Was  ihr  die  Tränen  aus  den  Augen  trieb 

Und  banges  Weh  aus  liebendem  Gemüte; 

Auf  ihn  jedoch  ihr  51ick  geheftet  blieb. 

Auf  Porphyro,  der  betend  vor  ihr  kniete. 

Reglos  und  stumm,  als  sei  sie  eines  Traumes  Blüte. 

„Ach  Porphyro  1"  spradi  sie,  „wie  war  doch  nur 

SÜ&  zitternd  eben  nodi  in  meinen  Ohren 

Dein  lieber  Klang,  des  Herzens  siifeer  Schwur. 

Und  wie  ist  jefet  dein  51id<  so  leidverloren. 

Wie  bist  du  anders:  traurig,  bleich  und  kalt! 

Du  sollst  mir  alle  Wonnen  wiedergeben. 

Mit  deiner  Augen  himmlischer  Gewalt 

Empor  aus  diesem  Höllenweh  mich  heben. 

Denn  wenn  du  stirbst,  mein  Lieb,  wei&  ich  nidit  wo  zu  leben. 

In  Liebe  über  Sterbliche  erhöhl 
Durch  solche  Laute,  hat  er  sich  erhoben: 
Ein  herzbewegter  Stern,  der  flimmernd  steht 
In  liditer  Ruh  saphirner  Himmel  droben. 
In  ihren  Traum  schmolz  er  hinein,  wie  Duft 
Der  Rose  sidi  mit  Veildienduft  verbindet, 
SÜ6  aufgelöst.  Es  bläst  die  Winterlufl 


68 


Der  Liebe  Ruf,  die  Fenster  sind  erblindet 

Durch  sdiarfen  Hagelschlag;  Sankt  Agnes'  Mond  verschwindet. 

's  ist  dunkell  Windgepeitschter  Hagel  schlägt. 
„Dies  ist  kein  Traum,  o  Magdalen,  du  Meine!" 
's  ist  dunkel;  Sturmwind  slöfet  und  Hagel  schlägt. 
„Kein  Traum  ach,  ach!  Und  Weh  ist  all  das  Meine! 
Porphyro  läfel  mich  hier  in  Harm  und  Schmerz. 
O  welch  ein  Frevel,  dich  hierher  zu  bringen! 
In  deins  verloren  ist  mein  ganzes  Herz. 
Ich  fluche  nicht  dem  grausamen  Gelingen: 
Verlassne  Taube  ich  mit  kranken  iungen  Schwingen!" 

„Mein  Magdalen?  O  Traum,  o  Himmelsbild! 

Darf  dein  Vasall  ich  ewig  sein—  gesegnet? 

Ich  deiner  Schönheit  herzgeformter  Schild? 

Vor  dir,  Altar,  ruht  aus,  wer  dir  begegnet! 

Dem  müden  Pilger  soll  ein  Wunder  licht 

Die  krankzerquälte  Seele  nun  erneuen. 

Ich  fand  dein  Nest,  berauben  will  ich's  nicht— 

Nur  um  dein  sü&es  Selbst,  wenn  ohn  Bereuen 

Schön  Magdalen  vertraun  will—  keinem  Ungetreuen. 

Horch!  's  ist  ein  Elfensturm  aus  Feenland, 

Sehr  teuflisch  polternd,  doch  für  uns  voll  Gnade: 

Steh  auf—  steh  auf!  Schon  glüht  der  Morgenbrand; 

Die  vollen  Zecher  sehn  nicht  unsre  Pfade! 

So  la6  uns  eilig  fliehn  und  froh,  du  Mein! 

Denn  keiner  hört,  kein  Fufe  vermag  zu  stehen,— 

Betrunken  sind  sie  all  von  Met  und  Wein: 

Wach  auf!  Steh  auf!  Und  la&  uns  furchtlos  gehen. 

Und  hinterm  Moor  sollst  du  bei  mir  die  Heimat  sehen." 

Sie  eilt  bei  seinen  Worten—  angstbedrücki. 

Denn  schlafend  rings  viel  gierige  Draclien  liegen,— 

Hellwach  vielleicht,  den  Todesspeer  gezückt. 


69 


Sie  hastelen  hinab  die  Dämmersliegen. 

Im  ganzen  Hause  ist  kein  Menschenlaul, 

Nur  Fad<eln  flad<ern  wild  in  Eisenringen; 

Und  über  lose  Slofftapefen  haul 

Der  Slurnri  ein  Wogenspiel  von  Geistersdiwingen, 

Die  lobend  durch  die  hohe  zugige  Halle  dringen. 

Die  beiden  gleiien  wie  Phantome  fori, 

Durdi  weilen  Gang  zum  eisernen  Porlale, 

Berauschl  und  sdinardiend  lag  der  Wächter  dort, 

In  seinen  Fingern  nodi  die  nasse  Sdiale. 

Der  Bluthund  hebt  sidi,  sdiiiltell  Fell  und  Strick, 

Doch  sieht  und  wittert  er  den  Hausgenossen. 

Und  Bolz  und  Riegel  gleiien  leicht  zurück, 

Der  Schlüssel  dreht—  das  Tor  ist  aufgesdilossen 

Und  öffnet  sich  in  ächzenden  Scharnierkolossen. 

Und  sie  sind  fort.  Vor  langen  Jahren  flohn 

Die  Liebenden  hinaus  ins  Ungewitter. 

In  jener  Nachtzeit  träumte  der  Baron 

Von  manchem  Feind,  auch  waren  seine  Ritter 

Schwer  alpbedrüd<t  von  Hexe,  Wurm  und  Widit 

Und  Höllenspuk  und  eklen  Grabgestalten. 

Die  Alte  starb  mit  grä&lidiem  Gesicht.— 

Der  Beter  schlief  nadi  langem  Händefallen 

In  seiner  kalten  Asdie,  stets  für  fremd  gehalten. 


70 


CALIDOR  (Ein  Fragment) 

JUNG  Calidor  durchquert  im  Boot  den  See. 
Sein  Geist  ist  wacti,  ist  voti  vom  sctiönen  Weil, 
In  das  der  Abend  sicti  so  liebend  kleidet, 
Weil  er  nur  ungern  von  der  Erde  sctieidet. 
Nocti  zögert  rings  ein  lefetes  warmes  Lictit. 
Zum  blauen  Himmel  hebt  er  das  Gesicht 
Und  lächelt  lang  hinauf  in  t<lare  I^unde, 
5is  er  im  Herzen  fühlt  die  Sehnsuchtswunde; 
Da  wendet  er  den  51id<  zum  sanften  Bogen 
Der  Uferböschung  und  ins  Blätterwogen 
Der  Bäume,  die  sich  schattend  niederneigen 
Und  sich  im  See  die  zarten  Blüten  zeigen. 
Sein  froh  begeistert  Auge  folgl  dem  Schwung 
Der  flinken  Schwalbe  durch  die  Dämmerung, 
Wie  sie  so  launisch  auf  und  nieder  schwebt. 
Bald  tief  zum  Wasser  stöfet,  bald  hoch  sich  hebt, 
Jefet  mit  der  Brust  die  kühle  Nässe  streift, 
lefet  unsichtbar  in  blauen  Höhen  schweift. 

Nun  hebt  sich  seines  Bootes  scharfer  Kiel 
Und  gleitet  leicht  durch  krauses  Wellenspiel 
Hinein  in  breites  Wasserlilienbeet: 
Wie  wei^  ein  jeder  Blütenbecher  steht 
Und  Tau  erhoffend  auf  zum  Himmel  schaut. 
Ganz  nahe  hier  liegt  voll  von  Busch  und  Kraut 
Ein  Inselchen:  von  dort  genie&t  man  gut. 
Wie  schön  der  See  in  seinem  Ufer  ruht. 
Das  sich  zum  Fu&  der  blauen  Berge  dehnt; 
Doch  keiner,  der  mit  warmem  Herzen  sehnt 
Und  klaren  Auges  sieht,  was  die  Natur 
An  Schönheit  zeigt  auf  beider  Ufer  Flur, 
Geht  leicht  vorbei;  sie  grüßte  Calidor 
Heul  sanfter  noch  als  alle  Zeil  zuvor. 


71 


Seilwärls  die  Wipfel,  reich  in  Gold  gekleidet, 
—  Die  frohe  Sonne  sdienkl  es,  eh  sie  scheidet— 
Draus  ab  und  zu  der  Eichelhäher  sdiie&t 
Und  bunte  Schönheil  in  die  goldne  gie|t. 

Ein  alter  Turm  mit  sturmzerslörten  Mauern, 
Zu  stolz,  um  einstige  GröSe  zu  betrauern; 
Sdiwarz  wacht  beim  grauen  Grab  die  starre  Fichte 
Und  wirft  zu  Boden  ihre  harten  Früchte. 

Das  Fischerkirdilein,  dicht  vom  Epheulaube 
Umkränzt  bis  hoch  zum  Kreuz;  die  wei|e  Taube, 
Die  auf  dem  Fenster  glättet  ihr  Gefieder, 
So  licht,  als  käme  sie  vom  Himmel  nieder. 

Grünbuschige  Inseln  legen  linden  Sdiatten 
Quer  übern  See.  Durchs  Zwielicht  lugen  Mallen 
Mit  breiten  Ampferblättern  und  Ranunkeln, 
Mit  wilder  Kafeen  glühem  Augenfunkeln, 
Mit  zarten  silberigen  5irkenbäumen, 
Mit  hohen  Gräsern,  die  all  dies  umsäumen. 
Und  Abendlau  erguickte  alles  Schöne, 
Als  Calidor  beglüd<t  die  Silbertöne 
Einer  Trompete  hörte.  Ach,  es  nahen 
Viel  Freuden  ihm!  Des  Wäditers  Augen  sahen 
Durdis  Tal  herauf  der  Schimmel  Mähnen  wehen; 
Bald  wird  er  seine  liebsten  Freunde  sehen! 
Er  stö&t  sein  Boot  voran  mit  heitrem  Sinn, 
Nun  streicht  er  einsam  übers  Wasser  hin. 
Blind  für  den  Schwan  und  taub  für  Philomele  — 
So  sehr  voraus  eilt  drängend  seine  Seele. 

Nun  wendet  er  mit  kräftigem  Ruderstofe 

In  lefete  Bucht,  und  düster  ist  und  gro| 

Das  Schlol,  noch  fern,  vor  seinem  Blick  erschienen. 

Fast  sdineller,  als  die  eifrigste  der  Bienen 


72 


Zwei  Pfirsiche  umsummen  kann,  erreichien 

Des  leichten  5ooies  Rippen  jene  feudilen 

Marmornen  Stufen,  die  ins  Wasser  führen. 

Und  aufwärts  eilt  er,  dann  durch  Flügeltüren, 

Durch  eidiene  Hallen  und  durch  Corridore. 

Köstliche  Töne!  Nie  klang  seinem  Ohre 

Und  seinem  Herz  ein  Vogellied  so  traut, 

Als  jefet  der  Rossehufe  Klapperlaut. 

Zwei  edle  Hengste  und  ein  Zelterpaar 

Ward  er  beim  Eintritt  in  den  Hof  gewahr: 

In  lockern  Zügeln  warfen  sie  die  Nad<en 

Zurseite,  während  sie  auf  Prachtschabrad<en 

Glückliche  Bürden  trugen  durch  das  Tor. 

Welch  sanften  Ku&  und  Drud<  gab  Calidor 

Den  Händen  jeder  Dame!  Wie  entzückt 

Umspannt  er  feine  Knödiell  Süfe  entrüd<t 

War  seine  Seele,  während  Flüstergrü&e 

Ihn  zögern  liefen,  ihre  zarten  Fü§e 

Herab  zu  lassen  auf  die  harte  Erde. 

Wie  süS  dies  Sdimiegen,  als  sie  sich  vom  Pferde 

Hin  über  seinen  Nacken  sinken  liefen! 

Und  ob  da  leise  Sehnsuchtstränen  fliegen, 

Oder  ob  ihre  Locken  Tau  gefangen: 

Er  fühlte  eine  Feuchte  auf  den  Wangen— 

Und  segnete  mit  Lippen,  die  erbeben, 

Mit  Augen,  die  sich  leuchtend  aufwärts  heben, 

All  diese  Wonne,  die  so  weich  und  warm 

Und  innig  sich  gesdimiegl  in  seinen  Arm. 

Auf  seiner  Sdiulter  hing  die  Grübdienhand 

Sdiön  wie  ein  Wunder  aus  dem  Feenland, 

Wie  weifee  Cassiablüte,  die  der  Regen 

Der  Sommernacht  erfrischt—  o  reidier  Segen! 

Er  koste  sie  mit  seiner  frohen  Wange, 

Als  ob  er  alle  Seligkeit  empfange. 


73 


Da  schlug  Sir  Clerimonds  freundliches  Grüben 
Ans  Ohr  ihm.  Sanft  zog  er  aus  ihrer  süfeen 
Knech!schafl  den  Arm,  den  neuer  Dienst  begehrt, 
Votl  Danl<,  da&  ihm  so  viele  Lust  bescheert. 
Indes  er  an  die  Stirne  eine  Hand 
Herzinnig  pre&te,  die  ein  Gott  gesandt, 
bedrängten  gut  zu  helfen:  eine  Hand, 
Die  aus  den  kalten  Klippen  dieser  Welt 
Jung  Calidor  erheben  wird  zum  Held. 

Zwischen  den  Pagen  und  den  Fackeln  stand 
Bei  seinem  Ro&  ein  Ritler,  elegant 
Und  stolz  gewachsen;  seine  Federn  wären 
Im  Wind  so  hoch  wie  wilde  Eschenbeeren 
Oder  wie  Hermes'  Flügelkappe  ragt. 
Und  sicher  hätte  nie  ein  Mensch  gewagt 
Den  Panzer,  den  er  trug  und  der  so  fein 
Geflochten  war,  für  Stahl  zu  halten,  nein. 
Man  hielt  ihn  eher  für  ein  Prunkgewand, 
In  dem  wohl  gar  ein  hoher  Engel  stand. 
Der  sich  verkappt  den  Gästen  zugesellt. 
„Sir  Gondibert,  der  weit  berühmte  Held," 
So  stellte  Clerimont  ihn  munter  vor. 
Der  junge  Krieger  kam  zu  Calidor 
Anmutigen  Schritts  voll  Herzlichkeit  heran 
Und  bot  gepanzert  eine  Hand  ihm  an, 
Bereit  zu  grüben  den  erglühten  Knaben; 
Der  schaut,  als  dürfe  er  die  Augen  laben 
An  hohem  Wunder.  Während  er  voll  Glück 
Die  Damen  führte,  sah  er  oft  zurück. 
Im  Licht  der  Lampen,  die  vom  Dach  der  Halle 
Herniederhingen  und  die  Wehrmetalle 
In  überirdischem  Glanz  erstrahlen  machten. 
Die  ritterlichen  Brauen  zu  betrachten, 


74 


Die  unter  feingeschwungenem  Visier 
Sidi  wölblen  über  Augen  von  Saphir. 

Bald  sifeen  sie  in  angenehmem  Raum. 
Die  Damen  mit  den  Lippen  sü&  wie  Traum 
begrüßten  all  die  grünen  Ranken  schon, 
Die  rund  um  Fensler  klimmen  und  5alkon, 
Um  ihre  purpurslernigen  51ülenlod<en 
Zu  zeigen  und  die  zarlen  Bernsleinglocken. 
Sir  Gondiberl  lal  ab  sein  slählern  Kleid, 
Und  er  genie&l  nun  voll  Behaglichkeil 
Den  leichten  Manlel  über  Brusl  und  Rücken. 
Und  während  Clerimond  mil  milden  Blid<en 
Sich  umschaut,  brennt  jung  Calidor  danach, 
Von  Rittertat  zu  hören:  wie  man  Sdimadi 
Zurüd<wies,  wie  man  stark  mit  tapfrer  liand 
Von  werter  Fraue  Sdirecken  abgewandt; 
Und  übervoll  hiervon  gab  jeder  Hand 
Der  Damen  er  so  warmen  Ku&  und  blickte 
So  feurig  drein,  da&  es  sie  halb  entzückte 
Und  halb  erstaunte,  bis  sich  herzbewegt 
Ein  Lädieln  über  ihre  Mienen  legt. 
So  süB  wie  sonnenselig  Himmelsblauen 
Hodi  über  zauberhafte  Inselauen. 

Sanft  kamen  Lüfte  aus  des  Waldes  Herzen, 
Sanft  bliesen  seitwärts  sie  das  Licht  der  Kerzen, 
Klar  war  der  Sang  der  Nachtigallenkehle, 
Lieblich  der  Duft  der  Lindenblütenseele, 
Verlockend  wild  der  ferne  Hörnerklang, 
Reizend  der  Mond  auf  seinem  stillen  Gang. 
SÜ&  auch  die  Unterhaltung  dieser  Freunde 
Wie  guter  Geister  fröhlidie  Gemeinde, 
Wie  sanftes  Summen,  das  wir  rundum  hören. 
Wenn  Hesperus  ersdieint  mit  Sternenchören. 
SÜ&  sei  ihr  Schlaf 


75 


DEDIKATION  AN  LEIGH  HUNT 

LIEBREIZ  und  Glaube  sind  dahingesdiwunden, 
Denn  ziehn  wir  jefel  aufs  freie  Feld  hinaus, 
Grü^I  kein  AHar,  drauf  Kranz  und  Blumenstrauß 
Als  frommes  Opfer  frohen  Tod  gefunden. 

Und  keine  Mäddien  ziehn  in  ersten  Stunden 
Des  Tags  auf  Floras  weites  Land  heraus. 
Mit  Rosen,  Veildien,  Korn  und  Blattgekraus 
Dem  Mai  den  Dank  der  Jugend  zu  bekunden. 

Dodi  andre  Lust—  und  grö|re—  bleibt  zu  pflücken 
Und  wird  auf  meinen  Weg  mir  Blumen  streuen: 
Vermag  audi  heut  kein  Pan  mehr  zu  entzüd<en. 

So  wird  dodi  liefre  Freude  mich  erneuen, 
Wüßt'  ich  mit  dieser  Gabe  zu  beglücken 
Und  einen  Mann  wie  du  bist  zu  erfreuen. 


76 


¥ 


AN  MEINEN  BRUDER  GEORG 

IE  viele  Wunder  hab  ich  heul  gesehn! 
Den  heilen  KuB,  mit  dem  das  SonnenHchl 
Des  Morgens  Träne  Irank,  —im  Abendlicht 
Lang  tote  Helden  über  Wolken  gehn— 

Des  Ozeans  urewiges  Phänomen: 

Das  Meer,  das  Hoffnung  trägt  und  Hoffnung  bridil 

Und  wilde  urweltliche  Sprache  spricht 

Und  grollt  und  seufzt  von  Werden  und  Vergehn. 

Und  jefet,  Georg,  da  ich  dir  dieses  schreibe. 
Lugt  Cynthia  bleich  aus  wei|en  Wolkenbänken, 
Ein  wenig  nur,  als  sei  heut  Hochzeitnacht 

Und  lade  sie  zu  beferem  Zeitvertreibe. 

Dodi  hält'  ich  nicht  dies  treue  Deingedenken, 

Was  war  des  Meers  und  was  des  Himmels  Pracht! 


77 


¥ 


ÄR  ich  von  rillerlidiem  Wudis,  vielleidit 
War  meinem  Weh  ein  Widerhall  erwadit 
Und  hälie  wohl  dein  Herz  in  Glut  enlfachf, 
Da6  es  mir  selbsi  die  Waffen  überreidii. 

Doch  ach,  ich  bin  kein  Held,  dem  alles  weichl, 
Und  meine  5rusl  sdiirmt  keine  Panzerpradit; 
Kein  Schäfer  bin  ich,  dem  ein  Mädchen  lachi. 
Und  dessen  Mund  erzitterl  und  erbleich!. 

Und  mu&  dich  dennodi  lieben—  süB  didi  nennen. 
Viel  süfeer  noch  als  Hybla's  Rosenbecher, 
Wenn  sie  von  Tau  gefüllt  fast  überrinnen. 

Äh,  dieser  Tau  1  Idi  will,  idi  mu&  ihn  kennen! 
Erscheine  Mond!  Madi  midi  zum  seligen  Zecher! 
Mit  Sprudi  und  Zauber  mu&  ich  ihn  gewinnen! 


7Ö 


¥ 


IE  viele  Sänger  schrillen  durch  die  Zeil 
Und  gaben  meiner  Seele  ein  Enlzüd<en, 
Denn  jede  Schönheil  suchle  ich  zu  pflücken, 
So  Erdenklang  wie  Sang  der  Ewigkeil! 

Und  ofl,  wenn  mich  der  Muse  Kufe  geweiht, 
Sdiwillt  dieses  Tönemeer,  midi  zu  beglücken. 
Dodi  suchl  kein  Klang  den  andern  zu  erdrüd<en, 
Da  ist  kein  roher  Lärm,  kein  wilder  Streil. 

Es  ist  wie  Sang,  den  uns  der  Abend  bringt: 
Das  Quellenrieseln  und  der  Glod<enklang, 
Das  Vogellied,  der  51äller  eiliges  Spredien— 

Wie  alles  dies  im  Chor  zusammenklingt 
Und  tönend  formt  des  Tages  Schlufegesang, 
Und  keins  vermag  die  Einheit  zu  durchbredien. 


79 


N 


AN  G.  A.  W. 

■  YMPHE  des  Lächelns  mii  gesenkten  Blicken, 
In  welchen  glanzverklärlen  Tagesstunden 
Sei  deiner  Lieblichkeit  der  Kranz  gewunden: 
Wenn  sü&e  wirre  Reden  dich  verstricken— 

Wenn  du  in  himmelheiterem  Verzücken 
Gedanken  lebst—  wenn  du  so  ungebunden 
Hintanzest  durch  des  Gartens  Sonnenstunden 
Und  hundert  5tumen  dir  Willkommen  nid<en? 

Oder  wenn  du  gebannt  in  sü&em  Lausdien 
Die  Rosenlippen  teilst?—  Wie  darf  ich  fragenl 
Ein  Scbiönstes  gegen  Schönstes  umzutauschen, 

War  Torheit  nur.  Ich  könnte  dann  auch  sagen. 
Welche  der  Grazien  in  Apolls  Geleit 
Die  erste  sei  an  holder  Lieblichkeit. 


ÖO 


E 


INSAMKEIT!  Wohl  mu&  mil  dir  ich  wohnen; 
Doch  sei  es  nidii  in  diesem  finsterkalten 
^Gewirr  von  Häusern;  hoch  auf  Felsgesfallen— 
Sternwarten  der  Natur—  da  la&  uns  thronenl 

Wo  tief  das  Tal  mit  Flu&  und  Wälderkronen 
Nur  fußlang  scheint.  Lafe  uns  Vigilien  halten, 
Dort  wo  das  Reh  aus  grünen  Hinterhallen 
Die  Biene  schred<t  von  Ginst  und  Anemonen. 

Wohl  möcht  ich  gern  mit  dir  dies  alles  schauen! 

Doch  süfere  Freude  meine  Seele  kennt, 

Und  das  ist  Höchstes,  was  mir  Sehnsudit  nennt: 

Mit  Wahlverwandlem  fliehn  zu  deinen  Gauen, 
Mit  ihm,  in  dem  die  reine  Flamme  brennt 
Und  Worte  weife,  ihr  Wesen  zu  vertrauen. 


öl 


D 


IE  lefeien  Blälier,  die  an  5üschen  hängen, 
Zerrauft  ein  Wind  mit  monotonem  Wort, 
Die  Sterne  stetien  kalt  am  Himmel  dort, 
Und  vor  mir  liegt  ein  Weg  von  Meileslängen. 

Dodi  kann  midi  Kampf  und  Kälte  nictit  bedrängen; 
Auf  loten  Blättern  sdireit  idi  heiter  fort, 
Obsdion  sehr  fern  der  heimatlidie  Ort 
Und  kalt  herab  die  Silberlampen  hängen. 

Denn  übervoll  bin  ich  der  Freundlichkeit, 
Die  heut  in  kleiner  Hütte  zu  mir  kam. 
Von  Miltons  Klage,  Lycidas  geweiht. 

Als  Sdiid<salshärte  diesen  Freund  ihm  nahm; 
Von  Laura,  die  Petrarca  so  entzüd<te, 
Da&  ihn  die  Krone  aller  Kronen  schmückte. 


62 


N 


GRASHUPFER  UND  HEIMCHEN 

lEMALS  ist  iol  der  Erde  Poesie: 
Wenn  Vögel  müde  sind  von  heilen  Sonnen, 
Dann  nimmt  die  Führung  in  den  Sommerwonnen 
Grashüpfers  Stimme,  und  sie  rastet  nie. 

Von  Hed<  zu  Hed<e  rennt  die  Metodie 
Und  hält  die  frischgemähte  Trift  umsponnen; 
Madit  Lust  ihn  matt,  so  ruht  er  sü&  versonnen 
Bei  grünstem  Halme,  der  für  ihn  gedieh. 

Nie  endet  sie,  die  Poesie  der  Erde. 

Am  stillen  Winterabend,  wenn  der  grimme 

Nachtfrost  ein  Schweigen  breüet,  sdirillt  vom  Herde 

Des  Heimchens  Sang  dem  Träumer  in  die  Ohren, 
Als  habe  sich  Grashüpfers  Sommerstimme 
Aus  grüner  Trift  in  seinen  Traum  verloren. 


63 


GLUCKLICH  ist  England!  SolH'  ich  nicht  zufrieden 
Bei  seiner  Wiesen  frischem  Grün  verweilen. 
Mein  Leid  in  seinen  hohen  Wäldern  heilen. 
Die  grüne  Panzer  um  die  Seele  schmieden? 

Doch  mandimal  träum!  mein  Herz  vom  blauen  Frieden 
Italischer  Himmel  und  verlangt  bisweilen 
Nach  erdenfernen  kahlen  Felsensteilen, 
Nach  einem  Thron  auf  Alpenpyramiden. 

Glücklich  is!  England!  Seine  Töchler  haben 
Ein  arglos  Herz  und  schlichte  Lieblichkeil. 
Genügen  sollten  mir  so  sdiöne  Gaben! 

Doch  oft  erfa&t  mich  tiefe  Bangigkeit 
Nach  heitern  Frauen,  deren  5Ü|e  Stimmen 
Hell  neben  mir  auf  Sommerwassern  schwimmen. 


84 


¥ 


IE  lieb  idi  das:  wenn  slill  aus  goldnen  Krügen 
Der  Sommerabend  fliegt  und  die  gelinden 
Wei&wölkchen  ruhn  auf  duftgeschwelllen  Winden, 
Von  Irübem  Denken  mich  hinwegzulügen; 

Befreil  vom  Kleinlichen,  in  vollen  Zügen 
Den  Glanz  zu  Irinken,  ein  Versleck  zu  finden, 
Wo  Schönheil  und  Naiur  sich  Kränze  winden, 
Und  dorl  mein  Herz  zur  Freude  zu  beirügen; 

Ans  heimatlich  Erhabne  mich  zu  drängen. 

Dem  Sdiid<sal  Millon's,  Sidney's  nachzuhängen, 

Bis  beide  ernsl  vor  meiner  Seele  leuchlen— 

Vielleidil  im  Liede  mich  hinaufzusdiwingen. 

Bis  Melodieen  mir  die  Äugen  feuchlen 

Und  Lust  und  Leid  in  Tränen  sanfl  verklingen. 


Ö5 


D 


IE  Glod<en  läuten  Trübsinn  in  die  Weli. 

Lau!  mahnt  itir  Ruf  zu  anderen  Gebeten; 

Mit  wilden  Zungen,  fürctiterlidi  beredten, 

Von  Grauen,  Setimerz  und  Sctired<  itir  Toben  getlt. 

Und  maditvolt  ist  itir  Ruf,  der  zürnend  beltt, 
Denn  Mensclien  folgen  itim,  ftietin  angstbetreten 
Vom  stillen  Herd,  wo  edelste  Poeten 
Mit  Wort  und  Werken  ihren  Geist  erhellt. 

Nodi—  nodi  ihr  Läuten!  Und  wie  Grabesschauer 
Würd'  mich  Verzweiflung  fassen,  wü&t'  ich  nicht, 
Da|  dieses  Heulen  nicht  von  langer  Dauer. 

Ich  aber  weil,  wie  einer  Lampe  Lidit 
Einmal  erlischt,  so  stirbt  auch  dieser  Sdirei,— 
Und  edle  Freudigkeiten  blühen  neu. 


Ö6 


N 


ACH  langer  Zeil,  da  dichie  Nebelded<en 
Das  Land  bedrüd<ten,  wachl  mil  sanfter  Schwüle 
Ein  Tag  auf  von  des  Südens  sonnigem  Pfühle 
Und  fegi  vom  kranken  Himmel  alle  Fled<en. 

Fröhlich  erlös!  aus  trübem  Winterschred^en 
Frohlod<t  die  Zeit  in  mailichem  Gefühle; 
Die  Lider  spielen  mit  der  sanften  Kühle, 
Wie  Rosenblätter  Sonnentropfen  lecken; 

Uns  überkommen  friedliche  Gedanken: 

Von  Knospenkraft—  Fruchlreife—  Herbslessonnen, 

Die  still  auf  Halme  lädheln  und  auf  Ranken— 

Von  Sapphos  Wange—  Schlummerkindleins  Rot— 
Von  Sand,  der  sanft  durchs  Stundenglas  geronnen- 
Vom  5ach  im  Wald—  von  eines  Didilers  Tod. 


67 


AUF  EIN  BILD  DES  LEANDER 

IHR  siiisam  sü&en  Mädchen,  kommt  gegangen, 
Senk!  unter  Wimpern  blasser  Augenlider 
Demüiig  keuschen  Blick  zur  Erde  nieder 
Und  haltet  milde  Hand  von  Hand  umfangen. 

Als  könntet  ihr  bestürzt  nur  und  mit  Bangen 
Ein  Opfer  eurer  Schönheil  sehn,  das  nieder 
In  nasse  Nacht  sinkt:  niemals  löst  ihn  wieder 
Die  junge  Liebe  aus  den  Wogensdilangen. 

Leander  ist's,  der  sich  zu  Tode  müht. 
Ohnmächtig  lädieln  nodi  die  matten  Lippen 
Den  lefeten  Ku^,  den  Sturm  zu  Hero  trug. 

O  schred<lichl  Seht,  wie  seine  Kraft  versprüht. 
Sein  Leib  löscht  aus  wie  Leuchten  zwischen  Klippen, 
Aufperlt  der  Liebe  legier  Atemzug. 


öö 


F 


AUF  DAS  MEER 

S  flüslerl  rings  zum  Strand  in  Ewigkeit, 
Füllt  flutend  zwanzigtausend  Grotten  an, 
Bis  itinen  Hel<ate  mit  Zauberbann 
Wieder  den  alten  dunl<len  Klang  verleitit. 

Oft  ist  es  von  so  sanfter  Heiterkeit, 
Da&  allerkleinste  Musdiel  rutien  kann. 
Wo  sie  dem  lauten  Wogenbraus  entrann 
Nacli  lefetem  wildentbranntem  Wetterstreit. 

Itir,  deren  Augen  brennend  oder  matt, 
Ergöfet  sie  wieder  auf  der  weiten  Flutl 
Itir,  deren  Otiren  taub  vom  rotien  Spotte 

Oder  von  Melodieen  übersatt, 

Sifet  nati  dem  Meer  und  tiört  in  Traumesglut 

Den  Sang  des  Nymptienctiors  aus  alter  Grotte! 


69 


¥ 


ENN  Furcht  mich  fa|t,  mein  Dasein  könne  enden, 
Noch  eh'  die  Feder,  was  mein  Hirn  erdachte, 
In  Sdirift,  in  Büdiern  wu|te  zu  vollenden. 
Das  reife  Korn  in  volle  Speicher  brachte  — 

Wenn  wolkengleidi  tief  seltsame  Legenden 
Der  Nadit  besterntes  Äntlife  überflie|en. 
Und  ich  es  wei&,  dafe  nie  mit  Zufallshänden 
Das  Glüd<  mir  hilft,  ihr  Bild  in  Form  zu  gießen— 

Und  wenn  idi  fühle.  Schönste  du  von  allen, 
Da&  nur  die  flüchtige  Stunde  uns  umfängt, 
Da|  nie  mein  Herz  in  jenen  Zauberfallen 

Gedankenloser  Liebe  träumend  hängt— 
Dann  steh  idi  einsam  vor  den  Ewigkeiten, 
Bis  Ruhm  und  Liebe  in  ein  Nichts  entgleiten. 


90 


F 


AN  EINE  DAME  (flüdiiig  gesehen  in  Vauxhall) 

UNF  jähre  ebb!  das  träge  Meer  der  Zeit, 
Und  langsam  rann  der  feine  Stundensand, 
Seit  du  den  Handschuh  zogst  von  weiter  Hand 
Und  idi  midi  fing  in  deiner  Lieblichl<eit. 

Und  dennodi:  sdiau  idi  auf  zum  Sternenlicht, 
So  zeigt  Erinnrung  deiner  Augen  Glanz, 
Und  seh  ich  rosiger  Rosen  zarten  Kranz, 
Denkt  meine  Seele  nur  an  dein  Gesicht. 

Kein  Knospenschwellen  kann  mein  Auge  sehen, 
Ohn'  da&  mein  töricht  Ohr  sich  neigt  und  lauscht. 
Um  deines  Mundes  Worte  zu  verstehen. 

So  wird  in  jedes  Olück  dies  Deingedenken 
—  Wie  tiefre  Lust,  die  inniger  berauscht— 
Den  süßen  Stachel  seiner  Schmerzen  senken. 


91 


ICH  lachte  heut—  warum?  Wer  sagt  es  mir? 
Kein  Gott,  l<ein  Dämon  ist,  der  Antwort  sagt. 
Der  mir  aus  Himmel,  Hölle  Antwort  wagt! 
Nur  Schweigen,—  Herz,  so  wend  ich  mich  zu  dir: 

Herz!  Du  und  idi  sind  traurig  und  allein; 
Ich  frage:  weshalb  lachte  ich?—  Nun?  Nun?— 
O  Dunkel,  Dunkell  Und  ich  kann  nicht  ruhn. 
Und  Himmel,  Hölle,  Herz  höhnt  meine  Pein! 

Ich  lachte  heut—  warum?—  Kurz  ist  das  Leben, 
Sein  Seligstes  genofe  beschwingt  mein  Geist- 
Doch  würd'  ich  heute  gern  dem  Tod  midi  geben. 

Der  unsre  bunten  Fahnen  schrill  zerrei|l: 

Lied,  Ruhm  und  Schönheit  türmen  nur  den  Thron 

Für  König  Tod  -  des  Lebens  höchsten  Lohn. 


92 


o 


AN  DEN  SCHLAF 

sanfter  Dufi  der  siillen  Miilernacht, 
Der  zart  und  sorgsam  unsre  Augen  schlie|t 
Und  schallend  vor  dem  Lichle  sie  bewacht. 
In  Seelen  göttliches  Vergessen  gie|t, 

O  sanfter  Sdilaf  I  Sdilie|  mir  die  willigen  Lider, 
Eh  dieses  Hymnus'  lefeles  Wort  verklingt. 
Nein,  hör  das  Amen  erst,  eh  sdiläfernd  nieder 
Dein  Mohn  die  sü^en  Gnadengaben  bringt. 

Dann  hüte  mich,  sonst  gie|t  der  Tag  sein  Licht, 
Vielfachen  Jammer  brütend,  auf  mein  Kissen, 
Behüte  mich,  denn  adi,  es  sdilummert  nicht 

Das  wie  ein  Maulwurf  wühlende  Gewissen; 
Dreh  flink  den  Sdilüssel  in  geölten  Riegeln, 
Die  meiner  Seele  Springbrunn  sanft  versiegeln. 


93 


AN  FANNY 

ICH  schreie:  hab  Erbarmen!—  Mitleid!—  Liebe! 
Liebe,  die  sich  erbarmt  und  die  nicht  quält, 
Beständige,  arglose,  offene  Liebe, 
Die,  makellos,  sich  keine  Maske  wählt. 

O  gib  dich  ganz!  Sei  mein—  sei  meinem  Flehen! 
Gestalt  und  Antlib—  sü&er  kleiner  Mund- 
Himmlische  Augen,  Hände,  die  verstehen. 
Der  warmen  Brüste  freudevolles  Rund,— 

Gib  deine  Seele—  gib  dein  ganzes  All, 

Halt  nidits  zurüd<,  nidits—  nidits!  Idi  würde  sterben! 

Und  lebte  idi,  dein  elender  Vasall, 

Idi  würde  dodi  an  meinem  Sdimerz  verderben! 
Idi  könnte  meines  Daseins  Sinn  nicht  finden, 
Mein  Geist,  mein  Ehrgeiz  würden  stumpf  erblinden! 


94 


5 


DES  DICHTERS  LETZTES  SONETT 

TRÄHl.STERN!  könnt  ich  gleidi  dir  besländig  sein! 
Nidil  einsam  prangend  in  der  nächtigen  Herde, 
Nidii  offnen  Lides  wandern  im  Verein 
Mit  dem  geduldigen  Eremit  der  Erde, 

Dem  Strom  des  Wassers,  der  mit  Priesterhand 
Der  Menschen  Lande  wäscht  in  ewigem  Wadien, 
Nicht  starrend  auf  der  Berge  Sdineegewand 
Und  dunkler  Moore  grün  verschlossne  Rachen- 
Nein—  dodi  beständig:  immerdar  gebettet 
Auf  der  Getiebten  reifend  wache  Brust, 
Wie  Schwellen  sich  mit  Sinken  zart  verkettet. 

Sanft  fühlend,  sü|er  Unruh  stets  bewu&t, 
Nodi  hörend,  nodi,  des  Atems  lindes  Wehen- 
So  ewig  leben—  oder  tot  vergehen! 

1Ö20 


95 


LA  BELLE  DAME  SANS  MERCI 


¥i 


'ÄS  fehlt  dir  doch,  du  armer  Wichi, 
Was  schweifsi  du  einsam  bleich  umher? 
Das  Schilf  ist  längst  schon  welk,  es  singt 
Kein  Vöglein  mehr. 


Was  fehlt  dir  doch,  du  armer  Wicht; 
Was  bist  du  so  verhärmt  und  krank? 
Des  Eichhorns  Speicher  ist  gefüllt, 
Die  Ähre  sank. 

Eine  Lilie  blüht  auf  deiner  Stirn, 
Betaut  von  Fieber,  Not  und  Qual, 
Die  Rosen  deiner  Wangen  sind 
Verwelkt  und  fahl. 

„Ein  Fräulein  traf  im  Hag  ich  an, 
War  schön,  wie  nur  ein  Feenbild, 
Ihr  Haar  war  lang,  ihr  Schritt  war  leicht, 
Ihr  Blid<  war  wild. 

„Ich  hob  sie  auf  mein  schreitend  Ro^, 
Und  seitwärts  lehnte  sie  und  sang; 
Nun  sah  ich  nichts  als  sie  im  Tag— 
Viel  Stunden  lang. 

„Ich  flocht  ihr  einen  Kranz  aufs  Haupt 
Und  duftigen  Kranz  um  Brust  und  Arm, 
Sie  dankte  mir  mit  Blick  und  Wort 
So  sü|  und  warm. 

„Sie  suchte  saftiges  Wurzelwerk, 
Wildhonig,  Manna-Tau  für  midi 
Und  sagte  mir  in  fremdem  Laut: 
Ich  liebe  dich. 


96 


„Sie  nahm  midi  in  ihr  Grottensdilo| 
Und  sah  mich  an  und  seufzle  lief. 
Ich  kü&ie  ihr  die  Augen  zu, 
Sie  lag  und  schhef. 

„Dort  schlief  audi  ich  im  Moose  ein. 
Da  träumte  mir  ein  Traum  so  bang. 
Der  lefete  Traum,  den  ich  geträumt 
Am  Hügethang. 

„Sah  Könige,  Fürsten,  Ritter  stehn— 
So  bteidi,  wie  Tod  nur  bleidi  sein  l<ann- 
Sie  schrien:  La  belle  dame  sans  merci 
Hat  dich  im  Bannt 

„Aus  t<taffend  offnem  Totenmund 
Der  schauertidie  Warnruf  drang, 
ich  wachte  auf  und  fand  mich  hier 
Am  Hügethang. 

„Und  darum  irr  ich  einsam  hier 
Und  bteidi  im  welken  Sdiilf  umher, 
Obgleidi  ich  weife,  es  singt  schon  längst 
Kein  Vöglein  mehr." 


97 


1 


AUF  DEN  TOD 

ST  Tod  wohl  Schlaf,  da  dodi  nur  Traum  das  Leben 
Und  Freuden  wie  Visionen  uns  enlsdiwinden, 
Da  Seligkeiten  geisiergleich  enlsdiweben 
Und  wir  das  Sierben  doch  als  Schmerz  empfinden? 

Wie  sonderbar!  Du  mu|l  durdi  Leiden  gehen 
Und  darfsl  nichl  einen  Schrill  vom  Wege  madien, 
Vom  finslern  Pfad,  darfsl  nie  dein  Schid<sal  sehen. 
Das  doch  nichls  weiler  isl  als  ein  Erwachen. 


9Ö 


ZEILEN  AN  FANNY 


¥i 


AS  kann  ich  tun,  um  meinen  Augen 
Erinnrung  zu  eniziehn?  Warsi  du  doch  nah; 
Erst  eine  Siunde  ging,  seil  ich  dich  sah, 
Mil  durstigem  Blid<  dein  Bildnis  aufzusaugen. 
Berührung  hat  Gedächtnis  1  Lieb,  o  sage. 
Wie  l<ann  ich  das  ertöten? 
Wie  rett  ich  mich  aus  diesen  tiefen  Nöten, 
Da&  ich  in  alter  Freiheit  wieder  rage? 
Wenn  jeder  Schönen,  die  ich  sah,  mein  Fang 
Geschid<t  gelang. 

So  ri|  doch  bald  die  schlechlgewebte  Schlinge, 
Und  ich  entsprang! 
Ob  dürftige,  ob  farbenbunte  Dinge- 
Ich  fühlte  meiner  Muse  Flügel, 
Ich  hielt  die  Zügel! 
Und  stets  war  ihre  Kraft  bereit 
Sich  meinem  Wunsch  zu  schenken. 
Der  ohne  naclizudenken 
Doch  thronte  in  erhabner  Göttlichkeit. 
In  Göttlichkeit!—  Der  Vogel,  den  sein  Flug 
Hintanzend  über  Meeresrauschen  trug. 
Wird  er  im  heitren  Steigen,  Neigen,  Senken— 
Ein  Philosoph—  an  Ziel  und  Absicht  denken? 

Wie  soll  ich  tun. 

Von  neuem  nun 

Verlorne  Federn  wiederzuempfangen. 

Empor,  empor, 

Bis  drunten  Amors  Flattern  sich  verlor, 

In  ewigreinen  Äther  zu  gelangen?— 

Berausche  dich  in  Wein!— 

Das  ist  gemein, 

Ist  Sünde,  Kefeerei, 


99 


Die  das  Gesefe  der  Liebe  schmählich  schändet. 

Nein,—  nur  den  Frohen  macht  das  Trinl<en  frei, 

Doch  mir  ist  Leid  gesendet!  — 

Wie  soll  idi  wissen,  wo  mein  Friede  sei? 

Und  wie  mich  stählen,  jenem  grausigen  Lande, 

Dem  Kerker  meiner  Freude,  fern  zu  bleiben: 

Dem  eklen  Strande, 

An  dem  sie  scheiterten  und  haltlos  treiben; 

Der  fürchterlichen  Welt,  wo  trübe  Flüsse 

Die  schmufeigen  Wellen  an  die  Ufer  spülen 

Und  nie  die  Nähe  heitrer  Götter  fühlen  — 

Wo  rauher  Wind  beeiste  Ruten  schwingt 

Und  Gei^elhiebe  bringt 

Und  wilden  Schmerz  als  einzige  Genüsse— 

Wo  blind  und  sdiwarz  erfrorne  Wälder  ragen, 

Dryaden  schred<end— ,  wo  verdorrtes  Gras, 

Des  dürren  Ochsen  widerlicher  Frafe, 

Die  Wiesen  ded<t,  die  keine  Blumen  tragen  — 

Wo  niemals  lod<l  ein  lieber  Vogelruf: 

Dem  Land,  das  die  Natur  im  Zorn  ersdhuf  1 

O  da|  ein  Wunder  käme! 

Da&  Sonne  diese  Höllenschatten  nähme) 

Sie  müssen  fort!—  Bei  Tages  Dämmerschein 

Ist  meine  Dame  mein! 

O  meiner  Seele  Lust: 

Noch  einmal  ruhn  auf  dieser  süfeen  Brust! 

Noch  einmal  meine  Arme  fühlen  lassen, 

Da6  sie  als  Kerkermeister  dich  umfassen! 

Noch  einmal  mich  an  deinen  Atem  drängen, 

Da|  seine  Düfte  in  mein  Haar  sich  hängen! 

Du  tiefe  Sü|e  soldier  Qual  — 

O  kü&  mich  noch  einmal! 

Genug!  genug!  Es  ist  genug  für  midi: 

Find  idi  im  Traume  didi! 


100 


s 


AN- 

USSES,  denk  nicht  dran,  la&  ruhn; 

Weine  nichl,  sei  still. 
Seufze  nur,  doch  la|  es  ruhn, 

Lafe  es  gehn  wie's  will. 

Sü|es  Lieb,  blick  nicht  so  trüb, 
Nichl  so  trüb  und  matt. 

Einen  Tropfen  Träne  ^ib, 

Der  den  Tod  schon  hat. 

Nodi  so  bleich?  So  wein  dich  aus! 

Und  idi  sammle  dann 
Alle  Tränen,  da&  daraus 

Segen  perlen  kann. 

Klarer  als  ein  Bächlein  rinnt, 

Dir's  vom  Auge  go&, 
Linder  noch  als  Wellchen  sind. 

Dein  Geflüster  flo&.— 

Um  ein  Glück,  das  von  ihm  schied. 
Klagt  wohl  jedermann— 

Gut  nur,  da&  solch  Klagelied 
Man  auch  küssen  kann. 


101 


¥ 


DAS  MILCHMÄDCHEN 

O  gehst  du  nur  hin,  du  Mäddien,  sag? 
Und  was  trägst  du  im  Körbchen  so  sittig? 
Du  sauberes  Kind,  eil  nicht  so  geschwind, 
Reich  mir  einen  Trunk,  ich  bitt  dich! 

Idi  mag  deinen  Anger,  ich  mag  deinen  Klee, 

Und  Milch  naschen  mag  ich  unendlich; 

Dodi  lieber  mir's  ist,  wenn  dein  Mündchen  mich  kü|t. 

Das  ist  ia  so  selbstverständlich. 

Idi  mag  deine  Hügel,  deine  Täler  so  sehr. 
Und  idi  mag  deine  blökenden  Sdiafe— 
Doch  ach,  mich  ins  Heu  zur  Seite  dir  treu 
Zu  betten  zum  Liebesschlafe! 

Dein  Körbchen,  das  stell  ich  recht  sorgsam  beiseit, 
Deinen  Sdial  häng  ich  auf  an  der  Weide, 
Und  dann  seufzen  wir  matt  in  Blumen  und  Blall 
Und  küssen  und  küssen  uns  beide. 


102 


o 


STANZEN  AN  MISS  WYLIE 

komm,  Georgiana!  Die  Rosen  sdiau  an, 

Den  blumigen  Teppidi,  den  Flora  rings  spann; 

Die  Lufl  isl  voll  Süfee,  das  Wasser  voll  Glanz, 

Der  West  sdiwebt  mil  funkelndster  Sonne  zum  Tanz. 

O  komml  La&  uns  ziehn  ins  erfrischende  Grün, 
Durch  Sdiatten  und  Matten,  die  duften  und  sprühn. 
Zur  Waldlichtung  hin,  wo  die  Feen  sidi  drehn 
Und  Sylphen  wie  liditester  Sonnenglanz  gehn. 

Und  bist  du  dann  müde,  so  bell  idi  didi  sadit 
Auf  Moos  und  auf  51umen  mit  liebem  Bedadit; 
Dort  lieg  ich,  Georgiana,  zu  Fügen  dir  nah. 
Mein  Märdien  von  Liebe  erzähl  ich  dir  da. 

Und  atme  so  zärtlich  und  seufze  so  lind. 
Als  seufze  von  Liebe  der  Frühsommerwind; 
Dein  sciiönes  Knie  pre&  ich  und  atme  so  tief— 
Da  fühlst  du,  dag  idi's  war,  der  seufzend  didi  rief. 

Warum,  liebstes  Mäddien,  entbehren  dies  Glück? 

Ein  Narr  nur  weist  soviel  Beglüd<ung  zurüd<: 

So  lächle  Gewährung  und  gib  deine  Hand 

Und  ein  zärtliches  Wort,  das  dein  Herz  für  midi  fand. 


103 


V 


LAMIA 

ÖRZEITEN,  ehe  nodi  die  Feenbrul 

Satyrn  und  Nymphen  irieb  aus  Waldeshul, 

Eh  König  Oberon  mit  Krongeschmeide 

Und  Szepler  und  beiaulem  Blüienkleide 

Die  Faune  und  Dryaden  ganz  vertrieb, 

Da6  ihnen  nidit  ein  binsensaal  mehr  blieb. 

Kein  Dornendid<icht  und  kein  lichter  Hain, 

Kein  Wiesengrund  mit  gelben  Blümelein, 

Floh  Hermes,  neu  entbrannt,  den  goldnen  Thron 

Und  stahl  sidi  fort  um  sü&er  Liebe  Lohn. 

Den  Wolken  Jupiters  nahm  er  das  Licht 

Zur  Erdenseite  fort,  damit  ihn  nicht 

Sein  hoher  Mahner  auf  der  Fludit  entdecke. 

Und  flog  dann  hin  zu  dunkler  Waldesstred<e 

Auf  Kretas  Inselufer,  denn  hier  war 

Ein  Nymphlein,  dem  die  ganze  Satyrsdiar 

Ergeben  kniete;  sehnende  Tritonen 

Versuchten  ihre  Schönheit  zu  belohnen 

Mit  Perlen,  die  sie  ihr  zu  Fii&en  legten. 

Ganz  nah  den  Ouellenbädien,  grün  umhegten. 

Die  Bad  ihr  gaben,  und  auf  jenen  Matten, 

Die  oft  s(±on  ihren  Schritt  getragen  hatten. 

War  mandie  reiche  Gabe  ausgestreut. 

Den  Musen  fremd—  doch  Phantasie  gebeut. 

Aus  ihrem  reichen  Born  nur  auszuwählen. 

Adi,  so  viel  Liebe  lä|t  sidi  garnidit  zählen! 

So  dadite  Hermes,  und  ein  himmlisch  Glühn 

Durchflog  von  den  besdiwingten  Sohlen  ihn 

Bis  aufwärts  zu  den  Ohren—  sonst  so  wei^ 

Wie  klare  Lilien,  jefet  wie  Rosen  helfe, 

Um  die  sich  didü  die  goldnen  Locken  ballten. 

Und  ringelnd  tief  auf  nackte  Sdiultern  wallten. 


104 


Er  flog  von  Tal  zu  Tal,  von  Wald  zu  Wald 
Und  gönnle  keinen  Alemzug  sich  Hall, 
Kaum  da|  die  Blumen  sein  Erglühen  fühlten. 
An  Elüssen  hin,  die  ihre  Ufer  kühllen. 
Flog  er,  der  Nymphe  Lager  zu  erspähn: 
Doch  nirgends  konnle  er  die  Süfee  sehn. 
So  hielt  er  an  verlassner  Stelle  Rast, 
Gedankenvoll,  von  Eifersucht  erfa|t 
Auf  ieden  Waldgott,  ja  auf  jeden  Baum. 
Da  hört  er  eine  Stimme  wie  aus  Traum; 
So  sanfte  Stimme,  die  wohl  mildem  Herzen 
All  Leiden  forlnimmt,  bis  auf  Mitleidschmerzen. 
„Wann  werd  ich  diesem  Ringelgrab  entsteigen. 
Wann  mich  in  sü^em  Leib  dem  Leben  zeigen. 
Der  Liebe  und  der  Lust  und  rotem  Streit 
Von  Herz  und  Mund?  O  Arme  ich  in  Leid!" 
Der  taubenfügige  Gott  glitt  schweigend  fort 
Um  Busch  und  Baum,  sacht  streifte  hier  und  dort 
Sein  Fu6  das  Gras  und  voll  erblühte  Kraut, 
Bis  er  im  Dickicht  eine  Schlange  schaut, 
Die,  kreisgerollt,  wie  Glanz  im  Düster  bebt. 
Gordischer  Knoten,  blendend  und  belebt. 

Zinnober,  golden,  grün  und  blau  gefled<t, 

Mit  Kreisen  wie  ein  Leopard  beded^t. 

Mit  Zebrastreifen  und  mit  Pfauenaugen 

Und  Silbermonden,  die  beim  Atemsaugen 

Zerflossen  oder  strahlender  erglänzten, 

Mit  sanftem  Schein  den  buntem  Schmuck  umkränzten. 

So  regenbogenstrahlend  lag  sie  dort. 

Wie  schmachverflucht  durch  Zorn  und  Zauberwort, 

Nein,  selber  schien  ein  Dämon  sie  zu  sein. 

Ihr  Haupt  umgab  ein  bleicher  Feuerschein, 

Von  Slernglanz  hell,  Ariadnes  Tiara  gleich. 


105 


Ihr  Haupt  war  Schlange,  dodi—  wie  wunderreidi 
Und  bitier  süfe!—  sie  haue  Weibesmund 
Mii  schimmerschönem  vollem  Perlenrund. 
Und  ihre  Augen!  Konnlen  solche  Augen 
Zu  andrem  als  zu  heilem  Weinen  laugen, 
Weil  sie,  so  schön,  für  solchen  Leib  beslimml? 
Klagl  doch  Proserpina  noch  heut  ergrimmt 
Um  ihr  Sizilien  und  um  seine  Pracht. 
Ihr  Hals  war  Schlangenhals,  doch  lind  und  sadit 
Wie  Honig  flössen  ihre  Worte  hin, 
Und  Liebessehnen  schenkte  ihnen  Sinn. 
Und  Hermes  lag,  die  Schwingen  vorgeneigl. 
Dem  Falken  gleich,  wenn  sich  die  beute  zeigt. 

„O  schöner  Hermes,  holder  Himmelsglanz, 
Umragt,  bekrönt  von  lichtem  Schwingenkranz, 
Ich  träumte  diese  lebte  Nadit  von  dir: 
Auf  goldnem  Throne  sah  idi  didi  vor  mir, 
Hoch  im  Olymp,  im  frohen  Götterkreise. 
Nur  du  warst  traurig,  taub  der  sanften  Weise 
Des  Lautenspiels  der  Musen,  taub  sogar 
Apollos  Sang,  so  5Ü|  und  weh  er  war. 
Mir  träumt',  ich  sah  dich  funkenübersprüht 
Durch  Wolken  bredien,  hell  wie  Morgen  glüht. 
Und  dann  verliebl  wie  Phöbus'  Pfeil  so  schnell 
Nadi  Kreta  eilen—  und  du  bist  zur  Stell! 
Zu  sanfter  Hermes,  fandest  du  die  Maid?" 
Da  gab  der  Stern  der  Lethe  so  Bescheid: 
„Du  Schlange  mit  dem  sü|en  Frauenmund, 
Himmlischer  Weisheit  bist  du  sicher  kund! 
Du  präditiger  Kranz  mit  schwermutvollem  51ick, 
Dein  sei  das  allerseligste  Geschick, 
Nur  sage  mir,  wo  meine  Nymphe  ruht, 
Wohin  sie  floh?"  „O  Gott,  du  redest  gut," 


106 


Die  Schlange  sprach,  „doch  gib  des  Schwures  Siegel ! 

„Idi  schwöre,"  sagte  Hermes,  „bei  dem  Spiegel, 

Der  deine  Augen  sind,  bei  deinem  Glanz, 

Bei  meinem  Stab  und  seinem  Schlangenkranz!" 

Die  ernsten  Worte  flohn  ihm  leichl  vom  Munde 

Und  glitlen  sanft  in  blülenbunte  Runde. 

Und  wieder  drauf  das  sdiöne  Weib  und  Tier: 

„Zu  schwach  dein  Herz!  Denn  höre  nun  von  mir: 

Die  Nymphe  gleitet  unsichtbar  wie  Luft 

Hier  durch  die  Wildnis,  frei  wie  zarter  Duft 

Genie|t  sie  ungesehen  ihre  Tage, 

Kaum  dafe  ihr  flüchtiger  Fu&  das  Gras  im  Hage 

Und  zarte  Blumen  streift.  Von  schweren  Zweigen, 

Gebognen  Ranken,  die  sich  lastvoll  neigen, 

Pflüd<t  sie  ganz  ungesehn  die  sü&e  Frudit, 

Sie  badet  ungesehn  in  Bach  und  Bucht, 

Und  meine  Macht  ist's,  die  die  Schöne  hütet. 

Dal  dreiste  Gier  umsonst  in  Blid^en  wütet. 

Und  Faune  und  triefäugiger  Silen 

Umsonst  zu  ihr  in  tiefen  Seufzern  flehn. 

Bleich  wurde  die  Unsterbliche  vor  Leid, 

Um  aller  dieser  Wilden  Dreistigkeit; 

Da  gab  ich  ihr  aus  Mitgefühl  den  Rat, 

Ihr  Haar  zu  tauchen  in  ein  Zauberbad, 

Dann  könne  sie  in  Freiheit  ungesehn 

Und  unbehelligt  rings  durchs  Grüne  gehn. 

Du  sollst  sie  schauen,  Hermes,  du  allein, 

Willst  du,  dem  Schwur  getreu,  mir  dankbar  sein." 

Da  sdiwur  der  Gott,  verzückt,  noch  einen  Eid. 

Die  Schlange  fühlte  tiefe  Seligkeit, 

Als  warm  und  bebend  seine  Worte  klangen. 

So  voll  von  Glut  und  Liebe  und  Verlangen. 

Sie  hob  ihr  Kirke-Haupt  beglüd<t  empor 

Und  hauchte  selig  nah  dem  Gott  ins  Ohr: 


107 


„Idi  war  ein  Weib,—  lag  midi  nodi  einmal  haben 

Die  Weibgeslalt  und  Weibes  Reiz  und  Gaben. 

Idi  liebe  einen  Jüngling  aus  Korinlh, 

Mach  mich  zum  Weib  und  führ  midi  sdinell  wie  Wind 

Hin  wo  er  weill—  nun,  Hermes,  beug  didi  nieder. 

Ich  handle—  und  du  siehsi  die  Nymphe  wieder." 

Er  schloß  die  Sdiwingen  halb  und  neigte  sich. 

Und  über  seiner  Brauen  Bogenslridi 

Ging  leis  ihr  Alem,  und  sogleich  erschien 

Die  Nymphe  beiden  sichlbar  nah  im  Grün. 

Es  war  kein  Traum—  doch  sagt  so,  wenn  ihr  wollt; 

Der  Götter  Traum  ist  Wirklichkeil,  und  hold 

Entrollt  wie  ewiger  Traum  ihr  ewiges  Leben. 

Ein  Augenblid<  gab  Glühen  und  Erbeben: 

Der  Nymphe  Schönheit  warf  den  Gott  fast  nieder; 

Nun  trat  er  hin  ins  Grün  und  blid<te  wieder 

Zur  bleichen  Schlange  her  und  regte  sadit 

Den  Arm  und  übte  seines  Zaubers  Macht. 

Dann  sdiid<te  er  den  51id<  zur  Nymphe  hin, 

Verehrung  stand  in  Tränensdirift  darin. 

Und  schritt  zu  ihr.  Wie  Mond  erbleicht  und  sinkt. 

Wenn  hell  im  Ost  der  neue  Morgen  blinkt. 

Verging  sie  vor  dem  Golt,  versleckte  sidi 

Und  sdiluchzte  auf  und  seufzte  billerlich. 

Wie  Blume  war  sie,  die  sidi  fest  verschlie|t. 

Wenn  Abend  seine  kühlen  Sdiatten  giefet. 

Doch  sanft  nahm  er  die  kalt  ersdired<te  Hand, 

Bis  still  an  seiner  Glut  ihr  Zagen  schwand; 

Da  hob  sie  ihrer  Augenlider  Elor, 

Und  wie  die  Blüte  in  den  Tag  hervor. 

Wenn  Morgen  seinen  Bienensdiwarm  ergie|t. 

Den  sü&en  honigvollen  Kelch  erschlie|l. 

So  bot  sie  selig  ihren  Honig  dar. 

In  grünste  Waldesliefen  floh  das  Paar 


lOÖ 


Und  schien  nichl  irdisch  Liebenden  zu  gleidien. 
Die,  krank  in  Sehnsudil,  welken  und  erbleichen. 

Allein  gelassen  fing  die  Schlange  an 

Sich  zu  verwandeln;  durch  den  Körper  rann 

Ihr  Blul  wie  loll,  und  Schaum  troff  ihr  vom  Mund 

Und  madile  Gras  und  Kräuter  welk  und  wund; 

Die  Augen  starrten  schwer  in  Angst  und  Qual 

Und  glänzten  auf  wie  iiberhifeter  Stahl 

Und  gluteten  in  grellem  Phosphorschein, 

Und  keine  Träne  kühlte  ihre  Pein. 

Die  Farben  ihres  Leibes  schössen  Flammen 

Und  krampflen  sich  in  Purpursdimerz  zusammen; 

Und  tiefes  sattes  Gelb  verwischte  ganz 

Der  anmutvollen  Silbermonde  Glanz; 

Wie  Lava  eine  bunte  Wiese  leckt. 

So  war  ihr  Kleid  von  Düster  überded<t. 

Die  Streifen,  Fled<e,  Monde,  Sterne  blichen. 

Und  schon  nach  wenig  Augenblid^en  widien 

Die  blauen,  grünen,  amethystnen  Ringe; 

Und  all  die  silber-roten  Schmetterlinge, 

Die  sie  geziert,  verblichen  Stück  für  Stück, 

Nidits  blieb  als  Schmerz  und  Hä|lichkeil  zurüd<. 

Nodi  glomm  die  Krone,  doch  auch  sie  entglitt. 

Und  da  verschwand  sie  selber  ptöfelich  mit. 

Und  durch  die  Lüfte  läutete  ihr  Wort: 

„O  Lycius,  lieber  Lycius!"  Schwebte  fori 

Mit  hellen  Nebeln,  die  um  Höhen  flogen— 

Sie  war  aus  Kretas  Wäldern  fortgezogen. 

Wohin  floh  Lamia,  eine  Schönheit  nun. 
Wo  wird  ihr  lichter  Weibesleib  jefet  ruhn? 
Sie  floh  in  jenes  Tal,  das  der  betritt. 
Der  von  Kenchreas'  Ufern  lenkt  den  Schritt 
Hin  nach  Korinth,  und  hielt  erst  rastend  an. 


109 


Als  sie  das  wilde  Hügelland  gewann, 
Wo  Bäche  sich  durch  rauhe  Schluchlen  drücken. 
Und  jenen  andern  Gral  mit  zackigem  Rücken, 
Den  Nebeldunsl  und  Wolkenwulsl  bedeckl 
Und  der  südwesl  sich  bis  Kleone  slrecki. 
Sie  stand,  wie  junges  Vöglein  flalleri,  schön. 
Auf  grünem  Hang  der  moosbewachsnen  Höhn 
Vor  eines  klaren  Bächleins  Spiegel  da, 
Enlzückl,  daB  sie  ihr  Bildnis  also  sah, 
Enlronnen  jener  schred^ensvoUen  Zeil. 
Narzissen  kühlen  sanfl  ihr  Mädchenkleid. 

Glück,  Lycius,  dir!  denn  schöner  war  wohl  nie 
Ein  Zöpfe  flechlend  Mädchen,  ach,  als  sie. 
Ein  schämig  Mädchen,  das  mii  Seufzern  bang 
Durch  blumige  Wiesen  schrüt  beim  Vogelsang. 
O  Jungfrau,  der,  so  schuldlos  auch  ihr  Mund, 
Doch  alle  liefsle  Liebesweisheil  kund, 
Nichl  eine  Stunde  alt,  doch  voll  Verslehen, 
Da&  Lust  und  Leiden  nah  zusammengehen. 
Und  klug,  die  zarten  Grenzen  zu  erkennen 
Und  eins  vom  andern  immer  wohl  zu  trennen, 
Als  habe  dich  Kupido  selbst  betehrt. 
Wie  man  mit  List  und  Schlichen  sich  bewehrt— 
Und  du,  die  lieblich  lässige  Schülerin, 
Du  hieltst  voll  Sehnsucht  alles  wohl  im  Sinn! 

Weshalb  das  schöne  Wesen  es  erwählt 
Am  Weg  zu  warten,  sei  euch  bald  erzählt; 
Erst  aber  sei  gesagt,  wie  sie  versonnen 
So  manchen  wundersamen  Traum  gesponnen. 
Als  sie  in  Sdilangenleib  gefangen  war. 
Ihr  Geist  war  frei  und  sah  und  hörte  klar. 
Was  sie  nur  hören  oder  sehen  wollte: 
Wie  dort,  wo  grüne  Wogenlocke  rollte. 


110 


Die  Nereide  über  Perlensiiegen 

Hinglitt,  in  Ttietis'  Sdiattensaal  zu  liegen, 

Wie  Bacchus,  seligen  Becher  in  der  Hand, 

Traumfreudig  unter  harziger  Pinie  stand. 

Und  wie  die  Gärten  Plutos  Schönheit  tragen, 

Wo  Mulcibers  metallne  Säulen  ragen. 

Und  in  die  Städte  glitt  ihr  Träumen  audi. 

Um  mitzutun  bei  frohem  Festesbraudi. 

Und  so,  als  einst  ihr  Traum  bei  Menschen  weilte. 

Da  sah  sie  Lycius,  der  vorübereilte 

Auf  schwankem  Wagen  und  zum  Ziele  jagte. 

Wie  junger  Jupiter,  so  blühend  ragte 

Der  lüngling  mit  geruhigem  Angesicht— 

Da  traf  die  Liebe  sie  mit  Erzgewicht. 

Nun  wu&te  sie,  daB  heut,  wenn  Dämmrung  kam, 

Er  diesen  Weg  vom  Strande  heimwärts  nahm. 

Hin  nadi  Korinth,  denn  Ostwind  blies  daher. 

Und  eben  jefet  schob  sich  sein  Sdiifflein  schwer 

Mit  erznem  Schnabel  an  der  Mauer  fort. 

Um  in  Kenchreas  wohlgeschüfelem  Port 

Zu  ankern;  von  Äginas  Inselland, 

Wo  hodi  für  Jupiter  ein  Tempel  stand. 

Kam  Lycius  nun  zurüd<,  vom  Gott  erhört. 

Der,  was  er  wünschte,  gnädig  ihm  gewährt. 

Denn  irgend  eine  Laune  fügt'  es  so, 

DaB  er  die  Nähe  der  Gefährten  floh, 

Ermüdet  wohl  von  zu  geschwäfeigem  Wort, 

Und  einsam  ging  er  gen  Korinth  hin  fort. 

Gedankenlos  zunächst,  doch  als  zur  Nachl 

Am  Himmelsdom  der  Abendstern  erwadit. 

Verstieg  sein  Träumen  sich  zu  fernen  Matten 

Im  sanften  Dämmerlicht  platonisdier  Sdiatten. 

Ihn  konnte  Lamia  näher,  näher  sehen. 

In  trübem  Gleichmut  dicht  vorübergehen— 


111 


Sein  sanfter  Sdiritl  durdifegte  Moos  und  Grün— 

Er  sah  sie  nidhi,  sah  nichl  ihr  Auge  sprühn; 

Er  ging  vorbei,  geheimnisvolles  Bild, 

Sein  Geist  gleich  ihm  in  Mantel  eingehüllt. 

Sie  wandte  fürstlidi  wei§  den  Hals  ihm  nach, 

Bis  sie  „o  hehrer  Lyciusl"  bittend  spradi, 

„Du  lä&l  mich  auf  dem  Hügel  hier  allein? 

O  blicke  Mitleid  mir  ins  Herz  hinein!" 

Er  tats,  verwundert  nichl  und  nidit  voll  Weh, 

Er  sah  wie  Orpheus  auf  Eurydice; 

So  SÜ&  die  Worte,  die  sie  liebend  sang. 

Ihm  war,  er  liebte  sie  sdion  sommerlang. 

Sein  Auge  trank  die  Schönheit  auf  voll  Glüd<, 

Liefe  keinen  Tropfen  in  dem  Keldi  zurüd<, 

Doch  blieb  verwirrend  voll  der  Kelch—  indessen 

Er  bang,  die  schuldige  Ehrung  zu  vergessen. 

Bevor  sie  schwände,  Anbetung  begann. 

Sdieu  sah  ihr  Blid<  ihn  ganz  in  ihrem  Bann. 

„Allein  dich  lassen!  Göttin,  sieh  mich  hier. 

Wie  könnt'  mein  Aug  sich  wenden  je  von  dir! 

Aus  Mitleid  trüge  nidit  dies  trübe  Herz— 

O  bleib!  Entschwebst  du,  brichts  in  Todessdimerz. 

Ob  du  Najade  auch  aus  fernen  Elüssen, 

Dir  werden  sie  auch  fern  gehorchen  müssen! 

O  bleib!  Und  wären  grünste  Wälder  dein. 

Den  Regen  trinken  können  sie  allein! 

Und  wenn  Plejaden  deine  Sdiwestern  wären. 

Wird  ihrer  keine  leiten  deine  Sphären? 

An  deinersiatt  harmonisch  silbern  scheinen? 

Dein  süfeer  Grufe,  er  kam  so  süfe  zu  meinen 

Entzüd<ten  Ohren,—  schwändest  du  mir  nun. 

Das  Deingedenken  liefee  nie  midi  ruhn. 

Zu  einem  Schatten  blidie  ich  dahin— 

Aus  Mitleid,  steh!"-  „Und  hätte  ich  im  Sinn," 


112 


Spradi  Lamia,  „länger  hier  im  Lehm  zu  siehn, 

Mil  wundem  Schrill  durdi  Siachelkraul  zu  gehn, 

Was  lälesl  du,  das  soviel  Reize  halle, 

Da|  ich  darum  vergaß  die  Heimalslälle? 

Soll  idi  mil  dir  durch  Tal  und  Höhen  slreifen. 

Wo  Tod  und  Trauer  isl,  vorüberschweifen? 

Lycius,  du  bisl  gelehrl,  und  wei|l  du  nichl. 

Dal  eure  Erdenlufl  zu  sdiwer  und  didil 

Für  zarlre  Seelen  isl?—  Ach,  armer  Knabe, 

Welch  reinere  Lufl  bringsl  du  als  Schmeichelgabe 

Verführend  dar?  Welch  lichlere  Paläsle, 

Für  alle  meine  Sinne  Freudenfesle, 

Da  hunderl  Wünsche  dann  erfülll  sich  sehen? 

Es  kann  nichl  sein—  lebwohl!"—  Und  hoch  auf  Zehen 

Red<t  sie  sich  auf,  die  Arme  weil  gebreilel; 

Er,  krank  vor  Ängslen,  da&  sie  ihm  enlgleilel. 

Sank  hin  in  Ohnmachl,  bleidi  in  Liebesschmerz. 

Sie  zeigle  für  sein  Weh  kein  liebend  Herz, 

Dodi  ihre  Augen,  die  so  slrahlen  konnlen. 

Noch  slrahlender  an  seinem  Bild  sich  sonnlen, 

Ihr  neuer  Mund  an  seinen  Lippen  hing. 

Das  Leben,  das  in  ihrem  Nefe  sidi  fing. 

Ihm  neu  zurückzugeben;  doch  erwachl. 

Umfing  ihn  wiederum  nur  Angsl  und  Nachl. 

Da  hub  sie,  die  in  Glück  und  Liebe  so 

Und  Glanz  und  Schönheil  überirdisch  froh. 

Ein  Liebeslied  zu  singen  an,  so  sü^, 

Da&  jeder  Siern  sein  flimmernd  Almen  lie^ 

Und  selig  lauschle  ihrem  Himmelssang. 

Dann  wieder  sprach  sie  Flüslerworl  so  bang 

Und  innig,  wie  nur  die  einander  sagen. 

Die  sidi  allein  nach  vielen  Trennungslagen 

Beisammensehn  und  mehr  denn  Blid<e  geben; 

Sie  bal  ihn  sachl,  das  liebe  Haupl  zu  heben. 


113 


Den  Zweifel  abzuiun:  sie  sei  ein  Weib, 

Und  Blui  durchpulse  ihren  Menschenleib, 

Ihr  schwaches  Herz  sei  ganz  dem  seinen  gleidi, 

An  Liebesseligkeil  und  -Schmerzen  reidi. 

Dann  sprach  sie  ihr  Verwundern  aus,  da&  er 

Sie  nie  gesehen  in  Korinth  bisher. 

Wo,  sagle  sie,  ihr  Leben  heiler  flie|e. 

So  sdiön,  als  es  mit  Gold  sich  leben  lie|e; 

Zwar  ohne  Liebe,  doch  in  slillem  Frieden, 

Bis  ihn  zu  sehn  ihr  eines  Tags  beschieden. 

Beim  Venuslempel  im  Vorübergehn; 

Da  sah  sie  ihn  an  einer  Säule  slehn. 

Tief  in  Gedanken;  rings  im  Kreise  slanden 

Viel  Körbe  voll  von  Blumen  und  Guirlanden, 

Wars  doch  der  Abend  vor  Adonis'  Fesl. 

O  wie  sie  da  die  Augen  zugepre&l, 

Sein  Bild  zu  hallen,  und  wie  Tränen  kamen 

Und  ihres  Herzens  sü|en  Frieden  nahmen. 

Und  Lycius  wadile  auf,  und  slaunend  sah 

Die  Wundersame  er  nodi  immer  nah 

Und  hörie  ihren  herzlich  lieben  Sang. 

Da  wich  Bestürzung,  und  Enlzüd<en  rang 

Sidi  ihm  durdis  Herz,  als  er  ihr  Worl  vernahm. 

Das  so  aus  tiefster  Weibesliebe  kam. 

Und  iedes  ihrer  Worte  lod<le  sadil. 

Bis  er  zu  vollstem  Glüd<sgefühl  erwadit. 

ja,  mögen  Didhter  nodi  so  gerne  singen, 

DaS  Feen  nur  und  Peris  Freude  bringen,— 

Sie  alle,  die  in  Grotte,  See  und  Flui 

Sich  bergen,  schenken  niemals  den  Genug, 

Wie  edites  Weib,  dem  alle  Ahnen  kamen 

Aus  Pyrrhas  Kieseln  oder  Adams  Samen. 

Audi  Lamia  hatte  listig  jebt  erkannt, 

Da&  Lycius  ihr,  in  Ehrfurcht  festgebannt, 


114 


Nicht  Liebe  schenken  könne;  also  He& 
Die  Göilin  sie  beiseite  und  verhieß 
Ihm  gröBre  Lust,  indem  sie  Mensdi  sidi  nannte 
Und  ihn  atlein  durch  Mädchenschönheil  bannte, 
Die,  wo  sie  niederwirft,  auch  Hoffnung  spendet, 
Da&  atle  Sehnsucht  in  Erfüllung  endei. 
beredte  Antwort  gab  ihr  Lycius  dann. 
Der  iedes  Wort  mit  Seufzern  hei|  umspann; 
Und  nach  Korinth  hinzeigend  fragte  er, 
Ob  ihrem  zarten  Fu&  der  Weg  zu  sdiwer. 
Wie  kurz  war  der,  da  Lamias  Zauber  wachte. 
Der  Schrille  nur  aus  langen  Meilen  machte. 
Doch  Lycius  merkte  dieses  Wunder  nicht: 
Blind  machte  ihn  ihr  strahlend  Angesicht. 
Durchs  Stadttor  schritten  sie  so  sacht  und  leis— 
Er  ging  wie  einer,  der  von  Traum  nur  weife. 

Und  wie  des  Träumers  wirres  Worietasten, 
So  murmelte  Korinth  mit  all  dem  Hasten 
Belebter  Stra|en,  rühriger  Paläste, 
Durchwogter  Tempel  und  verruditer  Feste: 
Wie  Sturmwind  nähersummt  aus  weiten  Fernen, 
So  sprach  Korinth  hinauf  zu  Nadil  und  Sternen. 
Denn  Mann  und  Weib  und  Arm  und  Reich  belebte, 
Sobald  der  kühle  Abend  niederschwebte, 
Die  weisen  Strafen,  und  erst  jefet  erwachte 
Die  Plauderlust;  und  aus  dem  Dunkel  sachte 
Glomm  Licht  um  Licht  und  warf  bewegte  Schalten, 
Die  seltsam  tanzten  über  Marmorplatten, 
In  Tempelwinkel  sich  zusammenduckten 
Und  geisterhaft  um  Säulenschäfte  zud<ten. 

Er  barg  das  Antlife  tief  in  Mantelfalten, 

Um  ungesehn  zu  sein;  und  doch,  wie  krallten 


115 


Sich  seine  Finger  fest  um  ihre  Hand, 

Als  unerwartel  Einer  nahe  stand 

Und  näher  schlürfte  über  den  Granit, 

Den  seine  Tracht  als  Philosoph  verriet: 

Mit  scharfen  Augen,  grauem  Lockenbart, 

Das  mächtige  Greisenhaupt  fast  unbehaart. 

Lycius  verbarg  sidi  tiefer,  als  er  kam; 

Es  war,  als  ob  ihm  Angst  den  Atem  nahm; 

Und  Lamia  bebte;  flüsternd  fragte  er: 

„Geliebte,  sag,  was  schauderst  du  so  sehr? 

Weshalb  schmilzt  deine  Hand  in  Furcht  dahin?" 

Und  Lamia  sagte:  „Weil  ich  müde  bin. 

Doch  sage  mir,  wer  ist  der  alte  Mann, 

Auf  den  ich  mich  nicht  recht  besinnen  kann? 

Weshalb  verbargst  du  dich,  als  er  uns  sah?" 

„'s  ist  Apolonius,"  sagte  Lycius  da, 

„Mein  weiser  Lehrer;  heute  Nacht  doch  scheint 

Er  wie  ein  Geist,  der  reines  Glüd<  verneint." 

Nodi  sprach  er  so,  da  kamen  beide  vor 

Gedeckter  Säulenhalle  hohes  Tor, 

Wo  einer  Silberampel  Phosphorschein 

Auf  Stufen  schwamm  von  reinstem  Marmorstein 

Wie  mild  ein  Stern  im  Wasser;  denn  die  Farbe 

Des  Steines  war  so  ohne  Fleck  und  Narbe, 

Und  wie  durdi  Wasser  rannen  dunkle  Adern 

Durdi  den  krystallnen  Schliff  der  Marmorguadern: 

Für  Götlerful  gefügt  1  Aus  Angeln  klangen 

Äolische  Töne,  als  die  Flügel  sprangen 

Und  Raum  enthüllten,  den  noch  keiner  fand— 

Auf  Zeitlang  diesen  beiden  nur  bekannt 

Und  einer  fremden  persischen  Dienerschar: 

Man  sah  sie  auf  den  Märkten  jenes  Jahr; 

Wo  wohnten  sie?  Die  Neugier  ward  betrogen, 


116 


Die  ihren  Spuren  heimlich  nadigezogen. 
Der  fledermausbesdiwingle  Vers  allein 
Mu&—  selbsl  im  spälern  Leid—  wahrhaftig  sein, 
Wenngleich  es  manchem  Herz  wohl  mehr  gefiel. 
Man  lieS  die  rohe  Well  hier  aus  dem  Spiel. 


LAMIA.  ZWEITER  TEIL 

Asdie  und  Slaub  ist—  Liebe,  o  vergib- 

In  karger  Siedlerhülte  alle  Lieb', 

Im  Schlosse  mag  sie  wohl  nodi  schwerer  lasten— 

Qualvoller  noch  als  Eremitenfasfen. 

Dies  ist  ein  Stüd<chen  aus  dem  Märchenland, 

Unfaßbar  für  gewöhnlichen  Verstand. 

Hält  Lycius  selbst  erzählt,  was  er  erlebt. 

Stirnrunzelnd  hätte  die  Moral  gebebt; 

Zu  kurz  doch  war  ihr  Glück,  um  Niedertracht 

Zu  brüten,  die  die  Stimme  zischen  macht; 

Auch  rauschte  schred<haft  nachts  mit  Feuerflügel 

Die  Liebe  wachend  um  der  Türe  Riegel, 

Voll  Eifersucht  auf  so  vollkommnes  Paar, 

Das  mehr  als  alle  ihrer  würdig  war. 

Dies  alles  mu&te  enden.  Seit'  an  Seit' 
Auf  liebem  Lager  um  die  Abendzeit, 
Dem  Vorhang  nah,  der  luftig  leicht  gewebt 
Von  goldner  Schnur  herab  ins  Zimmer  schwebt 
Und  halb  geöffnet  Sommerhimmelpracht 
Zwischen  zwei  Säulen  leuchtend  sichtbar  macht— 
So  ruhten  sie,  wie  oft,  in  Glüd<  und  Hoffen, 
Die  Lider  zu—  doch  schmalen  Spalt  noch  offen. 
Durch  den  die  Liebe,  immerwährend  nah. 
Bis  in  den  Traum  hinein  den  andern  sah : 
Da  tönt  vom  Wall  der  Vorstadt  plöfelich  schrill 


117 


Trompeienschall—  die  Schwalben  schweigen  still 

Lycius  fährt  auf—  die  Klänge  sind  verrauscht. 

Doch  tönt  es  in  ihm  fort—  er  sinnt  und  lauscht: 

Zum  erstenmal,  seit  er  im  Schlosse  thront. 

Wo  süBe  Sünde  Tag  und  Nacht  ihn  lohnt. 

Entfloh  sein  Geist,  den  keine  Grenze  hält, 

Hinweg  in  fast  verge&ne  laute  Welt. 

Doch  sie,  die  immer  sorgend  wachsam  war. 

Sah  dies  mit  Schmerz;  sie  ahnte  die  Gefahr, 

Da|  eine  Macht,  der  ihren  überlegen. 

Ihn  rufe—  fort  aus  ihren  Lustgehegen. 

Und  sie  begann  zu  seufzen  und  zu  klagen. 

Sie  wu|te,  leicht  ist  Liebe  zu  verjagen, 

Ist  oft  so  kurz  wie  einer  Glocke  Schlag. 

„Was  seufzest  du?"  sprach  er,  der  bei  ihr  lag. 

„Was  grübelst  du?"  gab  zärtlich  sie  zurück; 

„Du  nahmst  mich  fort  aus  meinem  stillen  Glück— 

Wo  bin  ich  nun?  In  deinem  Herzen  nicht. 

Da  Trauer  deine  Braue  düster  flicht. 

Nein,  neinl  Du  bist  mir  fern,  und  ich  entgleite 

Von  deiner  Brust  in  heimatlose  Weite." 

Er  beugte  sich  zu  ihren  Augen  nieder, 

Sie  spiegelten  sein  Bild  getreulich  wider: 

„Mein  Silberstern  von  Abend  und  von  Morgen, 

Was  brütest  du  so  kummervolle  Sorgen, 

Da  idi  um  dich  versuche,  meinem  Herzen 

Aus  tiefrer  Glut  zu  wecken  tiefre  Schmerzen, 

Um  deine  Seele  enger  noch  zu  binden, 

Mit  innigerer  Fessel  zu  umwinden 

Und  sie  in  Labyrinthe  einzuspinnen 

Wie  Duft  in  Rosenknospe—  ohn'  Entrinnenl 

Ah,  küsse  michl—  Du  siehst,  dein  Leid  hat  Macht. 

Doch  du  willst  wissen,  was  ich  jefet  gedacht? 

So  hörel  Welcher  Mann  tat  solchen  Fang, 


llö 


Der  andre  neidisch  machte,  wirr  und  bang, 

Und  führle  nicht  mit  Stolz  die  edte  5eute 

Zuweiten  triumphierend  vor  die  Leute? 

Wie  würde  der  Triumph  midi  dodi  begtücken. 

Mit  deiner  jungen  Schönheit  midi  zu  sdimüd^en 

Und  Freunde  jubeln,  Feinde  ftudien  tassen. 

Wenn  durch  Korinths  durdilärmte  heisere  Gassen 

Dein  5rautgefährt  die  btinl<en  Speidien  dreht."— 

Wie  wird  ihr  Antlife  bteidi,  ats  sie  versteht) 

Sie  bebt,  erhebt  sich,  wanl<t  und  sint<t  ins  Knie 

Und  sagt  l<ein  Wort—  doch  ach,  wie  weinte  sie! 

Bis  ihre  Angst  dann  endtich  Sprache  fand 

Und  sie  besdiwörend  preßte  seine  Hand, 

Ihn  umzustimmen;  doch  nur  mehr  und  mehr 

Verstärt<t  ihr  scheues  Bangen  sein  Begehr. 

Und  überdies—  trob  Liebe—  fand  sein  Herz 

Ein  settsam  Wohtgefüh!  an  ihrem  Schmerz, 

An  dieses  Weibes  demutvotlem  Bild; 

Und  seine  Leidenschaft  ward  heiS  und  wild. 

Blutdürstig  fast—  soweit  dies  ihm  gegeben. 

Dem  Wut  und  Raserei  noch  fern  im  Leben. 

Wie  sdiön  war  sein  verhaltnes  Zürnen,  gleidi 

Apollos  Glut,  bevor  sein  nerviger  Streich 

Die  Sdilange  sdilug.—  Die  Schlange!  Ah,  sie  war 

Nicht  Schlange  mehr—  nein,  aller  Listen  bar 

Gab  sie  in  Demut  nach,  den  Tag  zu  wählen. 

Sich  dem  Geliebten  bräutlidi  zu  vermählen. 

In  Mittnaditstille  flüstert  er  ihr  zu: 

„Welch  sü&en  Namen,  sage,  führest  du? 

Idi  frug  nodi  nie,  denn  meinem  Herzen  ist. 

Als  ob  du  nidit  von  irdisdien  Eltern  bist. 

Nein,  Himmelstochterl  Sag,  wie  nennt  man  dich? 

Hast  du  auf  Erden  Eltern,  Freunde—  spridi. 

Zu  teilen  unser  hochzeitliches  Fest?"— 


119 


„Nichl  einen  Freund,"  sagl  Lamia  da  gepre|l; 

„Korinlh,  das  gro&e,  wei&  von  mir  wohl  kaum. 

Der  EHern  Staub  fülli  nur  noch  kleinsten  Raum 

In  dunkler  Urne,  und  kein  Opferrauch 

Verehrt  den  Ort  nadi  liebevollem  brauch. 

Da  ihr  Geschlecht  verstorben  bis  auf  mich. 

Und  ich  vergafe  die  heilige  Pflicht—  um  dich. 

So  bitte  deine  Freunde  denn  zu  Gast— 

Doch  wenn  du  irgend  Liebe  für  midi  hast, 

So  halt  den  alten  Apollonius  fern. 

Vor  seinen  Blicken  hüte  meinen  Stern." 

Lycius,  von  solchem  kühnen  Wort  betroffen, 

Frug  nadi  dem  Grund;  vergebens  doch  sein  Hoffen, 

Sie  täuschte  Sdilummer  vor,  bis  bald  die  Schalten 

Des  Schlafs  ihn  selber  eingefangen  hatten. 

Die  Sitte  forderte,  da|  man  die  Braut, 

Wenn  sanfte  Abendröte  niederschaut. 

Mit  präditigem  Wagen  ihrem  Heim  entführte; 

Und  viel  Gepränge  solchem  Zug  gebührte, 

Wie  Fad<ellidit  und  Liedes  Süßigkeit- 

Dies  fremde  Weib  doch  hatte  kein  Geleit. 

So  harrte  sie,  indessen  Lycius  eilte. 

Den  Kreis  zu  sammeln,  der  die  Freude  teilte. 

Und  da  sie  wu^le,  da^  wohl  nimmermehr 

Sein  töridit  Herz  entsagte  dem  Begehr, 

Die  Hochzeit  laut  und  pomphaft  zu  begehen, 

So  wollte  denn  auch  sie  das  Fest  versehen 

Mit  allem,  was  ihr  zu  Gebote  stand. 

Doch  was  für  Kräfte  sie  dazu  verwandt. 

Woher  sie  kamen,  die  ihr  Hilfe  braditen 

Und  Tagesarbeit  in  Minuten  maditen— 

Das  weife  man  nidit.  Es  war,  als  rauschten  Sdiwingen 

Durdi  Tor  und  Hallen,  alles  zu  vollbringen. 


120 


Der  Fesisaal  schimmerle  in  lidiier  Pracht, 

Und  Feslmusik  durchiönle  lind  und  sachl 

Das  weile  Haus  mil  sellnem  Weh  und  Klagen, 

Als  habe  sie  das  Zauberdach  zu  Iragen 

Und  fürchle,  alles  könne  plöblidi  sdiwinden. 

Und  slolze  Zedern,  die  von  Laubgewinden 

Viel  Schnifewerk  irugen,  slelllen  Feigenbaum 

Und  Palme  dar  und  reihlen  durdi  den  Raum 

Sich  aneinander  bis  zu  jener  Slelle, 

Wo  hoch  der  5raulsife  stand  in  Sirahlenhelle; 

Denn  reihenweis  durchflog  ein  breiler  Strom 

Von  Lampenlicht  des  Saals  gewaltigen  Dom. 

So  überwölbt  lag  reich  ein  wartend  Mahl 

Und  schickte  dampfend  Düfte  in  den  Saal; 

Und  Lamia  schritt  in  fürstlichem  Gewand— 

Und  wie  sie  sdiweigend  ging  und  stille  stand 

In  blasser  Ruh,  die  ihre  Unruh  deckte. 

Trieb  sie  die  Geisterschar,  die  wohl  versted^te. 

Zu  immer  neuem  Uberschwange  an. 

Bis  jeden  Winkel  Pracht  und  Prunk  umspann. 

Die  Wände  waren  breite  Marmorplatten, 

Die  Jaspistäfelung  zum  Schmud<e  hatten. 

Und  hingemaltes  zartes  5aumgerank 

Stand  zwischen  breilen  Zedern  licht  und  schlank. 

Sie  sah  zufrieden  hin;  dann  glitt  sie  fort, 

Entsdhwebte  und  verschloß  den  Feierorl, 

Der  fertig  und  bereit  zum  wilden  Feste 

Der  ihr  so  unwillkommnen  lauten  Gäste. 

Die  Stunde  kam.  O  unbedaditer  Mann, 
Was  zogst  du  diesen  rohen  Schwärm  heran! 
Was  muBtest  du  dein  süB  verschwiegnes  Fest, 
Der  Liebeslunden  warm  gebettet  Nest, 
Der  andachtlosen  Neugier  so  entdecken! 


121 


Die  Menge  nahie,  und  mil  Hälserecken 
Bestaunten  sie  das  Tor  und  traten  nätier. 
O  Wunder,  Wunder  hier  für  jeden  Spalier! 
Von  Kind  auf  liallen  sie  den  Ort  gekannt, 
Auf  dem  jefet  plöblich  solctie  Pforte  stand 
Zu  stattticti  hotiem,  fürsllidi  stolzem  Haus. 
Da  eilte  Neugier  jedem  Schritt  voraus 
Und  trieb  sie  an  und  machte  alle  kühn. 
Nur  einer  war,  der  ernst  und  düster  schien 
Und  würdig  und  gedankenvoll  sich  nahte. 
Ihm  war,  als  ob  er  ein  Problem  errate. 
Als  löse  sich  ein  Rätsel,  das  schon  sehr 
Den  Geist  ihm  fesselte,  nun  mehr  und  mehr 
Und  schwinde  hin  und  werde  sonnenklar— 
Wie  listig  klug  doch  Apollonius  war! 

Im  Vorraum  bei  den  Gästen  Iraf  er  bald 

Den  jungen  Schüler.  „Lycius,"  sprach  er  kalt, 

„Verzeih,  da&  in  dem  Schwärm  der  Jüngern  Gäste 

Ich  ungebeten  nahe  deinem  Feste, 

Und  dennoch  mufe  ich  dieses  Unrecht  lun." 

Lycius  ward  rot  vor  Scham  und  führte  nun 

Den  Alten  durch  weitoffne  innre  Pforten. 

Er  war  verwirrt  und  suchte  sehr  nach  Worten, 

Um  mit  geziemender  Ergebenheit 

Zu  mildern  des  Gelehrten  Dreisligkeit. 

Der  Festsaal  war  von  reichem  Prunk  erfüllt, 
In  grellen  Glanz  und  schweren  Duft  gehüllt; 
Vor  jedem  Lager  licht  ein  Bed<en  stand, 
Myrrhen  und  Würzholz  füllten's  bis  zum  Rand, 
Von  schlank  geschweiftem  Dreifu|  hochgehalten 
Hob  jedes  sich  aus  weichen  Teppichfalten: 
Aus  fünfzig  Räucherbecken  wob  ein  Flor 


122 


Von  fünfzig  Raudigewinden  sachi  empor, 

Und  rings  in  Spiegelwänden  sah  man  Reigen 

Von  Zwillingswölkchen  mil  zum  Dache  sleigen. 

Zwölf  hohe  runde  Tische  hoben  sich 

Auf  Leopardenlafeen  wunderlidi 

Und  trugen  sdiwer,  wie  Ernlefeld  an  Korn, 

Das  Goldgeräl  und  Frudil  aus  Ceres'  Hörn, 

Ein  Slrom  von  Wein  stand  dort  zum  Trunk  bereit, 

Aus  düstrer  Tonne  jefet  ans  Lidit  befreit. 

Und  jeden  Tisches  Gold  und  Mahl  und  Wein 

Sdilol  mitten  eines  Gottes  5itdnis  ein. 

Nadidem  ein  jeder  Gast  den  Schwamm  gefühlt. 
Mit  dem  ihm  Sklaven  Hand  und  Fu&  gekühlt. 
Und  jedes  Haupt  nach  feierlicher  Art 
Mit  duftigen  ölen  Übergossen  ward, 
Betraten  sie  in  wei&em  Kleid  den  Saal 
Und  legten  sich  zum  auserlesnen  Mahl 
Aufs  seidne  Lager,  und  mit  leisem  fJaunen 
Gab  Ausdrud<  man  dem  übermäßigen  Staunen. 

Sanft  goß  Musik  die  lieblichleisen  Wellen, 

Sanft  war  der  Griechensprache  klangvoll  Sdiwellen, 

Solang  der  Wein  noch  nicht  in  Strömen  rauschte 

Und  man  befangen  Frag'  und  Antwort  tauschte. 

Doch  als  der  frohe  Saft  das  Hirn  erwärmte. 

Ward  kühner  man  und  jubelte  und  lärmte 

Zum  mächtigeren  Freudeschalt  der  Töne. 

Die  prächtigen  Stoffe,  Farben—  all  das  Schöne: 

Des  hodigespannten  Saales  stolzer  CJaum, 

Die  edlen  Sklaven—  Lamia  schön  wie  Traum— 

Dies  altes  sdiien  nidit  mehr  so  wunderbar. 

Nun  man  vom  süßen  Weine  trunken  war; 

Denn  nicht  zu  schön  und  nidit  zu  göttlich  dünkt 


123 


Dem  das  Elysium,  der  begeistert  trinkt. 
Bald  stellt  Gott  Bacctius  leuctitend  im  Zenitti, 
Und  jede  Wange,  jedes  Äuge  glütit. 
Man  bractite  Kränze  von  jedwedem  Grün, 
Drein  jeder  slifee  Duft  geftoditen  sctiien 
Beraubter  Täler,  Hötin  und  sanfter  tiänge. 
Aus  breiten  Körben  quoll  die  bunte  Menge, 
Um  goldne  Henkel  selbst  hing  grüne  Last, 
Da&  nacti  Gesctimad<  sicli  kröne  jeder  Gast, 
Das  Haupt  bekränze  mit  erwätiltem  Grün, 
Das  seinem  Wesen  anzustellen  schien. 

Für  Lamia  weldien  Kranz?  Für  Lycius  dann? 
Und  welcher  steht  dem  Apollonius  an? 
Des  Weibes  wehe  Stirne  sei  umschlungen 
Von  schlankem  Weidenzweig  und  Natterzungen, 
Und  für  den  lüngling  soll  die  Rebe  sein, 
Da&  seiner  Augen  allzuwadier  Schein 
Hintauche  in  Vergessen;  und  des  Alten 
Gehässige  Stirn  soll  Speergras  scharf  umfallen 
Und  kriegerische  Distel  stediend  drüd<en; 
Denn  flieht  nicht  aller  Zauber  vor  den  Tüd^en 
Nüchterner  Denkungsart?  Da  war  einmal 
Ein  Regenbogen  hehr  am  Himmelssaal: 
Jefet  kennt  man  sein  Gewebe,  seinen  Bau, 
Die  Wissensdiaft  erklärte  ihn  genau 
Und  rubrizierte  ihn  wie  andre  Dinge. 
Philosophie  wirft  ihre  ked<e  Sdilinge 
Um  Engetssdiwingen  und  um  Zauberpradil 
In  Luft  und  Bergessdio|  und  Meeresnacht, 
Zerreibt  die  Wunder,  wie  sie  auch  erzwang 
Der  zarten  Lamia  Not  und  Untergang. 

Wie  ragend  sie  bei  ihrem  Lycius  saB, 
Der  alles  andre  tief  verzüd<t  vergaB, 


124 


Bis  er  gewaltsam  sidi  dem  Traum  entwand. 
Den  Becher  natim,  der  perlend  vor  ihm  stand, 
Und  weit  den  hei&en  Blid<  hinüber5chid<te— 
Ob  nicht  sein  aller  Lehrer  freundlich  blid<le. 
Der  Philosoph  und  Kahlkopf  aber  starrte 
Zur  sdiönen  Braut,  die  regungslos  verharrte. 
Mit  Brauenrunzeln  blid<te  er  sie  an. 
Zwang  ihren  sü&en  Stolz  in  seinen  Bann. 
Lycius  nahm  ihre  Hand  und  hielt  sie  fest. 
Die  lag  so  bleich  aufs  Lager  hingepre|t 
Und  war  so  kalt,  da&  es  sein  eigen  Blut 
Durdischauerte,—  dann  wieder  so  voll  Glut, 
Dag  heiBe  Woge  ihm  zum  Herzen  scho&, 
Darein  sie  Angst  und  tiefes  Grauen  go&. 
„Lamia,  was  soll  das?  Sag,  was  ficht  didi  an? 
O  gib  mir  Antwort:  Kennst  du  jenen  Mann?" 
Arm  Lamia  sagte  nichts.  Er  spähte  tief 
Ins  Auge  ihr,  ob  nicht  ein  Blid<  ihn  rief. 
Dodi  nichts  verriet  ein  GrüSen  und  Erkennen— 
Umsonst  sein  Blidk,  sein  sehnendes  Entbrennen! 
„Lamia!"  so  sdhrie  er  auL  Doch  sie  blieb  stumm, 
Und  stumm  ward  auch  die  Gästesdiar  ringsum. 
Das  laudizen  der  Musik  verstummte  ganz. 
Und  Myrthe  welkte  in  jedwedem  Kranz, 
Und  Stimme,  Elöte  und  Vergnügen  schwand. 
Bis  Totenstille  schwer  im  Saale  stand; 
Gespenstisch  schien  sie,  wild  und  wahrnehmbar 
Und  sebte  Schredten  jedem  Mann  ins  Haar. 
„Lamia!"  so  kreischte  er,  und  nur  sein  Ruf 
Im  toten  Schweigen  sich  ein  Edio  schuL 
„Hinweg,  du  Traum!"  so  schrie  er  angstvoll  laut 
Und  spähte  neu  ins  Antlib  seiner  Braut, 
Wo  keine  blaue  Ader  mehr  belebte 
Die  edle  Schläfe,  und  kein  Rot  erbebte 


125 


Auf  zarter  Wange;  keine  Leidenschaft 

Verlieti  dem  fernen  Blick  Gefütil  und  Kraft: 

Und  nidil  metir  sdiön  und  jung  und  liebereidi 

Safe  Lamia  da—  erstarrt  und  lotenbleidi. 

„SdilieB,  sdiliel  die  Augen,  unbarmtierziger  Mann) 

Blick  fort,  du  Unliotd!  Sonst  soll  dich  der  Bann 

Der  Götter  treffen,  deren  Zorn  entsiegelt 

Sidi  sdiattenhaft  in  diesen  Bildern  spiegelt; 

Dein  Auge  soll  ihr  sdiarfer  Zorn  durdistechen, 

Den  fredienBlici<  in  Schmerz  und  Blindheit  bredien, 

Da|  du  in  Zittern  und  in  ewigem  Bangen 

In  Reue  und  Gewissensnot  gefangen 

Vor  ihnen  fliehst,  die  du  so  schwer  verlefet. 

Da  du  didi  frevelnd  über  sie  gesefet. 

Korinther!  Seht  ihr  den  graubärligen  Wicht 

Und  die  Besessenheit,  die  aus  ihm  spridit 

Und  seine  wimperlosen  Lider  weitet 

Und  wie  ein  Dämon  seine  Blicke  reitet? 

Korinther,  seht,  wie  meiner  sü&en  Braut 

So  namenlos  vor  seinen  Blid<en  graut!" 

„Narr!"  sagte  der  Sophist  in  leisem  Ton. 

Die  Stimme  bebte  in  zufriednem  Hohn.— 

Von  Lycius  nur  ein  banger  Seufzer  kam. 

Der  seinen  legten  Lebensatem  nahm. 

Er  stürzte  nieder  mit  gebrochnem  Herzen, 

An  seiner  Seite  kämpften  Lamias  Schmerzen. 

„Narr,  Narr!"  rief  jener,  während  seine  Augen 

Noch  immer  reglos  an  den  ihren  saugen, 

„Vor  allem  Übel  schüfet'  ich  dich  bis  heute  — 

Und  liefee  einer  Sdilange  dich  zur  Beute?" 

Da  atmet  Lamia  Tod;  der  bVick  des  Weisen 

Durdibohrte  grausam  sie  wie  sdiarfes  Eisen. 

Sie  bat  ihn,  still  zu  sein,  so  gut  die  Hand 

Noch  sdiwach  die  Bitte  kundzutun  verstand. 


126 


Umsonsl;  er  blid<le,  blickte  wieder—:  nein! 
Und  nochmals:  „Einer Sdilange!"—  Gelles Schrei'n- 
Und  sie  verschwand,  und  niemand  sah  sie  mehr. 
Und  Lycius'  Arm  war  von  Entzüd<en  leer, 
Leer  wie  sein  Leib  von  Leben.  Slumm  und  kühl 
Lag  vor  den  Freunden  er  auf  hohem  Pfühl, 
Sein  Puls  sland  slill,  es  ging  kein  Atemzug  — 
Tot  war  der  Leib,  der  Hodizeilskleider  trug. 


127 


HYPERION.  ERSTES  BUCH 

IN  liefen  Tales  schaliigem  Trauerdunkel, 
Versunken  vor  des  Morgens  frischem  Haudi, 
Des  Miliags  Glul,  des  Abends  einem  Stern, 
Sa&,  grau  im  Haar,  Saturn,  so  still  wie  Stein, 
Still  wie  das  Sctiweigen  um  sein  Lager  rings. 
Rund  um  sein  Haupt  hing  bergend  Forst  bei  Forst, 
Wie  Wolke  über  Wolkenbank.  Die  Luft 
War  stiller  noch  wie  je  an  Sommertag, 
Da  sie  dem  Gras  den  leichten  Samen  nahm; 
Und  welkes  Blatt  blieb  liegen,  wo  es  fiel. 
Ein  Flu&  zog  stumm  vorbei,  verstummter  nodi 
Im  düstern  Sdiatten  des  gefallnen  Gottes. 
Im  Sdiilfversted<  schloß  bebend  die  Najade 
Den  kalten  Finger  fester  auf  die  Lippen. 

Fu&stapfen  gingen  breit  im  Ufersand, 

Nicht  weiter,  als  sein  Fufe  gekommen  war. 

Und  schliefen  dann.  Auf  moorig  feuchtem  Boden 

Lag  kraftlos,  reglos  seine  Rechte,  tot 

Und  szepterlos.  Sein  Auge  war  geschlossen. 

Das  Herrscherauge,  das  kein  Reich  mehr  bannte. 

Gebeugtes  Haupt  schien  seiner  Mutter  Erde, 

Uralter  Mutter,  Trostwort  zu  erbitten. 

Es  schien,  als  könne  keine  Macht  ihn  wed<en. 
Doch  eine  kam,  die  seine  breiten  Schultern 
Mit  trauter  Hand  berührte,  da  der  Stille 
Nidil  sah,  wie  sie  zum  Gru&  sich  tief  verneigte, 
Sie,  eine  Göttin  der  noch  jungen  Weltl 
So  gro|  war  sie,  da|  selbst  die  Amazone, 
Die  hochgewachsne,  zwerghaft  neben  ihr. 
Sie  hätte  leicht  Achill  beim  Schopf  gepad<t, 
Den  Nacken  ihm  gebeugt,  und  hielte  leicht 


12Ö 


Ixions  Rad  mit  einem  Finger  an. 
Ihr  Antlib  war  so  breii  wie  memphischer  Sphinx 
Verschwiegnes  Angesicht,  in  das  Gelehrte 
Um  Kunde  von  Egypten  prüfend  blickten. 
Doch  oh,  wie  wenig  marmorn  dies  Gesicht! 
Wie  schön,  wenn  nicht  der  Kummer  es  verstände. 
Noch  schöner  als  selbsl  Schönheit  auszusehn! 
Ein  angstvoll  Lauschen  lag  in  ihrem  Blick, 
Als  habe  Unheil  eben  erst  begonnen; 
Als  hätten  erste  Wolken  böser  Tage 
Ihr  Übel  ausgespien  und  jefet  ergrolle, 
Schwer  voll  von  Donner,  neues  Leidgeschick. 
Die  eine  Hand  lag  fest  auf  jener  Stelle, 
Wo  Menschenherz  in  Schmerz  zu  schlagen  pflegt. 
Als  fühle  dort  auch  sie  die  herbste  Pein, 
Sie,  die  unsterblich  doch  und  göttlich  war; 
Die  andre  um  Saturns  gebeugten  Nacken 
Geschmiegt,  so  bog  sie  sich  zu  seinem  Ohr 
Und  sprach  mit  ernster  voller  Orgelsiimme 
Die  Trauerworte,  die  in  unsrer  Sprache  — 
Wie  kraftlos,  ach,  verglichen  mit  den  Lauten 
Der  frühen  Götter  1—  dies  bedeutet  hätten: 

„Saturn,  blick  aufl-  Wozu  jedoch,  du  Armer? 
Ich  habe  keinen  Trost  für  dich,  nicht  einen! 
Ich  kann  nicht  sagen:  o,  was  schläfst  du  doch? 
Denn  Himmel  ist  von  dir  getrennt,  und  Erde 
Kann  dich  Gebeugten  nicht  als  Gott  erkennen; 
Und  Ozean  mit  seinem  Wogenbrausen 
Entwand  sich  deinem  Szepter,  und  die  Luft 
Ist  leer  von  deiner  greisen  Majestät. 
Dein  Donner,  neuer  Herrschaft  Untertan, 
Umdröhnt  nur  zögernd  dein  gestürztes  Haus. 
Dein  scharfer  51ife  in  ungeübten  Händen 


129 


Zerstört  das  einst  so  selig  tieitere  Reich. 
O  Sdimerz!  O  Augenblid<e  gro&  wie  Jatirel 
ihr  rollt  vorbei  und  scliwelll  die  ungeheure 
Grausame  Wahrheit  aus  und  prefet  sie  schwer 
Auf  unsern  müden  Gram,  da|  Selbstbetrug 
Nicht  einen  Atemzug  mehr  wagen  kann.— 
Saturn,  schlaf  fortl—  O  wie  gedankenlos 
Verlebt'  ich  Schlummer  dir  und  Einsamkeit. 
Warum  den  schwermutvollen  Blick  dir  öffnen? 
Saturn,  schlaf  fort!  Ich  weine  dir  zu  Fü&en." 

Wie  wenn  in  tief  entrückter  Sommernacht 

Die  grünberockten  Ratsherrn  mächtiger  Wälder, 

Die  hohen  Eichen,  von  den  ernsten  Sternen 

In  Bann  gezaubert,  träumen  und  die  Nacht, 

Die  ganze  Nacht  so  reglos  weiter  träumen. 

Nur  dann  und  wann  von  Windstoß  wachgeschaukelt. 

Der  sachte  in  das  Schweigen  stö&t  und  stirbt. 

Als  ebbe  hoch  in  Luft  nur  eine  Woge, 

So  kamen,  gingen  diese  Tränenworte. 

Sie  bog  die  sdiöne  breite  Stirn  zu  Boden, 

So  da|  ihr  Haar,  ein  sanfter  seidner  Teppich, 

Saturn  zu  Fü&en  ausgebreitet  lag.— 

Ein  Mond  war  mählich  wechselnd  hingegangen. 

Und  reglos  ruhten  immer  noch  die  beiden. 

Wie  Steingebild  in  domgewölbter  Grotte: 

Der  Gott  erstarrt  am  kalten  Boden  kauernd. 

Die  Göttin  tränenvoll  zu  seinen  Fü^en- 

Bis  nun  Saturn  den  welken  Blid<  erhob 

Und  sah,  sein  Königreich  war  fort,  und  sah 

Das  Dunkel  und  die  Trauer  dieses  Ortes 

Und  jene  schöne  Göttin  knien  und  sprach. 

Indem  sein  Bart  wie  Espenlaub  erbebte. 

Mit  schwerer,  wie  von  Gram  gelähmter  Zunge: 


130 


„O  Thea,  sanft  Gemahl  Hyperions, 
Ich  fühl  didi  mehr,  als  ich  dein  Antlib  sehe; 
Blick  auf  und  la§  mich  unser  Schid<sal  lesen, 
51ick  auf  und  sprich,  ob  dieser  sdiwadie  Leib 
Salurn  noch  isl,  ob  diese  leere  Stimme 
Saturn  nodi  ist,  ob  diese  Runzelstirne, 
So  nad<t  und  ihres  Diadems  beraubt, 
Saturnens  Stirne  gleidit?  Wer  hatte  Madit, 
Midi  arm  zu  machen?  Woher  kam  die  Kraft, 
Wer  nährte  sie  zu  so  gewaltgem  Sturm, 
Da  Sdiid<sal  doch  in  meiner  sehnigen  Faust 
Gefesselt  sdiien?  Doch  ach,  es  ist  gesdiehen. 
Ich  bin  gestürzt  und  grabesfern  dem  Wirken 
Der  Göttlichkeit,  der  gütigen  Gewalt 
Auf  bleiche  Sterne  und  auf  Wind  und  Meer, 
Dem  sanften  Segen  über  Saat  und  Ernte 
Und  allem  Tun,  darein  erhabne  Gottheit 
Ihr  Herz  voll  Liebe  giefel.—  Dem  eignen  5usen 
Bin  ich  entflohn  und  lie&  mein  wahres  Selbst, 
Mein  bessres  Idi  wohl  irgendwo  am  Thron 
Und  hier  am  Boden  liegen.  Thea  such! 
Tu  auf  den  ewigen  Blid<  und  schick  ihn  rund 
In  alle  Weilen,  weit  in  Sternenraum, 
Der  lichtverlassen,  weit  in  leere  Luft 
Und  weit  in  Feuerschlund  und  Höllengähnen.— 
Sudi,  Thea,  such!  Und  sag  mir,  ob  du  nicht 
Ein  seltsam  schattenhaftes  Wesen  schaust. 
Das  hoch  auf  Flügeln  oder  Feuerwagen 
Sidh  Wege  bahnt,  um  Himmel  zu  erobern. 
Die  unlängst  es  verlor:  es  mu&,  es  mu| 
Ans  Ziel  hinauf—  Salurn  mu&  König  seinl 
ja,  kommen  mu&  ein  herrlich  goldner  Sieg; 
Gestürzte  Götter  und  Trompetenblasen, 
Triumphgetön  und  helle  Festgesänge 


131 


Auf  goldnen  Wolken  hodi  in  Herrsdierhöhn, 
Verkündungsruf  und  silbersanffes  Rühren 
Von  Sailenspiel;  und  vielfadi  schöne  Dinge 
Will  neu  idi  sdiaffen:  Lusl  den  Himmelskindern 
Und  Uberrasdiungl  Auf)  Befehlen  will  ich! 
O  Thea!  Theai  Sag,  wo  isi  Salurn?" 

Dies  Feuer  rife  ihn  auf.  Er  sland  und  drohle 

Mit  Fäuslen  in  die  Lufl.  Aus  Götlerlocken, 

Die  flogen,  Iroff  der  Sdiwei^;  in  seinen  Augen 

Lag  Fieberglul,  und  seine  Stimme  brach. 

Er  sland  und  hörte  Theas  Seufzen  nidil. 

Nur  kurze  Zeit,  und  dann  entstürmte  neu 

Sein  Zornesworl:—  „Kann  ich  nicht  Schöpfer  sein? 

Kann  ich  nicht  formen?  Eine  zweite  Welt, 

Ein  ander  Universum  auferwed<en, 

Das  dieses  stürzt  und  ganz  zu  nichts  zermalmt? 

Wo  ist  ein  andres  Chaos?—  Wo?"  Dies  Wort 

Schwang  aufwärts  zum  Olymp  und  lie&  erbeben 

Die  drei  Rebellen.—  Thea  sprang  empor. 

Und  Hoffnung  sdiien  ihr  Wesen  zu  beleben. 

Als  sie  nun  schnell,  dodi  ehrfurchtsvoll,  begann: 

„Dies  bringt  den  Unsern  Mull  Komm  zu  den  Freunden, 
Saturn]  Komm  fort  und  sprich  den  Armen  Trost. 
Ich  kenne  ihr  Versted<,  ich  kam  von  dort." 
Nur  dies.  Beschwörend  brannten  ihre  51id<e, 
Indem  sie  rüd<wärts  fort  ins  Dunkel  schritt. 
Er  folgte,  und  sie  wandte  sidi  voran 
Durdi  altes  Dickicht,  das  wie  Nebel  wich. 
Wenn  Adler  ihn,  vom  Horsie  fliegend,  teilen. 

In  andern  Reidien  flössen  währenddessen 
Noch  sdimerzlicher  die  sdiweren  Leidenstränen, 


132 


Und  Gram  war  gröfeer,  als  des  Mensdien  Worl, 
Als  Sprudi  und  Feder  wiedergeben  können. 
Tilanen,  die  in  Sdimadi  und  Fessel  lagen, 
Verlangten  nadi  der  allen  Lehnspflichl  heim 
Und  lauschien  leidvoll,  ob  Salurn  nichl  rufe. 
Nur  einer  aus  der  Mammulhbrul  bewahrle 
Nodi  Überlegenheit  und  Zudil  und  Grö^e. 
Hyperion,  der  Lodernde,  saB  noch 
Auf  seiner  Feuerkugel,  lief  umduflel 
Vom  Weihrauch,  den  zum  Sonnengott  empor 
Die  Mensdien  schid<ten,—  Unruh  dodi  im  Herzen. 
Denn  wie  uns  Erdenvolk  ein  düstres  Omen 
Verwirrt  und  schred^t,  so  sdiauderte  audi  er— 
Nidit  über  Hundelaut  und  Eulenschrei, 
Nodi  über  Spuk  beim  Klang  des  Totenglöckdiens, 
Noch  über  Lampenlied  um  Mitternacht— 
Viel  stärker  ist  das  Graun,  das  Riesen  schred<t 
Und  das  Hyperion  erbeben  machte. 
Sein  strahlender  Palast,  von  Pyramiden 
Durchglühten  Golds  umwogt  und  mild  beschattet 
Von  bronznen  Obelisken,  glomm  wie  Blut 
Durdi  all  die  tausend  Höfe,  Bogen,  Hallen, 
Und  jeder  Vorhang  morgenroter  Wolken 
Erglühte  bös,  und  breite  Adlersdiwingen, 
Wie  Götter  nidit  noch  Menschen  je  sie  sahn, 
Verdunkelten  den  Ort;  und  Rossewiehern, 
Wie  Götter  nicht  nodi  Mensdien  je  gehört. 
Ertönte,  und  die  würzigen  Weihrauchwellen, 
Die  heilige  Hügel  aufwärtsdampften,  schmeckten 
Des  Gottes  weitem  Gaumen  garnicht  süfe. 
So  beizend  scharf  vielmehr  wie  giftiges  Erz. 
So  kam  es,  da&  der  Gott,  wenn  schläfrig  müde 
Im  Westen  er  nadi  klaren  Tages  Sdilufe 
Zu  sanfter  Ruh  in  Armen  von  Musik 


133 


Auf  hodigehäuften  Kissen  Zuflucht  nahm, 

Die  Stunden,  die  ihm  Schlummer  bringen  sollten. 

Mit  riesigem  Schritt  von  Saal  zu  Saal  durchwadile; 

Indefe  in  tiefen  Winkeln  weiter  Hallen 

In  dichten  Gruppen  seine  Treuen  standen, 

Ersdired<te,  angstverwirrte  Flügelgeister,— 

Gleich  Menschen,  die  zu  atemlosen  Haufen 

Zusammenrennen,  wenn  die  Erde  bebt 

Und  Turm  und  Häuser  durdieinanderrüttelt. 

Jefet,  als  Saturn,  aus  eisiger  Starrsudil  wadi. 

Mit  Thea  Schritt  für  Sdiritt  durch  Wälder  nahte. 

Kam  sdiräg  herab  auf  Westens  goldne  Schwelle 

Hyperion,  das  Zwielicht  hinter  sidi. 

Wie  stets,  so  flog  nun  des  Palastes  Tor 

In  sanftem  Schweigen  auf,  nur  Feierflöten, 

Die  Zephir  bliesen,  gaben  heilig  sü6 

Und  hingehaudit  gemessne  Melodien. 

Und  rosengleich  in  Farbe,  Form  und  Duft, 

Das  Auge  kühlend,  stand  in  Pracht  erschlossen. 

Dem  Golle  Einlaß  bietend,  dieses  Tor 

Zu  aller  hehren  Himmelsherrlichkeit. 

Er  überschritt  die  Sdiwelle,  dodi  in  Zorn: 
Sein  Kleid  go&  Flammen  hinter  seinen  Füfeen 
Und  gab  ein  Brausen,  wie  von  Feuersbrunst, 
DaB  all  die  ätherzarten  Stunden  flohn. 
Erschreckt  wie  Taubenflug.  Und  weiter  flammte 
Von  hohem  Säulengang  zu  Saal  und  Saal, 
Durch  Bogenhallen  voll  verhülltem  Glanz 
Und  lange  lidite  Diamant-Arkaden 
Der  Gott  bis  hin  zur  ungeheuren  Kuppel. 
Dort  stand  er  feurig  still  und  stampfte  auf, 
Da&  tief  vom  Fundament  zu  hödisten  Türmen 
Sein  goldnes  Reidi  erbebte;  und  bevor 


134 


Das  Donnerrollen  nodi  geendet  halle, 
Brach,  götllidier  Beherrschung  miid,  sein  Schmerz 
In  diesem  Ruf:  O  Träume  Tag  und  Nadil! 
O  Graungestallen,  Bilder  ihr  von  Leidl 
Gesdiäflige  Geister  durch  die  kalte  Nacht! 
Langohrige  Gespenster  schwarzer  Sümpfe! 
Was  kenn  ich  euch?  Was  sah  ich  euch?  Warum 
Ist  so  zerstört  mein  ewiges  Dasein,  da§ 
Idi  neu  und  immer  neu  die  Schred<en  sehe? 
Saturn  sank  hin,  soll  dies  audi  mir  gesdiehn? 
Soll  ich  den  Hafen  meiner  Ruh  verlassen. 
Die  Wiege  meiner  Pracht,  dies  sanfte  Reidi, 
Den  stillen  Glanz  des  segensvollen  Lichtes, 
Krystallne  Pavillons  und  reine  Tempel 
All  meiner  Herrscherherrlichkeit?  Nun  liegt 
Mein  Zufluchtsort  vereinsamt,  leer  und  tot; 
Die  Helle,  Freudigkeit  und  Symmetrie- 
Ich  seh  sie  nicht—  nur  Dunkel,  Tod  und  Dunkel. 
Selbst  hier  ins  Tiefste  meiner  Sdilummerhallen 
Sind  düstre  Visionen  eingedrungen. 
Um  meine  Macht  zu  kränken  und  zu  stürzen.— 
Zu  stürzen?—  Nein,  bei  Tellus'  salzigem  Kleid! 
Hervor  aus  Feuergrenzen  meines  Reichs 
Will  furchtbar  dräuend  rechten  Arm  ich  redken 
Und  den  Rebellen  Jupiter  vernichten, 
Den  knabenhaften  Donnrer,  und  Saturn, 
Den  Greis,  von  neuem  auf  den  Thron  erheben."  — 
Er  sprach,  verstummte;  denn  noch  schlimmres  Drohn 
Würgt'  ihn  im  Hals,  doch  wagte  sidi  nidit  vor. 
Denn  wie  ein  Lärm,  ie  mehr  man  Ruhe  fordert, 
Sich  durchs  Theater  weiterpflanzt,  so  regten 
Beim  Wort  Hyperions  sich  die  bleichen  Schatten 
Wohl  dreifach  grauenvoll  und  dreifach  kalt. 
Und  von  der  Spiegelfläche,  wo  er  stand, 


135 


stieg  Nebel  auf  wie  Schaum  von  glatiem  Sumpf. 
Da  kroch  ein  wilder  Sdimerz  durdi  seinen  Leib, 
Von  Fu|  zu  Kopf,  wie  muskelslarke  Schlange, 
Die  sich  gesdimeidig  windel,  Kopf  und  Nacken 
In  Krampf  erslarrl.  Erlösl  enlfloh  er  dann 
Zum  Tor  des  Oslens;  und  sedis  volle  Stunden 
Eh  Dämmrung  ein  Erröten  schuldig  war, 
Blies  an  versdilafnes  Tor  sein  hei|er  Atem, 
Blies  schwere  Dünste  fort  und  warf  sie  weit 
Auf  Meeres  eisige  Strömungen  hinaus. 
Die  Feuerkugel,  die  ihn  jeden  Tag 
Von  Ost  nadi  West  durdi  alle  Himmel  trug. 
Flog  wirbelnd  hinter  sdiwarzen  Wolkenschleiern; 
Doch  darum  nidit  verschleiert  und  verborgen, 
Denn  oft  erglommen  Kreise  und  Koluren 
Und  flochten  in  das  milde  Dunkel  Blifee 
Tief  vom  Nadir  bis  aufwärts  zum  Zenith— 
Uralte  Hieroglyphen,  die  die  weisen 
Sterndeuter  jener  Erdenzeiten  lasen 
Und  durch  Jahrhunderte  erobert  hatten— 
Verloren  nun,  bis  auf  die  wenigen  Zeichen 
Auf  alten  Steinen  oder  Marmortafeln, 
Ihr  Sinn  nicht  fa&bar,  ihre  Weisheit  fort.— 
Zwei  breite  Silberschwingen  trug  die  Kugel, 
Zwei  Flügel  ihrer  Pracht  und  Herrlichkeit, 
Die  bei  des  Gottes  Nahn  verzückt  erbebten, 
jefet  spreiteten  sich  vor  aus  Dämmerdunkel 
Die  riesigen  Federn,  eine  nach  der  andern. 
Bis  alle  flugbereit  gebreitet  lagen. 
Noch  immer  aber  sdiwamm  der  Ball  in  Dunkel, 
Hyperions  Befehl  entgegenbebend. 
Gern  hätte  er  befohlen,  gern  den  Thron 
Bestiegen  und  den  Tag  beginnen  lassen— 
Er  durfte  nicht—  er,  der  Urgötler  einer— 


136 


Weh  dem,  der  heiligen  Zeitenlauf  verrückll 

So  hielt  das  Morgenweben  zögernd  inne 

Und  harrle,  wie  es  hier  beschrieben  slehl. 

Die  Silberschwingen  schwammen  schweslerlich, 

Des  Flügelschlags  begierig.  Hohe  Tore 

Enlhüllten  offen  weile  Nachibereiche. 

Und  der  Tilan,  in  Weh  und  Wahnsinn  bebend, 

Dem  Beugen  ungewohnt,  er  beugte  nun 

Den  Sorgen  dieser  Zeil  die  starre  Seele. 

Und  weit  entlang  auf  grausen  Wolkenrücken, 

An  schmalem  Grenzgebiet  von  Nacht  und  Tag, 

Streckt  er  in  Gram  und  matten  Glanz  sich  hin. 

Als  so  er  lag,  sah  Himmel  mit  den  Sternen 

Mitleidig  nieder,  und  aus  Wellallräumen 

Drang  Coelus'  Stimme  leis  und  ernst  zu  ihm: 

„O  hellstes  meiner  lieben  Kinder  du. 

Den  Himmel  zeugte,  Erde  mir  gebar, 

Sohn  von  Geheimnissen,  selbst  denen  dunkel, 

Die  dich  geschaffen:  seltsam  sü&e  Freuden 

Und  Herzgefühle,  die  mir  Wunder  waren. 

Mich,  Coelus,  wunderten,  woher  sie  kamen. 

Und  Wunder  waren  dieser  Freuden  Früchte, 

Klar  sichtbare  und  göttliche  Symbole, 

Wie  Offenbarung  jenes  schönsten  Lebens, 

Das  ungesehn  durch  ewige  Weilen  strömt: 

Von  diesen  Neugeschaffnen  bist  auch  du. 

Sind  jene  Göttinnen  und  deine  Brüder! 

Doch  wehe!  Streit  ist  unter  euch,  Empörung 

Des  Sohnes  gegen  seinen  Herrn.  Ich  sah. 

Sah  meinen  Ältesten  vom  Throne  sinken! 

Zu  mir  reckt'  er  die  Arme,  sandte  Rufe 

Hervor  aus  Donnerslurm,  der  ihn  umtost. 

Erbleichend  barg  ich  mein  Gesichl  in  Wolken. 

Drohl  solch  Geschick  auch  dir?  Dies  ängstel  mich, 


137 


Denn  wenig  gölllidi  seh  idi  meine  Söhne. 

Als  Gölter  wurde!  ihr  erscliaffen;  gölllidi, 

In  Würde,  himmelhehr  und  ungeslörl 

Gleicli  hohen  Göllern  lebtel,  herrschiel  ihr. 

jefel  seh  ich  Furchl  in  euch  und  Leid  und  Hoffen, 

Und  Wul  und  Leidenschafl  durchloben  euch. 

Als  wärl  ihr  nichls  denn  niedre  Slaubgeborne 

Und  Todessöhne.—  Dies  isl  Leid,  o  Sohn) 

Verfall  und  Angsl  und  Slurzl  Doch  ringe  du. 

Der  du,  ein  wahrer  Goll,  dich  regen  kannsl 

Und  jeder  bösen  Slunde  Körperkrafl 

Und  Wesenheit  enlgegensefeen  kannsl. 

Ich  selbst  bin  nichts  als  Stimme,  und  mein  Leben 

Isl  Leben  nur  von  Strömungen  und  Stille, 

Nur  Strömungen  und  Stille  dienen  mir.— 

Du  aber  kannstl—  So  sei  ein  kühner  Kämpfer, 

la,  hall  des  Feindes  Pfeile  auf,  bevor 

Die  straffe  Sehne  summt.-  Hinab  zur  Erdel 

Dort  hndest  du  Saturn  und  seine  Klagen. 

Ich  will  indessen  deine  helle  Sonne 

Und  deiner  Zeilen  rechten  Lauf  behüten."- 

Eh  halb  dies  Weltgeflüster  niederkam. 

War  auf  Hyperion;  die  gebogenen  Lider 

Zu  Sternen  hochgeridilel,  horchte  er, 

Bis  Stille  ward.  Und  schaute  immer  noch 

Und  nodi  hinauf  in  feierlidie  Sterne. 

Dann,  wie  der  Taucher  taucht  in  Perlenmeere, 

Bog  sachte  er  die  breite  Brust  nach  vorn 

Und  stie&  von  luftiger  Küste  weil  hinab 

Und  tauchte  lautlos  unter  in  die  Nacht. 

HYPERION.  ZWEITES  BUCH 

Derselbe  Flügelschlag  der  Zeit,  der  sachte 

Hyperion  durch  bewegte  Lüfte  trug, 


13Ö 


Lie|  Thea  mii  Saturn  den  Ort  erreichen, 

Wo  Cybele  und  die  Tiianen  murrien. 

Kein  Lichfschein  konnte  ilire  Tränen  treffen 

In  jener  Hölile,  wo  sein  eignes  Grollen 

Ein  jeder  fiitilte,  dodi  nicht  hören  t<onnte; 

Denn  donnernd  brüllten  nahe  Wasserstürze 

Und  gössen  ewig  neue  Mengen  aus. 

51ock  griff  empor  zu  Blod<,  und  Felsen  schienen 

Wie  aufgeschreckt  aus  langem  fernem  Schlaf 

Eng  Stirn  an  Stirn  und  Hörn  an  Hörn  zu  pressen 

Und  sdiufen  so  in  tausend  Traumgebilden 

Dem  Klagenest  ein  seltsam  düstres  Dach. 

Sie  sagen  nicht  auf  Thronen;  harter  Kiesel 

Und  zottiger  Stein  und  spifeer  Schiefergrat, 

Den  Eisen  härtete,  gab  ihnen  Lager. 

Nidit  alle  waren  da,  denn  mandie  rangen 

In  Kettenbanden,  mandie  schweiften  weit. 

Coeus  und  Gyges  und  Briareus, 

Typhon  und  Dolor  und  Porphyrion 

Und  viele  mehr,  die  Sehnigsten  im  Kampfe, 

Sie  waren  eingepferdit  zu  Not  und  Mühn, 

In  dunkle  Elemente  eingekerkert. 

Wo  sidi  verbissner  Mund  nicht  öffnen  durfte 

Und  festgeschlossne  Glieder  reglos  drohten. 

Gepreßt,  gekrampft,  wie  Adern  von  Metall. 

Nur  ihre  großen  Herzen  keuchten  Qual 

Und  pulsten  fiebernd  auf  in  blutiger  Not. 

Es  schweifte  Mnemosyne  durdi  die  Welt 

Und  Phoebe  weilte  ihrem  Monde  fern. 

Und  viele  andre  waren  frei  zu  wandern— 

Die  meisten  aber  suchten  hier  den  Schüfe. 

Wie  leblos  lagen  sie:  Druidenblöcke, 

Die  auf  verlassnem  Moor  in  Runde  stehn 

Wenn  Abend  dunkelt  und  der  kühle  Regen, 


139 


Novemberregen  fällt  in  ihre  Grufi, 

Der  Himmel  selbst  in  Nacht  erblindet  ist. 

Verschlossen  lag  ein  jeder,  gab  dem  Nächsten 

Nicht  Wort  noch  Blick,  noch  Zeichen  der  Verzweiflung. 

Creus  war  einer;  mäditiger  Eisenhammer 

Lag  neben  ihm,  und  ein  zersprungner  Fels 

Gab  5ild  von  seiner  Wut,  eh  da&  er  sank. 

läpetus  ein  andrer.  Seine  Faust 

Umspannte  schleimigen  Schlangenhals;  gespalten 

Quoll  aus  der  Gurgel  gierig  lange  Zunge, 

Und  steif  und  lot  lag  sie  und  nicht  gerollt 

Und  konnte  dem  Erobrer  Jupiter 

Nun  nicht  ihr  Gift  ins  kecke  Auge  sprifeen. 

Dann  Cotlus,  auf  der  Erde  das  Gesicht, 

Kinn  aufgeredet  als  wie  in  Sdimerz,  denn  nodi 

Schlug  er  den  Schädel  wütend  an  den  Stein 

Mit  offnem  Mund  und  furchtbar  wilden  Blicken. 

Nächst  ihm  Asia.  Caf,  die  ungeheure. 

Gebar  sie,  die,  ein  Weib,  der  Mutter  Tellus 

Mehr  Weh  gemacht  als  einer  ihrer  Söhne. 

Nicht  Leid,—  Verträumtheit  lag  in  ihrem  Blick, 

Denn  Ruhm  und  Ehre  ahnte  sie  voraus. 

Vor  ihren  weilen  Seheraugen  standen 

Palmschattige  Tempel,  ragende  Altäre, 

Am  Oxus  und  auf  heiligen  Gangesinseln. 

Wie  Hoffnung  sich  auf  ihren  Anker  stufet. 

Doch  nicht  so  sdiön,  so  lehnte  sie  am  Stoßzahn, 

Der  ihrem  grö&ten  Elefant  genommen. 

Auf  zad<igem  Klippenrande  über  ihr. 

Den  Arm  gestüfet  und  lang  am  Boden  liegend. 

Düstrer  Enceladus;  einst  zahm  und  mild, 

Wie  friedlich  grasend  Rind  auf  grüner  Wiese, 

jefet  ligerwild  und  löwenlauernd,  plante 

Und  raste  er  und  warf  Felsblödke  auf 


140 


In  jenen  Kampf,  da&  scheu  die  jungen  Göller 

In  Tiergeslali  sich  zu  verbergen  suchten. 

Nicht  ferne  Atlas;  neben  ihn  gestreckt 

Lag  Phorkus,  der  Gorgonen  Herr.  Und  enge 

Beisammen  Thetis  und  Oceanus. 

In  Thetis  Scho&  gebettet  tag  Ctymene 

Und  sdituchzte  ruhtos  in  ihr  schönes  Haar. 

Inmitten  aller  Themis,  eng  zu  Fii&en 

Von  Ops,  der  Königin,  die  ganz  umwölkt, 

Den  Blicken  unsichtbar—  noch  mehr,  als  wenn 

Aus  Wolken  und  aus  Fichtenwipfeln  Nacht 

Ein  Ganzes  macht-  und  viele  andre  noch. 

Ihr  Name  sei  verschwiegen,  denn  wenn  Muse 

Die  Schwingen  hebt,  wer  hindert  ihren  Flug? 

Und  von  Saturn  und  seiner  Fiihrerin 

MuB  nun  sie  singen,  die  mit  nassem  Fu& 

Aus  Tiefen  kamen,  die  noch  grauenvoller. 

Ob  düstern  Felsen  ragte  beider  Haupt, 

Und  die  Gestalten  wuchsen,  bis  ihr  Schritt 

Auf  ebnem  Boden  endlich  Ruhe  fand. 

Da  reckte  Thea  bebend  ihre  Arme 

Hin  über  dieses  Nest  des  gro&en  Leids 

Und  seitwärts  sah  sie  in  Saturns  Gesicht: 

Hier  flammte  harter  Kampf.  Der  grofee  Gott 

Rang  schwer  mit  Gram  und  Schwäche,  Furcht  und  Wui, 

Besorgnis,  Mitleid,  Reue  und  Verzweiflung. 

Vergeblidi  slritt  er  gegen  diese  Plagen, 

Denn  Schicksal  hatte  tödlich  schwächend  Gifi 

Ihm  übers  Haupt  gegossen,  so  da6  Thea 

Erschreckt  zur  Seite  wich  und  ihn  als  ersten 

Eintreten  lie&  zu  der  gefallnen  Horde. 

Wie  Sterblichen  das  schwerbeladne  Herz 

Noch  mehr  in  bangem  Druck  und  Qualen  fiebert. 

Wenn  es  dem  trauervollen  Haus  sich  nähert. 


141 


Wo  andre  Herzen  gleicher  Sdimerz  gebrochen, 
5efiel  Salurn,  der  zu  den  andern  Irai, 
Ein  Ohnmaditweh,  das  fasi  ihn  niederwarf. 
Da  aber  iraf  sein  BHck  Enceladus, 
Des  Auge  machivoll,  doch  in  Ehrfurcht  flammte 
Und  alle  Kräfte  hob;  und  laut  erscholl 
Sein  Wort:  „Titanen,  blid^t  auf  euren  Gott!" 
Da  grollten  manche  Antwort,  manche  sprangen 
Erwacht  empor,  und  manche  schrien  laut. 
Und  manche  weinten,  andre  klagten  schwer, 
Und  alle  neigten  sich  in  Ehrerbietung. 
Und  Ops  hob  ihren  schwarzen  Schleier  auf, 
Liefe  bleiche  Wangen,  müde  Stirne  sehn, 
Schwarzdünne  Augenbraun  und  hohle  Augen.— 
Ein  Raunen  weht  durch  kalte  Fichlenstämme, 
Wenn  Winter  seine  Stimme  hebt;  ein  Raunen 
Durcheilt  die  Ewigen,  wenn  ein  Gott  den  Finger 
Verwarnend  hebt,  zum  Zeichen,  dafe  ihm  nun 
Die  volle  Wucht  urmächtiger  Gedanken 
Mit  Donner  und  Musik  vom  Munde  komme. 
Solch  Raunen  ist  wie  Rauschen  kalter  Fichten, 
Dem,  wenn  es  in  der  5ergeswelt  verstummt. 
Kein  andrer  Laut  mehr  folgt.  Doch  hier  bei  diesen 
Gefallnen  hob  Saturnens  Wort  sich  nun 
Wie  Orgel,  die  ihr  Tönen  neu  beginnt. 
Wenn  andre  Harmonien,  sdinell  verstummt. 
Die  Luft  in  Schwingungen  zurüd<gelassen. 
So  hob  es  an:—  „Nicht  in  der  eignen  Brust, 
Die  selbst  ihr  Richter  und  Erforscher  ist. 
Find  ich  den  Grund,  weshalb  ihr  also  seid; 
Nicht  in  Legenden  von  urerstem  Tage 
Aus  jenem  Buch,  drin  Weisheit  jedes  Blatt, 
Das  sterniger  Uranus  mit  hellem  Finger 


142 


Vom  Meeressirand  der  Finsternis  gereuet. 
Da  Ebbewogen  es  in  Dunl<el  bargen, 
Aus  jenem  Buch,  das  immer,  wie  ihr  wi^t, 
Als  sichre  Fu&bank  mir  gedient:—  wahrhaftig. 
Nicht  dort  und  nicht  in  Zeichen  nodh  Symbol, 
Noch  Warnungsbild  in  Erde,  Wasser,  Luft 
Und  Feuer,  Krieg  und  Frieden  oder  Streit 
Des  einen  Elementes  gegen  andres, 
Nodi  auch  im  Streit  von  dreien  oder  allen, 
Nodi  audi  wenn  eines  gegen  dreie  steht, 
Wenn  Luft  und  Feuer  miteinander  zanken. 
Wenn  Regen  sie  in  Wasserflut  ertränkt 
Und  beide  ans  Gesidit  der  Erde  pre§t, 
Wo,  Schwefel  findend,  vierfadi  Ungestüm 
Das  arme  Wellall  aus  den  Angeln  hebt; 
In  jenem  Kampfe  nidit,  aus  dem  ich  Kunde 
Seltsamer  Weisheit  tief  verstehend  lese. 
Find  ich  den  Grund,  weshalb  ihr  also  seid. 
Enträtseln  kann  ich  nicht—  wie  sehr  idi  sudie 
Im  ungeheuren  Buche  der  Natur, 
Bis  Schwindel  mich  erfa^l—  weshalb  ihr  Götter, 
Ihr  Erstgebornen  von  Geslall  und  Form, 
Euch  beugen  solltet  unter  eine  Macht, 
Die,  euch  verglichen,  nur  erbärmlich  ist. 
Da  seid  ihr  dennoch!  Überwunden,  siech. 
Verachtet  und  geschlagen  seid  ihr  hierl 
Titanen!  soll  ich  sagen:  Auf!—  Ihr  grollt. 
Ich  sage:  Nieder!-  Ah,  ihr  grollt!-  Was  also? 
O  weiter  Himmel,  lieber  ferner  Vater! 
Was  kann  ich?  Sagt  mir,  all  ihr  hehren  Brüder, 
Wie  kämpfen  wir,  wie  formen  wir  die  Schlacht? 
O  sprecht  jefel  Rat!  Salurnens  Ohr  verlangt 
Nach  euerm  Wort.  Oceanus,  nun  rede. 


143 


Du  grübelst  tief,  und  staunend  sietit  mein  Auge 
In  deinem  Antlife  jenen  sanften  Ernst, 
Den  klares  Denken  breitet.  Gib  uns  Hilfe!" 

So  endete  Saturn.  Der  Gott  der  Meere, 
Sophist  und  Weiser,  zwar  nicht  von  Athen, 
Vielmehr  ein  Denker  tief  in  Wassergrotlen, 
Stand  auf,  mit  trod<nen  Locken,  und  begann 
In  schweren  Lauten,  die  wie  Brandung  brausten: 
„O  ihr,  die  Wut  verzehrt,  die  Leid  zermartert! 
Die  ihr  Vernichtung  flirditend  Kummer  pflegt! 
Verschlie|t  die  Sinne,  sdilie|et  eure  Ohren, 
Mein  Wort  ist  nicht  wie  Blasebalg  für  Zorn. 
Doch  die  ihr  wollt,  hört  zu,  wie  idi  beweise, 
Da|  ihr  zu  beugen  eudi  gezwungen  seid. 
Und  viel  an  Tröstung  bietet  mein  Beweis, 
Wenn  wir  des  Trostes  Wahrheit  ganz  erfassen. 
Naturgeseb  ist  Ursach  unsres  Sturzes, 
Nicht  Jupiter  und  auch  nicht  Donnerkraft. 
Saturn,  erhabner  Gott,  wohl  forschtest  du 
In  jede  Einzelheil  dem  Weltall  nach, 
Dodi  weil  du  König  bist,  warst  du  auch  blind 
Aus  Überlegenheit,  und  eine  Strafe 
War  deinem  Blid<  verborgen,  eine  Slra|e, 
Auf  der  idi  selbst  zur  ewigen  Wahrheit  kam. 
Und  höre  erstens:  wie  du  nicht  die  erste 
Der  Mächte  warst,  bist  du  audi  nicht  die  lefete; 
Du  bist  der  Anfang  nidit  und  nicht  das  Ende. 
Aus  Dunkelheit  und  Chaos  kam  das  Lidit, 
Aus  jenen  Früchten  innerlidien  Aufruhrs, 
Der  finslern  Gärung,  die  zu  fernen  Zielen 
Hinreifle.  Und  die  reife  Stunde  kam. 
Und  mit  ihr  Licht  und  Liclit,  das  mit  dem  eignen 
Erzeuger  weiter  zeugte  und  fortan 


144 


Ins  Leben  rief  unendliche  Materie. 

Seii  jener  Stunde  ward  es  offenbar, 

Da&  Erd  und  Himmel  nati  Verwandte  sind. 

Denn  du,  der  Erstgeborene,  und  wir,  die  Riesen, 

Regierten  neue  sdiöne  Reiche  nun. 

Jefet  kommt  der  Wahrheit  Schmerz—  wenn's  Schmerz  bedeutet. 

O  Narrheit!  Denn  die  nad<te  Wahrheit  tragen 

Und  dem  Ereignis  still  ins  Antlib  sehn. 

Das  ist  die  höchste  Hoheit.  Merket  wohl! 

Wie  Erd  und  Himmel  viel,  viel  sdiöner  sind. 

Als  Dunkelheit  und  Chaos,  und  wie  wir 

Dem  Himmel  und  der  Erde  weit  entragen, 

In  Wuchs  und  in  Gestaltung  fest  und  schön. 

In  Willen,  Tun  und  Kameradschaft  frei, 

Und  tausend  andern  Zeichen  reinen  Lebens, 

So  folgt  Vollkommneres  uns  auf  dem  Fu^e, 

In  Schönheit  stärker  und  von  uns  geboren. 

Bestimmt,  emporzuwachsen  über  uns, 

Wie  wir  das  alte  Dunkel  überragen. 

Und  mehr  nicht  sind  von  ihnen  wir  besiegt. 

Als  einst  durch  uns  das  formenlose  Chaos. 

Sagt,  streitet  denn  die  träge  Erde  mit 

Den  stolzen  Wäldern,  die  sie  großgefüttert 

Und  heut  nodi  füttert—  besser  als  sich  selbst? 

Kann  sie  die  Hoheit  grüner  Haine  leugnen? 

Und  soll  der  Baum  die  Taube  wohl  beneiden, 

Weil  sie  mil  weißen  Schwingen  wandern  kann, 

Wohin  sie  will,  und  gurren  kann  in  Lust? 

Wir  sind  so  Waldesbäume.  Unsre  Knospen, 

Sie  sprangen  auf;  doch  keine  bleidien  Tauben, 

Nein,  goldne  Adler  braditen  sie  zur  Welt, 

Die  über  uns  in  heller  Schönheit  schweben 

Und  darum  herrsdien  müssen;  denn  Geseß 

Ist  dieses:  Schönstem  sei  die  Macht!  Wahrhaftig! 


145 


Durdi  dies  Gesefe  mag  späteres  Gesdiledit 
Die  Sieger  über  uns  in  Nöle  bringen. 
Hab!  ihr  den  jungen  Meeresgott  geseiin? 
Ihn,  der  mich  stürzte?  Saht  ihr  sein  Gesicht? 
Den  Wagen,  den  durdi  Schaum  und  Wogen  zogen 
Besdiwingte  Wesen,  die  er  selbst  sidi  schuf? 
Idi  sah  ihn  durch  die  sanften  Wasser  gleiten, 
Mit  solchem  Schönheitsglanz  in  seinen  Augen, 
DaB  ich  von  meinem  Reiche  Absdiied  nahm. 
In  Trauer  schied  und  hierher  l<am,  zu  sehen. 
Wie  Schmerzgeschick  euch  drückte  und  wie  Trost 
Idi  fände  für  dies  furditbar  gro|e  Weh. 
Nehmt  hin  die  Wahrheit,  la&t  sie  Balsam  sein." 

Ob  sie,  als  nun  Oceanus  geendet. 

Das  Sdiweigen  wahrten  aus  Ergriffenheit, 

Aus  Hochmut,  kann  kein  tiefstes  Denken  wissen. 

Doch  war  es  so:  nicht  einer  schenkte  Antwort; 

Nur  sie,  die  Unbeaditetste,  Clymene. 

Doch  kein  Eintgegnen  war's,  nur  sanfte  Klage 

Mit  Fiebermund  und  tränenmildem  Blid<, 

Die  schüchtern  in  der  andern  Grimm  sich  wagte: 

„O  Vater,  idi  bin  hier  die  sdiwädiste  Stimme, 

Und  all  mein  Wissen  ist,  da|  Lust  entfloh 

Und  dieses  Leid  in  unsre  Herzen  krodi. 

Für  immer  dort  zu  bleiben,  wie  ich  fürchte. 

Ich  würde  nicht  von  Unglück  prophezeihn, 

Dädit'  ich,  ein  arm  Geschöpf  wie  ich  vermödile 

Die  Hufe  abzuwenden,  die  nach  Redit 

Uns  kommen  sollte  von  den  höchsten  Göttern. 

Doch  laB  mich  meinen  Kummer  sagen,—  sagen. 

Wovon  ich  hörte,  was  mich  weinen  machte. 

Mir  Wissen  gab,  da&  alle  Hoffnung  fern. 

Ich  stand  an  einem  anmutvollen  Ufer, 


146 


Wo  süfeer  Atem  einer  Gegend  wehle. 
Die  Duft  und  Rutie,  Baum  und  Blumen  liatte, 
Voll  stiller  Freude  war,  wie  ich  voll  Leid,— 
Zu  voll  von  Lust  und  selig  sanfter  Wärme, 
SodaB  mein  Herz  Verlangen  trug  zu  sctielten 
Und  jene  Einsamkeit  mit  Klageliedern, 
Mit  Sang  von  unsren  Sdimerzen  tief  zu  sdimätin. 
Idi  sefete  micti  und  nahm  gel<laffte  Muschel 
Und  spradi  hinein  und  machte  Melodie  — 
O  Melodie  nie  mehr!  Denn  als  ich  sang 
Und  wenig  kunstvoll  in  die  Lüfte  blies 
Der  dumpfen  Muschel  Echo,  kam  von  drüben, 
Von  grünbebuschtem  Inselland  im  Meer, 
Ein  Zauber  mit  den  Winden  hergetrieben, 
Der  midi  betäubte  und  doch  wach  erhielt. 
Id\  warf  die  Musdiel  fort  in  Sand,  und  Flut 
Verschlang  sie,  wie  mein  Sinn  versdilungen  ward 
Von  jener  neuen  goldnen  Melodie. 
Lebendiger  Tod  erfüllte  diese  Klänge 
Und  jeden  Ton  und  wonnigen  Akkord, 
Der  eilig  lief,  in  neuen  Klang  verschmolz. 
Wie  Perlentropfen,  die  von  Fäden  fallen. 
Und  immer  wieder  folgten  andre  Töne— 
Wie  Tauben,  die  den  ölbaumzweig  verlassen, 
Musik  statt  Federn  in  den  leichten  Schwingen- 
Midi  zu  umflattern  und  mich  krank  zu  machen 
Mit  Lust  und  Leid  in  einem  Atemzug! 
Leid  überwog.  Ich  hielt  die  Ohren  zu, 
Doch  trofe  des  Sdiufees  angstverwirrter  Hände 
Kam  adi  wie  sü&e  Stimme  zu  mir  her. 
Viel  sü&er  noch  als  Sang  erklang's:  „Apollo! 
Apollo,  jung  und  morgenhell  und  jung!" 
O  Vater  und  o  Brüder,  hättet  ihr 
Gefühlt,  was  ich  da  litt,  hälfst  du's,  Saturn, 


147 


Gefühli,  ihr  würdet  den  demüiigen  Mund 
Nicht  schelten,  da&  er  such!,  gehört  zu  werden." 

So  flo|  ihr  Wort  dahin  wie  sdiüditern  Bächlein, 

Das  sadite  sich  durch  Kieselufer  sdilängelt 

Und  die  Begegnung  mit  dem  Meere  fürchtet. 

Dodi  Meer-Begegnung  t<am  und  lie&  es  sdiaudern: 

Gewaltig  hob  Enceladus  die  Stimme 

Und  schlang  es  ein  in  Wut.  Die  Silben  rollten 

Gleich  dumpfen  Wogen  in  durchspülten  Höhlen 

Der  Klippenfelsen  tosend  ihm  vom  Mund, 

Indes  er  lässig  aufgestüfet  in  Trofe 

Noch  immer  lang  auf  Felsenplatte  lag: 

„Wem  schenken  wir  Gehör—  dem  überweisen. 

Dem  überdummen  dieser  Riesen,  Götter? 

Nicht  Donnersdilag  auf  Donnerschlag,  bis  jener 

Rebell  sein  Waffenzeug  verschleudert  hätte. 

Nicht  Welt  um  Welt  auf  meinen  Sdiultern  könnte 

Mich  bittrer  peinigen  als  Kinderworte 

In  Not  und  Jammer  dieses  Schreckensturzes. 

So  sprecht  doch,  brüllt,  ihr  schläfrigen  Titanen  1 

Vergalt  die  Schläge  ihr,  den  fredien  StoS? 

Hat  nicht  ein  Jünglingsarm  euch  umgeworfen? 

Vergilt  du,  Herr  der  Wogen,  deinen  Sturm?— 

Hai  Hab  ich  mit  so  wenig  schlichten  Worten 

Schon  euern  Groll  gewed<t?  O  Freude,  Freude! 

je|t  seh  ich,  da|  ihr  nicht  verloren  seid. 

Jefet  seh  ich  tausend  Äugen  Rache  glühenl" 

Als  er  das  sagte,  stand  er  ragend  auf. 

Und  ungehindert  fuhr  er  also  fort: 

„Je|t,  da  ihr  Flamme  seid,  will  idi  euch  lehren. 

Der  Feinde  Äther  gründlidi  durchzuläutern. 

Des  Feuers  Zackenstachel  recht  zu  lenken 

Und  Jupiters  Gewölke  wegzusengen. 


14Ö 


Den  Schwadien  in  sein  Zell  zurüd<zusdieudien. 

O  laBl  ihn  fühlen,  was  er  Übles  lall 

Veradil'  ich  gleich  Oceanus'  Gerede, 

Trag  ich  doch  Leid  um  mehr  als  nur  Verlust 

Von  Reichen.  Fort  ist  Friede,  fori  die  Ruhe 

Slillsanfler  Tage,  denen  Kämpfe  fremd, 

Da  jede  sdiöne  Wesenheit  des  Himmels 

Mit  offnen  Augen  nahte,  um  zu  lauschen. 

Das  war,  eh  unsre  Stirn  das  Runzeln  lernte. 

Eh  unsre  Lippen  andre  Laufe  kannten 

Als  feierlichen  Klang;  war,  eh  wir  wußten. 

Dal  Sieg,  dies  Flügelding,  verloren  gehn. 

Gewonnen  werden  könne.  Und  bedenkt, 

Hyperion,  strahlendster  von  unsern  Brüdern, 

Er  ist  noch  ungekränkt—  Hyperion,  oh! 

Sein  Strahl,  sein  Glanz  und  Strahl  ist  hier  bei  uns!" 

Sie  blid<ten  alle  auf  Enceladus 

Und  sahn,  indes  von  seinen  Lippen  nodi 

Hyperions  Name  an  die  Felsen  hallte. 

Ein  blasses  Leuchten  auf  den  strengen  Zügen, 

Die  nicht  mehr  wild;  sah  er  dodh  mandien  Gott 

Gleidi  ihm  in  Glut.  Er  blickte  auf  sie  alle 

Und  fand  in  jedem  Antlife  hell  ein  Lidit; 

Und  leuchtender  als  alle  stand  Saturn, 

Die  greisen  Locken  schimmerten  wie  Schaum 

Um  blanken  Kiel,  der  nachts  den  Hafen  sudit. 

In  silberblassem  Schweigen  harrten  sie. 

Bis  morgenhellster  Glanz  die  steilen  Hänge, 

Die  dunklen  Klüfte  der  Vergessenheit 

Und  jede  Sdilucht  und  jede  Felsenspalte 

Und  jede  Höhe  und  ersdired<te  Tiefe, 

Durch  die  mit  heiserm  Sdhrei  sidi  Ströme  guälten. 

Und  all  die  ewigwilden  Katarakte 


149 


Und  nah  und  fern  die  kopflos  fiasligen  Bäche, 

Zuvor  in  schweren  Sdiatien  eingedunkell, 

Mii  grauenhafter  HeUigkeii  durchdrang. 

Es  war  Hyperion.—  Ein  graniiner  Gipfel 

Bot  seinen  hellen  Elisen  Plafe  zur  Ruhe. 

Da  siand  er  und  beschaule  Noi  und  Jammer 

Und  Graun  und  Schauder,  die  sein  Glanz  enlhülll,- 

Sein  Haar  wie  Gold,  numidisdi  kurze  Lod<en, 

Von  königlicher  Hoheit  die  Gestalt, 

Die,  riesiger  Sdiailen,  stand  im  eignen  Licht 

Wie  Memnons  Leib  bei  Sonnenuntergang, 

Wenn  ihm  aus  dunklem  Ost  ein  Wandrer  naht. 

Auch  Seufzer,  trauervoll  wie  Memnons  Klage, 

Entflogen  ihm;  er  preßte  beide  Hände 

In  Leid  zusammen,  mitten  in  dem  Schweigen. 

Verzagtheit  fa^te  wiederum  die  Götter, 

Als  sie  den  Herrn  des  Tags  so  mullos  sahn, 

Und  viele  wandten  ihren  Blick  vom  Lidil. 

Enceladus,  der  Eeurige,  doch  sandle 

Das  glühe  Auge  zu  den  Brüdern  hin. 

Auf  stand  läpetus  und  Creus  auch 

Und  Phorcus,  und  zusammen  sdiritten  sie 

Zum  Eelsen  hin,  wo  jener  turmgleidi  ragte. 

Dort  riefen  laut  die  vier  Saturn  bei  Namen: 

Hyperion  rief  vom  Gipfel  hell:  „SaturnI" 

Saturn  sa^  nahe  bei  der  Göttermutter, 

In  deren  Antlife  keine  Ereude  war, 

Obgleich  die  Götter  all  aus  dumpfen  Kehlen 

„Saturn!"  und  wieder  diesen  Namen  riefen. 


HYPERION.  DRITTES  BUCH 

So  tobten  die  Titanen  bald  in  Aufruhr, 


Bald  sanken  sie  in  stiller  Trauer  hin. 


150 


O  1q&  sie,  Musel  La6  sie  ihrem  Leid. 

Zu  zari  bist  du,  solch  Toben  zu  besingen. 

Ein  einsam  Weh  heg!  deinen  Lippen  besser 

Und  sdiöner  singst  du  Gram  des  Einzelnen. 

O  la&  sie,  Musel  Oft  noch  wirst  an  Ufern, 

In  Wildnis  du  gefallne  Gölter  finden. 

Die  rastlos  die  verlornen  f^eiche  suchen. 

Doch  rühre  sanft  die  delphisch  sü&e  Harfe, 

Und  Himmelshauch  nur  darf  das  liebe  Zwitschern 

Dorischer  Flöte  lieblich  Unterstufen, 

Denn  sieh,  dem  Herrn  der  Dichtung  gilt  dein  Lied. 

Erröte  alles,  was  die  Röte  kennt) 

Du  Rose,  glühe  Wärme  in  die  Luft, 

Du  Abendrot,  ihr  morgenroten  Wolken, 

Umflie&t  in  wonnigem  Gelock  die  Höhn! 

Der  rote  Wein  im  kühlen  Silberbecher 

Er  brause  auf,  wie  junger  Sprudelguell; 

Zarllippige  Muscheln  tief  in  Meereswogen 

Und  hoch  am  Strand,  sie  mögen  Röte  fühlen 

Durdr  alle  Gänge  ihres  Labyrinths, 

Und  Mädchen  mögen  glühen,  wie  geküßt  I 

O  Delos,  erste  Insel  der  Cycladen, 

O  Freude  deinen  grünenden  Oliven 

Und  Pappeln,  Palmen  über  Wiesengründen 

Und  Buchen,  deren  Lied  der  Zephir  wiegt. 

Und  Haselstauden,  die  in  Schatten  stehen) 

Apoll  ist  wieder  unser  goldnes  Thema! 

Wo  war  er,  als  der  Sonnenriese  leuchtend 

Das  Leid  der  andern  Götter  überstrahlte? 

Die  schöne  Mutter  und  die  Zwillingsschwester 

Liefe  er  in  Schlaf  im  Laubengrund  zurück 

Und  schritt  im  Morgenzwielicht  durch  die  Weiden. 

Maiglöd<dien  blühten  hell  um  seinen  Fufe 

Am  Bache  hin.  Die  Nachtigall  war  stille, 


151 


Und  lefete  Sierne  zögerien  am  Himmel. 

Die  Drossel  sang  gelassen.  Weit  und  breit 

Trug  diese  Insel  Dickicht  nictit  nocti  Grotte, 

Durcli  die  nictit  Murmellaut  von  Wasser  rausdite. 

Er  lauschte,  weinte,  und  die  hellen  Tränen 

Durchtropften  blifeend  seine  goldne  Leier. 

Er  stand,  die  feuchten  Augen  halb  geschlossen, 

Da  nahte  unter  niedern  Zweigen  her 

Mit  feierlidien  Schritten  eine  Göttin, 

Und  sinnvoll  lag  auf  ihm  ihr  tiefer  51id<, 

Den  er  befangen  zu  enträtseln  suchte. 

Indem  er  sanft  und  klingend  zu  ihr  spradi: 

„Wie  kamst  du  über  unwegbare  Meere, 

Doch  war  es  möglich,  da|  in  diesen  Hainen 

Du  seltsam  Wesen  unsichtbar  gehaust? 

Ja  sicherlicii,  ich  hörte  diese  Kleider, 

Wenn  ich  allein  in  kühlen  Wäldern  lag. 

Durch  welke  Blätter  rauschen.  Ja,  ich  fühlte 

Der  faltigen  Gewänder  sanfte  Bogen 

Durcii  Wiesen  gleiten,  sah  die  Blumen  alle 

Die  Köpfe  heben,  als  ihr  Flüstern  kam. 

O  Göttin!  Dieser  Augen  ewige  Ruhe, 

Idi  sah  sie  sdion,  sah  dieses  Antlih  schon— 

Es  sei  denn,  dafe  idi  träumte."  „Ja,"  sprach  sie. 

Die  Himmlisdie,  „du  hast  von  mir  geträumt 

Und  wachtest  auf  und  sahst  an  deiner  Seite 

Die  Leier  ruhn,  die  ganz  aus  Golde  war. 

Mit  Saiten,  denen,  wenn  du  sie  berührtest. 

Das  ungeheure  nimmermüde  Ohr 

Des  ganzen  Weltalls  schmerzbeseligt  lauschte, 

DaB  solch  ein  Tönewunder  möglich  war. 

Wie  sonderbar,  da&  du  nun  weinen  solltest. 

Der  so  begnadet  ist)  Erzähle,  Jüngling, 

Welch  Sorgen  fühlst  du?  Denn  ich  bin  in  Trauer 


152 


Um  jede  Träne,  die  du  weinsl:  enihülle 
Den  Kummer  einer,  die  auf  dieser  Insel 
Die  Stunden  deines  Schlafs  und  deiner  Freude 
Bewachte,  von  dem  jungen  Tage  an. 
Da  deine  Kinderhand  gedankenlos 
Die  zarten  51umen  pflückte,  bis  dein  Arm 
Für  alle  Zeil  den  Bogen  spannen  konnte. 
Zeig  einer  allehrwürdigen  Macht  dein  tierz, 
Die  heiligen  Thronen  nur  um  didi  entsagte, 
Der  neugebornen  Lieblidikeit  zum  Heil." 
Apollo  dann,  mit  klaren  Augen  forschend, 
Gab  Antwort,  und  die  liederreiche  Kehle 
Erbebte,  als  er  sprach:  „O  Mnemosyne! 
Dein  Name  kommt  mir,  wei&  ich  auch  nicht  wie. 
Mu|  idi  dir  sagen,  was  so  gut  du  siehst? 
Mu&  idi  zu  zeigen  suchen,  was  dein  Mund 
Enträtseln  kann?  Vergessenheit  drückt  dunkel 
Und  leidvoll  auf  mein  Auge  ihre  Siegel. 
Ich  forsdie  nadi,  weshalb  ich  traurig  bin. 
Bis  Sdiwermut  alle  meine  Glieder  lähmt. 
Im  Grase  lieg  idi  dann  und  seufze  tief 
Wie  einer,  der  einsl  Sdiwingen  trug.—  Warum 
Fühl  ich  mich  so  erniedrigt,  da  die  Luft 
Dodi  meinen  Sdiritten  fügsam  ist.  Warum 
Ist  meinem  Fufe  verha&t  der  grüne  Rasen? 
O  selige  Göttin!  Zeige  Unbekanntes: 
Gibt's  keinen  andern  Ort  als  diese  Insel? 
Was  sind  die  Sterne?  Und  da  ist  die  Sonne, 
Die  Sonnet  Und  des  Monds  geduldiger  Glanz! 
Und  Tausende  von  Sternen!  Zeig  den  Weg 
Zu  irgend  einem  einzig  schönen  Stern, 
Und  mit  der  Leier  will  idi  in  ihn  flüchten, 
Da|  seine  Silberpracht  vor  Wonne  bebe. 
Idi  hörte  wolkigen  Donner.  Wo  ist  Macht? 


153 


Wes  Hand,  wes  Art,  o  welche  Göltlichkeit 
Schafft  diesen  Aufruhr  in  den  Etementen, 
Indes  ich  tattos  hier  an  Ufern  lausche. 
Unwissend,  furchtlos,  dennoch  schmerzbewegt? 
Einsame  Göttin,  sprich,  bei  deiner  fiarfe, 
Die  jeden  Morgen,  jeden  Abend  klagt, 
Weshalb  durchirr  ich  fassungslos  die  Haine? 
Stumm  bleibst  du—  stumml  Doch  kann  aus  deinem  Blick, 
So  stumm  er  ist,  seltsame  Lehr  ich  lesen. 
Unendlich  Wissen  weckt  in  mir  den  Gott. 
Namen,  Ereignisse,  Legenden,  Taten, 
Rebellen,  Herrscher,  Götterstimmen,  Kampf, 
Erweckung  und  Zerstörung,  alles  dies 
Stürzt  in  die  weiten  Höhlen  meines  Hirns, 
Macht  einen  Gott  aus  mir,  als  hält'  ich  Wein, 
Hält'  Trank  getrunken,  der  unsterblich  macht." 
So  sprach  der  Gott,  und  seine  Augen  strahlten 
Ihr  zitternd  Licht  auf  Mnemosyne  hin. 
Bald  falte  ihn  ein  Beben,  und  Erröten 
Durchglühte  seinen  himmlisch  schönen  Leib. 
Es  schien  wie  Kampf  am  schweren  Tor  des  Todes, 
Nein,  mehr  noch,  als  ob  einer  Abschied  nehme 
Von  ewigem  Tod  und  mit  lebendigem  Schmerz- 
So  heil,  wie  Todesschmerzen  eisig  sind— 
In  wildem  Krampf  ins  Leben  sterbe.  So 
Durchbebte  jung  Apollo  heile  Qual. 
Sein  Haar,  die  so  berühmten  goldnen  Locken, 
Umwogten  seinen  ungestümen  Hals. 
Und  über  seinen  Kampf  hielt  Mnemosyne 
Die  Arme  aufgered<t  wie  Seherin. 
Da  schrie  Apollo  auf—  und  seht,  von  seinen 
Himmlischen  Gliedern 

(Fragment.) 


154 


ALS  NEUNTES  5UCH  DER  ERNST  LUDWIG  PRESSE 

ZU  DARMSTADT  IM  JAHRE  1910  GEDRUCKT.  AUSSER 

DER  GEWÖHNLICHEN  AUSGABE  WURDEN  FÜNFZIG 

EXEMPLARE  AUF  JAPAN  ABGEZOGEN 


INHALT 

„Idi  sah  von  Hügelhöh  ..." 5 

Ode  an  eine  Nachligal 13 

Ode  auf  eine  griediische  Urne 16 

Ode  an  Psydie 16 

Ode  auf  die  Melancholie 21 

Ode  auf  die  Indolenz 22 

An  die  Herbslzeil 24 

An  die  Hoffnung 25 

Auf  die  Phanlasie 27 

Sdhlaf  und  Poesie 30 

Isabella  oder  der  Basilikumlopf 43 

Sankl  Agnes  Abend 59 

Calidor.  (Ein  Fragmenl) 71 

Sonelte: 

Dedikalion  an  Leigh  Hunl 76 

An  meinen  Bruder  Georg 77 

An- 7Ö 

„Wie  viele  Sänger  ..." 79 

An  G.A.W 80 

„Einsamkeil  ..." öl 

„Die  lehlen  Bläller  ..." 82 

Grashüpfer  und  Heimdien 83 

„Glücklich  isl  England  ..." 84 

„Wie  lieb  ich  das  .  .  ." 85 

„Die  Glod<en  läulen  ..." 86 

„Nach  langer  Zeil  ..." 87 

Auf  ein  Bild  des  Leander 88 

Auf  das  Meer 89 

„Wenn  Furchf  mich  fa&l  .  .  ." 90 

An  eine  Dame 91 

„Ich  lächle  heul  ..." 92 

An  den  Schlaf 93 


An  Fanny 94 

Des  Dichlers  lefetes  Sonetl 95 

La  belle  dame  sans  merci 96 

Auf  den  Tod 98 

Zeilen  an  Fanny 99 

An- 101 

Das  Milchmäddien 102 

Stanzen  an  Mi|  Wylie 103 

Lamia 104 

Hyperion.  (Ein  Fragment) 12ö 


PR  Keats,   John 

4833  Gedichte 

G4E8 


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