Skip to main content

Full text of "Geheime Geschichten und räthselhafte Menschen Sammlung verborgener oder vergessener Merkwürdigkeiten"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 

















600020877 V 


* 








Geheime Gelchichten 


und 


Näthſelhafte Menſchen. 


Geheime Geſchichten 


und 


Nätbielbafte Menſchen. 


— — — — —— 


Sammlung 


verborgener oder vergeſſener Merkwürdigkeiten. 


Herausgegeben 


von 


Sriedrich Bülau. 


— e — 


Erſter Band. 


ö— — — — —— 
Leipzig: 
F. A. Brockhaus. 
1850. 


223 Hu. Y5. 


Geheime Geſchichten 


und 


NRäthſelhafte Menſchen. 


Sammlung 


verborgener oder vergeſſener Merkwärdigkeiten. 


— — — 


Herausgegeben 


von 


Friedrich Bülan. 


— — — 


Erſter Band. 


— — — — — 
Leipzig: 
F. U. Brockhaus. 
1850. 


E2ES HM. gyS. 





Vorwort. 


— — — — 


» oft ich zeither im Felde der Geſchichte auf— 
ten bin, geſchah es faſt durchgängig in Ent. 
lung von Hauptbegebenheiten und der großen 
‚meinen Züge gefchichtlicher Zuftände, in denen 
die Geſetze des Staatslebens und der Stan- 
yelt offenbaren. Ich habe aber jederzeit ein 
aftes Intereſſe für jene Einzelheiten gefühlt, an 
m ſich das eigentliche Sein und Leben der 
iſchen und Zeiten oft fo treffend darlegt. All⸗ 
ein ferner ift das Intereſſe, was man für 
felvolle, oder gebeimnißreiche Borgänge, für 
felhafte, oder für merkwürdige und doch wenig 
ante Perfönlichkeiten empfindet. Seit Jahren 
: ih mir, bei Gelegenheit vielfacher anderer 


VI Vorwort. 


Arbeiten, Vieles geſammelt und notirt, und fuͤr 
ein Werk, wie das mit vorliegendem Bande be— 
gonnene, vorbereitet. Schätzbare Verbindungen und 
günſtige Fügungen haben mir mancherlei Verbor— 
genes in die Hände geführt. Auch an ſich bekannte, 
aber doch ihrer Ratur nach urſprünglich mit Ge— 
heimniſſen umringte, jedenfalls anfangs nur wenig 
Perſonen in allen näheren Umſtänden vertraute 
Begebenheiten ſind ſehr oft, unter den Händen 
von Memoirenſchreibern u. dergl., in ſehr abweis 
hender, incorreeter Weife berichtet worden, und 
eine Revifion, welche herausftellt, was darüber noch 
für das Beglaubigtfte gelten kann, wird nicht ohne 
allen Nugen fein, Im jept vergeffenen Sournalen, 
Sammelwerken, Biographien, welche jetzt nur noch 
der Quellenforfcher von Zeit zu Zeit Durchmuftert, 
findet fi) Manches, was feiner Zeit vielleicht große 
Aufmerkfamkeit erregte und auch jegt noch diefelbe 
zu erweden geeignet ift, was aber, ohne derartige 
Auffrifhung, dem jegigen Publicum gänzlich ver- 
loren fein würde. Mancher feiner Zeit fehr be- 
deutende. Mann, ein echter Nepräfentant feiner 


——- 


Vorwort. vo 


Tage, ift dem großen Publicum der Jeptzeit wenig, 
oder gar nicht bekannt. Biele Heine Züge, die 
der Gefchichtfchreiber meift übergeht, find doc fehr 
tauglih, das Sittengemälde verflofiener Zeiten 
recht lebensvoll aufzuhellen. Auch hoffe ich, wie 
ih fhon das Gluͤck hatte, in vorliegendem Bande 
einige wichtige Beiträge zur Gefchichte vorlegen zu 
koͤnnen, die zeither in Portefeuilles ftaatsmänni- 
iher Veteranen verborgen waren, und Aehnliches 
auch für die Kortfegung fchon bereit liegt, noch 
manchen Schap von Solden herworzuloden, die 
dergleichen bereitwillig fpenden werden, wenn fie 
discreten und forgfamen Gebrauchs gewiß find. 
Unter Zufiherung Solches wird andurch zu freund- 
lihen Mittheilungen noch ausdrüdlich eingeladen. 

Billige Lefer werden nicht verlangen, daß jedes 
Stüd der Sammlung allen auf dem Titel bezeich- 
neten Prädicaten gleichmäßig entfpreche. Wenn 
fie nur alle dem einen Prädicate entfprechen, daß 
fie Merkwürdigkeiten‘ find, und zwar nicht allzu 
befaunte. Unter „geheimen Gefchichten‘ verftehe 
ich nicht blos Solche, die es jest noch find, fon- 


VIII Vorwort. 


dern auch Solche, die es urſprunglich waren, und 
an denen noch jest nicht alles klar und ficher 
herausgeftellt ift. 

Die beiden erften Denkichriften, über ruſſiſche 
Nevolutionen, verdanke ich Einer verehrten Hand. 
Die erfte war aber fichtbar ungenügend, und ich 
habe fie nach anderen Quellen ergänzt. Dagegen 
irre ih wol nicht, wenn ich in dem Memoire 
über den Tod Kaifer Pauls ein höchft werthvolles 
gefchichtliches Actenftüc erkenne, was diejen merk⸗ 
würdigen Vorgang fo ſehr aufs Reine bringt, als 
es möglich fein mag. Die Auffätze über die Or- 
fini, Alberoni und Ripperda fchöpfen nicht aus 
verborgenen Quellen, dürften aber doch als aus 
den beften Quellen mit Sorgfalt bearbeitet erfannt 
werden. Auch der fünfte Auffag wird Manchen 
Neues bringen, zumal noc eine vor zwei Jahren 
erichienene Monographie über jene Zeit den Ritter 
d'Eon für ein Weib hielt. Die Auffchlüffe über 
den Obrift Agdolo find ganz neu, oder es ift doch 
der Inhalt derfelben erit am Schluffe des vorigen 

Jahres in meiner Fortfegung von Gretſchel's fäch- 


Borwort. X 


fiſcher Geſchichte zuerft veröffentlicht worden. Die 
Scenen aus den fächfifchen Bauernunruhen find 
aus einem Werke entlehnt, welches die fächtifchen 
Gefchichtfchreiber wol citirt, aber doch gerade die 
mir befonderd bezeichnend erfcheinenden Züge nicht 
benupt haben, und was, außer Gefchichtfchreibern, 
Riemand mehr lieit. Das Leben v. Nüßlers ift 
aus einer einft viel gelefenen, jept vergefienen, 
ſehr weitfchichtigen Schrift ertrahirt, und fcheint 
mir denn doc, manchen fchähbaren Beitrag zur 
Gefchichte der Zuſtände jener Zeit zu enthalten. 
Was von Kauderbadh gejagt wird, flammt aus 
einer naheliegenden Quelle, und doch war es felbit 
dem gelehrten Ebert entgangen. Die Aufläbe. 
X— XIX und XXII ftehen in einem inneren Zu- 
ſammenhange, der in der Einleitung zu No. X 
dargelegt iſt. Ein Theil der Auffüge sub XII und 
XI, fo wie dad Meifte in den Auffägen sub 
XVO und XVII, ift aus den Denkwürdigkeiten des 
Barond von Gleichen überfegt, einer Schrift, 
welhe nur in wenig über 100 Gremplaren abge- 
zogen worden, wovon kaum die Hälfte in den 


X Borwort. 


Buchhandel gekommen if. Bei XXI bin ich de 
Rheiniſchen Antiquarius gefolgt, einer zu wen 
gefannten Zundgrube folher Dinge. Durch zah 
reihe Anmerkungen habe ich überall das Nähe 
feftzuftellen gefucht, und auch darin, wie ich hofl 
manches Intereffante niedergelegt. Für den zwe 
ten Band iſt das Material fchon beifammen ur 
wird dem Inhalte des Erſten an Intereffe miı 
deſtens nicht nachitehen. 

Schließlich bitte ich, Die Nachträge, fowie d 
Berbefferungen am Ende dieſes Bandes nicht ; 
überfehen. | 


Leipzig, 11. März 1850. 


Aricdrich Jülan. 


Inhalt. 
Seite 
Die ruffifge Thronrevolution von 1762. .......... 1 
Die ruffifde Thronrevolution von 1801........... 58 
Die Prinzeffin Orfini ......................... 95 


Die Gellamareverfhwörungz; Alberoni und Ripperda. 132 
Die geheime Diplomatie Ludwig’ XV. und der Ritter 


d'Eon.................................. 177 
Der Obriſt Agdolo.................... ....... 196 
Scenen aus den ſächfiſchen Bauernunruhen im Jahre 

1790 .................................. 218 


Karl Gottlob v. Rüßler. Ein Beitrag zur Sittenge⸗ 
ſchichte des deutſchen Hofe und Beamtenweſens. 238 


Kauderbach. Ein Pendant dazu................. Wo 
Der Aberglaube des achtzehnten Jahrhunderts; die 
Gräfin Coſel ............................ 201 
Caglioſtro................................... 310 
Duchanteau und Clavidres ...................... 331 
Der Graf von St. Germain ................... 340 
Drei Herren von Hund und Altın-Grotfau ....... 350 
Johann Georg Schrepfer....................... 369 
Jakob Hermann Oberreit ..................... 383 
Madame de la Groix.......................... 393 
Gondamine und die Convulfionäͤre................ 402 
Gazotte ........ ............................. 411 
Graf Bonneval, ein Repraͤſentant der Frivolität des 
achtzehnten Jahrhunderts ..... ............. 422 
Lord Lovat .................................. 338 


Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe ....... ..... 449 


Xu Inhalt. 


Miscellen. 


1. Nitfhe und Rusca ............................... 
2. Keßler und Mylius .............................. 
3. Heinrich Gottlob v. Debſchütz. ...................... 
4. Abenteurerleben .................................. 
5. Kriegeriſche Zeiten................................ 
6. Ehriſtoph Springer ............................... 
7. Prieſter⸗ und Weiberliſt........................... 
8. Ein engliſcher Schiffscapitän ........... ............. 
Nachträge .......... ................................ 





I. Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 


Die Entthronung des Kaiferd Peter II. ift ziemlich 
oft und ausführlich behandelt worden, wobei jedoch von 
fehr entgegengefeßten Gefichtspunften ausgegangen wurde 
und auch im Einzelnen in den verfichiedenen Berichten 
sahfreiche Abweichungen bemerkbar werden. Bei der 
folgenden Darftelung wird ein zeither ungedrudter Auf: 
fa zum Grunde gelegt, worin ein Gefandter, der von 
1765 — 1768, alſo fehr bald nach der Kataſtrophe, am 
petersburger Hofe refidirte und ein genauer Freund Des 
Grafen Panin war, die Notizen zufammengeftellt bat, 
die ihm über jene Thronrevolution wol hauptſächlich 
aus Diefer Duelle zugefommen waren. Wir werden 
eine kurze gefchichtliche Einleitung vorausfchiden und 
dad Memoire felbft mit den, durch die anderweiten Be: 
richte an die Hand gegebenen Anmerkungen begleiten. 
Herzog Karl: Friedrich) von Holftein- Gottorp reifte 
1721 nah Rußland, um in feinen Beziehungen zu 
Dänemark und Schweden den Schuß Peter’ I. zu er- 
wirfen. Er wurde ziemlich günftig aufgenommen, wußte 
fich in die oft fehr beichwerlichen Kaunen und Wunder- 
lichfeiten des großen Zaren ganz gut zu fehiden, und 
wenn auch Diefer nicht eben Zeit oder Luſt hatte, ſich 
in die holfteinifchen Angelegenheiten einzulaflen, fo that 
I. 1 


2 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


fi) doch dem bei Kaifer und Kaiferin perfönlich belich- 
ten Herzog eine andere Hoffnung auf, deren Verwirk—⸗ 
fihung auch feinem Hauptziele förderlich fein mußte. 
Peter der Große hatte von Katharinen zwei reizende 
Töchter: Anna und Elifabeth, und der Herzog machte 
ihnen, befonders der Aelteften, auf das Eifrigfte und 
Ausdauerndfte die Cour. Seine Bewerbungen wurden 
von Anfang an nicht ungünftig aufgenommen, wenn er 
auch vier Iahre lang dem Faiferlihen Hoflager auf 
defien Zügen folgen und viele Befchwerden, Langeweile 
und — Kopfichmerzen ertragen mußte‘), bevor es 
(1724) zur Verlobung mit der Großfürftin Anna kan. 

Nach dem Tode Peter's J. (28. Januar 1725) feßte 
ſich bekanntlich eine Frau von dunkler Herkunft, ſeine 
Witwe, als Katharina J. auf den Thron der Zaren. 
Sie war dem Herzog, deſſen Intereſſe ihr ihr Gemahl 
noch auf ſeinem letzten Krankenlager empfohlen haben 
ſoll, perſönlich gewogen; er und ſein Baſſewitz hatten 
auch um ihre Thronbeſteigung Verdienſte, und wenn ſie 
ihm auch nicht das Herzogthum Liefland überließ, wozu 
ihm Hoffnung gemacht war, fo ließ fie Doch 1725 die 
Vermählung vollziehen, gab der Großfürſtin einen gro: 


— —— — — — — — ne 


1) Einen großen Theil dieſer beſchwerlichen Brautfahrt beſchreibt 
Tag für Tag bis ind Einzelne ein Tagebuch eines Hofcavaliers des 
Herzogs, Zriedrid Wilhelm's von Bergholz, weldes in den legten 
Bänden von Büſching's Magazin abgedrudt ift und durch zahlreiche 
Beiträge zur Sittengefhidhte fowel des damaligen Rußlands, als 
des holfteinifchen Hofes für die Mühe der wenig anfpredenden 2ec- 
ture belohnt. Da der Berf. der zu Tübingen 1808— 9 in zwei. 
Bänden erfhienenen Biograpbie Peter's III., des beiten Werks, was 
wir über diefe Begebenheiten befigen, dieſes Tagebuch gelefen hat, 
fo hätte er eigentlih nicht fagen follen, der Herzog babe erft einige 
Sage vor feiner Verlobung erfahren, daß ihm die ältefte Prinzeffin 
zugedadt fei. Uns ift aus dem Tagebuch Plar geworden, daß er ed 
fon Jahre vorher gemußt oder doch gehofft hat. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1162. 3 


Ben Hofflaat, einen Brautihat von 150,000 Ducaten 
und Eoftbaren Iumwelen, fchentte dem jungen Ehepaare 
ein großes ausmeublirted Haus’), wies ihm für Die 
Dauer feined Aufenthalt in Rusland die Einkünfte 
der Infel Defel an, ernannte ihn zum Obriftlieutenant 
der Preobragichendfoy: Garde und zum erften Geheimen 
Rath, empfahl ihn den Furländifchen Ständen zur Fünf: 
tigen Herzogswahl, wirkte in feinem Intereſſe in Schwe: 
den, verfchaffte ihm den Titel Königliche Hoheit, er: 
wirkte in ihrem Vertrage mit Defterreich einen geheimen 
Artikel zu Gunften der Wiedererlangung von Schledwig 
für den Herzog, ja traf ſchon Rüftungen zum Kriege 
gegen Dänemark’). Der Tod der Kaiferin, der am 
17. Mai 1727 erfolgte’), vereitelte die Ausführung. 


1) &5 jtand auf dem Plage des nachherigen Winterpalais, war 
zwar nur von Holz, aber das größte Haus in Petersburg, war 
einige Jahre die Paiferlide Wohnung gewefen und hatte zulegt dem 
Admiral Aprarin gehört, von dem es die Kaiferin kaufte. S. die 
angeführte Biographie Peter’s III., I, 15. 

2) Bid zum Sturze Karl's XII. hatte Schweden vie herzogliche 
Linie von Holftein gegen vie Föniglihe in Däncmarf befhüst und 
eben aus Schwedens Erliegen floffen tie Bedrängniſſe Holſteins. 
Jetzzt trat Rußland an die Stelle Schwerende — und gegenwärtig 
fiehen Rußland und Schweden auf Seiten Dänemarks! 

3) Katharina war nad Einigen die Toter eines lithauiſchen 
Bauers, Samuel, nad Andern die eines ſchwediſchen Quartiermei⸗ 
fterd Johann Rabe und der Eliſabeth Morig, einer Liefländerin, 
und als Martha Rabe 1682 in Germunarer in Schweden geboren, 
1684 aber mit. ihrer Mutter, nad) dem Tode des Baterd, nad 
Liefland zurüdgekehrt, wo fie 1685 noch die Mutter verlor und erft 
vcn einem Küfter, dann von einem Geiftlihen angenommen ward, 
Sie beirathete 1701 einen ſchwediſchen Dragoner und Fam 1702, 
bei der Einnahme von Maricnburg, als Gefangene in die Hände 
tes General Bauer, der fie, als er ihrer müde war, der Fürftin 
Mentſchikow ſchenkte. Hier lernte fie der Kaifer Fennen, mit dem 
fie 1711 heimlich vermählt und 1712 öffentli zu feiner Gemahlin 
erflärt wurde. Bon ihren Geſchwiſtern, oder wol eher von denen 
ihrer Mutter follen die Grafen Skawronski, die Grafen Henrikow 
und die von Jefimowski ftammen. 

1* 


4 Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 


Zunächſt freilich hatte dieſelbe in ihren letztwilligen Ver⸗ 
ordnungen ihr Wohlwollen für das holfteinifche Ehe⸗ 
paar nochmals beurfundet. Sie follten VBormünder des 
jungen Kaiferd Peter II. fein, die Großfürftin Anna, 
wie ihre Schweſter Elifabeth, follten eine Million Rubel 
und die Hälfte aller nicht der Krone gehörigen Ju: 
welen der Mutter, ferner noch 300,000 Rubel zum 
Heirathsgut und 100,000 Rubel zum jährlichen Unter 
halt erhalten, auch dem Herzog dabei das früher Em- 
pfangene nicht angerechnet werden. Zugleich beftätigte 
fie nochmald alle Verträge mit Karl Friedrich. Jedoch 
Fürſt Mentichilow ') verdrängte den Herzog und die 
Großfürftin von der Vormundfchaft und chicanirte fie 
fo, daß fie no im Auguſt 1727, von einer durd) 
Admiral Aprarin geführten Flotte geleitet, Rußland 
verließen. Am 26. Auguft bielten fie ihren feierlichen 
Einzug in Kiel. Zwar fchrieb ihnen ihr Neffe, der Kai 
fer Peter II, fehr bald, daß der „unfelige und vermeflene 
Fürſt Mentſchikow, wegen Mangel an Deferenz gegen 
die Faiferlichen Prinzeffinnen und damit fein unrechtmä- 
Big erworbener Reichthum in den Faiferlichen Schag, 
Daraus er ihn entwendet, wieder zurüdfließen möge‘, für 
feine Perfon feiner Ehrentitel beraubt worden fei (Sept. 
1727). Indeß eine Einladung zur Rückkehr war nicht 
beigefügt, und die Dolgorudys, welche an die Stelle 
des von ihnen geftürzten Mentſchikow getreten waren, 
wünfchten auch eine folche nicht. Zudem war die Groß- 


1) Alexiew Fürſt Mentſchikow, geb. 1670, ein Bauersfohn, Günft- 
ling Peter's des Großen, Staatsminifter und Generalfeldmarfchall, 
Herzog von Ingermanland, ein höchſt talentooller, aber ſchamlos habs 
ger Mann, die Seele dreier Regierungen, bid er, auf dem Puntte, 
isgeroater des Kaiſers zu werden, geftürzt und nad Bereſow ver⸗ 
ward, wo er in tiefer Schwermuth im Rovember 1729 ftarb. 






Die ruſſiſche Thronrevolution von 1162. 5 


fürftin fhwanger und gebar am 21. Februar 1728 einen 
Sohn: Karl Peter Ulrich, dem ed, neben dem bol- 
fteinifchen Herzogshute, beflimmt war, Dereinft unter 
der ruſſiſchen Kaiferfrone zu erliegen, nachdem er vorber 
die ſchwediſche Königskrone ausgefchlagen. Ueble Vor: 
zeichen knüpften fih ſchon an feine Wiege Bei den 
Feſten zur Keier feiner Taufe (29. Februar) flog ein 
Pulverkaften in die Luft. Schlimmer, daß fich feine 
Mutter bei denfelben Feftlichkeiten erfältete und 10 Zage 
darauf ſtarb. Sie war eine ungemein fchöne, fanfte, 
gebildete, etwas zur Schwermuth geneigte Zrau. Ihre 
Leiche wurde nach Peteröburg geihidt und in der Fe⸗ 
ſtungskirche beigefebt. 

Der junge Prinz Peter blieb bis 1735 in den Han- 
den der Zrauen, die ihm etwas Franzöſiſch beibrachten. 
Dann wurde er den Herren von Adlerfeld, von Wolf 
und von Brömfen übergeben, und der Recor Fuhl 
in Kiel gab ihm in fehr pedantifcher Weile Iateinifchen 
Unterricht.” Da man aber eine leiſe Hoffnung auf Ruß- 
land nicht aufgegeben hatte, fo behielt man in Kiel die 
griechifche Kapelle bei und ließ den Prinzen etwas Ruf- 
ich Iernen, machte ihn auch frühzeitig mit der griedji- 
hen Religion bekannt. Daneben fog er von feinem 
Bater eine Neigung, nicht zur Kriegskunft, fondern zur 
Soldatenfpielerei ein. Der Herzog Karl Friedrich flarb 
1739 und fein Sohn kam unter die Vormundfchaft ei- 
ned Vetters, des Bifchofs von Kübel, Adolph Friedrich, 
welcher fpäter König von Schweden wurde. Er wurde 
nun Den Herren von Brömmer und von Bergholz 
zur Erziehung übergeben, von denen der Xebtere fich 
jehr paſſiv, der Erftere aber mit taftlofer Strenge ver- 
halten zu haben Scheint. Man fchicdte einen Herrn von 
Bredahl nah Rußland, der aber mit folcher Kälte 


6 Die ruffifche Thronrenolntion von 1762, 


empfangen wurde und fo ungünftige Nachrichten mit- 
brachte, daß man die Hoffnung auf Rußland aufgab 
und feine Pläne auf Schweden richtete. Nun mußte 
der Prinz, ſtatt Ruſſiſch, Schwedilch Ternen und ward, 
ftatt in der griechifchen, in der Iutherifchen Kirchenlehre 
unterrichtet. 

In Rußland war auf die Kaiferin Katharina ber 
Enfel Peter’d ded Großen, von feinem unglüdlichen 
Sohne erfter Ehe Aeriew, Peter II. gefolgt. Nah 
deſſen unerwartetem, an den Blattern erfolgtem Zode 
(1730) ging man auf die Nachfommen Iwan’d IL, des 
ältern Bruderd Peter's des Großen, zurüd, wahlte 
aber nicht die ältefle Tochter deflelben, die Herzogin 
von Medlenburg: Schwerin, fondern die Jüngere, Anna, 
verwitwete Herzogin von Kurland, die große Gönnerin 
Biron's). Unter des Lebtern Einfluffe berief die 
Kaiferin Anna ihre Nichte, die Prinzeffin Anne von 
Mecklenburg, vermählte fie (3. Juli 1739) mit dem 
Herzog Anton Ulrich von Braunfchweig - Wolfen- 
büttel, und ernannte den Sprößling diefer Ehe, Iwan 
(geb. 12. Auguft 1740), zu ihrem Nachfolger (5. Deto⸗ 
ber), der auch nach ihrem Tode (17. Dctober 1740) 
den Kaifernamen erhielt, während die Regentfchaft erft 
dur) Biron, dann dur die Herzogin Anne, unter 
Münnich's) Keitung, geführt ward. 


1) Ernſt Johann von Büren, geb. in Kurland 1687 und ſchon 
dort Stullmeifter Anna's, Günftling der SKaiferin, 1737 Herzog 
von Kurland, 1740 vom 28. Dct. bis 19. Nov. Negent von Ruß: 
land, dann aber durch Münnich geftärzt und nad Pelim in Sibirien 
verwiefen, 1741 zurüdberufen und in die mildere Haft nach Jarosd⸗ 
law gefhidt, während Münnid in fein Gefängniß fam, 1762 in 
völlige Freiheit gefegt, 1763 in feinem Herzogthum hergeftellt, refi⸗ 
anirt 1769, + 28. Dec. 1772. 

2) Burkhart Chriftopb Graf von Münnid, geb. zu Reuenbun- 


Die ruſſiſche Tprowrevolution von 1762. 7 


Aber noch lebte Elifabetb, die jüngfte Tochter 
Peter's des Großen, in üppiger, einflußlofer und un⸗ 
zufriedener Einſamkeit. Ihr warb Leflocg ’) eine 
Partei und in der Naht vom 24. zum 25. November 
1741 ward Münnich geflürzt und wurden feine Puppen, 
der junge Kaifer und defien Aeltern, gefangen und in 
Haft und Eril gebracht. Eliſabeth war Kaiferin. Ent- 
Ihloffen, fih nicht zu vermählen, beftimmte fie den 
Sohn ihrer Schwefter, den jungen Herzog Peter von 
Holftein, zu ihrem dereinftigen Nachfolger, und fdyidte, 
furz nach ihrer Thronbefteigung, den Major Nikolaus 
Friedrich von Korf und defien Bruder, den Gefandten 
in Dänemark, nah Kiel, um ihren Entihluß zu erfla- 
ren, den Prinzen zu ſich zu nehmen und bei fich erzie 
ben zu laſſen. Er reifte in der That im größten Ge- 
heimniß, unter dem Namen eined Grafen von Düder 
ab, von dem Hofmarfchall von Brömmer, dem Kam- 
merheren von Bergholz und dem Sammerintendanten 
Cramer begleitet. Im Januar 1742 kamen fie in 
Petersburg an, wo fie außerft feftlich empfangen wur- 





torf im Oldenburgiſchen 1683, in heffifhen, fähfifhen, ſchwediſchen 
und ruffifhen Dienften, zulegt Generalfeldmarfhall und Präſident 
des Neihöcollegiums, 1741 nad Sibirien verwiefen, 1762 zurüd: 
terufen, + 1767. 

1) Zohann Hermann Leſtocq, geb. 1692 zu Celle, Sohn eines 
Barbierd, Chirurg bei Peter I. und ſchon bei dieſem beiichbt, aber 
auch von ihm nah Kaſan verwiefen, von Katharina zurüdberufen 
und der Elifabeth beigegeben, die er fhon bei dem Tode Peter's II. 
auf den Thron fegen wollte, wo fie es ausſchlug, weil fie wol von 
Anna zur Nahfolgerin ernannt zu werben hoffte, 1741 Geheimer 
Rath umd erfter Zeibarzt, Graf, 1748 in Haft und Exil geftürzt, 
1762 zurüdberufen, + 1767. Uebrigens war Leſtocq mehr Werf- 
zeug als Leiter. Schr thätig bei der Sadhe war der franzöfifche 
Geſandte, Marquis de la Chetardie, die eigentlihe Stüge aber war 
die nationalruffifhe Partei und das militairifhe Werfzeug das preo⸗ 
bratzſchenskiſche Gardercgiment. 


8 Die ruſſiſche Zpronrenolntion von 1762. 


den. Die Kaiferin fchenkte ihm ihr Wohlwollen, unge- 
achtet fie weder mit ſeinem phyfiſchen, noch mit feinem 
geiftigen Zuftande zufrieden war und er auch fpäter 
wenig Tleiftete, ihren Erwartungen befler zu genügen. 
Bei feinem erften Auftreten zeigte er fih ald ein äu- 
Berft blaffer Knabe, von krankem Ausfehen und offenbar 
höchft Ichwächlicher Gefundheit. Dazu trug er Die blon⸗ 
den Haare, nach fogenannter fpanifcher Art, lang herun⸗ 
tergefammt und flarf gepudert.. Er begleitete Die 
Kaiferin damals zur Krönung nah Moskau und ward 
bei diefer Gelegenheit zum Obriftlieutenant der Preo⸗ 
bragfchensfoy-Garde und zum Obriften des Leibküraſſier⸗ 
regiments ernannt, deſſen Viceobrifter der Generalfeld- 
marſchall Ladcy ’) war. Nachdem man in Betreff 
feines Unterrichts eine Menge Lehrpläne hatte entwerfen 
lafien, genehmigte man den ded Prof. Stählin ’) 
und übertrug diefem auch felbft die Ausführung. Bei 
der Prüfung fand der neue Lehrer, zur größten Ver⸗ 
wunderung der Kaiferin, den Prinzen in allen Theilen 
der Wiffenfchaften unglaublich unwiſſend. Am beften 
ging es noch im Franzöfifchen. Stahlin fcheint bei fei- 
nem Unterrichte fehr zweckmäßig verfahren zu fein; glän- 
zende Refultate fonnte er, bei mangelndem Sinn des 
Prinzen für ernfte Befchäftigung und Anftrengung, bei 
den fteten abziehenden Zerftreuungen und da der Eifer 
der Kaiferin für die Sache auch bald nachließ, er alfo 
nirgend rechte Unterflügung fand, nicht liefern. Im 


1) Peter Graf von Lascy, geb. zu Limerik 1678, in franzöfis 
ſchen, oͤſterreichiſchen, polnifhen, ruffifgen Dienften, Eroberer von 
Finnland, + 1751 zu Riga. Er war der Bater des berühmten 
Öfterreihifhen Feldherrn. 

2) Er ftammte aus Memmingen, Fam auf Brühl’s Empfehlung 
1735 nad Petersburg und ftarb 1785. Peter bezeigte fidy ſtets 
ſehr danfbar gegen ihn. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 9 


Ruſſiſchen und in der griechiſchen Religion ward der 
Prinz von einem Mönch, Theodorsky, unterrichtet, 
welher 1758 als Erzbiihof von Pleskow geftorben 
if. Den meiften Sinn zeigte Peter noch für Alles, 
was zum Militairwefen gehörte. 

Da gegen Ende ded Jahres 1742 befannt wurde, 
dag man in Schweden die Thronfolge reguliren wolle 
und dabei dad Abfehen auf den Prinzen Peter gerichtet 
habe, fo mußte man jegt mit dem ruffiichen Plane vor: 
treten. Am 18. November trat der junge Herzog zur 
griechifchen Kirche über und hieß nun Peter Zeodoro- 
witſch. Die Fefte dauerten acht Zage, worauf ein Mani- 
feft erichien, was die ruſſiſche Nation anwies, dem nun- 
mehrigen Großfürften und Zhronfolger den Eid der 
Treue zu leiſten. Dennoch boten ihm die Schweden, 
die ihn zwei Tage vor feiner ruffifchen Ernennung zum 
Thronfolger gewählt hatten, ihre Krone noch an, bie 
er aber ausichlug. 

Der mit Sorgfalt fortgefeßte und namentlich auch 
auf die Kenntniß der ruffiihen Staatsfachen ausge⸗ 
dehnte Unterricht begann doch einige Frucht zu zeigen. 
Da unterbrach ihn 1743 eine fehr gefährliche Krankheit 
des Prinzen. Nach feiner Genefung dachte man an 
feine Verheirathung. Man wandte fih zuerft an den 
dresdner Hof, in Betreff der Prinzeffin Maria Anna '), 
flieg aber auf unüberwindliche Religionsſcrupel. Frie⸗ 
drih II, bei dem man in Bezug auf Prinzeffin Ama⸗ 
lia) anklopfte, fand auch den ruffiichen Thron zu un- 


1) Maria Anna Sophia, Tochter des Königd von Polen und 
Kurfürften von Sachſen Friedrich Auguft II., geb. am 20. Aug. 
1738, am 20. Zuni 1747 mit Maximilian Joſeph Kurfürften von 
Baiern vermäblt, am 30. Dec. 1777 Witwe, + 17. Zebr. 1797. 

3) Anna Amalie, jüngfte Tochter des Königs Friedrich Wilhelm I. 

1** 


10 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


ruhig und legte durch ſeine desfallſigen Aeußerungen 
vielleicht den erſten Grund zu dem Haſſe der Kaiſerin, 
der ihm ſpäter ſo theuer zu ſtehen kam. Indeß ging 
ſie doch auf den Vorſchlag ein, den er damals machte, 
und der ihre Aufmerkſamkeit auf die Prinzeſſin Sophie 
Auguſte Friederike von Anhalt-Zerbſt (geb. zu Stet- 
tin 25. April 1729) lenkte. Zudem war dieje Die 
Tochter einer bolfteinifchen Prinzeffin ’) und die Nichte 
jenes Prinzen von Holftein, welcher Elifabeth felbft in 
ihren jungen Iahren zum Gemahl zugedadht war, aber 
furz vor der Vermählung farb. Man ließ fie mit ihrer 
Mutter im Februar 1744 nach Rußland fommen ’); fie 
gefiel, ward in der griechifhen Religion unterwiefen, 
trat am 9. Juli ald Katharina Alexiewna über und 
ward am 10. mit dem Großfürften verlobt. Die Ver: 
mählung ward noch um ein Jahr aufgeichoben, damit 
der Unterricht ded Bräutigams vollendet werden Fünne, 
woraus aber, bei natürlich noch mehr geſchwundener 
Luft dazu und öftern Krankheiten des Großfürften, 
nicht viel wurde. 1745 ward der Großfürft, mittels 
von dem Kurfürften von Sachfen, ald Damaligem Reiche: 
vicar, erlangter venia aetatis, für volljährig erflärt, 
was am 17. Iuni feierlich befannt gemacht wurde. 
Die Statthalterfchaft feiner deutfchen Lande übertrug er 
dem Bruder feiner Schwiegermutter, dem Prinzen Frie⸗ 
drich Auguft von Holſtein, welcher 1750 Biſchof von 


von Preußen, geb. 9. Nov. 1723, blieb unvermählt und ward Aeb⸗ 
tiffin von Quedlinburg. 

1) Johanna Eliſabeth, Tochter Chriſtian Auguft’s, Biſchofs von 
Lübeck, geb. 24. Oct. 1712, verm. mit Fürſt Ghriftian Auguft von 
Anbalt=3erbft 8. Nov. 1727, + zu Paris 30. Mai 1760. 

2) Sie verliefen Zerbft heimlich, da ver Water, ein eifriger 
Lutheraner, durchaus nicht in diefe ruſſiſche Speculation willigen 
wollte, 


Die ruſſiſche Thromrenolution von 1762. 11 


Lüheld wurde. Am 1. September 1745 ward die Ver: 
mäblung des großfürfllihen Paares unter Zeftlichkeiten 
begangen, die erft am 11. ihre Endfchaft erreichten. 
Dem jungen Ehepaar ward ein prachtiger Hofftaat 
eingerichtet, aber meift mit Ruflen beſetzt, während der 
Großfürſt fo unflug war, überall den Holfteinern ficht: 
bar den Vorzug zu geben. Im Anfang vertrugen ſich 
die jungen Eheleute gut und fpielten miteinander wie 
Kinder. Die Großfürftin, eine Frau, welcher Niemand 
große Geiftesfraft abiprechen Tann, mußte mit ihren 
Gemahl Schildwache ſtehen und ererciren. Sie meinte 
fpäter einmal: «il me semble, que j’etais bonne pour 
autre chose.» Vor der Hand verichaffte ihr Diele 
Fügfamkeit einen unumfchranften Einfluß auf ihren Ge⸗ 
mahl, und ed wäre gut für Beide geweſen, wenn diefer 
Einfluß nie geſchwächt worden wäre. Er bedurfte im- 
mer einer Elugen Zeitung und Damald vor Allem, wo 
es den Einflüfterungen des antipreußifchen Großfanzlers 
Beftuchew ') gelungen war, die mit dem zunehmenden 
Alter Tchwächer werdende Kaiferin gegen den Großfür: 
ften und deflen Gemahlin mistrauifch zu machen. Auch 
blieb ein Anlaß nicht aus, wo der Großfanzler dem 
Großfürften eine Kränkung bereiten Fonnte. Dänemark 
bot dem Letztern die Grafſchaften Oldenburg und Del: 
menborft an, wenn er feinen Anfprüchen auf Schleswig 


1) Aleriew Graf Beſtuchew, geb. zu Moskau 1. Juni 1693, in 
Deutſchland erzogen, Sohn eins Mannes, der ſchon am Furlänti- 
fhen Hofe eine große Rolle gefpielt, aber durch Biron geftürzt 
worden war, Furbraunfdhmweigifger Kammerjunfer und (1714) Ge- 
fandter in Peteröburg, 1718 DOberfammerjunfer bei der Herzogin 
von Kurland, 1720 ruffifher Gefandter in Kopenhagen, unter Anna 
Gabinetöminifter, unter Elifabetb Graf und Kanzler, 1758 entfegt 
und auf feine Güter verwiefen, 1762 zurüdberufen, zum Zeltmar: 
ſchall ernannt, aber nit mehr gebraudt, + 1766. 


12 Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 


entfagen wollte. . Beſtuchew rieth zur Annahme dieſes 
Anerbietend, aber der Großfürft, theild Durch eigenen 
Willen, theild durch den Rath feiner Gemahlin ’) und 
feiner holſteiniſchen Umgebungen beftimmt, verlangte 
eine höhere Entfchädigung und darüber zerichlug ſich 
damald die Sache. Die Kaiferin befahl nun Ende 
April 1747, dag der Oberjägermeifter von Bredahl, der 
Kammerhert von Düder, der Kammerintendant Cramer 
und der Hofcommiſſar Schriever Rußland verlaffen ſoll⸗ 
ten. Auch Prinz Auguft von Holftein ward, wenn 
auch in fehr anftändigen Formen, zur Rückkehr veranlaßt. 
Man ließ nur die Holfteiner da, die fih dem Grof- 
fanzler fügfam bezeigten. In Stodholm ward um jene 
Zeit ein englifcher Arzt, Bladwell, verhaftet, und der 
Ichwedifche Gefandte, Graf von Bard, fagte der Kaiſe⸗ 
rin felbft in einer Audienz, daB man in defien Papieren 
Briefe gefunden habe, die den Intereflen des Großfür- 
ften nachtheilig wären. Man behauptete aber vielfach, 
Blackwell ware ein Emifjair des danifchen Hofes und 
Beſtuchew's gewelen’). Auch entdedte der Großfürſt 


Y) Sie vergaß ed dem dänifhhen Hofe nie, daß dieſer feinem Ge⸗ 
fandten empfohlen hatte, fie genau zu beobadten, da: «sous la di- 
rection de sa mere elle promet de devenir la Princesse la plus fausse 
de Europe.» Sie machte diefes Wort zunähft wahr, indem fie 
dem Grafen Rochus Lynar am Abend bevor er erfuhr, daß eine von 
ibm für Dänemark geführte Unterhandlung völlig geſcheitert fei, wos 
von fie die Haupturſache war, zu deren Beendigung Glüd wünſchte 
und binzufegte, daß fie fih glüdlih ſchaͤze, ihm fagen zu koͤnnen, 
daß fie dazu beigetragen habe. 

2) Der Blackwell'ſche Proceß war allerdings ein ſchwediſcher Par⸗ 
teihandel und ift in Feiner Weiſe unparteiifh geführt worden. Alex⸗ 
ander Bladwell war ver Sohn eines fehottifhen Geiftliden gleiches 
Namens, hatte eine fehr gute Erziehung genoffen und ihr ebenfo 
durch gute Anlagen, wie längere Zeit dur großen Fleiß entfproden. 
In feinem ſechzehnten Jahre Fam er auf die Univerfität Edinburgh, 
verließ fie aber nad einiger Zeit heimlih, von jenem magnetifhen 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 13 


im April 1748, daß einer feiner Kammerdiener in Be 
ſtuchew's Solde fand und ihn belauerfe, ja feine Pas 


Zuge nad London getrieben, welden englifhe Schriftjteller fo le⸗ 
bensvoll dargeftellt haben und welder fo mandem begabten jungen 
Manne den Untergang, Cinzelnen einen dornenvollen Ruhm, We⸗ 
nigen ein dauerhaftes Slüd bereitet bat. Nachdem er fein fpärlis 
ches Geld verzehrt, ohne feine Hoffnungen erfüllt gefehen zu haben, 
mußte er frob fein, eine Gorrectorftelle in der Wilkins'ſchen Dru⸗ 
derei zu erhalten. Hier Tnüpfte er literarifhe Bekanntſchaften an 
und bier gelang es ihm aud, dad Herz und die Hand eines tugend⸗ 
haften und wohlhabenden Mädchens zu gewinnen. Kaum aber fah 
er ih in Beſitz von anfehnlihen Gelvmitteln, als fein unruhbiger 
Seift wieder erwachte. Er bradte drei Jahre auf zwedlofen Reifen 
in Frankreich, Holland und Deutfhland zu. Dann ging er nad 
London zurüd und erridtete eine Buchdruckerei. Da aber traten die 
Iondoner Buchdrucker gegen ihn auf und fragten nad feinen Lehr⸗ 
jahren. Er gewann den Proceß in erſter Inftanz, verlor ihn aber 
in zweiter, gerieth in Schulden, machte endlih (1734) Bankerott 
und Fam ind Schuldgefängniß. Hier rettete ihn die Treue und Ges 
(diklihFeit feiner Gattin. Sie war fehr fertig im Zeichnen und 
Malen, fiel darauf, Pflanzen nad der Natur zu malen, zeigte die 
Proben dem berühmten John Sioane, dem Dr. Mead und dem deut⸗ 
(hen Arzte Dr. Andres, erbielt isren Beifall, ward durch den Aufs 
feher des Lateinifhen Gartens, Mr. Raad, unterftüpt, und gab nun, 
ipäter unter Beihilfe ihres Gatten, ein großes, von ihr felbft ge⸗ 
zeihnetes, geſtochenes und illuminirtes Kräuterwerk (Curious herbal, 
London 1727—1739, 2 Bde., Zol.) heraus, was auch nad Deutſch⸗ 
land übergetragen worden ift (von Eifenberger, lateiniſch und deutſch, 
als Herbarium Blackwellianum, Nürnberg 1750—1773, 6 Bde., 
Zol.) und womit fie fo viel Geld verdiente, daß fie ihren Mann aus 
dem Gefängniß befreien konnte. Lesterer beſchäftigte fih nun haupts 
fählih mit Naturwiſſenſchaften, fhrieb ein Werk über Anbau un⸗ 
frudtbarer Felder (Lonnon 1741) und ward Oberaufſeher der Güter 
des Marquis von Chandos. Ein Exemplar jener Schrift fiel dem 
ſchwediſchen Gefandten in die Hände, der ed nah Stodholm fandte 
und den Auftrag erhielt, den Berfaffer für Schweden zu gewinnen. 
Bladwel nahm den Antrag an und ward fehr günftig aufgenommen. 
Zufälig ward der König gefährlich Frank, ließ fich bereden, fih von 
ibm behandeln zu laffen, und genad. Nun ward Bladwell königli⸗ 
her LZeibarzt und wollte eben Frau und Kind nachkommen laffen, 
als er am 21. März 1747 verbaftet und in einen großen Staats- 
proceß verwidelt ward, in welchen aud der Kaufmann Springer 
und der Zabrifant Hedmann verflodhten waren. Er follte ein Werf- 
zeug der in Schweren bei allen Parteien graffirenden Beftehung im 


14 Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 


piere wegftehlen mußte. Im Uebrigen ward die Kaife: 
rin nie fo weit gebracht, den Thronfolger ganz fallen 
zu laffen. Mit ihrem eigentlichen Liebling, dem fie aber, 
um feiner Gefundheit willen, keinen Einfluß auf die 
Geſchäfte geftattete, dem Grafen Raſumowski, fand 
fich, Deter gut. In dem Landhaufe des Bruders des Letz⸗ 
tern zu Softifig wären der Großfürft und feine Gemah- 
fin am 6. Suni 1748 beinahe ums Leben gefommen. 
Das Haus, worin fie fchliefen, ftürzte ein, kurz nad: 
dem fie ed, durch eine Schildwache gewarnt, verlaflen 
hatten. Am 19. Nov. 1749 wurde Peter feierlich in 
den Senat eingeführt. Aber die veränderte Stimmung 
der Kaiferin gab fih doch in dem mistrauifchen Kund- 
fchafterfnftem, mit dem fie ihren Neffen und ihre Nichte 
umgab, und in ihren öftern Einmifchungen und Bevor- 
mundungen fund. 

Leider fand fich zu letztern mehr und mehr verfchul- 
Deter Anlaß. Peter ward mürriſch und verftimmt und 
ließ feinen Unmuth an feiner Gemahlin aus, die er mit 
fihtbarer Kälte behandelte, ihr zunahft zum Vorwurf 
machend, daß fie ihm noch Feinen Erben gebracht habe. 
Katharina möchte eine treffliche Gattin geworden fein, 
wenn fie einen Gemahl erhielt, der ihre Liebe und Ach— 
fung zu gewinnen wußte. Sie möchte eine pflichtgetreue 
rau geblieben fein, wenn ihr Gatte ihr Feinen Anlaß 
zur Beichwerde bot, fie wenigftens nicht auf empfind- 


SIntereffe ausmwärtiger Mächte geweſen fein und fiel allerdings als 
dad Opfer einer Verderbniß, bei welder auf feiner Seite leicht dic 
geringfte Schuld gelegen haben dürfte, die größte auf Derer, 
die fih wider die Intereffen ihres Baterlands beftehen lichen, und 
denen nichts geihah. Er ward im Auguft 1747 hingerichtet. Es wurde 
damals behauptet, die franzöfifhe Partei babe ihn erſt zu unvor- 
ſichtigen Schritten verführt und dann felbft angeklagt und für ein 
Werkzeug des englifhen Minifteriumd ausgegeben. 


u \ 


_ De ruififge Throxrevolution von 1162. 15 


liche Weiſe kränkte. Den Gebrechen und Schwachheiten 
ſeines Geiſtes und Charakters und den umgebenden Ver⸗ 
hältniſſen war es zuzuſchreiben, wenn ſich bald ein är⸗ 
gerlicher Zwiſt unter dem jungen Paare entſpann, wenn 
ihr bis dahin unbekannte Leidenſchaften allmalig in ihr 
erwachten, wenn fie zule&t die gefährlichfte Feindin ihres 
Gemahls und in all den fchlimmen Künften Meifterin 
ward, Deren ed in dem damaligen Rußland beburfte, ſich 
zur Gewalt zu helfen und darin zu halten. Bei einer im 
Sabre 1750 erneuerten dänifch -holfteinifchen Unterhand⸗ 
lung, der der geldbedürftige Großfürft nicht abgeneigt 
war, genügte ein Zuratben von ihrer Seite, um ihn 
von der Sache abzubringen. Sein Soldatenfpielen und 
feine Bauten in dem, einft dem Fürften Mentſchikow 
zugehörigen Drantenbaum fofteten ihm große Summen 
und er war ſtets in Schulden. Zuweilen flieg feine 
Finanznoth auf Das Aeußerſte, und er bat in feiner 
Bedrangniß von Höfen Geld angenommen, gegen deren 
Interefien er fo vorher ald nachher handelte. _ So von 
Deſterreich und Sachen. Sein Verfahren in der dani- 
[hen Angelegenheit war der Kaiferin und Beſtuchew 
fehr unangenehm. Bei dem ode ded Königs von 
Schweden (1751) ſprach er offen feinen Unmuth dar« 
über aus, Daß er dur Rußland um die Regierung 
eined gefitteten Volkes gebracht worden feis Aeußerun- 
gen, die natürlich den Nationalflolz, den die Ruſſen in 
fehr hohem Grade befiten, bitter verlegten, Bei einem 
bolfteinifchen Offizier, den man in Kronftadt verhaftete, 
fand man Briefe der Großfürftin mit bittern Klagen 
über ihre und ihres Gemahls Lage. Bei einer Art 
Soldatenaufftand, der im September 1751 zu Dranien- 
baum flattfand und Peter's Namen misbraudyte, benahm 
er fich zwar fehr Hug und compromittirte ſich nicht im 


16 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


geringften. Ja, fein Damaliged Benehmen gab nur nod) 
um fo beffere Bürgfchaft, wenn man es nicht aus fei- 
ner Klugheit, deren er nicht viel befaß, fondern aus 
feiner Rechtſchaffenheit ableitete, die ihm nicht abzu⸗ 
fprechen ift. Dennoch verftärfte der Vorgang das Mis- 
trauen der Kaiſerin. 

Segen Ende des Jahres 1753 erfolgte auf Veran- 
laflung der Kaiferin eine für den Großfürften fehr ge- 
fahrdrohende Ausfühnung zwifchen der Großfürftin und 
dem Großkanzler. In diefelbe Zeit feßt die Scandalchronit 
ihre angeblich anfangs vom Hofe begünftigte Freund⸗ 
Ihaft zu dem Grafen Sergius Soltifow, welcher jedoch 
bald darauf ald Gefandter nah Stodholm gefchickt 
ward und in Schweden geftorben iſt. Das Ereigniß, 
wovon die Sroßfürftin am meiften eine Beflerung ihrer 
Lage, ihrem Gemahl und dem Hofe gegenüber, erwar⸗ 
ten mochte, daß fie am 1. October 1754 in Petersburg 
einen Thronfolger, den nachherigen Kaiſer Paul, gebar, 
der feinem Vater fowol in feinem Yaunifchen Starr 
finn, als in feinen Schickſalen fo ähnlich ward, hatte 
nicht die erwarteten Wirkungen, und die Stimmung ber 
im ihren Anſprüchen fo vielfach getäufchten Großfürftin 
ward immer mehr verbittert. 

Die Gatten trennten ſich auch Außerlich immer mehr. 
Der Großfürft beichäftigte ſich mit Soldatenfpiel, mit 
dem Bau einer kleinen Feſtung in Dranienbaum, welche 
auch nur ein Spiel war, und mit Zrinfgelagen in Ge 
ſellſchaft Holfteinifcher Offiziere. Das Trinken jedoch, was 
ihm bei feiner Dffenherzigkeit auch politifch nachtheilig 
war, gewöhnte er fich fpäter wieder ab. 1755 begann 
fein Briefwechfel mit Friedrich II., für den er eine be 
geifterte Verehrung empfand, die ihm Ehre macht, aber 
auch mit zu feinem Unglüd beigetragen hat. Friedrich 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 17 


gab ihm übrigens gute Rathſchläge und Peter befolgte 
fie — freilich nur fo gut er konnte und auch das nicht 
immer. Die Großfürftin hatte ſich inzwifchen in Dra- 
nienbaum ein Heined Palais mit Garten angelegt und 
eingerichtet, wo fie ihren eigenen Neigungen nachhing. 
Einen willkommenen Gefellfchafter in diefer Einfamteit 
erhielt fie zuerft 1755 in dem Grafen Stanislaus Auguft 
Poniatowsky (geb. 17. Ian. 1732), den fie für feine 
frühe Freundfchaft ſpäter mit der polnifchen Königs: 
frone belohnen konnte, und der ihr von dem englifchen 
Sefandten Sir Charles Hanbury Williams empfohlen 
worden, in deflen Gefolge er nach Petersburg gefommen 
war. Poniatowsky fland übrigens längere Zeit auch bei 
dem Großfürften fehr gut. Als er nah Warfchau ger 
(hit ward, brachten der Großfürft und die Großfür⸗ 
ftin Beſtuchew dahin, daß er den Dresdener Hof be 
flimmte, den jungen Polen zu feinem Gefandten in Pe⸗ 
teröburg zu ernennen. Aber. auch Peter batte eine 
Freundin, die fanfte und anſpruchsloſe Elifabetb Gräfin 
Moronzow, Tochter des Geheimenraths Grafen Roman 
Woronzow, Nichte des Vicekanzlers Grafen Michael 
Woronzow, Schwefter der in fpäterer Zeit fo ausgezeich- 
neten Grafen Alerander und Simon Woronzow, der 
fhönen Gräfin Butturlin und jener fühnen Fürſtin 
Daſchkow, die Katharinen ihre ganze Familie nachfehte. 
Die Geburt der Großfürſtin Anna im December 1757 
änderte in dieſen Verhältniſſen nichts. 

Der Krieg gegen Preußen. fonnte, wie den Wün- 
hen, fo den Verhältniflen des Großfürften nur ungün- 
fig fein, da man wol wußte, wie vollfommen er mit 
feinem bewunderten Friedrich ſympathiſirte. Faſt wäre 
er in Verdacht gekommen, durch geheime Befehle den 
Rückzug des Grafen Aprarin nad der Schlacht bei 


18 Die ruffiihe Thronrevolution von 1762. 


Großjägerndorf (30. Aug. 1757) veranlaßt zu haben, 
über den er fich fichtlich erfreute In Wahrheit aber 
rührte dieſer Rückzug von feinen Zeinden her und floß 
aus ihm feindlicher Abficht. Beſtuchew, der Feldmar⸗ 
{hal Aprarin und der Generalmajor von Weymarn bat- 
ten den Plan gefaßt, Peter durch die Kaiferin von der 
Thronfolge ausschließen und diefelbe auf den Großfürften 
Paul, unter Vormundichaft feiner Mutter, übertragen 
zu laſſen. Gerade um jene Zeit wurde nun die Kaiferin 
gefährlich Frank, und Beſtuchew veranlaßte Aprarin, fein 
Heer nad) Rußland zurücdzuführen, um ed im Falle 
ihred Todes zur Hand zu haben. Ein Untergebener des 
Kanzlerd, Wolkow, errieth den Plan und theilte ihn 
dem Vicefanzler Grafen Michael Woronzow mit, durd) 
den ihn der Großfürft erfuhr. Letzterer entdedte der 
wieder genefenen Kaiferin Die Sache und Beſtuchew flürzte 
(25. Februar 1758) '). Aprarin entging durd) den Zod 
(31. Auguft 1758) feiner. Strafe. Weymarn ward ver- 
abfchiedet, ift aber unter Katharina wieder gebraucht 
worden, namentlich wol auch gegen den unglücklichen 
Iwan IL. Die Großfürftin, deren Mitwiffen wahr: 
ſcheinlich, wenn auch nicht erwiefenift, gegen die fich 
aber Peter mit Großmuth benahm, kam mit einem zwei: 
monatlichen Verbote ded Hofes davon. Er bat felbft 
um Verzeihung für fie bei der Kaiferin, und im April 
1758 ward eine fruchtlofe Verfühnungsfcene gefeiert, die 
zunächſt Durch Die bevorftehende Ankunft des Prinzen 
Karl von Sachlen ?) veranlaßt wurde, deren Wirkung 


1) Auch die franzöfifche Geſandtſchaft hatte mit an feinem Sturze 
gearbeitet, wie gleichzeitig die franzöfifhe Partei in Schweden den 
Blackwell unterminirt zu haben ſcheint. 

2) Peter und Katharina haben es dieſen Prinzen fpäter empfin⸗ 
den laffen, daß er fi in diefen Wirren zu der Kaiferin hielt, daß 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 19 


aber nicht einmal fo lange aushielt. Die Kaiferin bes 
trieb die Zurückberufung Poniatowsky's und zwei mal 
fuchte die Großfürftin, indem fie die Verwendung ihres 
Gemahls, ferbft Durch deſſen Geliebte, in Anfpruch nahm, 
das ſchon Beichloffene wieder rückgängig zu machen. 
Allein Furz nach der Abreife des Prinzen Karl ward 
Poniatowsky im Garten der Großfürftin verkleidet be 
troffen und verhaftet). Er mußte nun am 15. Auguft 
Rußland verlafien. Die Großfürſtin follte in ein Klo: 
ſter geichict werden, aber auch Died mal wußte fie ihren 
Gemahl durch feine geliebte Woronzow zu verjühnen, 
und er ging noch an demielben Abende vor die verrie- 
gelte Thüre ihres Schlafzimmers, ihr Vergebung zuzu« 
fagen. Sie machte auf, warf fih ihm zu Füßen und 
verficherte innigfle Dankbarkeit und Neue. Mit Mühe 
drang er Died mal bei der Katferin durch und fie fagte 
warnend: „Du und Elifabeth Romanowna MWoronzow 
werden ed bereuen, denn ich kenne Katharinen.‘ 
Deter’d Lage aber ward durch dad alles in feiner 
Weile gebeflrt. Die Gatten konnten Fein Vertrauen 
wieder zueinander faflen. Seine Zinanznoth bedrängte 
ihn auf das Peinlichfte, ſodaß er felbft alte Anfprüche 
an den fpanifchen Hof wieder vorfuchte und durch fäch- 
fifche Wermittelung geftend machen wollte”). Die Un- 


ihn die Kaiferin dem Großfürſten zum Mufter vorhielt, und daß er. 
die Abreife Poniatowsky's nit verhindern — Fonnte. 

1) Rad Rulhiere wäre er auf die Hauptwache gebracht worden. 
Nach von Salvdern führte man ihn vor den Großfürften, der ihn 
nah einigen fpöttifden Nerven entließ. Nah der Biographie Pe— 
ter’8 III. ftellte ihn der Großfürft feiner Gefelfhaft vor und Bra⸗ 
nicki fegte ihn durch einen infultirenden Geftus in Freibeit. 

3) Sie ſchrieben fih nod aus den Jahren 1556 und 1572 ber 
und waren von flandrifhen SKricgsdienften entftanden. Am 29. 
Auguft 1727 war in der That zwifchen Defterreih und Spanien 
eine Convention zu Gunften Holfteins geſchloſſen worden, worin 


20 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 


fälle der Preußen, an denen die ruffiihen Truppen fo 
vornehmlichen Antheil hatten, kränkten ihn auch tief, 
und er fol ſelbſt den geſchickten Grafen Fermor ') ber 
ſtimmt haben, feine Entlaffung zu nehmen. Der Un: 
muth des Großfürften ftieg fo hoch, daß er der Kaiſerin 
1759 durch den Strafen Alerander Schuwalow eröffnen 
ließ, er wolle feiner glänzenden Beftimmung in Rußland 
für jeßt und auf immer entfagen, und bitte um Die 
Erlaubniß, fih nach Holftein begeben zu dürfen. Die 
Katferin ließ ihn ermahnen, fich nicht kleinmüthig zu 
zeigen; wolle er aber bei feinem Entfchlufle bebarren, fo 
möge er ihn fchriftlich anzeigen. Sie behandelte ihn 
darauf mit einer fo nahe an Verachtung grenzenden 
Kälte, DaB er es nicht wagte, weitere Schritte zu thun. 

Im October 1761 erloſch das Haus Holftein-Plön, 
ein jüngerer Zweig der Föniglichen Linie. Peter hatte 
feinen Anſpruch auf die Verlafienfchaft, die überdem 
ungeheuer verfchuldet war. Dennoch erhob er Anfprüche 
und verband fte mit andern, ſodaß er das halbe Schles⸗ 
wig foderte. Das wäre eine Thorheit gewelen, über 
welche Danemarf lächeln Fonnte. Aber am 25. Decem- 
ber 1762 ftarb die Kaiferin Elifabeth, erft 52 Jahre 
alt, und der Herzog von Holftein war jebt Kaifer Pe- 
ter II. 

Ungeachtet er nichts gethan hatte, fich eine Partei 


Spanien der herzoglichen Linie von Holftein gegen Berziht auf obige 
Zoderungen, jaͤhrlich bis zur ſchleswigſchen Neftitution 100,000 
Gulden zu zahlen verfprad. Es war aber nichts bezahlt worden, 
und man beredinete nun die rüdftändigen Subfivien auf 1,700,000 
Thaler. An Kurſachſen wendete man fich, weil die damalige Königin 
von Spanien eine fähfifhe Prinzeffin war. Daß die Verwendung 
frudtlos war, trug Peter Sachſen noch ald Kaifer nad. 

ı) Wilhelm Graf von Zermor, geb. zu Plestom 1704, + zu 
Kietau 1771. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 21 


im Reiche zu bilden, ward doc feine Thronbefteigung 
nicht blos mit ungetrübter Ruhe vollzogen, fondern 
jetbft von einer firhtbaren Befriedigung des Volks bes 
gleitet, das fich freute, endlich wieder einmal einen Kai⸗ 
fer an feiner Spige zu fehen. Wäre nur der Kaifer 
auch wahrhaft ein Mann geweien. Gute Abfichten find 
ihm nicht abzufprechen und an guten Rathgebern fehlte 
ed ihm auch nicht. In manchem andern Lande möchte 
er eine glücliche und gefegnete Regierung geführt ba- 
ben. Aber Rußland verftand er nicht, wußte feine Re 
formen nicht dem ruffifchen Weſen anzupaflen, fiel auch 
zum Theil in die Fehler, an denen fpater Joſeph U. 
ſcheiterte. Hauptſächlich er verftand ed nicht, wie man 
in dem damaligen Rußland berrfchen und fich in Der 
Gewalt behaupten mußte, was denn doch die Vorbe⸗ 
dingung ift, bevor man an dad Wie ded Regierens, des 
Gebrauchs der Gewalt denken Tann. Eliſabeth fand 
fittlich gewiß unter Peter und war auch Feine geiftige 
Größe. Aber fie, wie ſchon früher die Kaiferin Anna, 
waren weit bejier dazu gemacht, in Rußland zu regieren, 
oder vielmehr, fi) auf dem Thron zu halten. Es muß- 
ten da ft und Kraft gepaart fein; man mußte es ver- 
fiehen, durch äußerſte Strenge gegen Einzelne Furcht 
und Schreden um die höchſte Gewalt zu verbreiten, da⸗ 
gegen unbedingt Ergebene durch ausfchweifende Beloh: 
nungen und nachſichtsvolles Ueberfehen der aus Habſucht 
oder Sinnlichfeit begangenen Vergehen zu felleln, ja in 
ihren eigenen entdedten Verbrechen ein Pfand ihrer fer: 
nern linterwürfigfeit zu finden, dad Volk im Ganzen 
aber durch ein volfsthümliches Gepräge und den Schein 
eines theatralifch = patriarchalifchen Segend zu gewinnen, 
ohne die Bedrückungen zu mildern, durch welche die 
höhern Claſſen fih an den Niedern für ihre eigene po: 


22 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


litifche Knechtſchaft ſchadlos Hielten. Man mußte end- 
lih Selbftherrfcher fein, d. b. während man die Staats- 
männer in Vielem nach Gutdünfen ſchalten und walten 
ließ, Doch fie immer bewachen, Einen gegen den Andern 
gebrauchen, das Heft nie ganz aus den Händen geben, - 
den Gedanken erhalten, daß man in jedem Augenblide 
einzugreifen bereit fei. »Auch Katharina II., wie Elifa- 
beth nicht ohne Wohlwollen und ihren Vorgangerinnen 
an Zeitbildung weit überlegen, lernte die Kunft gar gut, 
fih in ihrem Rußland zu halten, und Manches in die: 
fen Mitteln ift in der That der weiblichen Natur nicht 
fo fremd, wie der höhern Weiblichkeit. Peter verftand 
nicht8 von dieſen Dingen. Er war dafür viel zu fehr 
von deutfchem Rechtsglauben durchdrungen; er war bie- 
der, gewillenhaft, hartnädig, ohne Schmiegfamteit, en- 
thuftaftiich, vol vorgefaßter Meinungen, ohne Beobach⸗ 
tungsgabe, pedantifch, voller unnationeller Sonderbar: 
keiten, ohne Sinn für Rußland, ohne Begriff für feine 
Zage. Meberhaupt, einzelne Deutiche von kosmopoliti⸗ 
[her Natur mögen wol in Rußland ihren Boden fin- 
den, das echte deutſche Weſen paßt eben nur für Deutfche 
und bat weder den Slawen, noch den SItalienern, noch 
den Griechen behagen wollen. Es war fihon bei Peter 1. 
ein Misgriff, daß er Rußland nicht aus dem ruffifchen 
Weſen felbft heraus entwidelte, fondern ihm eine er- 
borgte Cultur aufzmang. Aber Peter I. wählte wenig: 
ftend die allgemeine Gultur und befaß eine ungeheuere 
Despotenfraft. Peter DIE. war einer befondern Schatti- 
rung der Cultur ergeben und war nicht Despot genug, 
durch die Mittel des Ahnberrn die viel fchwerere Auf- 
gabe zu betreiben. 

Peter bezeichnete die erften Tage feiner Regierung 
mit einem großen Gnadenacte. Mit wenigen Ausnab- 


Die ruffiche Thronrevolution von 1762. 23 


men, worunter die des übrigens nur auf feine Güter 
verwiefenen Beſtuchew die wichtigfle, wurden alle Eri- 
lirte zurüdberufen und größtentheild in ihre Ehren 
wiedereingefeßt. Darunter Biron, Münnich und Leſtocq. 
Münnich befonderd vergalt dem Kaifer die Wohlthat 
durch flandhafte Treue und Fuge Rathichläge, die — 
nur nicht befolgt wurden. Nach und nach famen über 
20,000 zurüd, die ein Opfer der Verfolgung früherer 
Regierungen geworden waren ').. Auch die Quelle fol- 
her Willfür zu verftopfen, verfügte er die Aufhebung 
der Geheimen Kanzlei (21. Febr. 1762), einer fchlimmern 
Sternfammer Rußlands, die aber ſchon unter der nad: 
fien Regierung im Wefen wiederhergeftelt und unter 
Paul ganz befonderd eifrig war. Zugleih ward die 
Anwendung der Zortur verboten. Der Gerichtögang 
follte beichleunigt werden. Der Plan eines bürgerlichen 
Geſetzbuchs ward gefaßt, nahm aber freilich den gehäfligen 
Anfchein einer Uebertragung preußifcher Gefeße an. Peter 
bezahlte die Schulden feiner Gemahlin, ohne nach deren 
Urſachen zu fragen, erhöhte ihr Einfommen und machte 
ihe an feinem Geburtstage ein großes Gefchen? in Do- 
meinen. Er wollte auch ihren Bruder nah Rußland 
fommen laſſen, der es aber mit dem bekannten Waid⸗ 
ipruche des Götz von Berlichingen ausfhlug’). Den 
Adel entband er (21. Zebr.) von jedem Dienflzwang 
und gab ihm die Freiheit, zu reifen und in fremde 
Dienfte zu treten, traf auch in Betreff des Unterrichts 





1) Elifabeth, die zu mild war, ein Todesurtheil zu unterzeichnen, 
fo 80,000 Perſonen nad Sibirien geſchickt haben! 

2) Das alles fpriht gegen die Behauptung, als fei Katharina 
ihrem Gemahl nur zuvorgefommen und als hätte diefer einen An⸗ 
ſchlag gegen fie gehabt. Auch unfer Memoire, was nidt in freund- 
hen Sinn für Peter gefaßt ift, fagt nichts von einer folden 

fit. 


24 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


feiner Söhne Vorforge. Die fhädlichen Gewerbs- und 
Handelömonopolien bob er auf und gab auch fonft viel 
Theilnahme zur Förderung ded Handels, der Induftrie 
und des Landbaued zu erkennen. Zu Gunften des letz⸗ 
tern ward eine Greditbanf errichtet. Der Salzpreis 
ward um 20 Kopeken erniedrigt. Diefe Reformen 
famen fo unerwartet und erfchienen fo großartig, daß 
der Senat den Kaifer durch eine Deputation um die 
Erlaubniß bat, ihm eine goldne Bildſäule fegen zu 
dürfen. Und vier Monate fpäter! Der SKaifer lehnte 
das Erbieten ab. Die Dankbarkeit aber für jene Wohl: 
thaten ift weniger wirffam und nachhaltig gewefen, als 
der gefährliche Groll, welchen misliebige Maßregeln und 
Pläne erwedten. Der Kaifer beabfichtigte die Einzie 
bung der Kloftergüter. Er wollte die Faſten umd Die 
Deiligenbilder aus den Kirchen entfernen. (Daß er fi 
jedoch auch an den Bärten der ruffiichen Geifllichkeit 
babe vergreifen wollen, fol ungegründet fein.) ') Der 
Erzbiihof von Nomwgorod, Sertihin, machte Gegenvor- 
ftellungen, erhielt aber Befehl, nie wieder vor dem 
Kaifer zu erfcheinen, was jedoch fchon nach acht Zagen, 
mit Rüdfiht auf die allgemeine Verehrung, in welcher 
jener Mann bei dem Volke ftand, widerrufen ward. 
Schlimm war ed auch, daß er die Klöfter durch erhöhte 
Abgaben der Bauern entichädigen wollte Es entſtan⸗ 
den Unruhen daraus, und jedenfalld entfremdete es ihm 
das niedere Landvolk. Für die Sicherheitöpolizei traf 


1) Bergl. Ruſſiſche Anekdoten, oder Briefe eines teutſchen Offi⸗ 
ziers an einen Liefländifhen Gyelmann, worinnen die vornehmften 
Lebens⸗Umſtände des ruffifhen Kayſers Peters III. nebft dem um 
gluͤcklichen Ende dieſes Monarden enthalten find (Wandsbeck 1765), 
e 61 fg. Hiernach berubte jenes Gerücht auf einer Myſti⸗ 
tation. 


N 


Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 25 


er firenge, aber gute Anftalten. Ein Hauptfehler aber 
war das Unterlaffen oder Aufichieben der Krönung. 
Die hauptfächlichften Freunde und Rathgeber des 
Kaiferd waren die Prinzen Georg und Peter Auguft 
von Holitein '), der Graf von Münnih, der Graf: 
Michael Woronzow, der Generalfeldmarſchall Fürft 
Trubetzkoy, der wieder zurückberufene von Bredahl, der 
gediegene Staatsrath Wolkow, der Generallieutenant 
von Korf, jetzt Generalpolizeimeiſter in St. Petersburg, 
der Generalprocurator Alexander Glebow, die General- 
adjutanten Gudowitſch und Fürſt Iwan Galizin. An 
die Stelle des Cabinets trat eine Commiſſion, in welche 
nach und nach die Prinzen von Holftein, Münnich, Mi- 
hack Woronzow, Fürſt Trubetzkoy, Wolkonsky, der 
Generalfeldzeugmeiſter Villebois, der Generallieutenant 
Melgunow und Wolkow traten. Die Meiſten dieſer 
Männer waren verſtändig und rechtſchaffen, und ihre 
Wahl macht im Ganzen dem Kaiſer Ehre. Aber waren ſie 
ihm die Nützlichſten in dem Rußland von 1762? Würde 
nicht vielleicht ein Beſtuchew ihm beſſere Dienfte geleiftet 
haben? Waren fie in der Lage, ihr Schiefal mit dem 
feinigen zu identificiren? Und ließ er nicht auch ihren 
Rath in den wichtigften Dingen oftmals unbefolgt? 
Außer feinem gefährlichen Angriffe auf die Intereflen 
der Geiftlichkeit haben ihm befonders feine Mititairrefor- 
men und feine auswärtige Politif gefchadet. Seine Mi- 
litairreformen betrafen zunächft Formen und Uniformen. 
Er verabjchiedete die mit großen Vorrechten ausgeftattete 


1) Georg Ludwig von Holftein=Gottorp, geb. -16. März 1719 
+ 7. Auguft 1763, Stammoater ver Großherzoge von Dldenburg. 
Heter Auguft Friedrich von Holftein- Bed, geb. T. Dec. 1697, + 
als rufiifher Generalfeldmarfhall und Gouverneur von Efthland im 
März 1775. 

I. 2 


N - 


26 Die ruffiiche Thronrevolution von 1762. 


Leibeompagnie, diefelbe Compagnie der Preobratzſchens⸗ 
foy- Garde '), welche Leflocg, Schwart ”) und Grünftein 
für Efifabeth erfauft und diefer dadurch auf den Thron 
verholfen hatten, erhob aber — was fehr unpolitiſch 
war — ein holfteinifches Küraffierregiment zur Faiferli- 
chen Xeibgarde zu Pferde. Er verwandelte die Garde 
uniformen in Furze preußifche Röcke mit goldnen Schlei- 
fen, worüber die Soldaten fehr murrten. Er faßte fo 
gar den Plan, die Garden aufzuheben und in Zeldre 
gimenter zu vertheilen und Tieß fie durch den General 
Bauer in dem preußifchen Erercitiun unterweifen. Die 
Regimenter erhielten verfchiedene Uniformen ’) und wur: 
den nad) den Namen ihrer Chef benannt. 24 Gene: 
räle wurden entlafien. Die Sinute wurde beim Militair 
abgefchafft, aber — Stod und Fuchtel dafür eingeführt. 
Den holfteinifchen Truppen wurden Neid erregende Aus: 
zeichnungen verliehen, und zu Dranienbaum eine luthe⸗ 
rifhe Kirche für fie erbaut. — Auch die Marine fuchte 
Peter eifrigft zu heben, und in allen diefen Dingen that 
er in der That in’ der kurzen Zeit viel, zu viel für die 
kurze Zeit. (Es foll übrigens in der lebten Zeit fein 


1) Diefes berühmte Gorps bat feinen Namen daher, daß ed aus 
der Gompagnie entftanden war, die fi Peter I. in feinen Knaben: 
jahren zuerft aus den Zaltenjungen und Stallknechten bei dem Bogel- 
und Falkenhof in Preobragfhenst gebildet hatte. Cine andere folde 
Gompagnie lag In dem nahen Dorfe Sſemenowsk. Daher das für 
menowſche Garderegiment. ' 

2) Diefer Schwarg war aus Sachſen gebürtia, hatte als Mufl- 
kus in den Dienften der Prinzeffin Elifabeth geftanden, dann eine 
Karawane nah China begleitet und war darauf bei dem geographi⸗ 
fhen Departement der Akademie mit einer Fleinen Penflon angeftellt 
worden. 

3) Daß er in der ganzen Armee preußifhe Uniformen und na= 
mentlih das preußifhe Blau, ftatt des ruffifgen Grün, eingeführt 
dtt A af ungegründet. Vergl. „Ruſſiſche Anekdoten 20.” &. 118 fe. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 27 


Eifer für die Staatögefchäfte bereits fehr abgenommen 
gehabt habenz namentlich von der Beziehung des Win: 
terpalais an.) Tiefer greifend war aber Die Verände- 
rung, die er in der auswärfigen Politif herworbrachte. 
Rußland war mit Preußen im Krieg, aber der neue 
Kaifer war der eifrigfte Verehrer Des Königs von Preu- 
gen, und ſchickte noch am Abend des Todes der Kai—⸗ 
ferin Elifabeth feinen Generaladjutanten Gudowitfch mit 
einem eigenhandigen Schreiben an Friedrich. Bald 
ſchloß er nicht-nur Frieden mit Preußen, fondern auch 
Bündniß (5. Mai) und ftellte feine Truppen in die 
Reihen des zeitherigen Feindes gegen die zeifherigen Alli⸗ 
irten. Er ließ ſich ein preußifches Negiment verleihen 
und frug faft fäglich die preußifche Uniform. In allen 
faiferlichen Zimmern waren Bildniffe Friedrich's. Selbſt 
mit Geld, fo rar das in Rußland war, follte Friedrich 
unterflügt werden. Durch das alles machte der Kaifer 
fi natürlich die Gegner Preußens zu Feinden und die 
Vertreter derfelben waren meift einflußreicher in Ruß⸗ 
land und fannten den Boden viel befler, als die des 
preußifchen Cabinets, deflen Stärke die Diplomatie nie: 
mald geweſen ift, und unter Friedrih am weniaften '). 
Auch Durch farkaftifche Aeußerungen erbitterte er, und die 
Sefandten Defterreichd und Frankreich, Graf Mercy und 
Baron Breteuil, vergalten ihm Gleiches mit Gleichem. Am 
Erbittertiten ſprach fi) Peter aber gegen Sachſen und den 
Grafen Brühl aus. Um fo weniger fand der ſächſiſche Ge- - 
Ihäftsträger, Legationsrath Praſſe, mit feinen Anträgen, 
Leipzig zum Sit eined Friedenscongrefjes zu wählen, Sad): 
fen in den Waffenftiliftand einzufchließen ꝛc., Gehör. 


1) Zür die Perſon des Kaiferd war übrigens die Wahl des preu⸗ 
ßiſchen Geſandten, Zreiherrn v. d. Golz, ganz gut berechnet. 
2% 


28 Die ruffifhe Thronrevolution von 1762. 


Peter's Hauptgedanfe war, fih und fein Haus an 
Dänemark zu rächen. Ein um fo unverftändigerer Krieg, 
da ihm fein neuer Verbündeter, Preußen, nicht beiftehen 
wollte, noch wollen konnte. In der That aber beftimmte 
Peter ein Corps von 40,000 Mann zum Zuge gegen 
Dänemark und wollte ſich felbft an deflen Spiße ftellen. 
Der Tag, den er zu feiner Abreije zur Armee angeſett 
hatte, wurde ſein Todestag! 

Einen noch weiteren Plan für allgemeine Arrange⸗ 
ments in Deutſchland, der manches Gute, aber auch 
manches Unausführbare enthielt, hatte der Staatsrath 
Wolkow, nach Peter's allgemeinen Andeutungen, entwor⸗ 
fen und Friedrich, wol in der ſichern Erwartung, es 


werde nichts daraus werden, gebilligt. Peter theilte ſich 


darin das ganze Schleswig, und — nach dem (erſt 15 
Jahre ſpäter erfolgten) Tode des Kurfürſten Max Jo— 
ſeph — Baiern zu, womit er den Katholiken in Deutſch⸗ 
land das Gegengewicht halten wollte. Preußen ſollte 
das polniſche Preußen erhalten, aber von Schlefien 
Glatz und Croſſen, ſowie, wenn der Herzog von Med: 
fenburg- Schwerin erblos fterben follte '), ganz Schlefien 
gegen Medlenburg abtreten. Schlefien follte in diefen 
Falle an Defterreich zurückkommen. Bon Sachen follte 
Polen getrennt werden, Sachſen aber die preußifchen 
Enclaven in der Niederlaufig, ſowie Croffen, Mansfeld 
und eine neue Stinme auf dem Reichstag, auch für 


. den Prinzen Clemens die Exſpectanz auf das zunächft 


d 


erledigte geiſtliche Kurfürſtenthum erhalten’). König 


1) Der Herzog Friedrich (geb. 9. November 1717) iſt in der 
That ohne Kinder verftorben, wenn aud erſt am 24. April 1788, 
wo fein Neffe, der nachherige Großherzog Zriedrid Franz, ihm 
folgte. 

2) Er wurde in der That 1768 Kurfürft von Trier. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 29 


von Polen follte — Prinz Heinrich von Preußen werden‘), 
ein Theil aber an Preußen, ein Stüd von Litthauen 
an Kurland fallen. Stürbe Heinrih, wie zu erwarten 
war, erblos, jo fam ganz Polen an Preußen. Kurland 
folte ein Großherzogthum für den Prinzen Georg Lud⸗ 
wig von Holftein werden. Dänemark follte für Schles⸗ 
wig duch Oſtfriesland entſchädigt, Osnabrück fäculari: 
firt und, fowie Bremen und Verden, mit Hannover 
vereinigt werden. Für Ferdinand von Braunfchweig 
ward ein Herzogthum Hildesheim beftimmt. Die med- 
Ienburgifchen Prinzen waren am Rheine zu entfchädigen. 

Diefer Plan wäre auch ohne die Thronrevolution ſchwer⸗ 
ich in volftändige Ausführung gefommen, aber man- 
her auf Einzelned davon hindeufende Schritt würde 
ftattgefunden haben, wenn nicht die Thronrevolufion 
von 1762 dem ganzen Wirken Peter’ ein Ende ge: 
macht hätte. Ueber diefe Revolution wollen wir nun 
im Folgenden das Eingangs erwähnte Memoire in deut: 
fcher Webertragung mittheilen und mit den Bemerkungen 
begleiten, welche abweichende Berichte an die Hand 
geben, oder die fich fonft zur Milderung des Einflufjeg, 
welchen Graf Panin fichtbar auf die Anfchauungen jenes 
Memoired gehabt bat, empfehlen. 


Die Unzufriedenheit gegen Peter III. war allgemein. 
Man beweinte die Kaiferin Elifabeth, bevor fie verfchied; 
man beweinte fie nad) ihrem Tode fo ehr, daß, wenn 
man fich auch nur anblidte, die Thränen aller Welt 
aus den Augen rollten. 

Diefe Prinzeffin hatte von Natur viel Geifl, der 
aber fo wenig ausgebildet worden war, daß fie jelbft 








1) Merkwürdig dabei, melden wichtigen Antbeil diefer Prinz 
fpäterbin an der Theilung von Polen hatte. 


30 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


unter den Frauen für unwiſſend galt. Sie beſaß viel 
religiöſen Sinn, Redlichkeit und Humanität. Sie wollte 
das Beſte aller Welt. Sie that ſoviel Gutes, als ihre 
Indolenz und der geringe Antheil, den ihre Günſtlinge 
ſie an den Geſchäften nehmen ließen, ihr verſtatteten. 
Sie war in Folge davon geliebt, und es war nicht zu 
verwundern, Daß dad Publicum, das in Peter II. einen 
Menichen ohne Sitten), der, wenn auch nicht aus 
Neigung, aber weil er glaubte, ein Soldat müfle hart 
fein, inhuman?) war, einen Poltron, verdrehten Kopf, 
Lügner, Schwelger erfannte, mit Kummer eine Fürftin 
von Eliſabeth's Güte fterben und einen Fürften auf 
ihren Thron fleigen fah, der fo wenig würdig war, den: 
felben zu befteigen, wie Peter III). 

Die Unzufriedenheit gegen ihn wuchs von Zage zu 
Zage. Er mishandelte thatlich und wörtlich Leute, die 
ed am wenigften verdienten. Er fagte öffentlich, daß 
Die und Die (Leute, die im Cabinet der Elifabeth an: 
geftellt geweien) ihm geholfen hätten, den König von 
Preußen von den geheimften Vorgängen in Kenntniß zu 
fegen, während jene niemals daran gedacht hatten, ſich 
eines ſolchen Verraths fchuldig zu machen‘) und die er- 


1) Es ift etwas eigen, Peter gerade in dicfer Beziehung der Eli- 
fabeth entgegengeftellt zu fehben. Und wenn man fih nun vollends 
an die Gelage Peter’s I. erinnert! 

2) Er mag aud dem angegebenen Grunde etwas Barſches in den 
Formen angenommen haben. Inhuman war er nit, wie feine Ges 
fege, fein Berfabren gegen frühere Gegner, fein wahrhaft theilnehs 
mendes Berhalten gegen den unglüdliden Iwan und deffen Zamilie 
beweifen. Verſchiedene Beiden fpreden dafür, daß er für weiche 
Nührungen empfänglid war. 

3) Die oben angeführten „Ruſſiſchen Anekdoten““, welde von 
einem nüdternen Beobadter berzurühren ſcheinen, ftellen den erften 
Eindrud des Regierungswechſels anders dar. 

4) Daß fie es fpäter abgeleugnet, wäre viel erflärlicher, als eine 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 3 


gebenften Anhänger des entgegengeſetzten Syſtems waren. 
Er machte fi) auch an den Grafen Panin'), damals 
Oberhofmeifter des jungen Großfürften, nachherigen 
Kaifers Paul”), und zwar in folgender Art. Kaum 
24 Stunden vor dem Tode Elifabeth’s, die bereits ohne 
Bewußtſein im Zodesfampfe Tag, traf fih Peter an 
der Seite ihred Bettes mit ihrem Leibarzt und mit 
Herrn von Panin, der fi) den Zutritt zu ihr vorbehalten 
hatte. Peter fagte zu dem Arzte: „wenn diefe gufe 
Fürſtin nur die Augen geichloffen bat, fo follen Sie ſehen, 
wie ich die Danen heimfchicden werde; ich werde dem 
Herrn von St. Germain ’) feinen Mann ftellen; er 
wird mir den Krieg auf franzöfifhe Art und ich werde 
ihn ihm auf preußifche Art machen” u. f. w. Nachdem 
er dieſe an den Arzt gerichtete Rede beendet, wendete 
ee fich zu Heren v. Panin und fagte ihm: „was denkſt 
du von dem, was ich eben geſagt habe?” Herr von 
Panin erwiderte: „Monfeigneur, ich habe nicht verftan- 
den, wovon die Rede war; ich war in Gedanken verlo- 
ren, die mir der befrübende Zuftand der Kaiferin ein- 
flößte.” „O! DI, warte ein wenig”, verſetzte Peter, 
auf die flerbende Kaiferin zeigend; „bald werde ich Dir 
die Ohren aufmachen, um dich befler hören zu lehren.” 

Deter ermüdete und plagte den Soldaten. An jedem 
Grercirtage fah man Soldaten vor Schwäche umfallen 


fo ganz zwedlofe Lüge von Seiten Peter’5 fein würde, Unbefonnen 
aber wäre feine Plauderei unter allen Umftänden gewejen. 

1) Ueber ihn fiebe am Scluſſe diefes Auffages Näheres. 

2) Ueber diejen fagte Peter: „Es fol fhon ein guter Junge 
aus ihm werden. Er mag fürd erfte noch unter feiner alten Aufs 
fit bleiben; bald aber werde ich eine andere Einrihtung für ihn 
machen und für feine beffere militairifhe Erziehung ſorgen, anftatt 
der bisherigen weibiſchen.“ 

3) Der damals an der Spige des däniſchen Kriegsweſens ftand. 


32 Die ruffifhe Thronrevolution von 1762. 


und hörte Peter fagen: „Ichaffe man fie fort und bringe 
Andere an ihre Stelle.” 

Seine Günftlinge waren Thoren oder VBerräther '). 
Er ergab ſich mit ihnen der fehwelgerifchften Ausfchwei- 
fung im Punkte des Trinfend. Seine Maitrefle, Fräu⸗ 
lein von Woronzow, war häßlich, dumm, langweilig, 
unangenehm ?). Peter glaubte, ed gehöre zum guten 
Zon, eine Maitreffe zu haben. Er ſprach nur deutich 
und wollte, daB ale Welt diefe Sprache verftehen 
folte ). Ruſſiſch ſprach "er nur felten und immer 
ſchlecht. Er wollte alles ändern, alled umgießen. Wie. 
Mein auch Holftein im Vergleich zu dem weiten ruffi- 
ſchen Reiche ift, ihm erfchien ed größer, reicher, feiner 
Anhänglichfeit würdiger. Wer daher nicht ebenfo ge 
funfen war, wie Peter, entfernte fih von ihm; Niemand 
war mit dieſem Prinzen zufrieden; er war faum Souve 
rain geworden, ald man einen Anderen wünfchte Die 
Unzufriedenheit hatte vorzüglich die Soldaten ergriffen. 
Die Sarden fprachen laut gegen ihn. Herr von Panin 
war einige Wochen vor der Revolution genöthigt, zu 


1) Das obige Verzeichniß beftätigt dies nicht. _ 

2, Sie erhielt gleih bei Peter's Negierungsantritt den Titel 
Kammerfräulein. Sie wohnte im Faiferlihen Palafte, und damit fie 
es mit Anftand (!) Fönne, beftürmte der Kaifer feine Gemahlin, ihren 
Einzug in denfelben zu bef&leunigen. Die Kaiferin that ed, unges 
achtet fie Frank war und durch den Ueberzug aus Orlow's Nähe Fam. 
Die Kaiferin und ihre Partei nannten übrigens dad Kammerfräulein 
nur die dide Gräfin. Ihr Einfluß auf Peter war fehr groß; doch 
bat fie ihn nicht eben zu ihrer Berciherung benugt und nur ein un 
bedeutendes Landgut, einige Diamanten und (für kurze Zeit) das 
Schepelow’fhe Haus neben dem Winterpalais davongetragen. Sie 
fon fanfter und anfprudslofer Gemüthsart gemefen fein. 

3) Er gab nur der deutfhen Sprade die Stelle, die vorher die 
franzöfifcye eingenommen. Eine Berordnung, daß alle Eingaben nur 
in ruffifger oder deutſcher Sprache gefaßt werden follten, erregte 
großes Misfallen bei — den Zranzofen. 


Die ruffifhe Thronrevolution von 1762. 33 


hnen zu fprechen und ihnen eine Aenderung zuzufagen, 
damit fie nur nicht fchon damals ihrer Erbitterung den 
Zügel fchießen Tießen. 

Mochte nun Peter diefe Stimmung kennen, oder 
nicht, er fuhr in feinen Verfahren unverändert fort, 
und dies ließ Hrn. von Panin vier Wochen vor der 
Revolution den Gedanken fallen, die Krone, ohne Blut- 
vergießen und ohne das Unglück vieler Menſchen, auf 
ein anderes Haupf übergehen zu machen. 

Bei näherer Erwägung dieſes Plans fühlte cr die 
NRothwendigkeit, zwei Perfonen dabei zu betheiligen, 
nämlich den Hetman Grafen NRafumomwsly ') und den 
General Fürften Wolkonsky. Der Erftere war be- 
fandig um Peter, Chef eines Garderegiments und ein 
entfchloffener Mann. Der Andere hatte Anfehen in der 
Armee, war brav und Flug. 

Herr von Panin wollte den Streich ausführen, 
wenn Peter zur Stadt Fame, um dem Abmarſch der 
Sarden beizumohnen, die aus Peteröburg audrüden 
folten, um zur Armee zu ftoßen. Die Zeit dieſes Ab- 
marfched war auf das Ende des Juli beftimmt. Man 
mußte daher den Hetman rechtzeitig von dem Plane 
unterrichten, Damit er Peter bei dem Gedanken, fich bei 
dem Ausrüden der Garden in Peteröburg einzufinden, 
fefthielte. Panin fürchtete, Peter möchte in jeine Feig— 
heit verfallen ”) und nicht erfcheinen. 


— — —— 


1) Kyrilla Graf Raſumowsky, Bruder des Guͤnſtlings ter Kai— 
ferin Elifabeth. 

2) Peter bat, nad allen andern Zengniffen, wenn aud phyſi⸗ 
(her Muth allerdings nicht feine Stärke gewefen zu fein fheint, doch 
in Betreff feiner Hauptgefahr nicht zu viel, fondern zu wenig Furcht 
gezeigt. Umfonft warnte ihn Friedrich I. Er antwortete ihm mit 
der fefteften Zuverfiht auf feine Sicherheit: die Soldaten nennten 
ihn Baterz er gehe allein in den Straßen von St. Petersburg um⸗ 

ur 


34 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 


Am Mittwoch alfo (7. Juli), zwei Tage vor der 
Revolution, eröffnete er fi) dem Hetman und dem Für- 
ften Wolkonsky '); beide fchloflen fih an und die Aus- 
führung des gefaßten Planed wurde auf. die Zeit des 
Ausrücdend der Garden verfchoben. Vier Gardehaupt- 
leute waren ſchon im Geheimniß; ja ſogar die vier von ihnen 
befehligten Compagnien waren es. Es waren daß die 
felben Soldaten, die fi) einige. Wochen vorher lauf 
gegen Peter ausgefprochen hatten. Einer von Diefen 
Haupfleuten, Paſſek“)), wurde auf Peter’d Befehl am 


ber; er thue Gutes und verlaffe fih auf die Obhut Gottes. Der 
DObrift von Budberg war durch einen Verſchworenen fondirt worden 
und unterrichtete den Kaiſer davon, der aber nur über feine Leicht: 
gläubigfeit lächelte und ihm verfiderte, es fei an Peine Verſchwoͤrung 
zu denken. Erſt ganz zulegt, als die Anzeigen fih häuften, fand 
ih der Kaifer veranlaßt, den Orlows feinen Adjutanten Perfiliow 
als Kundſchafter zuzufhiden. Aber Perfiliom ward durchſchaut und 
feine Neigung zu Zröhligfeit und Spiel benugt, ihn und durd ihn 
den Kaifer in völlige Sicherheit einzumiegen. 

1) Xeltere Theilnehmer der Berfhwödrung waren hauptfählid: 
die Kaiferin, die Zäürftin Daſchkow, Panin, die vier Gebrüder Or 
low (Gregor, Iwan, Alexander und Fedor), der Piemontefe Dpart, 
(geheimer Secretair der Kaiferin, welder hauptfählih aus Geldgier 
gehandelt haben fol, fpäter nah Nizza ging und 1772 oder 1773 
vom Blitze erſchlagen worden fein fol), ein unterer Hofbeamter 
Teplow, Iwan Schumalom (ber letzte Günftling Eliſabeth's, mel 
hen Peter fehr gütig behandelte), der Artilerichauptmann Bibikow, 
der Hauptmann Paſſek, der Generalprocurator Glebow (diefer aller: 
dings ein Berräther aud der Umgebung Peter’), der Obrift Alſu⸗ 
fiew, der das Negiment des Prinzen von Holftein befehligte, v. Reh⸗ 
binder, welder Budberg fondirte u. A. Der franzöfifhe Geſandte 
unterftügte die Sache mit Geld, reifte aber am 25. Juni nad Wars 
fhau ab. Die Verſchworenen trafen ſich meift des Rachts auf der 
grünen Brücke. 

2) Er hatte ſich wiederholt erboten, den Kaiſer zu ermorden. 
Am 7. Zuli hatte er im Rauſche von der Revolution geſprochen und 
war durch einen von ihm gezüchtigten Soldaten angegeben worden. 
Gleichzeitig kam eine verwandte Anzeige von dem Sardehauptmann 
Ismailow ein. Darauf verfügte der Kaifer die Berbaftung Paſſek's, 
verfhob aber die Unterfuhung bis nah dem Peter »Pauldfchte. 


Die ruſſiſche Ipronrevolution von 1762. 35 


Abend des Donnerstags, alfo den Zag nachdem Panin 
fi Raſumowsky und Wolkonsky eröffnet hatte, verhaf: 
tet. Panin ward durch Gregor Drlow'), der in dem: 
felben Garderegimente Offizier war, davon unterrichtet, 
als er fich eben bei der Zürftin Dafchlow ?) befand, 
und Drlow felbft beftätigte ihm noch an demſelben Abend 
das Factum, mit der Bemerkung, daB Jener wegen des 
Murrensd, das ed unter den Soldaten feiner Compagnie 
gegeben habe, verhaftet worden fei. Die Beflürzung war 
groß; das Geheimniß fchien verrathen, oder im Begriffe, 
es zu werden, fobald man Paflek der Zortur unterwarf. 
Man mußte demnach die Sache beichleunigen, oder: ſich 
den größten Gefahren ausſetzen. 

Herr von Panin hatte eine ſechsſpännige Miethfutiche 
nach Peterhof, wo die Kaiferin war, abgehen laffen, 
weil ihre Abfahrt von da, wenn fie in einer Hofequt- 
page erfolgte, zu viel Aufiehen gemacht hätte Er’) 


Paſſek erhielt noch im legten Negicrungsjahre Katharinens das 
Blaue Band. 

DD Gregor Zürft Orlow, Enkel eines Strelisen, Sohn eines 
Generals, geb. 1734, Günſtling Katharinens nah Poniatowsky's 
Abreiſe, 1762 Seneralfeldgeugmeifter und Graf, 1772 durd Kaifer 
Joſeph U. deutſcher Neihöfürft, nur durch Panin und Tſchernitſchew 
verhindert, Gemahl Katharinens zu werden, 1771 von der Kaiferin 
entfernt, 1772 verfehnt, fpäter durch Potemkin verprängt, + im 
April 1783 im Wahnfinn, 

7) Katharina Nomanowna, geborene Gräfin Woronzom, gib. 
1744, ſchon im 18. Jahre Witwe von einem Gemahl, den fie wider 
feinen Willen gefreit und nie mit ihm gelebt haben fol, geiftvoll und 
ehrgeizig, ein Mannmweib, bald von der Kaiferin entfernt und län« 
gere Zeit auf Reifen, 1782 an die Spige der Akademie der Wiſſen⸗ 
ſchaften geftelt, + zu Mosfau 1810. . 

3) Andere Berichte laffen Panin Alles auf ven nädhften Tag vers 
fhieben wollen, während die Daſchkow das augenblidlihe Los⸗ 
bredgen verlangt und durchgeſetzt babe. Inne bringt unfer Me: 
moire weiterhin Umftände, aus denen diefe Berfion entflanden fein 
mag. 


36 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


ließ den Gardeoffizier Alerander Drlow ’), der auch in 
das Geheimniß eingeweiht war, kommen und hieß ihn, 
die vier für Katharina gewonnenen Capitaine feines Re 
gimentsd anweifen, fih für den nächften Morgen mit 
ihren Xeuten bereit zu halten, falld es Lärm gäbe. Nach 
Beforgung diefed Geſchäfts eilte er fo fchnell als mög- 
ih nach Peterhof, um die Kaiferin von dem, was 
Paſſek begegnet war, zu unterrichten und ihr zu fagen, 
daß fie fogleih von Peterhof in der Carroſſe, die ihre 
KRammerfrau und Vertraute, Madame Zfehudin, ihr ge 
ſchickt, abreifen fole. Bei ihrer Ankunft folle fie ſich 
in die Kafernen jened Garderegiments begeben, um dei: 
fen Zreufhwur zu empfangen. Bon da folle fie zu 
demfelben Zwecke in die Kaferne der Negimenter Js⸗ 
mailoff, Preobragichensfoy und Sſemenowskoy geben und 
an der Spige diefer vier Negimenter folle fie an das 
neue Schloß rüden, vorher aber bei der SKafanfchen 
Kirche anhalten, um den Großfürften zu erwarten, den 
Herr v. Panin dorthin bringen werde, fobald er ihre 
Anfunft und ihre Anerkennung von Seiten der Gar 
den erfahren. 

Gleichzeitig ließ er Raſumowsky und Wolkonsky von 
dem Vorgehenden unterrichten und zog fich endlich won 
der Fürftin Daſchkow zu dem Großfürften in das Som- 
merpalaid zurüd. Er legte ſich fogar in fein Bett an 
der Seite des Prinzen nieder, um der Dienerfchaft kei⸗ 
nen Verdacht zu geben, zumal Herr von Panin ſtets einen 
Flügeladjutanten des Kaiferd bei fih hatte, der ihn 
ohne Zweifel beobachten follte ?). Er befahl aber feinem 


1) Alexander Orlow, 1768 Generaladmiral, 1770 Sieger bei 
Tſchesme, + zu Moskau 1809. 

2) Daß er das nicht. zu Panin's Rachtheil gethan, wird dadurch 
wahrſcheinlich, daß er fpäter bei dem Großfürften angeftellt wurde. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 37 


Kammerdiener, ihn zu weden, fobald ihn Iemand zu 
ſprechen wünſche. Nach feiner Berechnung mußte Aler- 
ander Orlow um 4 Uhr in Peterhof eingetroffen fein 
md Die Kaiferin nad 5 uhr Morgens in St. Peters⸗ 
burg ankommen. 

Alle Augenblicke waren koſtbar und alle waren be⸗ 
rechnet. Herr v. Panin hatte ſich zwar niedergelegt, als 
wenn nichts vor wäre, war aber voll Unruhe; jeder 
Augenblick mußte entſcheiden, ob man zum Ziele kam, 
oder in das äußerſte Unglück ſtürzte. Es ſchlug 5 Uhr 
und er hatte noch keine Nachricht, und es ſchlug 6, als 
es ihm noch daran fehlte. Alexander Orlow hatte den 
Muth verloren; ſtatt ſofort nach Peterhof abzureiſen, 
kam er noch um 4 Uhr des Morgens zur Fürſtin Daſch⸗ 
kow, um zu fragen, ob man etwa ſeine Entſchließung 
geändert habe, und reiſte erſt ab, als dieſe Dame ihm 
ſagte, er ſolle ſich augenblicklich auf den Weg machen, 
um die Kaiſerin zu benachrichtigen. 

Ihre Majeſtät kam nach 6 Uhr in die Stadt '), be 
folgte die Richtſchnur, die ihr Herr von Panin angegeben, 
empfing den Eid der Treue von den Garden’) und fand 
fi gegen 8 Uhr Morgens bei der Kafanfchen Kirche, 
von vier ganz bewaffneten, aber kaum halb gefleideten 
Regimentern gefolgt ?). Herr von Panin brachte den Groß⸗ 
fürften in einer Carroſſe, die man auf der Straße ge 


1) Bei ihr mar ihre Kammerfrau Katharina Iwanowna Tſchere⸗ 
kowsky und hintenauf ftand der Kammerbediente und nachherige Ges 
heimerath Schkurin. Orlow machte den Kutſcher und Bibikow ritt 
nebenher. 

H Sie hatte fie ſchon früher zu gewinnen gefucht und haran⸗ 
guirte fie jegt. Die Negimentöpopen halfen auch mit und bald cilten 
die Verſchworenen herbei. 

3) Sie hatten die Montirungen Peter’s aus Wuth zerriffen. 
Untermegd ward Paſſek befreit. 


38 Die ruſſiſche Thronrevolntion von 1762. 


funden hatte, dahin, und Ihre Majeftät begab fih nun 
in das neue Palais. Man fchrieb dort das erfte Mani: 
feft; man verfammelte um diefed Palais die vier Regi⸗ 
menter und man ließ fie nun den fürmlichen Eid able: 
gen. Hierauf ließ die Kaiferin die Synode und den 
Senat in dem hölzernen Palais ') verfammeln, wohin 
fie fi) mit dem Großfürften begab und in defien Ka 
pelle der Senat, die Synode und alle anweienden Gro⸗ 
Ben ihr huldigten. 

Nach WVerrichtung dieſer Ceremonie traf man die 
nöthigen Anordnungen, un die Revolution ficher zu 
ſtellen. Dan fchiefte Poften auf die Wege, Die nad 
St. Peteröburg führen. Man benachrichtigte und ge 
wann den Gouverneur von Narwa. Man verftärkte die 
Garniſon dieſes Platzes mit einem der vier Feldregimen: 
ter, die in der Nähe der Stadt auf dem Marfche waren, 
um zur Armee zu rüden. Man ließ diefe NRegimenter 
ſchwören; man lud alle Großen in das hölzerne Palais; 
man nahm ihnen den Eid ab; man ernannte fie zu Se 
natoren ?); man hielt fie fortwährend, unter dem Vor⸗ 
wande, Daß fie die zu erlaffenden Publicationen und . 
Anordnungen unterzeichnen müßten, in diefem Palais; 
man gab ihnen Herrn von Nepluyef zum Chef; man 
brachte den Großfürften neben den Zimmer unter, wo 
der Senat und die Großen verfammelt waren; aber ed 
war ſchon fpat, ald man daran dachte, daB man fid) 
Kronftadts verfichern müfle, welchen Platz Peter zum 
Zufluchtsort wählen konnte und auch in der That wählte. 


1) Ein Fleines, altes Gebäude, das auf denfelben Platz ſah, auf 
weldem eben das Winterpalais erbaut worden, dad aber von allen 
vier Sciten bewacht werden konnte. 

2) Daher die große Zahl der Mitglieder, die fi fpäter in dem 
Senate befanden. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 39 


Man ſchickte gegen Nachmittag den Admiral Talyzin 
bin, um fich, unter dem Vorwande, daß er in Auftrag 
der Admiralität komme, dieſes Plabes zu bemächtigen. 
Er ſchickte feinen Wojutanten voraus, der im Augen: 
blid feiner Landung zu dem General Divierd geführt 
wurde, welchen Peter III. in derfelben Abficht, aus wel- 
her die Kaiferin Zalyzin abgefendet, nad) Kronftadt 
gefchickt hatte. Divierd ließ dieſen Adjutanten kommen 
und fragte ihn, in welcher Abficht er käme, aus wel: 
chem Grunde fein Admiral Eommen werde, was in Pe: 
tersburg vorginge, ob ed dort eine Emeute gebe ıc. Die 
zuverfichtliche Miene des Offiziers täufchte ihn. Er 
glaubte, Daß bei deflen Abreife aus St. Peteröburg alles 
noch ruhig geweien fei, und daß diefer Offizier, ebenfo 
wie fein Admiral, von nichtd wüßte; indeß ließ er ihn 
verhaften. Zalyzin Fam in ein paar Stunden darauf 
in einer Schaluppes er landete im Hafen, wo, dem Ge: 
braudy gemäß, der Hafencommandant und die Matro- 
fen fich eingefunden hatten, um ihm die Honneurs zu 
machen. Er erfuhr fogleih die Ankunft des General 
Divierd und was mit feinem Adjutanten vorgegangen 
war, und während er fi) mit dem Commandanten 
(Nummers) darüber unterhielt, fah er Divierd von wei: 
tem auf ihn zufommen. Er hatte dafielbe Schickfal zu 
befürchten, das fein Adjutant erfahren hatte, wenn er 
feine Partie nicht auf der Stelle ergriff. Er that es, 
zeigte dem Commandanten die Ordre der Kaiferin, und 
befahl ihm in deren Namen, Divierd in dem Augen- 
blide, wo er bei ihnen fein würde, zu verhaften. Die 
Sache ging ohne Widerftand ab; die Garnifon erfannte 
Katharinen an, und als endlih um 2 Uhr des Nachts 
Peter fich in einer Ruderſchaluppe vor Kronftadt zeigte, 
erhielt er das Kompliment, daß man feinen andern Sou⸗ 


40 Die ruffiiche Thronrevolution won 1762. 


verain kenne, ald die Kaiferin, und daB man Feuer auf 
die Schaluppe geben werde, wenn fie fih nicht fofort 
entferne. 

Maährend dies in Kronftadt vorging, ſchickte Peter ') 
den Kanzler Grafen Woronzow mit dem Befehl nad 
St. Peteröburg, der Kaiferin fein Erftaunen über das 
Vorgehende zu bezeigen, und fie zu fich felbft und zu 
dem Gehorfam gegen den Kaifer zurüdzuführen. Der 
Kanzler fand den Platz vor dem Schloffe von Truppen 
erfüllt, welche Katharinen bereitd anerkannt hatten. Er 
entledigte fich feines Auftrages würdig und gut, erhielt 
aber abjchlägige Antwort. Man wollte ihm nicht erfau: 
ben, nach Peterhof zurüdzußehren, und er verlangte und 
erhielt Erlaubniß, an Peter zu fchreiben, um ihm von 
dem geringen Erfolge feines Auftrages Nechenfhaft zu 
geben. Er zeigte feinen Brief, welcher guf gefchrieben 
war und mit den Worten ſchloß: dag, nachdem er der- 
geftalt feiner Pflicht gegen feinen Gebieter Genüge ge: 
leiftet,, er fih dem Willen des Volkes ergebe, indem 
er der Souverainin huldige, die fih thatfächlich auf dem 
ruſſiſchen Throne befinde. 

Erft nad Erpedirung dieſes Schreibend ging der 
Straf Woronzow in die Kapelle, um Katharinen Treue 


1) Die erfte Nachricht von den Vorgängen in Petersburg fendete 
ihm der Staatsrath Breffan, in einigen franzöfifhen Zeilen, mit 
denen er einen als finnifher Bauer verfleideten Bedienten abſchickte. 
Shen vor dem Empfang diefes Billets hatte die Nachricht, daß Pie 
Kaijerin vermißt werde, Verdacht ermedt. Außer Worongom gingen 
auch Trubegfoy und Schuwalow nah St. Petersburg, um nidt 
wiederzufehren. Für Breſſan hatte die Sache fpäter Feine nachthei⸗ 
ligen Zolgen, als dic Entziehung eines Ordens. Schumalow erhielt 
von Katharinen die Weilung, St. Petersburg zu verlaffen, und den 
alten, mürrifhen Mohren des Kaifers Peter II. zum Geſchenk. 
Breſſan ftammte aus Monaco und war als Frijeur nad &t. Peters⸗ 
burg gefommen, durch Peter aber zu Ehren und Wuͤrden befoͤrdert 
worden. 


Die ruffifche Thronrenolution von 1762. al 


zu ſchwören. Alles ging gut; aber man mußte ſich der 
Derfon Peter's verfihern. Es fchien zu gefährlich, ihn 
in Freiheit zu laſſen; er hatte taufend Mittel zum Ent- 
fommen und jeder andere Menſch, der nicht fo ſchwach 
gewefen wäre, wie er, würde fich derfelben bedient haben. 

Alle diefe Anordnungen befchäftigten die Kaiferin den 
Freitag und den Sonnabendmorgen. Endlih am Nach⸗ 
mittag des Sonnabends ftelte fie ſich an die Spike 
aller der Zruppen, von denen fie ſich hatte anerkennen 
laflen und zu denen unterweges die NRegimenter fließen, 
die auf Befehl des Kaiferd auf dem Marfch waren, und 
verließ St. Peteröburg, um nach Peterhof zu gehen. 
Herr von Panin follte fie begleiten. Dan ließ daher den 
Sroßfürften in den Händen ded Senats und fpeciell in 
denen Des Hrn. von Nepluyef, und befahl ihm, alle halbe 
Stunden einen Courier nach Peterhof abgehen zu laſſen, 
um alles, was in der Hauptfladt vorging, anzuzeigen. 
Jeder Senator war genöthigt, diefen Bericht zu unter: 
zeichnen. Dadurch hielt man fie beiſammen und bethei⸗ 
ligte Jeden befonderd bei der Sache SKatharinens. 

Auf der Straße von St. Petersburg nach Peterhof 
traf man oft bolfteinifche Hufaren '), welche Peter aus: 
gefendet hatte, um den Marſch der Kaiferin, von dem 
er Nachricht erhalten, zu recognofeiren. Man nahm fie 
alle gefangen und verficherte ſich zugleich aller Perfonen, 
die bei Peter gewelen waren?) und die ihn während 
der Nacht auf feiner Reife nad) Kronftadt verlaflen hatten. 


1) Die holfteinifhen Offiziere in Petersburg hatten natürlih den 
Eid verweigert. Prinz Georg Ludwig von Holftein hatte zum Kai⸗ 
fer eilen wollen, ward aber verhaftet. Treu blicben noch der Flü⸗ 
geladiutant Naifer, der Generalmajor v. Tott, der Obrift v. Bud⸗ 
berg und die Gardecapitains Schepelow und Woyckow. Alle blichen 
bis zum Austrag der Sade in Haft. 

3) Es war eine glänzende Gefellfhaft beim Kaifer geweſen, bes 


42 Die ruffifche Thronrevolution von 1762, 


Unter ihnen befand fich der Wicefanzler Fürſt Gali- 
zin, der von Peter mit einem Briefe abgeichicdt war, 
worin er ſich der Kaiferin Katharina unterwarf (?), und 
der im offenen Lager den Eid des Gehorſams an Ka- 
tharina ') ablegte. Auf der Hälfte diefed Weges, auf 
weldhem man mehrmals hatte Halt machen müflen, um 
den Truppen einige Raft zu gönnen, brachte ein Cou⸗ 
rier von Peter Katharinen die Nachricht, daB er nad 
Kronftadt gegangen fi. Man wußte noch nichts von 
dem Stande der Unternehmung Zalyzin’s, fürchtete aber, 
Daß Peter, wenn er Kronftadt verfchloffen gefunden, auf 
den Gedanken kommen möchte, zu Wafler nah Et. 
Peteröburg zu geben, um fih dem Wolfe zu zeigen. 
Diefer Verdacht führte zu dem Entichluß, daß Herr von 
Panin, von einer Escorte von 24 berittenen Garden 
begleitet, zu Pferde in die Hauptftadt zurückkehren und 
dabei den linken Ufer der Newa folgen möge, um jedes 
vorbeifommende Zahrzeug zu beobachten. Er bemerkte 
eined nicht fern von der Stadt, das fich immer am 
entgegengefegten Ufer hielt. Man ließ ihm zurufen, 
daß es fich dem andern Ufer nähern möge. Ein Mann, 
der das Anjehen eines Offizierd hatte, erhob fih und 
antwortete, DaB er ed nicht wage, beranzufommen. 
fonderd an vornehmen Damen zablreihd. Am 7. Zuli war au die 
Kaiferin in Dranienbaum und wurde mit großen Ehrenbezeigungen 
empfangen. Am 8. Juli faben ſich Kaifer und Kaiſerin zum legten 
Male, in Goftiliz, bei einem Zefte, was der Generalfeldmarfchall 
en Raſumowsky gab. Diefen ließ Peter hierauf als Geis 
" 1) Katharina trug die Uniform der Garde zu Zuß, und zwar 
die des Grafen Strogonow, den Andreadorden, auf dem Hut einen 
Eichenzweig, die Haare fliegend, mit einer einfahen Schleife, und 
ritt einen weißgrauen Tigerhengſt. So ließ fie fih aud malen. 
Unter ihr commanpirten Wolkonsky und Billebois. Neben ihr ritten 


der Hetman Raſumowsky und Iwan Schumalsw. Sie hatte 
15,000 Mann und die Daſchkow. 


Die ruſſiſche Thronrevolution non 1762. 43 


Das vermehrte den Verdacht; aber als diefer Dann fich 
etwas deutlicher gezeigt hatte, bemerkte man, daß es der 
Adjutant Zalyzin’d war, der die Nachricht brachte, Pe 
ter habe in jenen Platz (Krenftadt) einzuziehen verfucht, 
fei aber nicht angenonmen und fein General Diviers 
fei gefangen genommen worden. 

Herr von Panin ging nichtödefloweniger in die Stadt 
(St. Peteröburg), wo alles ruhig war. Katharina war 
inzwifchen in Peterhof angelangt, von wo der Brief, 
den Peter durch den Vicefanzler Galizin geſchickt hatte '), 
beantwortet ward. Katharina verlangte von ihm eine 
eigenhändige fürmliche Entfagungsurfunde, deren Faſſung 
fie ihm vorfchrieb. Peter fchrieb alles mit eigener Hand 
und wurde mit feiner Maitreſſe Woronzow und zwei 
andern Serfonen ?) in einer Garroffe von Dranienbaum 
nach Peterhof gefchafft. 

Herr von Panin kam noch vor Peter dafelbft wie⸗ 
der an. Der Soldat war fo aufgebracht gegen den 
Kaifer und die Maitreffe, dag Herr von Panin felbft 
300 Mann einzeln auswählen mußte, um ein Quarre 
an dem Pavillon zu bilden, an welchem Peter ausfteigen 


1) In diefem Schreiben bot er der Kaiferin Theilung der Ges 
walt an. Muͤnnich und Gudowitſch tadelten ihn entjchieden, da jegt 
nichts mehr dadurch zu gewinnen fei. Da nicht fofort eine Antwort 
erfolgte, fo ſchrieb er einen dritten Brief, worin er nur um eine 
Penfion und freien Abzug nad Holftein bat. Diefen Überfhidte er 
durch Michagel Ismailow, der darauf gewonnen ward, ihn zu den 
Schritten zu überreden, die die Partei der Kaiferin wünſchte. Pe⸗ 
ter hatte inzwifhen eine vollftändige Entwaffnung vorgenommen, 
während Muͤnnich ibm rieth, wenigſtens ald Kaifer zu fterben, wenn 
er nit als Kaifer zu leben wife. Mit Ismailow gingen Galizin 
und Gregor Drlow nad Dranienbaum. Jsmailow brachte ihn halb 
tur Berfprehungen, halb durch Drohungen zur Unterzeichnung der 
Abdankungsurkunde. 

2) Gudowitſch und Ismailow. Unter den Gardereitern, die den 
Wagen ald Wache begleiteten, war auch Potemkin. 


44 Die ruſſiſche Throurevolution von 1762. 


folte. Es bedurfte dieſer Vorkehrung, um zu verbin- 
dern, daß nicht der betruntene und ermüdete Soldat . 
fi) an ihm vergreife ’). 

Peter, der bereits der Krone entjagt hatte, verlangte 
als einzige Gnade, Daß man ihm die Gräfin Woronzow 
lafle._ Here von Panin war genöthigt, ihn in Dielen 
Momenten zu fehen. Er fagte mir wörtlich: „Ich rechne 
es zu den Unglücksfällen meines Lebens, Daß ich gend: 
thigt gewefen bin, ihn zu fehen. Ich fand ihn Thränen 
‚ vergießend, und während Peter meine Hand zu ergreifen 
fuchte, um fie zu küſſen, warf ſich feine Maitreffe auf 
die Kniee, um die Gnade zu erbitten, bei ihm bleiben 
zu dürfen. Er verlangte nichts, ald das, nicht einmal, 
die Kaiferin zu ſehen“ ”). 

Herr von Panin fuchte, ihm ſobald als möglich aus 
dem Geficht zu Fommen. Er verfprach ihm?) eine Ant- 
wort von Katharinen, ließ fie ihm aber durch Iemand 
anders zuftellen. Diefe Antwort war verneinend. Pe: 
ter wurde mit zwei Offizieren in eine Garroffe gethan, 
um nad Ropſcha)) gebracht zu werden. 


1) Wenn der Berfaffer der Biographie Peters III. Recht hat, 
fo Fönnte es doch noch einen andern Grund zu dieſer Mafregel ge⸗ 
geben haben. Hiernach hätten namentlih die Kofafen Mitleid mit 
dem Kaifer gehabt, wie fie ihn als Gefangenen faben, hätten wies 
derholt laut gerufen: „wird er e5 leiden?’ und erft als er Teinerlei 
Antwort gab, binzugefegt: ‚laßt ihn gehen, er ift es nit werth!“ 
— Als er auögeftiegen war, wurde ibm der Andreasorden abgeriffen 
und ihm geheißen, ſich zu entkleiven, worauf er, da nit ſogleich für 
andere Kleider aeforgt war, im Hemde und barfuß daftand. In feis 
nen Zafhen fand man einige Rollen Gold und koſtbare Juwelen. 

2) Nah der angeführten Schrift hätte er von Panin allerdings 
eine Unterredung mit der SKaiferin verlangt; fie hätte es ihm aber 
abgefchlagen und nur Gnade für Gudowitſch und die Woronzow zu⸗ 
gefagt. 

3) Nach derfelben Quelle fol er ihm nod die Ausſicht eröffnet 
baben, fpäter doch nad Holftein geſchickt zu werden. 

4) Ein Faiferlihes Landgut in der Nähe von Petersburg. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 45 


Seine Maitreffe wurde in einen Schlafmagen ge 
bracht, wo fie Niemand fehen fonnte, und nad Mos⸗ 
fau geführt. Sie ift fpater an den Brigadier Poljansfi 
verheirathet worden. 


ge 


Soweit dad Memoire. Während Die Kaiferin ſich 
ruhig in den vollen Beſitz der Regierungsgewalt ſetzte, 
war Peter auf die Gefellfchaft von aus den Freunden 
der Orlows gewählten Offizierd und Sergeanten der 
Sarde beſchränkt. Er bat um eine Bibel, eine Violine, 
einige Romane, feinen Mohren ') und einen Lieblings⸗ 
hund. Auch dies fchlug man ihm mit ſpöttiſchen Be: 
merfungen ab. Seinen Zod wollten zunächſt die Dr: 
lows, tbeild ihrer Sicherheit halber, theild weil Gregor 
Drlow den Plan einer Vermählung mit der Kaiferin 
hegte. Man fuchte auch in der Kaiferin wenigftend den 
Gedanken zu nähren, daß es befjer fein würde, wenn 
er ſtürbe. In Holftein fände er eine ruffiiche Armee, 
deren Stimmung man noch nicht kenne. Dort fländen 
ihm die Rathichläge des Königs von Preußen zur Seite. 
Auch ward die Stimmung im Lande, nachdem der cerfte 
Zaumel verflogen war, bedenflih. Dies fol auch auf 
Panin Eindrud gemacht haben. Ob aber das Gerücht, 
daß Diefer über den Ermordungsplan zu Rathe gezogen 
worden fei und ihn gebilligt babe, gegründet ift, laſſen 
wir Dahingeftellt fein ?). 


1) Den fpäter Schumalew erhielt. 

3) Die Behauptung des ohnedies höchſt unzuverläffigen v. Sal- 
dern (Biographie Peters 111.), als hätte Panin fi laut und be» 
ftändig dagegen erklärt, mögen wir jedoch, nad dem obigen Mer 
moire und den Angaben anderer Schriften, auch nicht verbürgen. 


44 Die ruffifche Thronrevolution von 1162. 


folte. Es bedurfte Diefer Vorkehrung, um zu verhin⸗ 
bern, daß nicht der betruntene und ermüdete Soldat . 
fih an ihm vergreife ’). 

Peter, der bereitö der Krone entfagt hatte, verlangte 
als einzige Gnade, daß man ihm die Gräfin Woronzow 
laſſe. Herr von Panin war genöthigt, ihn in Diefen 
Momenten zu fehen. Er fagte mir wörtlich: „Ich rechne 
es zu den Unglüdsfällen meines Lebens, Daß ich genö- 
thigt gewefen bin, ihn zu ſehen. Ich fand ihn Thranen 
‚ vergießend, und während Peter meine Hand zu ergreifen 
fuchte, um fie zu küſſen, warf fich feine Maitrefle auf 
die Kniee, um die Gnade zu erbitten, bei ihm bleiben 
zu dürfen. Er verlangte nichts, ald das, nicht einmal, 
die Kaiferin zu fehen‘‘ ”). 

Herr von Panin fuchte, ihm ſobald als möglich aus 
dem Geficht zu kommen. Er verſprach ihm?) eine Ant: 
wort von Katharinen, ließ fie ihm aber durch Iemand 
anders zuftellen. Diefe Antwort war verneinend. Pe 
ter wurde mit zwei Offizieren in eine Carroſſe gethan, 
um nach Ropfcha ’) gebracht zu werden. 


1) Wenn der Berfaffer der Biographie Peter’s II. Recht hat, 
fo Fönnte es doch noch einen andern Grund zu diefer Mafregel ges 
geben haben. Hiernach hätten namentlid die Kofafen Mitleid mit 
dem Kaifer gehabt, mie fie ihn als Gefangenen faben, hätten wie 
derholt laut gerufen: „wird er e5 leiden?’ und erft ale er keinerlei 
Antwort gab, binzugefegt: ‚laßt ihn gehen, er ift es nit werth!“ 
— AS er auögeftiegen mar, wurde ihm der Andreasorden abgertffen 
und ihm geheißen, ſich zu entfleiven, worauf er, da nicht ſogleich für 
andere Kleider aeforgt war, im Hemde und barfuß daftand. In feis 
nen Zafhen fand man einige Rollen Gold und koſtbare Juwelen. 

2) Nach der angeführten Schrift hätte er von Panin allerdings 
eine Unterredung mit der SKaiferin verlangt; fie hätte es ihm aber 
abgeſchlagen und nur Gnade für Gudowitſch und die Woronzom zu⸗ 
gefagt. 

3) Nach derfelben Quelle fol er ihm nod die Ausſicht eröffnet 
haben, fpäter doch nach Holftein gefchickt zu werden. 

4) Ein Faiferliches Landgut in der Nähe von Petersburg. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 45 


Seine Maitreffe wurde in einen Schlafwagen ge- 
bracht, wo fie Niemand fehen fonnte, und nah Mos⸗ 
kau geführt. Sie ift ſpäter an den Brigadier Poljanski 
verheirathet worden. 


Soweit das Memoire. Während die Kaiferin fich 
ruhig in den vollen Befig der Negierungsgewalt febte, 
war Peter auf die Gefelfchaft von aus den Freunden 
der Orlows gewählten Offizierd und Sergeanten der 
Garde beſchränkt. Er bat um eine Bibel, eine Violine, 
anige Romane, feinen Mohren ') und einen Lieblings⸗ 
hund. Auch dies fchlug man ihm mit fpöttifchen Be: 
merfungen ab. Seinen Zod wollten zunächſt die Dr: 
lows, theils ihrer Sicherheit halber, theild weil Gregor 
Orlow den Plan einer Vermählung mit der Kaiferin 
beste. Man fuchte auch in der Kaiferin wenigftend den 
Gedanken zu nähren, daß es befler fein würde, wenn 
er ſtürbe. In Holftein fande er eine ruffifche Armee, 
deren Stimmung man noch nicht kenne. Dort fländen 
ihm die Rathfchläge des Königs von Preußen zur Seite. 
Auch ward die Stimmung im Lande, nachdem der cerfte 
Zaumel verflogen war, bedenflih. Dies fol auch auf 
Panin Eindrud gemacht haben. Ob aber das Gerücht, 
daß Diefer über den Ermordungsplan zu Rathe gezogen 
worden fei und ihn gebilligt habe, gegründet ift, laſſen 
wir dahingeſtellt fein ?). 


1) Den fpäter Schuwalew erhielt. 

3) Die Behauptung des ohnedies höchſt unzuverläffigen v. Sal⸗ 
dern (Biographie Peter's III.), als hätte Panin fi laut und be⸗ 
ftändig dagegen erklärt, mögen wir jedoch, nad dem obigen Mer 
meire und den Angaben anderer Schriften, auch nit verbürgen. 


46 Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 


Peter wurde Frank und die Kaiferin ſchickte ihm fo- 
fort einen geſchickten deutſchen Wundarzt, Namens Lü— 
derd. Died muß in ehrlicher Abficht gefchehen fein, Denn 
man wendete fi) an einen andern Leibarzt, um fich von 
diefem vergiftefen Burgunder beforgen zu laflen, mit 
welchem Alerander Orlow am 17. Juli nah Ropfcha 
ritt. Ihn begleiteten Gregor Drlow, der jüngfte Fürft 
Borjatinsky, Teplow, der Schaufpieler Wolkow und ein 
Gabinetscourier. In Ropſcha wurden noch der ältere 
Fürft Borjatinsky, der Sergeant Engelhardt und zwei 
Sardefoldaten eingeweiht. Teplow und Alerander Dr: 
low gingen zuerft zu Peter, der unangekleidet am Zifche 
faß und den Plan einer Feſtung zeichnete. Sie fündig: 
ten ihm an, daß er bald in Freiheit gefegt werden 
würde, und baten um Erlaubniß, mit dem andern Dr 
low und dem jüngern Borjatinsky bei ihm zu fpeifen. 
Er bewilligte ed mit Vergnügen und verlangte felbft 
- Burgunder. Kaum hatte er ein Glas getrunken, als 
er die Vergiftung merkte und in bittere Klagen aut: 
brach. Er verlangte Milch, die man ihm aud) gab und 
die ein heftiges Erbrechen erzeugte. Die Mörder gin- 
gen hinaus und hielten einen Blutrath. Dann traten 
fie Alle herein und Alerander Orlow padte Peter am 
Halfe. Als diefer aber auffprang, ihm ind Geficht 
fragte und zu ihm fagte: „was habe ich dir gethan?“ 
ließ ihn Orlow los und lief in rathlofer Verwirrung 
umber. Endlich griff man zu, warf Peter aufd Bette 
und wollte ihn mit einem Kiffen erftiden. Dann warf 
man ihn auf einen Xehnftuhl, dann auf die Erde. Sein 
Geſchrei fol entfeglich geweien fein. Endlich machte der 
ältere Borjatindfy aus einer Serviette eine Schlinge 
und warf fie ihm um den Hald. Die Mörder hatten 
ihn unter fi, hielten ihm Hände und Füße, traten und 


Die ruffifche Thronrenolntion von 1762. 47 


fnieten ihm auf Bruft und Leib herum und Engel- 
bardt ') zog endlich die Schlinge zu! — Teplom ’), der 
jüngere Borjatinsfy und Gregor Orlow follen bei der 
Srauenfcene nur Zufchauer gewelen fein. — Nun rief 
man den Chirurgud Lüders, der ſchon vorher ins Zim⸗ 
mer getreten, aber von den Soldaten ’) berausgeftoßen 
worden war. Man fagte ihm, der Kaifer, den er todt 
fand, habe einen Blutſturz befommen. 

Alerander Orlow ritt fogleih nah St. Peteröburg 
und ließ Die Kaiferin, welche Geſellſchaft bei ſich hatte, 
berausrufen. Sie erichrat heftig, als fie ihn fah, wor: 
auf er ihr in zweideufigen Ausdrüden fagte, Peter fei 
eined natürlichen Todes geftorben. Sie beklagte, daß 
dies in folcher Zeit gefchehen fei, die dem Verdacht fo 
viel Raum gebe, und ließ Panin rufen. Panin rieth, 
die Sache jegt zu ignoriren und erft den andern Tag 
zu veröffentlichen, worauf Katharina zur Geſellſchaft zu- 
rückging und ruhig die Gefchichte, in deren Erzahlung 
fie begriffen war, fortiegte. Am andern Zage dagegen 
legte fie den größten Kummer an den Zag. ALS fie die 
Art des Todes erfuhr, war fie unwillig über den un- 
bedachten Eifer, der ihr einen fo böfen Verdacht berei- 
tete. Man erließ ein Manifeft, worin man den Tod 


1) Er ftarb als General und Gouverneur von Wiborg. 

2) Er war der Berfaffer der Manifefte und ftarb als Geheime⸗ 
rath und Senater. Der jüngere Borjatinsky ward fpäter Gefand- 
ter, der Ältere Dberhofmarſchall. Gleichzeitige Gerüchte (de Flas- 
san, Hist. de la diplomatie francaise, V, 338) bezeichnen gerade 
Driow und Teplow ald Die, welde fi zuerſt auf Peter geworfen, 
und dann Borjatinsty und — Potemkin zu Hülfe gerufen hätten. 
Potemkin's Theilnahme Tann aber mit ziemlicher Beftimmtheit in Ab- 
rede geftellt werden. 

3) Die beiden Gardeſoldaten follen DOffizieröftelen und Geld er: 
halten haben, aber bald darauf getödtet worden fein, weil man ihre 
Plauderhaftigkeit fürdhtete. 


48 Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 


des gewefenen Kaiferd einer Hämorrhoidalkolik zufchrieb. 
Ein Leibarzt mußte in einem Berichte fagen, Peter 
habe einen Polppen im Leibe gehabt. Es Hatte aber 
gar Feine Deffnung flattgefunden und der Arzt fol, ale 
ihm die Leiche gezeigt werden follte, ganz troden ge 
fagt haben: „Sch habe den Kaifer lange genug gefannt, 
um zu wiflen, baß er nicht länger leben konnte.“ Die 
Zeichen des gewaltfamen Todes waren nicht zu verken⸗ 
nen, und namentlich die am Halfe Fonnte man nur durch 
eine ungewöhnlich ſtarke Haldbinde verbergen. In der 
Nacht vom 18. zum 19. Juli wurde der Leichnam in 
das Alexander⸗Newsky-Kloſter gebracht und vom 19. an 
Sedermann der Zutritt geftattet. Ungeachtet Die Aus: 
flattung unmwürdig farg war, fand doch ein ungeheurer 
Zulauf des Volkes ftatt, das dem Gefchiedenen nad) 
ruffifcher Sitte die Hand küßte. Der alte Feldmarfchall 
Fürſt Trubetzkoi rief ganz treuberzig: „ach, Peter Fedoro⸗ 
witſch, was haben fie dir für eine dicke Halsbinde um⸗ 
gebunden; fo feſt haft du fie ja nie getragen“, und 
wollte fie ihm abreißen, woran ihn aber die Wachen 
verhinderten. Am 21. Juli wurde die Leiche, die im 
Geſicht ganz ſchwarz geworden war, von vier Hofbe 
dienten in die Gruft getragen. Die Seelenmeflen ver: 
gaß man, worauf fräter die Pjeudopeters die Behaup⸗ 
tung flügten, daß Peter gar nicht todt fei. 

Eine eigentlihe Verfolgung der Anhänger Peters 
fand nicht ftatt. Gudowitfch ward auf feine Güter ver- 
wiefen. Obriſt Budberg nahm feinen Abfchied. Die 
Vebrigen machten ihren Frieden mit der Regierung. Prinz 
Georg Kudwig erhielt die Statthalterfchaft von Hol 
ftein. Die holfteinifchen Soldaten wurden nach) Haufe 
it, ertranfen aber meiftens in der Nähe von 

adt. 





Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 49 


Sieben Pfeudopeters ') verfuchten es nach und nach, 

unter Dem Namen des gemordeten Kaifers zur Gewalt 
zu gelangen. 34 Jahre nach feinem Tode, anı 19. No⸗ 
venber 1796, ließ der Sohn des Gemordeten, der Kai: 
fer Paul, den Sarg feined Vaters öffnen; daranf Frönte 
er die Leiche feierlich im Sarg. Nach noch mehrern 
Zeierlichkeiten ließ er am 18. December Peter’d Sarg 
neben dem der Kaiferin Katharina in der Feftungskirche 
beifegen. und bei dieſen Ceremonien mußten Alerander 
Orlow und der ältere Fürft Borjatindfy mitwirken. Der 
treue Adjutant des Kaiferd Peter III, Baron Ungern- 
Sternberg, ward zum General ernannt und Kaifer Paul 
umarmte ihn und hing ihm den Alexander⸗Newsky-⸗Or⸗ 
den um. . 
Als Zriedrih H. durch den General Zfchernitfchew 
die Entthronung Peter’d erfuhr, fagte er’): „Ich bin 
gewiß, Daß dieſer Fürft nicht mehr lebt; er ift mit dem 
Schwert in der Hand geftorben.” 

Noch lebte ein Zhronprätendent in Rußland, der 
unglüdfiche Iwan IH., der, am 23. Yuguft 1740 ge 
boren, am 28. Dctober 1740 auf den Thron erhoben, 
am 5. December 1741 von demfelben geflürzt und erft 


1) Zuerſt 1767 ein Schuhmader ans Woroncfh, der glei ge= 
töntet ward. Dann cin von Mönchen geleiteter Bauersfohn Tſcher⸗ 
nitſchew von einem Gute diefer Zamilie, der 1770 cinen Aufruhr 
in der Nähe der Krim erregte, aber von einem DObriften gefangen 
und entbauptet wurde. 1771 ein Arzt, Stephan, im Ardipelagus, 
gegen deſſen Anhänger die Türken felbjt auftraten und der entfloben 
und verſchollen iſt. 1772 ein Bauer von den Gütern der Worons 
zows, der unter der Sinute ftarb; cin Bauer aus den uralifdhen 
Gebirgen, dem die Flucht glücktez ein aus Irkuzk entfprungener Bers 
breder, der zu Tode geknutet ward; endlich der berufene Pugat- 
ihew, der nad großen Erfolgen am 24. Zanuar 1774 zu Meskau 
hingerichtet ward. 

2) &o erzählte Graf Panin dem Berfaffer obigen Memoirce. 

1. 3 


50 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


zu Iwanogrod bei Narwa, fpäter zu Schlüffelburg, dann 
furze Zeit zu Kerholm, dann wieder zu Schlüffelburg 
gefangen gehalten wurde. Peter III hatte ihn, im April 
1762, von Gudowitſch, Ungern-Sternberg, Leo Nariſch⸗ 
fin, v. Korf und Wolkow begleitet, in Schlüffelburg 
befucht, und zwar nicht ohne natürliche Befähigung, aber 
als ein Opfer gänzlicher Vernachläffigung gefunden. Der 
Unglückliche klagte, daß nur ein einziger Offizier unter 
allen, die ihn bewacht, ihn menſchlich behandelt habe. 
Nach den Namen befragt, nannte er Korf, der darüber 
in helle Zähren ausbrach. Auch Peter weinte und drüdte 
die Hand des braven Korf. Er ließ Ungern-&ternberg . 
zurüd, um den Prinzen, der nur um reinliche Kleider 
und den ihm graufan entzogenen Genuß des Tage 
fichtd bat, näher zu prüfen. Das Refultat war, daß 
Deter beichloß, Iman noch ferner gefangen zu halten, 
aber ihn in Schlüffelburg möglichft frei und gut zu ſtel⸗ 
len, weshalb er den Bau eines Haufes für den Prinzen 
beginnen ließ, welches unvollendet geblieben if. Nach 
Peter's Tode erihien Iwan der Katharina, die gar Fein 
Recht zum Throne befaß, weit gefährlicher, als er Pe 
ter erfcheinen Fonnte. Ein Lieutenant Mirowitich, aus 
der Ukraine, machte am 5. December 1764 einen Ver⸗ 
fu), ihn zu befreien, und auf Anlaß diefes Verſuches 
ward der Prinz von den übrigen Offizieren, in Kraft 
eines Altern, für einen folhen Fall gegebenen Befehls 
der Kaiferin Elifabeth, ermordet. Mirowitfch wurde 
hingerichtet; die Soldaten, die ihm gefolgt waren, wur- 
den nad) Sibirien geſchickt. Man hat oft geglaubt, daß 
Mirowitfch zu feinem Unternehmen von der Hofpartei 
feldft, unter Misbrauch feiner Unerfahrenheit und Leicht⸗ 
gläubigfeit, angeftiftet worden fe. Dem Water des 
Unglüdlichen,. dem Prinzen Anton Ulrich von Braun- 


Die ruſſiſche Ihroncevolation von 1762. 51 


fhweig (geb. 28. Yuguft 1714), der zuleßt mit den 
Seinigen in Scholmogory im Gouvernement Archangel 
gelebt hatte und erblindet war, bot Katharina jest die 
Freiheit an; er fol fie aber ausgefchlagen haben und 
farb 1780, nah Andern ſchon am 16. Mai 1774, 
nach noch Andern 1775, in der Gefangenfchaft. ') Seine 
Gemahlin, die Regentin Anna von Mecklenburg, war 
ihm ſchon am 18. März 1746 im Zode vorausgegangen. 
Sie hatten in der Sefangenfchaft noch vier Kinder er- 
zeugt, Die nun ganz verwaift, einfam, in einem fernen 
Winfel des Reiche lebten und in Feiner Weiſe für die 
größere Welt gebildet waren, übrigens aber eine fanfte, 
demüthige und Tiebevolle Familie bildeten. Es waren 
bied: Katharina, die noch im Schooße bes äußeren 
Glückes, in St. Peteröburg, am 26. Juli 1741 gebo- 
ren war und alle ihre Gejchwifter überlebt hat, aber in 
früher Kindheit das Gehör verlor und auch mit der 
Sprache fehr behindert war. Clifabeth, in Dünamünde 
am 16. November 1743 geboren, Die Fähigfle von 
Alen und die Wortführerin und liebevolle Leiterin ihrer 
Gefchwifter. Peter, 1745, und Alexis, 1746 in Schol: 
mogory geboren. Die Geburt des Letztern Foftete ſei⸗ 
nee Mutter das Leben.) 1780 entihloß fich die Kai- 
ferin Katharina IL, den Verwaiſten ein freundlicheres 


1) Wir finden in guten Quellen alle diefe Angaben. Die genea⸗ 
logifhen Handbücher jener Zeit führen den Prinzen bis 1780 noch 
eld lebend auf. Dies könnte aus Unbefanntfhaft mit feinem Tode 
erflärt werden. Indeß bat das Jahr 1780 darin etwas für fi, 
daß eben in diefem Jahre die Kaiferin die erften Schritte that, die 
Kinder aus Rußland zu entfernen. - 

2) Rad andern NRachrichten wäre fie aus Schwermuth geftorben, 
weil man fie, um ihrer ferneren Fruchtbarkeit vorzubeugen, von 
ihrem Gemahi getrennt und in dem Klofter Solomli untergebradt 
gehabt hätte. 

3% 


52 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 


und freieres ’) Aſyl zu gewähren, und fie wendete fid 
deshalb an die Schwefter des Waters derfelben, die ver- 
witwete Königin von Dänemark, Juliane Maria, bie 
aus den Struenfeeihen Handeln nicht vortheilhaft be 
kannt ift, mit dem Antrage, die betreffende Familie, auf 
ruffifche Koften, in Norwegen unterzubringen. Der di 
nifhe Hof nahm den Antrag mit Dank an, brachte 
aber, ftatt Norwegens, Jütland und zwar die Heine 
Stadt Horlens in Vorfchlag, worauf man auch einging. 
Die Weberfiedelung ward hauptſächlich durch den Gehei⸗ 
menrath Melgunow geleitet, der auch über die Familie 
felbft und. feinen Verkehr mit ihr intereffante Berichte 
gegeben hat, die fi) in den Acten der Faiferlich ruſſi⸗ 
fehen Akademie befinden. Die Kaiferin fegte den Ge 
fchwiftern einen Iahrgehalt von 32,000 Rubeln aus, 
der fich auch bei dem Abfterben Einzelner nicht vermin- 
derte und zulegt ganz der Prinzeffin Katharina zu Theil 
ward, gab auch 40,000 Rubel zur erften Einrichtung 
ber. In Bergen übergab ihnen der ruffiiche Beauftragte 
2000 Holländische Ducaten ald Taſchengeld, wogegen fie 
3000 Rubel an Gefchenken vertheilten. Sie kamen am 
10. September, auf der ruffifchen Fregatte Polarftern, 
in Bergen an, wo fie das danifche Kriegsihiff Mars 
erwartete und fie am 5. October in Aalburg and Land 
fegte, von wo fie am 17. Detober in Horſens eintrafen. 


1) In Schoimogory durften fie, jedenfalls um in feine Beruͤh⸗ 
rung mit dem Bolke zu fommen, Haus und Garten nicht verlaffen und 
baten rührend um Erlaubniß, aufder Wiefe herumgehen zu dürfen, weil 
fie gehört hatten, Daß es dort Blumen gäbe, die fi in ihrem Gars 
ten nicht fünden. Weiter baten fie um den Befuh der Offliziers⸗ 
frauen, um einen Schneider, um Jemanden, der ihnen fagen Fönnc, 
wie fie die ihnen von Petersburg zugefendeten Hauben und Muͤtzen 
aufzufegen hätten, und um erhöhten Lohn und freien Ausgang für 
ihre Diener. 


Die rufſiſche Ihrenrennintion von 1762. 53 


Auf Der Reife hatten fie der Commandant von Schlüf- 
felburg, Obriſt Ziegler, und die Witwe Lilienfeld mit 
deren beiden Töchtern begleitet. Schmerzlidy aber war 
e8 für fie, daß nun alle Rufien, mit Ausnahme der 
Kirchendiener, nad) Rußland zurüdkehrten. Sie waren 
in einer ihnen fremden Welt, wie Verichlagene auf frem- 
dem Boden, und diefe Lage ward peinlicher, wie ihr 
Kreis fich verengerte. Elifabeth, die Leiterin der Ge- 
fhwifter, flarb zuerft, ſchon am 20. October 1782. Ihr 
folgte der jüngfte Prinz Alexis am 22. Detober 1787. 
Der ältere Prinz Peter lebte bid zum 30. Sanuar 1798 
und Katharina, Die Zaube, deren Sprache faft nur ihre 
Gechwifter verftanden, "die faft nur mit Ddiefen, mit 
ihnen aber fehr gut, fich unterreden Eonnte, fland nun 
allein, unter, wie es fcheint, egoiftifchen und theilnahms- 
ofen Umgebungen. Sie wünſchte fid) nah Rußland 
zurück und Nonne zu werden. Bor ihrem ode fchrieb 
fie noch an den Katfer Alerander und bat um Penſio⸗ 
nen für ihre Diener, was auch gewährt und noch auf 
die Witwen derfelben ausgedehnt ward. Ihr Vermögen 
vermachte fie dem damaligen Erbprinzen, nachherigen 
König Friedrih VI. von Dänemarf und flarb am 9. 
April 1807. 

Die Kaiferin Katharina U. hätte auch ihren Sohn 
fürchten können, deflen Recht fie zunächft verle&t hatte 
und den fie in der That auch, wenigftend fpäter, mit 
viel Mistrauen und Eiferfucht bewachte. Panin ') aber 
hatte ihn ermahnt, aus dem Geifte des ruſſiſchen Volks 
die Idee zu verdrängen, Daß die Krone des ruffiichen 


1) Sehr irrig läßt v. Saldern Panin die Urſache fein, daß Paul 
angeblih nicht für die Lebzeit feiner Mutter auf den Thron habe 
verzichten wollen, und will fogar Panin's Tod, gegen deffen Natür- 
lichkeit ſonſt keine Zeugniſſe ſprechen, damit in Verbindung bringen. 


54 Die ruſſiſche Thronrevolution ven 1762. 


Reichs der Preis einer Nacht des Aufruhrs und Blut 
vergießens fe. Wenn er auch fpat, wenn er aud) nie 
auf den Thron gelange, jo würde doch, bei ſolchem Ver: 
halten, der Thron feiner Nachkommen um fo ficherer 
fein, und er würde ihnen allen den größten Dienft ge 
leiftet haben. Der Eindrud diefer Ermahnungen fcheint 
Paul, der überhaupt Peter IH. auch in feiner ſtrengen 
Rechtlichkeit, wie in feiner Begeifterungsfähigkeit, wie 
aber auch in feinem launiſchen Starrfinn und feinem 
bizarren Weſen glich, auch nah Panin’d Tode begleitet 
zu haben. 

Nikita von Panin flammte aus einer italienifchen Fa⸗ 
milie und wurde feinem Water, der unter Peter I. Ge 
nerallieutenant war, im Jahre 1718 geboren. Er trat 
fehr jung bei der Garde der Kaiferin Elifabeth ein, 
wurde Kammerherr, 1747 Geſandter erft in Kopen⸗ 
bagen, dann in Stodholm und im Februar 1760 zum 
Oberhofmeifter des damals fechsiährigen Großfürften 
Paul ernannt. Nach der Revolution von 1762 über 
nahm er, erſt factiih, dann auch formell die Leitung 
des auswärtigen Minifteriums, welche der Reichskanzler 
Graf von Woronzow nur dem Namen nad) bie 1763 noch 
fortführte. Zur Theilnahme an jener Nenolution fol 
ihn zunächſt eine Neigung zur Daſchkow beftimmt haben. 
Indeg mag er ihren Hauptzwed unter allen Umftänden 
ald eine Nothwendigkeit erkannt haben, wenn er aud) 
mit vielem Einzelnen in ihrer Ausführung nicht einver⸗ 
ftanden geweſen. Konnte er auch den Uebeln ber Zeit 
und der Stellung nicht ganz entgehen, fo ift ihm dod 
nicht abzufprechen, daß er ein begabter, gediegener und 
patriotifcher Staatsmann und in feinem Srivatleben 
human und rechtfchaffen war. ine gewifle Indolenz 
und Trägheit wird ihm zum Vorwurf gemacht, und 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1162. 55 


mag nur zum Theil aus Grundfag '), zum Theil aus 
feinem Temperament, zum Theil aus fehwächlicher Ges 
fundheit gefloffen fein. Es beugte ihn tief, daB er im 
Mat 1768 feine Braut, die Gräfin Anna Petrowna 
Scheremetow, durch den Zod an den Poden verlor. 
Seinem ganzen Charakter nah war er nicht zu der 
Role eines dauernden Günftlings befähigt. Er Fonnte 
der weife und treue Rathgeber feined Monarchen fein, 
aber nicht das gefügige Werkzeug jeder Laune. Er 
Ihüßte auch die Kaiferin gegen ihre eigenen Schwächen, 
den Orlows, den Potemfind gegenüber, und wenn fie 
ihm das auch nachher im Herzen gedankt haben mag, 
fo ift es Doch nicht ohne Groll abgegangen und jeden- 
falld erwedte es ihm gefährliche Feinde. Seine Stel⸗ 
lung zum Großfürſten Paul, deflen Leiter er war und 
blieb, war eine weitere Duelle von mancherlei Mis⸗ 
trauen und Unmuth. Unter folchen Umftänden ift es 
jedenfalld ein Zeugniß des großen Anfehene, das er ge⸗ 
noß, daß. er bis an feinen Tod wenigftend im nomi⸗ 
nellen Befig feiner Aemter und Würden, lange Zeit 
auch im Vollbeſitz feines Einfluffes blieb, und wenn er 
auch in der lebten Zeit diefen nicht mehr befaß und nur 
noch den Namen bergab, died doch feinen Hauptgrund 
in der überhaupt veränderten Politik des ruſſiſchen 
Staat gefunden haben mag. Denn allerdings war er 
von Anbeginn an auf diefelbe Allianz mit Preußen ge 


1) Irren wir nicht, fo war ed Panin, welder äußerte, es fe 
fein Grundfag, nie ctwas heute zu tbun, was er auf morgen ver- 
fhieben koͤnne, während Münnid dagegen ald feinen Grundfag ans 
gab, nie etwas auf morgen zu verfchieben, was er heute thun koͤnne. 
Beide ſchrieben der Zefthaltung diefer Grundfäge ihre Erfolge zu 
und mochten, Iener als Diplomat, Diefer als Feldherr, fo Unrecht . 
nicht haben, obwol aud diefe Grundfäge cum grano salis Zu ver 
fteben find und der wahre Grundſat das: Alles zur reiten Zeit! ift. 


56 Die ruffifche Thronrevolution von 1762. | 


ftellt, an welcher Peter IIL geflürzt war, Die aber Panin 
freilich weit vworfichtiger und bemeflener pflegte. Ruß⸗ 
land aber neigte fih almalig zu Deflerreih, und Ka 
tharina wurde felbftändiger, feit fie.fich ficherer und 
mächtiger fühlte. 

Als jedoch Graf Panin, nach der erften Vermählung 
des Großfürften im Herbft 1773, feine Stelle ald Ober 
hofmeifter niederlegte, beeiferte fich die Kaiferin, Die ihn 
fhon 1767 in den Grafenftand erhoben hatte, ihm ihre 
Dankbarkeit für das gelungene Erziehungswerk glänzend 
darzulegen. Da er Die Kanzlerwürde ablehnte, fo wurde 
er doch mit den dieſer Würde eigenen Auszeichnungen 
und Vorrechten belieben und zum wirklichen Geheimen- 
rathe ernannt, erhielt auch eine Schenftung von 100,000 
Silberrubeln baar und Grundbefigungen von 9500 
Bauern, deren Ertrag man auf 28—29,000 Rubel 
jährlich fchagte, ferner eine Gehaltözulage von 30,000 
Rubeln jährlih zu den 14,000, die er bis dahin hatte, 
endlich 20,000 Rubel zu Anfchaffung von Silbergeſchirr 
und ein ausmeublirted und auf ein Jahr mit allen 
Wirthichaftsbedürfnifien verfehenes Hotel in St. Peterd- 
burg. 

Unter den 9500 Bauern, die ihm damals zugewieſen 
wurden, befanden fich 4000, die den neuen Erwerbun- 
gen in Polen angehörten. Diefe fchenkte er feinen brei 
vornehmften Bureaubeamten: Bafunin, Dubril und 
Vauloifin, und zwar that er Died deshalb, weil er ein 
Gegner der Zheilung Polens war. 

Kurz vorber hatte ihn der durch ihn felbft gefür- 
derte, wenn auch fchon vorher durch Peter IH. gehobene 
Geheimerath Kafpar von Saldern, über weldhen wir und 
Näheres für eine fpätere Zeit vorbehalten, ſtürzen wollen, 
indem er ihn erft mit dem Großfürften zu verzwiften, 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 57 


denn aber, zu der Partei der Orlows übergehend, Die 
Kaiferin mistrauifch zu machen ſuchte. Indeß hatte 
Saldern feine Intriguen fo bunt verfchürzt und nad) 
fo vielen Seiten hin unruhige Ränfe gefponnen, daß 
die Aufdelung, welche Panin nur aus Großmuth ver: 
zögerte, nicht fchwer war und fchon 1774 Panin an 
Saldern fchreiben konnte, daß er feinen Abfchied nehmen 
und fi) aus dem Dienfte zurüdziehen möge. 

Noch am 30. März 1783 hatte Graf Panin Gefellichaft 
bei fich gehabt, ſich, wie gewöhnlich, um Mitternacht 
zurücdgezogen und in feinem Schlafzimmer zum Leſen 
gefebt. Um 4 Uhr des Morgens (31. März) fchellt er 
feinem Bedienten, läßt ſich ausfleiden, nähert ſich dem 
Bette und fallt bewußtlos in daflelbe, in diefem Iethar- 
gifchen Zuftande verbleibend, bis er um 11 Uhr des 
Morgens verichied. Sein Neffe, der nachherige Mint: 
fie Graf Panin der Jüngere (f. d. folg. Aufſatz), 
fhrieb die Schuld dieſes Unfalls einem Mittel zu, das 
dee Hausarzt feines Oheims, Droft, verfchrieben ge: 
habt habe, um ihm Kräfte zurüdzuverfchaffen, die das 
herannabende Alter bei ihm gefchwächt hatte, und be= 
trachtete diefen Mann fletd mit Abfcheu. Der Groß- 
fürft Paul eilte ſogleich zu feinem erkrankten Lehrer, 
blieb bis zu deſſen Zode bei ihm und Füßte die Leiche 
mit thränenden Augen'). 


1) Bergl. die Denkwürdigkeiten — Freihern Achatz Ferdinand 
von der Aſſeburg (Berlin 1842) S. 410 fe. 


3* * 


Il. Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801, 


Die Denkichrift über die Revolution vom 12/24. Marz 
1801, die uns in Folgendem mitzutheilen vergönnt wird, 
ift im December 1504 von einem Staatsmanne verfaßt 
worden, der während eined mehr als dreijährigen Auf 
enthaltes an dem ruffiihen Hofe die zuverläffigften 
Nachrichten, die er fich über das fragliche Ereigniß ver 
fchaffen Fonnte, gefammelt hatte. Diefe Denkſchrift 
ruhte lange Zeit in feinem Portefeuille, ald ein glück⸗ 
liches Ungefähr ihm neue Materialien verfchaffte, durch 
die er feine Darftellung bereichern, weiter ausführen und 
beftätigen fonnte. Diefe Materialien beftanden 1) in 
der Abfchrift eines Berichts, den der in Rußland fun: 
girende Gefandfe einer großen Macht im Juni 1801 an 
feine Regierung gerichtet hatte und der hauptſächlich 
aus Mittheilungen gefchöpft war, die dem gedachten 
Gefandten von dem General Bennigfen gemacht worden 
waren. 2) In gewillen Aufzeichnungen, die Iemand, 
gegen dad Ende des Lebens des Generald Bennigfen, 
in Folge von vertraulichen Uinterredungen mit dieſem 
gemacht bat, als der General, zu einem hohen Alter 
gelangt, mehr ald 20 Iahre nach dem Ereigniß, fid 
nach Deutſchland zurüdgezogen hatte, wo er feine Tage 
befchloffen bat. Diefe beiden Schriften gewährten dem 


Die ruffifche Thronrevolution von 1801. 59 


Verfaſſer der Denkichrift die Genugthuung, daß fie in 
nichts Mefentlichen feiner früheren eigenen Aufzeihnung 
viderfprachen. Die Denkichrift felbft geben wir in fol- 
jender Uebertragung aus dem franzöfiich gefaßten Dri: 
zinal. | 

„Die Kataftrophe, welche die Regierung und das 
deben des Kaiſers Paul I. beendigt hat, ift von fo 
wmßerordentlichen Umftänden begleitet und es find meh: 
ere, noch heute (1804) im Amt befindliche Individuen 
o ſchwer in diefelbe verwidelt, daß ein gewifler Wider: 
ville, fich mit den Einzelheiten eines anfcheinenden Ver: 
wechend zu befchäftigen, und die Beforgniß, bei mädhti- 
ven Männern anzufloßen, bisher faft nur ungenaue und 
mzufammenhängende Nachrichten über dieſes Creigniß 
ms Rußland herausdringen Tießen. Der Werfafler der 
jegenwärtigen Dentichrift, welcher ſich mehrere Jahre 
n jenem Lande aufgehalten hat, kann fich nicht fehmei- 
bein, alle der Aufzeichnung würdige Facta gefammelt 
u haben; aber er getraut fich, zu verfichern, Daß unter 
nen, die er erlangt, fich Feines befindet, was nicht Der 
Bahrheit entipräche, und er hat bei diefer Darftellung 
ie ganze Unterfcheidungsfraft und Kritif angewendet, 
eren er fähig ift. 

Paul 1.') verdankte der Natur eine fehr ausgezeich- 
ete Begabung, und wie fehr fih auch die Verhältnifje 
wifchen feiner Mutter und ihm in der Folge verrüdten, 
mp man der Kaiferin Katharina II. doch die Gerech⸗ 
igkeit widerfahren laſſen, anzuerkennen, daß fie Fein 
Rittel verabfaumte, feine Talente durch eine forgfältige 
Friehung zu entwideln. Der Grof Nikita Panin ’) 


1) Geboren am 1. Detober 1745. - 
3), Siehe S. 34 fo. ' 


60 Die ruffifche Thronrevolution von 1801. 


war noch unter der Regierung der Kaiferin Elifabeth 
auserlefen worden, der Erziehung des jungen Großfür- 
ften als Oberhofmeifter vorzuftehen. Diefer allgemein 
geachtete Miniſter konnte fich fehmeicheln, daß ihm fein 
Merk gelungen fei; ein Glück, was die Erzieher von 
Thronerben nicht zu haufig genießen. 

Als die Ausbildung des Großfüriten vollendet war, 
fand man in ihm einen liebenswürdigen, geiftreichen 
Prinzen, an glücklichen Witzfunken reich, unterrichtet, 
vol feinen Gefühls, großmüthig, wie jeder Souverain 
es fein follte, bereit, Das Unrecht gut zu machen, was 
ein hitziges Temperament ihn zuweilen begehen ließ, und 
ebenfo bereit, dad Unrecht Anderer zu vergeflen. Er 
war bis zu feiner Thronbeſteigung ein zartlicher Gatte 
und ein liebevoller Vater. Welche Vereinigung bewun- 
dernswerther Eigenfchaften! und welche in Erflaunen 
feßende Umwandlung brachte der Gebrauch und Mid 
brauch der höchſten Gewalt bei diefem Monarchen 
hervor 9! 

Man hatte jedoch feit feiner Jugend zwei Fehler an 
ihm bemerkt, welche ſich mit dem Alter in fleigendem 
Verhältniffe vergrößert hatten. Der eine war die 


1) Der preufifhe Gefandte am ruffiihen Hofe, Grafvon Solms, 
drüdte fi in einem zur Zeit der erften Bermählung des Großfürften 
abgefaßten Schreiben über ihn folgendergeftalt aus: „Der Großfuͤrſt 
ift nicht von großer Statur, aber von ſchoͤnen Zügen, vollkommen 
wohl gebaut, angenehm in der Gonverfation und in feinen Manies 
ren, fanft, ungemein feingebildet, zuvorkommend und von heiterer 
Laune. In diefem fchönen Körper wohnt die ſchoͤnſte, die redlichſte, 
die menfhlidhfte, die großmüthbigfte und zu gleiher Zeit die reinfte 
und unſchuldigſte Seele, die das Böfe nur von der ſchlechten Seite 
fennt, die es nur foweit kennt, als zu dem Entfchluffe nöthig ift, 
ed felbft zu vermeiden und an Andern zu tadeln. Kurz, man Fönnte 
nit Gutes genug von diefem Prinzen fagen, und möge ihn Gott 
in den Gefinnungen erhalten, die er jetzt heat. Wenn id) mehr 
fagte, fo würde ich mic felbft im Verdacht der Schmeicdelei halten.‘ 


Die ruffiſche Throurebolution von 1801. 61 


höchſte Unbeftändigkeit in feinem Geſchmack und feinen 
Reägungen; der andere das vollftändigfte Mistrauen 
gegen die Menfchen. Die Xebhaftigkeit feined Geiftes 
war vielleicht die Urfache des erften Uebels; das andere 
war wahrfcheinlich Durch die Erfahrungen beſtärkt wor: 
den, welche feine erhabene Stellung häufiger darbot, als 
jede andere. Es fcheint auch, daß das Aufhören des 
guten Einverftandniffes zwilchen dem Kaifer Paul als 
Sroßfürft und der Kaiferin Katharina, das fein Ober: 
bofmeifter, Graf Panin, der fich die Freundſchaft feines 
Zöglings verdient und zugleich das Vertrauen der Mut: 
ter Deflelben bewahrt hatte, zu erhalten gewußt, auf 
feinen Charakter von Einfluß war. Es fcheint, daß 
der Großfürſt, feit dem Tode dieſes Minifters ), fi 
in gereiftem Alter fühlend, feine Abhängigfeit ſchmerz⸗ 
lich beklagte, daß ihm feine Bedeutungslofigfeit in Be: 
treff der öffentlichen Angelegenheiten peinlicher wurde, 
und Daß er über den überwiegenden Einfluß, den ſich 
die Kaiferin auf die Erziehung feiner Kinder und fpäter 
auch auf deren weitere Einrichtung anmaßte, einen Kum⸗ 
mer empfand, der fich zu bittrem Unmuth verichlimmerte 
und endlih feinem Charakter eine ſcharfe Gereiztheit 
verlieh. Beſtändig von den Agenten feiner Mutter 
überwacht, hatte der Großfürft Freunde gefucht und 
nur Angeber gefunden; er war endlich dahin gekommen, 
die tieffle Verachtung für die Nation zu fallen, die zu 
regieren er beflimmt war’). Diefe Verachtung, in Ver: 


1) Er ftarb nad Obigem am 31. März 1783. 

3) &o fagte er, als er fih 1782 zu Benedig mit der verftorbes 
nen Gräfin von Roſenberg unterbielt, die er mit feiner Freundſchaft 
beehrte, die merkwürdigen Worte zu ihr: „Ich weiß nicht, ob ic 
zum Throne gelangen werde; aber wenn mid dad Schidfal darauf 
hebt, fo erftaunen Sie nit über das, was Sie dann fehen werten, 
daß ih darauf thue. Sie Pennen mein Herz, aber Sie kennen diefe 


62 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 


bindung mit feiner natürlichen Neigung zur Verände⸗ 
rung, hatte ed bewirkt, daß man aus der großen An- 
zahl von Perfonen, denen er nad) und nach den leben⸗ 
digften Antheil gewidmet hafte, von da an nur den 
Kürften Alerander Kurafin ') und feinen Kammerdiener 
Paul Petrowitſch, fpateren Grafen Kutaizow, als Sol⸗ 
he anführte, die fein Vertrauen bewahrt hätten ?). 
Der Zwed und die Grenzen, die man fich bei Ab» 
faflung diefer Denkfchrift vorgeſteckt hat, erlauben eine 
Verbreitung über die Geſchichte Paul's I. von 1796 — 
1801 nicht. Die Wechſelwirkung der zwei feinem Cha- 
rafter eigenen Fehler, feiner Unbeftändigfeit und feines 
Mistrauens, Fünnen vielleicht die außerordentlichen Er: 
fheinungen zum Xheil erklären, die er in innerer und 
äußerer Politit hervorgerufen hat’). Man hat in 4) 


Menſchen nicht (die Nuffen meinend), und ih weiß, wie man fie 
führen muß.’ 

1) Geboren 1752, mit Paul erzogen und fein Begleiter auf 
deffen Neifen, Bicefanzler des Reichs unter den Kaifern Paul I. 
und Alexander I. bis 1802, 1807 ruffifder Berollmädtigter beim 
Frieden von Zilfit, 1808 — 1812 Botſchafter in Paris, dann in 
Wien, ftarb 1818 auf einer Neife in Weimar. 

2) Diefe beiden Perfonen, die man übrigens in Betreff ihrer 
weiteren Eigenſchaften nit vergleihen kann, find die Einzigen von 
den alten Dienern des unglüdliden Monarden, die ihm bis zu ſei⸗ 
nem Tode die gleihe Anhaͤnglichkeit unverlegt bewahrt haben. 

3) Wir haben an einer anderen Stelle (Geſchichte des europdis 
then Staatenfyftems Th. II., &. 222 fg.) vom Kaiſer Paul ges 
fagt: „Auch er hatte Tugenden, die ibm felbft gehörten, mährend 
ferne Zehler feinem Schidfal, feiner Erziehung und feinen Berhält- 
niffen zur Laſt fallen. Gewiſſenhaftigkeit und ritterlier Edelmuth 
find ihm nit abzufprehen. Er ging unter, weil er feine Politif 
mehr nad feinen eignen, wenn auch wohlgemeinten, Ideen und Meis 
nungen, als nad den Flar crfannten und weife beurtheilten Inter⸗ 
effen feines Reichs beftimmte, die Ruhe, Befonnenheit und Stätig« 
feit nit fand, womit die Angelegenheiten, wie jedes Staats, fo 
befonders Rußlands, geleitet fein wollen, in dem Gefühl feiner 
Macht und feiner unumſchraͤnkten Gemwaltberehtigung dad Studium 


Die rufſiſche Thronrevolution von 1801. 63 


Jahren den ruffiihen Hof mit falt allen europäilchen 
Mächten Bündniſſe abſchließen und fich wieder in Kriegs⸗ 
ftand mit ihnen befinden ſehen; die Leitung der aus: 
wärtigen Angelegenheiten wechlelte vier Mal in diefem 
Zeitraume, und man fah nach einander fünf General» 
procureurs, oder Mintfter ded Innern. 

Die Tängfte Regierung bat feinen größeren Wechſel 
der Syfteme und der höheren Beamten dargeboten, ald 
die Pauls J. Auch hatte dieſes Verfahren in dem 
Auslande alles Vertrauen und in jedem rechtfchaffenen 
Manne den Wunfch nach einer Anftellung erftidt. Die 
fleigende Entwidelung der Fehler Pauls ging feit fei- 
ner Thronbeſteigung in erfchredender Schnelligkeit vor 
fih. Jede Erfahrung von der Schlechtigfeit der Men- 
fhen vermehrte feine Strenge. Statt das Laſter zu 
verfolgen, fing er an, die Lafterhaften zu verfolgen. 
Seine Umgebungen, die fi) jeder Abfegung freuten, die 
zur Beförderung eines ihrer Günftlinge diente, beförder⸗ 
ten die Ausbrüche der bizarren Laune des Kaiferd. In 
der That ware man längft geneigt gewefen, an eine 
Geiſteskrankheit des Monarchen zu glauben, wenn nicht 
Zwifchenzeiten, wo er ausgezeichneten Geift entfaltete 
und zur Billigfeit und Gerechtigkeit zurückkehrte, für 
das Gegentheil geiprochen hätten. Im lebten Regie: 
rungsjahre des Kaiferd wurden die guten Augenblide 
feltener; er überließ ſich Handlungen der Strenge, Die 
bis dahin nicht in feiner Gewohnheit gelegen hatten. 
Er war ausschließlich von einigen Perfonen umgeben, 
die Fein anderes Gefeb ald das ihres eigenen Interefles 


der Berhältniffe verabfäumte, fi in Dinge miſchte, die nicht feines 
Amts waren, das in Rußland — zu Rußlands Glücke — fo wide 
tige voltsthümlihe Element nicht zu treffen wußte, und, tie man 
Öfters findet, zu viel Miöstrauen und zu wenig Vorficht hatte.’ 


64 Die ruffifhe Thronrevolution von 1801. 


kannten, und der wohlthätige Einfluß der Kaiferin mar 
auf Nu reducirt. Der Graf Roftopfehin ’) ftand an 
der Spige der äußeren Politit und athmete nur Den 
maßlofeften Egoismus. Abalyanow war Generalprocu 
reur, und ihn haben feine Käuflichfeit und Habgier in 
die äußerſte Verachtung felbft in einem Rande fallen 
Iaflen, wo das Zartgefühl bei der Wahl der Mittel 
nicht immer allgemein gewürdigt wird. Der Graf 
Kutaizow, der vom Barbier ded Kaiferd Oberftallmei- 
ſter und Inhaber ded blauen Bandes geworden war, 
theilte fich mit dem Oberhofmarfchall Alerander Nariſch⸗ 
fin in die Sorge für die Vergnügungen des Monarchen 
und Beide trugen vielleicht durch den Misbrauch feiner 
Kräfte, zu dem fie ihn anregten, dazu bei, Die Ruhe 
feines Geiftes noch mehr zu flören. 

Died war die Zeit, wo ed dem Grafen Pahlen ’) 
gelang, Einfluß in den Gefchäften zu erhalten. Nom 
Generalinfpector der Cavalerie zum Militairgouverneur 
von Petersburg erhoben, erlangte er mehr und mehr 
das Vertrauen Pauls, ohne die Eiferfucht der andern 
Sünftlinge deflelben zu erweden. Diefer gewandte 
Menſch, der unter den Formen eines freimüthigen Pol- 
tererd den verfchlagenften Geift verbarg, wußte fich nütz⸗ 


— — —h — — — — 


1) Fedor Graf Roſtopſchin, geb. 1760, vom Kaiſer Paul raſch 
binter einander zum General, Hofmarfhall und Minifter der aus⸗ 
wärtigen Angelegenheiten ernannt und 1799 in den Srafenftand cr» 
boben, 1812 Gouverneur von Modfau, von 1814— 1825 im Aus⸗ 
lande, ftarb 1826. Weber den Brand von Mosfau, an den fid 
fein Name fnüpft, vwielleiht Fünftig einmal. 

2) Peter Ludwig Graf von Pahlen, aus dem lieflaͤndiſchen Zweige, 
geb. 1746, 1790 Sefandter in Stodholm, 1793 Gouverneur von 
Liefland, 1796 Generalgouverneur von Liefland, 1799 Graf, 1801 
Gouverneur von Petersburg, nahm 1804 den Abſchied und ftarb 
1826 in Kurland. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 65 


lich und felbft nothwendig zu machen, ohne daß irgend 
Jemand Midtrauen in ihn geſetzt hätte. 

Die finnlihen und felbftfüchtigen Menfchen, welche 
die Angelegenheiten leiteten, bedurften zu ihrer Beſor⸗ 
gung Der Zalente eines thatigen und entichlofienen 
Mannes. Als der Graf NRoftopfchin den Grafen Par 
nin ?) befeitigt hatte, trat Herr von Pahlen ald Mitglieb 
ded Departements der auswärtigen Angelegenheiten ein, 
und als Hr. v. Roftopfchin bald darauf als ein Opfer 
feiner Schlechtigfeiten fiel, erhielt Graf Pahlen die Lei⸗ 
tung Diefed Departements. Der Kaifer verband damit 
einige Zeit Darauf Die Oberleitung des Poſtweſens, ein 
Geſchäft, das in allen Ländern ein wichtiges, von der 
höchſten Bedeutung aber in denen ift, wo man die-hödh- 
fie Gewalt durch Ueberwachung und Spionerie zu fichern 
glaubt. Zuletzt vereinigte Pahlen in jener Zeit die Stel: 
len des Generalgouverneurs und des Infpecteurd der Mili- 
teirdivifionen von St. Petersburg, fowie Die des General: 
gouverneurs von Ingermanland und Liefland mit denen bed 
leitenden Minifterd des Departements der auswärtigen 
Angelegenheiten und des Generaldirectord der Poften. 

Niemals hatte in Rußland ein Unterthan geſetzlich 
einen audgedehnteren Machtkreis, ald den, welchen Pah⸗ 
Im während der legten Monate, welche vor der Regie- 
rungöveränderung vorhergingen, innehatte. Da man 
nicht umhin Fann, ihn ald das Haupt der Verſchwö⸗ 
rung zu betrachten, durch welche Paul den Thron mit 
dem Leben verlor, fo wirb ed am Drte fein, feine Her 
kunft und den Gang feines Schickſals anzugeben. 

Pahlen ftammte aus einem alten und edeln Tieflän- 


1) Neffe des frühern Oberhofmeiſters und Minifters der auswaͤr⸗ 
tigen Angelegenheiten. 


66 Die ruffiiche Thronrevolution von 1801. 


difchen Haufe und fam fehr jung ald Gefreiter in bie 
Keitergarde ’), von wo er ald Major in ein Cavalerie 
regiment überging. Er rüdte in ber Linie, während 
der zwei Zürfenfriege, bi zum Grade eined General 
majord auf. Er galt für einen tapfern, thätigen und 
entfchlofienen Offizier, aber für fehr verſchwenderiſch. 
Seine Paffion fürd Spiel und höchſt anfehnliche Gewinne 
erweckten fpater Zweifel an jeiner Reblichfeit ’). Pahlen 
würde niemald daran gedacht haben, zu einem Regie 


1) Man wählte aus den Gefreiten der Garde die Sicherften und 
Kräftigften, um fie ald Gouriere zu gebrauden, und der arme Adel 
betrachtete dieſe Reifen al5 ein Mittel, auf SKoften des Hofes das 
Ausland zu fehen. Während der Miſſton des Grafen Oftermann in 
Schweden ließ man eines Tages Pahlen kommen, vertraute ihm 
wichtige Depefhen, um fie al& Courier nad Stodholm zu fchaffen, 
und zahlte ibm das Neifegeld aus. Pahlen fpielte die ganze Racht, 
verlor die zu feiner Neife beftimmte Summe, erſchoͤpfte feinen ges 
ringen Credit und mußte fi ald verloren betrachten. Gr ging am 
Hafen umber, über die Zolgen feiner Unbefonnenheit nachdenkend, als 
er einen Schiffspatron erblidte, der ihm befaunt war. Er vertraute 
ihm feine Verlegenheit. Der Zufall wollte, daß das Schiff augen 
blicklich nah Schweden abfegeln ſollte. Pahlen ſchiffte ſich darauf 
ein, indem er es darauf ankommen ließ, ob er in 4 Tagen, oder 
in einem Monate ankommen werde. Er kam nach Stockholm in dem 
fürzeften Beitraume, ſodaß Graf Oſtermann vermuthete, es müſſe 
ein Irrthum in dem Datum der Depeſchen fein. Die Schnelligkeit 
feiner Reife wurde einem äußeriten Grade des Eiferd und der Thä⸗ 
tigkeit zugefohrieben und trug dazu bei, ihn bei der Kaiferin und 
dem Minifterium in guten Gredit zu fegen. Das war der erfte aus 
ferordentlihe Glücksfall, der ihm zu Theil ward. 

2) Der Berfaffer obiger Denkſchrift fegte, nad Abfaffung derſel⸗ 
ben, aber noch im Jahre 1804, zu der Charakteriftif des Grafen 
Pahlen noch hinzu: Der Graf von Pahlen hat von Haus aus einen 
anmaßenden Gharafter und ift an die grenzenlofe Gewalt gewöhnt, 
die er während der vorigen Regierung ausübte, und da fein herrſch⸗ 
ſüchtiger Geift fi in einer für den neuen Souverain verlegenden 
Weife zeigt, fo kann fein Rüdtritt als fchr nahe betrachtet werden 
und wird nur von gewiffen militairifhen Arrangements abhängen, 
die dem großen Einfluffe, den er auf die Truppen der Sarnifon 
ausübt, entgegenzuwirken beftimmt find. Man ficht, daß er gut 
unterritet war. Denn in der That trat Graf Pahlen noch 1804 ab. 


Die ruffifche Thronrevolution von 1801. 67 


sungswechjel beizutragen, wenn nicht die Unbeſtaͤndigkeit 
ded Souveraind, an den er gefellelt war, zu oft er- 
probt worden wäre, ald er fich hätte fchmeicheln können, 
nicht früher oder fpäter einen um fo tieferen Sturz zu 
erfahren, je höher ihn die Poften, die er bekleidete, er 
hoben hatten, und wenn er fich nicht in der Lage be 
funden hätte, mehr als jeder Andere zu bemerken, daß 
der Kaiſer Anfälle von Wuth hatte, welche nicht 
daran zweifeln ließen, daB feine Vernunft zeitweilig 
irreging. Man Tann ald gewiß verfichern, daß Er, 
der Admiral Rivas, der Graf Panin, Neffe des alten 
Minifterd und damals Vicefanzler ded Reichs, und der 
Senerallieutenant Talizin, Commandeur der Preo⸗ 
bratzſchenskoy⸗Garde, feit Dem Herbfte 1800 den Plan 
gefaßt hatten, den Kaifer zu entthronen und ihm den 
Sroßfürften Alexander zum Nachfolger zu geben. Es 
handelte fih darum, diefen für das Gelingen ded Pla» 
ned zu intereffiren. Wir glauben, verfichern zu können, 
daß der Graf Panin mit diefer Unterhandlung beauf: 
tragt ward und daß fie ihm gelang. 

Der Charakter des jungen Prinzen und des Mini- 
ſters (Panin) verftatten feinen Zweifel, daB niemals 
davon Die Rede war, Paul I. Dad Leben zu nehmen. 
Der Graf Panin wurde bei der Unternehmung von ei⸗ 
nem reinen und uneigennüßigen Patriotismus geleitet, 
der bei einer längeren Dauer der Regierung Paul's I. 
den Untergang Rußlands beforgte und unter der Alex⸗ 
ander's das Glück diefes Reiches weiſſagte. Er Tieß 
die Entfeßung des Vaters nur zu, um den Sohn zu 
feönen '). 


1) Man muß überhaupt, heißt ed in einem zwei Monate fpäter 
abgegangenen gefandtfhaftlihen Berichte, zur Entihuldigung des 


68 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 


Die Eigenſchaften, welche Wlerander ’) ſeit feinem 
Regierungdantritte entfaltet bat, beweilen, Daß er fi 
nur ungern in eine fo wagnißvolle Unternehmung ein 
ließ. Auch ift es gewiß, Daß man ihn nur durch die 
Hoffnung für dad Gemeinwohl und durch die Furcht 
vor Gewaltthätigfeiten feines Waters beſtimmte, Daran 
Antheil zu nehmen. Seine unverftelte Verzweiflung 
bei der Nachricht von dem Zode Pauls I., die Abs 
nahme feiner Förperlihen Gefundheit, der man ihn, auf 
Anlaß jener Kataftrophe, welche vielleicht im ganzen 
Reiche Niemand Thranen Eoftete, ale ihm, für längere 
Zeit ausgeſetzt fah, find unbezweifelbare Zeugniffe, DaB 
ee dem lebten blutigen Acte dieſer Tage fremd war. 

Die Ungnade ded Grafen Panin verzögerte Die 
Ausführung des noch nicht hinlänglich gereiften Planes. 
Diefer Minifler wurde aus Gründen, die Diefer Frage 
fremd waren, auf feine Güter verwiefen. Die andern 
Häupter glaubten fich wahrfcheinlich nicht im Stande, 
für fih alein etwas zu unternehmen, und der Ver: 
fafler diefer Denkſchrift Hat dieſes Projects nur gedacht, 
um die wichtige Trage nicht im Zweifel zu laſſen, ob 


größten Theiles Derer, die fih in diefe Unternehmung einlichen, und 
namentlid diefes Individuums (Bennigfen’s) fagen, daß bie Kata 
ftropde, die fie beſchloß, ihrerſeits weder im Plane lag, noch vors 
bergefehen war. Denn es ift ganz beftimmt wahr, daß ihre Abſich⸗ 
ten fih nit Über die Mafregeln hinaus erftredten, die den Kaiſer 
Paul infoweit einem Zwange unterworfen hätten, als crforderlid 
war, um die Regierung, oder vielmehr die Ausübung bdiefer aus 
feinen Händen in die feines Rachfolgers und eines Regentſchafts⸗ 
rathes übergeben zu maden. Diefe Mafßregel war aber durch bie 
bereits vorhandenen Uebel, und durd alle die, deren man ſich von 
Seiten einer launifhen und wilden Tyrannei noch verfah, unbedingt 
nothwendig geworben. 


1) Geboren am 23. December 1777, + 1. December 1835. 


Die ruſſiſche Thronrenolution von 1801. 69 


der Kaifer Alerander von den gegen feinen Vater gerich: 
teten Plänen Kenntniß gehabt bat’). 

Als der Plan, von welchem chen geiprochen worden, 
geicheitert war, bedurfte es der Vereinigung einiger an- 
deren Umftände, um die Wiederaufnahme der Verſchwö⸗ 
rung berbeizuführen. 

Der Kaifer verfügte zu Ende ded Jahres 1800, daß 
es allen verabfchiedeten und verwiefenen Beamten, von 
Militair und Civil, erlaubt fein folle, fih nah St. 
PYetersburg zu begeben, um ihren Wiedereintritt in den 
Dienft nachzufuchen. Die von dem Souverain, im 
ganzen Laufe feiner Regierung, ſchwer gemishandelte 
Familie Zoubow war unter diefer Zahl und wurde wie: 
der in die Hauptſtadt gelaflen. 

Ihre Rückkehr fcheint der Zeitpunkt, von wo man 
von Neuem an das dachte, was jeit dem Rücktritt des 
Grafen Panin aufgegeben worden war. Gin männli- 
her und fefter Charakter, wie der dieſes Minifters, 
fehlte in der Partei, die den Verſchwörungsplan hegte. 
Man glaubte mit Grund, einen Solchen in dem Gra- 


1) Zu diefer Zeit, die man auf den Monat Rovember 1800 zu⸗ 
rädführen muß, hatte Graf Panin häufig geheime Unterredungen mit 
dem Großfürften Alerander. Um fie in das tieffte Geheimniß zu 
büllen, kamen fic des Nachts in den Berbindungögalerien der Gous 
terraind des Winterpalaftes zufammen. ines Abende, ald der 
Graf Panin allein und zu Zuße aus feinem Hotel berausfam, glaubte 
er einen Spion ihn beobachten und ihm folgen zu fehen. Um dieſem 
zu entgehen, madte er mehrere Gänge durd die Stadt und ſchlüpfte 
endlich in einen der Eingänge der gedachten Souterraind. Gr beeilte 
feinen Weg zu dem von dem Lichte einiger Lampen ſchwach erbellten 
Punkte des Rendezvous, mit unfiherm Schritte, ald er feine Schuls 
ter von einer fremden Hand berührt fühlte. Schon glaubte er im 
Begriffe zu fein, verhaftet zu werden, ald cr den Großfürjten Alex⸗ 
ander erfannte, der ihn ſchon feit einiger Zeit erwartete. 

Diefe Details find dem Berfaffer diefer Dentfhrift von dem, zu 
Anfange des Jahres 1837 verftorbenen Grafen Panin felbft erzählt 
worden. 


70 Die ruffifche Thronrevolution von 1801. 


fen Valerian Zoubow gefunden zu haben, der unter 
drei Brüdern, dem Fürften Platon, dem Grafen Niko: 
laus und ihm felbft, der Einzige war, der ein fehr ge 
fundes Urtheil mit den Eigenfchaften der Kraft und de 
Unternehmungsgeiftes vereinigte. Auch war er ein aus⸗ 
gezeichneter Offizier, Mann von Geift und Charakter 
und fehr geliebt in der Armee. Der Fürft Platon be 
ſaß wenig Befähigung, übte aber einen beträchtlichen 
Einfluß theild durch fein Vermögen, theild deshalb aus, 
weil er während der lebten Regierungsjahre Der Kaife 
rin Katharina der offizielle Favorit gewelen war, was 
er benußt hatte, um Hof und Armee mit feinen Crea⸗ 
turen zu füllen. Die Schwefter der Zoubow, Madame 
Scherebzow, erhielt die Erlaubniß, im Auslande zu 
reifen. Sie begab ſich nach Berlin, wie man bebaup 
tet, mit fehr beträchtlichen Geldfummen und Koſtbar⸗ 
feiten verfehen, um ihren Brüdern für den Fall, daß 
das Project fehlfchlüge und es ihnen gelänge, fich zu 
retten, Hilfsquellen zu fichern '). 


H Die Zamilie Zoubow, auch Subow geſchrieben, war in der 
Hauptſache doch durd ihr älteftes und geiftig ſchwäͤchſtes Mitglied, 
den Zürften Platon geftiegen. Diefer war 1758 oder 1759 geboren 
und hatte ald Gardelieutenant dic Gunft der Kaiferin Katharina ges 
wonnen, die ihn zum Zürften und Chef der Artillerie ernannte. Gr 
wurde nad ihrem Tode verbannt und reifte im Ausland, bis er die 
Erlaubniß zur Rückkehr erhielt. Unter Alexander iſt er nit be 
Thäftigt worden und 1817 geftorben. Balerian mar 1760 geboren 
und kämpfte fon 1794 als Generallieutenant in Polen, fein ſchnelles 
Avancement zwar mol der Gunſt feines Bruders bei der Kaiferin 
verdantend, ed aber durch Tapferkeit rechtfertigend. In Polen ver 
lor er ein Bein durh eine Kanonenfugel. Er erhielt dann en 
Oberbefehl gegen Perfien, eroberte (1796) Derbent, bemädtigte 
fih der ganzen Weſtküſte des kaſpiſchen Meeres, ging über ver 
Arares und nahm feine Winterquartiere in ver berühmten Ghowal⸗ 
Moganebene, von wo ganz Aderbidſchan feinem Einfalle bloßlag, 
waͤhrend ſein Rücken durch die Truppen in Georgien gedeckt und von 
Aſtrakan ein Corps gekommen war, die linke Flanke zu fichern. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 71 


Der General Bennigfen ') fchloß ſich dem Project 
an. Diefer braunfchweigiihe Edelmann war nad) Ruß: 
land gefommen, um Dienfte zu fuchen, und dem Ober: 
bofmeifter Srafen Panin von einem feiner vertrauten 
Freunde empfohlen worden. Nachdem er mit Auszeich- 
nung in den zwei vorhergehenden Türkenkriegen gedient, 
hatte er in Perfien eine Divifion unter dem Grafen Va⸗ 
lerian Zoubow befehligt. Der General Bennigien hatte 
fo eben ein Commando in einer Provinzialftadt erhal 
ten; eine Art Exils, wozu ihn der Kaifer verdammt 


Zum Glück für Perſien ftarb Katharina und Paul I. beeilte fid, 
dad Heer zurüdzuberufen. Da dies durch Befehl an dic einzelnen 
Kegimentscommandanten, ohne eine Zeile an den Oberbefehls— 
baber, erfolgte, fo lag die Bermuthung nahe, daB Haß gegen die 
Zonbows im Spiele gewefen. In Perfien hinterließ Zoubow durd 
die ftrenge Mannszucht, die er beobachtet hatte, fehr günftige Eindrüde. 
Balerian nahm feinen Abſchied und ging auf feine Güter. Er ftarb in 
St. Petersburg 1804. Nikolaus Zoubow, der jüngfte Bruder, ward 
von der Kaiferin Katharina zum General und Oberftallmeifter ernannt 
und fam natürli bei Paul in Ungnate. Aud er zog fi nad ber 
Revolution auf feine Güter zurüd und ftarb dort, gleihfall& in dem 
für mehrere Theilnehmer dieſer Sache verhängnißvollen Jahre 1804. 

1) Levin Auguft Sheopbilus v. Bennigfen, geb. zu Braunfchmeig 
om 10. Zebr. 1745, Sohn eines braunſchweigiſchen Obriſten, war 
anfangs Page, Fähndrich und Lieutenant in hannöveriſchen Dien- 
ftien, nahm fpäter feinen Abſchied, zog auf fein väterliches Gut, 
Banteln im Hamoͤveriſchen, und heirathete. Der Berfall feines 
Bermögens und der 1773 erfolgte Tod feiner Frau bewogen ihn, 
in ruffifde Dienfte zu treten, und es gelang ihm, vorher von der 
bannöverifhen Regierung zum DObriftlieutenant ernannt zu werden. 
Gr tämpfte gegen die Türken, gegen Pugatfhew, in Polen und 
Derfien und zeichnete‘ fi namentlih bei dem Sturme auf Dczakow, 
bei Wilna, bei Dlita, bei der Eroberung von Derbent aus. 1798 
wurde er Generallieutenant, unter Alexander Generalgouverneur von 
Lithauen und General, war 1806 Oberbefehlshaber bei Yultus und 
1807 bei &ylau, ging dann auf feine Güter, *ämpfte aber 1812 
wieder an der Moskwa und bei Woronowna, 1813 bei Leipzig, wo 
er in den Grafenftand erhoben wurde, commandirte fpäter in Beſſa⸗ 
rabien, dis er 1818 auf fein Gut in Hannover zurüdtehrte, wo 
er, gänzlih erblindet, am 3. Detober 1826 geftorben if. 


72 Die raffiihe Throntenolution von 1801. | 


batte, weil er ihn, der früher in Hannover gelebt, in 
Verdacht hatte, den Intereflen Englands, mit welchem 
der Kaifer eben gebrochen, geneigt zu fein. 

Der General Pahlen ſchickte ihm einen Courier, mit 
dem Befehle, nad) St. Peteröburg zu kommen, und id, 
bevor er mit irgend Iemand gefprochen, bei ihm einzu 
finden. Bennigfen wurde von feinem alten Freunde und 
Kameraden, dem Grafen Pahlen, mit offenen Armen 
empfangen und von ihm in das Geheimniß ded Com⸗ 
plots eingeweiht, an welchem man ihn theilzunehmen 
beredete. Es ward befchloffen, daB er das Commando 
desjenigen Detachementd übernehmen folle, was beftimmt 
war, das Innere des Palaid anzugreifen, ein Auftrag, 
dem fi) der Graf von Pahlen felbft hatte unterziehen 
wollen, binfichtlich deſſen er fich aber freute, ihn einem 
Mann überlafien zu können, deflen Befähigung, Kalt: 
blütigkeit und Muth fo anerkannt und dem die Garden 
fo ergeben waren, während Pahlen’s eigene Dienfte nütz⸗ 
licher zu dem Commando eines beträchtlichen Infanterie: 
corps angewendet werden konnten, welches das Palais zu 
dem doppelten Zwede cerniren follte, die Flucht des 
Kaiferd zu verhindern und jede Bewegung zu feinen 
Gunften von Seiten ded Gardereiterregiments zu bin- 
dern, deilen größter Theil allen Verführungsverfuchen 
widerftanden hatte. Bennigſen hielt fich, drei oder vier 
Zage lang, bis zum Augenblicke der Ausführung des 
Projects in St. Peteröburg verborgen. 

Die Zahl der Perfonen, die man als die Seele der 
Verſchwörung bildend betrachten kann, reducirt fich da⸗ 
ber auf den Grafen Pahlen, den General Zalizin, die 
drei Brüder Zoubow und den General Bennigfen. Der 
Admiral Rivad war wenige Wochen, bevor Diefes Pro: 
ject zu feiner Reife gediehen war, geflorben. In Be: 


Die ruſſiſche Throurevolation von 1801. 13 


treff Der perfönlichen Eigenfchaften der Verſchwotenen 
konnte man nicht in Abrede ftellen, daß fie, mit Aus- 
nahme des Zürften Platon Zoubow, aus den entfchlof- 
fenften Männern in Rußland beftanden und ſich unter 
einander gut genug Fannten, um mit gegenfeitigem Ver⸗ 
trauen handeln zu können. 

Es kam nunmehr darauf an, eine Partei unter 
den bei den Garden und dem Elitencorps angeftellten 
Offizierd zu werben. Jeder der Hauptleiter fuchte un- 
tee der Zahl feiner Freunde Gehilfen des Planes zu 
finden. In diefe Elaffe muß man Zatarinow und Tſchit⸗ 
ſcherin, zwei verabfchiedete Generale, reihen; ferner 
Manfurow, Obriften bei dem Garderegiment Ismailow, 
den Artillerieobriſt VYeſchwel, Zalbanow, der ein Ba- 
teillon der Preobratzſchenskoy-Garde befehligte, einen 
Keutenant defjelben Corps, Namens Marin, endlich ein 
funfzig Perfonen,. von denen nur Die genannt werden, 
die bei einigen befonderen Umftänden in der Entwide:. 
lung der Verſchwörung hervortreten. 

Der nachherige Kaifer Alerander war, nach ficheren 
Angaben, noch von dem Plane unterrichtet. Die Brü- 
der Platon und Valerian Zoubow waren, an der Stelle 
des Grafen Panin, die Vertrauten des Großfürften ge⸗ 
worden. Indeſſen war man noch weit davon entfernt, 
die ganze Verſchwörung organifirt zu haben, als perſön⸗ 
liche Dispofitionen Paul’ 1. deren Ausbruch befchleu- 
nigten. 

Das Mistrauen des Kaiferd verſtärkte fich täglich. 
Bar ed Vorausfiht, war es Ahnung, er träumte von 
nichts als Comploten gegen fein Leben und feine Per- 
fon. Bloßer Verdacht reichte hin, um Verbannungen 
und Einkerferungen zu motiviren. Gleichwol fchwanfte 

I. 4 


74 Die ruffifche Ihronrenolution von 1801. 


fein Sohn nod), und ohne deſſen Einwilligung wagten 
die Verfchworenen nichtE zu unternehmen. Um den 
Großfürſten Alerander dazu zu beflimmen, griff Pahlen 
zu folgendem Mittel. 

Er fchürte den Verdacht, den der Kaiſer gegen feine 
Söhne hegte, an und trieb ihn foweit, dag der Monard 
ihm, ald Militairgouverneur, die fchriftliche Vollmacht 
vertraute, die Großfürften zur Sicherung feiner gehei- 
ligten Perfon zu verhaften. Pahlen zeigte dem Grof- 
fürften dieſen Befehl und entrig ihm Dadurch feine 
Einwilligung '). 

Man verfihert, DaB der Kaifer auch die Kaiferin 
einzuferfern, feinen dritten Sohn, den Großfürften Ri- 
kolaus (geb. 7. Juli 1796), zu feinem Nachfolger zu 
erflären und deflen Erziehung felbft zu leiten beabfid: 
figte. So drängte fich diefer unglückliche Fürſt zu fei- 
nem Untergange hin, indem er fich Durch feine menfchen- 


1) Der Großfürft Alerander wurde auch noch von ciner anderen 
Seite her von dem Schickſale, weldes Paul ihm vorbehicht, unter: 
rihtet. Der Generallieutenant Uwarow, welcher nod jett (1804) 
Chef des Garbereiterregiments ift, war der Geliebte der Zürftin 
Lapuchin, der Mutter der Zürftin Gagarin, welche Letztere damals 
Maitreffe des Kaiſers war. Der Monarch Fam eines Abends fehr 
verprießlich zu ihr, fagte ihr, daß er von nichts ald Feinden ums» 
geben fei, daß fogar feine Söhne fi gegen ihn verfhmwörten, und 
erzählte ihr, gegen das Verſprechen des Geheimniſſes, daß er ent: 
ſchloſſen ſei, fie in feften Gewahrfam bringen zu laffen. Die Für⸗ 
ftin Gagarin theilte diefes gefährliche Gcheimniß ihrer Mutter, viele 
theilte es Uwarow mit, der es Pahlen binterbradte. Pahlen rieth 
ihm, den Großfürſten Alexander unmittelbar davon zu unterrichten, 
und als nun dieſer Prinz mit dem Generalgouverneur davon ſprach, 
ſo gab dieſer zu, daß der fragliche Befehl in ſeinen Händen ſei, und 
beſtand nun darauf, daß der Großfürſt auf die Entſetzung des Kai⸗ 
ſers einging. 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 75 


feindliche Laune der Zuneigung feiner Kinder und feiner 
Gemahlin beraubte. 

Alles vereinigte fi, eine Kataftrophe zu befchleuni- 
gen. Der Kaifer trug in die Maßregeln der äußeren 
Politik Diefelbe Heftigkeit, daſſelbe Aufbraufen über, was 
er in Der inneren Verwaltung zeigte. Er war im Krieg 
mit England; gegen Preußen und Dänemark follten 
feindliche Manifefte gefchleudert werden, und feine Ge- 
fandten in Berlin und Kopenhagen hatten Befehl, Diefe 
beiden Höfe zu verlaffen. Das ruffiihe Reich, mit ei- 
nem in reißender Schnelle fintenden Credit, mit einem 
vernichteten Handel, der Quellen feines Wohlſtandes 
beraubt '), ſollte in Krieg mit friedlihen Nachbarn tre- 
tm, ohne einen einzigen Allürten in Europa zu be— 
fiten ), und dabei hatte es fein Motiv, feinen Vor— 
wand zum Kriege, und der Kaifer felbft würde fich 
feine vernünftige Rechenfchaft darüber haben geben 
fönnen, was zu folhem Ergebniß geführt habe. Nach 
allen menfchlichen Wahrfcheinlichfeitsberechnungen hätte 
der Staat in Kurzem zufammenftürzen müffen, wenn 
nicht ein ſcheinbar zufälliger Umſtand die Kriſis befchleu- 
nigt hätte. 

Der Kaifer hatte (früher) als Generalgouverneur 
feiner Refidenz einen Artilleriegeneral Namens Araktſche⸗ 
jew ?) gebraucht und hatte ihn wegen der Härte feines 


1) Dies alles dur den Brud mit England. 

2) Gegen England hatte er allerdings Frankreich als Theilneh⸗ 
mer des Kampfes; aber mit Preußen und Däncmarf war Zranfreid 
im Zrieden. u 

3) Er wurde 1802 Kriegsminifter, im Frühjahr 1803 Chef des 
in St. Petersburg garnifonirenden Artilleriecorps und hat ſeitdem, 

4 * 


16 Die ruſſiſche Throntevolution don 1801. 


Charakters verabfchiedet.. Er hielt in jenem Augen 
bfide diefen Mann für geeignet, feinen Abfichten zu 
dienen, und fei es, Daß er, wie Einige vermuthen, Ver: 
dacht gegen Pahlen hatte‘), oder daß er, wie Andere 
annehmen, Araktichejew für geeigneter ald jeden Andern 
hielt, die firengen Maßregeln auszuführen, die er gegen 
feine Familie vorhatte, er ließ einen Courier an ihn ab- 


bis zum Ende der Regierung des Kaiferd Alerander, cine große 
Rolle gefpielt. Namentlih rührte von ihm die Errichtung der Mi- 
litatrcolonien ber, deren Chef er wurde. 1825 erhielt er den Ab⸗ 
fhied, weil er durch feine Strenge der Gegenftand des größten Haf- 
ſes der Soldaten geworden war, und ftarb am 21. April 1834 auf 
feinem Gute Grufino am Wolchowfluſſe. In Betreff dieſes Gute 
deftimmte er in feinem Zeftamente, daß der Kaifer Nifolaus einen 
Erben für daffelbe bezeichnen fole. Der Kaifer Nikolaus widmete 
ed dem Nomgoroder Cadettencorps. 

1) Der Kaifer fragte Pahlen, wenige age vor der Revolution, 
in brüsfer Weife: ob er fih des Todes Peter’s III. erinnere, und 
als Pahlen bejahend antwortete, fragte der Kaifer weiter: ob er 
die Umftände deffelben kenne. Pahlen verneinte das. Darauf fagte 
ibm der Kaifer: „Ich weiß, daß man mir an das Leben will, und 
daB man daran denkt, mir den Tod meines Baters zu bereiten.’ 
Pahlen behandelte dieſe Beforgniffe, ohne in Bermirrung zu kommen, 
als chimäriſche, und bemerkte: man würde über feinen Leib gehen 
müffen, bevor man zu dem Monarden gelangen Tönne. 

In der Zeit, mo man bie erfte Unterneßmung, deren wir gedadt 
haben, im Sinne trug, trat Pahlen eines Tages in das Zimmer des 
Kaiſers. Als diefer ihn, in einer Aufmallung der Zuneigung, ums 
armte, hörte er ein Papier in Pahlen's Taſche rafheln. Er ver- 
langte den Inhalt dieſes Blattes zu willen. Pahlen gab es für 
einen unbedeutenden militairifhen Beriht aus, während ed in ber 
That ein Plan zur Abfegung ded Kaifers war. Die Gefahr, in 
welcher Pahlen in diefem Augenblide geſchwebt hatte, wirkte gleich⸗ 
wol fo ſtark auf ihn ein, daß ſich fein Ausfchen verwandelte. Der 
Kaifer Hielt ihn für unpaß und bot ihm diefen Vorwand, fi zu 
entfernen. Wir haben diefe beiden merkwürdigen Anekdoten, die 
den Charakterſchlag des Hauptes der Berfhwörung bezeichnen, aus 
der fiherften Quelle (vom Grafen Panin). 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 77 


ſchicken, um ihn zurückkommen zu laſſen. Pahlen be- 
gann mit Aufhaltung des Couriers, der dieſen Befehl 
zu beſorgen hatte, und ließ ihn nicht eher abgehen, als 
wie er gewiß war, Daß man, auch wenn man die Er- 
ägniffe noch fo wenig beeilte,. Arafticheiew zu fpät an- 
fommen fehen würde. Erft jebt theilte er den Häuptern 
der Verfchwörung Die Nachrichten mit, die er über Die 
Afichten des Kaifers, ihm den Poften als Generalgou- 
verneur der Refidenz zu entziehen, erhalten hatte Gr 
ftellte ihnen vor, daß feine Entlafjung nicht blos das 
Project fcheitern machen, fondern wahrſcheinlich auch 
zu deflen Entdedung führen würde. Endlich machte er 
ihnen begreiflich, daß die Ankunft Araktfcheiew’s ihnen 
weder die Wahl, die Unternehmung aufzufchieben, noch 
die, fie aufzugeben, laſſe, und in gemeinfchaftlichem 
Einverftändniß ward die Nacht vom 23/11. zum 24/12. 
März zu Ausführung des Planes beftimmt. 
. Bevor wir die Schilderung der Kataftrophe beginnen, 
welche die Krifis, in der fi) Rußland befand, beendigte, 
wird es nöthig fein, die Dertlichfeit diefer Tragödie und 
die Lage des von dem Kaifer bewohnten Schlofles Een- 
nen zu lehren. 

Paul I. hatte in den erften Monaten feiner Regie: 
rung angefangen, ein neues Palais zu errichten, das 
er zu feiner Wohnung beftimmte. Sei ed, daß dieſer 
Monarch der Erbauung dieſes Gebäudes auch einen re- 
ligiöfen Beweggrund unterlegen und Dadurch feine Ent- 
ftehung heiligen wollte, oder daß er ernfllich an Die Vi⸗ 
fion glaubte, welche eine in den Umgebungen des Gar- 
tens aufgeftellte Schldwahe während des Sommers 
von 1797 gehabt zu haben verficherte, jedenfalls ift es 
gewiß, Daß der Kaifer in derfelben Stunde den Befehl 


* 


78 Die rufſiſche Thronrevolution von 1801. 


ertbeilte, an diefem Plabe den Grund einer St. Mi 
hael geweihten Kapelle zu legen, und daß er damit 
den Plan eines ald St. Michaelöpalaft bezeichneten 
Schloſſes verband. | 

Dort, im Hintergrunde des Sommergartend auf dem 
rechten Ufer des Zontandafanald, an derfelben Selle, 
wo ſich ehedem das alte, von der Kaiferin Eliſabeth 
bewohnte Sommerpalais befand, wurde in weniger ald 
3. Jahren dies riefige Gebäude errichtet. Ein audge 
mauerter Graben und leichte, mit Geſchütz beſetzte Be 
feftigungen ftellten der Annäherung einige Hinderniffe ent- 
gegen; aber der Winter, der die Gräben mit Eis be 
deckte, machte die Wirkſamkeit der Zugbrüden, auf wel- 
he die Haupfzugänge des Schloſſes ausliefen, zunichte. 

Die Yacade des St. Michaelpalais war von der 
lichteothen Farbe der Handfchuhe, welche die Maitrefle 
des Kaiferd, Die Fürſtin Gagarin, an dem Tage trug, 
wo man über die Wahl der Farbe des Schloſſes ſprach. 

Das Innere war überaus reich und übertraf in der 
verfchwenderifchen Fülle des Marmors und der Bronze 
Alles, wad man von Pracht in Rußland geſehen hatte. 

So hatte Diefer bizarre Fürft in dieſem Palais das 
Heilige und dad Weltliche vereinigt, daB ed einem Hei⸗ 
figen geweiht war, während ed die Farbe feiner Mai⸗ 
treffe trug, und daß, während das Aeußere den Anfchein 
einer Feſtung hatte, dad Innere allen Luxus und alles 
Erlefene einer Faiferlichen Wohnung einfchloß. 

Paul I. bezog dieſes Palaid gegen Ende des Jahres 
1800 mit feiner ganzen Familie. Der Monarch zeigte 
die größte Begier, dad Gebäude zu bewohnen, welche 
fein Grab werden follte und der Zukunft gewiflermaßen 
ald fein Maufoleum und ald ein Denkmal der an Er: 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 19 


fravaganzen reichen Regierung und des tragifchen Endes 
diefes Souveraind dienen wird. 

Die Verſchworenen fpeiften am Abend des 25/11. 
Marz bei einigen ihrer Führer, wobei die ftarfen Ge: 
tränke, zur Auffriihung des Muthes einiger Perfo- 
nen, nicht gefpart wurden. Alle kamen fpäter bei dem 
Generallieutenant Zalizin zufammen, wo Pahlen zulegt 
erfchien und einige Worte vol Kraft und Ueberzeugung 
an feine Genofjen richtete, worauf man fich trennte, un 
der Verabredung gemäß zu handeln. 

Der General Zalizin begab ſich in die Kafernen der 
Hreobragfchensfoy-Garde, und befahl hier, unter dem 
Borwande von Unruhen in der Stadt, einem von Zal- 
banow befehligten Bataillone unter Waffen zu treten. 
Das Bataillon rückte geräufchlos auf der Nordfeite des 
Marsfeldes hervor und über die dem Hotel Rivas ge: 
genüberliegende Brüde in den Sommergarten, Dur 
den es durchmarfchirte, um den St. Michaelöpalaft ein- 
zufchließen. Hier aber fann man erfennen, wie Die un- 
bedeutendften Umſtände zuweilen das Geſchick von Rei: 
chen enticheiden fünnen. Die alten Linden des Son: 
mergartend dienen während der Nacht Zaufenden von 
Krähen zur Zufluchtöftätte. Als zu diefer ungewohnten 
Stunde eine Truppe heranrüdte, wachten diefe unheil⸗ 
verfündenden Vögel auf und erfüllten die Luft mit ihrem 
Geſchrei. Der Lärm ward fo groß, daß die Offiziere, 
welche die Truppen führten, von der Beforgniß beun— 
ruhigt wurden, der Kaifer möge darüber aufmachen. 
Das Project wäre verfehlt geweſen, wenn es ihm ge 
glückt wäre, feine Perfon in Sicherheit zu bringen, und - 
die Krähen ded Sommergartend hätten in der Gefchichte 
die Berühmtheit der Gänſe des Capitold erlangt. Pah— 


80 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 


len hatte inzwifchen feine Verfügungen in Betreff der 
Zugänge des Palais von der Seite der Perfpective aus 
getroffen; er ließ dort Reiterdetachements marfchiren, 
die fich Dafelbft mit Dem erwähnten Bataillon der Preo⸗ 
bratzſchenskoy⸗Garde vereinigten. Er felbft Fam nit 
in das Palais, als bis alles vorüber war. Die 
andern Verfchworenen befchuldigten ihn fpäter, gefliffent: 
lich gezögert zu haben, um, wenn die Sache gelang, 
den Augenblid zu nüßen, wenn fie aber fehlfchlug, als 
der Befreier Paul's I. zu erfcheinen ’). 

Das Palais war an diefem Tage von einem Ba- 
taillon der Sſemenowskoy⸗Garde bewacht, was die Au- 
Bentheile und die große Wache befeht hielt, während Die 
Bewachung ded Inneren und der Perfon Er. Majeſtät 
einem Detachement der Preobratzſchenskoy-Garde, Das 
ein Lieutenant Namens Marin?) befehligte, anvertraut 
war. AS das Bataillon des Zalbanow ind Angeficht 
des Palais kam, redete diefer Offizier feine Truppe an 
und fragte fie, ob fte ihn auf einer gefährlichen Erpe 
dition begleiten wolle, die er zur Rettung des Reicht 
und der Nation unternähme. Sie antwortete ohne Zö— 
gern bejahend. Man überfchritt darauf die Gräben auf 
dem Eiſe, entwaffnete die äußern Schildwachen des Ba- 
taillond der Sſemenowskoy, ohne daß fie Widerftand 
geleiftet hätten, und die Truppe, welche in die Zimmer 


I) Wie Bennigfen erzählte, war man übereingefommen, daß der 
General Pahlen, begleitet vom General Uwarow, an der Spigte 
eines Gardebataillons über die große Treppe des Palaid in das 
Zimmer des Kaiſers rüden ſolle. Pahlen marſchirte fo langfam, daß 
Umarom ihn drängen mußte, feinen Mari zu befäplennigen; ein 
Umftand, der zur Unterftügung obiger Annahme dient. 

2) Er gehörte, wie oben angeführt worden, zu den Verſchwo⸗ 
renen. 


N 


Die ruſſiſche Tpronrenolntion von 1801. 81 


3 Kaiferd zu dringen beſtimmt war, ging in feine 
mmächer über die Feine Wendeltreppe a’), bie ihren 


2) Bolgender Plan eines Theiles der Beletage des St. Midael- 
offes ift nad dem zehnten Stüd der 14 Blätter copirt, welde 





‚82 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. | 


Eingang auf der Façade hat, welche gegen den, gemei- 
niglicy dritter Garten genannten Garten gerichtet ift '). 

Diefe Abtheilung beftand aus den drei Brüdern 
Zoubow, dem General Bennigfen, dem General Tſchit⸗ 
fcherin und einer Menge unbefannter Menſchen, wie bie 
Manfurow, Zatarinow, Veichwel, die ſich im Laufe die 
fer graufigen Nacht durch ihre Muth bemerfbar machten. 

Der Fürft Platon Zoubow und der General Bennig- 
fen begaben ſich auf das Schlafzimmer des Kaifers zu, 
ohne bei dem Durchſchreiten des Vorzimmers, das ſich 
zwifchen der Wendeltreppe und Diefem Zimmer be 
fand, ein Hinderniß zu treffen. Das, was der Kaifer 
innehatte, hatte Feinen andern Ausgang, ald den auf 


der Architekt Brenna 1800 veröffentlihte. Die drei mit Rr. 6 be 
zeichneten Piecen waren innere Gemäder Sr. Majeftät des Kaifers. 
Rr. 5 gehörte zu den Appartements Ihrer Majeftät der Kaiferin. 
Nr. T war eine Fleine Küche, die dem Kaifer gehörte. 

1) Es wird am Drte fein, bier zu erzählen, daß der Kaifer feit 
mehreren Monaten in der Furcht ſchwebte, er könne vergiftet werden, 
und daß er deshalb einen feit langen Jahren in St. Petersburg 
etablirten Kaufmann hatte angehen laffen, ihm eine gute bürgerliche 
englifhe Köchin zu empfehlen und zu verfhaffen. Diefes rauen» 
zimmer bereitete ihm fein Diner in der mit Nr. 7 bezeihneten, an 
feine Gemächer ftoßenden Pleinen Küche. Sie erſchrak über. den Lärm, 
den die Verſchworenen madten, entfloh während der Verwirrung 
und Fam inter Nadt, allein und zu Fuß, bei ihrem alten Herrn an. 

In einem, zwei Monate nad dem Greigniß abgegangenen ges 
ſandtſchaftlichen Berichte heißt ed: „Die Verſchworenen Pünvdigten 
fich als eine Truppe an, die zur Ablöſung der Wache im Innern 
des Palaſtes beſtimmt ſei, und gelangten, indem ſie die Parole an⸗ 
gaben, ohne Schwierigkeit bei den verſchiedenen Poſten vorbei und 
uͤber die Zugbrücken. Sie drangen durch eine Seitenpforte am Fuße 
einer geheimen Treppe, die in die Zimmer des Kaiſers führte, an 
deren Außerftem Ende (?) fi fein Schlafzimmer befand, in das Palais. 
Sie durdfäritten die Zimmer ohne Hinderniß, bis zu dem, was an 
das Schlafzimmer ſtieß. Hier erfuhren fie einen ftarfen Widerſtand 
von Seiten eines Leibhufaren des Kaifers, und bevor dieſer Mann 
hatte überwältigt und entwaffnet werten Fönnen, hatten fein Geſchrei 
und feine Anftrengungen den Kaifer erwedt und aufmerkfam gemadt.” 


- 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 83 


dem beigefügteri Plane mit b bezeichneten. Der Archi⸗ 
teft Brenna, der das St. Michaelöpalais erbaut hatte, 
batte in dem Schlafzimmer des Kaiferd eine Verbin- 
dungsthüre zu den mit c bezeichneten Appartements 
Ihrer Majeftät der Kaiferin eingefenft. Zu Diefer Zeit 
war die Kälte ded Kaiferd gegen feine Gemahlin auf 
ihrem Gipfel; er befahl daher Brenna, dieſe Thüre zu: 
mauern zu laflen, und da Brenna die Befolgung diefes 
Befehls verzögert hatte, fo ließ ihn der Kaifer einige 
Stunden in Xrreft bringen, um ihn für feine Nachläf- 
figfeit zu ftrafen. 

Am Eingange ded Schlafzimmers, wo auf der 
Schwelle der Zhüre felbft, auf dem mit b bezeichneten 
Plage, ein Kammerhufar des Kaiferd fchlief, war es, 
wo dieſer treue Diener fich entgegenftellte und einigen 
Widerſtand Ieiftete. Er mußte der Gewalt weichen und 
lief, mit einigen Beulen bebedt, um Hilfe zu rufen '). 


1) Die Kaiferin Mutter hat dieſen Hufaren als Kammerdiener 
an ihre Perſon gefeffelt. Als “er mit blutendem Kopfe in dem 
Saale anfam, wo fi das von Marin befchligte Detachement ver 
Preobratz ſchenskoy⸗Garde befand, und Hilfe zur Nettung des Kai: 
fers forderte, war dad Detahement bereitd durd einen Dfenbeizer 
allarmirt worden, ver daffelbe Ereigniß angezeigt hatte, aber von 
Marin ald Narr und betrunfen behandelt und fortgeſchickt worden 
war. Rad diefer zweiten Nachricht aber wurde dic Bewegung in 
der Truppe ernftbaft und allgemein ‚ und ein Soldat verlangte, im 
Namen Aller, zum Kaifer geführt zu werden. Marin feste ihm ven 
Degen auf die Bruft, indem er ihn zu tödten drohte, wenn er noch 
ein Wort vorbringe, und befahl dem Detachement, unter Waffen 
zu treten. Diefe militairifhde Stellung verpflichtet in Rußland zum 
vollfommenften Stilfchweigen. Die Truppe gehorchte und blich in 
diefer Stellung, bis man erfuhr, daß Alles beendigt fei. Dann er: 
Härte man den Soldaten, daß Paul wahnfinnig geworden und ab- 
gefegt fei, und fie erkannten einftimmig Alexander I. an. 

Diefe Anckvote bezeugt ebenfo die feltene Geiftesgegenwart Ma⸗ 
— als die ganze Macht der Subordination bei den ruſſiſchen 

ruppen. 


84 Die ruſſiſche Throntenolution von 1801 


Ein Flügeladjutant des Kaiſers, deflen Namen wir 
nicht kennen, war der Führer der Eindringenden und 
trat in ihrem Gefolge in dad Schlafzimmer. Der Fürft 
Zoubow und der General Bennigfen waren in großer 
Uniform, den Hut auf dem Kopfe, den Degen in ber 
Hand. Sie ftelten fih vor das Bett des Kaifers und 
fagten ihm: „Sire, Sie find verhaftet.” Der Kaifer 
feßte fih auf und fragte ganz beftürzt, was fie wollten, 
worauf fie die frühere Rede wiederholten und ihm er 
Färten, daß er die Krone niederlegen müfle und daß 
er fih ruhig zu verhalten habe. Der Zürft Zoubow 
und der Flügeladiutant gingen zur Thüre, um die an- 
dern Verfchworenen herzuzurufen, und Bennigfen war 
eine gute Weile allein bei dem Kaifer, der fich ſchwei⸗ 
gend verhielt und vor Zorn bfaß und roth ward. Ben 
nigfen fagte ihm: „Site, ed handelt ſich um Ihr Leben; 
Sie müfjen ſich Darein fügen, eine Abdanktungsurkunde 
zu unterzeichnen’). In diefem Augenblide drangen 
mehrere Offiziere in das Zimmer. Bennigfen fagte ib 
nen, fie follten den Kaifer im Auge behalten, und wen- 
dete fich nach der Thüre, um fie zuzufchließen. Paul 
benugte diefen Augenblid, um aus dem Bette zu fprin- 
gen. Einer der Offiziere. faßte ihn bei der Kehle; der 
Kaifer machte fich los, fprang hinter einen großen Ofen⸗ 
fhirm und fiel. Bennigfen rief ihm zum Ießten Male 
zu: „Sire, thun Sie nichts, es handelt fi um Ihr 
Leben.“ Aber der Kaifer erhob fich wieder und wendete . 


1) So beißt es auch in dem angeführten Geſandtſchaftsbericht: 
‚Der Kaifer wurde von dem General Bennigfen verhaftet, der ſich 
zwifhen ihn und eine gegenüber befindliche Thüre ftellte und ihm 
auf franzöfifh fagte: Sire, Sie find verhaftet. in Augenblid 
der Ungemwißbeit trat ein und der General Bennigfen ift überzeugt, 
daß, wenn der Kaifer fih damals ergeben hätte, man nit zu an 
dern Gewaltmaßregein geſchritten fein würde.‘ 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 85 


fi) einem Tiſch zu, auf welchem er mehrere geladene 
Piſtolen hatte. 

In dem Augenblide, wo die Mafle der Verſchwo—⸗ 
renen ſich auf ihn flürzte, hörte man Geräuſch am der 
Thüre. Es war ein Offizier mit einem Detachement, 
der die Befehle Bennigfen’s einholen wollte und von 
diefem die Weifung empfing, den Eingang zu bewachen 
und zu vertheidigen. Mittlerweile ward der Kaifer von 
den Verſchworenen, die ihre ruchlofen Hände an ihren 
Souverain zu legen wagten, zu Boden geworfen. Man 
verfichert, daß ein gewifler Yeſchwel, ein geborener 
Zartar, ber: Erfle war, der mit feinem königsmörderi⸗ 
fhen Arme den Monarchen traf, der dann unverzüglich, 
nach einem ziemlich Eräftigen Widerftande, zu Boden 
geworfen und mit der Militairfchärpe eines Offiziers 
vom Regiment der Sſemenowskoy⸗Garde, Namens Sca- 
tiatin, der die Wachmannſchaft des St. Michaelöpa- 
laſtes commandirte, erdrofjelt ward. Die Schärpe hatte 
urfprünglich, wie man behauptet, dazu dienen follen, 
dem Kaifer die Füße zu binden ’). 


1) Es ſcheint, daß der Kaifer auf dem mit P bezeichneten Platze 
ftarb. Während des kurzen Kampfes, ver nicht länger als zehn 
Minuten dauerte, hörte man den Kaifer fragen: mas man von ihm 
wolle. Ein Offizier ermiverte ibm: „man bätte ed ſchon lange mit 
Ahnen ausmahen follen.’ Die meiften Berfchworenen waren wein⸗ 
trunfen. Es ſcheint außer Zweifel, daß der Oberftallmeifter Riko⸗ 
laus Zoubow den Kaifer mit eignen Händen erproffeltee Er war 
ein hochgewachſener Mann mit ziemlich ſchoͤnen Zügen, die aber doch 
einen wilden Ausdrud hatten. Er ftarb ziemlih jung im Amte und 
mon muß annehmen, daß weder der Kaifer Aleranvder, noch die Kai⸗ 
ferin Mutter jemals erfahren haben, welden unmittelbaren Antheil 
der Graf Nikolaus an der Ermordung genommen. 

An dem mehrfadh erwähnten geſandtſchaftlichen Berichte heißt es: 
„Es ift nur zu gewiß, daß dieſer legte Act der Barbarei von einer 
Heron (Nikolaus Zoubow) verübt ward, die an demfelben Abend 
in demfelben Zimmer mit dem Kgifer gefpeift Hatte.’ — (Ganz wie 


56 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 


So ftarb Paul I. in feinem 46. Jahre; ein mer: 
würdiges Beifpiel eines Souveraind, der, mit allen 
Talenten geboren, mit allen Zugenden begabt und fie 
bis zu einem Alter übend, wo man gemeiniglich glaubt, 
daß die Menfchen gegen den Einfluß der Leidenfchaften 
gefichert find, in fo vorgerüdter Lebenszeit Gewohnhei⸗ 
ten, Sitten und Charakter änderte und zum graufamen 
und ausfchweifenden Zyrannen ausartete. 

Es ift Schwer, die Namen allee Mörder richtig an 
zugeben und der Verwünichung der Eommenden Jahr⸗ 
hunderte das Andenken aller Derer zu überliefern, die 
ihre ruchlofen Hande in das Blut ihred Souveraind 
tauchten. Die Zahl der Verfchworenen war groß und, 
wie man zur Schande der Zeit befennen muß, die Wir 
fung des Hafjes gegen jenen Fürften und die Ruchlo—⸗ 
figfeit feiner Zeinde war fo arg, daß man noch 1801 
eine Menge Offiziere fand, die fi) rühmten, bei jenem 
Meuchelmorde mitgewirkt zu haben, ohne daß fie dod 
in der That daran theilgenommen hätten. 

Die Namen ded Oberſtallmeiſters Grafen Nikolaus 
Zoubow, ded Generald Tfchitfcherin, dann der Man: 
furom, Tatarinow und Vefchwel gehen indeß als die 
der Haupfthäter in dieſer Kataftrophe auf Die Nachwelt 
über. Man kann mit Beftimmtheit verfichern, Daß der 
Graf Pahlen, der Fürft Zoubow, der Graf Valerian 
Zoubow, Die Generale Bennigfen und Zalizin feinen 
perfünlichen Antheil daran haften, und vielleicht ift man 
es jeßt dem Andenken des 1804 verftorbenen Grafen 
Valerian Zoubow fchuldig, zu fagen, daß feine Thränen 


bei Peter TIL, deffen Mörder fih auch erft bei ihm zu Gafte Iuden! 
Uebrigens ſoll, nach andern Berichten, Valerian Zoubow Abends 
beim Kaiſer geſpeiſt haben.) 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 87 


über diefen tragifchen und unerwarteten ') Ausgang fich 
in die des Sohnes Paul's I. mifchten. 

Alerander erwartete, in feiner Wohnung eingeichlof- 
fen, dad Ergebniß der Unternehmung. Der General 
Umwarow ?) und der Obrift Nikolaus Borosdin waren 
bei ihm geblieben, um ihn im Falle der Noth zu ver: 
fheidigen und fo mit ihm die Gefahren des Fehlſchlagens 
zu theilen. Der Graf Valerian Zoubow begab fich zu 
dem Großfürften Alerander und hatte einige Mühe, zu 
ihm zu gelangen. Er traf ihn, mit feiner Uniform be- 
kleidet, auf einem Ruhebette ausgeſtreckt, und kündigte 
ihm die Abſetzung feined Vaters, den Beginn feiner 
Regierung und den Zod Paul’d I. an. Man weiß, daß 
diefe Veßtere Nachricht ihn in die heftigfte Verzweiflung 
flürzte. Er erfannte erft jet die unfeligen Folgen des 
Abſetzungsplanes und beffagte zu ſpät und fruchtlos 
die Verbindung einer wilden und zügellofen Jugend, die 
eine vielleicht für die Rettung des Staats unerläßliche 
Unternehmung mit einer Miflethat befledt hatte’). 


1) Aus dem wiederholten Zurufe Bennigfen’s an den Kaifer, fid 
rubig zu halten, da es fi um fein Leben handele, ergibt fi doc, 
daß Jener von Anfang an vorausſah, es Tönne nur zu leiht zum 
Aeußerften Tommen. Auch gebörte nicht viel Menſchenkenntniß dazu. 

2) Diefer Umftand ift dem Berfafler von dem Obriften Nifolaus 
Borosdin felbft, damals Faiferlihem Zlügelapiutanten, fpäter als 
Generallieutenant geftorben, verfihert worden, fteht aber einigerma- 
fen in Widerſpruch mit dem, was weiter oben gejagt worden ift: 
dep Uwarow bei dem General Pablen an der Spige eines Gardeba- 
taillond gewefen fei. Vielleicht ließen fi beide Angaben mit einan⸗ 
der vereinigen, wenn man annähme, daß Umarom den Großfürften 
Alerander einige Zeit lang verlaffen hätte. 

3) In jenem gefandtfhaftlihen Berichte heißt ed: „Die beiden 
Brüder’! (Alerander und Konftantin) „waren beifammen und zeig- 
ten fih, wie man fi leicht denken Tann, von Schauder ergriffen 
und lebhaft bewegt. Aber der neue Souverain, der die Nothwendig⸗ 
teit erkannte, fi) allem zu fügen, was man von ihm verlangte, und 
dem man nafürlih von den gemaltfamen Mitteln, die dem Leben 


88 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 


Die Kaiſerin Marie’) hatte Lärm im Schloſſe ge: 
hört und war benachrichtigt worden, baß eine Bewe⸗ 





des vorigen Kaifers ein Ziel gefept, nichts gefagt hatte, wurde end: 
li dabin gebracht, cine Proclamation zu fanctioniren, melde bes 
fogte: daß jener Souverain im Laufe der Naht an einem Schlag: 
anfall verfterben fei. Diefe Rachricht wurde, bei Trommelſchlag, 
zeitig am Morgen des 24. März in den Straßen von St. Peters: 
burg verkündet, und im Laufe des Vormittags empfing der Kalfer 
Alexander, der nad dieſen Vorgängen in den Winterpalaft überges 
zogen war, den Puldigungseid und die Glückwünſche des Genats, 
des Adels 2c. und den Eid der Treue von der Garnifon, das Garde: 
reiterregiment mit eingeſchloſſen. Als er ſich dem Volke auf einem 
Ballon zeigte, wurde er mit den Ichhafteften Zreuderufen be 
grüßt... ..’ 

1) Es war dies die zweite Gemahlin Kaifer Paul's, ver in er 
ftir Ehe, am 10. Detober 1773, mit der Prinzeffin Wilhelmine 
von Heffen» Darmftadnt (geb. 25. Suni 1755), der Großfürftin Ras 
talia Alexiewna, vermählt gewefen war, die er feurig liebte und an 
deren am 26. April 1776 im Kindbette erfolgten Tod ſich auch jene 
unbeimlichen Gerüchte knüpfen, welche in Rußland fi um alle un- 
erwarteten und bedeutfamen Zodeöfälle zu breiten pflegen, natürlich 
aber nicht immer begründet ſind. Aus dieſer Ehe lebte fein Kint. 
Die zweite Gemahlin Kaiſer Paul’s war die Prinzeffin Sophie Dos 
rothea Augufte Luiſe von Württemberg (geb. 25. October 1759), 
ältefte Tochter des Prinzen, und feit 1795 Herzogs Friedrich Eugen 
von Württemberg und der Prinzefiin Zriederife von Brandenburg: 
Schwedt. Sic führte als Großfürftin und Kaiferin den Namen 
Marie Feodorowna, ward mit Paul am 18. October 1776 ver: 
mählt und ftarb am 5. November 1828. Ihr ältefter Bruder wer 
der nahherige erfte König von Württemberg, Zriedrih, der Bater 
des jegigen Königs, welcher Lettere in zweiter Che mit einer Tode 
ter dicfer feiner Lante vermählt ward, während fein Sohn, ver 
Kronprinz, bekanntlich eine Enkelin derfelben und Tochter des jeti⸗ 
gen Kalfers von Rußland, die Großfürftin Olga, geheirathet hat. 
Der Kaiſer Paul hatte in diefer She vier Söhne und fehs Töchter 
erzeugt: 1) den nahherigen Kaifer Alcrander J.z 2) den Großfär⸗ 
ften SKonftantin, geb. 9. Mai 1779, welder 1822 und 1825 auf 
die Thronfolge Verzicht Leiftete, von feiner cerften Gemahlin, ver 
Prinzeffin Juliane von Sachſen⸗-Koburg (Großfürftin Anna, geb. 
23. Sept. 1781, verm. 26. Zchr. 1796) am 0. März 1820 ge⸗ 
ſchieden ward, am 24. Mai 1320 eine morganatifhe Ehe mit der 
Fürſtin von Lowicz, Gräfin Johanna Grudzunsfi (geb. 20. Sept. 17099 
+ 29. Rov. 1831) einging und am 27. Juni 1831 ftarbz; 3) die 
Großfürftin Alcrandrine, geb. 9. Auguft 1783, vermählt am 30. 


X 


Die ruſſiſche Thronrevolution non 1801. & 


gung gegen den Kaifer, ihren Gemahl, ftattfinde. Sie 
verfuchte, zu ihm zu gelangen, aber man hatte bereite 
auf allen Verbindungsgängen Poften mit der Ordre aus: 
geftellt, ihre mit gefreuzten Waffen den Zugang zu ver: 
wehren. Ein Offizier, an den fich die Kaiferin wendete, 
ſchickte zu dem General Bennigfen, um neue Drdre zu 
erholen; dieſer verbot ihm aber, bei feinem Leben, 
die Kaiferin nicht aus ihren Gemächern herauszulaflen. 
Ein Verſuch, den fie machte, auf einer andern Seite zu 
den Sroßfürften Alerander und Konftantin zu dringen, 
war gleichfalls fruchtloß. 

Nachdem der Großfürft Alexander von den Garden 
zum SKaifer ausgerufen worden war, verließen die Zou⸗ 
bows und der General Pahlen das Palais, um ihre 


Dctober 1799 mit dem Palatin von Ungarn, Erzherzog Joſeph von 
Drfterreih, dem fie nur eine am Tage der Geburt verftorbene Toch⸗ 
ter geboren hat, und in Zolge diefer Entbindung am 16. März 1801 
geitorben iſtz 4) die Großfürftin Helene, geb. 24. Dec. 1784, am 
23. Dct. 1799 mit dem Erbpringen Friedrich Ludwig von Medlcn- 
burg- Schwerin vermäplt, Mutter des vorigen, Großmutter des jehi- 
gen Großherzogs von Medienburg- Schwerin, und der jepigen Her⸗ 
zogin von Sachſen⸗Altenburg, + 24. Sept. 18035 5) die Groß: 
färftin Marie, jesige Großherzogin von Sahfen- Weimar (geb. 16. 
Zebr. 1786, verm. 3. Auguft 1804); 6) die Großfürftin Katha⸗ 
rina, geb. 21. Mai 1788, vermählt a) 3. Auguft 1809 mit dem 
zen Georg von Oldenburg (+ 27. Dec. 1812) und durd ihn 
tammmutter einer Seitenlinie dicfes Haufes, b) 24. Ian. 1816 mit 
dem jegigen König von Württemberg, dem fie die Gräfin Marie Neip- 
perg und die jetzige Königin der Niederlande gebar und am 9. Jan. 
1819 ftarb; 7) die am 22. Juli 1792 geborene und am 26. Ian. 
1705 geftorbene Großfürftin Olgaz 8) die Großfürftin Anna, geb. 
18. Ian. 1705, verm. am 21. Zebr. 1816 mit dem damaligen 
Prinzen von Dranien, nahherigem König Wilhelm II. der Nieders 
lande, Witwe feit dem 17. März 18495 9) den jegigen Kaifer Ni- 
kolaus; 10) den Großfürften Michael, geb. 8. Zebr. 1798, + 9. 
Sept. 1849, deſſen Gemahlin, die Großfürftin Helene (früher Prin⸗ 
zeffin Gharlotte) gleichfalls eine Großnichte der Kaiſerin Marie und 
Toter des Prinzen Paul von Württemberg ift. 


90 Die ruffifhe Thronrenolntion von 1801. 


Anftalten in der Stadt zu treffen. Bennigfen blieb im 
St. Michaelspalais und hatte für deflen Bewachung 


und für die Faiferliche Familie zu ſtehen. Er erhielt : 


(wahrſcheinlich vom Kaiſer Alerander) den Auftrag, zu 
der Kaiferin zu gehen und fie zu bitten, ſich ruhig zu 
halten. Als er vor ihr erſchien, fragte fie ihn, ob fie 
jet ihre Zreiheit hätte. _ Der General antwortete mit 
Kein, verfchloß die Thür und ftedte den Schlüſſel in 


die Zafche. Darauf befahl ihm die Kaiferin, aufzume - 
hen und die Anordnung zu geben, Daß man fie überal- : 


bin, wohin fie wolle, frei gehen laſſe. Er antwortete, 
daß er dazu nicht ermächtigt fei, und ſetzte fogleich Hinzu: 
„der Kaifer Alexander“ — bier hob fie die Hände zum 
Himmel und rief: „Alerander — wer hat ihn zum Kar 
fer gemacht?” „Die Nation, Madame; die Garden 
haben ihn ausgerufen.” „Aber wer bat die Verſchwö—⸗ 
rung gebildet?” „Ed waren von Allem dabei, vom 
Militair, vom Civil, vom Hofe” „Laſſen Sie mid 
zum Kaifer Alerander gehen.” ‚Nein, Madame, das 
ift mir verboten; Sie werden nicht von hier fortgehen.” 
„Ah, General, ich werde Sie das bereuen machen.” 
Auf die wiederholten Foderungen der Kaiferin, fich zu 
ihrem Sohne begeben zu dürfen, ſagte ihr Bennigfen: 
„Ih will es unter zwei Bedingungen thun: daß Sie 
fi unterweged nicht aufhalten und dag Sie mit Nie 
mandem fprechen.” „Ich veripreche Ihnen das.“ 

Bennigfen befeßte nun alle Gänge mit Poften, in 
dem er befahl, daB Niemand, wer ed auch fei, fich der 
Kaiferin nähere und daß Niemand ihr antworte. So 
gelangte fie zu dem Kaifer Alexander, der ihr entgegen: 
ging, fie umarnıte und bei dem fie noch eine große Zahl 
der Hauptverfchworenen traf. 

Die Kaiferin fam zu ihrem Gemahl erft, nachdem 


Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 9 


nan ihn bereits in feine Uniform gekleidet und in dem 
immer, in dem er verfchieden war, auf ein Zeldbette 
jelegt hatte. Aber indem fie ihn erblidte, täuſchte fie 
ich keinesweges über Die Todesart, die er erfahren hatte, 
md ward von einem fo heftigen Schmerze befallen, daß 
nan file nur mit Gewalt entfernen konnte). 

Wenn man dad rafche und leichte Gelingen vieler 
Revolution mit den ernften Schwierigkeiten vergleicht, 
ie ſich ihr entgegenzufegen ſchienen, fo ift man ver: 
ucht, zu glauben, daß ein unbefiegbares Verhängniß 
zas Ziel der Zage des unglücklichen Souveraind bezeich- 
net hatte. Unter mehreren Umfländen, die die Entdedung 
der Verſchwörung hatten bewirken müffen, führt man 
Zweie an, welche zu merkwürdig find, ald daß wir 
he mit Stillihweigen übergehen Fünnten. Am Morgen 
bed Zages, der fich mit der Revolution fchloß, näherte 
ch ein Mann aus dem Wolke dem ausreitenden Kaifer, 
um ihm ein verichloffenes Billet zu überreichen. Der 
Kaiſer gab ed dem Grafen Kutaizow, feinen Oberflall- 
meifter, der ihn begleitete, und dieſer behielt es, ohne 
ed eher zu Öffnen, ald am folgenden Morgen. Es fand 
fih da, daß dieſes Schreiben die Denunciation der Ver: 
ſchwörung und die Namen der Verfchworenen enthielt. 
Der General Zalizin hatte fi) an demfelben Lage für 
unpäßlich ausgegeben, um die verfchiedenen Vorkehrun⸗ 
gen, die man noch zu freffen hatte, beſſer beforgen zu 
innen. Der Kaifer fchickte feinen Arzt, den Dr. Grive, 


1) Die Kaiferin lich wenige Tage nad dem Ereigniß ihre beiden 
älteften Soͤhne kommen und fie in der Kapelle des St. Michaelspa⸗ 
laiß ſchwoͤren, daß fie den Plan, ein Attentat auf das Leben 
Peul's I. zu machen, nicht gekannt hätten. Erft nachdem die Kai⸗ 
ferin diefe Gewißheit erlangt hatte, ftellte ſich die Eintracht und das 
Bertrauen zwiſchen ihr und ihren Schnen wieder ber. 


92 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 
einen gebornen Engländer, und noch jegt (1804) Arzt 


Des Kaiferd Alerander, und diefer drang, auf Bei 


ded Souveraind, zu Zalizin, während ein Gomite be 
Verfchworenen bei diefem berathichlagte. Ihre erfte Ab 
fiht war, Grive zu tödten, um jede Anzeige zu bin 
dern. Der General Zalizin nahm ed aber auf fich, ihn 
zur WVerfchwiegenheit zu beflimmen, und er wurde bie 
wenigen Stunden hindurch, die noch bi8 zur Ausfüh—⸗ 
rung blieben, überwacht. 

Sobald der Tod des Kaiſers Paul befannt war, 
fohrieen die Truppen, die das Palais umgaben, ik 
Hurrah und riefen den Kaifer Alexander aus. Man far 
dete Adjutanten in die Kafernen der verfchiedenen Corps, 
um diefe dem neuen Souverain ſchwören zu laſſen. Di 
Faiferliche Familie 309 vor Tagesanbruch in das alte 
Winterpalais über '). Zwifchen 8 und 9 Uhr des Mor 
gend hatte der Kaiſer die Huldigung der ganzen Gar 
nifon, feines Hofes und der vornehmften Civilbeamten 
empfangen. 


ar "ne —⸗ 


Zwei Bemerkungen drängen ſich unwillkürlich auf, 


welche dieſer Revolution einen von den meiſten andern 
Militairrevolutionen verſchiedenen Charakter geben. Er 
ſtens: daß fie mit der mäßigen Macht von höchſtens 
zwei Bataillonen und weniger Reiterei ausgeführt wurde, 
Daß diefe Truppe in vollftändiger Unkenntniß ihrer Be 
flimmung war, und daß ein Hundert Offiziere, die im 
Geheimniß waren, die Revolution für ſich allein ange 


1) Der berühmte Baron von Armfeld befand fih damals zu St. 
Deteröburg, und der Kaifer Paul batte ihm für denfelben Tag um 
6 Uhr Morgens eine Audienz beftimmt. Als er im &t. Michaeeli⸗ 
palais antam, wo Alles ſchon rubig war, verlangte er, zum Kalfer 
geführt zu werden. Man fagte ihm, dieſer fei im Winterpalaſte. 
Er konnte einige Augenblide lang dieſe Ueberfledelung nicht begrei⸗ 
fen, bis man ihn von dem Greigniß unterrichtete, 


Die ruſſiſche Thronrevolution non 1801. 93 


ponnen und -Durchgeführt hatten. Aus diefem Grunde 
wärde Das Entrinnen des Kaiferd alles haben fehlfchla- 
jen machen, und würde der Monarch bei denfelben 
Truppen, Die zu feiner Entthronung mitwirften, Hilfe 
jefunden haben. 

Die andere Bemerkung bezieht fich darauf, daß, mit 
einiger Ausnahme des erlauchten Opfers, der plöß- 
iche Wechſel der höchften Gewalt, nach einer Regierung, 
90 die Autorität dieſe Macht fo fehr gemisbraucht und 
n fo willfürlicher Weife regiert hatte, Feine Rachehand⸗ 
ungen, Feine Verfolgungen mit fich geführt hat). 

Möge der philofophifche Gefchichtfchreiber über diefe 
Bemerkungen nachdenken; es wird ihm nicht fchwer fal- 
Im, uns zu erflären, warum die Revolutionen bei den 
aufgeflärten Nationen fo viel Uebel nad) fich ziehen, und 
warum fie bei einem Wolke, deſſen Eivilifation erſt ein 
Jahrhundert alt ift, einen fo verfchiedenen Charakter 
darlegen ?). | 


— 


D Eine dritte Bemerkung kann man maden: daß dieſe Revolus 
tion, in ihren unmittelbaren Wirfungen wenigſtens — denn ohne 
mittelbaren Nachtheil bleibt Peine Revolution, weil jede einen nad 
theiligen Einfluß auf Sittlicfeit und Rechtsſtand Äußere — ſich 
auf den Hof befhränkte, während in den Staatseinrihtungen Beine 
Ummälzung cintrat, die Gefege nicht einen Augenblid ihre Kraft 
verloren, das ganze Land bei dem Greigniffe nidhte anderes empfand, 
aid es empfunden baben würde, wenn Kaifer Paul wirklich an einem 
Schlaganfall geftorben wäre. Aud find die Mörder nit zur Herr⸗ 
Heft gelangt, und es hat fi Feine neue Partei durd das Verbre⸗ 
Gen zur Gewalt gefhwungen. 

2) Geiftig und fittlih wahrhaft tüchtige, politiſch wahrhaft ge⸗ 
biidete Nationen machen feine NRevolutionen, oder wenn fie dergleis 
den maden, fo geben fie ſehr unſchaͤdlich und mild vorüber, mie 
dad Beifpiel von England 1689 beweift. Die Ausfhmweifungen und 
Sräuel der Nevolutionen fließen aus der geiftigen und politifchen 
Helpbilvung, der fittlihen Haltungdlofigkeit, dem Mangel an Glau⸗ 
pl en fittligder Kraft, an Pflihtgefühl, an wahrer Ghre und 

anität. 


94 Die ruffifhe Thronrenolntion von 1801. 


Paul I. wurde den zweiten Tag nad) feinem Tode 
auf einem prächtigen Katafalf ausgeftelt.e Sein Kopf 
war durch einen großen Militairhut bededt; feine rechte 
Hand, die dur Säbelhiebe verflümmelt worden, war, 
gegen die Sitte des Landes, mit einem Handſchuh ver 
fehen. Sein Geſicht war nicht fehr entftellt; aber der 
Chirurg Wylie war von Stunde zu Stunde befchäftigt, 
ihn zu ſchminken und nachzuhelfen, um die Spuren eine 
gewaltfamen Zodes, Die fi) immer wieder erneuerten, 
verfchwinden zu machen. 

Am Fuße diefes Katafalts ſah man einen tief be 
fümmerfen Sohn, der den Vater beweinte, deflen Ver: 
luſt er verurſacht, und der durch aufrichtige Thränen 
dad Verbrechen feiner neuen Unterthanen zu fühnm 
verfuchte. 


I ABER nn — 


Die Beftattung des Kaifers fand am 28. Min | 
(9. April) mit Pomp flat. Er wurde in der Talfalı : 


chen Gruft in der St. Petersburger Feſtungskirche ber 


gefeßt, und die Reſte Paul's I. ruhen dort an der Seitt 
der Aſche Peter’s I. 


I. Die PBrinzeffin Drfini. 


Fine ber merbwürdigften Srauen der Uebergangsperiode 
om 17. zum 18. Jahrhunderte, der prägnantefte Aus: 
wu eines Eugen, verftändigen, überaus gewandten 
md einflußreichen Waltend von Frauen in Hof: und 
Staatsfachen, mit fpecifiich franzöfifcher Färbung, ſtellt 
ih in der Witwe des Herzogs von Bracciano, Flavius 
wi Orfini dar, die am Belannteften unter dem Namen 
veg Prinzeſſin Urfini oder des Urfins ift. 

Anna Maria de la Zremouille war die Tochter Lud⸗ 
wig's de la ZTremouille, Herzogs von Noirmantier 
(geb. 25. Dec. 1612 + 12. Det. 1666), der fich feinen 
Herzogstitel durch Friegerifche Tapferkeit verdient hatte, 
und der Renata Julie Aubery (verm. Nov. 1640 + 
2. März 1679). Ihr Geburtsjahr ift nicht genau be- 
kannt). Man weiß nur, daß fie zwifchen ihren zwei 
Brüdern geboren war, und die Geburt ihres älteften 
Bruders, ded Herzogs Ludwig Alerander, in das Jahr 
1642, die ihres jüngeren Bruders, ded Cardinals de la 
Zremouille, in dad Jahr 1652 fat, fie felbft aber 1659 
zum erſten Male verheirathbet ward. Ihre Schwefter, 


1) Die Herzogin von Orleans ſchreibt unter dem 17. Dec. 1719 
vn ihr, daß fic 77 Zahr alt fei. Indeß 1642 Fann fie nit ge- 
beren fein. Biclleiht aber 1643. 


94 Die raffifhe Thronrevolution von 1801. 


Paul I. wurde den zweiten Tag nach feinem Tode 
auf einem prächtigen Katafalk ausgeſtellt. Sein Kopf 
war durch einen großen Militairhut bededt; feine rechte 
Hand, die durch Säbelhiebe verflümmelt worden, wat, 
gegen die Sitte des Landes, mit einem Handfchuh ver 
fehben. Sein Gefiht war nicht fehr entftellt; aber de 
Chirurg Wylie war von Stunde zu Stunde befchäftigt, 


ihn zu ſchminken und nachzuhelfen, um die Spuren eine . 


gewaltfamen Zodes, die fi) immer wieder erneuert, 
verichwinden zu machen. 
Am Fuße diefes Katafalks fah man einen tief be 


fümmerten Sohn, der den Water beweinte, deffen Be: . 


luft er verurſacht, und der durch aufrichtige Thränca 
das Verbrechen feiner neuen Unterthanen zu fühnm 
verfuchte. 

Die Beftattung des Kaifers fand am 28. Miy 
(9. Aprif) mit Pomp flatt. Er wurde in der Talfali- 
hen Gruft in der St. Petersburger Feftungskirche ber 
gefeßt, und die Reſte Paul's I. ruhen dort an der Sa 
der Aſche Peter’s IH. 


I. Die Prinzeffin Drfini. 


Fine der merfwürdigften Srauen der Uebergangsperiode 
om 17. zum 18. Jahrhunderte, der prägnantefte Aus- 
ud eines Eugen, verftändigen, überaus gemandten 
md einflußreihen Waltend von Frauen in Hof: und 
Staatsfachen, mit fpecifiich franzöſiſcher Färbung, ftellt 
Ach in der Witwe ded Herzogs von Bracciano, Flavius 
dei Drfini dar, die am Bekannteſten unter dem Namen 
dee Prinzeffin Urfini oder des Urſins ift. 

Anna Maria de la Zremouille war die Tochter Lud⸗ 
wig's de la Zremouille, Herzogs von Noirmantier 
(geb. 25. Dec. 1612 + 12. Det. 1666), der ſich feinen 
Herzogstitel Durch Priegerifhe Tapferkeit verdient hatte, 
und der Renata Julie Aubery (verm. Rov. 1640 + 
D. März 1679). Ihr Geburtsjahr ift nicht genau be- 
fannt ). Man weiß nur, daß fie zwifchen ihren zwei 
Brüdern geboren war, und die Geburt ihres älteften 
Bruders, des Herzogs Ludwig Alerander, in das Jahr 
1642, die ihres jüngeren Bruders, des Cardinals de la 
Ztemouille, in das Sahr 1652 fällt, fie felbft aber 1659 
um erften Male verheirathet ward. Ihre Schwelter, 





)) Die Herzogin von Orleans ſchreibt unter dem 17. Dec. 1719 
von ihr, daß fie 77 Jahr alt fei. Indeß 1642 kann fie nidht ge- 
deren fein. Vielleicht aber 1643. 


96 Die Prinzeſſin Orfni. 


Aloiſia Angelica, heirathete Anton Lanti, Prinzen von 
Belmar in Rom und ward gemeiniglid Die Herzogin 
von Lanti genannt. Anna Maria heirathete zuerft den 
Adrian Blaſius de Talleyrand, Prinzen von Chalois, von 
dem fie 1670 Witwe wurde. Er hatte fih, in Xolge 
feiner Theilnahme an der Le Fort'ſchen Duellfache, flüd- 
ten müflen und ging zunächft nach Spanien, bei wel- 
cher Gelegenheit feine Gemahlin, die ihm gefolgt war, 
zuerft mit einem Lande befannt wurde, in dem fie vide 
Jahre Später eine fo bedeutende Rolle "fpielen follte, 
Später gingen fie nach Italien, und während er im 
venetianifchen Gebiete eine Zufludt fand, begab fie fi 
nah Rom, um den Schuß der beiden franzöfifchen 
Cardinäle Bouillon und d'Eſtrées nachzufuchen '). Bald 
darauf flarb ihr Gemahl in fo mislichen Vermögensum⸗ 
ftänden, daB fie weientlich auf Die Kreigebigkeit ihrer 
Gönner angewielen blieb. Diefe vermittelten denn auch 
1675, unter Zuftimmung des franzöftichen Hofes, eine 
Vermählung derjelben mit Flavius dei Orfini, Herzog 
von Bracciano, Fürft von Vicovaro, Grand von pa 


nn . 


A nn U A a m nn. 


nien und römilhem Baron, welcher feit 1674 Witwer 


war. Er erhielt durch diefe Verbindung den beiligen 
Beiftorden, Unfrieden im Haufe und einen, hauptfäd: 
lich durch die franzöfiichen Bekanntichaften feiner Ge 
mahlin verurfachten Aufwand, der ihn nöthigte, 169% 
Vicovaro an den Grafen Bolognetto, 1693 Anguillaria 
an den genuefiichen Patrizier Grili, 1696 Albano an 
die papftlihe Kammer, endlich felbft Bracciano an Li⸗ 
vius Odescalchi zu verfaufen, während ihm der heilige 


1) Gore läßt fie fhon damals aud von Portocarrero, der als 
jpanifher Gefandter in Rom gewefen fei, befhügt werden. Aber 
Jortocarrero kam erſt 1676 und als Geſandter gar erft 1678 nad 

cm. 


Die Prinzeſſin Orfini. 97 


Geiftorden wegen feiner Zwiftigfeiten mit feiner Frau 
wieder abgenommen ward. Seine Gemahlin flüchtete 
fd, um feinen Vorwürfen zu entgehen, öfters nad 
Frankreich, und blieb einmal fünf Jahre auf einem fol- 
hen Beſuche. Bei Ddiefer Gelegenheit entwidelte fie 
eine frühere Befanntfchaft mit der Maintenon zur innig- 
fien Vertraulichkeit und begründete fih überhaupt un- 
gemeined Anſehen bei Hofe. Im Jahre 1695 verfühnte 
fie der Cardinal Portocarrero '), der ihrem Palafte ge 


1) Der Gardinal Portocarrero ftammte eigentlid nur weiblicher 
Seits aus dem fpanifhen Geſchlechte dieſes Namens, männlider 
Seits, dagegen von den genueſiſchen Boccanegras. Aegidius Boccane⸗ 
gra, ein vornehmer Genueſe und Bruder des damaligen Dogen von 
Genna, bekam 1342 von dem Roͤnige Alphons XI. von Gaftilien 
das Gebiet von Palma in Spanien gefhentt. Sein Enkel Micer 
Aegidius beirathete Francisca Portccarrero und deſſen Rachkommen 
nahmen nun den lehteren Namen an. Bu ihnen gehörte der Lud⸗ 
wig Portocarrero, welder 1527 zum Grafen von Palma erhoben 
werd. Der Urenkel diefes erften Grafen von Palma und der jüngere 
Bruder des 1649 verftorbenen Grafen Zerdinand Ludwig von Palma 
wer Ludwig Emanuel Ferdinand Portocarrero, der nachherige Gars 
dinal“). Er wurde 1635 geboren, trat ſehr jung in den geiftliden 
Stand, ward Dedant zu Toledo und bereits am 29. Nov. 1669 
kur) Papſt Clemens XI., auf Anſuchen der verwitweten Königin von 
Spanien, Cardinal. 1675 bei dem Aufftande in Meffina ging cr 
als Bicckönig nad Sicilien und bewirkte die Ruhe der übrigen In» 
fi. 1676 war er beim Gonclave und brachte, ungeadhtet feiner Zwi⸗ 

mit dem ordentlihen Geſandten Spaniens, dem Gardinal 
Reidhart, duch Bermittelung des Cardinals Golonna eine den ſpa⸗ 
riſchen Intereffen zuſagende Wahl zu Stande. 1678 war er außer- 
ordentliher fpanifher Gefandter in Rom, nahdem er fon Jahres 
vorher zum Erzbiſchof von Toledo und Primas von Spanien erho⸗ 
ben worden. Er trat in den Staatörath, ward Mitglied der ober- 
ken Staatsbehoͤrden und Generallieutenant der Marine. Seine Ein: 
Minfte waren außerorventlih groß und das Erzbistum allein brachte 
Im jährlid 360,000 Thaler. Gr war ed vorzüglih, der den 


%) 9. Imhoff, Recherches historiques et genealogiques des 
Grands d’Espagne, ©. 2313 fg. — Genealogise XX illustrium in Hispe- 
ıia familierum, ©. 254 fg. 

I. 5 


as Die Prinzeſſin Orſini. 


genüber gewohnt und zu dem ſie in ihren häuslichen 
Nöthen immer ihre Zuflucht genommen hatte, wieder 
mit ihrem Gemahl, worauf fie nach Rom zurückging 
und bis zu den am 5. April 1698, im 66ten Alters 
jahre, erfolgten Zode des Herzogs bei ihm blieb. Die 
Güter, die ihm noch geblieben waren, Zori, Roccan⸗ 
tica, Caftiglione und Selci, zog die päpftliche Kammer 
ein‘). Der Wihve blieb ein meublirter Palaft in Rom 
zur Bewohnung und ein nicht glänzender Witwengehalt. 
Sie nahm jegt den Namen Orſini an, weil der Neffe 
des Papfted Innocenz XII., der das Herzogthum Brac- 
ciano gekauft hatte, fich auch den Zitel Davon zuzueig: 
nen wünfchte. 

As die Wahl der Gemahlin des jungen Königs 
Philipp V.“) von Spanien zu Gunften einer Prinzeſ⸗ 
fin von Savoyen entfchieden war, ergriff fie mit Eifer 
den Gedanken, an diefem Hofe eine glänzende und ein 
flußreiche Stellung zu erlangen. Sie wendete fih an 
die Maintenon und die mit Ddiefer innig verbundenen 





König Karl II. zur Unterzeihnung des Teftamentes bewog, worin 
er Philipp V. zum Erben ver fpanifhen Monarchie ernannte. Er 
beftimmte den neuen König, vie verwitwete Königin fofort vom 
Hofe zu entfernen. Er war ed, der die Prinzefiin Drfini zur Game 
vera mayor der jungen Königin empfahl. Gr ftand an der Spige 
der neuen Regierung, die allerding5 durd feine Unverträglichfeit 
und feinen Eigenfinn erfhmwert ward. Nah der Ankunft tes Gar 
dinals d'Eſtrees aber und wie die franzöfifhde Einmiſchung immer 
deutlicher hervortrat, aud die Abberufung jenes Gardinals Feine me 
jentliche Aenderung bewirkte, zog er fih vom Hofe zurück und ging 
nah Toledo. Er und die verwitwete Königin waren die Urfade, 
daß ſich Toledo für Karl Il. erklärte. Kurz vor feinem Tode aber, 
und wie Philipp V. ald der Ausdruck des rein fpanifchen Intereſſes 
erfaßt wurde, trat er wieder für diefelbe Sadhe auf und auf Phi⸗ 
lipp’5 Seite. In gänzlider Zurüdgezogenheit von den Gefhäften 
ftarb er am 14. Sept. 1709 zu Toledo. 

1) Mercure historique, Mai 1693, &. 484. 

2) Geboren 19. Dec. 1683, + 9. Juli 1746. 


Die Prinzeffin Orfini. 90 


Roailles '), indem fie ihre Eigenſchaft als Witwe eines 
Sranden, ihre Freundfchaft mit dem Cardinal Porto: 
arrero, ihre Bekanntſchaft mit Sprache und Bitten der 
Spanier geltend machte, übrigens nur um die Erlaub: 
aiß bat, die junge Königin nad) Madrid begleiten und 
dort fo lange verweilen zu dürfen, ald cd dem Könige 
gefallen würde. Auch Portocarrero verwendete feinen 
Eimfluß zu ihren Gunften. Der franzöfifche Hof ent- 
ſchied fih, ihr den wichtigen Poften einer Camarera 
napor bei der jungen Königin zu vertrauen, und bald 
vord ihr (1701) durch den fpanifchen Gefandten in 
Rom, Herzog von Uceda, die deöfallfige officielle Df: 
ierte gemacht. Sie begleitete ihre neue Gebieterin auf 
ver Saleere, welche diefelbe nach Spanien brachte. 

St. Simon’) fohildert fie in folgender Weife: „Sie 
var von mehr ald mittlerer Größe, brünett, mit aus- 
ucksvollen blauen Augen, und Ihr Gefiht, zwar ohne 
Anſprüche auf Schönheit, ungemein anziehend. Sie 
vefaß eine fchöne Figur, eine majeftätifche und würde: 
le, mehr anziehende, als einfchüchternde, und felbit 
n Kleinigkeiten mit fo zahllofen Reizen gepaarte Miene, 
ya ich ihreögleichen in Geftalt und Weſen niemald ge: 
ehen habe. Schmeichelnd, einnehmend und discret, eifrig, 
u gefallen, um des Gefallens willen, und unwiberfteh- 
ich, wenn fie zu überzeugen oder zu verfühnen wünfchte, 
efaß fie einen angenehmen Ton in Stimme und Hal: 
ung und einen unerfchöpflihen Fond der Unterhaltung, 
ne fie Durch Berichte über die verfchiedenen Länder, Die 
ie befucht hatte, und durch Anekdoten von den merk: 


1) U. A. hatte der Graf von Ayen, Sohn des Herzogs von 
Roailles, vor kurzem eine Nichte der Maintenen geheirathet, und 
beffeidete eine angefchene Stellung im Hofftaate König Philipp’s. 

2) Mcmoires III, 175 fg. Bergl. auch V, 249. 


5 * 


100 Die Prinzeſſin Orfini. 


würdigen Perſonen belebte, die ſie gekannt, mit denen 
ſie in Verkehr geſtanden hatte. Sie war an die beſte 
Geſellſchaft gewöhnt, ungemein fein und leutſelig gegen 
alle, befonders einnehmend aber für die, die fie auszu⸗ 
zeichnen wünfchte, und ebenfo geſchickt, ihre eignen Reize 
und Gaben zu entfalten. Sie war wie für die Sphäre 
der Höfe geichaffen und von ihrem fangen Aufenthalte 
in Rom her in allen Intriguen der Cabinete bewanderf. 
Sie war eitel auf ihr Aeußered und freute fi, wenn 
fie bewundert ward; Schwächen, die fie nie verlaffen 
haben, weshalb fie ſich auch, in jeder Periode ihres Le⸗ 
bend, für ihr Alter zu jung und zuweilen felbft lächer⸗ 
lich kleidete)y. Sie befaß eine einfache und natürliche 
Beredtſamkeit, welche ſtets nur das fagte, was fie wollte 
und wie fie es wollte, und weiter nichts. Sie war 
verfchwiegen in Betreff ihrer felbft, dem Vertrauen An: 
derer treu, mit dem äußeren, nein mit dem inneren 
Mefen einer Heiterkeit und guten Laune und einem 
Gleichmaß des Temperaments begabt, die fie zu allen 
Zeiten und unter allen Umftänden zur vollfommenen 
Herrin ihrer felbft machten. Niemals beſaß ein Weib 
mehr Lift, ohne den Anfchein folcher; niemals gab es 
einen Kopf vol foviel Anfchläge, eine größere Kennt: 
niß des menfchlichen Herzens und der Mittel, es zu 
lenken. Sie war allerdings ftolz und hochfahrend, ohne 
Scrupel über die Mittel gerade auf ihren Zwed drin: 
gend, aber immer, wo möglich, gab fie ihrem Verfah⸗ 
ren einen milden und gefälligen Anſtrich. Nichts war 
fte halb: eiferfüchtig und gebieterifch in ihrer Zuneigung, 
ein eifriger, troß Zeit und Zrennung unmandelbarer 
Freund und ein höchſt unverföhnlicher und bartnadiger 
OD Erinnern wir und en tin Zug bei der cigenthümlichen 
Serne ir endlichen Grtlaffung. 


Die Prinzeffin Orſini. 101 


Zeind. Ihre Liebe zum Leben war nicht größer, als 
ihre Liebe zur Macht; aber ihr Ehrgeiz war von jener 
bochfliegenden Art, wie rauen felten empfinden, und 
ſelbſt höher, al& der gewöhnliche Sinn des Mannes“ '). 

Ihr Weſen, ihre Laune, die Verhältniffe, unter de⸗ 
nen fie die erſten Grundfteine ihres Einfluffes am fpa- 
nifchen Hofe legte, ftellen ſich am Iebendigften in ihren 
dgenen Worten dar, die fie (11. Dec. 1701) an die 
Herzogin von Noailles fchrieb: „Guter Gott, in was 
für ein Geſchäft haben Sie mich gebraht! Ich habe 
nicht die geringfte Ruhe, nicht einmal Zeit, mit meinem 
Secretair zu ſprechen. Mic nah dem Mittagsmahl 
zur Ruhe zu legen, oder zu eflen, wenn mich hungert, 
daran iſt gar nicht zu denken. Ich bin überglüdtich, 
wenn ich im Umbherlaufen ein kümmerliches Mahl auf- 
raffen Tann, und es ift felten, dag ich nicht in den Au- 
genblicke abgerufen werde, wo ich mich zu Tiſche fegen 
wi. Gewiß, Frau von Maintenon würde lachen, wenn 
fie die Einzelheiten meined Amtes kennte. Sagen Sie 
ihr, ich bitte, daß ich es bin, die die Ehre hat, den 
Schlafrod des Königs von Spanien in Empfang zu 
nehmen, wenn er fi zur Ruhe begibt und ihm denfel- 
felben, ‚nebft den Pantoffeln, zu reichen, wenn er auf: 
ſteht. So weit würde ich ed noch aushalten; aber daß 
mich der Graf von Benevent jede Nacht, wenn Der 
König in dem Zimmer der Königin zu Bette geht, mit 
dem Schwerte Sr. Majeftät, einem Nachtgefchirr und 
ner Lampe, die ich regelmäßig auf meine Kleider 


1) Die Herzogin von Orleans, die der Drfini gram mar, weil 
fie ihrem Sohne geſchadet, rühmte ihr doch den Vorzug vor der an- 
dern „alten Zotte““, der Maintenon, nad: „daß fie unfern Herr 
gott nicht Ins fpiel Miſcht undt die devotte nicht fpielt.” (Bricf 
an die Raugräfin Louiſe, &. 343.) 


102 Die Prinzeſſin Orfini. 


ſchütte, beladet, iſt doch zu grotesk. Der König würde 
nicht aus dem Bette ſteigen, wenn ich nicht die Vor—⸗ 
hänge wegzöge, und ed würde ein Sacrilegium fein, 
wenn irgend eine andere Perfon in das Zimmer der Kö- 
nigin träte, wenn fie im Bette find. Neulich ging die 
Lampe aus, weil ich das halbe Del verfchüttet hatte. 
Ich wußte nicht, wo die Fenfter waren, weil es Nacht 
war, als wir an den Pag kamen; ich hätte mir bald 
die Nafe an der Wand eingerannt, und ich und der 
König liefen in unfern Verſuchen, die Fenſter zu finden, 
eine Viertelftunde lang wider einander. Se. Majeftät 
findet mich fo brauchbar, daß er manchmal die Güte 
bat, zwei Stunden früher nach mir zu verlangen, ale 
ich aufzuftehen Luft habe. Die Königin nimmt an die 
fen Scherzen Theil, aber ich babe dad Vertrauen nod 
nicht gewonnen, was fie in ihre piemontefifchen Beglei⸗ 
ter feßte. Ich wundere mich darüber, da ich fie befler 
bediene, als jene, und ich bin gewiß, Daß fie fie nicht 
fo geſchickt entffeideten und ihr die Füße wufchen, wie ich." 

Der König Philipp V. hatte fich zu Figueras mit 
feiner Braut getroffen und ihre Vermählung war am 
3. Nov. 1701 durch den Patriarch von Indien geweiht 
worden. Marie Luiſe) hatte Faum ihr 14. Jahr ange 
treten und ſchien bei ihrer Fleinen Statur noch jünger, 
aber ihr Geift und Sinn bewährte die frühe Reife ihre 
Heimatlandes und fie verband mit ungemeiner Schön: 
beit der Geftalt und Züge die einnehmendften Manieren 
und die anmuthigfte Haltung. Ihr Kieblingsfprud: 
„Ich babe keinen Willen, der meiner Pflicht entgegen 
wäre”, war in ihren Munde Feine Phrafe. Der fran: 


1) Marie Luife Gabriele, geboren 17. Sept. 1688, vermäßlt 
il. Scpt./3. Nov. 1701, + 18. Febr. 1714. 


Die Prinzeſſin Orſini 103 


zöſiſche Hof traute aber den ſchlauen Piemonteſen nicht 
und hatte Befehl gegeben, ihre landsmänniſchen Beglei⸗ 
ter an der fpanifchen Grenze zurüdzufchiden und fic 
lediglich unter die Obhut der Prinzeffin Orfini zu fie: 
In. Died betrübte fie tief und fie brach in fo bittere 
Hagen aus, daß man anfangs einen tiefeen Grund für 
diefen Kummer argwöhnte, ald die natürlihe Empfin- 
dung eines fo jungen Mädchens, das fich auf einmal 
von allen Bekannten getrennt und unter lauter ganz 
fremde Umgebungen verfeßt fieht. Indeß man tiber- 
zeugte fich bald von der wahren Sachlage und zollte 
dem ebenfo verftändigen, ald gemüthvollen Weſen der 
jungen Königin dann um fo größere Achtung. ES be: 
weift aber dad gemwinnende Wefen der DOrfini, Daß fic 
diefen erften ungünftigen Eindrud, Der noch im obigen 
Briefe nachklingt, Doch fo bald verwifchte und einen ſo 
ungemeinen Einfluß auf die Königin gewann. 

In der Erfüllung Feiner häuslicher Pflichten, ſagt 
Core, entfaltete die Prinzeffin all ihre Talente, Grazic 
und Gewandtheit, und ward bald die vertraute Günft: 
lingin und Leiterin der Königin, welche, inmitten der 
büftern Etikette dieſes feierlichen Hofes, ſich glüclich 
Ihäßte, fich ihrer liebenswürdigen Camarera mayor hin- 
geben zu fünnen. Gine Hauptaufgabe. der Prinzelfin, 
die ihre auch allmälig gelang, war darauf gerichtet, eben 
die Schranfen der nationalen Etikette zu lüften und die 
panifchen Großen an einen vertrauteren Verkehr mit 
ihren Souverainen und mit den franzöfifchen Agenten 
zu gewöhnen. Aber bald ward fie auch für höhere 
Zwecke immer wichtiger. Sie beherrfchte die Königin 
und dieſe den König Man Fann aber nicht anders 
fagen, als daB fie dad wahre Intereffe Spaniens im 
Auge hatte, daſſelbe zwar, mie das unter den damali- 


104 Die Prinzeſſn Orfizi. 


gen Umftänden, von ihrem Standpunfte aus, nicht an- 
ders fein Fonnte, in inniger Verbindung mit dem fran- 
zöfifchen auffaßte, den nachherigen Uebergriffen und Mis⸗ 
griffen Frankreichs aber entgegentrat und die fpanifchen 
Verhältniſſe richtiger beurtbeilte und bei ihrer Behand: 
ung mehr Takt, Verfland, Unbefangenheit und guten 
Willen bewies, ald vielleicht irgend ein fpanifcher und 
franzöfiiher Staatsmann jener Tage, der in diefen Din 
gen beichäftigt worden. 
Die Sachen gingen bis zum Jahre 1703 ganz leib- 
ich. Die Verwaltung Spaniens, das noch nicht vom 
Kriege berührt worden, war in fpanifchen Händen, haupt 
fählih in denen des Cardinal Portocarrero, und man 
hatte ed nur mit der Indolenz, dem Schlendrian, den 
innern Misbräuchen, Grillen und Reibungen der ſpani⸗ 
ſchen Beamten und der Unverträglichkeit Portocarrero’s 
zu thun; Unbequentlichkeiten, über welche die Drfini hin 
auskam und die mehr ärgerlich, als in weitern Kreifen 
nachtheilig waren. Jetzt aber trat eine neue Perfon auf 
Die Scene: der Sardinal d’Eftreed. Ludwig XIV. wähnte, 
Spanien beherrfchen zu können, wie fein Sranfreich, und 
war, wie die Sranzofen immer, geneigt, fich für dieſe 
Mühe auch noch auf Koften Spaniens bezahlen zu Taf: 
fen. Der Herzog von Harcourt ') hatte fih am beften 
in Spanien gefunden und ebendeshalb auch am meiften 
gewirkt. Der Graf Marfin ’) zog ſich ſchon die Um 


1) Heinrih, geb. 1654, Adjutant Turenne's, fpäter wiederholt 
Gorpsführer, 1697 Gefandter in Madrid, 1700, zum Lohne dafür, 
daß er die Sinfegung Philipp’5 von Anjou zum Erben der ſpaniſchen 
Monarchie vermittelt, Herzog, 1703 Marfhall, + 9. Det. 1718. 

3) Anton, ward nachher Marfhall von Zranfreig, 1706 in der 
Schlacht von Turin verwundet und gefangen und ftarb Tags daranf 
(8. &ept.), wie man fagt, von einer neben feinem Zimmer ftattfin- 
denden Pulvererplofion erſtickt. 


Die Prinzeſſin Orſini. 105 


gunſt der Spanier zu, weil er dem ſpaniſchen Etaate- 
rathe als Mitglied aufgedrängt wurde. Indeß war cr 
weife genug, Ludwig XIV. von feinem Plane, eine Ab- 
tretung ber fpanifchen Niederlande zu verlangen, abzu- 
rathen. 1703 aber fchidte Ludwig den Gardinal 
D’Eftrdes, einen hochgeftellten, durch Gelehrſamkeit, 
Rechtſchaffenheit und Geift ausgezeichneten, in Diploma 
tiſchen Geſchäften vielbemwährten Prälaten '), deſſen ftol- 
zes Selbfigefühl aber für Spanien zu ſtark hervortrat 
und der mit dem Gedanken nach Spanien kam, deſſen 
unumfchränfter Regent zu werden. Ihn begleitete fein 
Neffe, der Abbe D’Eftrees ’), der mit demfelben Stolze 
größere Rücfichtölofigfeit und ein ränkevolleres Weſen 
verband, und gar nicht abgeneigt war, felbft auf Koften 
feines Oheims zu fleigen. An fie fchloß fich Louville, 
ein Vertrauter Philipp’ und im Beſitz einer der höch⸗ 
fin Stellen in feinem Hofftaat. Er war ein wißiger, 
fatirifher, eitler Franzoſe, der über alles Nichtfrango- 
fiiche fpottete, und ein perfünlicher Feind der Drfini, 
der er durch feine Fauftifchen Geheimberichte nach Paris 
am meiften gefchadet bat’). Dazu Fanı noch der Beicht⸗ 


1) SGaͤſar, Biſchof von Laon, geb. zu Paris 9. Febr. 1625, 
t auf feiner Abtei St. Germain des Pres 18. Dec. 1714. 

3) Johann V’Eftrees, Abt der Klöfter Evreu, Gondes un Et. 
Glaude, geb. zu Paris 1666, 1692 Gefandter in Portugal. Aud 
neh feiner verunglädten Miffion in Spanien blieb er in Gunft, 
war der erfte Geiftlihe, ter, ohne Prälat zu fein, den heiligen 
Geiftorden erhielt, und follte Fenelon's Nachfolger im Erzbisthum 
Gambrai werden, ftarb aber vor der Genfecration am 3. März 1718. 

3) Karl Auguft d'Allonville, Marquis von Louville, war 1668 
in Louville aeboren und ward frübzeitig im Hofſtaate des Herzogs 
von Anjou, nachherigen Königs von Spanien angeftellt, an deffen 
Grziehung er Antheil hatte. Er begleitete ihn denn aud ald Kam⸗ 
merherr und Chef des franzöfifhen Hofſtaates nah Spanien. Außer 
Mefer und einer weit fpäteren, im folgenden Artikel zu ermwähnenden 
Sendung nah Madrid, lebte er meift zurüdigezogen, heirathete 1708 

5 * * 


—C %r: Fre Dre 


‘:’7 > unem >r AÄnez Tüusemon, weldber gleid- 
- zz Im Forir re Irma neibiid mar. 

Dr gem: me con Sinch: in MWadrid, ale ſchon 
_.> vor mm zur 8 sg eine Boehrheit in 
> merope Berimm mar Du Drfini an de 
men = Scale immer „Es ti mein cmftlide 
mr Te Damnm um Situdigung findet, di 


mn 
Do} - “ . @ 
- emdım Zi meer If = uns gelingt, Die ein⸗ 


ameemim Son Mm Irmem au heilen, da 
um zershmtr esetsmbe mt crienchterer Geifl 


LLYS TG “a - m—n\ rL Srone sL gewinnen, als 


ve Berne, x zermm Ver um fra au fpre 
z 2. zu nor fr imer Erinig eben; Dem 


Jaır rar Worin werd es als 


Ph Bee BE 
a Ran on vn 

sy Jan I2 Frmınsunaseng Aszamten, Dad Frank: 
a2 ma I7 zuden V De Wer tote, nicht 
t. a3 ram mà. ar zen, und Diele Mof- 
2 rn l etaien 3 fehl 
mis 3 2; ır dumie Aacer der ich nicht ven 
Sa wm zn Sanur Mus} mer ter lieberscugung 
= Zum uerntr SF iter Norien liche“ 


—X — 


az 22 Ser Ne wir u zus Wefingung, unter 
zeu2n . Exenien zu bceherr⸗ 
"am Nm za ar mn. 

Dr Catan Yet cs PRerzscarrere durch 


F3 
die este. NE Some Erssmiongcegenbeit mehr 
an Delen Deut, amder Sin nur im Cabinctsrathe 


las gränae 222 Kzımn. Ta Son: 2 Franken in Konflan 
una, zuder 195 22 She Simsrtrez Zit lem Grofecjier 
gehabt karte, eı Her5 1731. Gr? Scuise scan Riur sat 4818 
zu Paris in 2 Benzin: «Memoires secrets sur letahlissement de 
la de Bourbon en Espazoe, estraits de la Correspondesce 
f de Louvilles herszsgigihn., 


Die Prinzeſſin Orſini. 107 


verhandelt werde, worauf Portocarrero ſich weigerte, an 
irgend einer Verhandlung des Cabinets theilzunehmen, bei 
der der Geſandte zugegen wäre). Er verlangte, daß 
der Prafident von Caſtilien ihm den erſten Beſuch 
mache, und da died nicht geſchah, fo lehnte er jeden 
Verkehr mit diefem ab. Er begehrte für ſich und fei- 
nen Reffen freien Zutritt zu den königlichen Gemächern, 
auch wenn der König mit der Königin und deren Da: 
men allein war. Die Gegenvorftellungen der Prinzeifin 
wurden ald Beweiſe ihrer Oppofition gegen den fran- 
zöſiſchen Einfluß gefchildert und alle Parteien legten 
ihre Beichwerden in Verfaillese vor. An Einem Zage 
gingen vier Couriere nach Berfailled ab: Einer vom 
König, Einer von dem Cardinal Portocarrero, Einer 
von dem Gardinal dD’Eftrees, Einer von der Prinzelfin 
Drfini. Ludwig fah wohl ein, daß er dem Garbinal 
Vorſicht empfehlen müfle, und fuchte die Unzufriedenen 
zu beſchwichtigen. Das Unmögliche ded Endzweckes, 
den der Cardinal verfolgte, erkannte er nicht, glaubte, 
derfelbe habe nur zu haſtig gehandelt, und wurde mis- 
trauifch gegen die Drfint, von der er wohl fah, daß fie 
die ganze Sache miöbillige. Die Vorwürfe, die er fei- 
nem Enkel machte, dem er feine Abhängigkeit von Wei- 
bereinfluß vorrüdte, ohne an fein eigenes Verhältniß 
zur Maintenon zu denken, kränkten den König und bie 
Königin tief und fie machten ernfte Gegenvorftellungen, 
die zugleich lebhafte Vertheidigungen der Orſini waren. 
Aber, wie es zu gefcheben pflegt, wenn man Seman- 


1) Bald gab aud der Herzog von Medina Geli feine Aemter 
auf und bielt mit dem Grafen von Aguilar, den Perzogen von In» 
fantado und von Beragues, dem Gonnetable von Gaftilien, dem Gra⸗ 
fen von Montejo und dem Patriarchen von Indien geheime Gonfe- 
renzen. 


106 Die Pringefin Orfini. 


vater ded Königs, der Jeſuit D’Aubenton, welcher gleich 
falls auf den Einfluß der Prinzeffin neldifch war. 

Der Cardinal war Feine Woche in Madrid, als ſchon 
alles wider einander flürmte Es lag eine Wahrheit in 
den fronifchen Bemerkungen, welche die Drfini an bie 
Herzogin von Noailles fchrieb: „Es ift mein ernftliche 
Wunſch, daß Se. Eminenz die Befriedigung findet, die 
er verdient und erwartet, Daß ed und gelingt, Die ein 
gewurzelten Schäden diefer Monarchie zu heilen, daß 
fein umfaflender, hochfliegender und erleuchteter Geiſt 
mehr angewendet wird, die Spanier zu gewinnen, als 
ihre Bewunderung zu erwerben. Aber um frei zu fpre 
hen, ich will ihm nicht für feinen Erfolg ſtehen; denn 
ich fürchte, eine von Natur flolze Nation wird es als 
ein Zeichen der Geringichägung betrachten, daß Frank⸗ 
veich eines der größten Genies in der Welt fchickt, nicht 
fie zu berathen, fondern fie zu regieren, und diefe Maß— 
regel wird ihren Widerwillen verflärfen. Ich ſelbſt 
muß es ald ein Wunder betrachten, daß ich nicht ver 
abjcheut werde, und kann died nur der Weberzeugung 
der Spanier zufchreiben, daB ich ihre Nation Liebe.” 
In der That, dad war die einzige Bedingung, unter 
welcher ein Fremder hoffen konnte, Spanien zu beberr- 
fchen, ohne gehaßt zu werden. 

Der Cardinal d'Eſtrées beleidigte Portocarrero durch 
die Forderung, daß Feinerlei Staatdangelegenheit mehr 
in deſſen Haufe, fondern alles nur im Cabinetsrathe 


das Fräulein von Nointel, die Tochter des Gefandten in Konſtan⸗ 
tinopel, welder 1676 den großen Sophaftreit mit dem Großvezier 
gehabt hatte, und ftarb 1731. Graf Scipion von Roure bat 1818 
zu Paris in 2 Bänden: «Memoires secrets aur l’etahlissement de 
la maison de Bourbon en Espagne, extraits de la Correspondence 
du marquis de Louville» herauögegeben. 


Die Prinzeffin Orfiai. 107 


verhandelt werde, worauf Portocarrero fich weigerte, an 
irgend einer Verhandlung des Cabinets theilzunehmen, bei 
der der Gefandte zugegen wäre’). Er verlangte, daß 
der Prafident von Caſtilien ihm den erften Beſuch 
mache, und da Dies nicht geſchah, fo lehnte er jeden 
Verkehr mit diefem ab. Er begehrte für fih und fei- 
nen Reifen freien Zutritt au den königlichen Gemächern, 
auch wenn der König mit der Königin und deren Da: 
men allein war. Die Gegenvorftellungen der Prinzeffin 
wurden ald Beweiſe ihrer Oppofition gegen den fran- 
zöfifchen Einfluß gefchildert und ale Parteien legten 
ihre Beſchwerden in Verfailles vor. An Einem Tage 
gingen vier Couriere nach Verſailles ab: Einer vom 
König, Einer von dem Gardinal Portocarrero, Einer 
von dem Kardinal d’Eftrees, Einer von der Prinzelfin 
Drfini. Ludwig ſah wohl ein, daB er dem Gardinal 
VBorficht empfehlen müfle, und fuchte die Unzufriedenen 
zu beſchwichtigen. Das Unmögliche des Endzwedes, 
den der Cardinal verfolgte, erkannte er nicht, glaubte, 
derfelbe habe nur zu haſtig gehandelt, und wurde mis- 
trauifch gegen die Drfint, von der er wohl ſah, Daß fie 
die ganze Sache misbillige. Die Vorwürfe, die er fei- 
nem Enkel machte, dem er feine Abhängigkeit von Wei- 
bereinfluß vorrüdte, obne an fein eigenes Verhältniß 
zur Maintenon zu denken, kränkten den König und bie 
Königin tief und fie machten ernfte Gegenvorftellungen, 
die zugleich lebhafte Vertheidigungen der Drfini waren. 
Aber, wie es zu gefcheben pflegt, wenn man Jeman- 


1) Bald gab aud der Herzog von Medina Geli feine Aemter 
auf und hielt mit dem Grafen von Aguilar, den Herzogen von In⸗ 
fantado und von Beragues, dem Gonnetable von Gaftilien, dem Gra⸗ 
fen von Monteio und dem Patriarhen von Indien geheime Confe⸗ 
renzen. 


108 Die Fringeffn Orfini. 


dem, gegen den man ſich einnehmen laſſen, Unrecht 
thut, eben dieſe Vertheidigungen, ſowie eine Fräftige 
Denkſchrift, in welcher die Prinzeſſin ſelbſt ihre Sache 
führte, vermehrten nur Ludwig's Verſtimmung gegen 
ſie, denn ſie enthielten einen indirecten Tadel ſeiner 
eignen Schritte und Abſichten. Da ſie in jener Denk⸗ 
ſchrift um Erlaubniß gebeten hatte, ſich aus ihrer Stel⸗ 
lung zurüdguziehen, fo beeilte fi Ludwig, dieſes An- 
erbieten anzunehmen. 

Der Gardinal begnügte ſich aber auch damit nod 
nicht, fondern betrieb nun die Entlaffung des Fähigften 
unter den fpanifchen Miniftern, Orri, der fih um die 
Finanzen wefentliche Verdienfte erworben hatte und in 
der That der Einzige war, der die fpanifchen Hülfs⸗ 
quellen einigermaßen flüffig zu machen verftand. Den 
König und die Königin behandelte er wie unmündige 
Kinder, befeßte viele Aemter, ohne fie zu fragen, und 
fchob überall den Willen Ludwig’s vor. Dur) d’Au: 
benton fuchte er den König gegen die Königin und die 
Prinzeffin einzunehmen. Aber Philipp biieb feſt und 
verlangte unaudgefeßt dad Werbleiben der Orfini, wäh 
rend die Königin von der Beforgniß, ihre Vertraute 
möchte von ihr entfernt werden, fo angegriffen war, 
daß ihre Gefundheit litt. Aber auch fonft zeigte ſich 
bei jeder Maßregel, die der Cardinal verfuchte, daß er 
die Spanier nicht zu behandeln verfland und dem Wi⸗ 
derwillen derfelben nicht gemachlen war. Ludwig fing 
an, zu fühlen, daß er die Prinzeffin nicht, oder noch 
nicht entbehren fünne, und fo mußte Torci) eine Art 


1) Golbert, Marquis de Torci, Sohn und Nachfolger des am W. 
Juli 1696 verftorbenen Miniſters Eroiffy, war zu Paris am 14. Sept. 
1665 geboren, ward fhon 1685 zu einer Ehrengefandtfhaft nad 
Liffaben verwendet, 1685 zu gleihem Zwecke nad Kopenhagen, 1687 


Die Prinzeſſin Orfini. 109 


Entfhufdigungsfchreiben an die Prinzeffin erlaflen, worin 
man fortfuhr, ihr Verfahren zu tadeln, zugleich aber 
den Wunſch ausfprach, daß fie in Madrid bleiben möge. 
Auch an den König fchrieb Kudwig, erklärte ihm, daß 
er ihm die Orſini Iaffen wolle, verlangte aber dafür 
gutes Einverftändnig mit feinen Gefandten. Die Prin- 
zeffin war aber nicht fo leichten Kaufed zu gewinnen. 
Sie erwiderte den Tadel Torci's mit Befchwerden über 
die Härte, mit der er fie behandelt habe, forderte Genug: 
thuung für die erfahrenen Beleidigungen und erklärte: 
Da fie von Könige von Frankreich den Befehl erhalten 
babe, fich zurückzuziehen, fo werde fie auch nicht ohne einen 
ebenfo beftimmten Befehl auf ihrem Poften verbleiben. 
Zugleich Iprach fie fich entichieden gegen das Verfahren 
ihree Gegner aus. Daneben fchürte fie den Unmuth 
des ſpaniſchen Königspaares dergeftalt an, daB Ludwig 
endlich erfannte, nur die Vermittelung der Prinzeffin 
fönne das herzliche Einvernehmen der beiden Höfe er 
halten. Gr befahl daher feinem Gefandten, den erften 
Schritt zur Ausföhnung mit der Prinzeffin zu thun, 
was von Seiten des Cardinals freilich mit fchlechter 
Grazie geſchah. Aber noch gab fich die Orfini nicht, 
und fo mußte ſich Ludwig entichließen, eigenhändig an 
fie zu Schreiben und fie zum Verbleiben auf ihrem Poften 
und zu gutem Vernehmen mit dem Cardinal zu er 
mahnen. 

In der That gingen nun auf einmal eine Menge 


cbenſo nad London, begleitete 1680 die franzoͤſiſchen Cardinäle zum 
Gonclave, heirathete die Tochter des Minifters Pomponne (+ 20. 
Set. 1699), ward nad dem Tode feines Baterd Staats ſecretair 
der auswärtigen Angelegenbeiten, trat 1716 aus dem Minifterium 
und bis 1718 in den Regentſchaftsrath und + 1746. Er wear cin 
befähigter, gründlicher und rechtſchaffener Mann. 


110 Die Prinzeſſin Orfiai. 


Dinge, die der Cardinal nicht hatte vorwärts bringen 
können, und felbft das von Ludwig befriebene Veripre : 
chen einer bereinfligen Abtretung der Niederlande an “ 
den Kurfürften von Baiern ward durch die Prinzen = 
erwirkt. 

Jetzt aber fiel ſie ſelbſt in eine Falle. Sie ließ ſich, 
wenn nicht von Louville, den fie als ihren Gegne = 
kannte und von dem fie felbft an Torci gefchrieben hatte, : 
fie betrachte ihn als einen für die Rache ded Himmels = 
auserfehenen Menfchen, aber doc von dem Abee d' Eſtreeb = 
täufchen, und fchenfte diefem ihr Vertrauen, befördert & 
feine und Louville's Pläne, die auf Entfernung de 
Gardinald und Erfegung deflelben durch den Abbe ge! 
richtet waren, und ließ Louville und Orri in einer auf = 
Betreibung dieſes Planes berechneten Miffion nach Ver 'E 
failed geben. Da nun überdem der Cardinal fortfuhr, w 
fich gereizt und taktlo8 zu benehmen, fo kam es in ber Wi 
That zu feiner Abberufung (Sept. 1703) und fein Neffe ı- 
trat an feine Stelle, während um diefelbe Zeit auch im 
Portocarrero, der ewigen Händel mit den Franzoſen i 
müde und über die Abnahme feines Einfluffes grollend, m 
feinen Abichied eingab. 

Die Prinzeffin aber fuhr mit dem Abbe eher nos 
fhlechter, ald mit dem Cardinal. Im Anfange heuchelten. 
er die größte Ergebenheit gegen fie, fuchte fie auf jeden 
Weiſe zu einer directen Theilnahme an den Gefchäftenıg 
zu verleiten und brachte fie endlich einmal zu dem takt⸗ 
(ofen Schritte, in Gemeinschaft mit ihm und Orri, eine 
auf Finanzreformen bezügliche Depeche an das Gabineı, 
von Verfailled zu unterzeichnen. Ein firenger Verweiß 
von Torci brachte fie fogleih zum Gefühl ihrer Unvor \_ 
fichtigfeit und fie warf nun ale Schuld auf den Ge x: 
fandten, gegen den fie um fo erbitterter war, als fie * 


„i 


Die Prinzeffin Orſini. 111 


durch den Gardinal, der fih an feinem Neffen 
ı wollte, erfuhr, wie fie in der That in dem Abbe 
entichiedenen Feind habe, der fie in feinen Privat- 
ı ebenfo fchmähe, wie er fie in feinen öffentlichen 
chen mit Lob überhäufe.. Sie fand das beftätigt, 
e vom Könige einen Befehl ausgewirft hatte, Die 
Ipondenz des Gefandten auffangen zu Taffen. Hier 
fie die achtungswidrigfte Sprache gegen König 
Königin, die bitterften Vorwürfe gegen das ganze 
rungsſyſtem, die eifrigfte Ermunterung der von 
kämpften franzöfifchen Politik, vor Allen aber Die 
ten Ausfälle gegen fie felbft, und zwar nicht blos 
ihre öffentliche Wirkſamkeit, fondern auch gegen 
yeivatleben und befonderd ihre WVerbindung mit 
Vertrauten und Secretair D’Aubigny. Der Kö⸗ 
ind fich durch das Erfahrene zu einer würdevollen 
ellung an feinen Großvater veranlaßt. Die Prin- 
aber ließ ſich durch ihren Aerger ſoweit hinreißen, 
fie eine mit den bitterften Randglofjen verjebene 
eift der Depeſche, durch Vermittelung ihres Bru- 
des Herzogs von Noirmoutierd, nach Verſailles 
jen ließ‘), Ludwig drohte, alle Franzoſen von 
id abzuberufen, und verlangte von Philipp einen 
n Bericht über die wirkliche Lage feines Hofes, 
un in der That das ganze Intriguengewebe ent- 
Zouville ward darauf in Ungnade zurüdgerufen. 
verfprach dem fpanifchen Hofe, daß auch der Abbe 
ufen werden ſolle. D’Aubenton beugte feiner Ent: 
g bei Philipp nur dadurch vor, daß er ein voll. 
ges Bekenntniß ablegte und fi ald durch den 


In Betreff der Anſchuldigung, daß fie mit dD’Aubigny in ge 
Berftänpniffen lebe und diefe gu einer heimlichen Ehe gewor⸗ 
en, ſchrieb fie an den Rand; «pour maride, non,» 


112 Die Prinzeſſin Orſini. 


Abbe und Louville verleitet darſtellte, bei Ludwig durch 
die Vermittelung des Pater de la Chaiſe. Gegen die 
Orſini aber blieb der franzöfifche Hof, durch die per- 
fönlichen Mittheilungen bes fehr gnädig aufgenommenen 
Cardinals d'Eſtrées erhigt, fo eingenommen, wie vor 
ber und behielt fi) vor, fie bei erſter Gelegenheit. zu 
flürzen. 

Während man fie durch fhmeichelnde Ausdrüde in 
Sicherheit wiegte, benußte man den jebt von Portugal 
“aus au) das fpanifche Gebiet bebrohenden Krieg, den 
König aus dem Bereich ihrer perfünlichen Einflüffe zu. 
entfernen. Man fchiefte ihn zur Armee und verbot der 
Königin, ihn zu begleiten. Nun erhielt der Abbe Be 
fehl, in Gemeinfchaft mit dem Herzog von Berwid 
und dem Marquis von Rivad, den König von der 
Nothwendigkeit zu überzeugen, daß die Prinzeffin enf- 
fernt werde. Dem König warb dafür Die Gegenver⸗ 
günftigung, daB auch der Abbe abgerufen wurde Er 
fowol als die Königin verbielten ſich, wenn auch tief 
betrübt, doch ruhiger, als man erwartet hatte. Mög 
ih, daß die Prinzeffin, welche die Nachricht gleichfalls 
mit Würde und GStandhaftigfeit empfing, Die Wendung 
doch ſchon vorausgefehen, auf Die Zukunft gebaut und 
ihren Gebietern Faſſung und Geduld empfohlen bat. 
Sie nahm einen perfönlichen Abfchied von der Königin, 
fondern empfahl ihre nur ſchriftlich Fügſamkeit, verließ 
Madrid (12. Aprit 1704), reifte aber in größter Lang⸗ 
famfeit durch Spanien, bielt ſich Tange zu Alcala auf 
und fam erft am 28. Mai in Vittoria an, wo fie den 
neuen Gefandten, den Herzog von Gramont traf. 

Ihre Langſamkeit hatte keinesweges darin ihren 
Grund, daß fie erwartete, fie werde nad) Madrid zu- 
rüdberufen werden, fondern in dem Wunſche, die Stim⸗ 


Die Prinzeſſin Orfini. 113 


mung in Verſailles ſich allmälig durch die Berichte und 
Darftellungen aus Spanien und durch die Bemühungen 
ihrer Freunde am Hofe ändern zu fehen. Sie täufchte 
ſich nicht in ihren Berechnungen; wol aber Hatte fich 
Ludwig gröblich getäufcht, wenn er ſich eingebildet hatte, 
die Orfini fei Die einzige Urfache, warum feine Pläne in 
Betreff Spaniens nicht vorwärts wollten‘), wenn er 
dem Herzog von Gramont verficherte, er werbe einen 
Hof ohne Parteiungen und ein Land ohne Misftimmung 
finden. Gramont war ein feiner und fefter Mann, 
aber, wie Flaſſan) fagt: „zu franzöſiſch, d. h. zu ge: 
neigt zu jener Rafchheit des Urtheild, welche der Prü⸗ 
fung vorauseilt und dem Irrthum ausfebt.” Als er 
die Grenze überfchritt, fchrieb er: „Sch bin völlig über- 
zeugt, Daß es um des Königs von Spanien willen noth- 
wendig ift, DaB unfer Souverain despotifch herricht. 
Aber die Spanier dürfen ed nicht merken, und das wird 
keine fchwierige Aufgabe fein”). Dan konnte fich nicht 
geöblicher täufhen. Er glaubte, den König ohne Die 
Königin beberrichen zu können, der man ihre ſtets er- 
neuerten Bitten um die Rüdfehr der Prinzeffin ſtand⸗ 
baft abfchlug, und erzwang die Entlaflung Orri's. Jetzt 
follte auch defien Anhänger, der Staatsfecretair Cana⸗ 
led, entlafien und wieder durch den fügfamen Rivas 
erſetzt werden. Aber der König blieb Diesmal feſt. Gra⸗ 
mont fah ſich genöthigt, doch zur Königin feine Zuflucht 
zu nehmen und erfuhr von ihr die ironifche, auf frühere 
Aeußerungen gegen fie bezüglihe Antwort: „wie fann 


1) Sie war gar nicht die Urſache davon, aber fie war dasjenige 
Glied des franzöfifhen Volks, was die wahren Urfahen am klar⸗ 
ften erkannte und am treueften danach handelte. 


3 IV., . 
3) M&m. de Nosilles, III, 201. 


114 Die Prinzeſſin Orfini. 


ein junges Weib von 15 Jahren, ohne Erfahrung und 
ohne Talente, ſich herausnehmen, Staatsangelegenheiten 
zu leiten?” In Gemeinſchaft mit den Miniſtern hin⸗ 
derte fie jeden Schritt, den der Gefandte empfahl, und 
wenn auch das Cabinet in eine Maßregel gewilligt hatte, 
fo erfolgten in den Departements geheime Gegenbefehle 
Dies allerdings in einer Zeit, wo das thätigfte und in- 
nigfte Zufammenwirken erfoderlih war. In der That 
ging über diefen Machinationen das, trog wiederholter 
Vorftelungen Gramont's, gänzlich vernachläffigte Gi⸗ 
braltar verloren. Jetzt Fonnte die Königin Canales doch 
nicht langer halten. Rivas trat an feine Stelle und es 
ward eine Regierungsjunta, nach der Empfehlung und 
unter den Aufpicien des franzöfifchen Gefandten, errich⸗ 
tet. Die Königin fuhr aber fort, felbft und durch ihren 
Gemahl, den franzöftifhen Hof mit Vorftellungen zu 
quälen, welche wenigftens die Zolge haften, daß ber 
auch ihr unangenehme Portocarrero und dei Fresne von 
der neuen Verwaltung ausgefchloffen blieben. Canales 
ward zum Staatdrath und Kammerherrn ernannt und 
erhielt eine Penfion von 12,000 Ducaten. : Auch dem 
Vertrauten der Orfini, D’Aubigny, warf man eine Par 
fion von. 2000 Ducaten aus. Die neue Regierungs: 
junta ward auf jedem Schritte durch die geheimen Ge- 
genbefehle des mit der Königin einverflandenen Mor 
tellano, des Präfidenten ded Raths von Eaftilien, ge 
hindert. Umfonft machte Zudwig die ernfteften Gegen⸗ 
vorflelungen. Die Königin fchien entfchloffen, Tieber 
das Königreich flürzen und ihre Krone verloren zu 
ſehen, ald das Ziel ihrer glühenden Wünfche zu verfeh- 
In’). In jedem Widerflande gegen Frankreich hatte fie 


1) Memoires de Tesae, II, 157. 


Die Prinzeſſin Orfini. 115 


die Sympathien der Spanier für ſich. Gramont fonnte 
fih nicht Tänger verbergen, DaB nur der Einfluß der 
Drfini die Dafchine im Gang halten und einem gänz- 
lichen Bruce vorbeugen Fünne. 

Auf feine Vorftelungen zog Ludwig mildere Saiten 
af. Es ward der Prinzeffin verfprochen, dag ihrem 
Bruder, dem Abbe de Ia Zremouille, die Cardinals- 
würde verfhafft und der Gefandtenpoften in Rom er: 
theilt werden folle, was auch beides in Erfüllung ging, 
und man verftaftete ihr, in Zouloufe zu bleiben, wäh- 
trend fie früher angewiefen worden war, nad) Rom zu 
gehen. Sofort gab fie der Königin die nöthigen Winfe _ 
und diefe wurde freundlich gegen Gramont. Alles 
ging auf einmal glatt und Gramont's Depefchen waren 
voll Hoffnung, Lob der Königin und Anerkennung der 
Berdienfte der verbannten Favoritin. Da die Königin 
wußte, daß Sramont auf Berwid eiferfüchtig war, wel: 
her Letzterer ihr felbit nicht zufagte '), fo vermochte fie 
Gramont, zu Berwid’s Abberufung mitzuwirken, machte 
ihm zugleich Hoffnung, daB die Wahl auf einen ihm 
befreundeten General fallen werde, lenkte die Wahl aber, 
durch Wermittelung ihrer Schwefter, der Herzogin von 
Burgund ’) und der Maintenon, auf Zefle’), von dem 
fie wußte, Daß er der Herzogin befreundet ſei. Endlich 
fand fie die Umflände reif dazu, fi) an Ludwig XIV. 


— — 





1) Sie fagte von ihm: «C'est un grand diable d’Anglois see, 
qui va toujours droit devant luiv, (Me&m. de Berwick, I, 274). 

2) Maria Adelheid, + 1712. 

3) Johann Baptift René de Zroulai, Graf von Teffe, geb. in 
der Maine 1650, 1692 Genecrallieutenant und Gencralobrift der 
Dragoner, kämpft in Italien, wird Marſchall, befehligt 1704—7 
in Spanien, dann in Toulon, fpäter Sefandter in Madrid, erwirkte 
den Sturz Alberoni's, kehrte am 7. März 1720 aus Spanien zu⸗ 
rüd, begab ſich in das Gamaldulenferflofter zu Grobois und ftarb 
daſelbſt am 30. Mat 1720. 


116 Die Prinzeſſin Orfini. 


mit der Bitte zu wenden, daB der Prinzeffin perſonli⸗ | 
ches Gehör zu ihrer Vertheidigung gefchenkt werde 
Diefe geſchickte Wendung bahnte dem König eine Brüde 
zu anftändigem Rüdzug und die Prinzeffin erhielt in 
gnädigſter Weiſe die Erlaubnig, nach Verſailles zu Tom: 
men. Damit war ihr Triumph entfchieden. 

Auf Tefle geftüst, Fonnte die Königin wieder frei 
handeln. Sie ernannte Montellano zum Herzog und 
Sranden zweiter Claſſe. Rivas ward wieder entfernt 
und fein Poften zwifchen Don Peter del Campo, Mar: 
quis von Mejerada ald Staatsfecretair, und Don I 
ſeph Marquis von Grimaldo, als Minifter der Finan⸗ 
zen und des Krieges, einem perfönlichen Günftling des 
Königs und der Königin, getheilt, der jekt feine Tange, 
noch über Alberoni und Ripperda binausreichende poli« 
tifche Laufbahn begann... Gramont erkannte, DaB er 
getäufcht war, begann jetzt, feine Depefchen mit Vor⸗ 
würfen gegen die Prinzeffin und die Königin zu füllen, 
und benußte den Beichtvater des Königs, diefen ſelbſt 
zu einem Gefühle der Unwürdigkeit feiner Abhängigkeit 
von zwei Frauen zu bringen. Aber ed war zu fpät. 
Ludwig hatte den Charakter feines Neffen erkannt, und 
ſah befier, als dieſer, daß deflen jetzige Stimmung nit 
von Dauer fein werde. Er hielt dafür, daß Die Köni⸗ 
gin immer die Beherricherin ihres Gemahls fein werde, 
und Daß ed das SHügfte fei, fich dieſes Verhältniſſes 
zu bedienen, ſtatt den fruchtlofen Verſuch zu machen, 
ed aufzuheben. In der That nahm Philipp V. fchon 
am 10. März 1705 die am Schluffe des vorhergehen⸗ 
den Jahres gethanen Yeußerungen fürmlih zurüd und 
verlangte einen andern Beichtvater. 

Die Prinzeffin Drfini ward in Verfailles auf das 
Slänzendfte empfangen. Der fpanifche Gefandte, Her⸗ 


Die Prinzeſſin Orfini. 117 


zog von Alba, und andere vornehme Standesperſonen 
fuhren ihr entgegen; Mitglieder der königlichen Familie 
beehrten ſie mit ihren Beſuchen; in ihrer Wohnung 
drangte fi) eine Menge, wie bei Föniglichen Levers, und 
der entichiebenfte Gegner ihrer Rückkehr, der Minifter 
Zorei, mußte ihr, auf ausdrüdlichen Befehl des Kö- 
nigs, feine Aufwartung machen. Sie hatte häufige 
vertrauliche Unterredungen mit dem Könige und der 
Maintenon und erfuhr von Ludwig die außerordentlich 
fin Beweife von Gunſt und Herablaſſung. Sie be 
nahm fich in diefem Glüde mit Zaft und Würde, ge 
fiel ſich aber doch fo fehr darin, dag fie mit ihrer Rück⸗ 
kehr nach Madrid auffallend genug zügerte, um zuletzt felbft 
eine mistrauifche Eiferfucht in der Maintenon zu erweden. 
Man beeiferte ſich nun, fie durch Erfüllung aller ihrer Wün- 
Ihe zur Rückkehr zu beitimmen. Der König verdoppelte 
ihre Penſion, ſodaß fie nun 20,000 Livres betrug, 
machte ihr reiche Geſchenke, Tieß ihr 12,000 Reichstha⸗ 
ler Reifegelder auszahlen, gab ihrem Bruder, dem Her: 
zog von Noirmoutier, eine reiche Grunddotation. Drri 
erhielt feine frühere Stelle wieder. Gramont ward ab» 
berufen ’) und die Wahl feined Nachfolgerd der Prin- 
zeſſin überlaflen. Sie fiel auf Amelot de Gournai?), den 
geeignetften Gefandten, welchen Frankreich feit dem Her: 
309 von Harcourt in Spanien gehabt, einen Mann, 
defien Klugheit und Milde den Weg zu finden verfprach, 


1) Gr ſchrieb vor feinem Abgangce an Torti: ‚Wenn alle Ihre 
Geſandtſchaften dieſer gleiben, fo erfläre ih Ihnen, daß ih in 
meinem Leben von Peiner wieder hören will”, nahm aud nit das 
geringite Geſchenk von dem fpanifhen Hofe an, ſondern empfahl, 
das Geld Lieber auf die Vedürfniffe der Truppen zu wenden. 

3) Gr war 1 geboren, Gefandter in Benedig, Portugal und 
der Schweiz geweien, damald Präfident des parifer Parlaments, 
verließ Spanien 1709, ward 1712 nah Nom gefendet und + 1724. 


118 Die Sringeffin Orfiet. 


dem Vernünftigen und Nöthigen felbft durch die fpani- 
ſchen Borurtheile Eingang zu verfchaffen. Die Aufgabe 
war aber freilich jetzt fehwieriger, als je; denn der Geift 
des Widerſpruchs war, unter den vorhergehenden Sn: 
triguen, tief in die Verwaltung gedrungen und Monte: 
ano operirte jest felbft gegen die Rückkehr der Prin- 
zeffin. 

Indeß endlid, erichien dDiefe und zog (5. Auguſt 
1705) wie im Zriumphe in Madrid ein. Zwei Meilen 
weit famen ihr König und Königin entgegen und In 
den fie, nad) einer zärtlihen Umarmung ein, in bem 
föniglihen Wagen Plag zu nehmen. Sie war jedod 
zu taktvoll, die firengen Regeln der fpanifchen Etikette 
durch Annahme einer Ehre zu verlegen, zu welcher Fein 
Unterthan berechtigt war. Sie übernahm ihre Stellung 
ald Camarera mayor, nachdem ihre Nachfolgerin, die Her- 
z0gin von Bejar, reftgnirt hatte, wieder und alled 
Ichien ind Gleiche gebracht. Indeß begangene Misgriffe 
find Teichter zurüdzunehmen, als ihre Folgen wieder 
gutzumaden. Die Widerfeglichfeit der fpanifchen Gro- 
Ben ermüdete felbft die Geduld der Prinzeffin und die 
öffentlichen Unfälle nahmen raftlos zu. Auch die Ent- 
laffung Montellano's, an deflen Stelle der Corregidor 
von Madrid, Ronquillo, trat, half nur wenig. 

Als jedoch die ernftefte Prüfung kam und der bour 
bonifhe Hof vor den fiegreichen Waffen des Gegenkö⸗ 
nigs Madrid zum erften Male verlaffen mußte (Juni 
1706), ergab ſich doch, daß der Oppofitiondgeift mehr 
nur ein frondirender gewejen war, und vor dem Pflicht: 
gefühl der Treue für den anerfannten König der fpani- 
fhen Nation wih. Die meiften Großen folgten dem 
flüchtenden Hofe nach Burgos und Madrid empfing 
Die Sieger in düflrem Schweigen. Unter den Wenigen, 


Die Prinzeſſin Orfini. 119 


die ſich dem Könige Karl III. anfchloffen, befand fich 
derfelbe Marquis von Rivad, den man bie dahin ale 
dad fügfamfle Werkzeug der Franzoſen gekannt hatte. 
Es war der Drfini beſchieden, daß jede Abweichung 
von wahrhaft richtiger Politif zu Gunften perfönlicher 
Stimmungen fih an ihr rächen follte. Der Herzog von 
Berwick, der den Spaniern wieder zu Hilfe gefchict 
war, hatte Durch die Schlacht von Almanza die Sachen 
Philipp's wieder günftig geftellt, ward aber, auf Betrieb 
der Prinzeifin, abberufen und Durch den Herzog von 
Orleans erſetzt. Im diefem erhielt Die Prinzeffin einen 
neuen Feind, und das follte in einer viel fpäteren Zeit 
ihr noch Nachtheil bringen. Wohl aber macht ed, wenn 
man die wahre Stellung diefer Perfonen zu einander 
und Die folgenden Vorgänge kennt, einen eigenen Ein- 
ud, daß bei der prächtigen Taufe des Prinzen von 
Aturien (1717) der Herzog von Orleans, die Prinzef- 
fm Orfini und der Cardinal Portocarrero ſich als Die 
Haupthandelnden vereinigt fanden’). Wenn übrigens 
die Prinzeffin bald ald Gegnerin des Herzogs auftrat, 
ſo handelte fie hierin nicht aus perfünlichen Beweg⸗ 
gründen, fondern in Treue gegen ihre Wohlthäter. Der - 
Herzog Hatte namlich ſelbſt Abfichten auf den fpanifchen 
Thron und rechnete auf den Fall, wo den Verbündeten 
die Conceſſion eines Rüdtritts Philipp's V. gemacht wer: 
den müſſe. In dieſer Abficht ſchürte er die Unzufrieden- 
heit der ſpaniſchen Großen und überhaupt der Arago- 





I) Der Herzog vertrat die Stelle des Königs von Frankreich, 
Me Drfini die der Herzogin von Burgund und der Gardinal verrid- 
tete die Taufe und fol dabei die Worte gefprohen haben: „Herr, 
nun läffeftt Du Deinen Diener in Zrieden fahren, denn meine Augen 
vaben Deinen Heiland geſehen.“ Die Prinzeffin ward Gouvernante 
des jungen Prinzen. 


1230 Die Prinzeſſin Orfini. 


neſen, Valencianer und Catalanen, deren Vorrechte dem 
Uniformirungsgeiſte Caſtiliens zum Opfer gebracht wor⸗ 
den, und machte fi) zum Organ ihrer Beſchwerden. 
Auch nach feiner Zurüdberufung feßte er, nicht ohne 
geheime Gonnivenz Ludwig's, feine Verbindungen mit 
Spanien durch feinen Secretair, Deslandes von Reg— 
nauft und Durch einen anderen Agenten, Flotte, fort. 
Aber die Prinzeffin entdeckte diefe Umtriebe und erwirkte 
die Verhaftung der beiden Agenten, die auch erfl nad 
dem Sturze der Prinzeffin in Freiheit gefommen find’). 
Es fcheint fogar, ald habe der Herzog mit den Englan 
dern unterhandelt und ſich wenigftens einen Theil der 
fpanifchen Monarchie fichern wollen ?). 

Diefe Pläne, in Verbindung mit den allgemeinen 
Verhandlungen der Mächte, bei denen überall von ſpa⸗ 
nifchen Abtretungen die Rede war, benußte der Hof, 
auf Anleitung der Prinzefiin’), einen neuen Aufſchwung 
des fpanifchen Nationalgeiftes hervorzurufen. Der A 
nig berief feine Miniſter zu einem feierlichen Rathe 
(Aprit 1709), legte ihnen die Bedrängniffe des Staat 
und die Unficherheit ferneren Beiftandes von Frankreich 
vor, fündigte aber zugleich feinen Entſchluß an, Tieber 
zu flerben, als feine Krone aufzugeben, und appellitte 
an den Eifer und die Anhänglichkeit feiner Unterthanen. 
Der TAjährige Portocarrero, der aus feiner Zurückgezo⸗ 
genheit zu dieſer wichtigen Berathung geeilt war, gab 
dem Nationalgefühl den erften Ausdrud und fühnte de 


1) Sie wurden erſt nad Segovia, dann nad St. Sebaſtian, dann 
in die Eitadele von Pampelona gebracht. In ihre Sache wurden 
auch zwei Spanier, Don Bonifacio Manrique Lara und Don In 
ton de Billarcal, beite Generallieutenants, verwidelt. 

2) Gore, Gap. 106. 

3) Mem. de Noailles, IV, 50 fg. 


Die Prinzeffin Orfini. 121 


mit feinen früheren Abfall. Sein Beifpiel und feine 
Ermahnungen riefen einen einftimmigen Ausbruch des 
Enthufiasmus hervor. Zugleich aber ward dem König 
die unverzügliche Verabichiedung aller Franzoſen empfoh: 
fen und von ihm genehmigt. Nur die Prinzefiin Dr: 
fint ward, auf Vermittelung der Königin, ausdrücklich 
ausgenommen. Der Herzog von Medina Celi Fam, als 
Minifter der auswärtigen Angelegenheiten, an die Spige 
und der Marquis von Bebmar ward Kriegsminifter. 
Zum erflen Male feit dem Beginn des Krieges war 
der Oberbefehl der fpanifchen Heere einem Spanier, 
dem Grafen von Aguilar, anvertraut. Geld und Mann: 
Ihaften flrömten in Maſſe herbei. Indeß waren die 
Hifsquellen zu erichöpft, die Verwaltungszweige zu 
jehr in Verfall und die neuen Minifter haften das Zu: 
trauen des Königs zu wenig, ald daß große Dinge zu 
verrichten geweſen wären, oder alle Misftimmungen ſich 
gdegt hätten. Man mußte froh fein, daß der fpanifche 
Krieg auch von Seiten der Feinde ald Nebenfache be: 
trachtet und nachlaͤſſig geführt wurde. Die Prinzeſſin 
erbot fih, um das Murten der Spanier zu beichwidh- 
tigen, ihre Abberufung zu verlangen, ließ ſich aber zum 
Bleiben bereden. Doch fehte fie den Abgang Amelot’s 
durch, Den der König fo lange ald möglich zu verzögern 
gefucht hatte, ungeachtet auch Amelot den eiferfüchtigen 
Spaniern zulegt ein Dorn im Auge gewelen war. Gei- 
nem Nachfolger follte die Theilnahme an den Cabinets- 
verhandlungen nicht länger geftattet werden. 

Im April 1710 wurde der Herzog von Medina Celi, 
unter ſehr geheimnißvollen Umftänden '), geftürzt und 


1) Man fprengte aus, feine Berhaftung babe in Folge eines 
Shreibens ftattgefunden, was der Marquis von Aftorgas von feis 
nem Sterbebette aus an den König gerichtet. 

T ß 


122 Die Prinzeſſin Orſini. 


nach Segovia, ſpäter nach Pampelona geſetzt, wo er 
am 26. Jan. 1711 ſtarb. Man ſuchte den Glauben zu 
erwecken, daß er den Verbündeten die geheimen Ver 
bandlungen zwifchen Frankreich und Spanien verrathen 
babe. Andre‘) haben gemeint, fein Sturz babe eben 
nur einen Minifterwechlel und die Einfchüchterung der 
Granden zum Zwede gehabt. Wenn ed aber richtig il, 
daß fich der Kaifer feiner annahm ”), fo würde das doch 
für eine tiefere Schuld des Herzogs fprechen. Ronquillo 
ward fein Nachfolger, und bald darauf zum Grafen 
von Gramedo ernannt. 

1711 war der Herzog von Noailles ’) erſt ald Ge 
neral, dann als diplomatifcher Agent, ohne den äufße 
ren Charakter eines folchen, in Spanien. Obwol ein 
alter genauer Freund der Orſini, waren feine Berichte 
diefer Doch auch ungünftig. Er unterlag dem Schickſal, 
was die meiften Sranzofen befiel, fobald fie über Die Py⸗ 
renden famen: er wollte Spanien regieren und zwar 
auf franzöftfche Art. Er konnte fich nicht darein finden, 
daß dieſer König, der nur durch franzöfiihe Waffen 
auf den Thron gehoben und gehalten worden, irgend⸗ 
welche Schwierigkeiten machen könne, foviel von ben 
ſpaniſchen Reihen zur Dispofition Frankreichs zu ftellen, 
als nur irgend das franzöfifche Friedensbedürfniß erfor 
dern möchte, und auch noch jeden beliebigen Handelt: 
vertrag zu unterfchreiben. Er meinte, wenn Philipp 


1) Namentlid Gore. 

2) Clef du Cabinet, Aoùt 1710, &. 69. 

3) Adrian Morig, geb. 1678, 1711 fpanifher Grand, unter 
der Regentſchaft bis 1718 Zinanzminifter, bis 1733 im Privatftent, 
dann bei der Rheinarmee, Marfhall, 1743 bei Dettingen geſchla⸗ 
gen, im Staatörath, bei Zontenoi freiwilliger Adjutant des Mar: 
Ihals von Sachſen, 1746 Sefandter in Madrid, fett 1755 ven 
den Gefhäften zurüdgezogen, + 24. Zuni 1766. 


Die Prinzeſſin Orſini. 123 


ur Spanien und die Indien behielte, ſo müſſe er ſich 
nmer noch glücklich ſchätzen; das ſei doch wahrlich eine 
höne Apanage für einen jüngeren Bruder. Es ſei im 
genen Interefle Frankreichs, daß Spanien etwas ver: 
ere; denn da die Spanier ſich ſchon jetzt nicht fügten, 
vad babe man von ihnen zu erwarten, wenn fie erft in 
frieden und Sicherheit wären? Er ſchob die Schuld 
es vermeintlichen thörichten Uebermuthes der Spanier 
uf die Königin und die Drfini, und fam auf den un- 
eſonnenen Gedanken, dem König zu rathen, ſich wegen 
er Keänklichkeit der Königin von ihrem Bette zu tren- 
on und, wie bie alten Patriarchen, auf Die er fich aus⸗ 
rüdlich berief, eine Magd an feine Seite zu nehmen. 
Reſer Antrag erregte den Abfcheu des treuen Gatten 
seinem ſolchen Grade, Daß er ihn unverzüglich der Kö- 
igin und der Prinzeffin vertraute. Die Königin fchrieb 
n ihre Schwefter, die Herzogin von Burgund, die Orſini 
n die Maintenon, und Noailles, der folches Aergerniß 
egeben, ward fofort zurüdgerufen. Mit diefer Wen⸗ 
ung bing auch der Sturz des Grafen Aguilar, der mit 
taailles verbunden geweien, zufammen '). 

Dem Noailles folgte der Marquis von Bonnac, ale 
wBerordentlicher Gefandter, deſſen Inftruckionen immer 
sc von dem Gedanken ausgehen, daß Spanien fich in 
Bed. fügen müfle, was Frankreich von ihm verlange. 
Sie erfennen das Bedürfniß des Königs Philipp, gelei- 
et zu werden, den großen Einfluß der Prinzeffin Dr- 
mi und Deren redlichen Eifer, die Einigfeit der beiden 
Rronen zu befördern, an, laſſen aber dahingeftellt fein, 
ſb fie nicht über die Mittel irre. Das Wahre war, fie 


1) St. Simon, V, 510; Noailles, IV, 230, 237, V, 1433 
ft, Philippe, II, 8. 
6* 


124 Die Srinzefin Orfini. 


wollte das ſpaniſche Interefie nicht unbedingt dem 
franzöfifchen opfern; fie glaubte nicht, daß folches Opfer 
fo nöthig und fo durchführbar fei, wie man in Verſail⸗ 
les wähnte. Den auch von ihr ald nöthig und möglich 
Erkannten wiberftrebte fie nicht, und Bonnac erwirkte 
von Philipp V. die Ermächtigung, den Engländern die 
Abtretung von Gibraltar und Minorca und den Afliento 
anzubieten. 

Als ed endfich zu dem ufrechter Congreß kam, er 
bob namentlih der neue Finanzminifter, Graf von 
Bergheif, früher Vicegouverneur der Niederlande, for: 
melle Schwierigkeiten, welche nur durch den Einfluß 
der immer mächtiger werdenden Prinzefiin zu befiegen 
waren. Sie feßte aber einen Preis auf ihre Mitwir: 
fung, der die Höhe ihres Chrgeized bezeugt. Schon 
als fie vor längeren Iahren den König vermocht batte, 
in eine Dereinftige Abtretung der Niederlande an den 
Kurfürften von Batern zu willigen, hatte er ein kleines 
Territorium mit einem Ertrag von jährlich 30,000 Kro- 
nen vorbehalten. Jetzt fam er darauf zurüd und nannte 
die bis dahin unbekannte Beftimmung deflelben: es follte 
eine unabhängige Souverainetät für die Drfini begrün- 
den. In ihren Iahren und da fie Feine Kinder befaß, 
ein doppelt jeltfamer Wunjh'). Indeß Ludwig madhte 
feine Schwierigkeit und fie empfing bereit die Glüd- 
wünfche des Hofes und den Titel Hoheit. Es war das 


1) Uebrigens hatte fie die Abfiht, jenes Beſitzthum gegen cin 
franzöfifches zu vertaufhen, mas nad ihrem Tode an die Krone 
fallen follte. Sie ließ zu dem Ende durch d'Aubigny einen prädtis 
gen Palaft zu Ehanteloupe aufführen, überließ aber denfelben, nad 
ihrem Sturze, lediglich dv’Aubigny zur Bewohnung. Später hielt 
fih Lord Bolingbrofe in Ghanteloupe auf; dann mar ed ber Lich» 
lingsfig des Herzogs von Ghoifeul und in unferm Jahrhunderte be 
wohnte es der Graf Chaptal. 


Die Prinzeſſin Orfni. 13 


Herzogthum Limburg, was man zu Diefen Zwecke be 
flimmte, und die betreffende Clauſel ward wirklich in 
den Vertrag zwifchen Spanien und England und in 
den utrechter Frieden gebracht. Aber die ganze Beſtim⸗ 
mung der Niederlande ward eine andre und drehte fich 
jo, daB die Einwilligung des Kaifers und der General: 
ftaaten notbwendig ward, welche nicht zu erlangen war. 
Die englifche Regierung gab fich natürlich nicht viele 
Mühe für die Sache und Ludwig fand zulegt auch den 
Punkt zu unbedeutend, als daß er deshalb den Welt: 
frieden hätte verzögern mögen. 

In Diefer Zeit flarb die Königin von Spanien in 
Folge einer Drüfenkrankheit, an der fie lange gelitten, 
im 26. Jahre ihres Alters (14. Zebr. 1714). Außer 
fi) vor Schmerz, überlieg Philipp die Regierungsge: 
Ihäfte dem Cardinal dei Giudice'), einem neapolitani- 
ſchen Prälaten, welcher vor kurzem Großinquififor ge- 
worden war, und zog fich mit der Prinzeffin, ale Gou— 
vernante des Prinzen von Afturien, in dad Hotel des 
Herzogs von Medina Celi zurüd. Da diefed jedoch 
nicht geräumig genug war, fo richtete fich die Prinzeffin in 
einem benachbarten Karuzinerflofter ein, deſſen Inſaſſen 
äinftweilen in einem anderen Kloſter untergebracht wur: 
den, und Heß eine offene Gallerie, welche beide Gebäude 
verband, verdeden, um den königlichen Witwer zu jeder 
Zeit unbeobachtet befuchen zu können. Jetzt ward fie 
alleinige und unumfchränkte Herricherin. Sie entfernte, 
nach nur Dreitägiger Verwaltung, den Cardinal dei Giu- 
dice wieder und brachte den ihr unbedingt ergebenen 
Drri an die Spike. Grimaldo ward auf Das Departe- 


1) Kit mit einem andern Giudice zu verwechſeln, welder 1712 
Minifter ward: dem Prinzen von Gellamare. (S. den folgenden 
Auffag.) 


126 Die Prinzeſſn Orfit. 


ment des Krieged und der Indien beichränft. Un die 
Stelle Mejorada’d trat Don Manuel Vedello, und die 
Zeitung des Rathes von Caſtilien ward unter fünf Per 
fonen vertheilt. Bergheik, der die Finanzen mit Orri 
theilen follte, vertrug fich nicht mit Diefem und ging 
nach Flandern zurüd. Orri traf wichtige, durchgrei⸗ 
fende und nützliche Reformen im Gebiete der Finanz⸗ 
verwaltung. Als er aber, unterflügt von dem Beicht⸗ 
vater Robinet und dem Generalfitcal von Gaftikien, 
Don Melchior Mecanaz, auch die Firchlichen Immmi- 
täten antaften wollte, erhob fich ein fo gewaltiger, won 
der Inquifition ausgehender und auch von weltlichen 
Behörden unterftügter Widerftand, daB man den Ge⸗ 
danken aufgeben mußte. 

Gefährlicher für die Prinzeſſin waren auch jetzt ihre 
Differenzen mit Frankreich. Sie beharrte in ihrem Ent⸗ 
ſchluſſe, den Frieden von der Erfüllung ihres Souve⸗ 
rainetätsgelüſtes abhängig zu machen. Ludwig befahl 
dem Herzoge von Berwick, ſich nach Madrid zu begeben, 
um dem König zu condoliren, zugleich aber und haupt: 
fachlich feinen Beitritt zum Frieden zu erwirken. Die 
Prinzeffin verhinderte diefen Beſuch und Tieß ſich hin⸗ 
reißen, dem König die Bemerkung in Die Feder zu ge 
ben: das Erfcheinen Berwid’s mit einer Armee vor 
Barcelona würde feinem Intereſſe vortheilhafter fein, 
ald ein Condolenzcompliment. Ludwig erwiderte gereist, 
DaB weder Truppen noch Schiffe nach Barcelona gefchidt 
werden würden, bevor nicht der Friede mit Holland 
unterzeichnet fei. Die Prinzefjin ſchickte Drri nach Ca⸗ 
talonien, um zu fehen, ob nicht die eigenen Kräfte Spa- 
niend hinreichend fein würden, die widerfpenflige Provinz 
zu unterwerfen, und auch ald fie fi von dem Gegen: 
theil überzeugt hatte, begnügte fie fich, den franzöftichen 


Die Prinzeifin Orfiei 127 


Hof von neuem um Hilfe zu drängen, ohne ihrerfeits 
irgendwie nachzugeben, haderte vielmehr fortwährend 
mit dem franzöfiihen Gefandten. Erft ald Ludwig cine 
Erklärung verbreiten ließ, daß er gefonnen fei, einen 
Separatfrieden zu fchließen und Spanien ſich felbft zu 
überlafjen, und alle ihre Vorftellungen fruchtlos waren, 
gab fie nach und der Zwift fchien beendigt. 

Da kam aber wieder die neue Vermählung ded Kö- 
nigs ind Spiel. Daß diefer nicht ohne Frau fein könne, 
war entihieden. Es beftand für ihn in diefer Bezic- 
bung das entichiedenfte, faft ald Krankheit zu betrach⸗ 
tende phyſiſche und ebenfo ein moraliſches Bedürfniß. 
(Aberoni pflegte von ihm zu fagen: er braucht nichts, 
als ein Weib und ein Gebetbud.) Ludwig empfahl 
eine Prinzeffin von Portugal, Baiern, oder eine Conde. 
Die Prinzeffin feheint aber zunächſt an fich ſelbſt gedacht 
zu haben. Ob das Gerücht, was fie in diefer Zeit all- 
zuverfrauten Umgangesd mit dem Könige beichuldigt, be- 
gründet geweien, muß dahingeftellt bleiben. Sie war 
allerdings mindeftens fchon dicht am Rande der Eiebzig, 
aber immer noch einnehmend, und bei einem Manne 
von Philipp's Dispofition war in diefen Punkte alles 
möglich. Mit größerer Beftimmtheit kann, nach den 
Verficherungen Alberoni's und der nachherigen Königin 
Elifabetb und den eigenen Geftändniffen des Königs 
felbfE, angenommen werden, daß fie ernftlich den Plan 
begte, ſich an feine Seite zu ſchwingen. Es Scheint, 
daß ein Reft von Scham, den der Beichtwater durch 
rechtzeitig angebrachte Sarkasmen in dem Sinne des 
Königs nährte'), ihn von einem Schritte zurüdgehal: 


1) Einmal fragte der König feinen Beichtvater, was es Neues 
in Paris gebe. „Sire,“ erwiederte NRobinet, „man fagt dort, Em. 
Majeftät würden die Frau ded Urfins heirathen.“ „O, was Das 


128 Die Prinzeſſin Orſini. 


ten hat, der ihn in den Augen der Spanier jedenfalls 
ſehr herabgeſetzt haben würde. Sobald der König aber 
ihr Verlangen nicht zu erfüllen entſchloſſen war, mußte 
aus der Thatſache dieſes Verlangens, dem Bewußtſein, 
wie nahe es an ſeiner Erfüllung geweſen und der Nicht⸗ 
erfüllung deſſelben eine Stellung und Stimmung dei’ 
Königs gegen die Prinzeſſin erwachſen, bei welcher der 
Wunſch einer völligen Trennung von ihr kaum auf 
bleiben Tonnte. 

Es wäre Zeit für fie gewefen, fich in würdiger Weile 
zur Ruhe zu fegen. Spanien bedurfte ihrer nicht mehr. 
Aber fie beging jegt einen Misgriff auf den andern. 
Sie fuchte nach der unbedeutendften, unbedingt von ihr 
zu beherrfchenden Braut, ohne fich zu erinnern, daß bie 
verftorbene Königin nicht unbedeutend geweien und doch 
ihrem Rathe gefolgt war, weil er gut war. Hier ließ 
fie fi) nun von dem fehlauen Alberoni überliften und 
gerade auf die Perfon lenken, die ihr die gefährlichfte 
war: Eliſabeth Zarnefe, Prinzeffin von Parma ). Die 
Wahl betrieb fie in höchftem Geheimniß, hinter Lud—⸗ 
wig's Rüden, dem fie wohl die allgemeine Einwilli⸗ 
gung zu einer Wiedervermählung des Königs abgewann, 
der aber den Gegenſtand erft erfuhr, ald alled ſchon zum 
Abſchluß reif war, und dann fich über die Heimlichkeit 
und Eile, mit welcher alles betrieben worden, ärgerte?). 
Endlich verdarb fü 9 Die Prinzeffin das Verhältniß zu 


betrifft, nein!’ ſegte der König trocken und ging fert. (Duclos, 
Memoires secrets, I, 74. 

1) S. ven folgenden Aufſatz. 

2) Nach einer Aeußerung der Herzogin von Orleans zu ſchließen 
(Briefe an die Raugraͤfin Luiſe, S. 180), hätte die Prinzeffin 
auch in Paris gewiffen Perfonen Hoffnung gemadht, daß der König 
eine von deren Töchtern beiratben werde. Vielleicht bezieht fih das 
auf tie Condés. 


— 


Die Prinzeſſin Orkai. 129 


der neuen Königin vollends noch Dadurch, daß fie, noch 
im Testen Augenblicke ihre Zäufchung über den Charaf- 
ter der Prinzeffin von Parma erfahrend, den vergebli- 
hen Verſuch machte, alles wieder rüdgängig zu machen. 

Der König, der fi) ungemein auf feine neue, junge 
Gemahlin freute, ging ihr mit glänzendem Gefolge bis 
Suabalarara entgegen. Zu Ulcala ſchickte er die Orſini 
voraus und Diefe nahm eben einige Erfrifehungen in 
Zadreca, einem Peinen, vier Meilen über Guadalarara 
gelegenen Dorfe ein, als die Königin Elifabeth dafelbft 
eintraf. Augenblicklich verließ fie die Tafel, ging der 
Königin bis an den Fuß der Treppe entgegen und küßte 
ihr Pnieend die Hand. Anfcheinend gnädig empfangen, 
führte fie ihre Pönigliche Gebieterin in ihr Zimmer. Wie 
erftaunte fie aber, als die Königin bier ihre Compli- 
mente plöglih mit bitteren Vorwürfen unterbrach und 
fih ftellte, ald erichienen ihr der Anzug '), wie das Be: 
nehmen der Prinzeffin als ehrfurchtswidrig. Eine milde 
Entfchuldigung rief nur neuen Zorn hervor. Die Köni- 
gin hieß fie ſchweigen und rief zur Wache: „ſchafft dies 
tolle Weib hinaus, die ed gewagt hat, mich zu beleidi⸗ 
gen!” Half fogar felbft, fie aus dem Zimmer zu dran- 
gen. Die Königin rief nun den die Wache befehligen- 
den Offizier, Generallieutenant Grafen Amezaga, und 
befahl ihm, Die Prinzeffin zu verhaften und an die 
Grenze zu führen. Erſtaunt ftellte der Offizier vor, 
daß der König allein die Macht habe, einen foldhen 
Befehl zu ertheilen. Sie rief unwillig aus: „Haben 





I») Man erinnere fich der oben angeführten Aeußerung St. Si⸗ 
mon’d. Die Herzogin von Orleans (a. a. D. &. 197) erzaͤhlt 
die Geſchichte übrigens gerade umgekehrt, und hätte hiernad dic 
Drinzeffin den Anzug der Königin und ihr langfames Meifen geta⸗ 
delt. Diefe Berflon ift aber falſch. 
62 * 


128 Die Prinzeſſin Orfii. 


ten hat, der ihm in ben Augen der Spanier jebei 
fehr herabgefegt haben würde. Sobald der König 
ihr Verlangen nicht zu erfüllen entfchloflen war, x 
aus der Thatfache diefes Verlangens, dem Bewuf 
wie nahe ed an feiner Erfüllung gewefen und ber $ 
ung deſſelben cine Stellung und Stimmung 
Königs gegen die Prinzeffin erwachfen, bei welche 
Wunſch einer völligen Trennung von ihr kaum 
bleiben konnte. 

Es wäre Zeit für fie gewefen, fi) in würbiger | 
zur Ruhe zu fegen. Spanien bedurfte ihrer nicht : 
Aber fie beging jetzt einen Misgriff auf den as 
Cie fuchte nach ber unbebeutendften, unbedingt ve 
zu beherrfchenden Braut, ohne ſich zu erinnern, Di 
verftorbene Königin nicht unbebeutend gewefen unb 
ihrem Rathe gefolgt war, weil er gut war. Hi 
fie fi) nun von dem fchlauen Alberoni überliſte 
gerade auf die Perfon lenken, die ihr die gefäh 
war: Glifabeth Farneſe, Prinzeffin von Parma F 
Wahl betrieb fie in höchftem Geheimnig, binte 
wig's Rüden, dem fie wohl die allgemeine @ 
gung zu einer Wiedervermählung des Königs abı 
der aber den Gegenftand erft erfuhr, ald alles fd 
Abſchluß reif war, und dann ſich über die Hd 
und Eile, mit welcher alles 
Endiich verdarb fi u die 


etift, nein” füßte 
Memoires secrets, I, 7, 
1) &. ven for 
2) Rad einer 













Briefe an die 
auch in Paris 
cine von deren 
auf die Gen' 


130 Die Prinzeſſin Orfiet, 


Sie nicht den Befehl Sr. Majeftät, mir unbedingt zu 
gehorchen?“ Als er das bejaht, fprach fie ungebuldig: 
‚mun, fo gehorchen Sie mir.” Da er auf einer ſchrift⸗ 
lichen Ermächtigung befland, fo rief fie nach Feder und 
Dinte und fchrieb den Befehl auf ihrem Knie. 

Die Prinzeffin ward fogleih, ohne fi umkleiden 
‚zu bürfen, in eine Kutfche gefeßt und mit nur eine 
weiblichen Begleiterin und zwei Offizieren, unter Geleit 
von 50 Dragonern, die ganze Nacht hindurch, eine 
falte, finftee Winternacht, gefahren. Anfangs war fie 
vor Erftaunen ganz betäubt; dann fühlte fie Unwillen 
und Verzweiflung; dann begann fie auf den König und 
ihre zahlreichen Anhänger Hoffnungen zu fegen. Als 
man am Morgen anbielt, um die Pferde zu füttern, 
brach fie ihr Schweigen, drückte ihren Gefährten, welche 
ſelbſt im höchſten Grade betroffen waren und fie zu 
tröften fuchten, ihre Verwunderung über das Norge 
gangene aus und erzählte ihnen deſſen nähere Umſtände. 
Als aber bei fortgefeßter Reife Feine Nachricht vom Ko⸗ 
nig eintraf, wurde ihre Hoffnung fchwächer, empfand 
fie die zahlreichen Entbehrungen und Befchwerden, de 
nen fie bei fo unvorbereiteter Reife, in folcher Jahres⸗ 
zeit und in dem ungaftlihen Spanien ausgefeht war, 
bitterer und brach fie öfterer in heftigen Unmuth aus. 
Sie war ganz von Geld entblößt, mußte von ihren 
Begleitern borgen und erft fpat holte fie ein Bote mit 
1000 Piftolen ein. Am dritten Tage ihrer Reife trafen 
fie ihre beiden Neffen, der Graf von Chalois und ber 
Prinz von Lanti '), Die ihr nachgeeilt waren. Sie 
ſah aus deren Berichten deutlich, daß fie vom Hofe 


1) Alerander Lanti, ihrer Schwefter Sohn, ver fi kurz vorher 
mit der Tochter des Grafen von Plicgo vermählt hatte. 


Die Pringeffin Orfini. 131 


feine Aenderung ihres Schickſals zu erwarten hatte. Ihr 
ſabſt brachten fie nur ein kaltes Schreiben, worin ihr 
erlaubt ward, an dem Plate zu bleiben, wo fie fie ein: 
holen würden, and worin man ihr die richtige Fortzah⸗ 
lung ihrer Penfion verfprah. Nun fie fah, daß alles 
entihieden war, wurde fie ruhig und gefaßt, ertrug jede 
Beihwerbe und erwarb fich Durch Geduld und Stand- 
haftigkeit die Bewunderung ihrer Begleiter. 

Nah einer Reife von 23 Tagen kam fie nach Et. 
Yan de Luz, wo fie fich ſelbſt überlaffen ward. Sie 
ſuchte eine Audienz bei ber verwitweten Königin von 
Spanien nach, was ihr aber abgefchlagen ward. Dann 
Ihrieb fie an die Maintenon, an Ludwig und an bie 
Niniter. Nach einigem Verzuge warb ihr erlaubt, nad) 
Paris zu kommen, wo fie im Haufe ihres Bruders, des 
Herzogs von Noirmoutierd, abflieg und viele Befuche 
Reugieriger empfing. Auch zu Verfailles freundlich auf: 
genommen und mit 40,000 Fred. Penfton verfehen, 
nahm fie ihre natürliche Heiterkeit wieder an. Da aber 
näherte fich der fpanifche Hof dem Herzog von Orleans, 
hob die Schuld ihres Zwiefpaltd auf die Prinzeffin 
und bewog ihn, bei Hofe Schritte gegen dieſelbe zu 
thun, welche zu einem Verbote an fie führten, irgend» 
wo zu ericheinen, wo fich ein Mitglied der Familie Dr- 
land befände. 

Eine Zeit lang blieb fie nody in der Nahe des Ho- 
fes. Als aber der König auf fein Sterbelager fant, 
fürchtete fie Die Rache ded Herzogd von Drleand und 
verließ Paris. Holland verweigerte ihr die Aufnahme, 
und fie ging erft nad) Avignon, dann nad) Genua. So 
lange Papft Clemens XI. lebte (+ 18. März; 1721), 
durfte fie auch nicht nach Rom. Unter Innocenz XII 
erhielt fie Diefe Erlaubniß, kehrte fomit auf den Schau- 


132. Die Prinzeſſin Orſini. 


platz zurück, der die Wiege ihrer Größe geweſen war 
und an den ſich für fie fo merfwürdige Erinnerungen 
fnüpfen mußten, und tröftete fich mit einem Schatten 
ihrer zeitherigen Wirkſamkeit, indem fie im Haufe des 
Prätendenten die Honneurd machte... Sie farb abe 
fon 1722. 

Man ift überzeugt, daß die Königin in Folge eine 
geheimen Befehls gehandelt, den fie von ihrem Gemahl 
erhalten, und die Gelegenheit vom Zaune gebrochen, fih 
fofort von der Prinzeffin loszumachen. Mit der Orfini 
ftürzten auch Orri und feine Anhänger. Orri zog fid 
nach Frankreich zurüd. An die Stelle des Beichtvaterd 
Robinet, der es jeßt bereuen mochte, daß auch er der 
Prinzeffin entgegengewirkt, trat wieder D’Aubenton und 
auch Grimaldo trat in feine alte, noch erweiterte Wir: 
ſamkeit. 


VW. Die Sellamareverfhwörung; Alberoni 
und Mipperda. 


Die Zeit zwifchen dem Schlufle des fpanifchen und dem 
Beginne des öfterreichifchen Erbfolgefrieges war Die 
ruchtbarſte Zeit für politifche Projectmacher, Intriguan- 
en und Abenteurer, die es vielleicht jemald gegeben hat, 
md auch Männer, die zu andern Zeiten ald Staats- 
nänner gehandelt haben würden, handelten jetzt wie 
ene. Im jenen großen Kriegen galt ed Nothwendig- 
eiten des europäilchen Staatenſyſtems. In der Zwi—⸗ 
henzeit handelte es fi nur um Fragen, deren Rege: 
ung willkürlich war und wo der Stand des Augenblicks 
nticheiden, folglich Dinge gebären konnte, die ein an- 
jerd geftellter Moment wieder umfchuf. Dennoch haben 
wich bier die Geſetze des Staatenſyſtems, unter taufend 
Berwirrungen und Sreuzfprüngen, ihre Herrichaft be 
auptet. 

Im Einzelnen trieben Ländergier und Intrigue ihr 
Spiel. Es waren ſo viele Beiſpiele von phantaſtiſchen 
Plänen, ſeltſamen Combinationen, unerwartet gefnüpf: 
ten und wieder aufgelöſten Bündniſſen, Wechſel und 
Tauſch der Länder, wobei die Völker ſich willenlos in 
Jegliches fügten, gegeben worden, daß eine Secte aben- 
tenerlicher Diplomaten fich bildete, die, wie im vorigen 


134 Die Eelamarederfgmwörung; Alberoni und Bipperbe. 


Jahrhunderte die Alchymiften die Geldgier, fo die Län- 
bergier ihrer Herren durch wunderbare Projecte zu kirren 
wußten und in vielfachft verſchlungenen Intriguen gleich. 
zeitig alle Länder, alle Höfe in Bewegung ſetzten, um 
in dem bunten Treiben für ihren Hof, oder doch für 
fih felbft, einen Vortheil zu erhafchen. Der Utrechter 
Friede, in der Hauptſache dad Nothwendige begrün 
dend, hatte einige Rebenfachen unzwedmäßig georbiet. 
Das Fonnte geändert werden, und das Wie der Aende 
rung unterlag feinem Gefehe der Nothwendigkeit. Auch 
deshalb Hatten die Projectmacher Teichtered Spiel, weil 
in mehreren Staaten damals friebliebende, nicht ener⸗ 
giſche Staatsmäanner an die Spige kamen, welche man: 
hem Andrange nachgaben, um nur andauernden Krieg, 
zu vermeiden. 

So nur konnte cd fommen, Daß gerade von Ep 
nien aus, welches feit dem Tode Philipp’s IL. bis zum 
Ausfterben der fpanifchen Linie des Haufed Habsburg 
faft nur durch feine Schwäche die Aufmerkſamkeit Eu 
ropas beichäftigt hatte, welches, wie fich feit den Zeiten 
Kara V. und Philipp’d IL. die Verhältniſſe geftaltet 
hatten, jelbft wenn e8 die Kraft der früheren Zeiten 
wieder erlangt gehabt hätte, doch feinen beflimmenden 
Einfluß auf das europäiſche Staatenfyften mehr bean 
ſpruchen fonnte, und welches weit entfernt Davon wat, 
neugefräftigt zu fein, gleichwol die anftoßenden Ein 
flüffe ausgingen und daß feine Strebungen und bie in 
feinem Namen geltend gemachten Intereflen in die An 
gelegenbeiten vieler anderen Staaten beſtimmend ein 
griffen. | 

Hier tritt nun zuerft ein Bann in den Vorgrund, 
der zu anderer Zeit und an anderem Orte ein große 
Staatömann geworden fen dürfte, ber aber umter den 


Die Gelamareverihwörung; Albereni und Ripperba. 135 


Umfltänden, unter denen er wirkte, dazu geführt ward, 
mit den Mitteln politifcher Abenteurer für willkürliche 
zwecke zu arbeiten. 

Zulius Alberoni wurde einem armen Gärtner, Na⸗ 
mend Johann Maria Alberoni, in einer Vorſtadt von 
Piacenza), am 31. Mai 1664 von deffen Frau, Laura, 
geboren, wuchs ohne Unterricht auf, mußte feinem Va⸗ 
tee bei deſſen Arbeiten ’), ohne viel Luft dazu zu bezei⸗ 
gen, beiftehen, gab aber frühe Beweife von Begabung 
und brennender. Wißbegierde. Etwa 12 Jahr alt, wurde 
er zu Dienftleiftungen bei den Küftern zweier Pfarrkir⸗ 
hen zugelallen. In diefer Stellung zog er die Auf: 
merkſamkeit eines Beiftlichen auf fich, der ihn leſen und 
ſchreiben lehrte. Später erlernte er bei den Carmeliten 
bella Garifa die Anfangsgründe des Lateinifchen und 
kam endlich in Die Jeſuitenſchule. Damalige Arbeiten 
von ihm find noch Tange Zeit aufbewahrt worben ’). 
Eine Zeit lang fol er Glöckner in der Stiftskirche ge⸗ 
weien fein. Durch Talent, Wißbegier und gewinnendes 
Weſen erwarb er fich viele Freunde und Gönner und 
befonderd nahm ſich ein Mitglied des Criminalgerichts- 
hofed von Piacenza, Ignaz Gardini, feiner fo warm 
an, Daß Alberoni, ald Gardini in Ungnade fiel’) und 
in feine Vaterfladt Ravenna zurückkehrte, ihm dorthin 
folgte. In Ravenna ward er dem Vicelegat Grafen 


1) Rad Andern in Zirenzuola, einem Marftfleden im Herzog⸗ 
tum Parma. Die im Zerte gegebene Berfion beruht auf befferen 
Quellen, und gewiß ift jedenfalls, daß er in Piacenza aufwuchs. 

2) Der alte Alberoni befaß keinen eignen Garten, fondern arbeis 
tete als Tagelöͤhner. Gr wohnte bei der Kirche St. Lazari und 
Gelfi, wo fein Sohn aud getauft worden fein fol. 

3) Gore Memoirs of Spaia, Gap. 23, nah Poggiali's Me- 
morie istoriche di Piacenza. 

4) Als Grund werden, von Gegnern Alberoni’s, freilich fhmusige 
Geſchichten angeführt, bei denen Alberoni ald Kuppler gedient habe. 


136 Die Cellamareverſchwoͤrung; Albereni und Sipperbe. 


Georg Barni befannt, der ihn, als er dad Bisthum Pia- 
cenza erhalten, zu feinem Hausmeifter machte. Doch diefe 
Stellung bebagte ihm nicht ); er ließ fih 1690 ordk 
niren und befam eine Peine Pfarre, fowie durch den 
Einfluß feined Gönners eine Dompfründe. Gpäter be 
gleitete er den Neffen des Biſchofs, den jungen Gra 
fen Sohann Baptifta Barni, nah Rom, wo ihm neue 
Duellen der Kenntniß und Bildung aufgingen, wo e 
namentlich auch dad Franzöſiſche Ternte und wo er, um 
ter andern Bekanntſchaften, auch die des Neifebegleiters 
des Erbprinzen von Parma, des Grafen Alerander Ron 
conieri, ſpätern Bilhofs zu Borgo St. Donino machte. 
Das follte für fein ganzes Leben folgenreich werden. Er 
war nah Piacenza zurüdgefehrt. Der Herzog von 
Vendome ’) lag mit franzöfifhen Truppen im Herzog: 
tbum Parma und die Unterhandlung mit ihm übe 
Contributionen und Verpflegung war vom Herzog dem 
Biihof von St. Donino übertragen, welcher wieber, 
der franzöfifchen Sprache unkundig, Alberoni als Dol: 
meticher gebrauchte ). Dem Alberoni nun, der jebt 


— — —— — — — — — 


1) Die Gegner Alberoni's ſprechen auch hier, daß ein Kaſſende⸗ 
fect im Spiele geweſen. Damit ftimmt aber die Gunſt nicht, die 
ihm der Biſchof aud weiter bewies. 

2) Ludwig Joſeph Derzog von Bendome, der, wie fein jüngere 
Bruder, der Großprior, uns vielleiht Fünftig einmal zu einer nähe 
ren Betradtung Anlaß geben wird, war ein Enkel eines natürliden 
Sohnes Heinrich's IV. und 1654 geboren. Er befaß mandye Gaben 
und viele Schwädhen feines großen Ahnberen und ftarb, nachdem a 
den Sieg der franzöfifhden Sache in Spanien entſchieden, am 11. 
Quli 1712. 

3) So erzählt Core nah den fihherften Quellen ten Hergang. 
Romantifher nahm ji folgende Berfion aus, wie fie in älteren 
Werken, 3. B. in der Vie du Duc de Ripperda, fpufte. Piernad 
wäre in der Zeit, mo Alberoni noch auf feiner kleinen Pfarre lebte, 
der Dichter Gapiftron auf einer Heife in Italien von Räubern aus⸗ 
geplündert, ven XAlberoni aber fehr greßmüthig unterftügt wor 


Die Eehamarenerfhwörung; Alberoni und Ripperbe. 137 


fine ganzen gefelligen Zalente, bis zur Rolle eines reinen 
ufligmaders, in Bewegung ſetzte, ja mit eigner Hand 
ikante italienifche Gerichte für den abgeftumpften Gau⸗ 
ıen des alten Epikuräers bereitete, gelang es, ſich die 
anze Gunſt des franzöfiichen Feldherrn zu erwerben, 
sorauf auch der Herzog von Parma, auf den Vor: 
chlag des Bifchofs, ihm die ganze Unterhandlung über- 
mg, einen Gehalt dafür ausſetzte, ein Canonicat in 
Narma verlieh, ia ihm ein Haus in der Hauptſtadt 
um Empfang feiner militairifchen Säfte einrichtete. Ein 
feichzeitiger Berichterftatter fagt von ihm: „Den fran- 
oſiſchen Offizieren gefällt fein fröhlicher Humor; fie 
rgögen den Herzog von Vendome mit Wiederholung 
er Scherze, witigen Antworten und Einfälle Albero⸗ 
ws, deſſen Perfon fo Fomifch ift, wie feine Unterhal- 
ung; denn er bat einen unförmlich großen Kopf, eine 
wäunliche Befichtöfarbe, einen fehr Furzen Hals, breite 
Schultern und ift von ganz kleiner Statur“ '). 

Er trat in fo innige Verbindung mit Wendome, 
aß, als derjelbe 1706 aus Italien abgerufen wurde, 
ım in den Niederlanden zu befehligen, Alberoni fein 
Baterland verließ und feinem franzöfiihen Gönner auf 
yeflen ferneren Zügen, ald Geheimfecretair und Vertrau⸗ 
er, folgte”). Won demielben auch Ludwig XIV. vor: 
jeftellt und empfohlen, erhielt er eine Penfion von 1600 


en. Gapiftron fei fpäter im Gefolge Bendome’5 geweſen und da dicfer 
Yemand geſucht, der ihm angeben koͤnne, wo die Lebensmittel ver: 
orgen würden, fo habe er Alberoni empfohlen. 

1) Außerdem wird fein ſcharfer, durddringender Blid und feine 
yiegfame und wohlklingende Stimme erwähnt. 

2), Auch hier erzählt die ältere Sage, daß er den Zranzofen habe 
folgen müffen, weil er rich durd die ihnen geleifteten Dienfte in 
einem Baterlande unmoͤglich gemacht. Etwas Wahres fann daran 
fein. 


138 Die Cellamareverfchwörung; Albereni und Nipperba. 


Livres). Als Vendome, nad) zweijähriger Unthätig- 
keit, 1710 nad) Spanien geſchickt wurde, um die Sache 
Philipp's V. aus tiefftem Verfall zu retten, begleitete 
ihn Alberoni auch dorthin und ward von feinem Göw 
ner fowol dem franzöfifchen, als dem fpanifchen Hofe 
wiederholt auf das Nachdrücklichſte empfohlen. 

Philipp V. bedurfte, aus Mangel nicht an Bee 
bung, aber an Thatkraft und Freudigkeit, fortwährend 
eines leitenden Anftoßes, und ed war ihm am liebſten, 
wenn Died ein weiblicher war. Dazu diente ihm de 
mals feine geiftoolle Gemahlin, Marie Luiſe von Gr 
voyen, und deren Camarera mayor, die Prinzelfin Or 


fini ?), die eigentliche Xeiterin des Hofes. Vendome be 


nutzte Alberoni zu feinem Agenten bei der Prinzeffin 
und auch bier gelang ed dem fchlauen Italiener, fih 
Vertrauen und Gunft zu erwerben. Sie verfchaffte ihm 
ald Handgeld eine fpanifche Penfion. Als Vendome in 
feinen Armen geflorben war, eilte er zunächſt als Be 
wahrer feiner Geheimniffe nach Verſailles, um dort die 
erforderlichen Berichte zu erflatten, holte fih neue Be 
lobungen und Empfehlungen für Madrid, und da er 
feinen Einfluß an dem fpanifchen Hofe bei einer Dife 
renz mit dem Herzog von Parma zu Gunften feine 
alten Landesherrn erfolgreich angewendet hatte, fo wurde 
er auch zum Refidenten von Parma, an die Stelle bed 
Marchefe Cafeli, ernannt. 

Nach dem von Philipp ebenfo wie von den Spaniern 
fchmerzlih beklagten Zode der Königin Marie Luiſe 





—n 


1) Bendome fell ihm aud die Pfarre zu Anet angeboten haben. 
Sie fei aber für Alberoni zu unbedeutend gewefen, und fo habe die 
fer aus der Noth eine Tugend gemacht und erflärt, er koͤnne fid 
von feinem Gönner nit trennen. 

2) ©, ten vorhergehenden Auffag. 





— — — 


- Die Gelamareverfihwärung;; Alberoni uud Ripperda. 139 


fand der König unter dem unbedingten Einfluffe der 
Drfini, und ald diefe filh Darein fügen mußte, daß bal- 
digſt eine neue Gemahlin für ihn gefucht werde und Die 
Wahl nicht auf fie ſelbſt fallen könne, fo bebielt fie fidh 
wenigftend die Entfcheibung über Die zu Wählende vor. 
Sie fuchte eine Prinzeffin eines Heinen Hofes, welche 
mit fanfter Gemütbsart und mäßigen Zalenten perfön- 
liche Reize verbände und ſich von ihr leiten ließe. Sie 
forach mit Alberoni darüber, während das Leichenbe⸗ 
gängniB der verftorbenen Königin vorüberzog, und 
nannte ihm mehrere. Er hatte gegen jede etwas ein- 
zuwenden, ging dann raſch die fürftlichen Familien 
durch, um die es fich handeln konnte, Fam wie Durch 
Zufall auf Eliſabeth Farnefe '), die Tochter Odoardo II., 
Herzogs von Parma und Nichte des damals regieren- 
den Herzogs Franz, und fagte in gleichgiltigem Zone: 
„Te iſt ein gutes lombardiſches Mädchen, mit piacenzer 
Butter und Käfe aufgefüttert, an dem Beinen Hofe des 
Herzogs Franz, in der Waſchkammer, erzogen und von 
nichts als von ihrem Nadelwerk und ihrer Stiderei zu 
bören gewohnt.” Er deutete auch an, daß fich allerlei 
in Stalien brauchbare Anfprüche an fie fnüpfen ließen. 
Wir geftehen, daB uns dieſes ganze Manoeuvre Albero- 
nies, was allerdings von vollftändigem Erfolge gefrönt 
ward, als ein fehr gewagtes und unbefonnenes erfcheint, 
und daß wir das Wagniß un fo unbejonnener finden, 
je gewifler er auf eine Zortdauer feines Glückes und 
Einfluffes rechnen konnte, wenn er die Orſini ehrlich 
bediente. Er wußte, daß fein Bericht falfch, daß Eli: 
ſabeth Farneſe eine begabte und ehrgeizige Perſon war, 
und er war verloren, wenn die Drfini dies rechtzeitig 


2») Geb. 25. Dct. 1692 + 11. Juli 1766. 


140 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Nipperba. 


entdeckte. Einigermaßen fam ed ihm vielleicht zu flaften, 
daß die Orfini, um franzöſiſche Einmiſchung und öſter 
reichifches Gegenwirken zu vermeiden, die ‚ganze Sache 
im größten Geheimniß behandelte, die Unterhandlungen 
mit Parma felbft aber durch Alberoni betrieb ’). Aber 
ed dauerte drei Monate, bevor fie ſich überhaupt enf- 


fchloß, in eine Wiedervermählung des Königs zu will - 


gen, und dann war auch noch die päpftliche Dispenſa⸗ 
tion zu erwirfen. Indeß alle war geordnet, nah 
Erledigung jeded Anftandes auch an Frankreich die nd 
thige Anzeige gemacht und deflen etwas ungnädige Ein 
willigung erlangt, die Sache zum Abſchluß reif, und 
erft jeßt erfuhr die Orfini, daB fie über den Charakter 
der fünftigen Königin gröblich gefäufcht worden fei und 


— m. “wWE_ un. A. 


gar Feine Hoffnung habe, auf diefelbe einen gebietenden ' 


Einfluß zu erlangen. Sofort ging ein Courier mit dem 
gemeflenften Befehl nach) Parma ab, den Abſchluß der 
Verbindung auszufegen. Der Courier fam am Morgen 
des Tages’) an, wo die Che per procurationem ab: 
geichloffen werden follte. Man vermuthete aber den In- 
halt feiner Depefchen, hielt ihn am Eingange der Stadt 
an und beflimmte ihn’), feine Ankunft um 24 Stun⸗ 
den zu verfchieben, während die Geremonie durch den 
Biſchof von Imola, Ulyſſes Joſeph Gozzalini, volle 
gen ward (16. Sept. 1714), wobei der Herzog als 


. 1) Diefer ging uber keinesweges felbft nah Parma, wie in der 
Vie du Duc de Ripperda und ähnlichen Werfen fteht. 

2) Nach Andern am Borabenr. 

3) Man fol ihm die Wahl zwifchen Leben und od geftellt has 
ben. Er folle leben und eine gute Belohnung erhalten, wenn er 
fi dazu verftehe, erft nad 24 Stunden anzutommen. Andern Yalls 
müffe er fterben. Der Mann lieh fi einfhüchtern und verſchwand. 
u hredt aber wird dem Alberoni auch dieſes Manoeuvre zuge⸗ 
ſchrieben. 










heronianb Mlpebe: 141 


fini mußte ihren Aer⸗ 
ſelbſt die größte Freude 


zu Seſtri ein, Iandete 
ch, brachte zwei Tage 


1 Gefolge vertaufchend, und 
eroni, dem fie dad Grafen ⸗ 
ng zum parmefanifchen Ges 

‚chte. Auf der langfamen 
u Brief von ihrem Gemahl 
inwies, die Orſini zu entlaſſen, 
guen Klugheit überließ und nur 
npfahl;; denn wenn fie fih nur 
BP ringeffin unterhalte, fo werbe 
en werben. Alberoni war feined« 
er dabei, wie man oft gefagt hat; 








fetbft fehr willfommenen Auftrags ent« 
Schilderung der Prinzeffin Drfini be» 


einzeffin ſtürzte auch das Cabinet, was 
‚Die Reitung der auswärtigen Angelegen- 
auf Alberoni’d Vorſchlag, der Cardinal 
der jeßt auch zum Gouverneur. des 
(fturien ernannt wurde, - 
m. bie Königin bei 
von mittelmaßiger 












142 Die Cellamareverſchwoͤrnug; Alberoni und Skipperba 


lem Charakter, zum Beichtvater. Ihr fleter Rathgeber, 
Günftling und Vertrauter blieb Alberoni und fügte fid 
gern darein, noch einige Zeit Andern den Schein ber 
Macht zu lafien, deren Weſen er doch befaß. Er wußte 
den König zu behandeln und er hatte dad ganze Ohr 
der Königin. Diefe aber beherrfchte den König vollſtän⸗ 
dig. Sie beherrrichte ihn, wie alle Eugen Weiber ihre 
Männer beberrichen, ohne e8 ihn merken zu laſſen. ie 
war unermüdlich in ihren Aufmerkſamkeiten, widerfprad 
ihm niemals, lobte, was ihm gefiel, und verwarf, wei 
ihm nicht behagte, bewachte liſtig und geſpannt jede 
Regung feines Gemüths und wußte ihn ſtets nach ihren 
Abfichten zu lenken. Sie beftärfte feinen Widerwillen 
gegen Geſellſchaft; fie theilte fein einziged und geliebte 
Vergnügen: die Jagd; fie beftand ein fortwährende 


Tete-à-Tete mit einem trübfinnigen und ungefelign 
Gatten, ohne Weberdruß oder Ermüdung zu verrafhen, 
und belebte Die Langeweile des Zwanges, der Einfam 


feit und der Etikette mit einem unerfchöpflichen Fond 
von Heiterkeit und guter Laune. So erwarb und be 
fefligte fie eine Gewalt, welche Feine Zeit und kein 
Schickſal erfchüttern Ponnte, und war bis zur lebten 
Stunde feiner Regierung der wahre Souverain von 
Spanien '). 

Xeider war der leitende Gedanke ihres politifchen 
Strebend Fein auf die wahren Intereffen Spaniens ge 
richteter, wenn er auch theilweife mit fpanifchen Vorur⸗ 
theilen zufammenhing. Won der erſten Gemahlin Ph 
Iipp’8 lebten zwei Söhne, Ludwig und Ferdinand, de 
nen zunächſt die ſpaniſche Krone beftimmt ſchien ?). Ei 

N) Core a. a. D 


2) Lubwig (ged. 25. Auguſt 1707) übernahm die Regierung bei 
Lebzeiten feines Baterd am 15. Ian. 1724, + aber fon em 


⸗ 
—.. 


Die Cellamareperſchwoͤrnug; Alberoni unb Bippertı 143 


fabeth felbft aber ward am 20. San. 1716 von einem 
Prinzen, Karl, entbunden und hoffte mit Grund noch 
af eine zahlreiche weitere Nachkommenſchaft. Diefer 
ch eine Verforgung in Land und Leuten zu verfchaf- 
fm, warb nun das unausgefebte Ziel ihres Strebens, 
und ed bot fich ihr dafür theild eine fernere Ausficht: 
die Rückkehr ihres Gemahls zur franzöfiichen Succeffion, 
von der ihn, feit das franzöfifche Königshaus durch den 
od fo unerwartet gelichtet worden, nur ein ſchwächli⸗ 
her Knabe und feine Verzichtleiftung trennte, welche man 
franzöfifcher Seits ſtets als ungiltig betrachtet Hatte; theild 
eine nähere: ihre eventuellen Anfprüche auf Parma, Pia- 
cenza und Zoßfana, deren Thronen Erledigung bevor: 
ſtand; endlich eine mögliche in der Thatfache, daß die bis 
vor kurzem mit Spanien vereinigten Länder Neapel und 
Sicilien vielleicht den Händen Defterreihd und Savoyens 
wieder entwunden werden könnten. In dem erften Ge- 
banken traf fie mit den geheimen Wünfchen ihres Ge: 
mahls zufammen, deifen Zrübfinn doch einen legten 
Srund in dem Vorzuge hatte, den er Frankreich vor 
©panien gab. 

Zuerft ergriff Alberoni die Partie, eine Ausfühnung 
und Annäherung zwifchen Spanien und den Seemädhten, 
in deren Händen fo vielfach die Enticheidung lag, zu 
vermitteln, und bald erfuhren die Geſandten Englands 
und Hollands, denen das franzöfifch gefinnte Minifte- 
rum nichts ald Schwierigkeiten entgegengeftellt hatte, 
durch Vermittelung Alberoni's, der fich ihnen, ohne 
amtliche Stellung, als der eigentliche Vertraute des 
Monarchen kundthat, die erwünfchtefte Förderung bei 


6. &ept. veffelben Jahres, worauf Philipp V. die Regierung felbft wies 
der antrat. Ferdinand, geb. 233. Sept. 1713, fuccedirte feinem Va⸗ 
ter am 9. Zuli 1746 umd ftarb erblos am 10. Auguſt 1759. 


144 Die Cellamareverſchwoͤrnng; Alberoni und Bipperba. 


ihren Unterhandlungen über Handelsverträge. Während 
man bis dahin die Sache des Prätendenten unterflügf 
hatte, ließ man ihn jetzt gänzlich fallen, verpflichfete 
fih fogar in einem fürmlichen Staatövertrage, ihm und 
feinen Anhängern Feinerlei Beiftand zu leiſten, und frug 
durch Veröffentlichung diefer Urkunde weſentlich zur De 
creditirung der ganzen Sache bei. Die ganze Verband 
fung ward dem Alberoni noch dadurch erleichtert, daß 
der englifche Gefandte, Stanhope, ihm von der Zei 
ber befannt war, wo derfelbe ald Gefangener in Sara 


gofla geweien war, während Alberoni noch im Gefolge 
Vendome's Iebte, und daß der holländifche Geſandte, 


Baron von Ripperda, wie wir weiterhin fehen werden, 
ſchon damald damit umging, fih in Spanien feſten 
Fuß zu Schaffen. Der Cardinal dei Giudice verlor fein 
Portefeuille und ging mismuthig nad) Rom, und Albe 
roni wartete nur noch auf den Cardinalshut, um felsft 
an die Spige ded Minifteriums zu treten. Ein franzd- 
fifcher Agent, welcher chedem viel Einfluß auf Philipp 
gehabt, aber durch die Orfini verdrängt worden wat, 
Louville), ward, ald der Regent ihn an den König 
ichiete, nicht angenommen. 


— —— — — — — 


1) Der ordentliche Geſandte Frankreichs war der Herzog von 
St. Aignan. Louville erſchien aber mit Privatbeglaubigungsſchreiben 
an den König und zugleich mit Empfehlungsbriefen an Alberoni. 
Sowie er ankam, erhielt er von dem Staatöfecretair Grimaldo ein 
Schreiben, worin ihm das Miödfallen und Erftaunen des Königd 
auögedrüdt wurde, daß cr fi herausnehme, an einen Hof zuräd- 
zufchren, von dem er verwieſen worden, und feine fofortige Wieder⸗ 
abreife verlangt ward. Während cr Über diefe unerwartete Botſchaft 
betroffen war, beſuchte ihn Alberoni felbft, überfhüttete ihn mit 
Beileidsbezeigungen, beklagte feinen cignen Mangel an hinreichen⸗ 
dem Einfluß und wendete alle feine Geſchicklichkeit an, feine Anftrucs 
tionen zu erfunden. Als Louville feine Bollmadten zeigte und eine 
Audienz begehrte, ſchritt der heuchleriſche Italiener, ſcheinbar in hoͤch⸗ 
fter Bewegung, dur das Zimmer mit dem Ausrufe: „Das ift ein 





wi. dal 


Die Gehamareverihwörung; Alberoni und Ripperba. 145 


Defienungeachtet mußten Philipp und Alberoni bald 
die bittre Erfahrung machen, daß die Seemächte fi 
feineöweges zu Werkzeugen fpanifcher Vergrößerung her⸗ 
geben, daß fie Feinen europäifchen Krieg risfiren woll- 
ten, daB ihnen an dem guten Einvernehmen mit Frank⸗ 
reich und Deflerreich mehr gelegen war, ald an allem, 
was ihnen Spanien in Ausficht ftellen konnte. Auf die 
erſten Vorzeichen, daB die fpanifchen Pläne einen Krieg 
in Stalien erzeugen könnten, näherten ſich England und 
Sranfreich und beſchloſſen eine Allianz, der auch Hol: 
land beitreten follte und die auf beflimmte Ausglei- 
hungsvorfchläge bafırt war, deren Annahme man von 
Defterreich und Spanien verlangen wollte. Den Be 
mübungen des fpanifchen Gefandten im Haag, Beretfi 
Landi, gelang ed nur bis zu Anfang des Jahres 1717 
den Beitritt Hollands zu der Tripleallianz zu verzögern. 
Die Anerbietungen, die man Spanien machte, Daß man 
namlich dem SInfanten Don Carlos die Erbfolge in 
Toskana, Parma und Piacenza zufichern wolle, genüg⸗ 
tm dem Könige nicht und fo fah Alberoni, daß alle 
fine Bemühungen, den Ausbruch des Krieges zu ver- 
hüten, fruchtlos feien und daß er ihn ohne Allürten 
werde führen müflen. 

Sobald ihm dies Far war, wirkte er wenigftensd mit 
ganzem Eifer für füchtige Rüftungen. Einen Vorwand 
zu dieſen, fowie zugleich das Verſprechen eines Cardi- 





fuchtbarer Hof! dic Leute glauben, daß ih Macht habe, aber ih 
babe keine!“ Alle Borftellungen waren umfonftz man zwang zwar 
Leuville nicht zur Abreife, aber er erhielt Peine Audienz und man 
that ſolche Schritte in Paris, daß feine Zurüdberufung unvermeid- 
id war. — So leiht und unbedingt Philipp V. fih fremden Ein: 
fläffen unterwarf, fo Leiht ſcheint er ſich auch von feinen Günft- 
— getrennt und den einmal Entfernten für immer aufgegeben 
zu haben. 


J. 7 


146 Die Gehamareverfchmörung; Alberonl und Bipperbs; 


naldhutes, hatte er fih ſchon feit einiger Zeit durch 
Unterftügung ber Venetianer bei ihrem Kampfe gegen 
die Türken erkauft. Daß ihm der verfprochene Cardi⸗ 
nalshut wirklich zu Theil werde '), erzwang er dadurth, 
daß er dem papfllichen Nuntiug, der nach Tanger Span⸗ 
nung zwifchen Spanien und dem heiligen Stuhle jetzt 


wieder das katholiſche Königreich beglüden follte und | 


bereitö bis Perpignan gelangt war, ein Halt! zufendete 
und in Rom bedeuten ließ, die Zulaffung des Nuntius 
Pönne erft erfolgen, wenn Alberoni Cardinal fei; man 
rüfte übrigens nicht gegen den Kaifer und werde den 
Krieg gegen die Ungläubigen fortfegen. Jetzt gab der 
Papſt nach; Alberoni ward Cardinal und die ſpaniſche 
Erpedition ging von Barcelona ab und überfiel Sardi 
nien, wo der Marquis von Leede am 22. Aug. ITU 
landete, was in kurzer Zeit unterworfen ward und von 
wo man nach Sicilien überging. 

Zum Schuge diefer Unternehmungen feßte nun U 
beroni halb Europa in Bewegung, vereinigte Die wider 
fprechendften Entwürfe, verband ſich mit allen Projec- 
machern, fuchte überall Gährungen, Zwieſpalt, unbe 
flimmte Hoffnungen zu entzünden, furz allgemeine Ver: 
wirrung anzuftiften. Er ftelte den Savoyern die Er 
werbung von Mailand in Ausficht, wofür fie gern Si⸗ 
cifien aufgaben, was ihnen der utrechter Friede zuge 
fprochen hatte. Er beförderte die jafobitifchen Complott 
und foderte Karl XIL, zwilchen dem und feinem vid- 


1) Zange Beit hielt ihn der Papft damit hin und er ließ deshalb 
in Rem dad Diftihon anfhlagen: 
Promittis, promissa negas, deflesque negata. 
Te, tribus his junctis, quis neget esse Petrum? 


(Du verfprichft, dad Verſprochne verläugneft Du, weinft ob dd 


Laͤugnens3 
Niemand, da all dies ſich eint, laͤugnet, daß Petrus Dun bliſt.) 


Wi 


Die Gelinmareverfhwärung; Alberoni und Ripperda. 147 


jährigen Feinde Peter I. er durch den Grafen Görtz eine 
Berföhnung bewerfftelligt hatte, auf, mit ſchwediſchen 
md ruſſiſchen Truppen in England zu landen. Er 
Khürte den Kampf der Türfen gegen Defterreih und 
Venedig an und ſchickte Rakotzy) nach Konſtantinopel, 
um vielleicht neue Gährungen in Ungarn zu entzünden. 
In Frankreich wiegelte er auf der einen Seite die Hu- 
genotten auf, während er auf der andern fich mit der 
Jefuitenpartei zu einer Verfchwörung gegen den Regen- 
tn verband. Dabei war ihm weder an dem Haufe 
Hannover, noh an dem Haufe Stuart, weder an 
Schweden, noch an Dänemark, an Ungarn, oder der 
Horte, an Hugenotten oder Sefuiten etwas gelegen, 
fondern er wollte hauptjächlich Unruhe und Verwirrung 
erregen, um unter deren Schuß vielleicht etwas Großes, 
vielleicht Vieles, im unglüdlichften Falle wenigftens 
etwas, gleichviel was, zu erlangen. Freilich ſetzte er 
fih in Gefahr, gar nichts, oder Doch viel weniger zu 
erwirken, als er erreicht haben würde, hätte er dieſelbe 
Kraft auf einen und zwar einen natürlichen und richti⸗ 
gen Punkt gewendet. 

Daß er ihm überlegene Kräfte herausgefobert, mußte 
er zunächſt an England erfahren. Defterreich hatte ſich 
den Vorfchlägen der Seemächte und Frankreichs ange: 
ſchloſſen, während Spanien fi zu weigern fortfuhr. 
Da fegelte eine englifche Flotte, unter Admiral Byng, 
nach dem Mittelmeer ab, und als fie auf der Höhe des 
Gap St. Vincent war, ließ der Admiral dem britifchen 
Sefandten feine Ankunft zu wiffen thun und erfuchte 
Ihn, Se. katholiſche Majeftät zu benachrichtigen, daß 


1) Goͤrtz und Rakotzy behalten wir und für Fünftige Darſtellun⸗ 
am vor. 
7%* 


148 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Bkipperba. 


er beauftragt fei, alle Maßregeln zu unterflügen, Die zu 
einer Ausgleichung der Differenzen zwijchen dem König 
von Spanien und dem SKaifer führen könnten, daß er 
aber, falld Se. katholiſche Majeftät die Wermittelung 
nicht annähme, Befehl habe, die Neutralität Italiens 
aufrecht zu erhalten und die Gebiete des Kaiferd zu ver 
theidigen. Im einer Unterredung mit dem Gardinal U 
beroni brachte der britifche Geſandte, nachdem er Fraffige 
Vorftellungen für den Frieden gemacht, zur nachdrück 
lichen Unterftügung derfelben dad Schreiben des Admi- 
rald vor. Alberoni antwortete unwillig: „Mein Gebie 
ter wird allen Gefahren Trotz bieten, und fich lieber aus 
Spanien vertreiben laflen, ald feine Truppen zurüdtu 
fen, oder in einen Waffenftilftand willigen. Die Spa 
nier laſſen ſich nicht einfchüchtern, und ich babe zuvid 
Vertrauen zu der Tapferfeit unfrer Flotte, ald daß ich, 
für den Fall, dag Ihr Admiral fie anzugreifen für gut 
finden follte, über den Ausgang in Sorge fein würde“ 
Der Gefandte antwortete hierauf lediglich durch Vorle⸗ 
gung einer Xifte der britifchen Flotte, die er mit der 
der fpanifchen zu vergleichen bat. Die kränkende Kälte, 
womit Diefe Notiz gegeben ward, erregte den Zorn de 
Cardinals. Er raffte die Lifte an ih, riß fie in Stüden 
und trat ſie mit Füßen. Auf alle weitere Vorftellungen 
antwortete er mürrifch: „Ich werde Ihre Botſchaft dem 
Könige mittheilen und Sie in zwei Tagen von der Ent 
ſchließung Sr. Majeftät benachrichtigen.” Indeß, weh: 
ſcheinlich um der fpanifchen Flotte Zeit zu gewinnen, 
die fie benugen fonnte, eine Zufluht in Malta zu fur 
hen, verzögerte er die Erfüllung feines Verfprechens um 
neun Tage, worauf er das Schreiben des Admirals mit 
folgendem kurzen Poftfeript zurüdfchidte: „Se. katho⸗ 
liſche Majeſtät bat mir die Ehre erzeigt, mir zu fagen, 


Die Ceſlamareverſchwoͤrung; Alberoni und Mipperda. 149 


daß der Ritter Byng die Befehle ausführen möge, Die 
ee von dem Könige, feinem Gebieter, erhalten hat.‘ 
Dies war vom 15. Juli Datirt und am 11. Auguft (1718) 
ereilte Admiral Byng die ſpaniſche Flotte am Cap Paf- 
ſaro und ſchlug fie jo gänzlich, daß nur vier Kinienfchiffe 
und ſechs Fregatten enttamen, die übrigen theild genom- 
men, theils zerflört wurden, theils fcheiterten '). Der 
fpanifche Admiral Caſtanietta ward felbft, nach verzwei⸗ 
feltem Widerftande und gefährlicher Verwundung, ge- 
fangen genommen. 

Noch empfindlicher follte fi an Alberoni die Art 
und Weile rächen, wie er die franzöfifche Regierung 
burch die Sellamareverfchwörung herausgefodert hatte. 

Zudwig XIV. hatte zwei Dauphins, feinen alteften 
Sohn und Enkel, vor fih in das Grab fleigen fehen, 
und bei feinem Zode (1. Sept. 1715) beftand feine 
eheliche männliche Nachtommenfchaft nur in feinem fünf: 
jährigen Urenkel Ludwig (geb. 15. Zebr. 1710) und in 
deſſen Dheim, feinem Enfel, Philipp V. von Spanien, 
der auf alle franzöſiſche Succeffion verzichtet hatte. Auch 
die Mutter des nunmehrigen Thronerben war bereits 
geftorben und fo vereinigte ſich alles dafür, die Regent: 
fchaft des Reichs während der Minderjährigkeit Lud⸗ 
wig’d AV. dem nächften volljährigen Agnaten, dem 
Herzoge von Drleand, zuzufprechen. Philipp II., Herzog 

1) Georg Byng (geb. 1663 + 28. Ian. 1730) ward zum Lohne 
1721 Peer (Biscount Zorrington) und crfter Cord der Aomiralität. 
Es war fein nit minder tüdtiger Sohn, John Byng, welder 
1757 durch einen üngerehten Tod die Midgriffe des Minifteriums 
büßte. — Es hatte übrigens ein Project beftanden, den Altern Byng 
und feine Untergebenen zu beſtechen, daß fie fih mit der ſpaniſchen 
Flotte vereinigten und für den Prätendenten erklärten. Der Träger 
diefes Planes war Cammock, mahrfheinlih derfelbe, der in jener 


Seeſchlacht die einzige Abtbeilung ver fpanifhen Zlotte befchligte, 
die davonkam. 


150 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni nub Bipperbe. 


von Orleand (geb. 4. Auguft 1674, + 2. Dec. 1723), 
der Brudersfohn Ludwig's XIV., der Sohn Philipp's J 
von Drleand und jener braven, gefcheiten und kräfti⸗ 
gen Elifabeth Charlotte von der Pfalz (geb. zu Heide 
berg 27. Mai 1652, + zu St. Cloud 8. Dec. 1722), 
war ein fehr begabter Menſch, tapfer und Mug und 
von mildem, edelmüthigem Weſen, aber durch die Un 
thätigfeit, zu der ihn Ludwig XIV. fpäter verurtheilte, 
und durch fchlechte Umgebungen zu wüſtem Leben ver 
leitet worden. Ludwig XIV. ließ ſich in der Schwäche 
des hoben Alters durch die Maintenon und die Jeſuiten⸗ 
partei beflimmen, feinen Baftarden, namentlich dem 
Herzog von Maine und dem Grafen von Zouloufe, 
welche beide Söhne der Monteipan waren, die wen 
tuele Thronfolgefähigkeit zuzufprechen, dem Herzog von 
Drleans aber in feinem Zeftamente nur den Vorſitz im 


Regentfchaftsrathe zugutheilen, während der Herzog von ' 
Maine die Vormundſchaft über das königliche Kind und - 


dad Commando der Haustruppen erhalten follte. Für 
diefes Arrangenıent waren die Greaturen des Hofes und 
die unfromme, frömmelnde Iefuitenpartei. Gegen dad 
felbe war der ſtolze Adel des Reihe, waren die beften 
Stügen des Landes im Heere, in der Verwaltung und 
der Gerichtsrobe, war Die mit vernünffigem Zreifinn 
das Bedürfniß tieferer Religiofität und einen rechtlichen 
Sinn verbindende Ianfeniftenpartei, war im Allgeme 
nen die öffentliche Meinung des Volks. Am Tage nah 
Ludwig's Tode ward Das Zeflament im Parlamente um 
geftoßen und dem Herzog von Orleans die unumfchränfte 
Staatdgewalt als Regenten im Namen ded Königs Lud⸗ 
wig XV. und während der Minderjährigkeit deſſelben 
zugefprochen. 

Die erften Maßregeln der Regentſchaft waren fre- 


— 


Die Ceſlamareverſchwoͤrung; Alberoni and Ripperda. 151 


finnig und populair und es trat ein ſchon lange vorbe: 
reiteter, aber Lünftlich niedergehaltener Umſchwung in 
dem ganzen franzöfiihen Leben überrajchend hervor. 
Indeß trat Doch nichts weniger ald ein Regiment 
bee Zugend und Weidheit ein; namentlich in der inne 
ren Verwaltung ward eine Politik des Augenblicks befolgt, 
Die auch manchen gewagten Schritt that; Regierung 
und Volk geriethen in mancherlei Ertreme; und der er- 
ſteren fehlte die Stüge moralifcher Achtung, die ihr 
weder Charakter und Mandel des Regenten, noch fein 
feiler und Tiederlicher Rathgeber, der Gardinal Dubois ') 





1) WBühelm Dubols, Sohn eines Apothelerd, geb. 1656 zu 
Brive⸗ la⸗Gaillarde in der Auvergne, Echrer des Regenten, fpäter 
bei der Geſandtſchaft in London, dann im Rathe der Orleans, 1715 
Staatsrath, anterhanbelt 1716 — 17 vie Zripleallienz in London 
und im Haag, 24. Sept. 1718 Minifter der auswärtigen Angeles 
genbeiten, 1720 Erzbiſchof von Gambrai, 1721 Garvinal, 22. Aug. 

7323 Premierminifter, + 10. Aug. 1723. Bei feinen auswärtigen 
—— ſchickte er ſtets doppelte Depeſchen, die eine für das Des 
partement, die andere für den Regenten. Leptere enthielt den wah⸗ 
ren Stand der Sache und war in Chiffren, zu denen nur Dubeis’ 
Beuder den Schlüffel hatte. Als der Negent ihn zum Premiermini- 
fier ernannt hatte, fragte cr bei einem vertrauten Souper: „was 
fagt man dazu, daß ih Dubois gleichzeitig zum Cardinal und zum 
Premierminifter gemacht babe?’ Alles ſchwieg; endlich fagte der 
Graf ve Rock: „Paris wundert ſich keinesweges darübers man 
zweifelt aud gar nicht, daß Sie ihn zum Papft maden Fünnten, 
wenn Sie darauf ausgingenz aber trog Ihrer Macht weitet gauz 
Frankreich gegen Ste, daß Sie ihn nicht zum chrliden Manne ma- 

ben koͤnnen.“ Der Prinz lachte, aber des anderen Tages ließ der 
5 einen Befehl ausfertigen, der den Grafen de Nocé, den 
Zührer der Nouds, Ins Eril fhidte. Der Negent felbft mochte der 
Ehrlichkeit feines Minifters nicht viel zutrauen. Denn als ibn Du⸗ 
beis, in Rachahmung Mazarin’s, zum Univerfalerben feines unge: 
beuren Bermögene ernannt hatte, ſchlug er es aus und nahm nur 
ein Goldfervice aus der Berlaffenfhaft an. Geſchickt war Dubois 
und wußte aud das wahre Verdienſt feiner Unterbeamten zu benugen 
und zu ehren. &o namentlid an dem treffliden Pecquet (geb. 1662 
+ 1733). Xber er war ganz ohne Sinn für Ehre und Sittlichkeit. 
Bergl. Zlaffen, Th. IV. 


152 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni unb Binperbe. 


erwerben konnte). Dies veranlaßte manche Unzufrie 
denheiten, welche zwar den urfprünglichen Gegnern ber 
Regierung nicht zum Mittel des Umſturzes derfelben 
werden Tonnten, aber ihnen wenigftend Anlaß zu einem 
Verfuche dazu wurden. Die Zeit war nicht zu eine 
Revolution, zur Noth aber Doch zu einer Verſchwörung 
reif. | 
An der Spise der Unzufriedenen fland der Herzog 
und die Herzogin von Maine. Der von der Mainte 
non erzogene Ludwig Auguſt de Bourbon, Herzog von 
Maine (geb. 30. März 1670 + 14. Mai 1736), war 
1673 Tegitimirt und 1692 mit der Enkelin ded großen 
Tonde, Anna Luiſe Benedicte von Bourbon-Eonde, ver- 
mählt worden. Beide kränkte ed vorzüglich, daB nach 
einem langen, auch in Schriften vielfach verhandelten 
Streite zwilchen den legitimen und den legitimirten 
Prinzen die Erftern, durch Enticheidung des Negenten, 
den Sieg davontrugen. Selbſt die Gemahlin des Re 
genten, obgleich dem erften Prinzen von Töntglichem 
Geblüte verbunden, legte mehr Werth auf ihre Eigen 
ſchaft als legitimirte Tochter Ludwig's XIV.’). Ganz 
befonderd aber nahm fich die Herzogin von Maine der 
Sache an und fnüpfte in ihrer Erbitterung Verbindun⸗ 
gen mit der Königin von Spanien an. Hier begegnete 
fie theild den geheimen Wünſchen Philipp's V. nad 
der franzöfifchen Regentfchaft, theild dem Ingrimm der 
Königin über dad Bündniß Frankreich mit England. 
Von Seiten ded unzufriedenen Adels war ed befonders 


1) Lemontey, Histoire de la regence; Paris, 1832, 2 Bde. 

2) E5 war died Maria Zrancisca de Bloid, aud eine sogte 
der Montefpan, geb. 9. Mai 1677, verm. 18. Zebr. 1692, +1. 
Zebr. 1749. — Der Graf von Zouloufe, der aud von dem Ef 
ſehr rüdfihtsnol behandelt wurde, ließ fid in nichts ein. 


Die Cellamareverſchwbrung; Alberoni unb Mpperba. 153 


ber Graf von Laval), der fih den Maines anſchloß, 
auf deren Schloffe zu Sceaur die geheimen Zufammen- 
fünfte Der Umtreiber gehalten wurden. War die Her- 
zogin in Paris, jo wohnte fie im Arſenal und bierhin 
ward ber fpanifche Gefandte, Prinz von Cellamare, oft 
mald des Nachts dur den Grafen Laval gefahren. 
(Der Prinz war fehr di und fchlecht zu Zuße.) Der 
Sarbinal von Polignac gehörte gleichfalld der Verbin⸗ 
dung an und durch ihn wurde Zournamine, ein ehr 
angeſehener Iefuit, mit feinem Anhange herbeigezogen. 
Aus Anhänglichfeit an den alten Hof trat der Marquis 
von Pompadour bei und zog feinen Schwiegerfohn, 
den Marquis von Courcillon, mit in die Sache. Von 
Literaten zog man namentlich den Abbe Brigaut, den 
man zum Öecrefair und Archivar des Bundes machte, 
feinen Freund Dumesnil, dann den Kanzler des dem 
Herzog von Maine gehörigen Fürſtenthums Dombes, 
Matezieur, mit hinein. Berner gewann Laval nicht we: 
niger ald 22 Stabsoffiziere. In Spanien waren viele 
franzöfifche Abenteurer und entlaflene Offiziere ange: 
worben ?) und theilweiſe heimlich nach Frankreich ſpe⸗ 
Dirt worden. 

Dennoch fühlte man und damit war eigentlich Das 
ganze linternehmen gerichtet, daß man ohne ausmwär- 
tige Verbindungen gar nichts hoffen könne. Waren es 
Die alten Traditionen der Fronde, oder weiter zurüd 
der Ligue, war es dad Gefühl des gänzlichen eigenen 
Unvermögens, man erwartete Antrieb, Leitung und Mit- 
tel von Spanien, und Alberoni und Gellamare lenkten 


1) Der Negent hatte den Lavals ein altes Privilegiaum abgeſpre⸗ 
den, vermöge deffen fie bei gewiffen feierlihen Gelegenheiten den 
Borrang vor den Herzögen und Großbeamten der Kronc behaupteten, 

3 Darunter findet man auch den berühmten Zolard. 

7* 4 


154 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Bipperbe, 


diefe Verſchwörung. Nun war ed aber gleich ein Haupt: 
unglüd, „daß Gellamare ein Mann ohne Fähigkeit, Um⸗ 
fiht und Thatkraft war. (Wäre er freilich ein wahr 
baft tüchtiger Mann geweien, fo würde ee — auch nur 
das Unmögliche der ganzen Sache eingejehen haben.) 
Man hatte den Plan, fi) der Perfon des Herzogs von 
Orleans zu bemächtigen und denfelben nach Spanien 
abzuführen. Es follte dies, mittelft 300 in Gardes du 
Corps verfleideter Perfonen, am Vorabende des Weib 
nachtöfeftes (1718), wahrend der Mitternachtömefle ge 
fheben ). Dann follte Philipp V. zum Regenten er⸗ 
klärt, es follte ein Reichstag einberufen und ein Reicht 
rath beftellt werden. 

Mährend man fi) mit diefen Fühnen Plänen um 
bertrug, beichäftigte man fich auch mit Ausarbeitung 
der Erlaffe, die fie rechtfertigen follten, und der Prinz 
von Gellamare ließ zahlreiche Abfchriften Davon machen, 
die zur WVertheilung an die Häupter der Verfchwörung 
beftimmt waren. Er hätte beffer gethan, fie in der ge 
heimen Druderei druden zu laflen, die der Graf von 
Laval in einem unterirdifchen Gewölbe feines Kaufe 
hielt. Jedenfalls hätte er fichre Abfchreiber gebrauchen 
folen, wahrend er fih an unbekannte Lohnſchreiber 
wendete. Einer davon, Namens Buvat, zeigte bie 
Sache dem Dubois an und erhielt von ihm den Aufr 
trag, fih ihr weiter zu widmen, ihn von Allen zu wis 
terrichten, was er erfahre, und wo möglich eine Life 


1) Rad Soulavie’s Memoiren des Herzogs von Richelien Hätte 
man ſchon vorher den Herzog im Gehölz von Boulogne aufgreifen 
wollen, fi aber in der Perfon geirrt, worauf die bei dieſem Streide 
betbeiligten Verſchworenen ſich gerftreut hätten und theilweiſe entflo⸗ 
ben wären. Aber aud nachher nod habe man dem Herzog brei Mo⸗ 
nate lang dur Wildfhäsen im Walde von St. Germain auflauern 
laffen. ’ 


Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperda. 155 


der Verfchworenen zu entwerfen. Buvat that, was er 
fonnte, und brachte endlich eines Abends die Nachricht, 
daß er jet den ganzen aus 50 Actenſtücken beftehenden 
Verſchwörungsplan copirt habe, und daß derſelbe durch 
den Abbé Porkocarrero nach Madrid gebracht werden 
folle. Hierauf Tieß Dubois den Abbé zu Poitierd am 
2. Dec. 1718 verbaften und feine Papiere in Beſchlag 
nehmen ’). 

Der Prinz von Gellamare ?) begab ſich auf Diele 
Rachricht,; die er zeitig genug erhielt, um die gefähr- 
lichſten Papiere vernichten zu Tönnen, zu dem Kriegs⸗ 
minifter Le Blanc, um zu hören, wie die Sache flände. 
Hier aber erflärte ihm der Minifter mit dürren Wor⸗ 
ten, daB er Auftrag babe, fein Hotel in Gegenwart 
des Abbe Dubois und mehrerer Beamten durchfuchen 
zu laſſen. Umfonft berief er fi) auf die gefandtichaft- 
lichen Vorrechte. Man erklärte ihm, daß er fich deren 
unwerfh gemacht habe Er mußte der Durchſuchung 
und Verſiegelung feiner Papiere zufehen (8. Dec.), wo⸗ 
bei er erſt dann in Wuth gerieth und fich in Sarfas- 


1) Die Vie du Dac de Ripperda hat eine andere, aber irrige 
Berfion, wonach Portocarrero ſich felbft durch den Eifer verdächtig 
gemacht, womit er fein Gepäck zu retten geſucht, als fein Wagen 
bei Poitiers umgemorfen worden ſei. Zerner tft auch erzaͤhlt worden, 
der ſpaniſche Gefandtfhaftsfecretair habe bei einem Freudenmaͤdchen, 
oder der Stallmeiſter des ſpaniſchen Geſandten habe bei einer Bor⸗ 
dellwirthin St. Elme, der Witwe Baron's, Aeuferungen gethan, 
die von diefen Perfonen binterbradgt worden. Das kann alles mög» 
lich fein, ohne ‚der im Texte gemachten Angabe Eintrag zu thun. 
Unbeftimmte Rachrichten von dem Gomplot hatte man auch durd den 
Geſandten in Madrid und durd den englifhen Hof erhalten. 

8) Anton Giudice Herzog von Giovenozzo, Prinz von Gellamare, 
geb. zu Reapel 1657, aus einer genucfifden Familie ftammend, trat 
ms Militatr, kaͤmpfte 1702 tapfer bei Luzara, ward 1707 bei 
Gaeta gefangen und zu Mailand bis 1712 gefangen gehalten, dann 
ſpaniſcher Sabinetsminifter, 1715 Gefandter in BYaris, + ald Gene: 
ralcapitain von Altcaftilien zu Sevilla am 16. Mai 1733. 


156 Die Sehamarenerfhwärung; Alberoni and Sipperbe. 


men gegen Dubois ergoß, den er einen Kuppler nannte, 
ald man an eine Caſſette mit Billetödour Fam. Er 
warb darauf in feinem Haufe dur eine Abtheilung 
Moufquetaired bewacht, zwei Tage darauf aber, nachdem 
er an das diplomatifche Corps einen Proteſt erlaflen, 
nad) Blois gebracht, wo er bis zum 6. März 1719 blieb. 
Am 9. Dec. wurden die Marquis von Pompadour, von 
St. Geneß und von Courcillon in die Baftille gebracht. 
Am 11. entfloben der Graf d'Adie und der Graf von 
Magny und Famen glüdlic nach Spanien. Der Abbe 
Brigaut hatte fich, als Frauenzimmer verkleidet, aud 
auf Die Flucht gemacht, wurde aber erkannt und in die 
Baftille geſetzt. Seine Caſſette mit den wichtigften Pa 
pieren bafte er einem feiner Sreunde, dem Chevalier 
Dumesnil, zuftellen laſſen, der die Driginalaufläge über 
die Verſchwörung verbrannte und deshalb auch in bie 
Baftile Fam. Am 15. wurden der Brigadier der Rei⸗ 
terei Sandrasky und der Hufarenobrift Serret, nebſt 
anderen Offizieren, und am 16. wurden zwei Deutfche, 
worunter ein Schlieben ’), verhafte. Am 29. ließ man 
die Herzogin von Maine durch den Herzog von Be 
thune, fowie zu Sceaur ihren Gemahl verhaften. Ihre 
Söhne wurden nah Eu und ihre Töchter in ein Klo⸗ 
fier zu Chaillot gebracht. Berner verhaftete man den 
Herzog von Richelieu ’), den Kanzler Malezieur und 
defien Sohn, welcher Generallieutenant der Artillerie 
war, den Chevalier von Gavandun, die Gräfin und 
den Abbe Le Camus, den Marquis von Boisdavis, die 


1) Die Herzogin von Orleans nennt ihn aud einmal Graf Schlie⸗ 
ben und theilt ein Gedicht mit, was cr auf die verwitwete Königin 
von Spanien gemadt. 

3) Den wir und zu Fünftiger ausführliher Beſprechung vorbes 
halten. 


Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Minperbe. 157 


Gräfin von Noyon, Die Fräulein von Montauban, die 
Delaunay, den Grafen von Laval, die Advocaten Bars 
zeton und Davilard, den Marquis von St. Genie; 
und zulegt noch die Marquife von Yompadour und ihre 
Tochter, die Gourcilion. Der Cardinal Polignac wurde 
nach feiner Abtei zu Anchin verwiefen. Der Prinz von 
Sonti follte auch verhaftet werden, verfchanzte fich aber 
n feinem Haufe und drohte, fich aufd Aeußerſte zu ver 
heidigen, worauf man ihn in Ruhe ließ. — Im Uebri⸗ 
im geichah allen ‚diefen Verſchworenen weiter nichts, 
As daß man fie einige Monate in der Baftille ') hielt, 
ns fie nach und nach alle geftanden hatten und nament- 
ih die Herzogin von Maine dahin gebracht worden 
var, Durch ein vollftändiged Geftändnig in einem nur 
ar den Regenten beftimmten Auflage ihre und ihrer 
Mitverfchworenen Freiheit zu erfaufen. Dan wußte, 
daß dieſe Frondeurs nicht gefährlich waren. Strenger 
hehandelte man eine gleichzeitige, weit weniger erwieſene 
Bewegung in der Bretagne. Hier fielen vier Häupter 
und wurden auch fonft fehr firenge Maßregeln getroffen, 
weil es galt, Die Regungen eined männlichen und für 
alte, echte Freiheit glühenden Volkes niederzuhalten. 
Bevor noch der Cardinal Alberoni die Verhaftung 
Bellamare’8 erfahren, hatte er dem franzöfifchen Geſand⸗ 
ten, Herzog von St. Yignan ?), die Weifung zufommen, 
laffen, Madrid binnen 24 Stunden zu verlafien, wäh- 
rend er gleichzeifig ein Billet an Cellamare fchrieb, wo⸗ 
rin er ihn anmwies, feft auf feinem Poften zu beharren, 
wenn er aber abreifen müfle, vorher „das Feuer an alle 


2 @er Herzog von Maine faß auf dem Schloffe Dourland, feine 
Gemaplin erft in Dijon, dann in Ghalons. 
2 Se. 1684, + 1776. Er war von 1729—1741 Gefandter 


158 Die Cellamareverſchwoͤrnng; Wiberent und Mpperba. 


Minen zu legen.” Als die Nachricht von der Verhaf⸗ 
tung des Gellamare eintraf, ſchickte der Cardinal bem 
Sefandten Leute nach, ‚die ihn zurüdbringen follten. 
St. Aignan vermuthete aber fo etwas und hatte daher, 
fogleich nachdem er die Grenzen Navarras erreicht hatte, 
mit feiner Gemahlin Maulthiere beftiegen und war auf 
St. Jean: Pied :de-Port zugeritten, während er in fe. 
ner Carroſſe einen Kammerdiener und eine Kammerfrau 
fieß, welche angewiefen waren, fich für den Geſandten 
und deſſen Gattin auszugeben. Die Equipage wurde 
richtig eingeholt, ihre Infaflen wurden, unter ben df 
rigften Proteftationen über verletztes Völkerrecht, nah 
Madrid gebracht und — Alberoni ärgerte fich äußerſt, 
als er fich getäufcht fand. St. Yignan fam ohne Um 
fall nach Frankreich. Die über alle diefe Händel zw 
fihen den Höfen von Madrid und Verſailles gewechſel⸗ 
ten Streitfchriften Fann man u. U. in den Causes of- 
lebres du droit des gens bed Baron Karl von- Mar 
tens leſen ’). | ' 

Die Ihlimmfte Folge des mislungenen Attentat 
war, Daß nun Frankreich den Krieg erflärte und den 
Herzog von Berwid?) mit einer Armee nach Spanien 


2) (Zeipzig und Parts, 1827, 2 Bde.) Th. 1. S. 139 fe. 
Am Schluſſe findet ſich auch eine plante Mittheilung über die Ber 
bindung der parifer Polizei mit den Freudenmädcen. 

2) Billard hatte dad Gommando abgelehnt, weil cr die in Frauk⸗ 
reich fehr verbreitete, aber falfye Abneigung gegen die auswärtige 
Politik der Regentſchaft, vie gerade ihre befte Seite war, theilte. 
Merkwürdig aber, daß Berwid, der natürlihe Sohn des Königb 
Jakob II., gegen die Macht ftritt, welde fi) der jakobitiſchen Sache 
noch am Eifrigften annahm. Jakob Fitz⸗James, Herzog von Ber: 
wid, geb. 1670 von der Arabella Ghurchill, der Schwefter Mariber 
rough's, wanderte 1683 mit feinem Bater aus, ward 1706 Mer 
(hal von Frankreich, war durch Philipp V., um deſſen Thronbe⸗ 
fteigung er dur den Sieg bei Almanza fi verdient gemacht, zum 


Die Gelamarenerichwärung; Miberoni unb Ripperba. 159 


ſchickte, welche die entichiedenften Erfolge errang. Um 
YKefelbe Zeit fill Kari XI. von Schweden, ward bie 
a Cadiz ausgerüftete, unter den Befehlen des Herzogs 
on Drmond ') abfegelnde jakobitifche Erpedition durch 
en Sturm zerftreut, eroberten die Defterreicher, unter 
em Grafen von Mercy’), faft das ganze Sicilien wie 
er, ward der parmelanifche Agent, Marquis Scotti, 
selchen Alberont nach dem Haag beftimmt hatte, um 
ine Vermittelung der Generalftaaten zu erwirken, in 
haris zurüdgehalten, und traten die Vereinigten Nie: 
erlande vollftändig in die Politif der Quadrupelallianz 
in. Umſonſt verfuchte Alberoni, in der Ießten Stunde 
meh Nachgeben und Unterhandlungen den Sturm zu 
eſchwören. Es war zu fpät. Die Mächte verlangten 
en Sturz Alberoni’s. Philipp V. war fchon etwas 
Hirt gegen ihn, weil er ihn abgehalten, perfünlich den 
Berfuch eines Entſatzes von Fuenterabia zu machen. 
zetzt warb noch der Beichtvater des Könige, B’Auben- 
on, um fo leichter gewonnen, als derfelbe auf Albe⸗ 
ont, der ihn durch einen feiner italieniſchen Anhänger, 
ven Pater di Caſtro, hatte erfegen wollen, grolite. Zwei 
icilianiſche Webte, welche bei Philipp ſehr in Anfehen 
landen, Platania und Caraccioli, unterflüßten feine 
Borftellungen. Ebenfo Ripperda ’). Endlich gelang eb 
meh noch dem Korb Peterborough ‘), den Herzog von 


er308 von Liria und Xeria ernannt worden, ui einen Sobn in 

penifden Dienften und fiel 1734 bei Philippsb 

Pr Jakob Butler Herzog von Drmend, geb. pi 1 Dublia 30. Aprü 

a Avignon 1747. 
6, ins Florimund, Graf von Mercy, cin Lothringer, geb. 
1 29. Juni 1734 bei Groifette. 
ie Vie du Duc de Ripperda ſtellt dad in Abrede. 

3 2 merkwuürdigen Mann wir uns zu rünftiger Darftels 

ung vorbehalten. 


160 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Aipperba. 


Parma dahin zu beftimmen, Daß er feinen Einfluß auf 
feine Nichte verfuche, welche allein den Alberoni nod 
hielt und ihn allen feinen Gegnern zum Trotz gehalten 
haben dürfte. Derfelbe Marquis Stotti, weichen Al⸗ 
beroni nach dem Haag beftimmt. hatte, erfchien jetzt 
in Madrid, mit Inftructionen vom Herzog, vom Re 


genten und von der englifchen Regierung und erhielt 
zur Belebung feines Eiferd 50,000 Kronen. Lama : 


Pescatori, einft die Amme der Königin und jebt ihre 
erfte Kammerfrau, in demfelben Kirchipiele mit Alberoni 
geboren und ihn mit Heid und Misgunſt verfolgend, 
verschaffte dem Scotti eine geheime Unterrebung mit der 
Königin, und bier ward Alberoni's Sturz befiegelt. 
Am Abend des 4. Decembers 1719 arbeitete Albe⸗ 
roni mit dem König und hielt eine lange Konferenz mit 
Seotti. Am folgenden Morgen ging der König nad 
dem Pardo und hinterließ ein, dem Cardinal Durch den 
Staats ſecretair Marquis Toloſa zu übergebendes De 
cref, wodurch er aller feiner Aemter enthoben und am 
gewiefen wurde, Madrid in acht Zagen, das ſpaniſche 
Gebiet in drei Wochen zu verlaflen. Umſonſt verlangte 
er eine Audienz beim Könige. Ein Schreiben an ben- 


u. OT en 2 u — FE 


felben, das man ihm endlich verftattete, blieb fruchtlos. 


Nur Eine Genugthuung warb ihm. Während die Spa⸗ 
nier ihn, fo lange er in der Gewalt war, gebaßt und 
gefchmäht hatten, trat fofort mit feinem Sturze din 
gänzlicher Umfchwung der Meinung ein. Man erkannte 
auf einmal, wie viel Großes er für Spanien gewollt 


und welche Dort fo feltene Thatkraft er dafür entfaltet 


hatte’). Sein letztes Lever zeigte ein größeres Gebränge 


1) Er hatte au in Staatöwirtbfhaft und Finanzweſen, in Mis 
Me um earine manche Verbeſſerungen bewerkſteligt, mehr noch 
eabſichtig 


Die Geliamarenerihwörung; Alberoni und Ripperba. 161 


von Beſuchenden, als in den Zagen feiner höchften 
Decht, und die Regierung ward fo unruhig darüber, 
daß man ihn noch einen Zag früher abreifen Tieß, als 
wiprünglich beflimmt war. 

. Er verlieh Madrid am 12. December und reifte auf 
Bartelonı. Zu Lerida ward er von einem Beamten 
eingeholt, der ihm noch einige Papiere abnahm '). Vor 
Barcelona ward er von einer Bande Miqueletö ange: 
lien, einer feiner Diener und ein Soldat feiner Es⸗ 
arte getöbtet, fein Gepäd geplündert; mit Mühe ent- 
am er felbft, zu Fuß und verkleidet, nad) Gerona. Er 
ing nun durch das füdliche Frankreich, ſtreng bewacht 
und von dem Chevalier de Maffieu geleitet, der ihn 
wskundſchaften follte, aber natürlich nur erfuhr, was 
ver fchlaue Italiener ihn willen laſſen wollte. Zu An- 
übes fchiffte er fich auf einer ihm von Genua gefchid- 
ten Galeere ein und landete zu Seftri di Levante, in 
ver Adficht, nach Rom zu gehen. Aber er erhielt bier 
in Schreiben von dem päpftlichen Staatsfecretair, Car⸗ 
Anal Paulucci, worin ihm bei Strafe der Gefangen: 
ſchung unterjagt ward, den Kirchenflaat zu betreten, 
und bald darauf Fam ein zweites, was ihn mit den 
lirchlichen Cenſuren bedrohte, wenn er die Einfebung in 
feinen bifchöflichen Stuhl begehre. Die Zeit der päpſt⸗ 
lichen Rache war gefommen. Auch das ſpaniſche Kö⸗ 
rRigepaar bewies Füniglichen Undank, klagte ihn fürmlich 
bei dem Papfte an und nahm auch den englifchen Ein- 
Ruß zu feiner Verfolgung in Anſpruch. Der päpftliche 
Befandte in Genua, Cardinal Imperiali, wirkte vom 
Benate feine vorläufige Verhaftung aus und brachte 
drei Klagepunkte gegen ihn vor: daB er namlich das 


H Die wichtigſten will er doch gerettet haben. 


162 Die Celamareverſchwoͤrung; Alberoni und Biyperbe. 


aus den Eruzadas und andern Firchlichen Abgaben ge: 
wonnene Geld zum Kriege gegen Fatholifche Fürſten 
verwendet babe; daß er, zum großen Nachtheil für Ita 
lien und Europa, den Kaifer in einem Yugenblide be 
friegt habe, wo derfelbe in einen Kampf mit den Zür- 
fen verwidelt geweſen; daß er aus ſelbſtſüchtigen Grüm 
den die Spanier verhindert babe, für die von Papfe 
verlicehenen Pfründen Bullen nachzufuchen. Der Senat 
von Genua befaß jedoch foviel Rechtsgefühl, fich nicht 
zum Werkzeug fremder Rache berzugeben, feßte Alberoni 
in Zreiheit und begnügte fich, ihn aus dem genuefiſchen 
Gebiete zu verweilen. Während feines kurzen Aufent⸗ 
halts darin hatte er mehrere Schreiben und Actenftüde 
veröffentlicht, Die zu feiner Wertheidigung dienen fell 
ten’). Dies erbitterte den fpanifchen Hof nur noch nıehr 
und man drang auf feine Abfeßung von der Cardinals⸗ 
würde, wogegen jedoch die Cardinäle felbft in richfigem 
Corporationsgeifte auftraten und fi) begnügten, eine 
Commiſſion von vier Cardinälen niederzufegen, welche 
die Anklagen gegen ihn prüfen ſollte. Er fuchte jet 
eine Zuflucht in Parma, erhielt aber keine Antwort. 
Mit befferem Glück wendete er fih an die Schweiz. Er 
fegelte von Seftri auf einer Felufe nach Spezzia und 
fchlug von bier, wie man aus feinen Randbemerfungen 
auf einem in der herzoglichen Bibliothek zu Parma er⸗ 
baltenen Eremplar ded Thomas a Kempis, was ihn auf 
diefer Reife begleitete, fehen Eann, den Weg über die 
Apenninen nach dem Modenefifhen ein. Dann tauchte 
er wieder in Lucarno, einer eidgenöffifchen Vogtei, auf, 
und da auch bier ein Verſuch gemacht ward, fich feiner 

1) &. La storia del Cardinal Alberoni. Tradotto dallo Spa- 


gnuolo. All’ Haya, 1720, 4. Geſchichte des Gardinals Kulins Al 
beroni, bis auf deffen Abfterben. Halle, 1753. 8. Gore a. a. O. 





nn FE — ——— u —⏑⏑— Pe A = A —— — EEE ET U meiihe 5 


Die Celamarenerfhwörnug; Alberoni und Mipperbe. 163 


erfon zu bemächtigen, fo ward er in ein fichered Al⸗ 
uſchloß verfeßt. 

Nur ein Jahr dauerte fein Eril; dann gab ihm der 
od feines erbitterten Zeindes, des Papftes Clemens XI. 
- 18. März 1721), die Sreiheit wieder. Der madrider 
of verfuchte umfonft, ihn vom Conclave auszufchlier 
w. Man ertheilte ihm ein freies Geleit und fchlug 
se Einladung zum Conclave an der Kathedrale von 
enua und ber Kirche von Seftri an. Ein genuefiicher 
bier, der Abbe Vielato, gab ihm rechtzeitige Kunde; 
verließ fein Aſyl im tiefften Geheimnig und erfchien 
f einmal im Haufe eines Freundes bei Bologna. Won 
r begab er fih nah Rom, wo fein Erfcheinen das 
Ößte Aufichen erregte und das Vol? ihn mit Beifalld- 
zeigungen umdrängte. Kalter waren die meiften Car- 
näle; Doch gewann er fie allmälig durch fein einneh- 
endes Weſen und der neue Papft, Innocenz XIL, 
ar ihm gewogen. Die Commilfton mußte freilich, auf 
nbrängen Spaniens und Frankreichs, in ihrem Ver: 
hren gegen ihn fortfahren, was einen neuen Schrif- 
nwechfel veranlaßte. Sie begnügte ſich aber, ihn zu 
nem dreijährigen Aufenthalt in einem SKlofter zu ver- 
theilen, und der Papft feßte dieſe Zeit auf ein Jahr 
tab. Endlich ward er völlig freigefprochen und feier: 
$ mit dem Yurpur beffeidet. Nach Innocenz’ Tode 
uf er Benedict XII. ’) wählen, der ihn dafür zum 
Michof von Malaga weihte und ihm die gewöhnlidhe 
enfion der Cardinäle anwied. Der Cardinal Polignac ’), 





1) Diefer Papft war ein Orfini, welde Familie ſomit glühende 
ohlen auf Alberoni’s Haupt häufte. 

3) Melchior von Polignac, geb. zu Puy⸗en⸗Velay 11. Det. 1661, 
03 Geſandter in Warfhau, 1706 in Rom, 1713 in Utrecht, Gar: 
sat, 1726 Erzbifhof von Auh, + 20. Nov. 1741. 


164 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Mipperbe. 


einft fein Genoſſe in der Cellamareverfhwörung und 
von 1725—1732 franzöfifcher Geſandter in Rom, ver 
fchaffte ihm von der franzöfiihen Regierung erft ein 
Geſchenk von 10,000 Kronen, dann eine Penflon von 
12,000 Livres, fuchte ihm auch, nad dem Tode dei 
Cardinal Aquaviva, den fpantichen Gefandtfchaftspoften 
in Rom und Die damit verbundenen jährlichen 14,000 
Kronen ald eine Entfchädigung dafür zu verichaffen, daß 
ihm fein Einfommen aus dem Bisthum Malaga, trot 
wiederholter päpftlicher Verwendung, entzogen blieb. 
Aber theild der englifche Einfluß, theild Der fortbauernde 
Groll des fpanifchen Hofes gegen Alberoni, dem bie ihm 
einft fo gewogene Königin jet noch feine finanzielle 
Sparſamkeit vorwarf, vereitelten auf diefer Seite alle 
Ausſicht. 

Als jedoch der Infant Don Carlos ') die Herzog 
thümer Parma und Piacenza in Befig genommen hatte, 
empfing er (1732) Alberoni gnädig und verftattete ihm, 
fi in feiner Vaterfladt Piacenza niederzulaffen, wo er 
ein Seminar gründete. 1735 wurde er zum Vicelega⸗ 
ten der Romagna ernannt, wo er die Moore von Ra 
venna austrodnete, die Flüſſe Ronco und Moncone in 
ihre Betten fchloß und eine Menge Ableitungscanäle 
baute. Verfehlt Dagegen in jeder Beziehung war fein 
Verſuch (1739), die Fleine Republif San Marino ihrer 
Freiheit zu berauben. Bei der Belagerung von Pia 
cenza (1746) fchildert ein franzöftfcher Offizier Den mehr 
als 80jährigen Greis ald immer noch Außerft munter, 
raſtlos und geiftesfräftig, und erwähnt zugleich bie tiefe 
Verehrung, die ihm die fpanifchen Truppen bewiefen. 


ı) 1734 König von Neapel und Sicilien, 1759 ald Karl I. 
König von Spanien. 


Die Eellamereverimwöruug; Alberoni und Ripperda. 165 


Er farb zu Rom am 26. Juni 1752 und bat fonad) 
Philipp V. noch um faft ſechs Jahre überlebt. Sein 
Baupterbe wurde ein Vetter, Cäſar Alberont. 

Doch kehren wir zu Spanien und feiner Politif zu- 
rüd. Am 5. December 1719 flürzte AUlberoni und am 
26. Januar 1720 trat Spanien den Vorſchlägen der 
Duabdrupelallianz bei. Hiernach follten fih Karl VI. 
und Philipp V. gegenfeitig in ihren Würden und Be- 
figungen anerkennen. Sicilien follte an Defterreih, Sar- 
dinien an Savoyen fommen, dem Don Carlos die Erb- 
folge in Toskana, Parma und Piacenza zugefichert wer: 
den. Indeß noch hatten Defterreih und Spanien man- 
cherlei Zwifte über Zitel, Hormalitäten und Ehrenpunfte; 
Zwifte, Die nicht Gründe, fondern Vorwand des Strei- 
ted waren. Ebenfo war mancherlei Zwiefpalt über 
Parma und Piacenza, über welche fowol das Reich, 
a8 der Papft die lehensherrlichen Rechte in Anſpruch 
nahmen. Spanien wollte Mantua, Mirandola, Mont- 
ferrat und Sabionefta den rechtmäßigen Herren zurüd- 
gegeben willen. Die Seemächte proteflirten gegen Die 
oftindifche Handelögefellichaft in DOftende, mit deren Er- 
richtung Karl VI umging. Diefer aber mühte fih um 
die Anerkennung feiner pragmatifchen Sanction. Das 
alles follte auf dem Songreffe zu Cambrai verhan- 
beit werden, der lange angekündigt, endlih im April 
1724 eröffnet wurde. Er wurde von Defterreih, Trank: 
reich, Spanien, England, Sardinien, dem Papft, Ve: 
nedig, Toskana, Genua, Lothringen, Parma beichidt, 
brachte aber in länger ald Iahresfrift auch gar nichts zu 
Stande, da die vermittelnden Mächte ed feinem Xheile 
recht machten und die Dinge, welche die Streitenden 
hatten beichwichtigen mögen, gar nicht zur Sprache 
famen. 


166 Die Cellamareverſchwoͤrnug; Alberoni unb Sipyerhe, 


Da fand der Baron von Ripperda einen Fürzeren 
und fchnelleren Weg. Johann Wilhelm Baron von 
Ripperda flanımte aus einem alten in Dflfriesiand ), 
dem Stift Minden und den nördlichen Niederlanden be 
güterten Gefchlechte, war 1680 geboren und anfangs 
bei den Iefuiten in Köln, nad) Andern in Brabant, 
erzogen worden. Er trat aber zur reformirten Kirche 
über. Gründe und Hergang diefes Uebertritts werben 
verfchieden angegeben. Gewöhnlich heißt es, es fei ge 
ſchehen, um ein proteftantifches Fräulein heirafhen zu 
Finnen. Nach Andern war fchon fein Vater, nachdem 
er die Herrſchaft Roolgeeft in der Provinz Gröningen 
gekauft, reformirt worden und hatte feine Familie mit 
binübergeführt. Wieder Andere wollen, daß er ſelbſt 
erft übergetreten fei, um in den ftändifchen Angelegen- 
heiten und fonft eine Rolle fpielen zu künnen. War 
das der Grund, fo wurde er allerdings erreicht. Rip 
perda ward Obriſt in Hollandifchen Dienften, in welche 
Gigenfchaft er im Laufe des fpanifchen Erbfolgefrieged 
auch dem Prinzen Eugen befannt ward, nahm an ben 
Verhandlungen der Stände der Provinz Gröningen einen 
einflußreichen Antheil, und ſetzte ſich auch bei den Ge 
neralftaaten in fo gutes Anſehen, daß dieſe ihn nad 
dem ufrechter Frieden mit Unterhandlung eines Ham 
delsvertrages mit Spanien beauftragten. Der ſpaniſche 
Boden fagte ihm aber viel befler zu, ald der hollin 
difehe. In den nüchternen, gemeflenen, mit taufend 
Schranken und Gegengewichten durchzogenen und ſchon 
damals die Vorficht zur oberften Richtfchnur ihrer Pe 
litik nehmenden bataviichen Niederlanden war für einen 
Mann von feinem brennenden Ehrgeiz, feinem eiteln 


1) Hier befaßen fie bis 1680 das Städtchen Pattkum. 


Die Celemareverſchwoͤrnug; Alberoni und Ripperda. 167 


Bohfgefallen an Glanz, Aufwand und hohen Verbin: 
ungen, feinem Sinn für Intriguen und abenteuerliche 
Intwürfe weit weniger zu machen, als in Spanien. 
zs gelang ihm, fich ſowol bei dem Cardinal dei Gin: 
ice, fo lange diefer Dlinifter war, als bei dem mädh- 
igeren Alberoni in guten Crebit zu feßen, und als er 
ft Geneigtheit gezeigt hatte, fich wieder zu feiner alten 
Religion zurückbekehren zu laſſen, erlangte er auch ge- 
eimen Zufritt zur Königin und die Gewogenheit bes 
dönigs. Als er nach Holland zurüdkeifte, um von fei- 
er Sendung NRechenfchaft zu geben, ward es nicht blos 
n Spanien, fondern in Holland ſelbſt Schon vermuthet, daß 
T damit umgehe, fich nach Spanien überzufiedeln, und 
ad nachdem er nach Madrid zurüdgelehrt war, trat 
r in der That zum katholiſchen Glauben wieder zurüd 
mb fixirte fich in Spanien. Längere Zeit ſchien es je 
och nicht, als wenn er fich Durch diefen Schritt eine 
efonders glänzende Stellung gefichert hätte. Er wurde 
on Alberoni zu mancherlei Arbeiten, bejonders im na- 
tonalöfonomifchen und finanziellen Sache, benußt; man 
ibertrug ihm Die Anlegung einer großen Füniglichen 
Succhmanufactur und er machte Reifen nach Frankreich 
md Holland, um Arbeiter dafür anzumerben; aber auf 
ne großen politifchen Fragen erlangte er Feinen Einfluß 
mb Alberoni fcheint ihn, auch bei höflichen Formen 
mb einer Scheinvertrautheit, immer mit Miötrauen bes 
rachtet zu haben, wenn auch die Angabe, die man öf: 
ers findet, Alberoni habe ihn erft in den fpanifchen 
Dienft gezogen und dann aus Eiferfucht geflürzt, nach 
yeiden Seiten bin incorreet ifl. Gerade erft nach Albe⸗ 
roni's Sturze 308 er ſich auf fein Landgut bei Sego: 
via zurück und erfchien nur felten bei Hofe. 

Indeß der misliche Gang der Verhandlungen Des 


168 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Mpperbda. 


Congreſſes gab ihm doch Gelegenheit, einen Gedanken 
geltend zu machen, der ihn auf einmal auf die höchſte 
Stufe des Glanzes und der Macht bob. Wir flimmen 
ber gewöhnlichen Annahme bei, daß der Gedanke von 
ihm aus an den fpanifchen Hof gebracht worden fe | 
und nicht, wie von feinen Freunden verfichert worden 
ift ), von dem Hofe felbflandig erfaßt worden fe und 
ihn felbft überrafcht habe. Iedenfalld mag er den Ge 
danken Durch Fühne Hoffnungen, die er in der Königin 
nährte, in jeder Weife gefördert haben. Wenn er übri 
gend die Penfion, die er vom wiener Hofe bezogen 
hat ?), ſchon vor feiner Miffion erhalten hätte, ſo 
möchte der erfle Urfprung des Gedankens gar nicht in 
Spanien, fondern in Wien zu fuchen fein. Der Ge 
danfe felbft aber war der der Verfühnung Oeſterreichs 
und Spaniens, der wirklichen, durch gegenfeitige eigne 
Verftändigung bewirften, nicht von fremden Vermitt⸗ 
lern aufgedrungenen Verfühnung. Der Gedanke wat 
natürlich, denn Defterreich und Spanien haben an ſich 
feine collidirenden, wohl aber manche gemeinfame In 
terefien, und wenn auch in damaliger Zeit, wo Spa— 
nien noch Einfluß und Beſitz in Italien erſtrebte, ein 
Colifion denkbar war, jo ließ fich Diefe Doch befeitigen, 
wenn man fi) darein fügte, fich, wie in früherer Zeit, 
in Ddiefen Einfluß zu theilen, und gemeinfam die Fran 
zofen von Italien ausfchloß. Indeß mancherlei alter, 
perſönlicher Groll ftand noch entgegen. 

Sm November 1724 wurde Ripperda im tiefiten 
Geheimniß nach Wien entfendet, wo er unter dem Ne 
men eines Barons von Pfaffenberg auftrat und ein 


1) La Vie du Duc de Ripperda, I, 212. 
2) Graf Mailath, Gefhihte des oſterreichiſchen Kaiſerſtaates, 
IV, 597. 


Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperda. 169 


beſcheidene Wohnung in einer Vorſtadt bezog. Lange 
Zeit unterhandelte er nur mit dem Kaiſer perfönlich, zu 
dem er durch Hinterthüren und Geheimtreppen im flreng- 
ſten Incognito eingeführt wurde, und mit zwei Ver: 
trauten deflelben, dem Marquis Realp und dem Grafen 
Sinzendorf), ohne dag die Kaiferin und die übrigen 
Minifter eine Ahnung von dem Vorgehenden gehabt 
haften. Spaniſcher Seitd hatte man hauptfächlich eine 
Vermählung des Infanten Don Carlos mit der älteften 
Karoliniichen Erzberzogin und damit eine Ausficht auf 
die. dereinflige Wiederherftellung des Verhältniffes, wo 
zwei Linien deſſelben Hauſes in Defterreih und Spa: 
nien regierten, im Sinne. Dafür war man große Con- 
ceffionen zu machen geneigt. Nichts Fonnte Karl VI. 
gelegener fein, ald daB ihm Spanien hier durch einen 
für feine Idee erglühenden Abenteurer mit Hoffnungen 
entgegenfam, gegen welche man reelle Vortheile eintau- 
[chen Fonnte.e Man glaubt, daB der Kaifer in Diefer 
ganzen Sache Spanien nur dupirt bat und niemals 
ernſtlich daran dachte, die erweckten Hoffnungen zu rea⸗ 
lifiren. Weber die wichtigften Punkte, foweit fie die Er- 
füllung der fpanifchen Wünfche betrafen, bat Ripperda 
in der That nichts Schriftliches erlangen können. 
Breilich mußte fich der Kaifer fagen, daB dann auch 
Spanien das Verfprochene nicht erfüllen werde. Aber 
es war ihm fchon ein großer Vortheil, ed vollends von 
Frankreich und den Seemächten zu trennen und zu un- 
mittelbarem Abichluffe mit ihm zu bringen. 

Ein Ereignig Fam ihm dabei ungemein zu Statten. 
Nach der unglüdlichen Cellamaregefchichte war eine Ver: 

1) Philipp Ludwig, geb. 1671, 1697 Gefandter in Paris, 1712 


Gefandter beim Gongreß zu Utreht, nah Eugen’ Tode Premiermi- 
nifter, + 1742. 
I. - 8 


dd 


170 Die Cellamareverſchwörung; Alberoni und Myperbda. 


föhnung zwifchen den bourbonifchen Höfen Dadurch ver⸗ 
mittelt und befiegelt worden, daß man Die ältefte Toch⸗ 
ter Philipp's V. und der Elifabeth, Maria Anna Vic 
toria de Bourbon (geb. 31. März 1718), mit dem jun⸗ 
gen Könige Ludwig XV. verlobte (27. Rov. 1721) md 
nach Franfreih brachte, um bier für den franzoͤſiſchen 
Thron erzogen zu werden. Indeß fie war jetzt erſt — 
Jahre alt und der junge König war 15. Die Nation 
wünfchte dringend, die Thronfolge gefichert zu fehen. 
Es fol auch. eine perfönlihe Neigung Ludwig's im 
Spiele gewefen fein. Kurz, man entfchloß fi, bie 
Infantin ihren Eltern zurüdzufchiden ') (5. April) und 
Zudwig XV. mit Maria Lescinska“), der Tochter dei 
ehemaligen Königs von Polen, zu verbeirathen (16. Au: 
guſt/ 5. Sept.). Der franzöfiihe Gefandte in Madrid, 
Abbe de Liori ’), erhielt Auftrag, dem Könige von Spa⸗ 
nien einen diefen Entſchluß verkündenden Brief zu über 
reihen, den dad im voraus unterrichtete Königspaar 

zu leſen verweigerte. Der fpanifche Hof war in außer 
fter Entrüfltung. Der Gefandte erhielt Befehl, binnen 

24 Stunden Madrid zu verlaffen. Die franzöftichen 
Confuln mußten das fpanifche Gebiet räumen. Die 
Tochter des verftorbenen Herzogs von Orleans, Made 
moifelle de Beaujolais *), welche den Infanten Don 
Carlos heirathen follte und deshalb in Spanien erz0 
gen ward, ward nach Frankreich zurüdigeführt, während 
die Herzogin von Tallard die Infantin an die ſpaniſche 


1) Sie heirathete fpäter (31. März 1732) den König Zeofepd 1. 
von portugal und ftarb am 7. Ian. 1780 

2) Geb. 23. Juni 1703 + 24. Juni 1768. 

3) Sanguin de Livri, früher Gefandter in Polen, 1724 in 
Liffabon, + zu Paris 1729. 

4) Philippine Elifabeth, geb. 18. Dec. 1714, verlobt 11. Aug. 
1722, 1725 zurüdgefhidt, + 21. Mai 1734. 


Die Cellamareberſchwoͤrung; Alberoni und Sipperbe. 171 


Grenze geleitete. Der Congreß ward aufgelöft (Suni). 
Nipperba erhielt Befehl, um jeden Preis abzufchließen. 

Die Kalferin und die nun erft von der Sache un- 
terrichteten DMinifter machten viele Einwände; aber der 
Kaiſer flimmte fie um. Ripperda ließ es auch nicht an 
Geld fehlen und wendete 400,000 Gulden für Gefchente 
auf. Am 30. April 1725 ward ein Vertrag unterzeich- 
net, worin die Beflimmungen der Duadrupelallianz in 
Beug auf Anerkennung und Verzichtleiftung wiederholt 
wurden. Die Titel follten beiderfeitd beibehalten, die 
während des Krieges verliehenen Würden beftätigt 
werden. Spanien erkannte die pragmatifhe Sanc⸗ 
tion an. In einem zweiten Vertrage, vom 2. Mai, 
wurden ben Unterfhanen des Kaiſers die Ipanifchen Häfen 
geöffnet, die Handelscompagnie von Dftende beftätigt 
und den Hanfeftädten gleiche Rechte mit England und 
Holland in Spanien gewährt. Ein dritter Vertrag vom 
gleichen Datum beftimmte eine Defenftvallianz, und Daß 
namentlich Defterreich fich bemühen werde, Spanien Gi⸗ 
braltar zurüdzuverfchaffen. Ein vierter vom 7. Juni 
erneuerte befonders die wegen der italifhen Staaten 
getroffenen Stipulationen. Mündlich verabredete man 
die Wermählung beider Erzberzoginnen an zwei Infan- 
ten und die Eroberung Gibraltar, ja Die ewentuelle 
Reſtauration der Stuarte. 

Wie diefe Dinge allmälig befannt wurden, entſtand 
in ganz Europa die größte Aufregung und bie Diplo: 
maten mühten fi) in Bündniffen und Gegenbündnifien 
ab, welche nach Langen Weiterungen endlich in dem 
wiener Vergleich vom 16. März 1731 ihre friedliche 
fung fanden. 

Ripperda war es nicht befchieden, dieſe als Mini: 
fer zu fehen. Er reifte am 29. Nov. 1725 von Wien 


8 * 


172 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni unb Ripperba. 


ab, ſchiffte fi in Genua nad) Barcelona ein, brachte 
dem König die Nachricht von den Verträgen felbft und 
in Reifefleidern und ward zum Minifter des Kriegs, 
der Marine und der Finanzen, zum Herzog und Gran- 


den dritter Claffe ernannt. Sein Sohn ward Gefand- 


ter in Wien. Aber feine Verfprechungen gingen nicht 
in Erfüllung; er felbft konnte fein Glück nicht erfragen 
und beleidigte fowol die fpanifchen Großen, als den 
öfterreihifchen Gefandten, Grafen Königsegg ), von 
welchem die Königin aud für ihre Zwecke immerhin 
mehr erwartete, ald von dem ald Prahler und Charla⸗ 
tan erfannten Ripperda, hatte durch eine verfehlte Geld: 
operation dad Murten des Volks, durch Reductionen 
den Haß der Höflinge und Beamten erregt, und fo 
ward er ſchon im Mai 1726 entlaflen, wobei man ihm 
jedoch eine Penfion von 3000 Piſtolen ausſetzte. 
Diefer Glückswechſel fcheint ihm ganz die Flare Be 
finnung geraubt zu haben. Ohne daB etwas vorläge, 
woraus fih ein Grund zu ernfleren Beforgniffen für 
ihn ableiten ließe, beichloß er, fi) unter den Schutz 
eined fremden Gefandten zu flellen, und wählte dazu 


gerade die Mächte, denen er am Empfindlichften entge 


gengewirkt hatte’). Möglich, daß fein Benehmen durch 


feine große Erbitterung gegen den fpanifchen Hof zu 


erklären ift, und daß er den Schuß der Seemächte burd 
Enthüllung der gegen dieſelben gefponnenen Pläne zu 
erfaufen dachte. Er wendete fich zuerft an den bolan- 


1) Lothar Zofeph Georg, geb. zu Wien 1673, Militair, 1714 
Gouverneur der Niederlande, feit 1717 Gefandter in London, Paris, 
Warfhau und Madrid, 1734 Befehlöhaber in Italien, 1736 Prö 
fident des Hoffriegsratbs, 1745 Gonferenzminifter, + 1751. 

2) Seine Gegner fagten freilich, er babe nah feiner Rüuͤckkehr 
von Wien feine Politif geändert und fi den Seemächten in anti 
öfterreihifhem Sinne genähert. Thatſachen aber liegen nicht vor. 


a ii I * A Es = en ee A 2. 


Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperba. 173 


difhen Gefandten Wan der Meer und bat diefen um 
ein Afyl’). Diefer lehnte ed ab, rieth ihm aber, ſich 
zu dem englifchen Gefandten Stanhope (Ipäter Lord 
Harrington) zu flüchten und fuhr ihn felbft in feiner 
Garrofle dahin, lieh ihm auch feine Maulthiere, um 
feine Foftbarften Effecten dahin zu ſchaffen. Stanhope 
war in Aranjuez und war fehr erflaunt, als er, bei 
feiner Rückkehr am Abend des 15., das Vorgegangene 
erfuhr. Doch ed wird fih nicht ermitteln laflen, wie 
weit die in dem amtlichen Schriftenwechlel, der fid) 
über diefe Angelegenheit entfpann, enthaltene Darftel- 
lung der Sache: daß der Gefandte ihn nur aufgenom- 
men, nachdem Ripperda verfichert, er fei nicht mehr in 
fpanifchen Dienften, werde aber auch nicht wegen eines 
Verbrechens oder fonft von der Regierung verfolgt und 
fürchte nur den madrider Pöbel, die ganze Wahrheit 
enthalt, oder ob fie eben nur die officiele Darftellung 
iſt ). Stanhope erwirkte fi) eine Audienz beim Kü- 
nige und zeigte felbft an, was gefchehen fei und was 
er gethan babe. Sein Verfahren ſchien Billigung zu 
finden. Bald aber fam man bei Hofe doch auf den 
Gedanken, daB das Zufammenfein des erbitterten Rip: 
yerda mit dem englifchen Gefandten fein fehr Bedenk⸗ 
liches babe, ließ die Zugänge zum Hotel des Gefandten 
mit Wachen bejegen, ließ ſich, als gütliche Wege nicht 
zum Ziele führten, durch den Rath von Caſtilien ein 
Decret geben, wonach es für mit dem Völkerrecht ver- 
einbar erflärt wurde, den Herzog von Ripperda, „den 
Ge. Majeſtät aus ihrem Dienfte entlafien und der ſich 


— — — rn — —— 


1) Rah Andern erſuchte er ihn bios, ihn zum engliſchen Ge⸗ 
ſendtenn zu fahren. 

2) Die Actenftüde dieſer une in völferrehtliher Beziehung |. 
bei de Martens a. a. ©. S. 174 fg. 





174 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperda. 


zu dem großbritanifchen Gefandten geflüchtet habe”, aus 
des Letzteren Wohnung wegzuführen, ſchickte einen Al⸗ 
calden und einen Stabsoffizier mit 60 Mann in das 
Hotel des Gefandten und ließ diefem ein Requifitionk 


fchreiben überreichen, worauf Mr. Stanhope, nach eink 


gen Weigerungen, der Gewalt wid. 


Nipperda ward in das Schloß von Segovia ge | 


bracht und Dafelbft in Teidlicher Haft gehalten. Gen 
Sohn ward nad) einiger Zeit auch aus Wien abberufen 
und Fam bei diefer Gelegenheit auch noch um eine vor 
nehme Partie '). Ripperda unterhielt fi mit Rade 
plänen und Liebeshändeln, und eine zärtliche Werbim 
dung, die er mit einer ſchönen Caſtilianerin angefnüpft, 
ward dad Mittel feiner Befreiung, indem ed ihm haupt 
fahlih mit Hilfe feiner Geliebten 1728 gelang, au 
Segovia zu entfliehen und über Portugal nad Holland 
zu gelangen. Hier machte er die Bekanntſchaft eines 
maroffanifchen Großen, Namens Perez, welchen der 


Kaifer von Maroffo vor einiger Zeit nad) dem Haag 


gefendet, und die Unterredungen mit diefem Mann 
fcheinen in Ripperda zuerft den Gedanken erwedt zu 
haben, auf der Nordfüfte Afrifas einen Boden zu fir 
chen, von wo er an Spanien Rache nehmen Fünme. 


Erft wollte er ed jedoch auf einem naheren und fichrere. 


Punkte verfuchen und ging deshalb nach England. & 
wurde bier anfangs vom Publicum fehr freundfich auf 
genommen und erzwang fich durch feine Zudringlichtet 


1) Wir wiſſen nidt, worauf fi die Nachricht gründet, daß Kip 
yerda feine hollaͤndiſche Gemahlin frühzeitig dur den Tod verlens 
und ſich mit einer vornehmen Gaftilianerin vermählt habe. Ras 
. unfern Quellen überlebte die Holänverin feinen Sturz und bid 
fortwährend ihrer Religion getreu, folgte aber ihrem Manne @ 
fo weniger ind Eril, als fie mußte, daß feine Geliebte ihn beglelt 





- AM Man 


— nandı._ nn me. 


Die Gelamareverihwörung; Alberoni und Ripperda. 175 


eine Audienz bei Georg J., der jedoch jo wenig Zutrauen 
m dem Manne und feinen Entwürfen bezeigte, daß die 
Erbitterung Ripperda’d gegen England kaum geringer 
ward, ald die gegen Spanien. Auch vericherzte er durch 
weideutige Lebensweiſe und chlechte Gefellfchaft feinen 
Credit und ſah endlich ein, daß ihm in Europa Fein 
derartiger Wirkungsfreis mehr blieb, wie er ihn immer 
noch ſuchte. So ging er nach Holland zurüd, ließ fich 
von Perez Empfehlungsichreiben mitgeben und fchiffte 
fh, mit feiner caftiliichen Geliebten, die ihm fpäter 
mehrere Kinder gebar und bis zum ode treu blieb, und 
feinem treuen Kammerdiener St. Martin, nad) Zanger 
An, von wo er nad Mequinez ging und von dem 
Keller ſehr gnädig empfangen ward. Er gewann bald 
welen Einfluß, Eonnte aber erft Dann eine wirkliche An- 
Melung erlangen, als er fich zum fürmlichen Webertritte 
sam Islam, wovon ihn weniger religiöfe Scrupel, als 
Die Furcht vor der Befchneidung längere Zeit abgehal- 
ten zu haben fcheint '), entichloflen haftee Der nun: 
wehrige Osman Paſcha ward durch ein fpanifches De: 
ae (1732) feiner Würden ald Herzog und Grand ent: 
hoben, machte aber große Rüftungen gegen die fpani: 
Men Befigungen in Afrika. Indeß bald erfchien ein 
Manifches Heer, was, unter den Befehlen des Grafen 
on Montemar und fpäter des Marquis de Villada- 
6, die undisciplinirten maroffanifchen Truppen wie: 
berhoit aufs Haupt ſchlug. „Hierauf verfuchte er, Ceuta 
ech Gewalt oder Kift in die Hände der Maroffaner 
M bringen, und brachte auch der Befakung bei einem 
Nusfall eine Niederlage bei. Allein dem kurzen Glüde 
Olgten neue Unfälle; auch fein St. Martin, den er zu 





1) Er ließ deshalb feinen St. Martin erft die Probe madıen. 


176 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Hipperbe. 


einem Beftechungsverfuche nad) Ceuta gefendet, ward 
entdedt und nad) Spanien abgeführt, und nach einem 
glüdlichen Meberfall von Seiten der Spanier mußte er 
die Belagerung aufheben. Er ward in Mequinez nım 
ſehr kalt empfangen und bald nach feiner Rückkehr in 


Haft gebraht. Doch gelang ed ihm, durch gewandte 


Vertheidigung und Einflüffe im Serail, fih auch aus 
dieſer Gefahr zu retten, worauf er fich mit dem Plane 
einer Verfchmelzung der jüdifchen und mahomedaniſchen 
Religion befchäftigt haben fol. Indeß innere Unruhen, 
bei denen ihn Die Unzufriedenen wol mehr zum Vor: 
wand nahmen, während fie eigentlich gegen den Kaiſer 
ſelbſt gerichtet waren und Die auch zuleßt einen Thronwech⸗ 


fel herbeiführten, veranlaßten ihn (1734), fi unter den 


Schuß des ihm befreundeten Paſcha von Tetuan zu 
rüdzuziehen, mit dem er nun ein ruhiges, epifuräifches, 
nur durch immer häufigere Gichtanfälle, an denen er 
Ihon in Spanien gelitten hatte, geſtörtes Leben führte 
und ganz zuleßt, auf Antrieb der Caſtilianerin und 
dur) Vermittelung eined Pater Zacharias, der in Me 
quinez in einem von Frankreich unterhaltenen Zrinita- 
rierflofter Tebte, feinen Frieden mit der Kirche gemacht 
haben fol. In den Teßten Iahren foll er noch den be 
fannten König von Corfifa, Theodor von Neuboff'), 
den er wahrfcheinfich ſchon in Spanien gekannt hat, 
mit einigem Gelde zu feiner Unternehmung unterflügt 
haben. Er ftarb am 17. October 1737 und warb in 
mahomedaniſcher Weiſe beerdigt. 








1) Den wir uns zu künftiger Beſprechung vorbehalten. 


V. Die geheime Diplomatie Ludwig's XV. 
und der Ritter d’Eon. 


Ludwig XV, von Frankreich hatte ein geheimes diplo⸗ 
matiſches Cabinet errichtet, deffen Operationen dem Mi- 
nifter der auswärtigen Angelegenheiten nicht blos unbe- 
kannt waren, fondern felbft zuweilen den Plänen defiel- 
ben entgegenwirkten. &o lange der Gardinal Fleury ') 
lebte, dem der König mit vollem Vertrauen die Leitung 
der Geſchäfte überließ, beſtand dieſe Einrichtung nicht. 
Aber von dem Jahre 1743 an begann der Prinz von 
Sonti ?’), ein geiftuoller Mann, ohne Vorwiſſen der an» 
dern Minifter mit dem König zu arbeiten. Zu Anfange 
des Jahres 1745 kamen polnifche Herren nah Paris, 
die von einer Anzahl ihrer Landsleute beauftragt waren, 
dem Prinzen von Conti ihre Stimme zu feiner dereinfti- 


1) Andreas Hercules de Fleury, geb. zu Lodeve in Languedec 
1653, im SIefuitencollegium gebildet, Almoſenier crft der Königin, 
dann des Königs (Ludwig's XIV.), 1698 Bifhof von Frejus und 
Erzieher Ludwig's XV., 1726 Gardinal und Premicrminifter, fried⸗ 
lebend, mild, aber Flug und, mo er fihern Erfolg zu fehen glaubte, 
entſchloſſen, + 20. San. 1743. 

2) Ludwig Zranz, geb. 13. Aug. 1717, + 2. Aug. 1776. Sein 
Großvater, Zranz Ludwig, follte König von Polen werden, unter: 
lag aber dem Friedrich Auguft von Sachſen. Unſer Gonti flel fpäter 
ia Ungnade bei Ludwig XV., oder brad vielmehr, aus im Texte 
anzuführenden Gründen, felbft mit dem Hefe. 

8* * 


178 Die geheime Diplomatie Ludwigs XV. 


gen Wahl auf den polnifchen Thron anzubieten, und 
der König ermächtigte ihn, Die entfprechenden Diöpo- 
fitionen zu treffen, was denn zu einem befondern poli- 
tifchen Syſtem des Cabinets und zu einer ‚geheimen 
Diplomatie Anlaß gab, deren Leitung der Prinz von 
Conti hatte, und die ſich befonderd in den nordifchen 
Ländern bethätigt zu haben fcheint. Der Zweck dieſes 
Syſtems beftand in folgenden Punkten. Man wollte 
das durch den weftfälifchen Zrieden begründete Syſtem, 
mit den daraus für die Franzofen hervorgehenden Ein 
miſchungsvorwänden, aufrecht halten und die von Frank 
reich garantirten fogenannten deutſchen Freiheiten be 
fhüten. Man wollte ferner die Pforte, Polen, Schwe 
den und Preußen, unter WVermittelung und Beitritt 
Frankreichs, zu einem ewigen Bündniß vereinigen, und 
durch diefe Mächte Dad Aneinanderfchliegen Defterreihe 
und Rußlands verhindern. Zum Zwede diefed Planes 
flug der Prinz von Conti dem Könige eine geheime 
Correfpondenz für die auswärtigen Angelegenheiten vor, 
‚und bewirkte Veränderungen bei den verjchiedenen Ge 
fandtichaften, indem er die Sendung ded Grafen Des⸗ 
alleurd nah Konftantinopel, des Marquis d'Havrin⸗ 
court nach Stodholm, des Chevalierd de la Touche nad 
Berlin und des Heren des Iſſarts an den polniſch⸗ 
fächfifchen Hof vermittelte Ald der Graf von Bra 
glie‘) im Mai 1752 zum Botfchafter in Warſchau er 
nannt wurde, erhielt er durd den Prinzen von Conti 


1) Sharlcd Francois Sraf von Broglic, geb. 20. Aug. 1719, 
+ 1781, Sohn ded Marfhald Herzog Franz Marie von Broglie, 
Bruder des Marfhalls und nachherigen Kriegsminiſters Herzog 
Bictor Franz von Broglie und des Grafen Glaude Bictor vor 
Broglie, der ſich der Revolution anſchloß und unter der Guillotine 
ftarb, deffen Sohn aber der neuere Staatsmann, Herzog Bictor von 
Broglie, der Schwiegerfohn der Stack ift. 


and der Bitter b’Eon. 1798 


einen eigenhändigen Befehl Ludwig's XV., wonach er 
eine geheime Gorrefpondenz mit dem Könige führen und 
dad, was der König ihm durch den Prinzen zukommen 
lafien werde, dem vorziehen follte, was ihm unmittelbar 
son den Miniflern zugehen würde. Zwölf Jahre lang 
leitete der Prinz von Conti in diefer verdedten Weile 
bie Unterhbandlungen an den Höfen von Konftantinopel, 
Barfhau, Stodholm und Berlin, und es war in der 
hat gelungen, durch diefelben den ruffiihen Einfluß 
In Polen wefentlich zu ſchwächen und eine Gonfüdere- 
tion zu Gunften der Königswahl des Prinzen von Conti 
anzubahnen, ald das Ehoifeufiche Bündniß Frankreichs 
mit Defterreich den ganzen Plan ded Prinzen von Conti 
vereitelte und in der Coalition gegen Preußen zugleich 
eine Annäherung an Rußland anbahnte.e Zwar wirkte 
der König durch feine geheime Diplomatie auch ferner 
auf eine Mäßigung jened Syſtems; aber eine entichie- 
dene Stellung gegen Rußland war nicht mehr möglich. 
Der Prinz von Eonti verlangte nun, um fich über Diele 
Vereitelung feiner Strebungen zu tröften, einen Ober: 
befeht in Deutichland; aber er gehörte nicht zu den 
Sünftlingen der Frau von Pompadour und fo ward 
fein Geſuch abgefchlagen. Im Unmuth darüber entfagte 
ee den Geſchäften gänzlich und übergab, dem Willen 
des Königs gemäß, alle Papiere und Chiffren feiner 
Sorrefpondenz dem Herrn Zercier'), erftem Commis 
im auswärtigen Amte. 


2) Iohann Peter Zercier, geb. zu Paris 7. Det. 1704, Sohn 
eines Schweizerd aus dem Gauton Zreiburg, heirathete eine Enkelin 
Des angefehenen Advokaten Baize, dur den er dem Marquis von Monti 
empfohlen ward. Diefer nahm ihn 1728 als Geſandtſchaftsſecretair 
wit nad Warſchau, wo er ſich fchr bei der Wicdereinfegung bed 
Königs Stanislaus betheiligte. Gr verbarg ihn mehrere Tage auf. 
feinem Zimmer, begleitete ibn auf der Flucht nah Danzig, warb 


180 Die geheime Diplomatie Ludwig's XV. 


Gegen Ende deſſelben Jahres 1756 kam der Graf 
von Broglie aus Polen nach Frankreich zurüd und ihm 
übertrug nun der König die Leitung der geheimen Di- 
plomatie. Der Poftintendant d'Ogny ftellte Ludwig XV. 
die Briefe der in die geheime Correfpondenz aufgenom- 
menen diplomatifchen Agenten zu, und der König fchidte 
diefe Briefe an den Grafen von Broglie, oder an Herrn 
Tercier, durch deren Hände er auch das nöthige Geld 
für die geheime Correfpondenz an feine Agenten gelan- 
gen ließ. Die Dedhiffrirung dieſer Depefchen beforgte 
der Secretair ded Grafen Broglie, Duboid Martin, ihre 
Beantwortung der Graf von Broglie ſelbſt, oder — 
und zwar am öfterfien — Herr Tercier. Der König 
ließ fich die Antworten vorlegen, beflimmte die vorzu- 
nehmenden Aenderungen und feßte dann fein „Geneh— 
migt” darunter. As Herr Tercier flarb (1767) und 
nun dem Grafen Broglie die geheime Correfpondenz 
allein oblag, fchlug diefer Ludwig XV. vor, dem Her 
zog von Choifeul die Theilnahme an derfelben zu eröff- 
nen, worin aber allerdings eine gänzliche Verkennung 
des Zwedes Diejer geheimen Correfpondenz lag, und 
was der König auch entichieden abfchlug. Ob der Vor⸗ 
gang mit dem Grafen St. Germain (f. d. Auff.) mit 
diefer geheimen Diplomatie zufammenhing, laſſen wir 
dahingeftellt fein. Gewiß aber ift ed, daß die Thäaͤtig⸗ 


von Münnid verhaftet und faß, mit Monti, 18 Monate lang in 
einem feuchten Kerfer in Thorn, woran Monti 2 Jahre fpäter ftarb. 
1736 kam er nad Frankreich zurüd, wo er durch Geld und Ghren 
entfädigt wurde. Später war er mit beim Gongreß zu Aachen 
und erhielt dann die Stelle ald erftier Gommis beim auswärtigen 
Amte, fowie die als Fönigliher Genfor. In letterer Eigenſchaft 
ließ er die Schrift des Helvetius De l’esprit paffiren, was ibn beide 
Stellen Foftete. Doc fepte der König anfehnlihe Penfionen für ihn 
und feine Hinterlaffenen um fo mehr aus, ald er auch ferner bei der 
geheimen Gorrefpondenz befhäftigt blieb. 


and der Bitter bEon. 181 


fit der geheimen Agenten den Sefandten im Auslande, 
foweit Diefe nicht felbft Die Theilnehmer diefer geheimen 
Gorrefpondenz mit dem Könige, hinter dem Rüden des 
Ninifteriums, waren, oft Verlegenheiten bereitete und 
daß die Abfichten des Königs zuweilen die feines Mi- 
nifteriums Durchfreusten. Doc war dies nicht immer 
an Widerſpruch und ein Uebel. Wenn 3. B. der Ge- 
findte in St. Peteröburg, Baron Breteuil, unter dem 
27. Sept. 1760 an den König u. U. fchrieb: er fände 
in feinen geheimen Inftructionen, Se. Majeftät habe es 
vicht gemisbilligt, daß deflen Botfchafter das Syſtem 
des Minifteriums nicht befolgt habe, jo wird das Doch 
im weiteren Verlaufe dahin erläutert, daß eine unbe: 
dingte Befolgung des minifteriellen Syſtems Rußland 
an zu großes Uebergewicht verfchafft haben würde und 
daß der Geſandte, im Auftrag des Königs, befliffen 
war, den ruffifchen Webermuth einigermaßen herabzu: 
fimmen. Baron Breteuil fchickte übrigens dem Könige 
Me Schreiben, die er von dem Herzog von Choifeul 
erhielt, und fuchte auch, im Auftrag ded Königs, in 
feinen Berichten an den Minifter diefen im Sinne des 
Königs zu leiten, 3. B. ihn günfligere Gefinnungen in 
Bezug auf Polen einzuflößen. 

Doch gelang ed nicht, Den gebietenden Einfluß Ruß⸗ 
lands in Polen zu brechen, und dies hatte 1764, wie 
die Königswahl Poniatowski's, fo die Abreife erft des 
franzöſiſchen Gefandten, Marquis de Paulmy, dann dee 
Refidenten Hennin zur nächften Folge. Won da an bie 
1787 correfpondirte ein dem franzöfifchen Intereſſe er- 
gebener Pole, Jackabowski, mit dem franzöfiihen Mini- 
flerium, wozu dann feit 1766 noch ein Herr Gerault 
fam, fpäter auch die Herren Bonneau, General Monnet 
und Aubert, welche alle, ohne anerfannte diplomatiſche 


182 Die geheime Diplomatie Labwig's XV. 


Qualität, mit dem Minifler der auswärtigen Angele 
genheiten, oder den franzöfiichen Gefandten an den 
nordifhen Höfen über die polnifchen Angelegenheiten 
correfpondirten. Erſt 1787 erhielt Frankreich wieder 
einen Refidenten in Warſchau, den Herrn Vincent. 
Choiſeul hatte die geheime Diplomatie gewiß ge 
Fannt, mag fie aber, als in den meiften Fällen unfchäb- 
lich, in einzelnen nüglich und im Kalle der Noth durch 
feine überlegene Kraft zu neutralifiren, ignorirt haben. 
Sein Nachfolger im Amte, aber nicht im ſtaatsmänni⸗ 
fchen Berufe, der Herzog von Aiguillon '), erftaunte fehr, 
als er zuerft von dem Baron de Bon, dem Gefandten in 
Brüffel, und dann durch die Beichlagnahme der Papiere Du 
mouriez’ in Hamburg auf die Spur eines folchen Verkeh⸗ 
red fam. Er ließ Dumouriez ?), ſowie Bavier ’), Segur und 
Drouet, einen ehemaligen Secretair des Grafen Broglie, 
verhaften, abnte aber noch nicht, daß der König felbft 
der Veranftalter dDiefes geheimen Verkehrs ſei. Der Kb« 
nig ließ alles zu, damit fein Geheimniß verhüllt 
bleibe, beruhigte jene Männer aber über die Zufunft und 
entichädigte fie durch Geſchenke. Der Minifter erfuhr 
den ganzen Zufammenhang der Sache erft durch die 
Dubarri, die ihm einen darauf bezüglichen Brief, Den 
fie im Cabinete des Königs gefunden, mittheilte. In⸗ 
deß ward Graf Broglie nicht deswegen erllirt, ſondern 


1) Armand Bignerot Zupleſſis Richelien, Herzog von Kiguilen, 
geb. 1720 + 1783 im Gil. 

2) Der befannte Feldherr der Revolutionszeit. Gr war damals 
zu geheimen Unterhandlungen in Betreff Schwedens gebraudt worden. 

3) An Toulouſe geboren, Secretair der Stände von Languebor, 
wegen zügellofen Lebens entlaffen, im auswärtigen Amte angeftellt 
und auf Miffionen befpäftigt, eine Beit lang aud Agent des Gras 
a a on, dann beim geheimen Sabinet gebraußt. Wegner 

oiſenl's 


und ber Ritter b’Eon, 183 


weil er im Sept. 1773 an d'Aiguillon, ber ihm eine 
Miſſion nah Turin verweigert, einen beleidigenden 
Brief gefchrieben hatte, den der Letztere im Minifter- 
rathe vorlas und die Beiflimmung feiner Collegen für 
die Nothwendigkeit einer Genugthuung erhielt. Der 
Graf von Broglie warb nach Ruffec verwiefen, blieb 
aber auch) da an der Spitze der geheimen Gorrefpon- 
denz, Die jedoch nicht lange mehr dauerte, da Lud⸗ 
wig XV. am 10. Mai 1774 ftarb. 

Ueber das innere Getriebe diefed Verkehrs geben 
ober u. U. folgende Fönigliche Schreiben guten Auf: 
ſchluß. Der Baron von Breteuil ') vertaufchte 1760 
den Sefandtichaftspoften zu Köln mit dem ungleich 
wichtigeren zu St. Peteröburg. Unter dem 26. Febr. 
1760 fchrieb ihm nun der König: 

„Here Baron von Breteuil, auf die vortheilhaften 
Berichte bin, die mir über Sie erftattet worden find, 
babe ich mich entfchloffen, Sie zu meinem bevollmäd)- 
figten Minifter in Rußland zu ernennen und Sie zu 
einer geheimen Correfpondenz mit mir zuzulaflen, Die 
ich niemals babe durch meine Miniſter der auswärti« 
gen Angelegenheiten geben laſſen wollen. Der Graf 
von Broglie, der Ihnen dieſes Schreiben überreichen 
wird, und der Herr Tercier haben die alleinige Leitung 
derfelben, und Sie werden dem, was fie Ihnen von 
meinetwegen fagen werden, Glauben beimefien. Sie 
werben denfelben die Inftructionen überfchidlen, die Sie 
vom Herzog von Choifeul bereitd erhalten haben, oder 


1) Ludwig Auguft le Zonnelier, Baron von Breteuil, geb. zu 
Preully 1733, Dffizier, feit 1758 m Köln, dann Gefandter 
im St. Petersburg, Stockholm, dem Haag, Neapel, Wien, 1783 
Minifter des Töniglichen Haufes bis 1787, 1789 cmigrirt, 1902 
zurüdgefehrt, + 1807. 


184 Die geheime Diplomatie Ludwig’d XV. 


vor Ihrer Abreife noch erhalten werden, und Ste wer 
den denfelben alles mittheilen, was Sie von ihm muͤnd⸗ 
lich über die Ihnen obliegenden Aufträge erfahren wer 
den, damit fie, nach Vorwiſſen Diefer Umftände, bie be 
fonderen und geheimen Inftructionen über das entwer: 
fen, was fie von meinem Willen in Betreff der Ange 
legenheiten Rußlands und Polens wiſſen. Sobald id 
diefe Inftructionen geprüft babe, werden fie Ihnen die 
felben fo fchnell ald möglich zukommen laſſen. Bis da 
bin befehle ich Ihnen, Ihre Abreife unter leicht zu fin- 
denden Vorwänden fo lange zu verfchieben, bis Sie 
diefelben erhalten haben, und empfehle Ihnen, bei ſchwer⸗ 
fter Strafe, Geheimniß gegen Jedermann, außer dem 
Grafen von Broglie und dem Herrn Xercier, und 
rechne auf Ihre Treue und Folgſamkeit. 


Ludwig.” 


Am 10. März 1760 fchrieb der König an den 
Herrn D’Eon, Gelandtichaftsfecretair in Rußland: 

„Herr d’Eon, befondere Gründe, im Verein mit dem 
Zufrauen, was ich in den Dienfteifer und die Gaben 
des Barond von Breteuil, meined bevollmächtigten Mi- 
nifterd bei der Kaiferin von Rußland ſetze, haben mi 
veranlaßt, ihn von den unmittelbaren Correfpondenzen 
willen zu laflen, Die ich zeither in Rußland gehabt habe, 
ohne daß fie meinem Minifter der auswärtigen Angee 
genheiten und meinem Botfchafter befannt geweſen wä—⸗ 
ren. Er iſt auch davon in Kenntniß gefeßt worden, daß 
"Sie, theild um mir die Correfpondenz zu erleichtern, 
theild um mir auf geradem Wege die befonderen Ange: 
ben zufommen zu laflen, von denen Sie meinen, daß 
fie mir vorzulegen feien, in dieſes Geheimniß eingeweiht 
find. 


und der Ritter d’Eon. 185 


„Ihre bei Erfüllung diefer Pflicht, ſoviel Ihre Stel: 
lung und die Entfernung der Drte zuließ, bewielene 
Pünktlichkeit bürgt mir dafür, daß Sie mir während 
des Aufenthalts des Barons von Breteuil an dem Hofe 
von Peteröburg neue Beweife Ihres Eifers geben wer: 
den. Ich babe ihn willen laſſen, es fei meine Abficht, 
daß Sie, in der Eigenfchaft eined Secretairs, bei ihm 
bleiben, um unter feinen Befehlen lediglich an .dieler 
geheimen Correipondenz zu arbeiten. Sie haben vom 
Ninifterium der auswärtigen Angelegenheiten 3000 
Riored Beſoldung; ich werde Ihnen jährlih, von die 
fen Sahre an, 200 Ducaten zufommen laſſen, die ih 
zu Ihrer ordentlichen Befoldung zulege, um Ihnen zu 
beweilen, daß ich mit den Dienften, die Sie mir gelei- 
fit Haben und auf deren Fortſetzung ich rechne, zufrie- 
den bin. 

„Ste werden dem Baron von Breteuil, mit möglich: 
ſter Genauigkeit und unter Vermeidung der Parteilich- 
fit ebenfo wie der Befangenheit, alle Notizen mitthei- 
in, die Sie über den Charakter der Kaiferin von Ruß⸗ 
land, ihrer Miniſter und der bei den Staatögefchäften 
Berwendeten erlangt haben. Sie werden Ihre Bemer- 
tungen über das feit Beginn des Krieges bis hierher 
äingefchlagene Verfahren, über das, was Sie glauben, 
daB es für den Erfolg der Abfichten der gemeinfamen 
Sache zu thun gewefen wäre, und über Die möglichen 
Urfachen feiner Verzögerung beifügen. Sie werden das 
Banze in ein Memoire zufammenfaflen, was Sie ihm 
übergeben und wovon Sie mir durch Die erfte fichere 
Gelegenheit eine chiffrirte Abfchrift einfchicken werden. 
Sie werden ihm endlich) alles zufommen laflen, wodon 
Sie glauben, daß es, fei ed in Betreff der Vergangen- 
beit, fei es in Betreff der Zukunft, zum Beſten meines 


186 Die geheime Diplomatie Ludwig d XV. 


Dienftes nüglich if. Sie werden indeß warten, bis 
er Ihnen feine geheimen Inftructionen mittbeilt, um 
davon Abfchrift zu nehmen und ihm in Folge davon 
zu fagen, wad Sie über die geeignetften Mittel, ihnen 
mit Erfolg nachzugehen, denken. Sie müllen Ihre 
Richtſchnur für Alles bilden, was Sie ſowohl über 
das zeither Gethane, ald über das Vorzunehmende jagen - 
werden. 

„Diefed Zeichen des Zutrauend, dad ich dent Baron 
von Breteuil gebe, iſt ein. Beweis meiner Ueberzeugung, 
daß er meine Befehle mit ebenfo viel Eifer, ald Befa 
bigung ausführen wird. Trotz der Redlichkeit feiner 
Abfichten, woran ich keinesweges zweifle, Tann ed je 
doch vorfommen, dag er fich über die Wahl der Mitte, 
das Ziel meiner geheimen SInflructionen zu- erreichen, 
täufcht; wenn Sie es für dienlich erachten, werden Sie 
ihm mit Befcheidenheit Ihre Anfiht auseinander: 
feßen ꝛc. — Senehmigt den 7. Marz 1760.” 

Man fieht, wie großes Vertrauen der König und 
feine geheimen Rathgeber d'Eon fchenften; D’Eon, einem 
durch fein ganzes Leben, Weſen und Schiefal fo räth- 
felhaften Menfchen, daB man erft 1810 mit Beſtimmt⸗ 
heit erfuhr, ob er Mann oder Weib gewefen. -Er war 
am 9. Detober 1728 zu Zonnerre in Burgund geboren 
worden und hatte die Namen Charlotte ') Genoveve 
Zouife Augufte Andreas Zimotheus d'Eon de Beau 
mont erhalten. Sein Vater war ein Gerichtörath 
und erzog das in SKnabentracht aufwachfende Kind für 
das Studium der Rechte Er machte feine Studien 


4 Es ift gewiß, daß in dem Kirchenbuche, was allerdings fehr 
incorrect gewefen fein fol, Charlotte und nicht Charles geftanden 
bat. Ob auch Louiſe und nit Louis, ift mir nit gewiß, unt 
Augufte ift im Sranzöflihen doppeldeutig. 


mbd ber Blitter d'Eon. 187 


m Collegium Mazarin zu Paris, ward nach und nad) 
doctor beider Rechte und Parlamentsadvocat und machte 
ih Durch einige politifche Schriften dem Prinzen von 
Sonti befannt, der ihn dem Könige zu dem Zwecke em- 
fahl, den Bitter Douglas ald Secretair zu begleiten, 
inen ſchottiſchen Flüchtling, den man 1757 zur Ver 
nittelung einer Annäherung an Rußland nah St. Pe 
ersburg ſchickte. Es gelang, fich zunachft mit dem 
Bieefanzler Grafen Woronzow zu verftändigen, worauf 
ine vertrauliche Correfpondenz zwifchen dem König Lud⸗ 
Big XV. und der Kaiferin Elifabeth angelnüpft wurde, 
ren Wermiftler der Graf Woronzow und D’Eon war 
m. Als die Kaiferin am 5. November 1757 der öfter 
eichiſch⸗ franzöſiſch⸗ſchwediſchen Allianz beigetreten war, 
iberbrachte d'Eon diefe Nachricht nach Verſailles und 
rhielt zum Lohne eine reiche Zabatiere, in welcher eine 
Inweifung auf den Schab lag, und ein Brevet ale 
ragonerlieutenant. Er kehrte darauf nach St. Peterd- 
arg zurüd, wo inzwifchen der Marquis d’Hopital, 
haul Galluccio, vorher Gefandter in Neapel, ald fran- 
bfiſcher Botichafter aufgetreten war. Hier arbeiteten 
Beide mit Erfolg an dem Sturze Beſtuchew's, in deſſen 
Japieren man auch ein Memoire feines Secretaird über 
ie Perfonen, deren man fich als verdächtig entledigen 
üfle, gefunden haben fol, worunter auch der Ritter 
Youglad und d'Eon als ſolche bezeichnet worden wä⸗ 
m. 1758 kehrte er nach Frankreich zurüd und machte 
en Feldzug von 1761 ald Dragonercapitain und Ad» 
atant des Marfchalls Broglie mit. Im Gefechte von 
Utrop wurde er im Kopf und Schenkel verwundet. Bei 
Merwid griff er ein preußifches Bataillon fo kräftig 
n, daß es die Waffen ftredkte. 

Nach dem Frieden begleitete er den Herzog von Ni: 


188 Die geheime Diplomatie Lubdwig's XV. 


vernais ') ald Gefandtfchaftsfecretair nach London, ſetzte 
auch von hier feine geheime Correfpondenz mit dem Bi: 
niglihen Privatconfeil fort und war die Seele der Ge 
fandtfchaft, deren nominelles Haupt ihn mit einer, nad 
Walpole's Urtheil, übertriebenen, and Xächerliche fire: 
fenden Freundlichkeit und Vertraulichkeit behandelte, ihm 
auch, bei der baldigen MWiederabreife ded Gefandten, 
auswirkte, dag er einftweilen als Reſident die Gchchäfte 
fortführte, ja da fich die Ankunft des neuen Gefandten 
verzögerte, zum bevollmächtigten Minifter ernannt wurde. 
Vorher noch überbrachte er den Friedensvertrag nad 
Frankreich zur Ratification, bei welcher Gelegenheit er 
das Ludwigskreuz erhielt. Dieſes Glück foll den jungen 
Mann fchwindelnd gemacht haben, fodaß er, deſſen Ta⸗ 
lente, Verdienft und Literarifche Bildung ſelbſt Walpole 
anerkennt, in Sprache und Lebensweiſe die zeither beob: 
achtete Mäßigung und Anfpruchslofigfeit überfchritt. 
Nun traten obendrein Rüdfchläge ein. Der GSefandte, 
Graf von Guerchy), kam endlich an. Walpole bezeich⸗ 
net ihn ald einen liebenswürdigen Soldaten, der gerade 
feine vorragenden Gaben, aber doch ziemliche Weltkennt⸗ 
niß, raftlofen Dienfteifer, viel Befonnenheit, ungezwun⸗ 
gene, anfpruchslofe, gefällige und verträgliche Manieren 
. bejeffen, und zwar unter der Herrfchaft feiner Frau ge 


1) Ludwig Julius Barbon Mancini Mazarini, Herzog von Ri⸗ 
vernais, geb. zu Paris 16. Dec. 1716, Sohn des Philipp Aulins 
Franz Mancini und der Maria Anna Spinola, durch feine erfte 
Gemahlin Schwager des Grafen Maurepas, anfangs Militair, 1148 
GSefandter in Rom, 1756 in Berlin, 1762 in London, Schriftftelle, 
in der Revolution verhaftet, + 25. Zebr. 1798. 

2) Claudius Franz Ludwig Negnier Graf von Guerdy, aus 
einer alten burgundiſchen Zamilie, geb. 1715, unfangs Millteir, 
fämpft ruhmvoll bei Fontenoy und im fiebenjährigen Kriege, 1763 
Suhakter in London, nimmt 1767 feinen Abſchied und + felben 

abre. 


| und der Bitter d’Eon. 189 


fanden, an ihr aber eine, allerdings häßliche und Enide- 
tige, aber im Uebrigen fehr verftändige und treue Gat- 
tin befeflem babe. Er war durchaus nicht geneigt, dem 
d'Eon den Einfluß zu geftatten, welchen diefer auf fei- 
nen Vorgänger geübt, und hatte: gleich bei feiner An⸗ 
tunft Gelegenheit, Ienem feine Abhängigkeit recht em⸗ 
pfindfich fühlen zu laſſen. D’Eon hatte feine Befoldung 
nicht richtig und rechtzeitig erhalten, während für feine 
Vorgeſetzten bereitd Gelder angefommen waren. Er 
batte fich Diefer bedient, um den gefandtichaftlichen Auf- 
wand zu beftreiten, den er für nöthig hielt, und befam 
darüber einen kränkenden Verweis von Herrn de Guerchy. 
Diefer Trittelte dabei felbft um Kleinigkeiten, 3. B. daß 
zuviel auf Zeitungen gewendet worden, welcher Aufwand 
eine Guinee monatlich betrug! Allerdingd aber hatte 
d'Eon von jenen Geldern in 3 Monaten faft 50,000 
Francs verbraudt. Er felbft wähnte aber, feine Stel- 
lung als bevollmächtigter Minifler dauere fort, auch nach⸗ 
dem der Gefandte angefommen, und wollte nicht in die 
Stellung eines bloßen Geſandtſchaftsſecretairs zurückkeh⸗ 
ren. Alle diefe Umftände feheinen den ehrgeisigen Mann 
in eine wahre Geiftesflörung verfeßt zu haben. Es kam 
um dieſe Zeit ein Abenteurer, Namens Treyſſac de Vergy, 
nah London und d’Eon bildete fih ein, derſelbe fei 
bingeichict, ihn zu ermorden. Bei einem Mittagsmahle 
bei Lord Halifar verftand er eine Aeußerung deflelben, 
aus unvolllommener Bekanntichaft mit der engfifchen 
Sprache, falſch, glaubte, Lord SHalifar habe gedroht, 
den Frieden, deflen Weberbringer D’Eon geweien, wieder 
brechen zu wollen, und fuhr darauf jo wüthend auf den 
Sefandten los, daß man einen Friedensrichter holen 
und D’Eon -verhaften laflen mußte, während ihn auch 
Treyſſac de Vergy wegen Friedensbruched anflagte. Der 


190 Die geheime Diplomatie Lubwig's KV. 


franzöfifche Hof rief d'Eon zurüd'); er weigerte fid 
aber, zurücdzufehren, worauf der englifchen Regierung 
erflärt ward, daß er fih nicht mehr in amtlicher Eigen 
[haft in London befinde. Nun ward ihm der Hof ven 
boten. Außer fich gebracht und von Eitelkeit und Rad. 
fucht getrieben, ließ er einen flarfen Quartband unte 
dem Zitel: «Lettres, Memoires et Negotiations par- 
ticulieres du Chevalier d’Eon», die Geſchichte feine 
amtlichen Wirkſamkeit und feiner Streitigkeiten mit dem 
Srafen Guerchy, feine Schreiben an den Minifter de 
auswärtigen Angelegenheiten, Herzog von Prastin’), 
die freundfchaftlichen Briefe des Herzogs von Niver 
nais an ihn felbft, ferner höchft indiscreter Weile bie 
Briefe feines Freundes St. Foix, eined Beamten in de 
Kanzlei des franzöfifchen Miniſteriums der auswärtigen 
Angelegenheiten, Briefe, welche manchen freimütbigen 
Tadel der Vorgeſetzten enthielten ’), endlich Die vertrau⸗ 
ten Briefe zwifchen den Herzögen von Rivernals und 
Praslin druden, worin von D’Eon mit Wohlwollen und 
Lob, von Guerchy mit mitleidiger Geringſchätzung ge 





1) Man fieht aus diefem ganzen Berlauf, daß Herr Kurd vor 
Schlozer irrt, wenn cr (Ghoifeul und feine Zeit, Berlin, 1848) 
S. 123 fagt: „So ſah man lange Zeit auf dem Gefandtfchafte- 
poften zu London neben dem Grafen Guerchy den vielfach bes 
rüdtigten Ritter Zouife von Eon fungiren, melde bier ihre zwelden⸗ 
tige Stellung wie ihr Geflecht mit gleihem Geſchick zu verheimli⸗ 
chen verſtand.“ 

3) Gaͤſar Gabriel Choiſeul, Herzog von Praslin, geb. zu Paris 
15. Augnft 1712, folgt feinem berühmten Better 1758 auf dem Ges 
fandtfchaftspoften zu Wien, wird 1760 Staatsminifter der auswaͤr⸗ 
tigen Angelegenheiten und Graf Choifeul, dann Herzog von Prass 
In, dann Marineminifter, als welder er fi große Bervienfte um 
bie „gr nzenfäe Seemacht erwarb, ging 1770 ab und + 15. Dt. 


3) Es war ein edler Zug von Praölin, daß er dem St. Foü 
nie eine Empfindlichkeit merken ließ, ihn vielmehr beförverte. 


und ber Ritter d’Eon. 191 


fprochen und doch Dabei zugeflanden wurde, daß ber 
„rme“ Guerchy immer noch der gefchictefte Mann fei, 
über den man verfügen Fünne Das Buch machte un: 
geheures Aufſehen und weder die Verfuche, es zu un: 
terbrüden, noch eine Gegenfchrift: «Examen des let- 
tres etc. du Chevalier d’Eon, dans une Lettre à 
M. N.» halfen. Die Gollegen Guerchy's in London 
nahmen fich feiner an und verlangten Genugthuung, 
worauf auch Der Generalfiscal Befehl erhielt, eine Klage 
wegen Libells zu erheben ). In Frankreich dachte man 
deran, ihn von London entführen und in die Baftille 
feßen zu lafien. Aber Ludwig XV. fol ihn fofort felbft 
von Der ihn bedsohenden Gefahr haben benachrichtigen 
und zur Vorſicht auffordern laflen. Als d'Eon nun 
vollends, in feiner Verzweiflung, mit einer Veröffeut- 
lichung feiner ganzen geheimen Correfpondenz mit dem 
König drohte, bewilligte Ludwig XV. ihm eine Penfton 
von 12,000 Livres und in der ganz von der eignen 
Hand des Königs gefchriebenen Urkunde darüber hieß 
es: „Auf Anlaß der Dienfte, welche der Sieur d'Eon 
mir fowol in Rußland als in unferen Armeen geleiftet 
bat, und der andern Aufträge, die ich ihm ertheilt habe, 
wii ich ihm eine jährliche Unterhaftsfumme von 12,000 
Avres zufichern, die ich ihm pünktlich alle 6 Monate, 
in welchem Lande es immer fei (nur nicht in Kriegszei⸗ 
ten bei meinen Feinden), auszahlen laſſen werde, und 
dies, bis ich für gut finden werde, ihm irgend einen 
Poſten zu geben, deflen Einkünfte beträchtlicher wären, 


1) Der Proceß ward am 10. Zuli verhandelt. D’Eon hatte um 
längere Zrift zur Herbeifgaffung von Bengen gebeten. Als ihm 
dies verweigert wurde, verzichtete er auf cine Bertheibigimg und 
ward abweſend verurtbeilt. Es ift aber dem Urtheil Beine Folge 
gegeben worden. 


192 Die geheime Diplomatie Labwig's XV. 


ald jene Unterhaltsfumme. Zu Verſailles, den 1. April 
1766. Ludwig.” 

Zu Anfang der fiebziger Jahre verbreitete fich nad) 
und nad) dad Gerücht, daß d’Eon ein Weib fe. Es 
fand nur fehr allmälig, im Laufe mehrerer Jahre, dann 
aber um fo feiteren Glauben. Unrichtig ift es, daB ein 
Befehl des franzöfiihen Hofes, er ſolle die weibliche 
Kleidung annehmen, dieſes Gerücht begründet hätte; 
vielmehr ift jener Befehl erft durch das fchon beftehende 
Gerücht veranlaßt worden und dad letztere bat Jahre 
lang beftanden, bevor D’Eon Weibertracht anlegte. Mög 
lich daß die Zaufnamen d’Eon’d, möglich DaB ein zu 
fälliges Urtheil über feinen, manche Züge des weibl: 
chen enthaltenden Charakter den erften Anlaß gab, daß 
es ſich erhielt, weil Geſicht, Figur und Lebensweiſe 
nicht zu entichieden widerfprachen, und daß die vielen 
Feinde, Die fih d'Eon gemacht Hatte, daſſelbe unter 
ſtützten. Dunkel bleibt es immer, was den franzöfiichen 
Hof zuerft vermochte, d'Eon die weibliche Tracht zu 
Vorfchrift zu machen, und ebenfo, was d'Eon beftimmte, 
fih dieſer Vorfchrift zu unterwerfen. Kann man auf 
annehmen, daß Ludwig XV. in diefer Moftification das 
befte Mittel erkannt habe, etwanige Indiscrefionen 
d'Eon's zu entkräften, dag d’Eon felbft in feiner weib⸗ 
lichen Rolle einen Schuß gegen manche Zeindfchaft, ei⸗ 
nen Freibrief zu mancher Freiheit fuchte, jo kann man 
doch faum umhin, zu vermuthen, ed müfle noch irgend 
eine ganz fpeciele Urfache beftanden haben, die eb 
nöthig machte, D’Eon dem weiblichen Gefchlechte zuzu- 
theilen und damit irgend einen Verdacht zu verhüten, 
Der nur bei diefer Vorausſetzung nicht aufkommen Eonnte. 
Unbedingten Glauben fand die Sache zwar nicht, aber 
Die Anzahl Derer, welche d'Eon für ein Weib hielten, 


und der Ritter d’Eon. 193 


war Die entfchteden überwiegende und in feinen letzten 
Jahren werden nur fehr Wenige an feiner Weiblichkeit 
gezweifelt haben. In der erften Zeit hatten viele Wet: 
ten über die Streitfrage flaftgefunden, wobei e8 bemer- 
kenswerth ift, daß meiſtens Franzoſen für das weibliche 
Geſchlecht dD’Eon’s, Engländer für Das männliche wette⸗ 
ten. Aus diefen Wetten entflanden mehrfache Proceſſe. 
Zur gerichtlichen Enticheidung Fam im Jahre 1777 die 
von dem Wundarzt Hayes gegen den Bäder Jaques 
ehobene Klage. Jaques hatte 15 Guineen erhalten, 
unter der Bedingung, 100 zurüdzugeben, wenn das 
weibliche Geſchlecht D’Eon’8 bewiefen werde Die Ge— 
Ihworenen fanden die Beweife, daß d’Eon ein Weib 
fi, fo flark, Daß fie zu Gunften des Hayes entfchieden. 
Die übrigen Proceffe wurden dur die Erflärung des 
Gerichtshofes befeitigt, daß folche Welten ungeſetzlich 
fein, und es hieß damals, daß durch diefe Enticheidung 
dem Lande nicht weniger als 75,000 Pfund erhalten 
worden feien, welche außerdem nach Paris gegangen 
wären. D’Eon erffärte, daß er an den über fein Ge⸗ 
flecht erhobenen Streitigkeiten durchaus einen Antheil 
babe, verließ aber England und ging nach Frankreich, 
wohin ihn der Graf von Vergennes.') eingeladen hatte. 


1) Charles Gravier Graf von Bergennes, geb. zu Dijon 28. Der. 
1719, erft bei der Gefandtfhaft in Liffabon, dann (1750) Geſand⸗ 
ter in Trier; ſpäter in Konftantinopel, 1768 verabfhiedet, 1771 
Geſandter in Stodholm, 1774 Minifter der auswärtigen Angelegen- 
keiten, + 13. Gebr. 1787. Seine Entlaffung 1768 war eine Ueber⸗ 
dlung Choifeul’d. Der Gourier, der ihn abrief, weil er Feine Kriegs⸗ 
erklaͤrung der Pforte gegen Rußland zu Stande gebracht, Freuzte fi 
mit dem, worin er das Gelingen diefes Planes meldete. Ghoifen! 
ſtellte fi aber nun, als habe er ihn abberufen, weil er in Konftan- 
tinopel die Witwe eines Ghirurgen geheirathet. Vergennes war ein 
befonnener, maßvoller, rechtſchaffener Mann, der ed wohl verdiente, 
daß ed ihm erfpart ward, die Revolution zu erleben. Es ift 

I 


9 


194 Die geheime Diplomatie Ludwig's XV. 


Er erfchien in Manneötracht, ward günflig aufgenom: 
men, erhielt aber von Ludwig XVI. den Befehl, die 
weibliche Kleidung wieder anzulegen; ein Befehl, den 
Ludwig XVI., bei feinen ftrengen Begriffen von Sitt 
lichkeit und Anftand, fchwerlich ertheilt haben würde, 
wenn er d’Eon nicht wirklich für ein Weib gehalten 
hätte. Anfangs weigerte er fich, fügte ſich aber nad 
einiger Zeit und erfchien, ald Ritterin D’Eon, in wei 
licher Tracht, mit dem Ludwigskreuze. Das Verhält⸗ 
niß fette ihn aber, befonderd da ein Zweifel über bie 
Wahrheit defielben Doch noch fortgewirkt zu haben fcheint, 
Nedereien und Herausforderungen aus, denen die Re 
gierung ihn anfangs dadurch zu entziehen fuchte, daß 
fie ihn eine Zeit lang nad) Dijon auf die Eitadelle ſetzte. 
Doc zog er ed 1783 vor, wieder nach England zu 
gehen, und fcheint von hier mit dem Baron von Bre 
teuil, welcher damals Minifter des FTüniglichen Han 
fed wurde, correfpondirt zu haben. Nach Ausbruch der 
Revolution richtete er 1791 eine Petition an die Natie 
nalverfammlung, worin er feinen Rang in der Arme 
wieder einzunehmen verlangte, indem er erflärte: fein 
Herz empöre fich gegen feine Haube und feine Weiber: 
röde. Seine Dienfte wurden aber nicht angenommen; 
er blieb in England, verlor ald Emigrant feine Par 
fion und mußte aus Noth feine Bibliothek und Koſt⸗ 
barfeiten verkaufen. Ja, er fam dahin, dag er die ihm 
aufgeswungene Sonderbarkeit als Erwerbsmittel be 
nugen mußte, indem er 1795 in weiblicher Tracht ale 


übrigens behauptet worden, daß fein Tod kein natürlicher gemefen 
ſei. Er war der einzige Minifter, der den König zum Handeln 
bringen Fonnte, und nah feinem Tode kam alles wicher in Stocken. 
Pr wg Man nur, daß er an einem zurüdgetretenen Podagte 
geftorben ift. 


und der Bitter d'Eon. 195 


Zechtmeifter auftrat und Fechtftunden gab. So mag 
ihn zulegt feine Dürftigkeit felbft, auch nachdem wahr: 
ſcheinlich die ihn früher bindenden Rüdfichten geſchwun⸗ 
den waren, abgehalten haben, den Schleier zu lüften. 
Als nun Alter und Krankfichfeit über ihn Famen, ward 
ee nur noch Durch Die Unterflügung einiger Freunde 
fümmerlich erhalten. Aber noch 1809 glaubte felbft der 
in Die Seheimnifje der franzöftfchen Diplomatie tief ein- 
geweihte de Flaſſan, dag dD’Eon ein Weib fei. Am 21. 
Mai 1810 ftarb er. Aus der Zodtenfchau, welche Th. 
Gopeland, in Gegenwart der Herren Adair, Wilfon und 
des Bere Elifee, erften Chirurgen Ludwig's XVII, vor: 
nahm '), ergab fih, daß d'Eon vollftändig ein 
Mann gewefen. — In dem von ihm, allerdings fchon 
1775, wo er noch alle Rüdfichten zu nehmen hatte, und 
zu Paris in 13 Bänden herausgegebenen, meift Politi⸗ 
ſches und Gefchichtliches enthaltenden «Loisirs du 
Chevalier d’Eon» findet fich nicht die mindefle Hin: 
deutung auf den Grund feiner Doppelrolle. Die unter 
feinem Namen erjchienenen Memoiren find unecht?). 


1) ©. das Gentiemen’s Magazine, Bd. 80 &. 588. Vergl. de 
an’; Histoire de la diplomatie frangaise, Th. V, Walpole und 
andere Memoiren. 
V lieber die geheime Diplomatie, welche zur Beit bed franzöft- 
Kaiſerthums, zumeilen doppelt und dreifach beftand, aber eigent⸗ 
einen ganz andern Zweck und Charakter hatte, vielleicht Fünftig 
al. 


VI. Der Obriſt Agdolo. 


Um 16. September 1776 wurde zu Dresden der dort 
lebende Dbrift Agdolo, unter fehr myſteriöſen und Auf 
ſehen erregenden Umſtänden, verhaftet, folgenden Tage 
auf den Königftein gebracht und dort, nach einem kur⸗ 
zen Zwifchenaufenthalte in Pirna, bis an fein Ende, is 
den erften Jahren unter großen Vorſichtsmaßregeln, ver 
wahre. In der ganzen Sache war lediglich nach den 
perfünlihen Befehlen des Kurfürften Friedrich Augufl, 
in deflen erfte Regierungsiahre diefe Vorgänge fallen '), 
gehandelt worden, und er fol fid, über die legten Gründe 
feines Verfahrens felbft gegen feine vertrauteften Mint 
fter nicht ausgefprochen haben. Es geht eine Sage, 
über deren Grund oder Ungrund wir nichts haben er 
fahren Fönnen, daß die _auf diefe Angelegenheit bezüg: 
lihen Schriften in einem Wandſchrank in des Kurfür- 
ften, nachherigen Königs eigenem Zimmer verwahrt ge 
weien, nad) feinem Zode aber vernichtet worden feien. 
Dieſer ganze Vorgang hat feiner Zeit viel Gerede ver 

urfacht, und es hat fich eine Sage über feinen Zuſam⸗ 


1) Derfelbe war am 23. December 1750 geboren, folgte feinem 
Bater am 17. December 1763, übernahm die bis dahin von feinem 
Dheim, dem Prinzen Xaver, geführte Regierung am 15. September 
1768 felbft, und ftarb als erfter König von Sachſen am 5. Mat 1877. 


Der Obrift Agdolo. 197 


ienhang gebildet, welche bald nach jener Zeit von Mi- 
ıbeau ') veröffentlicht worden und theilweife felbft in 
iefchichtöwerke übergegangen ift. Man glaubte, Agdolo 
ibe der Kurfürflin Witwe bei einer Intrigue zum Werk: 
ug gedient, deren lebted Ziel fogar die Entthronung 
3 Kurfürften geweien fe. Diefed Gerücht ift weiter: 
n mit mandhen, rein aus der Luft gegriffenen Zuthe- 
n ausgefhmüdt worden, wie z. B. daß die Kurfürftin 
h Durch Agdolo an die Reichsbehörden gewendet, oder 
8 fie den Papſt ins Verfländnig gezogen habe, daß 
pfomatifche Agenten Friedrich's II. die Intrigue zu 
tegensburg, oder zu Rom entdedt hätten und diefer 
önig Den Kurfürften durch einen Courier davon habe 
enachrichtigen laſſen, worauf fofort die Verhaftung 
[gdolo’8 verfügt worden feiu.f.w. So unmwahrfchein- 
ih das ganze Gerücht bei einiger Fälteren Betrachtung 
nb genaueren Erwägung aller vorhergehenden und nach⸗ 
olgenden Umſtände erfcheinen mußte, fo war ed doch 
n feiner Entftehung fo unnatürlich nicht, da es dem 
hublikum nicht wohl entgehen fonnte, DaB die Angele- 
ſenheit Agdolo's mit der Kurfürftin Mutter zufammen- 
ing, und daß zwilchen ihr und dem Kurfürften eine 
Risftimmung beftand. Die nachfolgenden, nach Mit: 
heilungen aus fehr unterrichteter Duelle gefloffenen An- 
jaben, wenn fie auch den letzten Grund des fpeciell ge- 
zen Agdolo beobachteten Verfahrend nicht vollftändig 
wifbecken, werden wenigftend zeigen, daß die Sache und 
398 Zerwürfniß zwiſchen der verwitweten Kurfürftin und 
hrem Sohne weniger in Gründen der höheren Politik 
wurzelte, als die Sage annimmt, und daß die letztere, 


1) De la monarchie prussienne (T.ondres, 1788). I, 128. 


198 Der Obrift Agdolo. 


wie in vielen Nebenumftänden, fo auch in dem Haupt: 
punfte gänzlich geirrt hat. 

Agdolo nannte ſich Aloyſius Pierre Marchefe D’Ag: 
dolo '), war der Sohn eines Furfächfifchen Refidenten 
bei der Republif Venedig, welcher dort Handeldgefchäfte 
trieb, und gab vor, aus einer perfiihen Familie abzu 
flammen. Während des fiebenjährigen Krieges trat er 
in ein Uhlanenregiment ein, welched der damalige Obriſt 
von Schiebell befehfigte; derſelbe, der ſpäter, als Gene 
ral, den Auftrag erhielt, Agdolo zu verhaften. Agdolo 
ward im Kriege verwundet und bielt fi, feiner Her 
ftelung wegen, einige Zeit in Dresden auf. Damals 
erfchien eine anonyme Schmähfchrift gegen die vornehm 
ſten Damen des Hofes und der Stadt. Es mag den 
Credit, in den fi) Agdolo geſetzt hatte, bezeichnen, daß 
er in den Verdacht fiel, der Verfafler derfelben zu fein. 
In jener Schrift war die Gräfin Luiſe Amalie Rutowska 
ganz befonderd arg mitgenommen worden. (Sie. war 
am 3. März 1722 geboren, eine Zochter des Fürſten 
Jakob Alerander Rubomirsfi?), war am 4. Sunt 1739 
mit Graf Friedrich Auguft Rutowskiꝰ) vermählt worden, 
wurde am 16. März 1764 Witwe und flarb am 27. Juli 


1) Man findet ihn auch Agdalo, Agdallo und Agdollo gefchrieben. 
Im kurſächſiſchen Staatöfalender von 1780 findet fih auch ein Zitu 
larhofrath Gregor Agdolo. 

D Ihre Mutter Zriederife Charlotte (+ 4. Zebr. 1755) war ein 
geborene Gräfin Bistyum und Tochter des Gabinetöminifters und 
Dberfammerheren Grafen Friedrich Vitzthum von Eckſtädt, deſſen wir 
fpäter nod bei der Gräfin Gofel gedenken. 

3) Er war am 19. Iuni 1702 geboren, ein natürlider Sohn 
Auguſt's des Starfen von der Türkin Zatime, fpäteren Frau von 
Spiegel. Er ftarb als Generalfeldmarfhal,. Sein einziger Sohn, 
Auguft Zofeph (geb. 3. Aug. 1741), war fhon vor ibm (17. Jan. 
1755) als 13 Jahre alter Major und Schüler des Garolinums in 
Braunſchweig geftorben. 


Der Obriſt Ugdole. 149 


1778.) Sie war von Agdolo's Autorſchaft fo feit über: 
zeugt, DaB fie geäußert haben fol: wenn Agdolo bei 
ihr erfcheine, werde fie ihn durch ihre Leute Die Treppe 
hinunterwerfen laſſen. Als ihm dies binterbracht wurde, 
fagte er: das ſoll ihr theuer zu ftehen fommen. Es 
kam ihr auch in der That theuer zu ſtehen; denn nach 
dem Tode ihred Gemahls — gab fie Agdolo ihre Hand, 
wenn auch nur in heimlicher Verbindung. Eine öffent: 
liche Erklärung der Wiedervermählung unterblicb wahr- 
ſcheinlich, weil fie ihrem Rang bei Hofe nicht aufgeben 
wollte. Die Trauung felbft aber fand unter dem Schuge 
der Kurfürftin Witwe und in deren Kapelle ftatt. 
Vorher aber und nachdem Agdolo von feiner Wunde 
genefen war, begab er fich zu der frangöfiichen Armee 
und Fam in die Umgebung des Prinzen Xaver). Er 
fand bald Mittel, fi dem Prinzen angenehm zu ma- 
hen, und als Derfelbe, nach dem Tode feines Bruders, 
des Kurfürften Friedrich Chriftien, Adminiſtrator des 
Landes während der Minderjährigkeit feines Neffen wurde, 
erhielt Agdolo eine Offiziersftelle mit Majordrang bei 
dem Schweizerregimente. Später (1768) gelang es ihm, 
um Obrifllieutenant und Generaladjutanten des Prin⸗ 
zen ernannt zu werden. Doch fland er an Einfluß dem 
andern Generaladjutanten, von Senffert, bei weitem 


1) Kaver Auguft, Sohn des Königs Auguft III., geb. 2%. Aus. 
1730, von 1763 — 1768 Adminiftrator von Kurſachſen, gina 1769, 
unter dem Namen eines Grafen ven der Laufig, nah Frankreich, 
wo er Inhaber eines Hufarenregimentes war, kehrte bei Ausbruch 
ter franzöfifhen Revolution nah Sachſen zurüd und + 21. Juni 
1306. Gr hatte fih am 22. März 1767 in morganatifher Ehe mit 
der Gräfin Clara Maria Roſa Spinucci (geb. 29. Aug. 1741 + 
22. Rov. 1792) vermäält. Daraus ftammten die Herzogin von be 
clignae, die Herzogin von Riario, die Prinzeffin Altieri, der Che⸗ 
er Joſeph de Saxe, die Marquiſe Patrizi und dic Maranife 

aſſimi. 


200 Der Obrift Agdolo. 


nach, ward aber zu geheimen Sendungen ind Yusland 
verwendet, über deren Zweck nichts befannt worden. 
(Vielleicht fanden fie einige Iahre früher flatt und hin- 
gen mit den leifen Wünfchen des Prinzen nach der pol 
nifchen Krone zufammen.) Als die Adminiftration be 
endigt war und der Prinz fich nad) Frankreich wendete, 
blieb Agdolo in Dresden und lebte von einer jährlichen 
Denfion von 600 Zhlen., wozu ihm auch wol feine 
Frau, mit der er übrigens nicht zufammenlebte, einen 
Zufchuß gegeben haben mag. Er hielt ſich fortwährend 
in den böchften Kreifen und ließ Feine Gelegenheit vor: 
übergeben, mo er Verbindungen anknüpfen fonnte, welde 
feinem Ehrgeize eine Ausſicht verfprachen. So ftand er 
namentlich in fehr vertrautem Verhältniß mit dem Haufe 
des intelligenten und aufftrebenden Zriedrih Wilhelm 
Gerber '), was diefem begabten Beamten, ungeachtet der- 
felbe viel zu gediegen und vorfichfig war, um fich ernft- 
lich mit einem leeren Intriguanten von Agdolo's Schlage 
einzulaffen, ſpäter Doch für einige Zeit ein Mistrauen 
des Kurfürften zuzog. In dem Rufe galanter Verbin 
dungen ſtand Agdolo beftändig und u. U. hatte er gleid) 
zeitig, neben feiner bochgeftellten Gemahlin, ein offen 
Fundiged Verhaltniß mit der älteften Tochter eines vor: 
nehmen Hofbeamten und nebenbei eine Dpernfängerin 
zur Geliebten. Die Sorge für ein Kind der Leßteren 
verftand er aber geſchickt von fich abzulehnen, indem er 
feinen Schwiegervater, den 70jährigen Fürften Zube: 


1) Im Jahre ITTL war diefer Geheimer Kammers, auch Kam 
mers und Bergratb, wurde 1777 in den Adels und 1789 in den 
Zreiberrnftand erhoben und + 1801 als Geheimrath und Director 
eines Departements im Geheimen Zinanzcollegium. Die Yamilie 
Zerber, in verfchiedenen Linien und Generationen, ift von jener 
Zeit an bid etwa 1815 für Sadfen eine wichtige geweſen. 


Der Obriſt Agdolo. 201 


mirski), zu bereden wußte, es für das ſeinige zu halten. 
Agdolo beſaß natürlichen Verſtand und raſche Auffaf- 
ſungsgabe, vereinigte aber auch mit der höchſten Mei- 
ſterſchaft in jener Tächelnden Medifance, die die Peft der 
vornehmen Welt feiner Zeit war, das dreifte und rüd: 
fihtölofe Abfprechen über Alles, was eigentlich zu den 
Vorſchritten und Errungenfchaften einer viel fpäteren 
deit gehört. 

Während des Faſchings 1776 hatte fi) das Gerücht 
verbreitet, ald flanden Agdolo, Zerber und der Kammer: 
herr und Neferendar von Burgsdorf?) an der Spiße 
ner Cabale, welche den Sturz der Cabinetsminifter 
Freiherr von Ende und Graf Saden bezweden follte. 
Agdolo, von diefem Gerede in Kenntniß gelegt und da⸗ 
durch wahricheinlih um fo mehr beunruhigt, als ihm 
gerade in jener Zeit, wegen der Angelegenheiten der 
Königin Mutter, an der Geneigtheit jener Minifter ges 
legen fein mochte, fuchte den Urheber des Gerüchts zu 
entdecken, und vermuthete ihn in dem Grafen Bolza ’). 


1) Zürft Zatob Alexander, General der Infanteric, Comman⸗ 
dant der Leibgarde, Schwiegervater des franzoͤſiſchen Gefandten in 
Warſchau und SKonftantinopel Grafen des Alleurs, des kurſächfiſchen 
Gabinetminifters Grafen Flemming und des Grafen Rutowski, war 
am 11. Mai 1695 geboren und + am 16. Nov. 1772. 

3) Der talentvolle Zriedrih Adolph von Burgsdorf, fpäterhin 
Kanzler, ftarb 1. März 1790. Nicht zu verwechfeln mit dem wärs 
digen Lehrer des Kurfürften, Ghriſtoph Gottlob von Burgddorf, da« 
mals Dberauffeher der Grafſchaft Mannöfeld, 1788 Präfident des 
Oberconfiftoriums, 1793 Gonferenzminifter. 

3) Joſeph Graf von Bolza, deffen Bater gleihes Namend aus 
dem Mailändiſchen ftammte und der jüdiſchen Urſprungs geweſen fein 
ſoll, war am 31. Juli 1719 geboren und erheirathete am 7. Ian. 
1759 mit Johanna Nepomucena Philippina Gräfin von Martinig 
die Herrſchaften Kosmanos, Arnau und Reuſchloß. Ohne eigentlid 
ein beftimmtes Staatsamt zu bekleiden — er war zwar „wirklicher“ 
Geheimrath, aber ohne Sig und Stimme — ſpielte er doch während 
dreier Megierungen eine wichtige Role in den u Finanz⸗ und 

q* * 


200 Der Obriſt Agdolo. 


nach, ward aber zu geheimen Sendungen ins Ausland 
verwendet, über deren Zweck nichts bekannt worden. 
(Vielleicht fanden fie einige Jahre früher ſtatt und hin 
gen mit den leifen Wünfchen des Prinzen nach der pob : 
nifchen Krone zufammen.) Als die Adminiftration be 
endigt war und der Prinz fich nad) Frankreich wendete, 
blieb Agdolo in Dresden und lebte von «iner jährlihen | 
Denfion von 600 Zhlen., wozu ihm auch wol jene | 
Frau, mit der er übrigens nicht zufammenlebte, einen 
Zufhuß gegeben haben mag. Er hielt fich fortwährend 
in den höchſten Kreifen und ließ Feine Gelegenheit vor 
übergehen, wo er Verbindungen anknüpfen fonnte, welche 
feinem Ehrgeize eine Ausficht verſprachen. So ſtand er 
namentlich in fehr vertrauten Verhältniß mit dem Haufe 
des intelligenten und aufftrebenden Zriedrih Wilhelm 
Gerber’), was diefem begabten Beamten, ungeachtet der 
felbe viel zu gediegen und vorfichfig war, um fich ernſt⸗ 
lich mit einem leeren Intriguanten von Agdolo’d Schlag 
einzulaffen, fpater Doch für einige Zeit ein Mistrauen 
ded Kurfürften zuzog. In dem Rufe galanter Verbin 
dungen fand Agdolo beftändig und u. U. hatte er gleich⸗ 
zeitig, neben feiner hochgeftellten Gemahlin, ein offer 
kundiges Verhältniß mit der älteflen Tochter eines vor 
nehmen Hofbeamten und nebenbei eine Dpernfängerin 
zur Geliebten. Die Sorge für ein Kind der Letzteren 
verſtand er aber geſchickt von fich abzulehnen, indem er 
feinen Schwiegervater, den 7Ojährigen Fürften Lubo⸗ 


1) Im Zahre 1771 war dieſer Geheimer Kammers, auch Kam 
mers und Bergrath, wurde 1777 in den Adels⸗ und 1789 in den 
Zreiherrnftand erhoben und + 1801 als Gebeimrath und Director 
eines Departemenss im Geheimen Zinanzcollegium. Die Familie 
Zerber, in verſchiedenen Linien und Generationen, ift von jemt 
Zeit an bis ctwa 1815 für Sachſen eine wichtige gemefen. 





Der Obrift Agdolo. . 91 


miröfi '), zu bereben wußte, es für das feinige zu halten. 
Agdolo beſaß natürlichen Verftand und rafche Auffaf- 
fungegabe, vereinigte aber auch mit der höchften Mei: 
ſterſchaft in jener lächelnden Medifance, die die Peft der 
vornehmen Welt feiner Zeit war, das dreifte und rück⸗ 
ſichtsloſe Abfprechen über Alles, was eigentlich zu den 
Borfchritten und Errungenfchaften einer viel fpäteren 
Zeit gehört. 

Während des Faſchings 1776 Hatte ſich das Gerücht 
verbreitet, als fländen Agdolo, Ferber und der Kammer: 
jerr und Heferendar von Burgsdorf?) an der Spiße 
einer Gabale, welche den Sturz der Cabinetsminifter 
Steiherr von Ende und Graf Saden bezweden follte. 
Agdolo, von diefem Gerede in Kenntniß geſetzt und da⸗ 
durch wahricheinlih um fo mehr beunruhigt, als ihm 
gerade in jener Zeit, wegen der Angelegenheiten Der 
Königin Mutter, an der Geneigtheit jener Minifter ge- 
legen fein mochte, fuchte den Urheber des Gerüchts zu 
entdecken, und vermuthete ihn in dem Grafen Bolza °’). 


1) Zürft Jakob Alexander, General der Infanterie, Gomman- 
dant der Leibgarde, Schwiegervater des franzöfifhen Geſandten in 
Berihau und Konftantinopel Grafen des Alleurs, des Purfähfifhen 
Sabtnetöminiftere Grafen Flemming und des Grafen Rutowski, war 
m 11. Mai 1695 geboren und + am 16. Nov. 1772. 

3) Der talentvolle Zriedrih Adolph von Burgsdorf, fpäterhin 
Kanzler, ftarb 1. März 1790. Nicht zu verwechfeln mit dem wir: 
digen Lehrer des Kurfürften, Ghrijtoph Gottlob von Vurgsdorf, da« 
mals DOberauffeber der Grafihaft Mannsfeld, 1788 Präfident des 
Pberconfiſtoriums, 1793 Gonferenzminifter. 

3) Joſeph Graf von Bolza, deffen Bater gleihes Namens aus 
dem Mailändifchen ftammte und der jüdifhen Urfprungs gewefen fein 
ſol, war am 31. Juli 1719 geboren und erheirathete am 7. Jan. 
1759 mit Johanna Nepomucena Philippina Gräfin von Martinig 
die Herrfhaften Kosmanos, Arnau und Reuſchloß. Ohne eigentlich 
ein beftimmtes Staatsamt zu befleiven — er war zwar ‚wirklicher‘ 
Geheimrath, aber ohne Sig und Stimme — fpielte er doch während 
dreier Regierungen eine wichtige Rolle in den a Zinanzs und 

* * 


202 Der Obrift Agdolo. 


Heftig wie ee war, ergoß er ſich nun in den gewalt: 
famften Drohungen, ſprach von Stockſchlägen, Ohren: 
abfchneiden u. dergl. m. Der Graf Saden, welde 
dabei betheiligt war und wünfchen mußte, DaB die Sadı 
nicht zu weit geben möge, Bolza, dem bei jenen Re 
densarten nicht wohl zu Muthe ward, und endlich auf 
Kerber, den es fehr beunruhigte, in eine fo unpaſſenbe 
Geſchichte mit verwidelt werden zu können, gaben ſich 
nunmehr alle erdenklihe Mühe, den Streit gütlich bei 
zulegen. Sie zogen den General, ſpäteren Cabinets⸗ 
minifter von Gersdorf und den Generalmajor von Ber 
nigfen in ihr Interefje, und diefe gaben fich bei Ferber 
ein Rendezwous mit den zwei Gegnern, um eine Aus 
fühnung zu vermitteln. Gersdorf hielt zuerft eine An 
rede, in welcher er fagte, daß er von dem Zerwürfniß 
gehört habe, Ddiefed aber gewiß nur auf einem Misver 
ftändnig beruhen fünne Hierauf ergriff Bolza dat 
ort und bemerkte: es fei ihm zu Ohren gekommen, 
dag man ihn gewiller Aeußerungen befchuldige, die nie 
von ihm gethan worden fein. Als nun Agdolo ihm 
etwas entgegnen wollte, fiel ihm Gersdorf fogleich mit 
den Worten in die Rede: er könne mit Bolza's Erklä⸗ 
rung zufrieden fein, und damit endigte die ganze Sache, 
von welcher Agdolo vorher viel Aufhebens gemacht und 
dadurch wenigftens erreicht hatte, daß fie bei Hofe und 
in der. Stadt vielfach befprochen worden war. 

Died alles follte nur zur vorläufigen Charafterifi 
rung des Mannes dienen, zu deilen Kataſtrophe wir 
nunmehr gelangen. 

Die verwitwete Kurfürſtin, Maria Antonia (geb. 


— — — — — — — — — — · — 


Handelsſachen, und ſcheint dabei klug, einfichtsvoll und ehrlich ver⸗ 
fahren zu fein. Er ſtarb am 15. Auguſt 1782. 


—— — — — — on — 


Der Obrift Agdolo. 203 


am 18. Juli 1724 + am 23. April 1780), Die ältefte 
Tochter des Kaiſers Karl VI. aus dem Haufe Kur- 
baiern, hatte nach dem Tode ihres Gemahls, außer 
einem bedeutenden Gapitalwerthe in Diamanten, die 
baare Summe von 500,000 Thlr. erhalten und bezog 
ein jährliches Witthum von anfangs 60,000, feit 1769 
aber 130,000 Thlen.') Sie war eine geiftreiche, Funft- 
und prachtliebende Dame’), deren immer offene Hand 
doch auch vielfach gemisbraucht worden fein mag. MWäh- 
rend der kurzen Regierung ihres Gemahld und während 
der Adminiftration hatte fie vielen Antheil an Regie- 
rungsgefchäften genommen. Ihr Sohn verftattete Fei- 
nem Weibe Einflug. Es Famen andere, ernflere Män- 
ner am Hofe und in den Gefchäften auf, und die Zei- 
ten der polnifchen Auguſte waren vollftändig vorüber. 
Es gefiel ihr nicht mehr in Dresden und fie hätte gern 
ihren Aufenthalt in Stafien genommen. Der Wunſch, 


1) Rach den Ehepacten Fonnte fie nur 60,000 Thlr. beanfpruden. 
Der Kurfürft erhöhte dieſe Summe, nad feinem Regierungsantritte, 
auf 130,000 hir. 

2) Sir Charles Hanbury Williams, 1747 — 1750, dann wieder 
1751 — 1753 und 1754— 1755 Gefandter in Dresden und ein fehr 
medifanter Mann fagt über fie u. A.: „Die Kurprinzeffin ift nichts 
weniger als ſchoͤn oder wohlgeftaltetz allein fie bat ein äußerſt arti- 
ged Benehmen und iſt fehr wohlerzogen. Sie fpridht viel und ift 
reiht unterhaltend. Bevor fle hierder Fam, glaubte man, daß fle 
fi viel um Politik befümmere und fih zu Frankreich neige. Sie 
ſelbſt Läugnet dies, und erklärt, daß ſich Zrauen nicht in Staatsan- 
gelegenpeiten miſchen ſollen; ich wage jedod zu prophezeien, daß fie, 
wenn der Kurprinz feinen Bater überlebt, diejes Land unumſchraͤnkt 
beberrfchen wird. Bis jest genießt fie in hohem Grade die Zunei⸗ 
gung und Bewunderung Aller, die ihr nahe kommen; denn ihre 
Manieren find äußerft gewinnend.“ — Wie fehr fie eine gefhmad- 
volle, großmüthige und wohlmollende, eine echte Freundin der Kunft 
war, darüber wird namentlih in Meißner’s intereffanten ‚Bruce 
fläden zur Biographie Johann Bottlich Raumann's“ (Prag, 1803 
fa., 2 Bde.) Vieles berichtet. 


204 Der Obriſt Agbolo. 


ihr Einkommen zu vermehren, in Verbindung mit einer 
Vorliebe für induſtrielle Vorſchritte ), verleitete fie 
zu unglücklichen Speculationen und dieſe, mit ihrer 
Prachtliebe und Freigebigkeit zuſammenwirkend, brach⸗ 
ten ſie bald dahin, daß nicht blos das Capital von 
500,000 Thlrn. aufgezehrt ward, ſondern auch bie 
Diamanten in Genua verfegt wurden. Auf eine 
Reife, welche fie 1775 nach Italien machte, Töfte fie 
zwar den Schmud wieder ein, aber nur um ihn in 
Rom, wenn auch zu niedrigeren Zinfen, abermals zu 
verpfänden. Bald Fam ed nun dahin, daß die von 
ihren Gläubigern immer mehr bedrängte Fürſtin ſich 
wiederholt mit der Bitte an den Kurfürften wenden 
mußte, daß er ihre Schulden übernehmen möchte. Allan 
dieſes Geſuch ward mit Entichiedenheit abgefchlagen. 
Agdolo gab nun den Rath, dem Kurfürften fowol 
eine Abtretung des Schmuded ald Aequivalent anzu 
bieten, ald auch von der Erledigung dieſer Angelegen⸗ 
beit die Abtretung der Anſprüche der Kurfürftin Mut 
ter an den dereinftigen, nad) dem Ausſterben bes kur 
baierifchen Haufes zu erwartenden Allodialnachlaß ab 
bangig zu machen. Diefe Unterhbandfungen wurden in 
Dreöden wahrend der Abweſenheit der verwitweten 
Kurfürftin geführt, weldhe im Ianuar 1776 zu ihre 
Sochter, der Herzogin von Zweibrüden, gereift war, 
deren Niederfunft erwartet wurde und am 2. März ein 
trat. Agdolo war inzwifchen überaus thätig. Er 
brachte es dahin, daß, nachdem die Kurfürſtin Mutter 
ihre Anſpruͤche an jenen Nachlaß am 1. Mai dem Kur 


H So Lich fie 1767 eine Kattunfabrit bei Großenhain anlegen 
(die nachher Bodemer'ſche), die fle fhon 1774 wieder verkaufte. Anh 
“ ‚ngenanake baierifhe Brauhaus in Dredden fchreibt fi von 
ihr ber. 


Der Obrift Agdolo. | 205 


eften abgetreten hatte, der Kurfürft ſich dazu verftand, 
nächft 800,000 Thlr. zur Auslöfung des Schmudes 
d Tilgung der fonftigen Schulden berzugeben, woge: 
n ihm der Schmud überlaflen werden ſollte. Ueber 
» weitere Entichädigung der Kurfürftin für die aller: 
ng8 auf eine enorme Summe berechneten Anfprüche 
yeint die Unterhandlung noch fortgegangen und die 
Sfallfige Uebereinkunft erft am 6. October zu Stande 
bracht worden zu fein’). Weber die ganze Sache foll 
sch Das Geheime Conftlium zu Rathe gezogen worden 
in und ein beifälliges Gutachten erftattet haben. Die 
urfürftin ließ übrigens bei diefer Gelegenheit dem 
Brafen Saden und dem Baron Ende jedem eine mit 
Yamanten beſetzte goldene Doſe überreichen. Ferber 
net auch eine goldene, mit Louisdors gefüllte Taba⸗ 


Er den erften Zagen des Septembers 1776 fol nun 
ie Kurfürftin Mutter dem Kurfürften gefchrieben haben, 
um ihn zu erfuchen, einen vertrauten Abgefandten nach 
Rünchen zu ſchicken, welcher dafelbft ihre aus Nom zu: 
üderhaltenen Diamanten in Empfang nehmen follte. 
Jedenfalls fchichte der Kurfürft den Geheimenrath Frei⸗ 
beren Adolph Alerander von Zehmen’) nad) München 
ab, Weber diefe Miffion wird nun Folgendes verfichert. 


1) Die Anfprühe der Kurfürftin wurden fpäter ſaͤchfiſcherſeits 
ef 47 Millionen Thlr. berednet. 

V Er war katholiſch und aus dem Salzburgiſchen gebürtig. 
Diefe katholiſche Linie der Zchmen, aus welder aub ein Erzbiſchof 
hervorgegangen, ift jegt erlofhen. Jener Zchmen gene? hohes Zu⸗ 
treuen bei dem Kurfuͤrſten, hatte vie Dberauffiht Über deſſen Gha- 
teulle und fol ein Mann von großem Berdienfte gewefen fein. Der- 
filbe ging aud 1778, nad dem Eintritte des Erbfalles, in einer 
eliihen Miffion nad Münden. in eignes Zufammentreffen ift 

6, daß feine Srnennung zum Geheimenrath gleichzeitig mit der des 
Agpolo zum Dpriftlieutenant befannt gemacht worden war. 


206 Der Obriſt Agdolo. 


Kaum in München angelangt, habe Zehmen ſogleich der 
Kurfürſtin ſeine Aufwartung gemacht, welche ihn ſehr 
freundlich empfing und ihm ſagte: er werde gewiß bald 
nach Dresden zurückwollen und möge ſich deshalb au 
genblidlicdy mit ihrem Secretair Hewald befprechen. Sie 
flingelte und gab einer eintretenden SKammerfrau den 
Befehl, Hewald fogleich rufen zu laſſen. Die Kammer 
frau machte hierauf eine lächelnde Miene und, von der 
Kurfürftin um die Urfache befragt, gab fie zur Antwort: 
die Frau Kurfürflin entfinne ſich wahrſcheinlich nicht, 
daß Hewald feit einigen Zagen abweſend fei. Nun 
fagte die Kurfürflin: es ift wahr, ich hatte ganz ver 
geilen, daß er Urlaub genommen; da ed aber fo ift, fo 
müflen Sie Sich in Hewald’d Wohnung begeben und, 
wenn er fie verfchloffen hat, die Thüre aufbrechen laſ⸗ 
fen. Herr von Zehmen vollzog augenblidlich diefen Be 
fehl; allein Die Diamanten waren verfehmunden. Die 
Kurfürftin brach darauf in den heftigften Zorn gegen 
Hewald, den fie ald den Räuber bezeichnete, und gegen 
Agdolo aus, der fiherlich in den Handel verwiddt 
fei. Zehmen möge auf der Stelle nach Dresden zurüd- 
eilen und den SKurfürften bewegen, Agdolo arretiren 
zu laffen, und ihr die bei ihm vorgefundenen Papiere 
überfenden, damit die ganze Sache ind Klare komme. 
Man fieht alfo, die Kurfürftin hatte nicht zu fürchten, 
daß Agdolo etwas ausfagen werde, was fie compromit- 
tiren könne. Am 7. Sept. langte Zehmen in Dresden 
wieder an und am felbigen Zage kam der Kurfürft aus 
Pilnig in die Stadt, um einen Tag dafelbft zu verwer 
en. Auf feinen Befehl ward Agdolo, ohne fofort ver 
haftet zu werden, von der Sache unterrichtet und 
reichte darauf, am 15., eine zu feiner Rechtfertigung 
verfaßte Schrift ein. Es wird verfihert, daß Zehmen 


Der Obrift Agdolo. 207 


hn ‚dringend von der Uebergabe diefer Schrift, welche 
fo wenigftend Zehmen auch gelefen haben muß, abge- 
athen habe, und nur auf wiederhofted infländiges An- 
rängen fic) bewegen ließ, fie dem Kurfürften zu über- 
ichen. Am 15. war der Kurfürft wieder in Dresden, 
ing aber, nachdem er den Aufſatz erhalten hatte, 
Ibends nad) Pillnig zurüd und Zages darauf wur: 
en Abends um 7 Uhr der Geheimeratb Baron Zehnten 
nd der Generalmajor und dienftthuende Generaladiu- 
ant von Schiebell ') von Pillnig nach Dresden gefen- 
et, mit dem Befehl, Agdolo zu verhaften, fich aller 
einer Papiere zu bemächtigen und diefelben verfiegelt 
en Kurfürften zu überbringen, fobald Agdolo in fiche: 
en Verwahrſam gebracht fei. 

Run ward zunächft in Agdolo's Wohnung geichidt, 
vo man erfuhr, daß er bei Zerbers fei. Dorthin, wo 
z eben bei einer Spielpartie aß, wurde ihm die Wei⸗ 
ung gegeben, er möge ſich zu Zehmen verfügen, wel- 
her nothwendig mit ihm zu fprechen habe. Er ftellte 
ih wirfiich ein. Gleich bei feinem Eintritt ward ihm 
ver Befehl zu feiner Verhaftung befannt gemacht und 
rt dem im Nebenzimmer wartenden Platzmajor überge- 
ven”). Als diefer fich anfchicte, ihn nach feiner Woh- 
nung zu bringen, fol er die Ausflucht verfucht haben, 
er Fönne ſich ohne Degen nicht auf der Straße fehen 
laſſen; ein Einwand, der natürlih Feine Beachtung 


1) Adam Burkhardt Ghriftoph von Schiebel war von Geburt ein 
Pole und hatte fih als Obriſter eines Ublanenregimentes in ven 
fräheren Kriegen auögezeihnet. So namentlid ſchon bei dem Ueber- 
fale ver preußifhen Dragonerregimenter dur den General vun Sy⸗ 
bilsty im Mordgrunde bei Dresden, am 13. Dec. 1745. Er ftarb 
als General der Gavalerie und Gabinetösminifter 1799. 

2) Aus dem ganzen Berfahren fieht man, daß Fein fo gefährlis- 
ches Staatbacheimnig im Spiele war, wie die Sage will. 


208 Der Obrift Agdolo. 


fand. In feiner Wohnung angelangt, fand er berät 

einen Offizier, zwei Corporale und ſechs Barbiften. Der 
Offizier hatte Befehl, ihn nicht aus den Augen zu laſ⸗ 
fen. Die beiden Commifjare legten nun auf die Pa 
piere Beichlag, fiegelten fie ein und nahmen fie mit 
nah Pillnig, wo fie, obgleich es % 12 Uhr war, doch 
noch zu dem Kurfürften gelaflen wurden, Der die Pr 
piere in Empfang nahm, um fie des anderen Zuge 
durchzufehen. In diefen Papieren, wo nicht ſchon in 
jener Eingabe, mögen fich berabwürdigende Aeußerun⸗ 
gen über den Kurfürften gefunden haben, deflen ſehr 
gerechtfertigte Weigerung, den maßlofen Anfprücen de 
die verwitwete Kurfürftin umgebenden Coterie zu ent 
fprechen, als unfindliche Kargheit ausgelegt und in Ag 
dolo’fcher Weile befprochen worden fein mag Wahr 
fheinlich enthielten fie aber auch fonft Auffchlüfle übe 
die Verwickelung Agdolo’d in die Unordnungen im Haus—⸗ 
balte der Kurfürftin, vieleicht Rathſchläge, wie dem 
Kurfürften mehr Geld abzupreffen fei u. f. w. Ob 
übrigens der Schmud, oder die zu Deflen Auslöſung 
beftimmte Summe von Hewald, welchen der Hauptge 
währemann diefer Mittheilungen für unbetheiligt halt, 
Agdolo, oder andern Agenten der Kurfürftin Mutter 
unterfchlagen worden, ob ihn Agdolo etwa für Die pre 
jectirte Weberfiedelung feiner Gönnerin nach Stalien zu 
rüdbehalten wollte, wa mit dem Schmude oder Gebe 
geworden, wiſſen wir nicht. Agdolo aber ward am fol 
genden Zage, ald dem 17., Abends 10 Uhr, unter flar- 
fer Bedeckung, nach dem Königftein gebracht. Einige 
Zage fpäter wurden die beiden Commiffarien mit Auf 
trägen an den Gefangenen dorthin gefchict, die jedoch 
nur in der Webergabe eines verfiegelten kurfürſtlichen 
Schreibens und in der Entgegennahme einer gleichfalls 


Der Obriſt Agdole. 209 


verfiegelten Erwiederung Agdolo’d beftanden. Nachdem 
Agdolo einige Wochen auf dem Königftein zugebracht, 
fleigerte fich Durch den Einfluß der dortigen rauen Berg: 
luft ein bei ihm fchon vorhandenes Bruftleiden zu einem 
gefährlichen Bluthuften. In Folge deflen ward er nad 
Pirna transportirt und blieb dafelbft bis zum 21. April 
1777, von einem Offizier, zwei Eorporalen und ſechs 
Artilleriefoldaten bewacht. 

Unterdeß blieb die verwitwete Kurfürflin in Mün⸗ 
hen. Bon Zeit zu Zeit wurde ihre Ankunft in Dresden 
angefagt, Dann wieder aufs Unbeflimmte verfchoben, bis 
endlich Niemand mehr daran glaubte. Da Fam kurz 
vor dem 21. December 1776 die Nachricht, dag fie an 
diefem Tage eintreffen würde. Ernſtes Andringen des 
mit Innehaltung ihres Witthums drohenden Kurfürften, 
verbunden jedoch mit beruhigenden Zuficherungen in Be⸗ 
treff ihrer Stellung in Dreöden, foll vorhergegangen 
fein. Die Gräfin Rutowska, eben jene geheime Gemah⸗ 
lin Agdolo's, welcher allerdingd daran Tiegen mochte, 
ihn ald ein Opfer für die Kurfürftin darzuftellen '), ver: 
fiherte, fie felbft habe einen an Agdolo gerichteten (je: 
denfalls Alteren) Brief diefer Fürftin gelefen, welcher 
die Worte enthalten habe: fie hoffe, ihr Haus in Padua 
bald vollendet zu ſehen; dann wolle fie für immer von 
dem ihr verhaßten Sachſen und von ihrem Sohne Ab- 
ſchied nehmen, den fie auch nicht Tiebe. 

Der Kurfürft Hatte ſich über die Gefangenfegung 
Agdolo's mit feinem feiner Minifter beratben, ja fie 
nicht einmal davon in Kenntniß gelebt. Seine Cabi- 
netöminifter waren nur von ihm beibehalten, nicht ge 





1) Der Gedanke liegt nit zu fern, daß in diefer Polin die 
Duelle mander über die Sache verbreiteter falfher Gerüchte zu ſu⸗ 
Hm tft. 


210 Der Obriſt Agdolo. 


wählt, und ſcheinen nicht fein volles Vertrauen genoſſen 

zu haben. Ueber jene Verſchweigung aber waren die 
Herren von Ende und Graf Saden '), welche fo eifrig 
die vorhergehende Unterhandlung mit der Kurfürftin 
Mutter geleitet hatten, denn doch nicht wenig betroffen. 
Ende nahm die Sache zwar mit jenem Phlegma bin, 
das er ſchon bei manchen früheren Gelegenheiten und 
namentlicy da bewiefen hatte, als ihm in den Jahren 
1769, 1770, 1771 der Kurfürft zu wiederholten Malen 
Referipte zur Unterzeichnung überfchichte, ohne fich vor 
ber über deren Inhalt mit ihm verfländigt zu haben. 
Ihm war weniger an der mit feinem Poften verbunde 
nen Wirffamfeit und Ehre, ald an den materiellen Vor . 
theilen deffelben gelegen. Aber Fonnte ibm nicht die 
Beſorgniß erwachſen, daß auch diefe gefährdet feien? 
Der Graf Saden dagegen wußte gar nicht, wie er die 
erlittene Kränfung genugfam an den Zag legen folk. 
Zuerft fol er an feiner eigenen Tafel, in Gegenwart 
von 24 Gäſten, erflärt Haben, Agdolo fei fein Freund 
und werde es ftet8 bleiben. Dann verfuchte er Vorſtel⸗ 
lungen böchften Orts, die aber fruchtlos blieben. Man 
fagt, der Kurfürft habe ihm Hoffnung gemacht, daß er 
die Gründe feines Verfahrens noch erfahren Tolle, die 
nähere Erflärung fei aber ausgeblieben. Nun ging 
Saden darauf aus, die Mitglieder des Geheimen Com 


1) Leopold Nikolaus Freiherr von Ende auf Alt» Xeffnis, fet 
1766 Gabinetöminifter und Staatöfeeretair für die inneren Angele 
genbeiten, geb. 6. December 1715 + 14. April 1792. — Kal 
Reichsgraf von der Oſten genannt Saden, Staroft zu Pilten, feit 
Juli 1768 Gabinetsminifter und Staatöfecretair für die auswärtigen 
Angelegenheiten, geb. 13. Oct. 1725, am 15. Det. 1786 von dem 
König mr von Preußen! in den Fürftenftand erhoben, + zu Berlin 3l. 

ec 


Der Obriſt Agdolo. g11 


iums aufzubegen. Allein Herr von Wurmb '), gegen 
Achen er geäußert hatte, es ſei Doch befremdend, daß 
r Kurfürft jenen Schritt ohne Zuziehung irgend eines 
iniſters befchloflen habe, entgegnete ihm: fo fei es 
nz in der Ordnung; Agdolo habe ald Militair unter 
nee Eivilbehörde geftanden; auch hätten die Cabinets⸗ 
inifter über fo Manches entichieden, ohne Das Geheime 
mfilium zu befragen, daß ed ganz billig erfcheine, 
mn der Kurfürft einmal einen Belhluß ohne Vor⸗ 
ſſen des Gabinets gefaßt habe. Nicht wenig betroffen 
igte fich begreiflicher Weile auch Ferber in der erften 
it. Am 22. September, dem nächflen Sonntag nad 
r Kataſtrophe, fah ihn unfer Hauptgemährdmann aus 
n Burfürftlichen Zimmern, wo er eine wöchentliche 
echnungsüberficht überreicht Hatte, mit dem Ausdrud 
ser Niedergefchlagenheit kommen, die er nie zuvor an 
m wahrgenommen. In der That ſchien um jene Zeit 
8 Vertrauen des Kurfürften zu ihm in Abnahme zu 
n; allein diefe Misftimmung glich fich bald wieder 
6, was denn flark dafür fpricht, daß fich in Agdolo’d 
apieren nichts gefunden, was. Ferber ernftlich hatte 
mpromittiren fünnen. 

Nach Hewald, jenem Secretair der Kurfürftin, wur: 
n nun auch Nachforſchungen angeftellt, und ed ward 
Id ermittelt, daß er fich in Frankfurt a. M. befinde. 
in vom Kurfürften dorthin abgefchidter Dffizier der 
chweizergarde, Namens Nickelwitz, brachte ihn auf 
n Königftein. Seine Frau, welche ſchon vor der Ehe 
nge mit ihm gelebt hatte, wurde ebenfals verhaftet 


1) Seit 1768 Gonferenzminifter, Verfaſſer debs „Grabmal des 
vnidas, + 1801. 


212 Der Obrift Agdolo. 


und mit dent Befehl, fie mit Niemand fprechen zu laſ⸗ 
fen, auf der Stadtoogtei gefangen gehalten, nach ein ' 
gen Mochen aber ohne weiteres entlaflen. Weber. He 
wald's fpätered Schieffal haben wir nichts erfahren Fin 
nen, und fcheint überhaupt feine Verhaftung zu jene 
Zeit gar nicht bekannt worden zu fein, oder keinerle 
Aufſehen erregt zu haben. 

Bevor Agdolo wieder auf den Königſtein gebrach 
wurde, ſoll der Kurfürſt den ganzen Fall, unter Ver⸗ 
ſchweigung der Namen und Einſchärfung tiefſten Ge 
heimniſſes, einer auswärtigen Juriftenfacultät vorgelegt 
haben. Wir haben Grund, zu glauben, daB das Göt: 
tingen und Pütter der Neferent geweſen ifl. Die Ent 
fheidung ſei dahin ausgefallen, daB der Gefangene 
Todesſtrafe verdient habe. Erſt hierauf fei Agdolo zu 
lebenswieriger Haft auf die Feſtung gebracht worden 
(21. Aprit 1777), indem der Kurfürft geäußert habe, 
diefe Beftrafung bei feinem Gewiſſen verantworten zu 
fonnen. Agdolo ift übrigens auf dem Königftein mit 
Schonung behandelt worden, und hat vor feinem am 
27. Auguft 1800, alfo erft nach 23 Sahren! erfolgten 
Zode, dem Kurfürften ausdrücklich feinen Dank bezeugt. 

Im Uebrigen fcheint der ganze Vorgang die Folge 
gehabt zu haben, daß ein vom Kurfürften wahrſchein⸗ 
lich fchon früher gewünfchter Minifterwechfel befchleunigt 
ward. Der Graf Saden gab noch zum Ueberfluß ver 
fehiedentlihen Anlaß zu erhöhtem Misfalen. Er für 
digte die Miethe des von ihm bewohnten, dem Kur 
fürften gehörigen Brühl’fchen Palais, bezog vorläufig 
den Garten des verftorbenen Chevalier de Sare, beftellte 
Hunderte von Kiften zum Einpaden feines Mobiliars, 
und feine Dienerichaft fprach laut und öffentlich von der 
nahen Abreife ihres Herrn. Schwerlich Tag es in feiner 


“Der Obrift Agdolo. 213 


Abficht, zu refigniren; das ganze Benehmen hatte aber 
dem Kurfürften gegenüber den Anfchein des Trotzes. 
Am 23. December erfolgte, zur allgemeinen Weber: 
raſchung, aber auch zur Freude des Publifums, Die 
Ernennung des Generald von Gerödorf ') zum Cabinets- 
minifter und Staatsfecretair für das Militairdepartement. 
Diefed Departement hatte Saden mit der größten Si- 
herheit als ihm felbft zugedacht betrachtet, ungeachtet 
fine wiederholten Gefuche, ſchon bei Xebzeiten des Che- 
valier de Sare (+ 1774) und auf deflen Betrieb, abge: 
Iehnt worden waren’). Er mochte nur in dem Cheva- 
fee die Urlache des Fehlſchlagens gefucht haben, und 
die nunmehrige Ernennung traf ihn daher um fo em: 
Hindlicher. Dan erwartete feinen augenblidlichen Rüd- 
tritt. Indeß diefer erfolgte nicht, und nur die Gerüchte 
von feiner auf den Sommer feitgefegten Abreife wurden 
immer lauter. Da er den Abichied nicht nahm, fo er- 
bieft er ihn. Am 26. März 1777, der Mittwoch in 
der Charwoche, Tieß der Kurfürft vor der Tafel den 
Sabinetöminifter von Gersdorf zu fi) rufen und er- 
theilte ihm den Befehl, ſich nach dem Eflen zu den bei- 
den andern Gabinetsminiftern zu verfügen, jedoch zu 
dem Grafen Saden zuerft, und ihnen anzuzeigen, daß 
fie ihrer Stellen enthoben wären und ihre Portefeuilles 
abzugeben hätten. Würden fie nach der Urfache ihrer 
plöglichen Entlaffung fragen, fo folle er ihnen erwibdern: 
der Kurfürft könne Fein Vertrauen mehr in fie feßen. 


1) Karl Auguft von Gerödorf, geb. 14. März 1705, 1757 Ges 
nerallieutenant, 2. Dec. 1776 General der Infanterie, + 11. Zebr. 


V Es war feit dem am 8. Zebr. 1769 erfolgten Tode des Ge⸗ 
ra Grafen Johann von Bellegarde (geb. 1708) unbefegt ge⸗ 
blieben. 


214 Der Obriß Ugbele 


Geretorf begab ñch darauf gegen 5 Uhr zu dem Grafen 
Sacken, geflimſentlich Die inate Stunde wählend, da der 
Miniiter an dieſem Zuge deu fremden Geſandten ein 
Diner gegeben batte. Gerötorf warb zuerft von der 
Grafin Exden ') emrfangen, und nad) einer kurzen Un⸗ 
terhaltung mit dieler verlangte er, ben Grafen zu ſpre⸗ 
hen, weder ibn in ſein Arbeitszimmer kommen lid 
und feinen Auftrag erfuhr. Der Graf nahm die Rad- 
ruht ganz ruhig auf und ſchickte noch denſelben Abend 
folgendes Schraäben an den Kurfürften: 


P. P. 


„Ge it meine nächſte Eorge, Em. :c. ten Ausdruck meiner chr: 
furätörclien Dankbarktit für ven von Heochdenſelben gefaßten Ent 
ſchluß zu Züßen zu legen, welden mir Gw. ıc. durch Hochdero &r 
binetöminifter ven Gersdorf kundzuthun geraht haben. MBährenn 32 
Jahren babe ih Gm. zc. und Gw. ıc. Dohem Haufe treu gerica 
und bin mir in einer fc langen Reihe von ehren keine Auge 
blides bewußt, wo ih nidt willig für Em. ꝛc. unt für das Wohl 
Hochdero Staaten jeded Opfer gebracht hätte. Die erprobte Anhöng 
lichkeit, welde mid für Ew. :c., fewie für Hochdero Herrn Bat 
und Grefvater ftets befeelt, fowie eine daraus hervorgehende Rkd 
fiht de& Zartgefühls konnten mid allein abhalten, ſchon vor Jahres 
die mir anvertrauten Stellen, die von mir weder geſucht, noch erde 
ten worden find, Hochdenſelben zu Füßen zu Icgen. Die ehrenden 
Beweiſe der Zufriedenheit und des Wohlwollens, mit denen Hochdero 
Borfahren meine treuen Dienfte anzuerkennen geruhten, werben mit 
immer unendlich ſchaͤhbar bleiben. Auf das Zemgniß eines vorwurke- 
freien Gewiſſens geftügt, Tann id allerdings nicht dafür einftehen, 
daß meine Einfiht überall ausreihend gewefen ift, und bin nur der 
reinften Abfihten und der unbefholtenften Gefinnungen vollkommen 
gewiß. Em. 21. Befehlen Zolge zu leiften, werde ich die Schriften 


1) Der zweiten Gemahlin des Grafen, einer gebornen von Die 
kau und verwitweten Gräfin Hoym. Seine erfte Gemahlin wer eint 
Brühl und Nichte des befannten Minifters. 


- m nn nu 


Der Obriſt Agdolo. 215 


und Acten, die ich nod bei mir babe, übergeben; außerdem lag eb 
in meinen Gewohnheiten, viefelben pünftlid und ohne Verzug auf 
tum Gabinet in Verwahrung zu geben.” 


Gleichzeitig richtete Saden an die Gefandten ber 
auswärtigen Höfe ein Gircular, in welchem er ihnen 
unter den gewöhnlichen Formen feine Entlaffung mit: 
teilte, dabei aber die Phrafe einflocht: der Kurfürft ſei 
finem eigenen Wunfche dadurch entgegengefommen. Er 
fieß fich übrigens an jenem Abende, wo er ein Souper 
gab, nicht das Geringfte merken; ebenſo wenig feine 
Gemahlin, welcher er die Sache fogleich nad) Gersdorf's 
Veggange mitgetheilt hatte. 

Den zweiten Auftrag diefer Art, bei dem Baron 
Ende, vollzog Gersdorf ebenfalld an diefem Abende. 
Er ſelbſt ward nun interimiftifch mit der Leitung des 
auswärfigen Departements beauftragt, bi8 Herr von 
Stutterheim ), von feinem Gefandtenpoften in Berlin 
zurückberufen, definitiv zum auswärtigen Staatsſecre⸗ 
tair ernannt wurde. 

In der Zwifchenzeit, ald Gersdorf ald alleiniger Ca⸗ 
binetöminifter fungirte, warb von ber Frau eines Ar- 
tillerteoffizierd eined Sonntags, wie fie mit ihrem Manne 
in ber katholiſchen Hoffirche war, ein Zettel gefunden, 
auf weichem die Worte ftanden: der Kurfürft mag auf 
feiner Hut fein, denn ed wird ihm nad) dem Leben ge 
ftanden. Der Zettel warb von dem Offizier zu von 


1) Der Generalmajor Heinrih Gottlich von Stutterheim trat im 
April 1777 an und behielt feinen Poften bis 1790, wo Graf Loß 
dad Auswärtige und Baron Gutfhmid das Innere übernahm und 
fomit die Sombination eintrat, die dem Kurfürſten wol die er» 
wünfchtefte war. Derfelde Graf Johann Adolph vom Loß (geb. 1. 
Zebr. 1731 + 15. März 1811) Hatte die inneren Angelegenheiten am 
9. Det. 1777 übernommen und beforgte die auswärtigen von 1790 
bis 1806, wo die veränderte Politik neue Männer bedingte. 


216 Der Obrift Agbolo. 


Gersdorf gebracht und von diefem dem Kurfürften mit 
dem Bemerken überreicht, er fei zwar unbeforgt, habe 
den Vorfall aber Doch anzeigen wollen. Des Kurfürften 
Antwort war: „Sollte ed wirklich fo böswillige Men 
fchen geben, welche diefe Drohung auszuführen fähig 
wären, fo kann mein Leben nur auf zweierlei Weiſe ges 
führdet werden. Entweder durch offene Gewalt, und 
gegen diefe werde ich mich zu vertheidigen wiſſen, oder 
durch Gift; gegen das letztere mich zu fchügen, gibt es 
feine Möglichkeit. Ich muß daher mein Schidjal und 
mein Leben Gott anbeimflellen, der allein über mid 
wachen kann.” Wie der Kurfürft diefe Worte fprad), 
malte fih in feinen Zügen die ungetrübtefle Ruhe. 
Als die abgefretenen Minifter, nach dem abgeichlof 
fenen Vergleich wegen der Diamanten der Kurfürflin, 
von diefer mit werthvollen Dofen befchenkt worden we: 
ren, hatten fie fih auf diefe Auszeichnung nicht wenig 
zu Gute gethan. Allein nach Agdolo's Verhaftung ward 
der Graf Saden anderen Sinnes und geriethb auf den 
Gedanken, diefes fürftliche Gefchen? wieder zurüdzu- 
fhiden. Seine Gemahlin ward beauftragt, mit der 
Dberhofmeifterin der verwitweten Kurfürftin, der Frau 
von Rollingen '), über diefen zarten Punkt zu unter 
bandeln. Die Oberhofmeifterin weigerte fich jedoch, die 
Dofe in Empfang zu nehmen, rieth der Gräfin, auf 
deren wiederholte Anträge, fie verfiegelt einflweilen in 
ihrer eigenen Verwahrung zu behalten, und verfprad, 
der damald noch abwefenden Kurfürfiin Mutter die 
Sache zu berichten. Wie zu erwarten fland, lautete bie 
Antwort: die Kurfürflin nehme ihre Geſchenke nit 


1) Maria Thereſia Zreifrau von Rollingen, geb. von Knebel zu 
Kapenellenbogen. 


Der Obrift Agbolo. 217 


wrüd, und fo mußte denn ber Graf Saden die Dofe 
behalten. 

Der Kurfürft war dem Grafen Saden wol nie recht 
ſewogen gewefen, wie denn derſelbe eine unruhige Ge- 
nüthsart und keinesweges ausgezeichnete Gefchäftstalente 
eieflen, auch eine lächerliche Manie gehabt haben fol, 
en Grafen Panin nachzuahmen. Auch hatte er den 
Brafen Marcolini'), welchem der Kurfürft ungemein 
ewogen war, auf das Empfindlichfte beleidigt. Als 
Rarcolini namlich den Wunſch äußerte, den Andreas: 
reden zu erhalten, wurde Saden beauftragt, Died zu 
efreiben, gab aber heimlich dem fächfiichen Geſandten 
begeninftructionen. &o kam ed, daß bei der Anweſen⸗ 
eit des Grafen Drlow in Dresden, im Januar 1776, 
Rarcolini von Diefem erfuhr, fein Geſuch fei in Pe: 
ersburg niemald angebracht worden. Später wurden 
He nähern Umftände diefer Intrigue noch Durch den 
herrn von Brinden, welcher der ſächſiſchen Geſandt⸗ 
haft in Peteröburg beigegeben geweien war, befannt. 


1) Graf Camillo Marcolini war ein italienifher Edelmann aus 
fano in ber Romagna, und erbte erft fpät die bedeutenden, in dor⸗ 
iger Gegend gelegenen Güter feines älteren Bruders. Er ift ſchon 
a dem Hoffalender von 1747 als Page aufgeführt, war 1766 Kam⸗ 
verpage, 1768 Kammerberr und ward 1769 zum Kämmerer ernannt. 
ke fol ſich in den legten Jahren des Tjährigen Krieges durch ver⸗ 
raute Sendungen, bei welchen er ungemeine Geſchicklichkeit bewiefen, 
Berdienfte um die regierende Familie erworben haben. Er hatte die 
Ängeren Mitglicder derfelben nad) Münden begleitet, und fi ſchon 
ort dem nachherigen Kurfürften werth gemacht, deſſen Bertrauen 
bis an feinen Tod (1814) bewahrte. Befonderen Dank war diefer 
hm dafür fhuldig, daß er feine durch ängftlihe Berzärtelung von 
Seiten fruͤherer Pfleger geſchwaͤchte Geſundheit Fräftigte, indem er 
ihn für koͤrperliche Uebungen und Bewegung in freier Euft gewann. ' 


VI. Scenen aus den fächfiihen Bauern- 
unruben im Iahre 1790, 


Mer die Nachwirkungen der franzöfiichen Revolutionen 
von 1830 und 1848 auf Deutfchland erlebt hat, kann «6 
befremdend finden, daß die franzöfiihe Revolution von 
1789, wie mächtig fie auch eine Zeit lang die öffent 
lihe Meinung bewegte und an fich riß, doch in Feiner 
Meile diefelben unmittelbaren Folgen erzeugte, wie jene 
neueren Erjchütterungen, daB fo wenig Volksbewegungen 
ftattfanden, daß nirgend eine Revolution von unten die 
beftehenden Drdnungen änderte, und daß nur als mit⸗ 
telbare Wirkung, weniger der Revolution, ald der aus 
ihr entftehenden Kriege, größere Umgeſtaltungen nad) 
und nad einfraten, welche ganz und gar von oben 
herab bewirkt wurden und zwar im Sinne der rafio- 
naliftifchen Zeitrichtung gefaßt waren und von ihr dem 
Volkswohle entfprechend gehalten wurden, aber meiftens 
mehr dem Abfolutismus der Regierungsmacht günflig 
waren, ald daß fie irgend einen demofratifchen Charakter 
getragen hätten. Und doch gab ed damals ber wahrhaf- 
ten, materiellen Beichwerden ungleich mehr und flärkere, 
als fpäterhin; war die Regierungsweife in vielen Staaten 
voller und kaum begreiflicher Misbräuche; war die Re 
gierungdgewalt, zwar weniger durch Gefeße, aber befto 


Scenen aus den ſächſiſchen Banernunrnhen im I. 1790. 218 


ehr Durch erworbene Rechte und hergebrachte Ordnun⸗ 
na gebunden, zwar in vielen Rändern willkürlich, aber 
wach und vieler Mittel, die fich Tpäter in Polizei und 
Nitair entwidelt haben, ermangelnd; war die Theil- 
ihme am Politifchen, weil etwas Neues, faum minder 
bhaft als jetzt; war die politifche Bildung noch gerin- 
r, ald gegenwärtig; waren die Erfahrungen noch nicht 
macht worden, die fich feitdem an fo viele Revolutio⸗ 
n gefnüpft haben und eigentlich nur abſchreckend wir- 
n Fönnen. Es fcheint doch, die innere Drganifation 
8 deutichen Staats: und Volksweſens, wie viel man 
KB über Deren Veraltet- und Erftorbenfein nicht ohne 
und gejagt haben möge, war doch noch zu tiefgewur- 
K, Doch noch von einem zu Fräftigen Glauben gefra- 
fü, als daß fie dem franzüftichen Wefen eine Empfäng- 
hkeit hatte widmen können; einem Weſen, welches 
ſchtungen mit dem Namen der Zreiheit ſchmückte, 
Ache nur die oberflächlichfte Anichauung mit der Frei⸗ 
NM des alten Sermanenthums in Zufammenhang brin- 
a Tann, während fie mit der deutfchen Freiheitd: und 
ihtsanficht durch alle Jahrhunderte des Mittelalters 
5 feiner Ausgänge im direrteften Widerfpruch flehen. 
F mußte erſt dieſe alte Organiſation, an welcher man 
on über ein Jahrhundert lang genagt hatte, von oben 
sb gründlich zertrümmert und aller Glaube an fie 
ichtet werben, bevor fich der durch das an Die 
hr Geſetzte nicht befriedigte Volksgeiſt auch. won 
ken herauf an das Zerflörungswert machen konnte. 

ine der wenigen Ausnahmen von der Erſcheinung, 
e wir zum Ausgangspunkt nehmen, kam gerade in 
sem der noch am beften, am gewiflenhafteflen regierten 
tagten, im damaligen Kurfürftentbum Sachſen vor, 
ar aber allerdings nicht eigentlich der höheren Politik 

10 * 


220 Stenen aus den ſächſiſchen WBanernunruben 


zugewendet, ſondern aus der in der That Damals ſehr 
befehwerten Lage des dortigen Bauernſtandes hervorge⸗ 
gangen. Diefer Bauernfland war zwar in den Er 
landen nicht Leibeigen, unterlag aber ſchweren Frohnen, 
Zinfen und Kieferungen, drüdenden Weideſervituten, trug 
die Hauptlaft der Steuern und Rekrutirung, und ward 
auch von den Gutöherren und ihren Patrimonialrichtern 
öfters willfürlich behandelt. Indeß ift es bemerken 
werth, daB die Bewegung fowol die in Den beregten 
Beziehungen gedrüdteften Theile des Landes, nament 
lich die Zaufigen, wo noch die Xeibeigenfchaft unter dem 
Namen der Erbunterthänigkeit fortbeftand, ald die arm 
fin Bezirke, wie das obere Erzgebirge, dad Voigtland 
den Kurfreis nicht berührte, überhaupt ſich nur in & 
nem begrenzten Kreife, und gerade in den fruchtbarften 
und wohlhabendften Gegenden bes Landes, namenflid 
in der Gegend von Lommasich, Meißen, Noffen, Penig, 
Wechſelburg Fundthat. Auch blieb der Aufftand firemg 
auf den Bauernfland beichrankt, fand weder in den 
Bürgerftande '), noch bei den Proletariern NachHang, 
und nahm auch in feinem weiteren Verlaufe nicht mek. 
politifchen Charakter an, ald er von Haus aus an ſich 
trug. Dabei wurde er fchnell und mit verhältnißmäßi 
geringen Mitteln unterdrüdt. 

Sein erfler Anfang, oder vielmehr fein erſtes Vor 
zeichen’), hatte aber allerdings fein Myſteriöſes und 
fünnte wol auf den Gedanken einer erperimentirendenr 
Anftiftung führen. Es ward nämlich im Sommer 17 
von einem Unbekannten ein gefchriebened Promemoris 


1) Nur die Bürger von Burgſtaͤdtel wurden von den rodäbnrge 
Bauern zur Theilnahme gesmungen. 
, 3) Eines andren werden wir am Schluffe dieſes Auffages gr 
en. 


im Jahre 1790. 221 


nach Ditteröbach bei Pirna gebracht, worin eine Auf: 
forderung an das damals gräflih Bünau’fche Vafallen- 
Rädtchen Zauenflein enthalten war, ſich auf eine Revo: 
Iution gefaßt zu machen, und an die 16 bis 18,000 
Bann anzufchließen, weiche mit fliegenden Bahnen und 
Mingmdem Spiele Üüber Dresden nach Pillnis ziehen und 
den Kurfürften in ihre Mitte nehmen würden, um ihn 
m Triumphe in Dresden einzuführen . Dem Kur 
fürften follten folgende Punkte vorgelegt werden: 1) Ab: 
ſetung Aller, welche Sachſen bisher „unglüdlih” ge 
macht Hätten, und nach Befinden Confiscation ihrer 
Güter; 2) Errichtung einer Nationalgarde zu Fuß und 
zu Pferde; 3) Veränderung des Accisweſens; 4) Be 
ſchränkung der Nittergutöbefiger, „damit fig Sachſen 
wicht zu einer Wüfte und Einöde der Gerechtigkeit ma- 
Gen”; 5) Aufhebung des Wildhegens; 6) Abſchaffung 
aller Juris Practici, die nicht wirkliche Gerichtsbeſtal⸗ 
lungen hätten; 7) Verfaffungsregeln für das geiflliche 
Minifterium; 8) Erinnerungen wegen der Fleiſch⸗ und 
Zrankſteuer. Jeder folle fih auf einige Zage mit Pro- 
wiont verfehen. Welcher Ort fich nicht anfchließe, Tolle 
geplündert werden. Sammelpläte ſeien Dohna nnd 
Aebſtadt. Man entdedte fehr bald den Weberbringer 
der Schrift in einem gewiffen Geißler aus Liebfladt, 
verhaftete ihn zu Pirna und brachte ihn (13. Juli) vor 
das Juſtizamt Dresben. Er hatte einen guten Leumund 
md der zu feiner Erploration berufene Arzt erklärte, 
daß er in einer firen Idee gehandelt habe. Go ward 
er als Irrer behandelt und nad) Torgau in Verwah⸗ 
rung gebracdht, von wo er 1809 entlaffen worden ift, 


— 


p Rachahmung des Zuges Ludwig's XVI. von Verſailles nad 
aris. 


222 Sceuen and den ſächſiſchen Banernnuruhen 


da man zu feiner langeren Zurüdhaltung gar feinen 
Grund fand. | | 

Ende Auguft ded Iahres 1790 traten nun, zunadft 
in der Lommatzſcher Gegend '), compacte Widerſetzlich⸗ 
keiten der Bauern gegen Frohnen und Hutungsgerecht⸗ 


fame auf. Die Bauern erffärten, fie wollten die fur | 


fürftlihen Abgaben gern bezahlen, nicht aber die gut 
berrlihen. Die leßteren feien, behaupteten fie, dem 
Adel auf 300 Jahre mitteld eined Privilegiums ertheilt 
worden, welches nun fchon feit 60 Jahren abgelaufen 
fi. Auch beriefen fie fi auf den herrſchenden Zutte: 
mangel ’).. Die Dorfichaften hielten eng zuſammen, 
ftanden in lebhaften Briefwechlel und hatten eine ge 
regelte Drganifation und Difeiplin eingeführt. Gewöhn⸗ 
lichen Diebftahl duldeten fie nicht, machten ſich abe 
fein Bedenken, die Gutsherren zum fchriftlichen Erlof 


der Frohnen ’), fowie ihre eigenen Standeögenoflen zur : 


Zheilnahme an ber Ungefeglichfeit zu zwingen. Uebr'⸗ 
. gend behaupteten fie, ed gefchehe Alles mit Vorwiſſen 


m Asıd 


ded Kurfürften, und die Langmuth, mit der die Regie 
rung dem XZreiben anfangs zufahb, mag diefe Meinung - 


unterftüßt haben. Endlich aber kam die Sache bis zur 
Mishandlung Lurfürftlicher Beamten‘), zur Entwaff 
nung eines Beinen Militairpoftens (in Peſchwitz) um 


1) Zuerft auf den Gütern eines Edelmannes, der mit feine 
Bauern in vielen Proceffen, namentlid aber in einem fehr alten 
und weitläufigen Hutungsproceffe lag, einftweilen aber im Pod 
der ftreitigen Gerechtſame war. 

2) Schon 1789 war die Ernte gering geweſen. 1790 trat gaͤnz⸗ 
her Waffermangel ein. Nur Thüringen hatte eine ausgezeichnet 

rnte. 

3) Nach und nah auch zu weiteren Conceſſionen, welche bewci⸗ 


fen, daß der Communismus nichts Neues iſt, 3. B. zur Abtretung 


von Feldern und Wieſen. 
4) Namentlich des oſchaher Amtmanns in Pinnewitz. 


im Jahre 1790. 223 


ir Sreimahung Verhafteter durch Deputationen von 
aufenden. Nun fchritt die Regierung ein, beauftragte 
ne, aus dem WVicefanzler, nachherigem Kanzler, Fried⸗ 
ch Adolph von Burgsdorf, und den Hof- und Juſti⸗ 
mräathen Karl Friedrich von Brand und Friedrich Bern: 
vwd von Watzdorf beftehende Commiffion mit Herſtel⸗ 
ng der Drdnung und ftellte ihr ein vom Generalma⸗ 
er Heinrich Adolph von Boblick befehligtes, aus 8 
eiterfchwadronen, 5 Bataillonen Fußvolk und 200 
renadieren beftehendes Zruppencorps zur Verfügung, 
38 fein Hauptquartier erft zu Meißen, dann zu Lom⸗ 
atzſch hatte, feine Abtheilungen aber bis an Die Ge- 
nden von Freiberg ’), Torgau und Leipzig entſendete. 
ft am 26. Auguft ward ein fcharfes Zumultmandat 
laflen und fhon am 5. Sept. Eonnte die Commiſſion 
n Aufftand für im Wefentlihen gedämpft und die 
ruppen, Die einen eigentlichen Kampf nicht zu beftehen 
habt hatten’), für größtentheild entbehrlich erklären, 
ie denn auch der größte Theil diefer Truppen fchon 
n 12. Sept. zurüdgezogen, die Commilfion aber am 
I. November wieder aufgelöft wurde. Es waren an 
OD Perſonen verhaftet worden, von denen 34 auf den 


1) Hier wurden auch dic Bergleute rebelliſch, ungeachtet ihre 
mptbeſchwerde aus dem Waſſermangel floß. Die Bewegung der 
:Sdorfer Bauern flug der General von Hiller lediglich durd ein 
iftiges Schreiben nieder. 

3) Bei Pinnewig Fam es zu cinem Verſuche einiges Widerftandes, 
» aber mit flachen Säbelhicben und unter großer Beluftigung der 
daten abgemadht wurde. Nur 8 Perfonen find auf offnem Felde 
fangen genommen worden. Der Anführer, ein alter 68jähriger 
inöler, der in der That feiner Zeit — voraus geweſen zu fein 
eint, fagte aber auch: „Einmal für die Bärenhäuter etwas ge⸗ 
gt, und nit wieder!” Bei Burgftäptel trieben 30 Küraffiere, 
ter dem Lieutenant von Lichtenhain, über 1200 Bauern und Bürs 
F, die fie mit Steinen und Sinitteln empfingen, mit Piftolen““"" 
ı und Säbeln auseinander. Das mar ver beftigfte Kampf. 


231 Scenen ans ben ſachſiſchen Banernunrufen 


Königftein kamen, aber bis zum letzten Detober 1781 
Alle wieder in Zreiheit gelegt wurden. Die 40 — 50 
Bauern, welche, troß gegen fie geübter Gewalt, alle 
Theilnahme am Aufftande verweigert hatten, erhielten 
Belohnungen in Medaillen und Gelb. 

Aus den wenig erheblichen Begebenheiten dieſer un- 
blutigen Infurrection ift und Doc eine Scene bezeich⸗ 
nend erfchienen, die fich in Hirfchftein bei Meißen, einem 
Gute des damaligen Gabinetsminifterd Grafen Loß (f 
S. 215), zutrug. Die zu diefem Gute gehörigen Bar- 
ern hatten gleichfalls die Abficht gehabt, ihrem Gerichti⸗ 
berrn die allgemeinen Forderungen vorzulegen und ihn 
zur Gewährung derfelben zu zwingen. Er hatte abe 
in feinen Geſchäften einen guten Grund, fih auch in 
dDiefer Zeit nicht auf feinem Gute einzufinden, und in 
Dresden hätte man nur mit demüthigen Bitten, nicht 
mit gewaltfamen Forderungen an ihn kommen Fünnen. 
Sie mußten ihn felbft in ihrer Mitte haben. Sie fie 
Ben ihm deshalb einen offenen Zettel zufommen, wort 
fie ihn aufforderten, zum 28. Auguft ſich in Hirfchftein 
einzufinden, widrigenfalld er „ſehen werde, wie es feinem 
Bute ergehen würde.” Statt feiner erichien an dem 
bezeichneten Tage von der einen Seite eine hohe Com 
miffion, aus dem BVicefanzler von Burgsdorf, dem Hof 
rath von Watzdorf und dem Kreisamtmann zu Meißen, 
Hofrath von Welck beftehend, von der andern ein Com 
mando von SO Dragonern, 200 Mann Infanterie und 
einem Feldflüd. Das Commando hatte die Drdre zum 
Aufbruch in der Nacht in Meißen durch Eftafette erhal 
ten und war um 2 Uhr ded Morgens durch General 
marſch aufgeboten worden. Bet dem erften Trommel. 
ſchlage hörte man in der Gegend einen flarfen Schuß, 
wahrfcheinlich aus einem MWeinbergsböller, den man für 


im Jahre 1790. 225 


nen Signalſchuß der Bauern hielt. Kurz vor Hirfch- 
kin fah man einen Trupp Menfchen, welche ſich plög- 
ch nach allen Richtungen zerftreuten. Man nahm an, 
aß diefelben zu den verfchiedenen Gemeinden geeilt 
ien, um fie zu warnen, nicht zu dem verabrebeten 
ufammentreffen zu ericheinen. 

In der That zeigte fich Fein einziger der Bauern 
uf dem Schloſſe. Nun aber wurden fie geladen, fich 
afelbft einzufinden, und zwar fendete man an jede &e- 
weinde einige Dragoner ab, die ihnen ein möglichft zahl- 
eiches Erſcheinen anzuempfehlen hatten, weil der Vice⸗ 
inzler ihnen im Namen ihres Landesheren etwas be- 
annt zu machen und außerdem den Auftrag habe, im 
tamen ihrer Gerichtsherrſchaft über gewifle Dinge mit 
men zu fprechen. Die Bauern fanden fich bei alle dem 
ur langſam und fpärlich ein. Der Vicefanzler wartete, 
is fich eine hinlängliche Anzahl zufammengefunden habe, 
ad unterhielt fich einftweilen freundlich mit den bereits 
Inwefenden. Auf feine Frage: wie fie fo auf einmal 
uf folhe wunderlihe Dinge hätten verfallen Tonnen, 
agte ein alter Mann: „Das willen wir felber nicht jo 
anz reht. Es muß doch Gottes Wille fein, daß Die 
Bauern auch einmal frei werben follen; fonft wäre «8 
pol nicht fo gefhwind und fo einftimmig ‚sugegangen, 
18 wenn ed längſt verabredet geweien wäre.” Der 
Beefanzler erwiderte ihm, daß Gott niemals zu wider- 
echtlichen Handlungen feinen Segen gebe, und verfi- 
yerte ihm, daß es anders kommen werde, als fie daͤch⸗ 
en; worin er auch Recht gehabt bat, während Gott 
5 doch fo gefügt bat, daß die Bauern 42 Jahre fpäter 
ie Freiheit erhielten, fih auf rechtliche Weiſe ihrer 
aſten zu entledigen. 

Nachdem endlih von jeber Gemeinde wenigftenä 

10 * 





7 
| 
i 
| 
H 





— 
n 
et 


meinden auf. Als fie in den Schloßhof hineingezogen 
wurden, wurde der äußere Eingang zu dieſem mit # 
Mann Soldaten befekt. Einige Drdonanzdragoner hie 
ten Im Schloßhofe, der Befehle des Wicefanzlerd ge 
wä 


Bei dem Erſcheinen des Vicekanzlers auf dem U 
tane zogen die Bauern ihre Müten und Hüte ab und 
es trat tiefed Schweigen ein. Er hielt nun eine Tange 


im Sabre 1790. 227 


Anrede an fie, in deren Eingange er unter Anderm 
agte: ‚Kinder! wenn ihr bedacht hättet, wie viel Mühe 
ich euer gnädiger Landesfürſt gegeben hat, euch, die er 
vie feine Kinder liebt, den goldenen Frieden zu erhal- 
en, fo würdet ihr gewiß nie auf Dinge verfallen fein, 
velche fein gegen euch väterlich gefinntes Herz fo fehr 
betrüben. Ihre würdet ihn nie in Die unangenehme 
Rothwendigkeit gefeßt haben, feine eigenen Truppen, die 
nur gegen auswärtige Feinde zu fechten beftimmt find, 
zegen euch felbft zu gebrauchen, um euch mit Gewalt 
zu denjenigen Pflichten wieder anzubalten, welche euch 
doch von euern Voreltern angeerbt '), durch Landesver⸗ 
faſſung und Geſetze beftätigt und unabänderlich ’) ge- 
macht worden find. Ihr würdet euch nicht zu jener 
ſtrafbaren und thörichten Seibfthilfe durch fo geringe ’) 
Urſachen baben verleiten laffen, und würdet nie Die 
glückliche Ruhe, welche Diefes Land unter der weifen 
Regierung eines jo gütigen Kurfürften eine lange Reihe 
von Jahren bereitd genofjen hat, durch euern Ungehor⸗ 
fam und muthwillige Ausichweifungen geftört haben. 


1) Diefer Troft mit fo ſchlimmer Erbſchaft wird ſchwerlich ver⸗ 
fangen haben. Beſſer vielleiht, wenn ihnen audeinandergefegt wor⸗ 
den wäre, daß ihnen bei Ankauf oder fonftiger Uebernahme ihrer 
Gäter die darauf ruhenden Laſten angerechnet worden wären und flc 
wm derfelben willen die Güter zu mwohlfeilerem Preiſe erhalten hät⸗ 
tr. Auch hätte man fie an den allbefannten, aber täglich vergeffe- 
wen Spruch erinnern mögen: „Was du nicht wilft, Daß man dir 
te’, das füg’ auch keinem Andern zu.’ 

J) Das wäre denn eben dad Uebel geweſen. Es war übrigens 
felbft damals nit einmal wahr. Im Wege freier Uebereinkunft 
unten aud damals dieſe Laften abgelöft und befeitigt werden. 
Kine ſolche Ablöſung gelang am 26. Dct. 1793 in dem zum Ritter: 
gut Krausnig im Amte Großenhain gehörigen Dorfe Kaundorf, def: 
fm Befiger der Hauptmann. von Süßmilch war. Diefe Beifpicle 
waren freilich fehr felten. 

3) Das war 1790 freilich nit fo wahr, wie 1848. 


228 Scenen aus den ſächſiſchen Beretnuuruhen 


Aber ihr ſeid verblendet, verfuͤhrt und bethört worden.” 
Er ging nun ind Gingefne ein und ftellte den Leuten 
die unftreitige Unbilligfeit und Ungereimtheit ihrer For⸗ 
derungen fo lebhaft vor Augen, daß Viele bis zu Thrä⸗ 


nen gerührt worden fein follen und man, nach der Ver - 


fiherung eined Augenzeugen, auf allen Gefichtern Ye 
berzeugung, Reue und Scham bemerken Eonnte. Hier: 
auf. machte er ihnen die Beflimmung und die auögebehnte 
Vollmacht der Commilfion bekannt, welche, nad Be 


finden der Umftände, ohne weitere Anfrage felbft am : 
Leben ftrafen könne, und ließ dann durch den Kreisamt: 


mann dad gegen die Zumultuanten ergangene gehar 
nifchte Patent vom 26. Auguft verlefen. Er fuhr nun 
folgender Weife fort: „Kehrt nun wieder zu euern 0% 
rigen Pflichten zurüd, lieben Leute! Gelobet mir durd 
einen Handſchlag an, daß ihr von morgen an eure 
Dienfte, wie ihr fie vorher geleiftet habt, wieder erfül 
len und eurer vorgejegten Obrigkeit in allem wieder voll 
fommenen Gehorjam leiften wolle. Setzt mich nicht in 
die unangenehme Nothwendigfeit, von der mir von un 
fern Landesheren übertragenen Gewalt Gebrauch zu 
machen. Seht, Kinder! ihr feid die erfte Gemeinde, zu 
welcher ich gefommen bin. Ich habe euch gewählt, wei 
ih euch für die vernünftigflen gehalten habe '), So 
verdient nun auch dieſes Zutrauen, und macht unferm 
gnädigften Kurfürften, eurer Gerichtsherrſchaft und mir, 
eurem Zreunde, das Vergnügen, euch felbft aber di 
Ehre, daß ihr auch die erfle Gemeinde feid, welche ohne 


1) Hier erlaubte fih der Herr Bicefanzler doch wel eine licentis 
oratorica. Abgefehen davon, Daß es ihm ſchwer gefallen fein dürfte, 
anzugeben, warum er gerade die Hirfchfteiner Bauern für die ver 
nünftigften halte, Pam er doch wol zu Ihnen zuerft, meil fie ihren 
Gerichtsherrn, unter Drohungen, auf diefen Tag vorgeladen hatten 
und wol aud, weil diefer Gerichtsherr Minifter war. 





im Sabre 1790. | 229 


Zwangsmittel wieder zu ihren vorigen Pflichten zurüd- 
ehrt. Gebt den übrigen verblendeten und verirrten Un⸗ 
ertbanen ein gutes Beiſpiel. Iſt dies euer ernfllicher 
reier Wille, jo antwortet mit einem lauten Ja.” Dies 
es erfolgte einftimmig, jedoch nicht eben allzu laut, mag 
lo doch wol den guten Xeuten, die fich nicht gedacht 
hatten, daß ihre fanguinifhen Zraume ſich als fo gänz- 
ich eitel ergeben würden, etwas fauer angekommen fein. 
Run flieg Mann für Mann die eine Treppe hinan, gab 
dem Vicekanzler den verlangten Handfchlag und ging 
u der andern Zreppe wieder hinunter. 

Bis Hierher ging alfo alles ganz glatt und hatte 
auch der Herr Vicefanzler noch gar nicht auf einen Un- 
terfchieb unter den vor ihm Verſammelten hingedeutet. 
Jetzt aber flellte er ein Verlangen, was den ehrlichen 
Bauern doch nicht in den Sinn wollte und was zu: 
gleich zeigte, daß er fie keinesweges alle für gute Kin- 
der hielt und keinesweges alles vergeben und vergefjen 
wollte. Er fprach zu ihnen: „Ihr habt mir, meine 
Kinder, jebt eine große Freude gemacht; ich danke euch 
dafür und verfichere, daB ich mich euch bei jeder Gele: . 
genheit gefällig zeigen werde. Eurer künftigen Rube 
md Glückſeligkeit wegen ift es aber nüthig, daß dieje- 
nigen böfen Menſchen, die euch durch ihren übeln Rath 
zu folchen unbilligen und ungereimten Handlungen ver- 
leitet Haben, von euch entfernt werden. Ich bitte euch 
daher, um eurer eignen Wohlfahrt und künftigen Rube 
willen, zeigt mir dieſe unruhigen, übeldentenden Men: 
den an.” Er machte eine erwartungsvolle Paufe, aber 
ed ſchwieg. „Nun — will Niemand reden? Ich 
fordere Diefes als die erfte Probe eures mir fo eben von 
neuem angelobten Gehorſams. — Noch immer alles 
file? — Wer waren denn Diejenigen, welche euch zu⸗ 


230 Scenen and ben ſächſiſchen Bauernunruhen 


erft aufammenberiefen, in ihren Häufern heimliche Ju: 
fammenkünfte hielten, euch zu bereden fuchten, eure 
Guts⸗ und Gerichtsherrſchaft alle Dienfte und allen Ge 
borfam förmlich aufzufagen? Wer unter euch bat bie 
deswegen gemachten Schriften zuerft abgefaßt? — So 
habt euch Doch felbft Tieb, Tieben Leute! Wenn man 
fih aus dem Grunde curiren will, jo muß man di 
böfen Säfte und Unreinigkeiten aud dem Körper ſchaf 
fen, welche die Veranlaffungen zu gefährlichen Krank 
beiten gegeben hatten. Ebenfo ift es mit euch. Ihr 


—_....- 


werdet nie ganz ruhig, nie ganz glüdlich werden, fe : 
lange ihr die böfen, ſchädlichen Menichen unter ud : 
duldet“). Indeß Fein Bauer wollte zum Angeber fe 


ner Nachbarn werden, was man fi) um fo mehr vor 


ausfagen Fonnte, ald ein ſolches Angeben offen vor " 


allen Xeuten erfolgen follte. Nach einiger Paufe fuht 
der Vicefanzler fort: „Nun, wenn ihr euch das Ver 


dienft, die böjen Menſchen felbft angegeben zu haben, . 


nicht felbft erwerben wollt, wozu ich euch bie fchönft 
Gelegenheit gab, fo will ich fie euch felbft nennen und 
euch überführen, daß und alles befannt ift, was unte 
euch vorgegangen, und nichts unbekannt bleiben wird, 
was ihr etwa in Zufunft vornehmen werdet.“ 

Er nannte nun zuerft den Richter zu Bahre mit 
Vor: und Zunamen. Als diefer mit zitternder Stimmt 
fih meldete, hieß es: „Ihr feid arretirt; Drage 
ner, nehmt ihn einftweilen in Werwahrung.” Gin 
Unteroffizier führte ihn zwifchen zwei Dragoner, die ihre 
Säbel blanf zogen. Nun kam großer Schreden übe 
bie Bauern, von denen Keiner ficher fein mochte, ob 


| I) Und do hatten dieſe böfen, ſchädlichen Menſchen auch ihren 
Handfälag gegeben und waren als liebe Kinder belobt und verbanft 
worden! 


im Jahre 17, al 


sucht Die Reihe auch an ihn fommen werte, da in der 
Chat in diefer Sache von eigentlichen Verführern und 
Räbelsführern wol fchwerlich die Rede fein konnte. Der 
Bicefanzler nannte noch einen Zweiten, der fich zwar 
nicht zu erkennen geben wollte, aber bald entdedt und 
wm dem bereits Verhafteten geftellt ward. Ein Dritter 
war in der That nicht zugegen, wurde aber fofort 
durch einige Dragoner geholt. Er wollte gleich die 
Treppe binaufgeben und den Vicekanzler um Gnade 
bitten; aber diefer wies ihn mit folgenden Worten ab: 
Ihr hieltet's vorhin nicht für nöthig, mit mir zu ſpre⸗ 
den, da ich euer Erfcheinen befohlen hatte; nun habe 
ich auch Feine Zeit, mit euch zu fprechen.” 

Die Herzen der übrigen, noch ängſtlich barrenden 
Bauern erleichterte der Vicekanzler barauf durch folgende 
Eklärung: „Dit diefen Dreien mag es genug fein. Ihr 
ſeid zwar Alle ftrafbar, und ich könnte noch Manchen 
zu einer befonderen Züchtigung und zu einem warnen» 
den Beifpiele für die Andern auswählen; aber ich will 
Keinen von euch weiter unglüclich machen. Erwartet 
an in ruhiger Gelafienbeit, was die Gnade des Kur⸗ 
fürften und eine weiſe Landesregierung zu eurem Beften 
md zum Wohle des ganzen Landes weiter verfügen 
wird '). Habt ihr in der That gegründete Befchwerben, 
ſo laßt fie durch einen geſchickten Rechtsgelehrten ordent⸗ 
lih aufſetzen und bringt fie am gehörigen Orte an. Der 
Gedanke ftrafbarer Selbfthilfe fei von nun an auf ewig 


1) Auf eine wahrhaft weife Anordnung zu ihrem und des Landes 
mußten fie freilih noh 42 Jahre warten. Bor der Hand 
Wurden nur die Behoͤrden zu möglihfter Beſchleunigung ber zwiſchen 
„wbrigkeiten und Unterthanen“ anbängigen Proceffe und „moͤglichſt 
irzliher, den Rechten und der Billigfeit gemäßer Grörterung und 
end der fi fofort gegründet darftellenden Beſchwerden“ ans 
ewieſen. 


232 Scenen and den ſächſiſchen Bauernunruhen 


aus euern Herzen verbannt; laßt der Gerechtigkeit ihren 
Lauf und beobachtet pünktlich die einmal angenommenen 
Sefete und Gebräuche. Ihr feht in mir den Wicefany 
fer der Landesregierung, welches hohe Collegium auf 
die Wohlfahrt des Bauernflandes jederzeit Die größte 
Rückſicht genommen bat’) und auch in der Zukunft 
nehmen wird.” 

Er fragte hierauf: „Habt ihr wider euren Gericht 
herrn Beichwerden anzubringen?” Die allgemeine Ant 
wort war: „Nein, wir können uns in feinem Stücke 
über unfern gnädigen Herrn beflagen; aber über ben 
Pachter haben wir allerdings verfchiedene Klagen zu 
führen.” Nun erhoben ſich auf einmal fo viele Stim 
men, daß man feine vor der andern verftehen konnte. 
Auch wider den Gerichtöhalter brachten Einige etwas 
an; aber man Eonnte nicht8 Deutliches vernehmen. Der 
Vicefanzler aber fagte: „Kinder, bie Zeit iſt jegt zu 
kurz, und ich Fann das nicht alles im Gedächtniß be 
halten. Laßt alles ordentlich auflegen und ſchickt es ber 
Landesregierung, wo alled gehörig unterfucht werden 
wird. Nur müßt ihr Geduld haben; denn auf einmal 
kann nicht gleich Allen geholfen werden.” 

Er fagte nun noch: „Ich habe nun noch eine Frage 
an euch zu thun, und ich bitte euch, mir biefelbe mit 
Aufrichtigkeit zu beantworten. Wer unter euch hat die 
fen unverfchämten Zettel, welchen ihr an euren Gerichti⸗ 
beren geſchickt und ihn ordentlich wie einen Verbrecher 


1) Dies war infofern wahr, als vie Landesregierung in MI 
That darauf hielt, daß von den Bauern nit mehr gefordert wurd, 
als ihnen rechtlich oblag. Aber es lag nicht in der Sphäre dieſch 
Gollegiums, fi über ‘den Stanppunft des erworbenen Kteqhto iM 
einer rechtlichen Audgleihung und Befeitigung des ganzen 
niffes zu erheben. Die Beſchwerden, um die es ſich handelte, hebe 
das Collegium noch überlebt. 


im Jahre 1790. 233 


orgeladen habt, gefchrieben? Sagt mir das. Euer gü- 
ger Gerichtöherr verzeiht dem unbefonnenen Schreiber 
iefe grobe Unverfchämtheit. Ich verfpreche euch daher, daß 
em Menfchen nichts zu Leide geſchehen foll; aber für die 
weunft ift es doch nöthig, DaB man ihn jeht Fennen 
ent und vor weiteren Xhorheiten warnt.” Anfangs 
pollte Niemand mit der Sprache heraus; endlich, auf 
yeitered Bitten und Anhalten, fagte eine Stimme: 
Der Schulmeifter hat diefen Zettel gefchrieben.” Heut: 
utage würde das dem Vicekanzler nicht fehr befrembdend 
rigienen fein. Die damaligen Schulmeifter aber waren 
jöchftend Schreiber, felten Rathgeber, viel weniger Ver: 
yeßer ihrer Bauern, und fo fagte er: „Ei ei, ich kann 
nie nicht vorftellen, daB der Kinderlehrer folche Dinge 
von freien Stüden unternommen haben follte. Ihr 
werdet ihn wol genöthigt haben, den Zettel zu fchrei- 
ben; wenigftend werdet ihr ihm vordictirt haben. Wer 
iſt das geweſen? Das werdet ihr wol gewefen fein‘ — 
bier nannte er einen der verhafteten Bauern — „ihr 
habt gewiß dem Schulmeifter dieſen unfinnigen Zettel 
dittirt.“ Der Bauer entgegnete trogig: „Ich kann nicht 
dictiren, denn ich habe es nicht gelernt.“ 

Endlich ſchloß der Vicefanzler, den Punkt mit dem 
Zettel auf weitere Unterfuchung verweifend, mit den 
Borten: „Nun, Kinder, geht wieder in eure Wohnun- 
gen zurück, und fucht von morgen an durch den puünkt⸗ 
lichſten Gehorſam gegen eure vorgefeßte Obrigkeit und 
durch die genauefte Erfüllung eurer Pflichten eure ge 
machten Fehler wieder gutzumaden, in die Vergeſſen⸗ 
beit zu bringen und euch der Tandesväterlihen Gnade 
md Huld des vortrefflichften Kurfürften wieder ganz 
würdig zu machen.” Die Bauern wurden nun entlaf- 
fen, die drei Verhafteten aber auf die Wache gebracht. 


234 Scenen aus ben ſächſiſchen Bauernunruhen 


Die Richter (Schultheißen) erhielten. jeder ein Eremplar 
bed ergangenen Patents, um es öffentlich anzufchlagen, 
wurden auch noch mündlich inftruirt, wie fie fich ferner 
bin zu verhalten hatten. Auf Anordnung des Comman 
danten hatte ein Offizier den vor dem Schloßthore la 
gernden Soldaten, damit fie Die fortgehenden Bauen 
nicht etwa infultirten, den Hergang der .Sache erzählt, 


- worauf fie in ein Freudengeichrei ausbrachen. Als nu 


vollends einige Tonnen Bier gebracht wurden, trank 
fie fröhlich auf die Gefundheit des Vicekanzlers und 
kamen auch den fich fchüchtern fortfchleichenden Bauer 
mit vollen Feldflafchendedeln entgegen, worauf fich denn 
bald alles in Friede, Freundſchaft und Fröhlichkeit unter 
Soldaten und Bauern auflöfte. Noch am Nachmittag 
deſſelben Tages kehrte Dad Commando wieder in feine 
Standquartiere zurüd und nahm feine Arreftanten mit 


— — — — — — —— —— 


Außer Zuſammenhang mit jenen Bewegungen in 
der meißen-lommabfcher Gegend ſtand ein anderer Ad 
bauerlicher Selbfthilfe, der fich Furz vor diefen Vorgän- 
gen in dem in der fogenannten fachfifchen Schweiz ge 
legenen Amte. Hohenftein zutrug und zu welchem de 
Sagdbeifhwerden Anlaß gaben. Diefe hatten in 
Sachſen freilich lange nicht mehr den Charakter em 
früheren Zeit, und wenn auch der damalige Kurfürk 
perfünlich ein Sreund der Jagd war, fo ging er bed 
diefem Vergnügen meift nur in beftimmten Gegenden 
nach, welche von ihrer Auswahl dazu anderweit großen 
Nugen zogen, bielt übrigens Feine Parforcejagden, wi 

noch der gleichwol allgeliebte Water Franz von Deſſau 
und fparte Fein Geld, den auf Anlaß feiner Riehhabern 


im Jahre 1790. 235 


etwa entflandenen Schaden jo reichlich zu vergüten, daß 
Güter, die ſolchem Turfürftlichen Wildfchaden ausgeſetzt 
weren, oft gerade beshalb höher im Preiſe fanden. 
Hörte er aud anderen Gegenden Klagen über zu großen 
Wildſtand, fo flellte er zu deflen Verminderung große 
Jagden an, fand aber dann öfters, daß die Befchwer- 
den fehr übertrieben gewefen '). Richtig aber war es, 
daß bei den damaligen Zorftleuten, im Gegenfabe zu 
der ſpäteren Zeit, Die Jagd noch über der Waldcultur 
ſtand, das Wild ihre Liebhaberei war und ihr Stand 
fh als ein vom Kurfürften begünftigter fühlte. In 
der hohenſteiner Gegend hatte nun in jenem Jahre ein 
Bauer ein Stüd Feld umzäunt, um ed gegen Das Wild 
zu Ihügen. Dazu war er volllommen berechtigt; nur 
durfte die Umzäunung nicht aus fpigigen Pfählen be- 
fithen, oder mußte eine beftimmte Höhe haben, damit 
das Wild das Ueberfegen gar nicht wagen, oder wenn 
ed gleichwol darüber febte, fich nicht ſpießen könne. Sei 
es nun, Daß er diefe Vorfchriften nicht beachtet, oder 
daß Chicane und Feindichaft im Spiele gewefen, ber 
Bauer fand eined Tages jene Umzäunung eingeriffen 
md das Wild Hatte Died zum Schaden feines Zeldes 
benußt. Er gab dem ihm feindlichen Forftbeamten die 
Schuld und ward durch feine bittern Beſchwerden 
gar Urfache, daß 14 Dorfihaften im Amte Hohenftein 


IJ) Möglich freilih, daß es ihm gegangen ift, mie dem Herzog 
Jeſeph von Altenburg, welcher, auf oͤftere Beſchwerden aus den 
wettihen Gegenden feines Landes über zu großen Wilpftand, dic 
enfteften Befehle ergehen und endlich durch einen erfahrenen und 
dvöig unparteiifchen Zorftmann aus dem Auslande die Sache unter: 
fagen lich, aber zu feiner Berwunderung erfahren mußte, daß die 
deſchwerden gänzlih ungegründet feien und der Wildſtand über: 
taſchend niedrig wäre. Weder der Herzog, nod jener Ausländer 
Baßten, daß immer die Naht, bevor der Letztere in ein Revier Pam, 
daß Wild in ein andres getrieben worden mar! 


236 Scenen aus den ſäachſiſchen Banuernunrnhen 


fi) zu dem Entſchluſſe vereinigten, an Einem Ta 
Wild von ihren Fluren wegzujagen. Aus jedem 
ward ein Dann dazu aufgeboten und die Sache 
That, allen Abmahnungen der Obrigfeiten und der 
beamten zum Trotze, ausgeführt. Gegen einige % 
amte kamen Ercefle vor. Das Wild warb von ben 
Verfchworenen blos verjagt, aber nicht erlegt. Na 
aber hielten ſich nun die Beftger derjenigen Flure 
welche ed gejagt worden, auch berechtigt, ed wei 
fheuchen, und fo verpflanzte ſich dieſe Wildvertr 
aus einer Gegend zur andern, wobei ed denn 
auch zu mehr als bloßem Verjagen des Wildes 1 
Die Sache machte viel Aufſehen. Manche St 
verlangten gänzliche Ausrottung des Wildes, 
ſtrengſte Aufrechthaltung der Jagdgeſetze und $ 
fung des gegen fie begangenen Frevels. Der K 
ließ zuvörderſt die Beſchwerden gründlich unter 
und als er erfuhr, daB fie zwar fehr übertrieben 
doch nicht völlig grundlos feien, fo ordnete er | 
allgemeine große Zreiben und Jagden an, bei 
alles Wild ohne Rüdficht niedergefchoflen werder 
Es ward zur Anzeige‘ aller Wildſchäden aufgef 
Alles eigenmächtige Iagen, Treiben und Schießen 
ernftlih und bei Strafe unterfagt. Wenn die Laı 
ein ſchädliches ausgetretenes Stück Wild bemerkt 
ſollten ſie es dem Jäger ſogleich anzeigen, damit 
wegſchieße. Die Forſtbedienten erhielten die gem 
Anweiſung, zu feiner gegründeten Beſchwerde! 
zu geben. Bei den Jagden, welche lange vor | 
wöhnlichen Sagdzeit gehalten wurden, durften die 
leute jelbft mit helfen und thaten dies mit großem 
Doh mußte man, weil im Anfange einige Str 
ten zwifchen den Bauern und den Forftbeamten 


im Sabre 1790. 237 


fallen waren, fpäter zu jeder Jagd ein Detachement Reiter 
beigeben. Uebrigens fand man auch dies mal bei weitem 
richt fowiel Wild, ald man erwartet hatte Beſtraft 
wurde aber Niemand; vielmehr begnadigte der Kurfürft 
die dem Geſetze nach allerdings ftrafbaren Anftifter und 
Theilnehmer jener Selbfthilfe gänzlich '). 





1) &. von Liebenroth, Zragmente aus meinem Tagebuche 
(Dresden und Leipzig, 1791) I, 120 fg., Il, 228 fo. 


VI. Karl Gottlob von Nüßler 9. 


Ein Beitrag zur Sittengefhichte des bentfchen Hof⸗ und 
Beamtenwefend. 


Der Sohn eines in der Schlacht auf dem weißen Berge, 
oder in Folge derfelben umgekommenen böhmifchen Obri- 
ften war nach Schlefien und der Oberlauft geflüchtet 
und hatte dafelbft feinen czechiichen Namen mit dem 
deutfchen Nüßler von Nüßler vertaufcht. Sein Ente, 
Johann Gottlob, war Dr. der Medicin, Eaiferlicher Pfalz 
graf, Rath, Leib- und Hofarzt des Fürften Ferdinand 
Auguft Leopold von Lobfowig ’), Phyficus zu Sagan 
und Mitglied der Leopoldinifchen Akademie. Sein Tod 
fol durd) den zweiten Sohn ’) diefes Fürften bewirkt 
worden fein. Diefer war wider feinen Wunfch zum 
geiftlichen Stande beftimmt worden. Nun follen die 
Jeſuiten, welche bereitö vergeblich verfucht hätten, Nüß- 


1) Erläuterter Auszug aus Büſching's Leben dieſes Mannes. 

2) Geb. 7. Scyt. 1655, kaiſerl. wirklider Geheimerrath und 
Principals Gommiffarius auf dem Reichsſtage zu Negendburg, T 
3. Oct. 1715. 

3) Wird Georg Chriftian, Sohn des Dbigen und der Prinzeſſin 
Maria Anna Wilhelmine von Baden, gemwefen fein. Geb. 10. Au 
guft 1686, + er als Ritter des goldenen Vließes, k. k. wirklider 
Fa Generalfeldmarfhall und Gommandirenver in Ungam 

ct. 175 


Karl Gottlob von Rüßler. 389 


vergiften, dem Prinzen vorgefpiegelt haben, Nüß- 
ber Urheber jened dem Prinzen fo unangenehmen 
end. Der Prinz vermochte den großen Eugen 
avoyen, fich für ihn bei dem Fürſten zu verwen- 
id Nüßler unterftüßte das Gefuch, aber der Fürft 
fl. Nun gab Eugen dem Prinzen ohne weiteres 
mpagnie Dragoner und half ihm auch fpater zu 
Resimente. Der Vater konnte das nicht hindern, 
er dem Prinzen Fein Geld und auch davon wurde 
yuld auf Nüßler gefhoben. 1711 fand der Prinz 
nem Negimente bei Grünberg und ließ Nüßler 
en Befuch bitten, da er nicht wohl fei. Nüßler 
ch fogleich, in Begleitung ſeines zweiten, da⸗ 
bjährigen Sohnes Friedrih, zu ihm. Er ward 
rundlich empfangen, fand aber den Prinzen wohl 
uhr von ihm, daß er ihn nur babe fehen und 
egiment zeigen wollen. Died rüdte am andern 
a8 und der Prinz fragte Nüßler, ob er mit ihm 
volle. Diefe Einladung nahm Nüßler, der ein 
Reiter zu fein glaubte, mit Vergnügen an. Jetzt 
a. nun der Stallmeifter des Prinzen, ein vertrau: 
und des fefuitifchen Beichtvaters, ein Pferd zu: 
haben, das den Koller gehabt und bereitd einem 
dab Leben gefoftet. Dies ging denn, fobald das 
‘anfing, richtig mit ihm durch und warf ihn der⸗ 
ab, daß er für todt aufgehoben wurde und einige 
m darauf, am 16. Auguſt, verfchieb, nachdem er 
ulten, Die ihm Die letzte Delung reichen wollten, 
Zeichen abgewieſen. Der Prinz ließ das tolle 
todtſchießen. An der Sache ift jedenfalls wahr, 
e Dr. von Nüßler an den Folgen ded Sturzes 
vom wilden Pferde geſtorben ift und möglich ift 
ß dabei von Seiten bed Prinzen eine Neckerei 


240 Karl Gottlob von RMler. 


beabfichtigt wurde; unmwahrfcheinfich Dagegen, daß Nüf- 
ler's Tod in der Abficht des Prinzen, oder auch nur 
der Iefuiten gelegen. Wäre das Pferd als ein fo völ⸗ 
fig unreitbares, feinem Reiter einen unfehlbaren Tod 
drohendes bekannt geweien, fo hätte der Prinz es wol 
längſt befeitigen Laflen. Der Verunglüdte ward in be 
evangelifchen Kirche zu Sagan begraben, wo ihm ein 
fteinerned Denkmal mit feinem Bildniß und Wappen 
errichtet ift. Er hinterließ eine Witwe, Johanna He- 
wig, geborene von Myngen, und vier Söhne: 1) Jo⸗ 
hann Marimilian, damals bei dem Rector Hoffmann in 
Görlitz in Penfion, fpäter fächfifcher Offizier und al 
Hauptmann bei den Klingenbergifchen Dragonern 17% 
an einer Wunde geftorben, die er bei einem Ausfall 
aus Krakau erhalten '); 2) Johann. Friedrich, 1759 ald 
hollaͤndiſcher Obriftlieutenant im Haag verftorben; 3) Karl 
Gottlob; 4) Erdmann Ferdinand, welcher 1734 als 
Hauptmann bei der fächfiichen EChevaliergarde mit Tore 
abging. Die Mutter verließ, aus Furcht, daB man eine 
katholiſche Erziehung ihrer Kinder erzwingen möchte, 
Sagan in einer Gewitternacht heimlich und ging nad 
der Niederlaufiß, wo fie Capitalien ftehen hatte und ik 
weiteres Leben verbracht bat. 

Karl Gottlob von Nüßler, ihr dritter Sohn, war am 
8. Mai 1697 zu Sagan geboren und in ber katholiſchen 
Auguftinerfirche getauft worden. Der Vater, vielfad 
auswärts, felbft in Wien beichäftigt, überließ die Sorge 
für die Kinder gänzlich der Mutter. Dem verfiebten 
Charakter feiner Amme hat Nüßler feine ſpätere entipre 
chende Neigung zugeichrieben. Die Kinder hatten ven 
1) Gr war mit Zohanna von Gerddorf verheirathet, die er Aid, 
wie wir fehen werden, erfämpfen mußte, und brachte durch fie ober⸗ 
laufigifhe Güter an tie Familie. 


Karl Gottlob von Rüßler. 241 


ſchiedene Haußlehrer, worunter Iohann Georg Heinfius, 
nachher Profeſſor erft zu Iena, dann zu Reval (+ 1733), 
dee Tüchtigſte. Karl ftand im Alter von 10—12 Jahren, 
ds er einmal auf den Einfall gerieth., ohne Vorwiſſen 
fäner Familie nach Breslau zu gehen, was er auch mit 
wenigen Thalern ausführte, feinen Weg über Liegnig 
nahm und fi) unterweges alles beſah und auffchrieb. 
Ws er in Breslau die Sefuitenkirche befah, Fam ein kai⸗ 
ſerlicher Offizier auf ihn zu, küßte ihn und gab fich ale 
nen ehemaligen Bedienten des Nüßler'ſchen Haufes zu 
erkennen, den der Vater an das Robkowigifche Regiment 
empfohlen und der durch feine Gefchichlichfeit im Schrei- 
ben bis zum Adjutanten geftiegen ſei. Ein hinzufom- 
menber Iejuit, dem der Name des Knaben genannt 
wurde, fagte gleich, daB der Pater Rector des Cole 
zu Sagan bereitd gefchrieben habe, ed werde ein 

Knd dieſes Namens vermißt. Der Knabe machte fo: 
die Lüge: er fei von feinen Eltern hierher auf 
evangeliihe Magdalenengymnafium zu dem Rector 
Granz geſchickt worden; vielleicht aber fei ihm fein jüng⸗ 
fer Bruder, der ihn fehr liebe, nachgegangen. Dem 
Offizier geftand er aber nachher, auf freundliche An⸗ 
ſprache, den wahren Sachverhalt, worauf ihm diefer 
zwar einen erbetenen Ducaten lieh, ihm aber ehr ver- 
minftig erflärte, daß er ihn nicht allein zurüdkeifen laſ⸗ 
fm könne. Da aber eine Einladung von dem Pater Rec- 
ter der Sefuiten dem Knaben Furcht machte, fo entfloh er, 
mit Zurüdlaflung feines Manteld, und blieb die Nacht 
bei einem evangelifchen Schufmeifter am Zuße des Zobten- 
berges, bei dem er fich für einen evangeliſchen Schüler 
aus Breslau audgab, der auf die hirfchberger Schule 
sole. Er beſah ſich andern Tages den Zobtenberg 
md dann die Merkwürdigkeiten von Hirfchberg. Hier 

J. | 11 


242 Karl Gottlob von Nüßler. 


war die Wirthin eines Weinhändlerd Tochter aus Sa 
gan und wollte in einigen Tagen dorthin reifen. Er 
erbot ſich zum Reifegefährten und machte einflweilen in 
Geſellſchaft eines alten Mannes einen Ausflug nad 
dem birfchberger Bade und der Schneekoppe. Als er 
ſich Sagan näherte, kam erft die Angſt; indeß be 
Freude feiner Mutter und feines Lehrers Heinfius über 
feine Rückkehr erfparte ihm die Strafe. 

1718 bezog er die Univerfität Iena, wo er, wie 
fein früher dahin abgegangener Bruder Friedrich, unter 
der Aufficht ihres alten Lehrers Heinfius fand, de 
eben mit Zriedrich nach Iena gefommen war. Nachher 
wollte fich Friedrich dieſer Aufficht entziehen und lebte 
in der wilden Weife der damaligen Ienenfer, weshalb 
ihn feine Mutter, auf Heinfius’ Weranlaffung, nad 
Holland fchiete, dem jüngern Nuͤßler aber ein frommer 
Zheolog zum Stubengefellen gegeben ward, deſſen pl 
ficher Tod ihn tief ergriff. Später ging er nach Leipyz, 
wo er nur '; Iahr blieb und dann nah Wittendeg, 
wo damald, außer dem nachher fo berühmten Grafen 
Zingendorf, auch der junge Graf Morig Karl zu Lynn 
ftubirte, defien Diutter der feinigen befreundet war. Er 
vertheidigte bier, unter Weidler's Beiſtand, eine Differ 
tation de recursu cometarum. Be einem Ausflug 
nah Halle, wohin er den Stallmeifter Gebauer zum 
Einfauf von Pferden für das in Dresden, zur Vermaͤh⸗ 
lungsfeier des Kurprinzen (Sept. 1719), zu haftende 
Garroufel begleitete, befuchte er Wolf, Zhomafius, ir 
dewig, der fpäter fein Schwiegervater ward, Gunbiing, 
Böhmer und Franke. Dann begleitete er Gebauer ch 
nach Dresden, wo ihm der Oberftallmeifter Graf ver 
Sternberg die Theilnahme an den damaligen Feftikh 
feiten erleichterte. Diefe Reife hatte aber fo vie GM 


L D 


Karl Gottlob don Rüßler. 243 


gekoftet, daB er nur noch 7. Jahr in Wittenberg bfieb 
und ohne die beabfichtigten Disputationen im juriſti⸗ 
ſchen und mathematifchen Fache abging. 

Bein Wunſch war nun zunädft, an einem Hofe 
Bavalier oder Stallmeifter zu werden, und er befuchte 
deshalb namentlich die anhaltifhen Höfe, am längſten 
Bernburg. Seine Mutter meinte aber, fie hätte das 
stele Geld, was feine Studien gekoftet, nicht angewen⸗ 
vet, um ihn in einem Pferdeitalle angeſetzt zu fehen. 
Wie es zu gehen pflegt, bat fie ihn fpäter Doch ſelbſt 
in eine Function gebracht, zu der er weder Jurispru⸗ 
benz, noch Mathematik brauchte. Vorher aber lebte er 
ſeit 1720 bei feiner Mutter, fah zu, wie fie nach und 
nach feine wittenberger Rechnungen bezahlte, und ging 
uf die Entenfagd. Hier wäre er einmal beinahe von 
nem tollen Menfchen erfchoffen worden. Ein Herr von 
Sehlieben, dem das Städtchen Vetzſchau gehörte, wohnte, 
mit feinen drei Söhnen, in dem Dorfe Strado '), wo 
ſich auch die Kamilie Nüßler aufhielt. Der jüngfte 
Cohn, Eberhard, hatte auch in Wittenberg ftudirt und 
ſuchte Hoſdienſte; er war eiferfüchtig auf Nußler und 
Mitt fich viel mit ihm. Eines Tages fagte ihm fein 
Bater, den er um Geld baf, er habe Feines und fei der 
ſeau von Nüßler und dem von Nofliß zu Vetzſchau 
Anſen ſchuldig, von Letzterem auch gemahnt worden. 
Eberhard fuchte jetzt unfern Nüßler mit einer geladenen 
Flinte auf der Jagd auf und ald er ihn nicht fand, ging 
er zu Roftig, defien freundliche Einladung er damit ver: 
geit, daß er ihn auf der Stelle niederfchoß, worauf er 
fh in ein Kornfeld verbarg. Er ward gefangen, aber 


— — — — 


Strado und Betzſchau teres ein ganz wendiſcher Drt 
‘pn Dem calancr A ‚ie ganz diſcher ‚ 9% 
11* 





244 Karl Gottlob von Rüßler. 


für wahnfinnig erflärt. Sein Vater verfaufte Das ı 
Jahr Vetzſchau an bie Witwe des Herzogs Friebrid 
MWeißenfeld : Dahme, Aemilia Agnes (f. unten) 
60,000 Thlr. In dem neu gebauten Schloffe 
Eberhard, zu deilen Suftentation die Zinfen von 
Thlrn. zurüdbehaltenen Kaufgeldes beflimmt w 
ein Gefängniß, in welches ihm die Speifen Durd 
Deffnung gereicht wurden und in dem er noch 30 
gelebt hat. 

Nüßler erhielt von feiner Mutter Erlaubniß zu 
Reife nach Holland. Hier führte ihn der Umftant 
in feinem Gafthofe englifche Pferde flanden, zu 
Bekanntſchaft mit dem Könige Friedrih Wilhelm ] 
ihm eine DOffizierftelle anbot. . Seine Mutter abe 
kurz vorher ein Schäferfnecht weggenommen und 
die Soldaten gefteckt worden war, ſchlug nicht nu 
fondern auch die Reife nad) Holland ab. Jetzt & 
aber in Strado die Poden aus. und nun trieb fie 
Sohn Karl, der diefe Krankheit übrigens nie beko 
bat, in das birfchberger Bad, auf welcher Reife 
muskauer Pofthaufe in eine Stube Fam, wo vier ! 
an den Poden lagen. Später ward ihm eine $ 
nantöftelle in ſächſiſchen Dienften angetragen. 
Mutter aber verfchaffte ihm 1722 einen Poften al 
cavalier bei der auf dem Schloffe Drehna ') wohn 
feit 1715 verwitweten Herzogin Aemilia Agnes ? 


1) Drehna ift eine nicderlaufigifhe Standesherrſchaft, zu 
2 Nittergüter und 13 Dörfer gehören, und ift jest im U 
Zürften Zynar. ' 

2) Sie war die Tochter Heinrich's I. Grafen Reuß zu 
war am 11. Auguft 1662 geboren, am 11. Auguft 1682 m 
Balthafar Erdmann von Promnig (geb. 9. Ian. 1659) ve 
ward am 3. Mai 1703 von ihm Witwe, heiratete am 13 
1711 den Herzog Zrievrih von Sadfen= Weißenfeld » Dahme 


Karl Gottlob von. Rüßler. 245 


Baden » Weigenfeld - Dahme, geborenen Gräfin von 
Reuß⸗Schleiz. Diele Fürſtin war früher mit dem Gra⸗ 
fen .Balthafar Erdmann von Promnitz zu Sorau ver 
heirathet geweien und kannte die Frau von Nüßler feit 
diefer Zeit. Sie erzog ihren Enkel, den Grafen Bal- 
thafar Friedrich von Promniß '), deſſen Hofmeifter ein 
Sranzofe Le Fevre war. Ihre Gefellfchafterin war eine 
Srafin von Rindsmaul; ihr Dberhofmeifter ein Baron 
son Schulenburg. Noch hatte fie zwei Hofdamen, einen 
Kammerjunker (von Eaprevi), noch einen SHofcavalier 
(von Minfwig), einen Hofprediger (Schmidt) und eine 
Hofnärrin, die Kathrin Liefe, mit deren Sohn Karl 
bei fih.  (Xebtere fcheint die einflußreichfte Perſon in 
der Umgebung der Herzogin geweien zu fein.) An Die 
em Beinen Hofe lebte nun unfer Nüßler ald zweiter 
Hofcavalier, arbeitete auch in der Kanzlei und diente 
der Herzogin in Procefien. 

Einen folhen Hatte fie mit dem Lbriftlicutenant 
Johann Friedrich von Flemming auf Weiffig, welcher 
ei Bücher: „der Soldat” und „der Jäger” geichrieben 
bet”) und ein wunderlicher Kauz war. Won feinen fünf 
Bedienten fpielte Einer einen Dudelfad in Form eines 
BWolfes mit gläfernen Augen, die Uebrigen Violinen und 
Baldhörner. Durch fie gab er der Herzogin Eoncerte 
und ließ zu den Zänzen des Hofes aufipielen. Er hatte 


an 16. April 1715 aud von diefem Witwe und ftarb am 25. Octo⸗ 
ber 1720. 


1) Ueber die merkwürdigen Vorgänge in diefer Familie behalten 
Sr uns Näheres für die Zukunft vor. 
2) Der volllommene teutſche Jäger erſchien 1719— 23 zu Leipzig 
ia 2 Foliobaͤnden; der vollkommene teutſche Soldat ebendafelbft 1726. 
ing war in feiner Jugend in Frankreich, England, Holland 
und Deutfähland gereift und hatte erft in fähflihen, dann in pals 
niſchen Dienften geftanden. 


in einer. Lache. Flemming behauptete, daB bie 
ihm gehöre, und forderte Auslieferung des Hirſche 
Beftrafung des Jägers. Die Herzogin beſtand au 
Gegentheil und befahl, zum Zeichen ihres Beſitze 
einige Bäume in der Lache fällen und auf ihr € 
bringen zu laſſen. Jetzt rüdte Flemming mit 
Truppen und 2 Kanonen an, befebte alle Zugäs 
dem Bruche und erflärte den Ammann der Her 
Schulz, für feinen Gefangenen. Diefer glaubte an 
die Sache jei Spaß, ward aber nachträglich grob 
rauf ihn Flemming in Ketten fchlagen, nach der & 
bringen, Standrecht halten und ihn verurtheilen 
drei Tage nach einander auf dem hölzernen Ef 
reiten, welches Urtheil auch fofort vollzogen warb. 
Herzogin ließ durch ihren Hofrat an Flemming 
ben, woran er fich aber nicht kehrte. Sie ſchickte 
Nüßler zu ihm und da ward der Auftritt fo heftig 
feine Gemahlin in höchſte Angft gerieth und ben 
mann [osließ. Die Herzogin zeigte den Vorga 
der Oberamtörenierung au Lübben an und bat um | 


Karl Gottlob von Rüßler. 247 


en. Bald darauf reifte der Feldmarſchall von Flem⸗ 
ming ') durch Diefe Gegend nach Polen, nahm eine Ein- 

ledung feines Vetters an, ließ fich feine Bauern, jedoh 
ohne Uniform, vorftellen, fuchte fi) 6 davon für fein 
Regiment aus, verbot den übrigen bei Feſtungsſtrafe 
alles fernere Soldatenfpiel, ließ Die Kanonen nach Luckau 
bringen, gab dem Bieutenant Schulz einen fcharfen Ver⸗ 
weis, zugleich aber eine Empfehlung, die ihm einen 
Poſten auf der Feſtung Königftein verfchaffte, und Tieß 
der Herzogin, die ihn durch Nüßler becomplimentiren 
ließ, fagen: er habe feinen Wetter wieder in Drbnung 
gebracht und der Herzogin Genugthuung verſchafft; fie 
möge nun ihm zu Gefallen demfelben, der ihr demüthige 
Abbitte thun und fich Fünftig ehrerbietiger betragen werde, 
vergeben. Die Herzogin wollte aber Flemming noch 
immer nicht fehen, felbft dann nicht, ale der am meiften 
beleidigte Amtmann, den er durch perfünlichen Beluch 
und die Bitte um Vergebung und Fürfprache vollfom- 
men befriedigt hatte, fih für ihn verwendete. Der Amt: 
mann rieth ihm endlich, fich fchriftlih an Nüßler zu 
wenden, und diefer ſchloß mit ihm einen fchriftlichen 
Bergleih, in welchem ſich Flemming aller Anſprüche 
af die Lache und den Bruch begab, fein Verfahren für 
recht erffärte und die Koften (an 200 Thlr.) über- 
nahm. Nun erfchien er mit feiner Gemahlin bei der 


1) Es ift dies Jakob Heinrih von Zlemming gemwefen. sDerfelbe 
wer am 5. März 1667 geboren, machte erſt Univerfitätsftudfen, 
reiſte nach England, wohnte ven Feldzügen von 1689 — 93 in ver- 
fHledenen Armeen als Volontair bei, ward dann kurſächſiſcher Ge⸗ 
neraladjutant und Obriſter, viel in militairifhen und diplomatiſchen 
Tunctionen gebraudt, Haupthebel der Koͤnigswahl Auguft’s von 
Polen und Sachſen, 1698 Generalmajor und Generalpoftmeifter von 
Sachſen, 1700 Großſtallmeiſter von Litthauen, 1705 General, 1712 
Generalfeldmarſchall und Gabinetöminifter, + 30. April 1728. Er 
war erft mit einer Sapieha, dann mit einer Radzivil verbeirathet. 


248 Karl Gottlob von Rkßler. 


Herzogin, bei welcher viel benachbarter Adel war, und 
redete fie mit den Worten an: „Ew. Durchlaucht wer: 
den dem tollen Flemming vergeben, er fol es nidt 
mehr thun“, worauf fie antwortete: „Sa wol recht tol; 
doch es ift alled vergeben, der Herr Feldmarſchall hat 
alles wieder gut gemacht.” Da er nun auch der Kath: 
rin Liefe einen fetten Hammel mitgebracht hatte, fo war 
alles wieder gut. 

Außer folhen Intermezzos tröftete unfern Nüßler 
in diefer Hofmwüfte der Umgang mit einer Dame dei 
Hofes, der er die neueften Schriften mittheifte und zur 
Unterredung darüber freilich Feine andere Zeit und Staͤtte 
finden konnte, ald die Abendftunden nach der Tafel von 
10 — 12 Uhr und das Zimmer der Dame. Died war 
der Herzogin in gehäffiger Weile hinterbracht worden 
und fie belaufchte ihn einft felbft, ald er in einer Som 
mernacht erft um Ys 1 Uhr die Dame verließ und übe 
den großen Saal vor der Herzogin Zimmer zu feine 
Stube im dritten Stod ging. Am nächften Tage 
mußte er mit der Herzogin ausfahren, wo fie ihn denn 
gleich mit folgenden Worten anredete: „Höre Er nut, 
ich bin darüber fehr unzufrieden mit Ihm, dag Er ſich 
mit der — — fo familiair macht und bis des Morgens 
um 1 oder 2 Uhr bei ihre in der Schlaffammer fißel. 
Laſſe Er das bleiben, oder wir werden Unfreunde und 
ich gebe von Seiner Aufführung Seiner Mutter No 
richt." Nüßler ftellte die Sache im unverfänglid: 
ften Lichte dar, wobei er Aeußerungen that, aus denn 
fih auf hohen Stand der Dame fchließen läßt; es blieb 
aber bei dem Verbot. 

1722 begleitete Nüßler die Herzogin in Promnikt 
hen Angelegenheiten nach Breslau und mußte auf 
noch einige Zeit nach ihrer Rückreiſe dort verbleiben. 


Karl Gottlob von Rüßler. 249 


dann wohnte er der Hochzeit feines älteften Bruders 
Rarimilian mit dem Fräulein Sohanna von Gersdorf 
ei, welche die Güter Weichsdorf und Neugersdorf be 
aß und diefe ihrem Bräutigam verkaufte und auf defien 
damen eintragen ließ. Er mußte fich das freilich durch 
eſondere Faͤhrlichkeiten erfaufen, indem die Familie der 
Zraut Die Güter ungern in fremde Hände gehen fah. 
fe hatte zwei Duelle deshalb zu beftehen, deren eines 
och am Zage der Hochzeit, in ſpäter Nacht, mit Pi⸗ 
tofen und Degen ausgefochten werden mußte. 

Die Herzogin hatte mehrere Proceſſe vor der Ober: 
miöregierung, die kein Ende nehmen wollten, und da 
amals die höchfte Inftanz in Merfeburg war, fo rieth 
be von Nüßler, den fie am 1. Mai 1724 zum Kam- 
aerjunker ernannt hatte, den merjeburger Hof etwas 
efler zu cafoliren. Dies hatte zur Folge, daß fie Nüß⸗ 
e zu Michaelis 1725 mit einem Glückwünſchungsſchrei⸗ 
ven zum Geburtstag der regierenden Herzogin nad) Mer- 
burg, wo vorher darüber angefragt worden war, ab- 
endete. Er ward der Herzogin ') durch ihren Hofmei- 
ker von Bünau vorgeftellt, gnädig aufgenommen und 
Web nun einige Zeit am Hofe. Die Herzogin war eine 
verftändige Dame; der Herzog?) beichäftigte ſich mit 
Kichts, als mit Eſſen, Trinken, Spielen, Spatzieren, 
Echlafen und Baßgeige fpielen; die Geſchäfte beforgte 
im Geheimerath von Zeh. Beim Lhombre ward Nüß- 
ee mit einem Fräulein von einigen 30 Jahren bekannt, 
welche eine Favorite der Herzogin und eine artige und 
Inge Perfon war. Nun hatte Nüßler, welcher die 
Büter Göritz und Duberau bei Calau gefauft, aber 


29, genritte Charlotte, geborene Prinzeffin von Naffau: Ipftein, 


8) Merig Wilbelm, geb. 5. Febr. 1688 + 21. April 1731. 
11 * *d 





30 Karl Gottlob von Rüßier. | 


Schulden darauf hatte, ſich ſchon einige Zeit mit dem 
Wunſche getragen, Oberamtsrath zu Lübben mit 800 
Thlrn. Schalt zu werden und eine Frau zu beirathen, 
die ihm einige Zaufende zur Zilgung jener Schulden 
brächte. Das erwähnte Fräulein konnte ihm bie Stelle 
verfchaffen und befaß einige Zaufende, fowie einen fchb 
nen Schmud von hohem Werthe, aus Geſchenken ber 
Herzogin beftehend. Er gewann den Geheimen Sec 
tele Hofrath Koch als Mitteldmann und das Fräulein 
nahm den Antrag an. Es ward ausgemacht, daß von 
Nüßler, der die Proceßfrage in erwünfchter Weiſe be 
endigt hatte und nun an die Rückreiſe dachte, um Neu 
jahr 1726 nach Merſeburg zurückkommen und bei der 
Herzogin um dad Fräulein anhalten folle, worauf Ver 
Iobung und Hochzeit zu gleicher Zeit fein follten. Nor 
ber aber wäre er bald bei der Herzogin von Merfehurg 
in. Ungnade gefallen. Eines Tages fragten ihn Die vie 
Kammerjunfer, ob es wol gewöhnlich fei, daß die Kam 
merjunfer yereidet würden. Er antwortete: Nein, fon 
dern man fei mit ihrer Cavalierparole zufrieden. Gt 
batte freilich den Zufammenhang nicht gewußt. (8 
war den Kammerjunkern bei ihrer Annahme ernftilh 
eingefchärft worden, daß, wer von ihnen den Dienfl 
bei dem - Herzog bötte, Ddenfelben nie verlaſſen bärfe 
und ihn überallhin begleiten müſſe. Denn der Gen 
ging viel in der Stadt umber, und wenn er allein wer, 
fo machten fi die Bettler und Gaſſenjungen an ihn 
und nahmen ihm alles ab, was er bei ſich hatte, fogar 
Perüde, Hut, Handſchuh und Kleid, ſodaß er ſchon 
ganz ausgezogen aufs Schloß zurüdgelommen wer. 
Da Died auch neuerdings vorgefommen war, fo ergab 
fih, daß die Kammerjunker ihre Amt nicht pünktlich ver 
ſahen. Nun hatte man fie eidlich verpflichten wollen, 


u‘ 


Karl Gottlob von Nüßler, 361 


md da weigerten fie fi), indem fie fih auf Nüßler 
beriefen.. Durch fein Fräulein und Koch zeitig genug 
benachrichtigt, gelang es ihm, fich zu erculpiren. Die 
Kammerjunker aber, denen der verlangte Dienft fatal 
war, erbaten und erhielten ihren Abſchied. Einer ward 
fäter, auf feine Bitte, wieder angenommen und auch 
Nuͤßler ward eine folche Stelle angefragen, der fie aber 
uf gute Weile ablehnte. 

Im November 1725 kam er nad Drehna zurüd, 
wo Alles mit feinen Verrihtungen und Plänen zufrie 
den war. Doch fiel er bald wieder bei der Herzogin 
in Verdacht. Cine ſchöne Hofdame, die Vorleferin der 
Herzogin, fing an zu fchwellen und zwei Aerzte erflär- 
ten fie für waſſerſüchtig. Die Herzogin aber faßte nach 
und nach die Meinung, daß fie von Nüßler ſchwanger 
fi, und ließ ihm durch den Hofprediger dad Gewiſſen 
ſchärfen. Es ergab fich jedoch bald, daß zwar die Schwan- 
gerfchaft richtig, aber ein anderer Hofmann der Vater 


In der Neujahrsmeſſe reifte er nach Leipzig und 
ſchrieb an Hofrath Koch, daß er zum 16, Ianuar in 
Merfeburg einzutreffen gedenke. Die Hofräthin Fam 
ſelbſt nach Leipzig und brachte ihm einen Brief von 
feiner Braut. Die Herzogin hatte ihre Einwilligung 
gegeben, Eoftbare Geſchenke beftimmt, die Dberamts- 
rathsſtelle war bewilligt; 20 Wagen waren für den 
Breutihap beftellt. Nuüßler kaufte Geſchenke an Stof⸗ 
fen, Uhren, dresdner Schuhen ꝛc. ein. Am Tage feiner 
Abreiſe hielt er ſich bei guten Freunden fo lange auf, 
daß es 8 Uhr Abends wurde, bevor er bei ſtarkem 
Schneewetter fortfuhr. Er ſchlief bald ein und wachte 
erſt um 1 Uhr auf, als die Kutſche ſtillſtand. Der 
Poſtillon hatte den Weg verloren. Nüßler ließ ſeine 


262 Karl Gottlob von Rüßler. 


beiden Bedienten abfteigen und einen Weg fuchen, der 
denn auch endlich gefunden und mit vieler Beſchwerde 
und Gefahr erreicht ward. Er führte fie nah Oßmünde 
im Saalkreife. Sie hielten vor dem erſten Bauerhaufe, 
und da Niemand hören wollte, ſchlug Nüßler ein Yen 
fter ein. Nun ließ er fich auf die Pfarre bringen, wo 
er bei dem Paftor Srashof fehr gaftliche Aufnahme und 
ein Nachtlager in deſſen Studirftube fand. Anderen 
Morgens fand ſich die Mutter des Paftors bei ihm ein, 
fuchte den Zweck feiner Reife zu erforfchen, entdedte die 
Frauenzimmerfachen, errieth deren Abfiht und ward 
nun neugierig auf die Braut. Nüßler wich zwar aus; 
fie forfchte und plauderte aber weiter, kam auch af . 
die merfeburger Hofdamen und rüdte nun, vielleicht 
ſchon durch die Bedienten von der Sachlage unterrid- 
tet, heraus, daß im Dorfe bei einer Bauerfrau feit 6 
Jahren ein Knabe erzogen werde, der in Merfeburg zu 
Haufe fei ꝛc. Der Paftor Fam hinzu, beflätigte Al 
und ſprach auch von Herrſchſucht, Ichlechtent Betragen 
gegen die Herzogin und daß dieſe das Fräulein nur lot 
zufein wünfche. Nüßler gerietb in die größte Verlegen: 
beit, aber die Alte rieth ihm, fich die Sache zu über 
legen, die Poftpferde zurüd und nach Merfeburg einen 
Boten mit der Nachricht zu ſchicken, daß er fich verirrt 
und den Wagen zerbrochen habe, krank geworben fü, 
nicht zur beflimmten Zeit fommen könne. Die Wk 
hatte aber auch gleich eine andere Partie vorzufchlagen 
Das in Oßmünde eingepfarrte Gut Benndorf gehörte 
dem Kanzler von Ludewig ') in Halle und diefer hatte 


1) Johann Peter von Zudewig, geb. 15. Aug. 1670 auf dem 
Schloſſe Hohendard bei Shwäblfh= Hall, 1695 Profeffor in Hall, 
1718 Geheimerath, 1719 geadelt, 1720 Kanzler der Untverfität, 
+ 7. Sept. 1749. 


Karl Gottlob von Rüßler. 253 


mei mannbare Töchter. Er hatte felbft einmal zu dem 
daſtor gelagt: er folle ihm einen gelehrten Schwieger- 
john verfchaffen. Nun ward der Paſtor nach Halle ge- 
ſchickt, den Kanzler zu fondiren und zu einer Zuſammen⸗ 
unft in Benndorf zu veranlaflen. Das LXebtere lehnte 
er Kanzler wegen des vielen Schneed ab, meinte aber, 
der fragliche Herr möge nad) Halle fommen und ihn 
inter dem Borwande einer rechtlichen Confultation be- 
uchen. Dies geſchah und Nüßler hielt, nachdem. ihn 
er Kanzler drei Stunden lang mit hifloriichen und po⸗ 
itiſchen Gefprächen unterhalten, um eine von feinen 
Löchtern, die er noch gar nicht gefehen bafte, an. Der 
Ranzier lud ihn für den Abend des nächften Tages in 
ein Haus. Die ältefte Tochter zeigte fich fittiam und 
mgenehm, Die zweite flüchtig, feurig und hübſch. Nüß- 
er durfte das Haus auch ferner befuchen, aber erft zu 
ichtmeſſe erklärte der Kanzler durch den Univerfitäts- 
yndicus Knorr, daß er dem Herrn von Nüßler feine 
stefle Tochter Sophie geben wolle, wenn er fich ent- 
ließe, zu Berlin in preußische Dienfte zu gehen. Er 
erde ihn demnächſt auf feinen Gütern befuchen. Die 
weite Zochter, Chriftiane, fei Thon fo ziemlich verfpro- 
ben an den Kriegsrath von Krug '). Nüßlern hatte 
igentlich das zweite Fräulein befler gefallen, aber Knorr, 
ver ihm eingeflanden, daß er, wenn er darauf beftehe, 
wech Diele erlangen könne, rieth ihm doch ernftlich, So- 
„bien den Vorzug zu geben, denn Chriftiane fei fehr 
lüchtig und voller Leidenſchaften. Nüßler fand das, 
ei nochmaliger Prüfung, gegründet und bat fih So—⸗ 
bien aus. Der Kanzler Tieß bierauf eine Eheftiftung 





1) Den nahherigen Geheimenrath Philipp Friedrich Krug von 
Kidda. Sie war am 13. Sept. 1706 geboren. 


254 Karl Gottlob von Rüßler. 


aufleben, die jedoch dadurch bedingt war, daß es fidh 
mit dem freien und unverfchuldeten Befige der NRüßle: 
ſchen, für 20,000 Thlr. erfauften Güter, wie angegeben, 
verhalte '). Nüßler ſetzte ein LXeibgeding von 6000 Thlr. 
Capital aus, der Kanzler aber erbot ſich zu einer De 
tation von 6000 Thlr. Capital, oder 300 Thlr. jährl - 
cher Zinfen, wovon 100 Thlr. der Frau ald Handgeld 
bleiben follten. SHinterließe fie feine Kinder, fo follten 
3000 Thlr. zurüdfallen. Alle Kinder und deren De 
feendenten follten Ludwig oder Louiſe getauft merden. 
Der Kanzler ſchenkte Nüßlern zwei goldene Medaillen, 
jede von 50 Ducaten, und diefer brachte bei feiner Braut 
die fhönen Sachen an, die er für das mierfeburge 
Fraͤulein gekauft hafte. Von Merfeburg war inzwijchen 
die Hofrathin Koch zur Erfundigung nach Halle gekom⸗ 
men und war fehr unzufrieden über feine Exrflärunge, 
bedrohte ihn auch wegen feiner niederlaufigifchen Lehr 
güterr. Auch feine Mutter und die Herzogin gingen 
nur mit einiger Schwierigkeit in die neue Wendung ein 
und trauten Derfelben nicht reiht. In der That Fam 
der Kanzler weder, wie er veriprochen, zu Oſtern, noch 
zu Pfingften, und als er endlich nach Johannis in Lüb⸗ 
ben eintraf, fchrieb der Oberamtsrath Zifcher, bei dem 
er wohnte, an Nüßler, daß der Kanzler fehr unluflig 
fei, weil er auf der Poſt zu Luckau unangenehme Dinge 
gehört babe. Er hatte namlich erfahren, daB Nüß 
ler's Güter nicht ohne Schulblaft ferien. Zum Glück 
wer gerade Bruder Friedrich, der holländifche Dbrif 
wachtmelfter,. zum Beſuch da und fo reiften fie zuſam⸗ 
men nach Lübben und begütigten den alten Herrn bei 
1) Daß nämlih weder Nüpler’s Mutter, noch feine drei Brüder 


daraus das Geringftc zu fordern hätten, ihm aud freiftehe, feine 
Gemahlin darauf zu verleibbingen. 


Karl Gottlob von Rüßler. 355 


einem Glaſe Wein, fo daß er mit nad) Strado reifte und 


; 


| 


die Güter beſah, wo ihm alles ganz wohl gefil. Gr 
nahm nun Nüßler mit nach Berlin, ftellte ihn den 
Yuftizminiftern von Plotho und von Katſch und Dem 
Kammergerichtspräſidenten von Cocceji vor und ver: 
ſchaffte ihm in der Zhat eine Stelle ald Hof- und 
Rammergerichtörath auf ber gelehrten Bank. Die Hoch⸗ 
«it ward aber immer noch nicht beflimmt und Nüßler 
fonnte erft zu Michaelis Urlaub erhalten. Er fchrieb 
nach Halle, daß er in der Zahlwoche nad) Keipzig kom⸗ 
men und von da über Benndorf nach Halle gehen werde, 
bekam aber Feine Antwort. Dennoch reifte er ab, nahm 
eine ſchöne neue Kutſche und außer feinen Bedienten 
auch einen Fleinen franzöfifchen Laufer mit und Faufte 
in Leipzig vier Kutichpferde. So kam er nah Benn- 
dorf und fuhr den Kanzler nach Halle. Alles war mit 
im zufrieden, aber von ber. Hochzeit war Feine Rebe. 
Der Kanzler fchidte Ihn nach Benndorf, um die Wirth: 
ſchaft in Ordnung zu bringen. Auch als ein Freund 
den Kanzler vermocht hatte, die Hochzeit noch vor 
Beihnachten zu beflinmen, und der Dispens wegen der 
Adventszeit in Magdeburg erwirft war, kamen neue 
Ausflüchte, weil die Ausftattung noch nicht fertig fei. 
Endlich zeigte es fih, daß eben in Iebterer und dem 
Geige des Kanzler das Hinderniß liege, und als ſich 
Nüßler der Austattung begab, fand die Trauung am 
MD. December 1726 flat. Zu Anfang des folgenden 
Jahres ftellte er feine Frau der Mutter und der Her- 
ein vor und fie fand Beifall. Ihre Ehe war, was 
das perſönliche Verhältniß anlangt, eine glüdliche und 
liebenolle; in äußerer Beziehung bedauerte Nüßler ſpä⸗ 
ter oft, daß er nicht bei feinem erften Amts: und Hei⸗ 
rathsplan geblieben fei, und gedachte wol bei fpäteren 


256 Karl Gottlob von Näßler, 


Widerwärtigkeiten, daß er fie an den merfeburger Fräu⸗ 
fein verfchuldet habe. Seine Aemter waren arbeitövoll, 
aber nicht einträglich. Der Kanzler bezahlte in den 
erften Iahren Zinfen, dann aber nicht mehr, und Nüf- 
ler mußte fchweigen, um nicht enterbt zu werden. Da 
feine Söhne bald wieder flarben, fo nöthigte ihn fen 
Schwiegervater, die Faufigifchen Güter, welche Mann 
chen waren, zu unvortheilbaftem reife zu verkaufen. 
Indeflen ftarb um diefe Zeit (1730) fein altefter Bru⸗ 
der und deflen oberlaufigifche Güter: Weichsdorf, Ne: 
gersdorf und Mazdorf, fielen an die Mutter, die auf 
mit ihrem kränklich gewordenen jüngften Sohne Ferdi: 
nand (+ 1734) dahin 309, wo fie am 12. Auguft 1745 
ſtarb. Nach dem Tode des zweiten Bruders (1759) 
erbte unfer Nüßler diefe Güter allein. 

Die Vorgeſetzten Nüßler's in feiner neuen Amti⸗ 
ſtellung als Hof- und Kammergerichtsrath waren: de 
Juſtizminiſter Ludwig Otto von Plotho '), Präſident 
des Tribunald, des Geheimen Juſtizraths und des ra⸗ 
vensbergifchen Appellationdgerichted, ein gelehrter und . 
fleißiger Mann; der Juſtizminiſter Chriftoph von Katſch, 
welcher die Militairjuftiz und alle Eriminalfachen zu be 
forgen hatte; endlich der Hof» und Kammergerichtöpre: 
fident von Cocceji ?), gelehrt, reformatorifch, aber recht⸗ 
bhaberifch und ehrgeizig, deshalb auf Plotho fehr eifer 


1) Seh. 18. Nov. 1663 + 18. Aug. 1731. 

2) Samuel, Sohn des berühmten Heinrich Gocceji, geb. zu Her 
deiberg 1679, 1703 Drofeffor zu Frankfurt a. d. O., 1704 Begie 
rungsrath und 1710 NMegicrungsdirector zu Balberftadt, 1711 m 
der Bifitation des Reichskammergerichts berufen, auch kurze Zuit 
Geſandter in Wien, vom Kaifer in den Zreiherrnftand erhoben, 1723 
Präfident des Kammergerichts, 17237 Staats⸗ und Kriegsminifter, 
1730 Ghef aller geiftlihden Sachen und Gurator aller Univerfitäten, 
1731 Präfident des heran one 1738 erfter Chef dır 
Suftiz, 1746 Großkanzler, + 22. Oct. 1 


N 
[ 


Karl Gottlob von Näßler. 257 


ſüchtig. Es war ihm fehr unangenehm, wenn auswäre 
fige Difäfterien die Urtheile des Kammergerichts refor- 
mirten, und er dachte daher frühzeitig an ein Verbot 
der Actenverfenbung, überhaupt an die Abfcheidung ei- 
ned preußifchen Rechts aus der deutichen Gemeinfchaft. 
Nuͤßler ſtand bei Plotho fehr gut, anfangs aber aud) 
mit Cocceji in freundlichem Vernehmen. Lebterer fagte 
ihm. jedoch gleich: „Herr von Nüßler, Sie werden bier 
a8 ein Fremder fchwer fortkommen, viele Arbeit und 
viele Widerfacher haben.” An Arbeit fehlte es zunächſt 
richt, da ihm Plotho viele außerordentliche Arbeiten auf: 
trug, ihn auch bald zu der Stelle eined Tribunals⸗, und 
tavensbergifchen Appellationsgerichts⸗ und Geheimen 
Juſtizraths beförderte und die Collegen in Tribunal 
alt waren. Der Geheimerathb von Riffelmann fagte 
gleich anfangs zu ihm: er wolle ihn zum Erben ein- 
fegen, ſchickte ihm aber die Erbichaft gleich ind Haus, 
indem fie in 18 Actenpadeten beftand, die er aufarbei« 
ten ſollte. Gehalt war aber mit allen diefen Aemtern 
nicht verbunden, fondern nur Sporteln und gelegent: 
lihe Diäten, ebenfo aber auch gelegentliche Auslagen, 
die nicht immer genügend erſetzt wurden. 

Im December 1730 erhielt er einen unmittelbaren 
königlichen Befehl, fogleich nach Hannover zu gehen 
und Dafelbft die Erbichaftsfachen und ſonſtigen Angele- 
genheiten der Königin in Ordnung zu bringen. Es 
handelte ſich nämlich um die Erbfchaft der 1728 zu 
Ahlden, wo fie fo lange gefangen gefeflen, verftorbenen 
Mutter des Könige Georg I. von Großbritannien und 
der Königin Sophia Dorothea von Preußen. Es war 
ftreitig, was zum Allodium und was zum Lehen gehöre; 
auch ward dem Sohn des verftorbenen Grafen von 
Bar ein ihm ausgeſetztes Legat beftritten. Dieler Graf 





2358 Karl Gottlob von Näßler. 


Bar ſollte auch in Frankfurt a. M. durch einen 
bin abgefendeten hannöverfchen Lieutenant mit 13° 
arretirt werden, hatte ſich aber durch ein fichres 
vom Reichshofrath gedeckt. Yür Preußen war | 
der nachherige Geheimerath anngießer in Har 
geweien, der fich jedoch theils Dort durch feine Hefi 
theils bei der Königin durch feine Rechnungen, in 
er fogar Puder und Schuhwachs aufführte, unang 
gemacht hatte. Nüßler Fam an feine Stelle, erhiel 
auch nur 3 Thlr. Diäten, nahm feine ganze Famil 
und borgte fich zu der Erpedition 500 Thlr. voı 
Banquier Splittgerber. Er zeigte fich weit ſple 
als fein Vorgänger und fuchte ſich möglichft beit 
machen. 

- Die bannöverfchen Commiffarien in der Sache 
die Hofräthe Scheiter und Banny. Minifter warı 
Kammerpräfident von dem Buſch, von Münchhaufe 
von Alvensleben. Bon dem Bufch war ein unve: 
theter und fo reicher Mann, daß er einmal, zur U 
dung einer beforgten Ungnade, der Königin 10 € 
nenkuxe, deren jährlicher Ertrag auf 20,000 Thl 
fhagt wurde, zum Geſchenk machte. Er war 
Munderlichfeiten. Kleider von gewiflen Zarben ! 
er. nicht leiden. inftmals fpeifte der Bergrath 
meifter bei ihm. Sobald ihn der Minifter fah, : 
den Kammerdiener und lief davon. Der Kammaı 
erflärte nun Butemeiftern, Excellenz Fünnten feine 
zug nicht leiden, und er möchte ſich in deflen A 
fammer ein anderes Kleid fuchen. Das nahm fid 
ich um fo drolliger aus, als Butemeifter Furz unl 
der Geheimerath aber lang und hager war; der $ 
aber war fehr zufrieden, daß er feinen Willen er 
und zeichnete Butemeifter bei der Tafel befondent 


Karl Gottlob von Rußler. 359 


Er aß erft um 3 Uhr, was zu jener Zeit äußerſt ſpät 
var, und behielt den Hut auf, lud auch feine Säfte ein, 
in Gleiches zu thun, von welcher Erlaubniß aber Nie 
nand Gebrauch zu machen pflegte, ald der Kriegszahl⸗ 
neifter Heiliger, der fein Freund war und ſich nicht vor 
hm genirte. Einft fpeifte ein Graf von Oynhauſen 
bei ihm und kam etwas weit von dem Minifter zu figen. 
Als das zweite Eſſen herumgegeben wurde, fagte ber 
Minifter zu ihm: „Herr Straf, Sie figen da nicht gut, 
ſehen Sie Sich rechter Hand bei dem Hofrath Banny.“ 
Er that ed. Nach einer halben Stunde fagte der Mi- 
xifter wieder: „Herr Graf Oynhauſen, Sie fiten da 
auch nicht recht gut, ſetzen Sie Sich weiter herauf bei 
dem Hofrath Scheiter.” Darauf verfebte der Graf: 
„Einmal babe ich mich nach Ew. Ercellenz Eigenfinn 
gerichtet, aber zum zweiten Male werde ich es nicht 
hun. Wenn Sie nicht die garftige Gewohnheit hätten, 
ſo ſpät zu eflen, fo würde ich aufftehen, in die London⸗ 
fhenfe gehen und mir dafelbft Eſſen geben laſſen; nun 
aber, da es zu ſpät ift, werde ich mich bier fatt efien 
und Fünftig auf Ew. Ercellenz Einladung nicht erfchei« 
nen.” Der Dinifter mußte das fchweigend hinnehmen. — 
An feiner Zafel fand man Waſſer aus allen berühmten 
Brunnen, fogar fpanifches und italienifches. Alle Vier- 
teljahre wurde der Reft Davon, mit ebenfovielen Slafchen 
Ben, an die Prediger vertheilt, damit fie nichts dar⸗ 
über fagten, daß der Geheimerath, weil er Feine Drgel 
hören könne, niemals die Kirche beſuchte. Da die Erb- 
ſchaftsſache in das Departement des verftändigen Münch⸗ 
haufen ') gehörte, fo hatte Nüßler keine große Schwie⸗ 


1) Gerlach Adolph, Freißerr von Mündhaufen, berühmt als 
Chöpfer und Pfleger der Univerfität Göttingen, .geb. 14. Det. 
1688, 1714 kurſächſiſcher Appellationsrath, 1715 ODberappellations⸗ 


260 Karl Gottlob von NRüßler. 


tigkeit. Schon nach zwei Monaten ließ ihm Münd- 
haufen 40,000 Thlr. in lauter neuen Andreasthalern auf 
zahlen, welches Geld er, auf königlichen Befehl, ſelbſt 
nah Berlin bringen und fi Dabei von einem Lieute 
nant mit 30 Mann escortiren laſſen mußte. In Bar 
lin konnte er erft gar nicht erfahren, wo er das Gel 
binbringen folle, und ed ward zwei Mal deshalb beim 
Könige angefragt. Dad zweite Mal fand fich ein’ gro 
Bed Kreuz neben die Anfrage gefegt und der Cabinett⸗ 
minifter von Thulemeier erklärte died dahin, daß des 
Geld an den Staatsminifter von Creuß zu liefern fe 
Die Königin bat ſpäter für das Geld dem Prinzen Fer 
dinand Güter im Halberftädtifchen gefauft. 1731 farb 
auch der Herzog Auguft Wilhelm von Braunfchweg, 
welchem Sophie Dorothea 40,000 Thlr. geliehen hatte, 
und unfer Nüßler mußte nach Braunichweig, um die 
Hälfte der Königin zu heben und nach Halberftadt an 
den Regierungspraftdenten von Dften zu liefern. 
Mahrend feines Aufenthaltd in Hannover ward et 
von Preußen wegen Halberfladt und von Hannover 
wegen Zauenburg zum Aſſeſſor des Reichskammergerichts 
präfentirt, was hannöverifcher Seits wirklich guter Wille 
für ihn war, wahrend in Berlin die Abficht, ihn von 
da zu entfernen, mitgewirkt haben fol. Er reifte im 
Drtober 1731, wo er dem König von Schweden vor 
geftellt und zur königlichen Tafel gezogen wurde, nah 
Weblar. Am zehnten Tage nad) feiner Ankunft daſelbſt 
erſchien der Geheimerath Moſer, mit einer Präfentation 
vom Bisthum Hildesheim und nun ward ein Streit 
erhoben und die Sache an den Reichstag gebracht. Man 


rath in Zelle, 1726 Gefandter in Regensburg, 1728 Geheimerath 
in Hannover, 1765 erſter Minifter, + 26. Nov. 1770. 


Karl Gottlob von Rüßler. 361 


würde fich für Nüßler entichieden haben, wenn die bei- 
den Höfe dem Bisthum Hildesheim ein Mitpraäfenta- 
fisndrecht eingeräumt hätten. Died aber wollten bie 
Höfe nicht und fo mußten beide Prätendenten wieder 
abziehen. Moſer ward aber wenigftens vom Stifte für 
ſeinen Aufwand entſchädigt. Nüßler ging nun wieder 
nah Hannover, ſchloß den Erbfchaftsreceß ab und em- 
fing noch 10,000 Thlr., die er unter Bedeckung nad) 
Berlin brachte. Er erhielt als Abſchiedsgeſchenk von 
Sannover Medaillen, zufammen 200 Ducaten an Werth. 
Sein König. ertheilte ihm eine ehrenvolle Decharche, aber 
für die 2000 Thlr., Die er in Hannover zugefeßt hatte 
und größtentheild noch fchuldig war, erhielt er Nichts 
ud nur mit Mühe .und zum Theil erft nach 30 Jah⸗ 
un einige Hundert Thaler gemachter kaarer Verläge er: 
ſtattet. Ja, zum Dante für feine Dienfte ward eine 
4m bereit8 ertheilte Anwartichaft auf einen Gehalt 
im, als der Kal bei feiner Rückkehr eintrat, nicht ge: 
balten! 

Dafür ward er weiter befchäftigt, die Procefle wider 
den Grafen von Bar, im Namen der Königin und Han⸗ 
novers, zu führen. Der Graf ward bei der Regierung 
m Dönabrüd, in deren Bezirke er Güter beſaß, bei der 
Suftizfanzlei zu Celle, wo fein Vater Schloßhauptmann 
geweſen war, bei dem Reich&hofrath zu Wien und fpa- 
tee auch bei dem Reichövicariat verflagt. Zufällig er- 
Heat Nüßler zu Diefer Zeit im Tribunal Acten zur Re 
Iation, welche denfelben Grafen von Bar betrafen. Die: 
fen hatte nämlich der Obrift von Katte zu Dresden auf 
nem SKaffeehaufe Fennen gelernt und ihm geklagt, daß 
er Geld brauche und keins habe, ungeachtet er noch 
jung, nahe daran fei, ein Regiment zu befommen und 
in feinen anfehnlichen Lehngütern wol 30—40,000 Thlr. 





2362 Karl Gottlob von Ripler. 


Allod habe Der Graf von Bar rieth ihm ni 
beirathen, und erbot fih, ihm unter diefer Web 
12,000 hir. zu leihen. Er verpflichtete fih 
ſchriftlich, dem von Katte binnen acht Tagen bie 
Thlr., bei Wechfelhaft, zu liefern, wogegen diefe 
zinfung und Tilgung des Capitals verfprah. € 
dern Tages reute dem Grafen der Handel und « 
nah Danzig. Aber der Obrift eilte ihm nach, I 
in Danzig verbaften und zwang ihn dadurch zu 
lung. Rachher aber machte Katte Feine Anflı 
Harath und nahm obendrein feinen Abſchied. N 
fangte der Graf, daß er ihm Sicherheit in ba 
dialgütern beftelle, und darin gab ihm ſowol die 
burgiiche Regierung, ald dad Tribunal Ned. 
aber jeßte fih Nüßler, im Namen der Königin, 
Strafen Stelle und legte auf Katte's Einfünfte o 
Gütern Beſchlag. Katte Fam felbft nach Berk 
bat um Vergleih, welchen Nüßler dahin vern 
daß Katte das Capital, was ihm das Armendira 
vorfchoß, an die Königin bezahlte, wogegen ih 
die Zinfen erließ. Nun ließ man die Bar'ſche 
liegen. Nüßler erwirkte auch die Auszahlung ein 
der Herzogin in Ahlden den pfalzneuburgifchen 
den geliehbenen Gapitald von 6000 Thlr. Abt 
dies verichaffte ihm Peine Beſoldung. Ueberden 
fein Gönner, von Plotho, geftorben und Coccej 
er nicht traufe, an deilen Stelle getreten. 

Nun follte er auch noch ein Haus in der Fri 
ftapt bauen. Diele Sache ftand unter dem Obrifl 
Derihau, welcher dem König die Perfonen beze 
denen er die Mitt zum Hausbau zufrante, ud 
der König dad Verzeichniß unterfchrieben, {6 ı 
die darin enthaltenen Perſonen bauen, fie mochte 


Karl Gottlob von Rüßler. 263 


len, oder nicht. Der Minifter von Marſchall zankte fich 
einmal mit Derichau über dieſe Maßregel und das nächfte 
Berzeichniß enthielt Tauter Anhänger und Verwandte 
Barfchall’d. Acht Perſonen ward ein tiefer Sumpf an- 
zewieſen, darein fie bauen mußten. Nüßler ging felbft 
w Derſchau und ftellte fein Unvermögen vor, worauf 
ihn aber der Obrift jauf feinen Schwiegervater, den 
Ranzler von Ludewig, verwies, auch einen Böniglichen 
Befehl an diefen anbot, einige Zaufende zum Hausbau 
perzugeben. Darauf konnte aber Nüßler auch nicht ein- 
sehen, weil er fich fonft die Feindfchaft Ludewig's zuge: 
sogen bätte. Er wendete fih nun an die Königin, aber 
auch deren Verwendung war fruchtlos. Der König, den 
er Ichriftlich anging, hielt fi auch daran, Daß er einen 
reichen Schwiegervater habe, und refolvirte am 1. Fe 
bruar 1733, daß er ‚Sonder Raifonnement, auf der ihm 
angewielenen Stelle auf der Friedrichsſtadt ein Haus 
bauen, oder aber Sr. koͤnigl. Majeſtät allerhöchite Un⸗ 
guade gewärtigen folle.” Diefe Stelle war ein Filch- 
teich, in welchem noch während des Sommers große 
Karpfen gefangen wurden. Endlich gab fein Schwie- 
gervater 1500 Thlr. von der Mitgift ber; feine Mutter 
verſprach, foviel fie fünne, zu ſchicken, und eine vornehme 
Dame, deren Curator er war, ſchenkte ihm eine beträdht- 
lihe Summe. Der bloße Roft zu dem Haufe Foftete 
an A000 Thlr., dad ganze Haus, was etwa 2000 Thlr. 
werth war, Eoftete an 12,000 Thlr. Neben ihm hatte 
ber Geheimerath Klinggräf ein ebenfo großes Haus ge: 
baut, was Nüßler, damit es nicht an einen Seifenfie- 
der und Bierfchenken Fame, für 800 Thlr. Faufte. Im 
Juni 1734 bezog er fein Haus und bewohnte es bis 
1748, dann fland es viele Jahre leer. 

Im Januar 1739 erhielt er den Auftrag, nad) Def 


264 Karl Gottlob von Rüßler. 


fau zu reifen und die Ehepacten zwilchen dem Prinzen 
Heinrich ') und der Prinzeffin Xeopoldine Marie von 
Anhalt-Deflau, der zweiten Tochter des berühmten „alten 
Deſſauers“, des Fürſten Xeopold, zu entwerfen. In einem 
darauf bezüglichen Befehl fchloß aber der König gan 
kurz: „Sch gebe aber zu der ganzen Vermählung nichte.” 
Nüsler fam am 5. Februar ın Deflau an, ward vom 
Poſthauſe durch den Oberftallmeifter von Maſchkow in 
einem Staatöwagen in das Schloß abgeholt, beim Auk- 
fteigen von dem Stallmeifter des Erbprinzen Leopold, 
einem von Gerber, im erften Stod von dem Hofmer 
fter der Fürſtin, auch einem von Gerber, im zweiten 


Stod vom Hofmarfchal empfangen, der ihm fan 


Wohnzimmer anwies, in welches auch bald darauf der 
Erbprinz ) eintrat. Der Oberftallmeifter leiſtete ihm 
Gefelfchaft bis zum Beginn des Schaufpield, wo er 
ihn ind Theater führte und ihn daſelbſt der Erbprin⸗ 
zeſſin“), der älteſten und jüngften Prinzeffin und den 
Prinzen Eugen und Dietrich ’) vorftelte Es waren 


1) Dem Markgrafen Heinrid Friedrich von Brandenburg-Schweht. 

2) Leopold Marimilien, geb. 25. Sept. 1700, Erbprinz ef 
jeit dem 16. Dec. 1737, wo fein Bruder Wilhelm Guftao +3 6. 
April 1747 Herzog, + 16. Dec. 1751. Aus der heimlichen Ehe dei 
früheren Erbprinzen Wilhelm Guftav mit der Tochter des Brauer 
Herre, Johanna Sophie, ftammten die Grafen von Anhalt. Kon 
demfelben Prinzen und der Tochter des Superintendenten Ghardins 
die Herren von Anhalt. j 

3) Gifela Agnes, Tochter des Fürften Leopold von Anhalt: At 
then, geb. 21. Scyt. 1722, verm. 25. Mat 1737, + 20. Ag. 
1751. 


4) Anna Wilhelmine ftiftete das Fräuleinftift zu Mofigkau und 
+ 1780 zu Deffau unverdeirathet. Henriette Amalic, Goadjutorin zu 
Hervorden, gründete die Amalicnjtiftung zu Deffeu und + 17% 
unverheirathet. Dietrich ward von Zriedrih IL zum Generalfe- 
marſchall ernannt, nahm 1750 feinen Abfchied und lebte zu Deffen, 
führte aud von 1751 — 1758 die vormundſchaftliche Negierung und 
+ 1759. Friedrich Heinrich Eugen verließ 1743 dem preufifäen 


Karl Gottlob von Räßler. 265 


wch der Oberftallmeifter von Fuchs aus Zerbft und der 
Beheimerath won Hülfeberg, in Dienften der Marfgräfin 
Milipp, gegenwärtig, um im Namen ihrer Höfe Glück 
a wünfchen. Nach dem Theater brachte ihn der Ober- 
ballmeifter in das Schloß zurüd und ftellte ihn der 
Braut und dem Bräutigam vor. Abends fpeifte er mit 
ver fürftlichen Familie und hatte den Prinzen Dietrich 
md die DOberhofmeifterin Stenih zu Nachbarn. Der 
Dberftallmeifter führte ihn auf fein Zimmer. Andern 
Laged hatte er ‚Audienz beim Yürften, der ihn fehr gnä⸗ 
Hg empfing, in der Sache aber an den Erbpringen 
verwies. Bei Diefem fand er den Präfidenten von Raus 
mer und den Hofrat) Herrmann, und man fchritt nun 
um Geſchäft. Der deflauer Hof wünfchte die Eheftif: 
mg der Markgräfin Philipp ), Mutter des Bräuti⸗ 
gams und Schwefter des alten Fürſten, zu Grunde ge- 
legt; von Nüßler erklärte aber, daß er in die Eheftif: 
ung im Namen des Könige nicht von Witthum und 
on Apanage für die Defcendenten bringen fünne. Man 
08 fih zwar auf den gerailchen Vertrag’), nad) deſ⸗ 
en Inhalt alle Prinzen des Hauſes Brandenburg eine 
Ipanage erhalten ſollten; von Nüßler rieth aber, dieſes 
ucht beliebten’) Vertrages nicht zu gedenken, und gab 
me zu, Daß alle aus der neuen Ehe entflehende Prin- 
en und Prinzeffinnen, nad) Anleitung der Hausverträge, 


Yenft und focht unter Karl von Bothringen, trat dann in ſaͤchſiſche 
Yienfte, ward Zeldmarfhall und + 1782. 

H Johanna Charlotte, Witwe des Marfgrafen io Wilhelm 
tt 1711, geb. 6. April 1682, verm. 15. Ian. 1600, + 31. März 
IND. 


3) 1508 zwiſchen Kurfürft Johann Zricvrid und Markgraf Georg 
jriedrich abgeſchloſſen. 

3) Wol weil er die Trennung der fraͤnkiſchen Markgrafthümer 
on dem Kurftaate von Nenem begründete. 

I. 12 


266 Karl Gottlob von Mäßler. 


der Gnade des Königs empfohlen würden. Zum Wit: 
thum beflimmte man in einer befondern Schrift die 
8000 Thlr., welche die verwitwete Fürſtin von Rabji 
vil, die Schwefter der Fürftin Leopold, von dem König 
in Anfehung der oranifchen Erbfchaft erhielt. Man ar 
beitete den ganzen Zag und am folgenden erpedirt 
Nüßler eine Eftaffette an den König, ward der Fir 
ftin') und der Eunftfinnigen Fürſtin Radzivil ?) vorge 


ftelt und nahm an den Unterhaltungen des Hof - 


Theil. Am 8. Februar war auch der alte Fürſt, in 


einer grünfeidenen Contouche, mit einem Nachthut auf | 


dem Kopfe, mit zur Tafel. In der Familie dei 
Oberftallmeifters von Maſchkow gefiel Nüßler deſſen, 
damals 14jährige Tochter fehr und er ahnte wol er 
daß fie beftimmt fei, daflelbe Band zu zerreißen, be 

deflen Knüpfung er jebt mit befchäftigt war. Dem 
diejes Fräulein ward fpäter Hofdame bei der Prinzeſſin 
Leopoldine und gab zu deren Scheidung von dem Marl: 
grafen Veranlaſſung, ftarb übrigens etwa ein Jahr nad: 


mu... 


— — 


ber, im hirſchberger Bade, in den Händen eines katho⸗ 
liſchen Prälaten und ward in einem dortigen Kloſter 


begraben. Das „rothe Zimmer” intereffirte Nüßlet 
auch. Es war mit rothem Damaſt beſchlagen, hatte 
12 Wandleuchter von der Größe eines ſtattlichen Man⸗ 
nes, in der Mitte eine ſilberne Krone, einen großen 
ſilbernen Schirm vor dem Ofen und einen großen Spie 
gel mit filbernem Rahmen, welcher von der Dede ber 
unfer bi8 an einen 3 Mann hoben (?) und 2 Mam 
breiten filbernen Zifch ging, an deſſen Seiten je ai 


1) Anna Zuife Fähſe, Tochter eines Apotheker: in Deffau, geb. 


22. März 1677, verm. 1699, zur Reihsfürftin erBlärt 29. De. 


1701, + 5. Zebr. 178. 
2) Marie Eleonore, vermählt mit Zürft Georg von KRadzivil. 


Karl Gottlob von Rüßler. 267 


filberner, 1% Dann bober Gueridon fland. Kerner das 
Fahnenbuch, ein Foliant, worin die Geſchichte eines je- 
den preußifchen Regiments, mit Abbildungen der Mon- 
taren und Fahnen, beichrieben war. Am 9. Februar 
fam Die Antwort von Potsdam. Der König hatte die 
Eheſtiftung ausfertigen laſſen und unterfchrieben, aber 
Die zu Gunſten der zu erwartenden Defcendenten ein- 
gefügten Worte waren ausgelaflen. Das war dem alten 
Fürften freilich unangenehm, indeß fügte man fich in 
aled und mag darauf vertraut haben, daß eintretenden 
Falles doch geichehen werde, was man wünfche, befon- 
derd wenn man fih dem Willen des Königs in allen 
Stücken unterworfen. Nüßler'n jedenfalls ließ man ben 
Berdruß nicht empfinden, fondern überhäufte ihn mit 
Höflichleiten und Ergögungen. Auch Prinz Morik ') 
fam aud Halle am 12. Februar an und an diefem Tage 
fand, nach der Abendtafel, die Trauung ſtatt. Die fürft- 
fihe Familie, nebft den Herren von Nüßler und von 
Hülfeberg, begab fih in das Zimmer der Fürſtin, in 
weichem der Superintendent fchon war und die Trauung 
vor dem großen Bette der Fürftin vornahm. Als 
die Glückwünſche vorüber waren, fagte der alte Fürft, 
der Markgraf und die Prinzeffin möchten nun nad) 
ihrer Kammer gehen und fich zur Ruhe begeben. Das 
Brautbett ftand unter einer Art von Tempel, von blau 
und: gold. Die Brinzeffin ward in Gegenwart Der 
Fürſtin, der Markgraf in einem Nebenzimmer von den 
Prinzen entkleidet, wobei der Erbprinz Leopold dem 
von Nüßler das Hemd mit den Worten zuwarf: „der. 
König muß auch etwas dabei thun“, und nun Nüßler 


1) Al Staatsrath und General in preußifhen Dienften ausge⸗ 
zeichnet, preußifcher Generalfeldmarſchall, bei Hochkirchen verwundet 
und gefangen, + zu Deffau 1760. 

12 * 


268 Karl Gottlob von Rüßler. 


dem Markgrafen das Hemd und den Schlafrod anzog. 
Hierauf ward der Bräutigam zur Braut gebracht. Am 
andern Morgen Fam der Erbprinz zu Nüßler und 
brachte ihm, mit dem Danke des Fürften, eine goldene 
Dofe mit 100 neuen kremnitzer Dufaten. Der Fürft 
wünfchte, dag Nüßler fogleich nach Potsdam gehen, 
dem König die erſte Nachricht von der vollzogenen 
Bermählung bringen und ihm verfichern möchte, daß er 
fi) in allen Stüden der Willensmeinung des Königs 
fubmittirt hätte. Er erhielt auch ein Handfchreiben des 
FZürften an den König, mußte aber noch bei ihm fpd- 
fen und hatte nur eher abzufahren, als die orbinäre 
Hoft von Deffau abging. Ueber Tafel fagte der alte 
Fürſt zu der Markgräfin: „Habet Ihr in voriger Nacht 
befler geichlafen, als fonft? Was habet Ihr denn vor 
Herrlichkeit erfahren?” Als fie roth ward, fuhr er 
fort: „Ihr braucht nicht roth zu werden, Ihr habet es 
mit Recht.” Dem König mußte Nüßler alles erzählen 
und befchreiben und es freute Denfelben befonders, daß 
Niemand von der Vermählung etwas erfahren, bevor 
fie vollzogen worden. Die Ehe ward übrigens, wie 
fehon angedeutet worden, feine glüdliche, oder doch in 
fpäterer Zeit getrubt und gefrennt. Es erwuchfen nur 
zwei Töchter daraus: die 1745 geborne Prinzeffin Frie⸗ 
derife Charlotte Xeopoldine Ruife, welche unverheirathet 
blieb und 1755 Coadiutorin, 1764 Aebtiffin zu Herfor: 
den wurde, und die 1750 geborne Prinzeffin Luife Hen- 
riette Wilhelmine, welche am 25. Yuli 1767 ihren Cou⸗ 
fin, den regierenden Fürften, nachher Herzog Leopold 
Friedrich Franz von Anhalt: Deflau, den edein „Water 
Franz”, Sohn des Prinzen, der bei der Vermählung 
ihrer Mutter Erbprinz war, heirathete und am 11. 
Dec. 1811 ftarb. Die Markgräfin ſtarb 1782. 


Karl Gottlob von Rüßler. 369 


Rah dem Tode ded Königs Friedrih Wilhelm 1. 
und dem Ausbruch des erften fchleftfchen Krieges ward 
von Nüßler, nächſt dem Grafen Schwerin '), beauf- 
tragt, die Grenzregulirung zwifchen dem preußifchen 
Antheil von Schlefien und demjenigen, welcher in dem 
frankfurter Vertrag vom 1. November 1741 Kurfachien 
zugedacht worden, preußifcher Seits zu vermitteln. Er 
ging am 20. Dec. 1741 von Berlin ab und Fam am 
25. nach Neiffe, wo er Schwerin nicht anfraf, der in 
Olmütz war, übrigens die Sache gar nicht eilig fand. 
Der kurſächſiſcher Seits beftimmte Commiffarius, Con- 
ferenzminifter von Bülow, war in Berlin und wollte 
mit feinen Mitcommifjarien zum 29. Ianuar in Neiffe 
eintreffen. Inzwifchen bereifte Nüßler einen heil der 
Grenze und berichtete darüber. Bei Steinau fah er 
das verwüflete Schloß der Gräfin von Callenberg und 
ließ fih von ihrem Treiben und Scidfalen erzählen. 
Ein Einbrehen mit dem Wagen in Faltem Eiswaſſer 
zog ihm auf feine folgende Lebenszeit die Gicht zu. 
Die ſächſiſchen Commiffarien kamen nicht nach Neifle, 
weil fie wußten, daß Schwerin noch in Olmüß war, 
blieben vielmehr in Breslau. Schwerin hielt fie gefliſ⸗ 
fentlih bin und trug Nüßler eintretenden Falls auf, 
fi) in die Hauptfache nicht einzulaflen. Es fei nö— 
tbig, abzuwarten, wie die befchloffenen Kriegs— 
unternehmungen ablaufen würden. Er verftat- 
tete fogar Nüßler'n, nach vorheriger Befprechung niit 


1) Dem berühmten Generalfeldmarfhall Kurt Ghriftopb, geb. 
1684, erft in bolländifhen, dann in mecklenburgiſchen Dienften, 
1711 in Benver bei Karl XII., 1719 Sieger über das kaiſerliche 
Gommiffionsbeer, fpäter preußifher Gefandter in Warſchau, 1739 
macal, 1740 Generalfeldmarfhal, gefallen bei Prag am 5. Mai 


270 Karl Gottlob von Rüßler. 


dem Gabinetöminifter Grafen Podewild, auf einige Zeit 
nach Berlin zu geben, jedoch ohne vorgangige Anfrage 
beim Könige und unter fteter Bereitfchaft zur Rückkehr. 
Die Diäten (3 Thlr.) follten fortgehen. Am 3. April 
1742 befahl der König, die Grenzſache ohne Aufſchub vor 
zubereiten, wobei, wenn der Geſundheitszuſtand Schwe 
rin’3 ihm die Theilnahme nicht verftatte, der General 
lieutenant von Marwis ') deſſen Stelle vertreten ſollte. 
Nüßler traf auch Mitte April wieder in Neiffe ein, er 
krankte aber fehr gefährlih an einem Fleckfieber. 

In Neiffe fand damals auch der General von Wal- 
rawe, welchen Nüßler jchon in Deflau getroffen. De 
alte Deffauer konnte ihn aber nicht leiden ?) und fehraubte 
ihn ſtets. Theils mochte ein Inftinet ded ehrlichen Man 
ned an dieſer Antipathie Theil haben, theils hatte fie 
ihren bejonderen Grund darin, dag auf Walrawe's An 
zeige der Haupfmann Matner, den Xeopold als einen gu⸗ 
ten Ingenieur ſehr fchäßte, nach Spandau gekommen 
war. Von Neiſſe aus fuchte Walrawe den Grafen von 
Schwerin, der ihm nicht zur Commandantichaft verhe- 
fen wollte, wegen eines demfelben von den oberfchlefr 
fhen Ständen angebli angebotenen Geſchenkes zu ver 
dächtigen, was Feine Folge hatte, als daß die Stände, 
denen ein folched Anerbieten, nah Schwerin’d Verſiche⸗ 
rung, nicht beigelommen war, den Betrag defjelben, 


1) Es war dies Heinrih Karl von der Marwis aus dem Haft 
Sellin, Sohn des Generallicutenants Kurt Pildebrand von der 
Marwig und der Beate Luiſe Freiin von Derfflinger, Enkel de 
großen Zeldmarfhall Derfflinger, geb. 1680, 1737 Generallieute 
nant, im Xuguft 1741 Gouverneur von Breslau, 1742 General, 
+ 22. Dec. 1744. 

2) Und doch hatte er ihn felbft, nachdem er ihn im ſpaniſchen 
ErLfolgeßriege kennen gelernt, in preußiſche Dienfte gezogen. Ger⸗ 
bard Cornelius von Walrame war von Geburt ein Niederländer. 


Karl Gottlob von Rüßler. 271 


30,000 Thlr., zu dem neiffifchen Feſtungsbaue geben 
mußten. Der alte Deflauer war auch einige Zage in 
Neiſſe und fpeiöte bei Walrawe, der auf al fein Sil- 
ber hatte Raben ftechen Iafien. Da fagte der Fürſt: 
„Walrawe, Ihr machet Euch mit den Raben zum vor: 
aus bekannt, damit fie Euch Fünftig nicht fremde vor- 
fommen.” In Walrawe's Schlaffammer fland ein Eru- 
ciſir auf einem Pleinen Altar, das er dem Papfte durch 
die Drohung, außerdem abtrünnig zu werden, abge- 
zwungen haben ſollte. In der Mitte der Kammer fand 
ſein Bette, rechts das feiner Gemahlin, links das feiner 
Maitrefie, der Frau feines Regimentöquartiermeifters, 
dem er den Hofratbötitel ausgewirft und von dem Ko: 
nig auf den Grund bin erlangt hatte: „weil es billig, 
dag Die Maitresse eincd Generals mit einem fo an- 
ſchnlichen Titul beehrt werde.” Diefelbe Maitreffe ver- 
tieth ihn ſpäter, als er gewille, ihm zum Schein an- 
vertraute Seheimniffe nach Wien verrathen wollte, an 
dm Grafen Hake, worauf er (1748) nad) Magdeburg 
in die Sternfchanze und in diefelben Gefängniffe ge: 
bracht wurde, die er felbft für Staatögefangene ange 
legt hatte’). 

In der Grenzſache fchrieb Nüßler an den König, 
ob er noch in Neifje bleiben folle. Der König wundert 
ich in feiner Antwort über diefe Frage. Freilich müſſe 
t bleiben. Doch ſetzte er hinzu: „Sollten die Sachſen 
hres Orts trainiren, fo habet ihr folche deshalb zu er: 
nnern, und es ift alddenn Unfere Schuld nicht, wenn 
ie Sache nicht ausgemacht wird, und Ich das uti 
ossidetis erercire” ?). Die Sachfen, die jebt Doch ge 

1) Er fol aud der Unterſchlagung von mehr ald 40,000 hir. 


eftungöbaugelder überführt worden fein. 
2) So fhhrieb er von Grudino 9. Mai 1742. 


272 Karl Gottlob von Rüßler. 


merkt haben mochten, daß fie Böhmen nicht bekommen 
würden, thaten ihm den Gefallen, zu „trainiren‘ ; ihr 
zweiter Commifjarius, der Geheime Kriegsrath von 
Vorkel, war ſchon im April nach Dreöden zurüdgereift 
. und neu nicht erfeßt worden, und ald Nüßler am 16. 
Juni eine nochmalige Erinnerung bei dem Conferenz; 
minifter von Bülow anbradıte, war bereitd am 11. der 
breslauer Praliminarfriede unterzeichnet worden. Am 
18. erhielt Nüßler Befehl, Togleich nach Berlin zurüd- 
zureifen, jedoch nicht über Bredlau zu gehen und vor- 
zugeben, daß feine gewöhnlichen Amtögefchäfte ihn 
dorthin zurüdriefen, daß er aber, wenn ed nöthig fein 
werde, nach Neiſſe zurüdfommen wolle: Bald darauf 
ging auch Bülow auf feinen Sefandtfchaftspoften nah 
Berlin zurüd. 

Am 6. Januar 1742 trug Cocceji Nüßler'n bie 
zweite Prafidentenftelle bei der Dberamtöregierung zu 
Bredlau mit 800 Thlen. Gehalt .und etwa 400 Zhlm. 
Sporteln an, die er aber ausfchlug und dafür feinen 
Freund den Geheimen Tribunalsrath von Benckendorf 
in Vorfchlag brachte, der fie auch erhielt und nach und 
nach eine Befoldung von nahe an 3000 Tchlen. bekam, 
fpäter aber Amt und Vermögen verlor. Dagegen ward 
Nüßler'n die Grenzregulirung zwifchen Preußen und 
Defterreich in Schlefien aufgetragen, welches Geſchäft 
er, dem öfterreichifhen Bevollmächtigten, Oberamtsrath 
Johann Wolfgang von Dorſch, gegenüber, mit wider 
Geſchicklichkeit und Activität beforgt zu haben ſcheint. 
Nüßler befam 3, Dorfch 30 Thlr. Diäten. Am 27. 
San. 1743 traf er wieder in Berlin ein. Der König 
antwortete ihm ehr gnädig und der Graf Podemils )), 


— 


1) Heinrich Graf von Podewils, geb. zu Suckow 1005, Geſand⸗ 


Karl Gottlob von Rüßler. 973 


vie der ‚Geheime Cabinetsrath Eichel, überhäuften ihn 
nit Lob; aber .ald er bald darauf um eine erledigte 
Rathöftelle im Generaldirectorium anbielt, erfuhr er, 
a „Darüber ſchon vorher difponiret”, und ward er- 
wahnt, „auf. eine andere Gelegenheit zu warten und 
ndeflen mit der Ießterhaltenen Zulage vergnügt zu fein. 
Er hatte nämlich feit Iahr und Tag ald Director des 
Briminalcollegiumd 200 Thlr. und jeßt auch ald Gehei: 
ner Tribunalsrath ebenfoviel Befoldung erhalten. 
‚Am 7. Sept. 1743 ftarb fein Schwiegervater, der 
Ranzler von Ludewig, und zwei Zage darauf fein Schwa⸗ 
ver, der Geheimerath von Krug. Die Erben Ludewig’s 
soren die Frau von Nüßler (Anna Sophie), die ver- 
witwete von Krug (Helene Chriftiane) ’) und Juliane, 
sermählte Domherrin von Zaubenbeim. Dieje Drei 
heilten fich, unter Nüßler’d Anleitung, mitteld einer 
Yuction, in welcher der Frau von Zaubenheim das 
Freigut Benndorf, der Frau von Krug dad Rittergut 
Batterftädt zugeichlagen ward und an Nüßler das baare 
Bed kam. Man fand nämlich in einem Heinen eifer- 
nen Kaften 40,000 Thlr. in lauter Ducaten. Eigentlich 
hatte Nüßler noch an 8000 Thlr. an rüdftändigen Ehe: 
zeldern und Zinfen zu fordern; allein während er in 
Schlefien war, batte der alte Zudewig die Frau von 
Müßler nach Halle fommen und fie über Ehegelder und 
Binfen  quittiren laſſen. An Nüßler fchrieb er jedoch, 
be Quittung folle Nichts hindern, und wenn er feine 
Buittung (auf die erften Abfchlagszahlungen), Die ex 
ter in Kopenhagen und Stockholm, 1730 Miniſter des Aeußeren, + 
l Bergl. über ihn: Ranke, rem Bücher preußiſcher Ge⸗ 
ſaidte (Berlin 1848, 3 Thle.), Th. II., 1 fg, 

1) Sie heirathete am 21. März is den Nittmeifter Grafen 
bite Wilhelm von Truchſeß (geb. 1714), vom dem fie aber ſchen a am 

23. Juni deffelben Jahres wieder zur Witwe wurde. - 

12 * * 


274 Karl Gottlob von Rüßler. 


verlegt babe, finden werde, folle nicht mehr, als er 
wirffich erhalten habe, berechnet werden. Die Schweftern 
waren bereit, die Yorderung anzuerkennen, aber de 
alte Kanzler erichien der Frau von Nüßler im Zraume, 
zeigte ihr Nüßler's Quittung und fragte fie, ob das 
nicht ihres Mannes Hand fei, worauf fie mit Ja ge 
antwortet. Diefer Traum hatte fie jo gerührt, daß fie 
‚beichloffen hatte, weiter feine Forderung wegen der Ehe 
gelder zu machen, worein auch ihr Mann willigte. Er 
that das Geld erſt zu Splittgerber und kaufte dann von 
dem Rittmeifter von Kitge, für 20,000 Thlr., das Nit- 
tergut Weifienfee bei Berlin. Es diente feiner rettungs 
108 an der durd Hämorrhoiden entflandenen Auszc- 
rung erfranften Gattin zur letzten Erquidung, und fie 
ftarb am erften Advent 1745. Sie hatte ihrem Gemahl 
3 Söhne und 8 Töchter geboren, aber nur 3 Züchter 
überlebten fi. Won diefen ift die älteſte, Luiſe Emi 
lie, am 24. Februar 1752 unverheirathet geftorben. Die 
zweite, Yugufte Chriftiane Ruife, hatte den Major von 
Schenkendorf geheirathet und farb am 2. Ian. 1752, 
mit Hinferlaffung eined Sohnes, des Iohann Marimi- 
kan Karl von Schenfendorf. Die dritte, Chriftiane 
Luiſe, heirathete 1764 den Obriften von Lehmann und 
fpäter einen Herrn von Berg. 

Ein .andered Unglüd, wenn ed unter feinen Verhält⸗ 
niffen ein folched zu nennen war, traf ihn 1748, wo 
er, bei Gelegenheit der großen Cocceji'ſchen Suflizreform, 
aus feinen Aemtern entlaflen wurde. Cocceji hatte ſchon 
unter Friedrih Wilhelm I. an eine Umgeftaltung der 
Juſtizverfaſſung gedacht, aber der Bericht, den der Kr 
nig von den Miniftern von Marſchall) und von Ar 


1) Johann Auguft Marfhall von Biberftein, früher Gefandter 
in London und bei rem Gongreß zu Utrecht, + 18. Juli 1736. 


Karl Gottlob von Rüßler. 375 


rim ') und ben Geheimenräthen Mylius und Weinreich 
über feinen Plan erforderte und den Nüßler redigirt 
haben fol, war ungünflig und die Sache unterblieb. 
1746 wurde Cocceji Großkanzler und der Minifter Ar⸗ 
nim Präfident des Tribunals und ded Geheimen Juſtiz⸗ 
raths. Weide waren fich feindlih. Cocceji ſoll, nad 
Nüßler's Anficht, feinen Plan hauptſächlich dadurch 
durchgeſetzt haben, daß er der Gönner des damaligen 
Hofraths, nachherigen Großfanzlerd von Jarriges war, 
biefer aber von dem Geheimen Eabinetdrath Eichel, wel- 
ber Iarriged und deflen Sohn auch zu. Erben feines 
zeoßen Vermögens einfehte, ungemein begünftigt ward. 
Die Hauptfache war aber wol, daß Cocceji's auf große 
Thätigkeit, aber auch auf große Machtvollkommenheit 
der Richter berechneter und eine recht fehnelle und ſtrack⸗ 
liche Juſtiz verheißender Plan ganz und gar im Sinne 
bed Königd und der Militaird war. Arnim nahm fei- 
nen Abfchied und feine Anhänger erhielten ihn. Dieſes 
Schickſal traf auch Nüßler, der e8 nad dem Benehmen 
des Großkanzlers gegen ihn nicht erwartet hatte, jebt 
aber erft vom Zribunal entlaflen wurde und ein halbes 
Jahr fpater, als der Geheime Juſtizrath, eine kurmär⸗ 
Kiche Behörde, welche die Streitigkeiten zwilchen den 
Bniglichen Aemtern und dem Adel und ihren beiderfet- 
iigen Dörfern zu entfcheiden hatte, und unter welchem 
uch die Frankfurter Univerfität fand, mit dem Kam: 
wergerichte vereinigt wurde, aus aller Activität traf. 
Die Sache ward für Die dadurch Betroffenen allerdings 
yaburch verbittert, daß fie fo lange mit feinem, oder 
yanz geringem Gehalte und auf Hoffnung gedient haften 


— — · — 


* Georg Detlev von Arnim, geb. zu Bolzenburg 7. Sept. 1679, 
5. 


276 Karl Gottlob von Rüßler. 


und nunmehr fahen, wie ihre Nachfolger gleich mit 
weit anfebnlicheren Befoldungen angeſetzt wurden. Nüß—⸗ 
ler vächte fich durch einen vorwurfsvollen Brief an Cor 
ceii, auf den auch dann feine Antwort erfolgte, als die 
verwitwete Königin und Graf Podewild darauf drangen. 
Auch der König fchlug fein Geſuch um Fortbezug feines 
Gehalts von 400 Thlen. ab, wollte aber „ſehen, wie 
ihm gelegentlich .auf andere Art Diesfalld geholfen wer 
den möge.” Mebrigens fol Eocceji fpäter durch Den von 
ihm begünftigten Iarriged vielfach umgangen und ge 
kränkt worden fein, fodaß er deflen Undanf für einem 
Nagel zu feinem Sarge erflärt babe. Auch änderfe 
Jarriges, als er Cocceji's Nachfolger geworden, die 
coccejanifche Juſtiz ſchon vielfach, bis fie 1781 gänzlich 
umgeftaltet wurde. 

Müßler lebte auf feinem Gute Weiſſenſee, mußte 
aber, wiewol ohne Gehalt und Penſion gelafien, doch 
dem König ftets zur Verfügung flehen, bei Reifen Ur 
laub einholen ꝛc. 1749 trug ihm der König das Com 
mifleriat zur Vollziehung eined Reichstagsbeſchluſſes in 
Betreff der, zwiſchen den katholiſchen und evangelifchen 
Ständen des Bisthums Hildesheim ‚beftandenen foge 
nannten wiejenhaverfchen Streitigkeiten. auf, was et 
auch zu allfeitiger Zufriedenheit ausführte. Bei diefer 
Gelegenheit brachte er auch einige vergebliche Moden 
zu Hannover in der gräflih Bar'ſchen Angelegenheit zu. 
Der Minifter von Münchhaufen bot ihm eine Rath 
ftelle in dem Dberappellationsgericht zu Zelle an, die et 
aber ausſchlug. 

Er follte.aber doch wieder in den Öffentlichen Dienft 
treten. Der Minifter von Arnim war, auf den Wunſch 
des Königs, der das fplendide Haus gern wieder in 
Berlin haben wollte, zum Landfchaftsdirector gewählt 


Karl Gottlob von Rüßler. 277 


md darauf. vom König zum Yinanzminifter ernannt 
sorden. Auf feinen und des Miniſters Podewild Be⸗ 
rieb ward nun Nüßler Landrath des Niederbarnimfchen 
treifed. Die Stimmen waren zur Hälfte für ihn, zur 
hälfte für einen Andern gefallen und der König ent- 
chied für Nüßler. Er gab fich in diefem Amte, was 
Berdingd mehr nur gelegentliche Anläfle zu umfaflende- 
en Arbeiten mit fich brachte und Dies meift in Dingen, 
ie zwar gar einflußreich auf Wohl und Wehe der Be- 
heiligten, aber nicht von der Art waren, die in ber 
amaligen (und jetzigen) Welt befonders wichtig gebal: 
m wird, viele Mühe, batte aber auch im fiebenjähri- 
en Kriege große Gefahren, Bedrängniffe und Verluſte 
u beſtehen. Sein Haus und Hof zu Weiflenfee, ia 
eibft fein Haus in Berlin ward, auf Anlaß einer nicht 
efchafften Mehllieferung, rein ausgeplündert. 

: Die Gräfin von Hohberg, mit der er von 1720 — 
1726 zu Drehna an dem Hofe der Herzogin zugebracht 
atte — vielleicht diefelbe, der er in nächtlicher Einſam⸗ 
eit vorlad — war immer feine Freundin geblieben, hatte 
Ye legten vier- Jahre ihres Lebens zu Berlin zugebracht, 
n feinem Haufe gewohnt und flarb darin 1757. Sie 
ieß fih in feinem Erbbegräbniß zu Weiſſenſee beiſetzen 
md vermachte dazu 300 Thlr. Er hatte fich nicht wies 
ver verheirathen wollen und war mehreren, ihm nad) 
em Tode feiner Frau vorgefchlagenen Partien ausge⸗ 
vichen. Aber am 12. Nov. 1761 ließ er fich doch wie- 
der mit einer, allerdings fchon an der Waflerfucht. er- 
krankten Witwe trauen, die auch am 4. Mai 1762 
karb. Sie war die Tochter eined ehemaligen braun- 
ſchweigiſchen Obriftlieutenants von Hoffmann und die 
Schwefter jened preußifchen Obriften von Hoffmann, 
der bei der Uebergabe von Dresden, am 5. Sept. 1759, 


278 Karl Gottlob von Rußler. 


von den preußifchen Soldaten felbft, die er in der Trun⸗ 
kenheit infultirte, erfchoflen ward. Ste war die Witwe 


des Amtsraths Duerling. 1763 hielt der türfifche Ge⸗ 


fandte von Weiflenfee aus feinen Einzug in Berlin, was 
Nüßler'n an 1000 Thlr. Schaden gemacht haben fol. 
1764 und 1766, zulest bei der Rückkehr von Karlsbad 
und Töplitz, befuchte er feine Güter in der Oberlaufif 
und nahm 1766 von feinen dortigen Unterthanen einen 
feierlichen, von einer Predigt des Paftors Fiebiger be 
gleiteten Abichied. 

Nach dem Tode ded Kanzlerd von Ludewig hatten 
feine Erben ein Verzeichniß der von ihm binterlaffenen 
Bücher und Manuferipte druden laflen, um fie öffent 
lich zu verkaufen. Das Minifterium erflärte, daB & 
denjenigen Theil der Manuferipte und Urkunden‘, "ber 
das Fünigliche Haus und deflen Rande betreffe, für das 
Geheime Archiv anfaufen wolle, mochte aber den Koͤ— 
nig ‚nicht gern um baares Geld dafür angehen. Nun 


mn nn on 


ſchlug Nüßler vor, ihm für jene Papiere das Recht, 
für den Schenffrug in Weiſſenſee Bier brauen und 
Branntwein brennen zu dürfen, fowie die mittlere und | 


Feine Jagd auf der Feldmarf feines Dorfes zu verleihen. 
Die Brauergilde von Berlin kam aber dagegen ein und 


die Sache blieb, nach mehrjährigen Verhandlungen, fe | 


gen; ebenſo aber auch die Papiere des verftorbenen 
Kanzlerd, zu Berlin und Halle, in Kiſten eingepadt 
und verfiegelt. Am 15. San. 1774 kam aber auf ein 
mal ein Minifterialrefcript an Nüßler: feines feligen 
Schwiegervaters, des "Kanzlerd von Ludewig, Manu 
feripte, in das Archiv zu liefern, oder widrigenfalls zu 
erwarten, daß er wegen derfelben werde fiscalifch be 
langt und zur Auslieferung gezwungen werden. Nüß 
ler antwortete, unter bem 20. Februar: „daß, weil 


Karl Gottlob von Rüßler. 279 


diefe Manufcripte gegen das Vermögen, weldhes 
er feit einem halben ISahrhunderte in des Kö— 
rigs Dienfte zugeſetzet habe, eine Kleinigkeit 
wären, er fich lieber feines etwa daran habenden Eigen: 
thums unentgeltlich begeben wolle. Dan möge ſie von 
dem Geheimenrathbe Carrady zu Halle und von dem 
Kriegsrathe von Krug, an den fie von deilen verftorbe- 
nem Bruder, feinem Schwager, gefommen, abfordern, im 
Webrigen aber die in diefer Sache etwa noch nöfhig wer: 
yenden Referipte nicht an ihn, fondern an feine Schwa- 
jerin, die Gräfin von Zruchfeß, und an feinen Schwa- 
jer, den Geheimenrath und Domheren von Zaubenheim, 
zlaflen. Nun ließ man ihn in Ruhe und ed war Died 
Ke letzte Kränkung, Durch welche feine Erfahrungen 
iber den Staatödienft bereichert wurden. Freilich lebte 
w auch nicht mehr lange, fondern flarb am 31. März 
1776 nach längeren Gichtleiden. Sen Gut Weiflenfee 
hielt feine Zochter, die Damals verwitwete Frau von 
dehmann als Fideicommiß und nad ihr fein Enfel, der 
Beutenant von Schentendorf. Wenn diefer, oder feine 
Söhne und Enkel ohne männliche Erben abgingen, fo 
follte ed, nach dem Zeftamente vom 24. Sanuar 1774, 
dme Stiftung für junge märkiſche ftudirende Edelleute 
werden. 


IX. Kaubderbach. 


Johann Heinrich Kauderbach ward am 20. Juli 1107 
zu Meißen geboren. Sein Vater war M. Sigismund 
Heinrich Kauderbach, Collega IV. und Director. Chori, 
alfo Kantor bei der Kürftenfchule zu Meißen, in md 
chem Amte er fein 5Ojähriges Jubilãum gefeiert. Seine 
Mutter, Johanna Salome, war eine Tochter des feine 
Zeit fehr angefehenen Rectors diefer Schule, Joh. Jalob 
Stübel. Die erften Elemente und den erften Religiont: 
unterricht erhielt er bi8 in fein fünftes Jahr in der — 
Mädchenichule in Meißen; dann unterrichtete ihn feine 
Mutter in den Anfangsgründen der — lateiniſchen Sprache, 
fowie im Schreiben und Rechnen. Hierauf ward ei 


(2 wuu.2 


7 VessE GE I rrerr 


nebft den Eöhnen des Superintendenten Dr. Wilke und . 
des Obriften von Stlingenberg, von welchen letzteren 
einer Später ald Obrifter, der andere ald Generallieute 


nant verftorben, einem M. Zfcheufert und nach deflen 
Beförderung einem M. Reichel zum Unterricht überge 
ben, der denn aud) fo gut bei ihm anfchlug, daß et 
fhon in feinem elften Jahre zur Aufnahme in die Für⸗ 
ftenfchule reif gefunden wurde. Vorher brachte ihn fein 
Vater, um ihn für die Strapagen des beginnenden 
Schullebend mit der nöthigen Freudigkeit auszurüften, 
auf einen Monat zu einem Freunde nach Dresden, damit 


Kanderbach. 281 


er dort die Feierlichkeiten ded Beilagerd des Kurprinzen 
mit der Erzherzogin Maria Joſepha, was im Jahre 1719 
gehalten wurde, bewundere. Er beftand dann feine 
ſiihs Jahre auf der Fürftenfchule, unter dem Nectorate 
eft feines Großvaters, dann des Nector Martius, der 
ihm befonderd gewogen war, und valedicirte 1725. Er 
fand im fpatern Xeben ein Vorzeichen feiner Fünftigen 
Schikfale darin, dag feine Waledictionsrede de causis 
pereuntium rerum publicarum handelte, fowie daß, 
Ratt der fonft gewöhnlichen Motette, das Lied: In allen 
meinen Thaten ıc. gefungen wurde, wo er denn fowol 
den Vers, der ſich anfängt: „Zieh ich in ferne Lande“, 
bedeutungsvoll fand, als auch in feinem fpätern Leben 
die Erfüllung der Schlußworte eined andern Verſes zu 
erkennen glaubte: „So werd’ ich Gott noch preifen, In 
manchen ſchönen Weifen Daheim in meiner Ruh.‘ 

Zu Michaelis 1726 bezog er Die Univerfität Leipzig, 
um Die Rechte zu ftudiren, wobei er befonderd Gribner 
und Dietze gehört zu haben fcheint. Bei Dr. Rüdiger, 
deſſen philofophifche Vorleſungen er befuchte, hatte ihm 
fein Vater den Tiſch bedungen. Nach drei Jahren ver- 
ließ er aber Leipzig, ohne fich der juriftifchen Praris, 
zu der er feine Neigung empfand, zu widmen; ging 
vielmehr, mit feines Vaters Einwilligung und Segen, 
von einer ſchon durch Martius aufgemunterten Neigung, 
zu reifen, getrieben, über Zranffurt, Mainz und Köln 
nah Holland und zwar gerade nad) dem Haag. 

Hier fuchte er zuwörderft mit den Gelehrten bekannt 
zu werden, und erlangte die Gunft des durch feine 
Streitichriften mit dem großen Philologen Bentley be: 
kannten Cunningham und eines lector linguarum orien- 
talium in Leyden, de la Faye. Sein Vater, der nod) 
fünf andere Kinder zu verforgen hatte, Fonnte ihm nicht 


282 Kauderbadh. 


viel mitgeben und er mußte fich einige Zeit fehr einſchrän⸗ 
fen. Doch verfchaffte ihm de la Faye Gelegenheit, eini- 
gen jungen Leuten von gufer Familie Unterricht im La 
teinifhen und in der Geographie zu geben. Dann 
machte er mit dem Abbe Prevot '), einem bekannten 
franzöfifhen Bücherfabrifanten, Bekanntſchaft, der eben 
damals, durch den Greffier Fagel veranlaßt und unter 
ſtützt, an einer franzöftfchen Ueberſetzung des Thuanus 
arbeitete. Prevot bot ihm Haus und Tiſch an und ger 
brauchte ihn zur Verfertigung der Noten zu feine 
Meberfeßung. Bald darauf aber ging Prevot bei Nacht 
und Nebel dur) und nad) England. Es gelang um 
ferm Kauderbach, Die Bücher, welcher der Greffier Fa 
gel dem Prevot geliehen, durch zeitige Anzeige aus dem 
Schiffbruche zu retten, was ihm denn diefen angefche 
nen und einflußreihen Mann noch gewogener machte 
Hierauf überfeßte er für den bekannten Miſſi de Rouf 
ſet die einfchlagenden Stellen aus Schweder’d Theatrum 
praetensionum, welche den größten heil desjenigen 
Werkes bilden, was Rouffet unter dem XZitel: Interets 
des Princes in 2 Quartanten herausgab. Brachte 
ihm auch Diefe Arbeit zunächft nicht viel mehr en, 
ald den Tiſch, fo hatte doch Rouſſet feiner in der Vor: 
rede gedacht, und Died verfchaffte ihm die Correfpondenz 


1) Anton Zranz Prevot d'Exiles, geb zu Hesdin I. April 1697, 
erft Sefuit, dann Benchictiner und Mitarbeiter der Gallia christiana; 
ging nad Holland und fhrieb dic Memoires d’un homme de qua- 
lité qui s’est retir& du monde; fpäter die Histoire generale des vo- 
yages, mehrere Romane, überfegte den Richardſon und + 23. Nov. 
1763, indem ein Ghirurg den Scheintodten bereits geöffnet hatte, 
ald er zu ſpät erwadte. Seine ausgewählten Werke erſchienen in 
39 Bänden. Am befannteften ift fein Dedant von Killerine, der in 
der That einige gute Einblide in die damaligen Zuſtände Irlands 
und feine Beziehungen zu Frankreich bietet. 


Kanderbadh. 283 


t dem polniſch-ſächſiſchen Sonferenzminifter Grafen 
n Bünau, die er auch bis an deflen Tod fortiegte 
d dafür „ein ehrliched Salarium” zog. Er beforgte 
chrere Ueberſetzungen, fland vornehmen Perfonen bei 
ren literariſchen Arbeiten bei und fchrieb ein Journal 
tee dem Titel: Etat politique de l’Europe, wovon 
Bände erfchienen und was in das Englifche, Spa: 
Ihe und Italienifche überjegt ward. Das alles mußte 
3 boch gut genug nähren, daß er es fchon 1735 wa: 
a Eonnte, ſich mit der Tochter eines Dffizierd von der 
chweizergarde des Prinzen von Oranien, Maria Martha 
cher, zu verheirathen. 

Seine Lage verbeſſerte fich aber noch vorzüglich durch 
genden Umftand. Der Graf Stanislaus Poniatowsky, 
oiwode von Mazovien und fpäter Saftellan zu Kra⸗ 
1), Vater des nachherigen Königs von Polen, Groß: 
ter des bei Leipzig gefallenen franzöfiichen Marichalls, 
achte nämlich feinen Alteften Sohn Eaftmir nach dem 
sag und fuchte einen Lehrer in Politif und Gefchichte 
e ibn. Er hatte gehofft, fein alter Freund, der ſchwe⸗ 
he Gefandte von Preiß, würde ihn in fein Haus 
fnehmen und in den Gefchäften üben. Dies war aber 
m GSefandten unmöglich, da er angewielen war, nur 
borene Schweden, oder Perfonen, zu deren Aufnahme 
vom Könige autorifirt worden, an die Gefandtichaft 
zufchließen. Er empfahl feinem Freunde aber unfern 
auderbach, der feine Anmerkungen zu Voltaire'd Leben 
arl's XI. unter dem Titel: Remarques d’un gen- 
homme polonais, redigirt und herausgegeben hatte. 
er junge Poniatowsky zog zu Kauderbach ind Haus, 


1) Geb. 1678, Anhänger und Begleiter Karl’s XI, und Sta⸗ 
Haus Ledzcinsfy’s, + 1762. 


284 Kanderbach. 


der für Tiſch, Logis und Unterricht monatlich 50 Du⸗ 
caten und beim Abzug ein anfehnliches Präſent erhielt. 
Sein Zögling ging fpäter in heſſen-kaſſeliſche Dienſte, 
ward dann in den Fürftenftand erhoben und Großkän— 
merer von Polen und ift erft 1800 geftorben '). Die 
Eltern waren mit Kauderbach's Leitung fo zufrieden, daß 
fie ihm auch den zweiten Sohn Alexander, begleitet von 
einem polnifchen Edelmann Ogerdsky, zufchicten und 
ein ganzes Jahr bei ihm unterhielten. Diefer Alerander 
Poniatowsky ift fpater in franzöftfche Dienfte gegangen 


und bei Erftürmung von Ypern, an der Spike ſeiner 
Grenadiere, von dieſen felbft unverfehens erjchoflen wor . 


den. Kauderbach behauptete, DaB das Portrait deffelben, 
was er ihm hinterlaſſen, in derfelben Minute, in der et 
gefallen, ohne irgend eine erdenfbare Urfache herabge⸗ 
flürzt und zerfrümmert fei. Später nahmen auch der 
Abbe Franz Poniatowsky und der nachherige König 
Stanislaus Auguft feine Gaftfreundfchaft, wenn auf 
nur als Neifende, in Anſpruch und namentlich den Lech 
fern ſah er fowol in Aachen, während des Congreſſes, 
ald im Haag in feinem Haufe. 

Die Empfehlungen des Vaters diefer jungen Cave 
liere, der bei dem König Auguſt von Polen, ungeachtet 
er ſich zwei Mal auf die Seite Leszcinsky's gefchlagen, 
in böchftem Anſehen fland, ſcheinen wirffamer am drei 
dener Hofe geweſen zu fein, als die früheren des Gr« 
fen Bünau, und er ward ganz unerwartet zum polnild 
fächfifchen Legationsrath ernannt, wobei er den Auftrag 
erhielt, direct mit dem Hofe zu correfpondiren. Gen 
Berichte müſſen intereffant gewefen fein; denn fein an 
fanglih nur auf 400 Thlr. beftimmter Gehalt wurd: 


1) Er war am 15. Sept. 1721 geboren. 


u.) 0u ua engen - rg - et pt et Oo Du u u nn 


Kanderbach. 285 


bon nad einigen Monaten auf 800 Thlr. vermehrt. 
Der Gefandte, Generallieutenant de Debroffe, fah aber 
ſchr Scheel auf diefen Concurrenten. 1748 erhielt er 
Gelegenheit, dem Hofe einen befondern Dienft zu er: 
weiſen, der mit den damaligen Yriedensverhandlungen 
m Verbindung geftanden zu haben fcheint. Als Charge 
dAffaires, mit beträchtlich vermehrtem Gehalte, wohnte 
we dem anfangs zu Breda verfuchten, dann nad) Aachen 
verlegten Congreſſe bei und hatte bier mit dem Grafen 
Raunig und dem franzöfifchen Gefandten, Grafen St. 
Severin, mehrfache wichtige Verhandlungen. Nach 
Dresden berufen und vom öfterreihifchen Hofe mit 
inem belobenden Zeugniß verfehen, follte er jegt fach: 
cher Refident in Wien werden, wo der zeitherige Re- 
ident Lautenſack geflorben war. Da er aber Feine Luft 
yatte, ſich in die fchwerfälligen Reichsgeſchäfte hineinzu⸗ 
Inbiren, auch wegen feiner Kinder lieber im Vaterlande 
Heiben vwollte, fo beprecirte er diefe Stelle und empfahl 
yafür den Geheimen Legationsrath Iohann Sigmund 
Pezold, damals Refident in Petersburg, deſſen Vater, 
An Prediger zu Wiedemar bei Delitfh, auf der Uni- 
verfität ein intimer Freund feines Vaters geweien war 
und der Die Stelle alddann auch über 30 Jahre beglei- 
tet hat und 1783 in Wien geftorben ift'). 

Kauderbach wurde nun zum Oberbibliothefar, mit 
dem Charafter ald wirklicher Kriegsrath und 1200 
Ihlr. Beſoldung, ernannt und behauptete, fich während 
dee kurzen Zeit, daß er diefen Poften befeflen, nämlich 
von 1749— 50, viele Mühe gegeben zu haben, bie in 
der größten Unordnung vorgefundene Bibliothel in 


— — — — 


1) Er ſtarb im 80ſten Lebensjahre, ward nobilitirt und war der 
Bruder der Mutter des Philoſophen Grufins. 


286 Kanderbach. 


Ordnung zu bringen und katalogiſiren zu laflen ). Er 
wurde aber auch noch in andern Commilfionen, ſowol 
im Lande als in Holland, gebrauht und ſchon 1750, 
nachdem Debrofle geftorben, zum Refidenten im Haag 
ernannt. Hier fiel er, in Folge der vielen Aergerniß 
und Arbeit, die er im fiebenjährigen Kriege zu beftehen 
gehabt, in Betreff deffen er über 30 Schriften und Me 
moires verfaßt und der dresdner Bibliothek gefchenkt 
bat, 1758 in eine langwierige und Tebensgefährlice 
Krankheit von 11 Monaten. Kaum bergeftellt, folte 
er die Grafen von Rer?) und Flemming’) ald Gehe: 
mer Legationdrath zu dem damald beabfichtigten Eon 
greß zu Augsburg begleiten. Da aber Diefer nicht zu 
Stande Fam, fo erhielt er Erlaubniß, zu Beſſerung fe: 
ner Gefundheit eine Reife nach Italien zu machen. 
Diefe Reife, auf der er fih in dem gefegneten Klima 
von Neapel vollkommen wiebderherftellte, fcheint auf 
fonft den Glanzpunft feiner Erinnerungen zu bilden, de 
ihm überall viel Ehre widerfuhr. Er hielt fich zwei gamt 
Jahre in Italien auf. In Zurin erzählte ihm der Mar 
quis de Botta mandherlei Geheimes von feinen Gefandt- 
Tchaften in Petersburg und Berlin. In Rom ward a 
dem Papft Clemens XIIL vorgeftellt, erhielt deſſen Or 
gen, einen Nofenfranz nebft agnus dei und bie ſchme 
helhafte Werficherung, daß er ihn längft aus feine 


1) Seinem Nachfolger, dem berühmten Ebert, war dagegen fein 
ganze Beziehung zur Bibliothek ein Näthfel. 

2) Karl Auguft von Rex, geb. 23. März 1701, kurſaͤchfiſche 
Eaninete: und Gonferenzminifter, 1742 Reichsgraf, + 15. Set 


3) Karl Georg Friedrich Graf von Flemming aus der Zoifder 
Linie, geb. 17. Nov. 1705, kurſaͤchſiſcher Gabinetsminifter um 
Staatsfecretair der auswärtigen Angelegenheiten, General der Ir 


. — N — U oO m u (m VD HD | | CE Mu iu BL, — ⏑ — — 


fanterie, polniſcher Generallienteneant, Staroft zu Meme, + 1. : 


Aug. 1767. Er war mit einer Lubomirska vermäßlt. 


Kanderbadh. 287 


Schriften Fenne. Der Gefandte feines Hofes, Graf 
Lagnasco, flellte ihn vor. 

In Neapel wurde er, nebft dem Grafen Heinrich 
Brühl’) und feinem eignen Sohne, dem Könige durch) 
den kaiſerlichen Gefandten Grafen Neipperg vorgeftellt 
und erhielt die Damals nicht fo leicht zu erlangende Er- 
laubniß, die in Herculanum audgegrabenen Antiquitä- 
im in Portici zu befehen. Er behauptete, daß Winkel: 
nann, Der zu Neapel fuspect und ein unangenehmer 
Saft geweien, nur durch ihn, der ihn mitgenommen 
md freigehalten, zur Anficht Ddiefer Dinge gekommen 
& Sn Caſerta ward er auf Eöniglichen Befehl, laute 
mo lautissime fractirt. In Lucca bewillfommnete ihn 
ie Signoria durch eine folenne Deputation und über: 
ndete ihm, in einer großen Menge filberner Schüfleln, 
in Ehrenpräfent an Wein, Chofolade, MWachslichtern, 
Schinfen und geräucherten Zungen. Er hatte aber Un: 
lück damit, indem, in Folge eined Verſehens feiner 
Zedienten, die Zollbeamten in Florenz den ganzen Vor: 
ath conftscirten. Dagegen war Parma der Gipfelpunkt 
eines Glückes. Denn der Herzog von Parma, der In: 
ant Don Philipp ?), dem er durch den franzöfiichen 
Befandten, Grafen Rochechouart vorgeftelt worden, 
and ganz befonderes Gefallen an ihm. Er logirte ihn 
n feinem Luftfchloffe zu Colorno neben feinem Schlaf: 


1) Albert Ghriftian Heinrich, geb. 12. Quli 1743, 1748 Lieutes 
nant, 1749 DOberlieutenant, 1750 Gapitain, 1758 Major, 1762 
Döriftlientenant, 1763 Obriſt, + 30. März 1792 als preußiſcher 
Befandter in Münden. 

2) Ein Sohn Philipp’ V. von Spanien und ter Elifabeth Zar: 
nefe, geb. 15. März 1720, 1748 Herzog von Parma, Piacenza 
and Guaftalla, 26. Ang./25. Det. mit der Prinzeffin Luiſe Eliſa⸗ 
beth von Frankreich (geb. 14. Aug. 1727 + 6. Dec. 1759) ver⸗ 
mäslt, + 18. Zuli 17655 Stammovater des noch jegt in Parma 
regierenden Zweiges der Bourbons. 


288 Kaubderbach. 


zimmer ein und behielt ihn 2 Monate bei ſich. Nach 
dem Abendeſſen ſpielte der Infant gewöhnlich mit der 
Marquiſe de Malaſpina, dem Grafen Heinrich Brühl 
und unſerm Kauderbach Triſett. Nach dem Frühſtück 
ging er meiſtens mit ihm im Garten ſpatzieren und 
erzählte ihm merkwürdige Anekdoten. Als Kauderbach 
ſpäter in Mailand war, ließ er ihn durch einen ſeiner 
Cavaliere nochmals einladen und auf der Villa bei Co 
lorno mit einer fröhlichen Mahlzeit bewirtben. In Zu: 
rin ward er dem König, in Genua dem Dogen vorge 
ftelt, wäre aber dann bei der Ueberfahrt nach Zoulen 
beinahe durch die Kugeln einer Fleinen genuefiichen For 
tereffe zu Schaden gefommen, da der Feluquier nicht 
fchnel genug feine modenefifche Flagge aufzog. In 
Toulon traf er in dem Intendanten der Provence einen 
alten Freund, den Marquis Fenelon, Sohn des ehema⸗ 
ligen franzöfiichen Gefandten im Haag. In Bordeau 
fuchte er einen Erbanfpruch feiner Frau zu reguliren, 
bat auch fpäter den darauf gerichteten Proceß gewon⸗ 
nen. Er blieb dann einige Zeit in Lyon und reifte von 
da, mit Umgehung von Paris, was er nie gefehen zu 
haben fcheint, über Dijon, Strasburg, Stuttgart, Mün 
chen nad) Wien, wo er dem Kaifer Franz und dem Ery 
herzog Joſeph, fowie der damaliger Gemahlin bes Letz 
teren, einer Zochter feined parmefanifchen Gönners ') 
vorgeftelt ward, und von da über Krafau nad) War 
ſchau. 

Hier logirte er im Palais des Grafen Brühl und 
ward an der königlichen Marſchallstafel geſpeiſt, haupt 
fachlich aber von den Poniatowskys ungemein honorirt. 


— 


1) Maria Ifabella, geb. 31. Dec. 1741, verm. 7. Sept. / b. Det 
1760, + 27. Nov. 1763. Joſeph liebte fle fehr. 


Kanberbach. 2389 


on Da ging er, nach einigen Wochen, nad) Dresden, 
o er abermals im Palais bed Miniflerd logirte und nach 
fen Rückkehr an deſſen Tafel ſpeiſte. Es fcheint da- 
w, daß er fih des Sohnes des Grafen in Italien be- 
mberd angenommen haben mag, und vielleicht hat ihm 
38 die ganze Reife verſchafft. Er blieb drei Monate 
ı Dresden, während welcher er fich auch wieder auf der 
zibliothek fehen ließ. 

Kaum war er wieder ald Minifterrefident im Haag 
ngelangt, als er die Nachricht von dem Zode feines 
Souveraind und bald auch die von dem Tode bes Gra⸗ 
a Brühl erhielt. Er war jeßt in einigen Sorgen we: 
m feines Poſtens, für den fi) mehrere Bewerber ge- 
eldet haben follen. Der Kurfürft Friedrich Chriftian 
eftätigte ihn aber wieder. 1766 jedoch ward er zu- 
keeberufen, weil man für gut fand, einen bloßen Ge— 
Häftsträger im Haag zu erhalten. Er ward aber in 
inem Rappelfchreiben ald Envoye bezeichnet, was ihm 
en von Seiten ber Generalſtaaten das bei den En- 
eyes übliche Ehrengefchent verfchaffte, welches in einer 
00 Ducaten an Werth betragenden doppelten goldenen 
dette und Medaille beitand, während die Refidenten 
ur eine Kette zu 500 Fl. an Werth erhielten. 

- Bald nach feiner Rückkehr hatte er das Unglüd, fei« 
en zum Legationdfecretair in Augsburg beflimmten ein» 
gen Sohn und feine jüngfte Tochter, welche fich in 
holland verlobt hatte, an den Blattern zu verlieren. 
Rur die ältefte Tochter ward gerettet. Er befam eine 
Benfion von 1200 Thlrn., welche aber in dem Theue⸗ 
ungsjahre 1771 auf 1000 Thlr. rebucirt wurde, und 
ebte anfangs in Weißenfels, wo er fich ein Haus baute. 
Rach dem Tode feiner Frau, welcher die fächfilche „Feine 
ft niemals befommen und die am witlihen Heimweh 
I. 1 


1) &. feinen NRefrolog in (Eck's) Leipziger gelehrtem F 


— —— — — — — — — 22N — 





. Der Aberglaube des achtzehnten Iahr- 
hunderts; die Gräfin Coſel. 


Kan nennt das 18, Sahrhundert das der Philofophie, 
er Doch der Aufklärung, und gewiß ift ed, daß in 
nem Verlaufe die gewaltige Geiftesfraft eines Leibnig, 
off, Rewton, Montesquieu, Friedrich I., Kant, Leffing 
d Anderer eine Reihe von Bahnen eröffnet hat, welche 
n ganzen geiftigen und materiellen Leben der europäi- 
en Menfchheit neue Richtungen gaben, und wodurch 
allen Gebieten des Willens eine vorher ungefannte 
arbeit und Sicherheit erreicht ward, taufend Lücken 
Bgefüllt, taufend Irrthümer befeitigt wurden, wenn 
ch das lebte Räthſel nirgends gelöft worden ift. Mit 
n erfchütterten, oder gebrochenen Glauben an die Un- 
iglichkeit aller der Lehrſätze, bei denen fich die Vor⸗ 
en beruhigt hatten, und unterſtützt von mächtig ge 
igerter geiftiger Regfamfeit und ungemeiner Verfeine- 
ng und Vervielfältigung der Genußmittel verbreitete 
y, befonders in den höheren Ständen, eine rivolität, 
Iche alles Glaubens fpottete, fi von jedem Bande, 
8 ihr ald Vorurtheil erfchien, freimachte und zuletzt 
es auf einen jeder höheren fittlichen Idee ermangeln- 
n Materialismus zurückführte. Man gab das Alte 
a fo williger auf, wenn es der berrfchenden Sinnlich- 
13 * 


292 Der Aberglaube bed achtzehnten Jahrhunderts; 


feit und Seldftfucht läftig und unbequem war, wen i 
man durch feine Aufgabe eine bedrüdende Mahnung y 
des Gewiflens loswurde. Eine tiefere Anfchauung ward ı 
nicht gewonnen; Dberflächlichkeit und Gedankenlofigkeit 
blieben nachher wie vorher; das Vorurtheil vertauſchte 
blos feinen Gegenfland. Wenn man vorher an Dinge |; 
geglaubt hatte, die ſchon dem erften Nachdenken und 
den Anfangsgründen des Wiſſens ald unmöglich und 
wibderfinnig erfcheinen mußten, jo verwarf man ich | ) 
auch ernfte und ewige Wahrheiten mit nicht wenige | 
feichten und oberflächlichen Gründen: Man glaubte | 
nicht mehr an Gefpenfter, aber man glaubte auch nicht 
an den unfterblichen Geiſt. Man glaubte nicht mehr ] 
an den Teufel, aber man glaubte auch nicht mehr an 
den ewigen Gott. Man erkannte dad Nichtige mandeb | 
von Menfchen erfonnenen Formenwerks, aber man blieb 
der Sklave anderer, nicht weniger nichtiger und wil⸗ 
kürlicher und vielleicht weniger nützlicher Formen, und 
man gab auch den Glauben an die Tugend, bie Ehe , 
furcht vor der fittlihen Pflicht auf, und führte alle \ 
auf die Berechnungen ded Nutzens, der Luft und ana ı 
conventionellen Ehre hinaus. Aber wie dem aud fü, ı 
die feine Gejelichaft des damaligen Europa feßte ihr j 
Stolz darein, nichtd zu glauben, was fich nicht mathe i 
matifch beweifen, oder mit den Fingern begreifen fie, | 
glaubte, einen gewaltigen geifligen Vorfchritt gethan ' 
haben, wenn fie die überfinnliche Welt und das zufünf 
tige Leben als entweder gar nicht vorhanden, ober doch 
für die Menfchen gleichgiltig betrachtete, und gefiel fih 
in einem gegen faft alles zeither Geglaubte gerichteten, 
durch mehr oder minder geiftreihen MWig, mehr ode 
minder feharffinnige Dialektif getragenen Skepticismus. 
Um fo auffälliger Fönnten bei folcher Richtung ge 


die Gräfin Coſel. 293 


ville Gegenſätze in denſelben Kreifen derfelben Zeit er- 
heinen. Wir denfen dabei nicht daran, daß jener Skep⸗ 
icismus von manchen Dingen, die er theoretifch vermarf, 
leichwol fortfuhr, praktifch fehr ausgedehnten Gebrauch 
u machen, wie Dad namentlich in politifchen und kirch⸗ 
ichen Sachen der Fall war. Hier war der Egoismus 
er beftimmende und leicht erfennbare Grund. Die vor: 
ehme Sefellichaft glaubte an die Wahrheit und Berech⸗ 
gung vieler Dinge nicht, Die fie Doch ald ganz nüglich 
nfab, um die niedern Stände im Zaum zu halten. Wir 
enken ferner nicht an diejenigen Minoritäten derfelben 
Rreife, welche in jene Richtung gar nicht eingingen, fon- 
ern fich einer ganz entgegengefeßten ergaben und na⸗ 
nentlich für das Bedürfniß religiöfer Innigkeit eine Be: 
riebigung in Strebungen und Kreifen fuchten, wie man 
te ald möüftifchspietiftiiche zu bezeichnen pflegt. So na⸗ 
nentlich in der proteftantifchen Kirche die Herrnhuter 
md die Anhänger Spener’d, in der Katholifchen die 
Jünger von Port Royal und die Martiniften. Man 
ann nicht eigentlich jagen, daß diefe Richtungen Durch 
Ne Erfteren ald Gegenfat hervorgerufen worden waren; 
vielmehr waren beide ein Gegenfat gegen die Sterilität 
des Buchftabenglaubend, der blos Außerlichen Werke 
und des Formenweſens der alten Kirchen; ein Gegen: 
fat, ber nur auf verfchiedenen Wegen fich abzweigte. 
Endlich legen wir den, wie überall, wo Worurtheil im 
Spiele, fich zeigenden Inconfequenzen in den Einzelcha- 
tafteren Feine Bedeutung bei, wo zuweilen ein Gottes⸗ 
leugner fih vor Gefpenftern fürchtet, oder ein Sfepti- 
fer vom reinften Wafler Doch fich gläubig Die Karte von 
einer alten Frau Schlagen laßt, oder irgend einen lächer- 
lichen Aberglauben anwendet, um eine glüdliche Xotterie- 
nummer zu erfahren. Aber Das ift die eigenthümliche 


204 Der Aberglaube des achtzehnten Jahrhunderts; 


Erſcheinung, um die es ſich bier für uns Handelt, daß 
diefelben Kreife, Die fich auf der einen Seite von allem 
alten Glauben losſagten und von der Aufflärung, dem 
Skepticismus, dem fogenannten Reiche der reinen Ver⸗ 
nunft fait machten, doch auf der andern Seite für die 
allerunfinnigften Schwärmereien und Vorfpiegelungen, 
wenn fie fi) ihnen nur in neuer Form zeigten, Em 
pfänglichfeit genug befaßen, um die feine Geſelſſchaft 
faft aller europäifchen Staaten wiederholt eine Beute 
von Betrügern oder Schwärmern werden zu fehen, de 


ren Blendwerke zu entdeden ed weit weniger Scharf 
finnes bedurft hätte, ald den man zur Bekämpfung 
des alten Syſtems angewendet. Dad Jahrhundert de 


Voltaire und Diderot fah auch die Caglioſtro, Gaßner, 
Schrepfer, ließ fich Geifter citiren, fuchte nach bem 
Stein der Weiſen, gefiel fi) in phantaftifchen Verbin 
dungen, die von einem Grade zun andern durch Ver 
heißung der Entdedung wichtiger Geheimniffe Lodten, 


welche ewig ausblieben, ergriff bald das, bald ind 


mit Ddemfelben jchwärmerifchen Eifer und demſelben 
Mangel an Kritif und Befonnenheit, der zu fovid 


Wunderglauben des Mittelalters geführt hatte Zaw 
fende von Parifern, welche nichtd von den Wunden : 
und Reliquien der Kirchenheiligen willen wollten, from 


ten doc zu dem Grabe des Franz von Paris, oder zu 


den durch Erde davon geweihten Verfammlungen, wii _ 
es der Heilige der Ianfeniften, weil ed ein neuer, ein 


oppofitioneller Heiliger war. 


Die Srfcheinung ift unleugbar und hat auf den m 
ften Anblid ihr Befremdendes, läßt fih aber do me : 
ſchwer erflären. Es war eine Uebergangszeit, in wid 


cher das Alte zerfiel, dad Neue aber noch nicht aufge 
baut war. Die große Mafle der fogenannten gebildeten 


u‘ 


.-. 


bie Gräfin Coſel. 295 


Belt hatte von der neuen Wiſſenſchaft den allgemeinen 
Iweifel an ben zeitherigen Autoritäten und ein unbeſtimm⸗ 
es DVorgefühl großer bevorftchender Entdedungen und 
lkriumphe des menfchlichen Geiftes angenommen, aber 
ür beides keine fihern und erfchöpfenden Gründe. Sie 
atte den alten Myſterien entjagt, aber ihre Phantafie 
erlangte nach neuen. Ihre Genußfucht konnte durch 
ichts fo ſtark geködert werden, wie durch die Ausficht 
uf unerfchöpfliche, willkürlich vermehrbare Schäße, und 
a Die nationalökonomiſchen Zweifelögründe dachte man 
natürlich am wenigften. Leugnete man auch ein zufünf- 
ges Leben, oder entichlug ſich wenigftens jeder Rüd: 
ht Darauf, fo Eonnte man doch das Alter und den 
sod nicht Teugnen, und hätte fich glüdlich gepriefen, 
venn ein Mittel gegen beide zu finden gewelen ware. 
ind wie auf den Pfaden des alten Glaubens nur zu 
Bee fi) mit gewiſſen Gebeten und Ceremonien, mit 
derrichtung gewiller Handlungen abgefunden zu haben’ 
Jaubten, obne Dies alles mit dem wahrhaft religiöfen 
Sinne zu durchdringen, der allein diefen Dingen den 
Berth und die Kraft gibt, fo wollten auch die neueren 
langer der Weisheit und Tugend diefelben ſich in faß- 
her Weile, in furzen Sprüchen und Sätzen, die man 
it Leichtigkeit auswendig lernen könne, gelehrt wiflen, 
> glaubten auch fie durch allerlei Seremonien und 
urch den Richterfpruch anderer Menfchen auf eine bö- 
exe geiftige und fittliche Stufe gelangen zu können, 
be ſelbſt etwas dafür zu thun, ohne irgend geiflig 
nd fittlich gehoben zu fein. Die erft beginnenden, eine 
Male Ummandlung anbahnenden Entdedungen im Ge- 
tete der Phyſik und Chemie ſpannten theild die Erwar- 
ingen des Publifums aufs höchfte, theild gaben fie 
speculanten zu mancher Muftification Gelegenheit, bei 


296 Der Aberglaube des achtzehnten Jahrhunderts; 


welcher die Unbelanntichaft des Publikums mit Dielen 
neuen Worfchritten in Rechnung gebradht war. Auch 
aus dem vorhergehenden Jahrhunderte fanden ſich noch 
mancherlet Züge derartigen Zreibend in da8-neue ber 
über, erhielten fich in Geheimfreifen, nahmen neue For 
men an und lernten neue Mittel gebrauchen. Dahin 
gehörte unter manchem Andern die Sucht, den Urfprung 
neuer Geheimweisheit auf Die ägyptiſchen Pyramiden 
und ihre vermeintlichen Prieſter zurüdzuführen, fowie 
die fich mehrfach wiederholende Annahme, daB man 
Jude fein müfle, um in der Kabbala Großes zu er 
reichen. 

Diefer letztere Umſtand veranlaßt und, der Graf 
Cofel, die man nur als verfchwenderifche Maitrefle eined 
prachtliebenden Zürften zu betrachten gewohnt ift, bier 
zu gedenfen, und zwar führen wir fie zuerft auf, theils 


weil fie unter unfern Beifpielen und am weiteften in 
das Jahrhundert zurüdführt, theils weil ihre Sa - 
weniger in Zufammenhang mit den übrigen fteht, ad _ 


dieſe ſelbſt unter fich. 


Anna Conftantia von Broddorf war die Tochter 


eines däniſchen Obriften und holfteinifchen Edelmannd, 
des Joachim von Broddorf auf Deppenau und am 11. 
Dctober 1680 geboren. Sie war Hofdame der Prin 
zeifin Sophia Amalia von Holftein') gewefen, die an 
den Erbprinzen von Braunfchweig vermählt wurde, und 
beirathete 1699 den Grafen Adolph Magnus von 
Hoym?). Diefer genoß aber ihren Befig nicht Tange. 


— 


1) Tochter des Herzogs Ghriftian Albrecht, geb. 19. Jan. 1670, 
am 7. Juli 1696 mit dem Prinzen, nadherigen Herzog Augeft 
Wilhelm von Braunſchweig vermäßlt, + 27. Zebr. 1710. 

2, Richt zu verwechſeln mit dem Grafen Karl Hrinrid von Hoym, 


die Gräfin Eofel. 297 


Die Hoflage verfichert, er habe fie anfangs auf feinem 
Bute verborgen und fi) vorgenommen gehabt, fie den 
üfternen Augen des Hofes nicht preiögeben zu wollen. 
fitelkeit jedoch babe ihn verleitet, wenigftens ihre Schön- 
eit und Liebenswürdigkeit bei Hofe zu rühmen, und dann 
ei er von dem Fürſten Egon von Fürftenberg zu einer 
Bette gereist worden, die nur durch Anweſenheit der 
Bräfin am Hofe entichieden werden konnte. Sie er- 
bien, Fürftenberg zahlte feine 1000 Ducaten, und 
doym verlor feine Gemahlin, die fofort der Gegen: 
tand der dringendften Bewerbungen des Königs Au- 
zuſt II. wurde. Sie fühlte an fich Fein Bedenken, fich 
von ihrem Gemahl zu trennen und dem König zu er: 
eben; aber fie erfannte, daß die Keidenfchaft des Kö⸗ 
aigs fie ermächtige, einen fehr hoben Preis zu fordern, 
mb ihre bochfahrender Sinn, ihre Herrfchfucht und ihr 
Eigennuß zeigten fi fchon damals, in den Bedingun- 
gen, die fie dem König ftellte.e Er mußte verfprechen, 
der Fürſtin von Teſchen für immer zu entfagen, Die 
Scheidung ‘von ihrem Manne zu bewirken, ihr eine 
jährliche Penfion von 100,000 Thlrn. auszufegen, und 
ihr ein eigenhandiges fchriftliches ewentuelles Ehegelöb- 
niß, für den Fall des Todes der Königin, zu geben. 
Alles ward eingeräumt, die Scheidung (1700) bewirkt 
und der fpäter (1706) mit dem Zitel einer Gräfin von 
Gofel bedachten Maitreffe ein prächtiger, mit dem kur⸗ 
fürftlichen Schloffe durch eine bedeckte Galerie verbun- 


— — 


welcher 1724 Gabinetsminiſter, 1731 geſtürzt und auf den König⸗ 
fein geſeht ward und fich dort 1736 ſelbſt entleibte. Es war dies 
der jüngfte Bruder des Adolph Magnus, welcher Leptere auch Cabi⸗ 
wetöminifter war und 1724 ftarb. Adolph Magnus heirathete fpäter 
eine Tochter des Grafen Heinrih Frieſen, hinterließ aber auch von 
Ihr keine Kinder. 

13 ** 





298 Der Aberglaube des adtzehnten Jahrhunberts; 


dener Palaft '), fowie ein ebenfo prächtiges Sommer: 
palais eingerichtet’). Sie hat den König vielleicht mehr 
beherrſcht, ald irgend eine andre feiner zahlreichen Mai- 
treffen. Stand fie auch der Königdmarf an Geift und 
wahrer Xiebenswürdigfeit nach, fo verband fie Doch mit 
geoßer Schönheit einen ftarren, herrfcherifchen Sinn, 
durch den fie Auguft und Jedermann imponirte. Die 
verfchwenderifchfte Maitrefle, wie man nah  manden 
Anekdoten glauben könnte, war fie nicht, ward vid- 
mehr darin von der Gräfin Dönhoff⸗Bielinska bei wer 
tem übertroffen. Wol aber wußte fie ihre Stellung 
gegen unbedachte Angriffe zu fichern, indem fie den 
Sturz des Grafen von Beichling’) mit beförderte, ber 
fih über die an fie fließenden Summen beflagt hatte 
Die Hofherren fagten nun nichts mehr wider fie. Die 
lutherischen Prediger aber, damals die öffentliche Stimme 
vertretend, Die gegen die Gofel, um ihres anmaßenden, 
berzlofen und eigenfinnigen Weſens willen, ganz beſon 
ders gerüftet war, fchonten fie nicht und in der dre# 
dener Kreuzfirche fogar ward fie nicht undeutlich mit 
der Bathſeba verglichen. Sie verlangte vom Könige 
Beftrafung diefes Geiftlihen; allein Auguſt, der ſehr 
wohl wußte, wie weit er geben könne und wo er dm 
halten müfle, erklärte ihr, dag die Prediger alle Woche 


7) Die Ausmeublirung des cofelfhen Palais fol 200,000 Zt. 
gekoftet haben. 

2) 1705 ſchenkte ihr der König Pillnig, was der Kurfürft Io 
bann Georg IV. 1693 oder 1694 von denen von Bünau gegen dei 
nad dem Audfterben der Harrad an die Krone gefallene Lihtenmaltt 
eingetauſcht und feiner geliebten Reidſchuͤzg, der Gräfin von Rodlit, 
gefihentt hatte. Ahr ward es wieder abgenommen, eine kurze Belt 
den Einfiedel überlaffen, wieder für den Monarchen erworben, te 
Gofel, dann dem Grafen Rutowski verlichen und dann wieder Hank 


gut. 
3) Darüber vielleicht Fünftig einmal. 


die Graͤſin Eofel. 2399 


äne Stunde frei hätten, wo fie an einem beflimmten 
Drte alles jagen könnten, was ihnen beliebe. Würde 
an Prediger einmal außer der Kirche ein ungeziemendes 
Wort gegen die Gräfn fallen Iafien, fo würde er ſo⸗ 
gleich feftgenommen werden; bie Iutherifhe Kanzel aber 
fei für den Papft zu hoch; wie nun vollends für ihn, 
ber nur ein Weltkind ſei! 

. Eiferfüchtig wachte die Cofel gegen jede Mitbewer: 
berin und der König mußte, befonderd in der eriten 
Jet, manche Liſt gebrauhen, um feine Nebenintriguen 
vor ihr zu verbergen. Als er in Folge des ſchwediſchen 
Krieges nad) Polen ging, wollte er die Coſel zurüdiaf- 
im, um in Warſchau die Fürftin Zeichen ') wieder an 
ſich ziehen zu können, die ihm wegen ihrer Verwandt: 
khaft mit dem: Primas politifch wichtig war. Indeß 
die Coſel Fam doch nach Warfchau nach und während 
ſie nur auf die ältere Nebenbuhlerin blickte, pflegte Der 
König inzwiſchen ein Verftändnig mit der Renard und 
erzeugte mit ihr die nachherige Gräfin Drzeldfa ’). Aer⸗ 
gerlicher noch, als er fpater die Zänzerin Duparc, die 
win Brüflel gewonnen, nach Dresden nachbringen ließ, 
wit Geſchenken überhäufte und die meiften Abende in 





"DD uUrſula Katbarina von Boufom, Tochter des Stolnid von 

‚, Nichte des Gardinals Primas Radzeijowski, ward am 

* Rov. 1680 geboren, heirathete den Fürſten Georg Dominic 

omirdfi, ward geſchieden und zur Reichsfürſtin von Teſchen er: 

ben, war die Mutter des Chevalier de Sare, verm. ſich am 22. 

det. 17233 mit Prinz Zriedrih Ludwig von Württemberg und + 
B Witwe 4. Mai 1743. 

V Die Renard war eines franzöfifhen Weinhändlers Tochter. 
Die Anna Karolina Gräfin DOrzelsta ward am 23. Nov. 1707 ger 
sten, fol erwachſen die befondere Gunft ihres Pöniglihen Baters 
enoffen haben, heirathete am 10. Auguft 1730 den Prinzen Karl 
wuwig von Holftein-Beet, ruffifhen Generalfeldmarſchall, ward 
733 gef&ieden und + 27. Sept. 1709 zu Grenoble. 


300 Der Aberglaube bed achtzehnten Jahrhunderts; 


ihrer und anderer Tänzerinnen Geſellſchaft zubrachte. 
Dennoch ließ er die Cofel wenigſtens in der Stellung 
einer Chrenfavoritfultanin, behandelte fie mit größter 
Auszeichnung und hielt fie im Wefentlichen wie feine 
Gemahlin, zumal ja feine wirkliche Gemahlin, Die edle 
Chriftine Eberhardine von Brandenburg - Kulmbadı '), 
von ihm getrennt in Pretich lebte. Bei der Anweſen⸗ 
heit des Königs und der Königin von Dänemark in 
Dresden hatte die Königin fi) das Erfcheinen der Grä—⸗ 
fin in ihrer Gegenwart verbeten. Sie kam aber doch 
einmal bei öffentlicher Zafel ald Zufchauerin, alles durch 
ihren Schmud überftrahlend; der König von Dänemark 
führte fie auf einen Platz an feiner Seite und nun er 
ſchien fie ungefcheut bei allen Zeften. Die Königin 305 
fih zurüd und beide Könige wetteiferten in Galanterie 
gegen die Coſel. 

Sie gebar dem König drei Kinder, für die er auf 
nach feinen Bruche mit der Mutter derſelben glänzend 
forgte. Es waren dies: 1) Auguſte Conflantia, geb. 
24. Febr. 1708, am 3. Juni 1725 mit dem reichen 
Grafen Heinrich Zriedrich von Zriefen (+ bei Montpel⸗ 
lier 8. Dec. 1739), Cabinetöminifter, General und Grow 
verneur von Dresden, vermählt, und am 3. Febr. 1728 
geftorben.. 2) Friederika Wierandrine, geb. 27. Di. 
1708, am 18. Zebr. 1730 mit dem Krongroßſchatzmei 
fter von Polen, Brafen Anton Moſczinski vermählt, 
am 14. Sept. 1737 Witwe, + in Dresden am 16. 
Dec. 1787. 3) Friedrich Auguft Graf von Cofel auf 
Sabor in Niederfchlefien und auf Deppenau, dem $« 
miliengute feiner Mutter, in Holflein, geb. 17. Okt. 


BER Geb. 19. Dec. 1671, verm. 10. Ian. 1603, + 5. Sept. 


die Gräfin Coſel. 301 


1712, General und Chef der Garde du Corps und 
Ritter des weißen Adlerordens, + 15. Oct. 1770. Er 
hatte am 1. Juni 1749 Friederifa Chriflina, die Toch⸗ 
te des SOberconfiftorialpräfidenten Grafen Chriftian 
Gottlieb von Holßendorf '), welche erft an Kafpar von 
Schönberg auf Gelenau vermählt geweien, aber von 
ihm geichieden worden war, geheirathet. Sie ftarb als 
Witwe am 22. Sanuar 1793. Won ihren Kindern 
wurde Conſtantia Wlerandrine mit dem danifchen Gra⸗ 
fen Johann Heinrih von Knuth zu Güldenflein ver- 
mählt; Charlotte Luife Marianna blieb unvermählt. 
Dee jüngfte Sohn, Sigismund, farb ald Gardelieute 
nant am 30. Juni 1786 und der altefle Sohn, Guſtav 
Ernft, erft in preußifchen, dann in fachfifhen Militair- 
dienften, flarb gleichfalls unvermählt am 29. Dct. 1789. 
Mit ihm erlofch der Mannsftamm der Eofel. 

Die Unftetigkeit in den Neigungen des Königs würde 
die Goſel ſchwerlich geflürzt haben. Aber fie fiel als 
Dpfer politifcher und Hofintriguen und idres Die Sai- 
ten überfpannenden Starrfinnd. Die Schlacht bei Pul- 
tawa eröffnete für ihren königlichen Geliebten von neuem 
das verhängnißvolle Polen. Es fchien wichtig, Alles zu 
benugen, was die dortigen Verbindungen verflärfen 
konnte, und die Yürflin von Zeichen bemühte fich eifrig 
für den König, in der Hoffnung vielleicht, fich dadurch 
neue Anſprüche auf feine Gunft zu erwerben. Die Um⸗ 
gebungen des Könige, Ylemming’) namentlich und Vitz⸗ 
tum ’), wünfchten eine Maitrefle, die von ihnen abhan- 


1) Wir werden fpäter feben, daß die Anführung dieſer Berwandts 
ſchaft für den Zortgang unfrer Erzählung nicht unwidtig ift, 

3) &. S. 247, Anm. 

3) Friedrich Bihthum von Eckſtaͤdt, geb. 10. Ian. 1675, 1711 
Reihögraf, Gabinetsminifter und Dberfämmerer, nicht in Staatd«, 


302 Der Aberglaube des achtzehuten Jahrhunderts; 


gig fei. Sie flellten dem Könige vor, daß ed Flug fei, 
neben der fächfiihen Maitrefle auch eine polniſche zu 
haben, empfahlen ihm aber, zur Anfnüpfung neuer Ver: 
bindungen, die Tochter des Großmarſchalls Kafimir 
Ludwig Grafen Bielinsfi, damals‘ Gräfin Dönhoff ), 
“ für die er perfönlich Feine entichiedene Neigung gehabt 
zu haben fcheint, während es. ihm auch fonft Bedenken 
machte, der furchtdaren Cofel mit einer neuen erflärten 
Maitrefie entgegenzutreten. Endlich ließ er fich über 
reden. Kaum erfuhr die Eofel davon, als fte fich auf 
den Weg nad Warfhau machte. Der König, den fie 
davon zu benacdhrichfigen unflug genug geweſen wat, 
fchiete ihr einen Lieutenant mit fechd Garde du Corpt 
entgegen und ließ fie, mit aller Höflichkeit, aber aud 
mit entichiedener Unbedingtheit, nah Dresden zurück 
bringen. 

Inzwilhen war ed der Dönhoff gelungen, wenn 
nicht die Liebe des Königs, Doch die Herrichaft übe 
fein ſchwaches Gemüth zu erringen. Sei es, daß fie 
ihm für den Yugenblid unentbehrlich geworben war, fa 
ed, daß er fich gegen die Coſel auf fie zu ſtützen, daß 
er die Gelegenheit zu benutzen wünſchte, das Joch der 
Letzteren abzuſchütteln, genug, er ſelbſt beſtand darauf, 
daß ihn die Dönhoff, die anfangs nur für Warfchau 
beftimmt gewefen, aud nach Dresden begleite. Die 
Dönhoff willigte nur unter der Bedingung ein, daß bie 
Gofel Dresden vor ihrer Ankunft verlafle. Sofort er 








aber in Hofe und Herzensfaden leitend, biieb am 13. Aprit 17% 
bei Warſchau im Zweikampf mit dem Grafen St. Gile. 

1) Sie war mit dem Grafen Bogislaus Ernft von Doͤnhoff ver 
mäplt, ließ fi nun von ihm ſcheiden und lebte mit Auguft, heira⸗ 
thete aber 1719 den Zürften Georg gen Lubomirsti, ſaͤchſtſchen 
General, und fterb am 20. April 1 





..die Graͤſin Coſel. 203 


ing Befehl an-den Fürſten von Fürſtenberg, für Er⸗ 
lung dieſer Bedingung Sorge zu tragen, und Fürften- 
erg, ein alter Gegner der Gofel, befolgte diefen Befehl 
ut Freuden. Die Sache ging aber ſchwierig. Der 
beneralabiutant des Königs, von Thünen, der an die 
Beafın geſchickt wurde, ließ fich durch ihre Schmeichel- 
orte, Thränen und Gefchenke ') bewegen, fie umter 
em Vorwande, daß fie Trank fei, von der Abreife zu 
spenfiren. Der König aber blieb feft und fie mußte, 
Me gewaltiamen Maßregeln bedroht, Dresden verlaflen, 
ing aber zunächſt nur nach Pillnitz. Nun follte fie das 
Iheveriprechen herausgeben, weigerte ſich aber auf das 
charrlichſte und entfloh endlich, da fie Haft und Ge 
lt fürchtefe, nach Berlin. Hier bedeutete man fie, 
e möchte fich Tieber nach Halle begeben, was fie 
uch that. Ä 

Herr von Loen erzählt ’): „Die Gräfin Eofel jah ich 
B Student in Halle, wo fie ald eine vom Hofe ver: 
eiene Liebhaberin des Königs fich Hingeflüchtet hatte; 
e hielt fich daſelbſt ganz verborgen in einer abgelege- 
en Straße bei. einem Bürger unweit dem Ballhaufe 
uf. Ich ging faft täglich zu einem guten Freunde, ber 
eich nebenbei wohnte. Das Gerücht breitete ſich aus, 
aß fich dafelbft eine fremde Schönheit aufbalte, die 
anz geheim lebe. Das Studentenvolk ift vorwitzig. 
h ſah fie etliche Male mit gen Himmel aufgefchlage: 
em Augen in tiefen: Gedanken binter dem Fenſter ſte⸗ 
m; ſobald fie aber gewahr wurde, daß man fie ber 
nfche, trat fie erichroden zurüd. Außer den Leuten, 
ie ihr das Effen über die Straße brachten, fah man 


1) Si „en ibm, ald er anfing, erweicht zu werden, einen Brils 
zblrm. an Serth gegeben haben. 
7) Reine Shriften,.T, 193. 


304 Der Aberglaube bes achtzehnten Jahrhunderts; 


Niemand, als einen wohlgefleideten Menfchen bei ihr 
aus» und eingehen, den man für ihren Liebhaber hielt. 
Man konnte Feine fchönere und erhabenere Bildung fe 
ben. Der Kummer, der fie verzehrte, hatte ihr Ange 
fiht blaß gemacht; fie gehörte unter die fchmachtenden, 
braunen Schönen, fie hatte große, ſchwarze, lebhafte 
Augen, ein weißes Zell (sic), einen fhönen Mund und 
eine feingefchnigte Nafe. Ihre ganze Geftalt war ein | 
nehmend und zeigte etwas Großes und Erhabenes.“ 
Auch in Halle blieb fie nicht lange. Der preußiſche 
Hof war fo gefällig, fie in die Hände der fächftichen 
Regierung zu liefern. Ein Offizier des Regiments An 
halt meldete fich bei ihr, mit dem Auftrage, fie über 
die Grenze zu bringen. In Sachen angelangt, ward - 
fie auf das Schloß der Bergveſte Stulpen gebracht, wo 
fie am 21. December 1716 ankam und was nun für 
mehr ald vierzig Jahre ihr erft geswungener, Dann 
freiwilliger Wohnſitz ward ). Stolpen war und if 
ein ehr Feiner, wenn auch anmuthig gelegener und für 
ein bürgerliche Gemüth ganz freundlicher Ort; ed war 
Thon damals ald Feſtung felbft invalid und nur von 
Invaliden bewacht. Für eine Coſel muß der Abftand 
zwifchen dieſen 45 Jahren und den 16— 20 vorherge 
benden gewaltig geweien fein. 1708 war fie mit dem 
König daſelbſt geweſen und hatte im Thiergarten gejagt. 
Das Schloß war ehedem zuweilen von den Biſchoͤ— 
fen von Meißen, denen Stolpen gehört hatte, bewohnt 
worden. Der Gräfin wurden die beften Zimmer in einem 
Thurme eingerichtet, der noch jetzt der Coſelthurm heißt, 


) Daß fie, nie man mehrfach lieft, auf den Gütern ihre 
Schwiegerfohnes, des Grafen riefen, gelebt habe, ift falſch. Webris 
gend ward diefer Graf aub erft 1735 ihr Schwiegerfohn, und ihre 
an ihn verbeirathete Tochter ftarb fon 1728. 


bie Gräfin Coſel. 305 


ad fie bfieb mit anfländigen Einkünften verfehen. Im 
nfang überließ fie fi den Außerften Zornausbrüchen 
gen den ungetreuen königlichen Geliebten. Dann ſchlug 
r Zorn wieder in die glühendſte Schnfucht nach ihm 
m und fie machte taufend Verfuche, eine Annäherung 
nd Ausfühnung zu erwirten Alles umfonfl. Man 
erfolgte und unterdrüdte fie nicht; aber fie begegnete 
ner unerfchütterlichen Kälte und Unerbittlichkeit. All⸗ 
dig ſchlug fie wieder um, gewann ihre Einfamteit 
cb, entfagte der Welt, warf fich aber nicht der Reli- 
en, fondern dem Gelde und der Kabbala in die Arme. 
lie warb geizig und fpeculativ und fie fuchte nach ge 
imen Kenntniſſen und Kräften. In beiden Beziehun- 
m verkehrte fie mit Juden. Es ift behauptet worden, 
6 fie wirklich zum Judenthum übergetreten fei, oder 
) wenigftend beabfichtigt und deshalb eine Reife nach 
jolland vorgehabt habe. Das wollen wir um fo we 
iger glauben, da ihr Verkehr mit dem Judenthum un- 
w ben Yufpicien eines Lutherifchen Oberconfiftorialpra- 
denten vor ſich ging. Daß aber eine innige Befreun: 
wg mit dem Judenthum flattfand und daß fie ihre 
arfchungen in jüdiſcher Theologie nicht aus chriftlich- 
kologifchen Abfichten trieb, dafür finden wir eine über: 
chende Beſtätigung in den Erinnerungen eined Grei- 
4, welche der Vergeſſenheit zu entreißen ein anderer 
hreis ſich das Werdienft erworben bat. 

».Der brave, verbienftoolle Apotheker Martius in Er- 
gen erzählt nämlich in dem ehr intereflanten und 
grreihen Buche: „Erinnerungen aus meinem neunzig⸗ 
ihrigen Leben” (Leipzig, 1847, 8.) u. U. folgendes. 
te hatte 1788 die Adminiftration einer Heinen Apo⸗ 
jeke in dem fränkifchen Städtchen Baiersdorf zu be- 
wgen. Hier machte er u. U. die Bekanntſchaft des 


306 Der Aberglaube bes actzehnten Jahrhunderts; 


alten würdigen Superintendenten Bodenſchatz, eines zu 
feiner Zeit vielgeſchätzten Drientaliften, welcher ſich na⸗ 
mentlich viel mit jüdifchen Alterthümern und rabbins 
ſcher Literatur abgegeben und mehrfache Modelle der 
Stiftshütte und des falomonifchen Tempels gebaut hatte, 
welche von Xiebhabern won Curioſitäten angefauft wor 
den find. Martius befuchte ihn öfters des Abends, 
rauchte ein Pfeifchen mit ihm und ließ fih von ihm 
erzählen. Eines Abends kamen fie auch auf die Sri 
fin Eofel, von welcher ihm der Alte erft die gewöhn 
lichen, nicht in allen Punkten correcten Mittheilungen 
machte, wie fie feit dem „Salanten Sachen‘ durch bie 
Literatur gegangen find. Daran knüpfte er folgend 
Erzählung. Als Bodenſchatz noch Pfarrer in Utten 
reuth war, erhielt er einen Brief mit: 20 Reichöthalern, 
worin ihm ein angebliher Borromaus Lobgeſang in 


Bifchofswerda ') auftrug, ihm die Pirfe Aboth au 


dem Rabbinifchen ind Deutfche zu überfegen. Er be 
forgte das in wenig Tagen, worauf er mit vielem Danke 
6 Ducaten Honorar befam. Es wurden ihm noch ar 
dere hebräifche Traktate zu gleihem Zwecke überfende 
und der Bogen mit 1 Xouisdor honorirt. Er mußt 
die Briefe an den Poftmeifter zu Dresden abreffira 
und erfuhr von ihm auf Anfrage, daß ein Bote au 
Schmiedefeld die Briefe hole und bringe, nad) Weiteren 
zu forjchen aber nicht räthlich fei. Endlich ward er eiw 
geladen, felbft nach Dresden zu kommen, wo er feinen 
Sorrefpondenten finden werde. Dad Reiſegeld wer 
ihm, wie auch geſchah, dort erftattet werben. Wir 
aber erftaunte er, ald ihm der unbekannte Brieffteller 
im vollen Anzuge eines jüdifchen Hohenprieſters aus 


1) Diefes Städtchen liegt in der Nähe von Stolpen. 





bie Gräfin Coſel. 307 


em alten Teſtamente entgegentrat, und noch mehr, ale 
et unter der Mitra das Geficht einer Dame entdedte! 
He empfing ihn öfters, erwies ihm alle mögliche Aus- 
ihnung und ſuchte von ihm genaue Aufichlüffe über 
almudftellen, züdifche Gebetbücher und andere rabbi- 
ſſche Dinge zu erhalten. Sie und der Schwiegervater 
ves Sohnes, der Dberconfiftorialpräfident Graf von 
oltzendorf), ſprachen fogar davon, ihm die Stadt: 
arrerftele zu Stolpen ’) zu verfchaffen, wobei ihm 
äter eine der beften Ephorien in Ausficht geftellt 
wurde. Der Graf zeigte ihm fogar, noch ehe er ſich 
Märt hatte, Die Vocation’). Er wendete fi) jedoch 
ſt an feinen Landesfürften, den Markgrafen Friedrich, 
id erhielt von dieſem den Befehl, ind Vaterland zu⸗ 
ickzukehren, und die Verficherung, daß ihm eine gute 
förderung zu heil werden fol. So mag ihm 
icht die gute Gräfin Coſel, ftatt einer fächfiichen, eine 
änkiſche Superintendentur verfchafft haben. Webrigens 
ard er auch etwas ungehalten auf fie, weil fie, wäh: 
nd er ihr rabbinifche Schriften verdeutfchte und fie fich 
küber unterhielten, „allerlei Dinge aufs Tapet brachte, 
b gegen die Lehre Chrifti und feine heilige Perfon ge- 
Stet waren, ſodaß er entrüftet beichloß, fich von ihr 
eadyuniehen. Ueberdies fing auch feine gute Frau, der 


Irrthümlich nennt Bodenfhag ihn ihren Schwicgerfohn. Es 
x x Göriftion Gottlieb von Holgendorf auf Bärenftein und Strass 
Ihchen, geb. 22. April 1696, 1745 meiden, wirfliher Geheimes 
9 und Dberconfiftorialpräfivent, + 6. Nor. 1755. 
8) Herr Bodenſchatz fheint Feine Ahnung davon gehabt zu haben, 
zum er gerade nah Stolpen, was er Stolye nennt, follte. 
9) Da Bodenfhag die Gräfin in Drespen fah, fo muß ed nad 
83 gemwefen fein, von wo an fie Freiheit zu reifen hatte. Da cr 
ı Grafen Holtzendorf ſprach, fo muß ed vor 1755 gewefen fein, 
d da diefer erft 1749 mit ihr verwandt ward, fo muß es nad 
49, alfo zwifhen 1749 und 1755 geweſen fein. 


308 Der Aberglaube des achtzehuten Jahrhunderts; 


er das Räthſel von dem unbefannten Correfpondenten 
mitgetheilt”, das der guten Frau Pfarrerin zu litten 
reuth vorher viel Kopfbrechend verurfacht haben mag, „an, 
eine fo gefährlihe Perfon ') mit eiferfüchtigen Au 
gen zu betrachten. Sie fürchtefe, daß die Dame auf 
den Pfarrheren von Uttenreuth verführen Fünnte Und 
fo war er denn froh, endlich der vornehmen Hohenprie 
fterin Valet jagen und reichlich beſchenkt in fein ftilles 
Dorf zurüdkehren zu künnen.” ?). 

Der Gräfin fol nach dem Tode ihres königlichen 
Geliebten’) die Freiheit angeboten, von ihr aber auf 
geichlagen worden fein. Dabei fol fie nur den Wunſch 
ausgefprochen haben, dem Thurme gegenüber, in dem 
fie nun ſchon über 16 Jahre gelebt, dereinft begraben 


— 


1) Die gute Zrau Pfarrerin hat wol nicht bedacht, daß die Er 
fel damals mindeftens fchon ſtark in die Schzig war. Oper hat fe 
an die Ninon de l'Enclos gedacht? 

2) Martius a. a. 2. ©. 102 fe. 

3) Bekanntlih ftarb Auguft IT. am 1. Febr. 1733 an einem 
Schaden am Zuß, zu dem der Brand Fam. Schon 1727 war ı 
an diefem Körpertheile, dem linken Schenkel, gefährlich erkrankt 
und nur durch Amputation der aroßen Zehe gerettet worden. Diet 
Amputation erfolgte aber nit, wie man allerwärts lieft, durd den 
von Paris berufenen Ghirurgus Petit, fondern durch den deutſchen 
Ehirurgus Weiß, von welchem noch jett Nachkommen leben, melde 
dem Adelsfiande angehören. Und zwar ging die Sade fo zu. Weil 
wußte längft, daß die Zehe abgefchnitten werden müffez die Leibaͤrzte 
wollten aber nicht daran. Endlich beſchloſſen fie, Petit die God 
vorzulegen und .ihn zugleih nah Dresden zu berufen. Weiß mer 
aber überzeugt, daß der König die Ankunft Petit’s nicht erleben 
könne, benugte alfo einen, vielleiht durd ein Dpiat bewirkten 
Schlaf deffelben, ihm die Zehe brevi manu abzufchneiden, worauf 
er ihm einen Fußfall that und feinen Kopf zum Pfande fepte, va 
die Sache nöthig geweien. Der König berubigte ihn und verfprad 
vor der Hand Geheimniß. Bald aber erfuhr man, zur Befchämuns 
der Herren Leibärzte, daß Petit, nachdem er den Krankenberidt 
gelefen, erklärt habe: „wenn die Zeche nicht abgefchnitten werde, ſo 
fei der König todt, bevor er nah Dresden kommen koͤnne. 


-ulrn.a Alchh 


bie Gräfin Coſei. 309 


zu werden. Sie blieb daher in ihrem Verhältniß, was 
br durch Gewohnheit lieb geworden, mag aber natür- 
ih nunmehr in Reifen zu ihren Verwandten und fonft 
hcht behindert worden fein. Sie war ja nur noch eine 
reiwillige Gefangene. Im Lande war fie vergeflen. 
m Stolpen erzählte man aber nod) lange nach ihrem, 
m 31. März 1761 erfolgten Tode, allerlei Geſchich— 
en von ihren Wunderlichkeiten, auch von Schägen, Die 
ie in den unterirdifchen Gängen des feitdem ziemlich 
erfallenen Schloffes ') vergraben haben follte. 


1) Die Preußen hatten es 1756 eingenemmen und es fiel bier 
er erfte Schuß und das erfte obendrein unnöthige Opfer des fieben- 
übrigen Krieges. 


X. Caglioſtro. 


Die eigenthümliche Richtung, in welcher das 18. Zahr: 
hundert feine Xeichtgläubigkeit Fundthat, ift von Keinem 
in fo großem Style und im Ganzen mit fo geringen 
Mitteln höherer Geiftesfraft und Bildung ausgebeute 
worden, ald von Joſeph Balfamo, der fi) Caglioftre 


nannte. Die parifer Polizei, die römiſche Inquifttion | 
und Fiterarifche Bemühungen, an denen fich felbft eiin 
Goethe betheiligte, haben den äußern Lebensgang dei | 


Mannes fo ziemlich feftgeftelt, aber keinesweges nod 
alle Räthſel gelöft und ſchwerlich Alles in das rechte 
Licht bringen Fünnen. 

Die Gefchichten freilich, die er felbft von feiner Her 
funft erzahlte, contraftiren gar flarf mit den. amtlichen 
Grmittelungen, und doch zeigt ſich auch bei jenen, daß 
der Abenteurer nur den nüchternen Kern der Wahrheit 
in feinen Zweden entiprechender Weife ausſchmückte und 
mit Iuftigen, phantaftifchen Hüllen umgab. Er behaup 
tete, daß feine früheften Erinnerungen ihn in den Orient 
führten. In Medina habe ihn der weile Althatas in 
fürftlicher Pracht erzogen; zahlreiche Sklaven hätten ihm 
zu Dienften geftanden und felbft der Muftt Habe ihn 

beſucht. Im 12. Jahre fei er, mit Lehrer und Die 

nach Mekka gezogen und babe hier drei Jahre bei 


Caglioſtro. 311 


rem ihm verwandten Sheriff gelebt, der endlich den 
‚unglüdlihen Sohn der Natur” zu weiteren Reifen 
ntlafien babe. In Aegypten babe er die Weisheit jener 
deiefter gelernt, welche die Phantafie fremder Völker fo 
inge fchon in dad Innere der Pyramiden verfeßte und 
ort fich an der Weberlieferung einer urfprünglichen, der 
brigen Menfchheit verloren gegangenen geheimnißvollen 
Beiöheit erfreuen ließ. 1766 endlich fei er in Malta 
ngelangt und von dem Großmeifter mit glänzenden 
fhren empfangen worden. Hier habe er aus Dunkeln 
Inbeutungen des Großmeifters zu entdeden geglaubt, 
aß eine Prinzeffin von Trapezunt feine Mutter fei. 
Sein Führer Althatas fei in Malta als Chrift und 
Priefter geftorben, und nun habe fid) Caglioſtro, mit 
wm ihm vom Großmeifter ald Begleiter zugetheilten 
Shevalier D’Aquino, nad) Neapel begeben, von wo an 
eine Laufbahn öffentlich wurde. Später wollte er auch 
Rumal feinen Stammbaum. auf Karl Martell zurüd: 


en. 

Die Wirklichkeit nimmt fih nun allerdings weniger 
Hänzend und romantiich aus; Doch fieht man wol, welche 
Knhaltepunfte fie der Erfindungsgabe des Balfamo ge: 
jeten hat. Gleich die Abflammung von Karl Martell 
word ihm Dadurch an die Hand gegeben, daß fein müt- 
licher Urgroßvater Matthäus Martelo hieß, er aber 
iberhaupt veranlaßt war, fich mehr auf feinen mütter- 
ichen, ald auf feinen väterlichen Stammbaum zu flügen, 
a der Teßtere wahrfcheinlich auf Juden zurüdführte. 
hener Matthäus Martello hatte zwei Züchter. Die 
Yangere, Vincenza, beirathete einen Joſeph Caglioſtro 
ms La Noava, und war die Pathe unſers Abenteu: 
ers, der auch feinen Zaufnamen nach ihrem Manne 
rhielt und fich endlich defien ganzen Namen, unter 


312 Caglioſtro. 


Beifügung des Grafentitels, beilegte, weil er ihm wahr⸗ 
ſcheinlich einen impoſanteren Klang zu haben ſchien, ale 
fein wahrer Name, überhaupt ein Namenwechſel zur Ver 
fchleierung feiner Herkunft diente. Die ältere Tochter 


des Martello heirathete einen Joſeph Bracconeri, dem fie . 


drei Kinder, Felicitas, Matthäus und Antonia, gebar. 
Felicitas nun, deren perfönliche Befanntichaft Goethe in 
Palermo gemacht bat, ward an Peter Balfamo verhei⸗ 
rathet, den Sohn eined Bandhändlerd in Palermo, An 
tonio Balfamo, der aus jüdifhem Gefchlechte geweſen 
fein fol. Peter Balfamo zeugte mit der Felicitas den 
Joſeph, der fpater Soviel Auflehen in der Welt machte, 
und die Johanna Joſeph Maria, die an Johann Bapı 
tifta Capitummino verheirathet und von dieſem als 
Witwe mit drei Kindern zurüdgelaflen ward, Per 
Balfamo machte Bankerott und ftarb im Adften Jahre. 
Seiner Witwe Felicitas fiel die Sorge für die Familie zu. 

Joſeph Balfamo ward am 8. Yuni 1743 zu Pe 
lermo geboren, erhielt den erſten Unterricht im Gem 
nar von St. Noch zu Palermo, von wo er im IZten 


Lebensjahre in den Convent der barmberzigen Brüder 


zu Gartagirone Fam. Hier gewann er die Gunft dei 
Bruders Apotheker und fcheint diefem die Grundlagen 
der medicinifchen Kenntniſſe verdankt zu haben, die e 
befaß und fpater fehr gut für feine Zwede zu gebraw 
hen wußte. Jedenfalls fcheint er für Chemie und Be 
tanit Sinn gehabt zu haben. Seine Aufführung fol 
die fchlechtefte gewelen fein und er den guten Brüdern 
viele Noth gemacht haben. Am meiften Eräntte fie, baf 
er beim Vorlefen der Martyrologien während der Abend 
tafel den Namen der Heiligen die von Räubern und 


Courtiſanen unterfchob. Nach Einigen fol er fi den . 
Züchtigungen, die ihm dergleichen Streiche immer öfter . 


Caglioſtro. 313 


d nachdrücklicher zuzogen, Durch die Flucht entzogen 
ben, nach Andern fortgeſchickt worden ſein. Genug, 
kehrte nach Palermo zurück und ſcheint von nun an 
f eigne Hand gelebt zu haben. Zunächſt entwickelte 
Geſchicklichkeit im Fechten und Zeichnen. Die erſtere 
maft verleitete ihn zu vielfachen Raufhändeln mit wil⸗ 
a @efellen und mit der Polizei. Das Zeichnen führte ihn 
neöweges in Die hoben Regionen der Kunft, wol aber 
einer fehr gefährlichen Kertigkeit in Nachahmung frem- 
1: Hände, überhaupt in Fälfchungen. Und in der That 
laer in diefer frühen Zeit fchon hauptfächlich von Be⸗ 
wg und Gpeculationen auf die Xeichtgläubigkeit der _ 
enſchen gelebt haben. Magifche Schwindeleien, Schatz⸗ 
aben, Nachmachung von Zheaterbilletd und geiftlichen 
Hpeniationsfcheinen, nebft gelegentlichem Kuppeln, das 
Ken Die Mittel geweſen fein, durch weiche er ſich Jahre 
ng in Palermo erhielt. Mit feinen Betrügereien fcheint 
B.immer zugleich ein gewifler Uebermuth und eine Art 
w Humor verbunden zu haben. So hatte-er einem 
elbarbeiter Murano 60 Unzen Gold abgelodt und ihn 
Für auf einen, in einer Höhle am Meereöufer zu fin- 
mben Schatz verwielen. Den armen Murano empfin- 
m in jener Höhle verfleidete Teufel, die ihn tüchfig 
at Prügeln zudedten.. Er trat gegen Balfamo als 
läger auf. Ein weiter greifender Verfuch, von feiner 
üffcherfunft Gebrauch zu machen, ward erſt etwas ſpä⸗ 
rentdeckt. Er hatte zu Gunſten eines Marcheſe Maus 
gi ein falſches Teſtament gefertigt, wodurch eine fromme 
iftung um einige Güter gebracht werden follte, und 
e Vertreter der Stiftung kamen dem Betrug auf Die 
pur. Balfamo fah jedenfalls, daB er befler thue, 
er Juſtiz von Palermo und der Privatrache der Ver⸗ 
sten einige Zeit aus dem Wege zu gehen. Er ging 
I. 


314 Caglioſtro. 


zunächſt nach Meſſina und ſchloß ſich Hier einem gewiſ 
fen Altotas an — dem weiſen Althatas ſeines Romans — 
von dem man nicht weiß, ob er ein Spanier oder ein 
Grieche geweſen, der ſich aber viel im Orient herumge⸗ 
trieben hatte und ein gewandter Taſchenſpieler geweſen 
ſein mag. Mit ihm ſcheint Balſamo allerdings Reiſen 
im Archipel, nach dem Orient und Aegypten gemacht 
und ihm ſeine Künſte abgelernt zu haben. Auf dieſen 
Reiſen und in dem Umgange mit Altotas eignete er fih 
auch einige Kenntniß orientalifcher Sprachen an, durd 
die er fpäter feinem Publicum imponirte In Malte 
war er allerdings mit dem Großmeifter Pinto in Be: 


kehr, aber nicht ald Sohn einer Prinzeffin von Zrape : 


zunt, fondern ald einer der Vielen, welche die aldi- 
miſtiſchen Paffionen des Großmeifterd benugten. E 
wußte fich aber bei demfelben in fo gutem Credit zu 


erhalten, daß er von ihm die wirffamften Empfehlen . 
gen nah Ron und Neapel erhielt. In Rom namen 


fich führte ihn der maltefifche Gefandte, Baron Bree 
ville, in Die erften Häufer ein, und er will dafelbft die 
befondere Gunft Clemens' XIII. und des Cardinals ven 
York genofien haben. Im Jahre 1770 verheirathete er 


fih mit einem Dienſtmädchen, Lorenza Feligiani, be - 


Tochter eined Gürtlerd, die fi ihm durch ungemant 
Schönheit empfahl und die er für. ein calabreftiche 


Fräulein Seraphina Felichiani ausgab. Ob er fie bie 


aus gewinnfüchtiger Speculation auf ihre Reize gemählt 
babe, ob er bier blos Kuppler gewefen fei, Iaflen wir 
dahingeſtellt fein. Gewiß ift, daß er ſich Tpäter zu ihr 
zahlreichen und einträglichen Verbindungen mit andern 
Männern gleichgiltig verhielt, fie felbft ihn aber bis zu 
feiner letzten Kataftrophe begleitet hat und faft immer 
das willigfte Werkzeug feiner Speculationen war. 


Ai ME m  _ mi 


Caglioſtro. 315 


Er fol nun, in Verbindung mit zwei Landsleuten, 
Agliata und Nicaftro, welcher Letztere fpäter gehängt 
wurbe, falfche Wechſel gemacht haben. Nicaftro ver: 
rieth ihn und er entfloh mit Agliata, dem er auf diefer 
Reiſe feine Frau Überlaflen und fich dafür des jungen 
GSerretaird deſſelben bedient haben fol, nach Bergamo. 
Hier gab er fich für einen preußifchen Obriften aus 
mb zeigte ein felbft gefertigtes Patent vor. Aber bie 
Polizei wollte dieſes nicht anerfennen und Agliata raubte 
finen Gefährten ihre ganzen Habfeligkeiten und ließ fie 
in gänzlichem Mangel zurüd. Balſamo und feine Frau 
legten nun Pilgerfieider an und Tündigten eine Wall⸗ 
fahrt nach San Jago di Eompoftela an. Ein von 
Wenteuern und GSchwindeleien erfüllted Umherziehen 
achte fie 1771 nach London. Hier mußten wie 
der die Reize der Frau die Unterhaltsmittel hergeben, 
uud ſelbſt ein reicher Quäker ging in Die Nebe Loren- 
ws, aus denen er ſich nur mit 100 Pfd. loskaufen 
Isurte.- Balfamo felbft ſoll aber während dieſes erften 
Wufenthaltes in England zehn und mehr Mal wegen 
Baumereien verhaftet geweſen fein. Seine unfreiwillige 
Entfernung aus England wird dem Umftande beige 
neflen, daß er einem Engländer, der ihn aus Mit- 
ed zum Ausmalen eines Landhaufes gebrauchte, eine 
Lochter verführte. 

Balſamo ging nun nach Paris, wo ihm aber die 
Medicinalbehörde das Practiciren unterfagte Selbſt 
borenza verfuchte es hier, von ihm abzufallen, wofür 
w. fie Sängere Zeit in St. Pelagie einiperren ließ. Dann 

er einen Ausflug nach den Niederlanden und 
Deutfchland und erfchien auf einmal wieder in Palermo, 
wo er ald Marcheſe Bellegrini auftrat. Die Polizei 
bätte ihn vielleicht vergeflen; aber vie Z chſucht des 


316 Cagliofre. 


geprügelten Goldarbeiterd Murano vergaß ihn nid. 
Gr wurde verhaftet. Doch auch bier half ihm feine 
Frau und feine ehemannliche Zoleranz heraus. Lorenze 
wußte die Sunft eines mächtigen ſicilianiſchen Prinzen 
zu gewinnen, welcher Durch Gewaltthätigkeiten, die fo 
weit gingen, daß er den Anwalt des Klägers im Bor: 
zimmer des Gerichts mishandelte, die Gegner fo ein 
fchüchterte, daB Balfamo wieder in Freiheit gelebt wurde. 
Um das Geld zu feiner Abreiſe zu bekommen, mußte er 
Sachen verfeßen, auf deren Einlöfung feine Schwefter 
14 Unzen verwendete, die fie nie zurüderhalten hat und 
die ihr zu erftatten Goethe in flarker Verſuchung war. 

Er ging nun über Malta, Neapel und Marſeille 
nach Spanien, wo er namentlich Barcelona, WBalende 
und Gadir befuchte, übrigens meift in preußifcher Uni 
form und unter dem Nanıen eines Dr. Tischio reift. 
Die Unterhaltömittel fchaffte ihm theils feine Frau, theils 
verkaufte er ein Schönheitöwafler, machte aus Hanf 
Seide, aus Duedfilber Gold, ſchmolz Eleine Brillanten 
und Perlen zu großen zufammen, oder berechnete, für 
Andere, die Xottogewinne Eabbaliftifh, was er gemiß 
für fich felbft gethan haben würde, wenn er felbft daran 
geglaubt hatte. 

Von Neuem nach London gelommen, ward er in 
eine Freimaurerloge aufgenommen, und von da an datirt 
die Macht, die er eine Zeit lang befaß, das europäiſche 
Aufichen, das er machte. Won nun an bewegte er fih 
faft nur in höhern und höchſten Kreifen, machte einen 
fürftlihen Aufwand und gab feinem ganzen Xreiben 
einen neuen und glänzenderen Charakter. Den Yargon 
der trodnen Phantaften und Geheimnißtändler wußte 
er meilterhaft zu handhaben und fich eine unglaublice 
Gewalt über die Gemüther, befonders der Weiber und 


Caglioſtro 817 


weiberähnlichen Männer zu verſchaffen. Man trug fein 
und feiner Lorenza Portrait auf Fächern, Ringen und 
Mebaillond, fertigte Marmorbüften mit der Unterfchrift: 
Divo Cagliostro u. |. w. Denn den Ießteren Namen 
führte er nun ausſchließlich. Nirgends hielt er ſich 
lange an einem Orte auf, damit der Reiz der Neuheit 
nicht verfliege und der Prüfung Feine Zeit bleibe. Wurde 
feinen Jüngern gleichwol die Zeit zu Yang, bevor der 
verfprochene Erfolg der magifchen Operationen eintrat, 
fo verwies fie Caglioſtro darauf, daß diefer Erfolg von 
ihrer moralifchen Reinheit bedingt ſei. Kam eine eigne 
Ausſchweifung Caglioſtro's ans Licht, fo erfuhr der 
Entdeder, daß ein zu wahrer geiftiger Höhe gelangter 
Menſch gar nicht mehr mit feinem Körper fündigen 
konne. 

Selbſt die nüchternen Holländer wurden vom Schwin⸗ 
del ergriffen; im Haag erkannten alle Logen Caglioſtro 
als Viſitator an und empfingen ihn mit den glänzend⸗ 
ken Feſten. Man ließ ihm bier feine Ruhe, bis er eine 
Damenloge, unter dem Vorfitze feiner Zrau, der «6 
wahrhaftig nicht an der Wiege gefungen worden war, 
daB fie zu fo hoben Dingen beftimmt fei, errichtete. 
Er erfand ein eigned maurerifches Syſtem, das er als 
dad der ägyptiſchen Maurerei bezeichnete und mit deſſen 
Husbreitung er ſich nun raftlos beichäftigte, wiewol er 
erft im October 1784 dahin gelangte, es durch Errich- 
tung der großen Mutterloge zur triumphirenden Weis⸗ 
Het zu Lyon zum Abſchluß zu bringen. Er foll Die 
Hauptidee dazu in London aus einem Manufcripte eines 
gewiflen Georg Copfton gefchöpft haben, leitete aber 
feinerfeitö das Syſtem von Enoch und Elias her, von 
denen ed an die ägyptiſchen Prieſter gekommen fei, Die 
es ihn in den Pyramiden gelehrt hätten. Anfange 


318 Caglioſtro. 
ſtellte er ſich nur als einen Sendboten des Elias oder 


Groß⸗Kophta dar; fpäter aber rückte er ſelbſt zu det 


Würde eines Groß-Kofi oder Groß⸗Kophta auf. Er 
wollte nun aus der Liebe eined Engeld zu einem Weibe 
abftammen, den Engeln gebieten können und zu dem 
Zwede entiendet fein, die Gläubigen durch phufiice 
und moralifche Wiedergeburt zu hoher Vollkommenheit 
zu Jeiten. Mit der phyſiſchen Wiedergeburt befchäftigte 
man fich aber viel eifriger und gab viel fpeciellere, wenn 
auch wahnfinnige Mittel dafür an, als für die ſittliche. 
Oder vielmehr, man faßte auch Die letztere in einer gang 
äußerlichen, materiellen Weiſe auf, und wollte fie durch 
äußerliche, materielle Mittel bewirken. Durch das rothe 
Pulver, die materia prima, oder den Stein der Wer 
fen follten die Gläubigen eine nicht mehr vom Körper, 
fondern allein von der Gnade Gottes abhängige LXeben 
dauer erhalten (ald wenn nicht ſchon jeßt ihre LXebent- 
dauer von der Gnade Gottes abhinge), und Durch das 
große Pentagon follten fie die durch die Erbfünde ver 
forene Unſchuld zurüderhalten. Für den Iehtern Zwed 
mußte man auf einem hoben Gebirge, dem der Name 


Sinai beizulegen war, ein Haus von 3 Geftoden er : 
richten. In das mittelfle Stodwerk, welches Ararat 


zu nennen war, hatten 13 Altmeiſter zu ziehen und fid 
darin 40 Tage Iang täglich 18 Stunden mit Gebet und 
Betrachtungen und Bereitung des Sungfernpergamented 
zu beichäftigen, wozu man entweder das mit Seide ge 
reinigte Fell eined abortirten Lammes, oder Die Nachge 
burt eined Judenknaben anzuwenden hatte. War man 
damit zu Stande, fo traten die 13 Meifter mit den 7 
erfterfchaffenen Engeln in Verbindung und diefe drüd 
ten nun auf ein Stüd jenes Iungfernpergamentes ihr 
Siegel, womit das große Pentagon gewonnen war. 


Caglioſtro. 319 


Die glüdlihen Dreizehn wurden nun Meifter und Haup- 
tee des Dienſtes, rein und unfchuldig, unbegrenzt in 
Einfiht und Macht, nur nad) der Ruhe der Unfterb- 
lichkeit firebend. Nur ein Solcher konnte von ſich fa- 
gen: Sch bin, der ich bin. (In Ddiefer Weiſe antwor- 
tete Caglioſtro felbft auf jede Trage nach feiner Her: 
Punft; zuweilen zeichnete er auch, ſtatt der Antwort, 
fine Schlange, die einen Apfel im Munde hatte und 
deren Schwanz in einen Pfeil auslief.) Jeder Wieder- 
zeborne erhielt auch noch fieben Extrapentagone für 
Beeunde und Freundinnen. - Caglioſtro ließ in der That 
mf einer Höhe bei Bafel einen dreiftödigen Pavillon 
bauen, den er für dieſen Verſuch berechnet zu haben 


Schwieriger war die phyſiſche Wiedergeburt zu er: 
langen und das Schlimmfte war bier, daß das ver- 
beießliche Experiment alle 50 Jahre wiederholt werden 
mußte. Man hatte fich mit einem vertrauten Freunde 
af das Land zurüdzuziehen und fich 32 Tage einer 
inßerft magern Diät zu unterwerfen, wozu am 17. und 
9, Tage ein gelinder Aderlaß und am 32. auch 6 Trop⸗ 
fen einer weißen Mirtur kamen, die man dann täglich) 
bis zum Ende der Sur und zwar jeden Tag 2 Tropfen 
mehr zu nehmen hatte. Mit dem 32. Zage legte man 
WG zu Bett und erhielt den erften Gran der materia 
wima, der aber peinliche Folgen, nämlich eine drei: 
köndige Ohnmacht mit Convulfionen nach fich zog. 
Im 33. Zage befam man den zweiten Gran, worauf 
ich Fieber, Delirium und der Verluft von Haaren, Zäh— 
un und Haut einftellte.e Am 36. Zage erhielt man 
kn dritten Gran und fiel darauf in einen langen 
Schlaf, in welchem alles Verlorene wieder wuchs. Am 
9. Tage nahm man ein Bad und fchlürfte in einem 









320 Caglioſtro. 


Glaſe Wein 10 Tropfen vom Balſam des Groß⸗Kophta, 
worauf man am 40. Tage vollkommen geſund und auf 
50 Jahre verjüngt feine Straße ziehen konnte. Man 
konnte das Experiment alle 50 Jahre wiederholen, bis 
man ein Alter von 5557 Jahren erreicht hatte’). 

In den Logen war die Arbeit vorzüglich darauf ge 
richtet, mit den Engeln und den Propheten des Alten 
Zeftamentes ?) in Verkehr zu treten, und dies ward in 
folgender Weife ‚vermittelt. Man ließ ein Kind, gleid- 
viel ob Knabe oder Mädchen, kommen, und zwar fol 
Caglioſtro, wenigftend auf .Reilen, das erfte befte von 
der Straße heraufgeholte dazu gewählt haben. Diele 
Kind hieß die Taube. Der Groß-Kophta, oder wen 
er die Kraft durch Anhauchen übertragen Hatte, legte 
dem Kinde die Hand auf das Haupt, hauchte es an 
und rieb ihm Kopf und Hand mit dem „Dele de 
Weisheit“ ein. Hierauf ward es in einen Verſchlag, 
der dad Zabernafel hieß, gebracht und angewiefen, in 
die Hand, oder in eine Schüffel voll Waſſer zu bliden. 
Die ganze Verfammlung betete lange Zeit und dann 
ward Das Kind gefragt, was ed ſehe. Wo Caglioſtro 
felbft war, ſah das Kind immer einen Engel oder Pro⸗ 
pheten und ed fand nun eine lange Unterredung zii 
hen dem Kinde und der Erfcheinung flatt, welche nad 
den Referaten des Kindes forgfältig protocollirt wurde 
Den Delegaten Caglioſtro's glüdte die Operation nicht 


1) Wir merden weiter unten zwei andere Methoden, zu demſtl⸗ 
ben 3iele zu gelangen, aufführen, von denen die eine der obigen 
fchr verwandt und wirklich verſucht worden ft. 

3) Mit dem Neuen madhte fi diefe Schule, wie alle Ggoiften 
und Liebedleeren, wenig zu tbun. Zwar erklärte Gaglioftro Mofed, 
Elias und Ghriftus für die drei vollfommenften Freimaurer, fel 
aber doch von dem Lesteren öfters geringfhäsig geſprochen hab 
und huldigte jedenfalls der Kirchenlehre über ihn nicht. 


Caglioſtro. 321 


er, und in London erfchienen einmal ftatt Engel 
er Affen. Doc zuweilen kamen auch bier Engel 
Propheten; zuweilen ſah das Kind auch den ab- 
nden Caglioſtro und deflen Frau, beide verflärt. 
einzelnen Fällen weiß man, daß die Kinder vorher 
richtet wurden. In anderen Fällen weiß man das 
:, iſt es vielmehr unwahrfcheinlich. aglioftro bat 
feinem letzten Proceſſe, vor der Inquiſition, feine 
ten Betrügereien eingeftanden, ja vielleicht mehr be- 
t, als er verfchuldet hatte; aber in Betreff dieſes 
tes behauptete er ftandhaft, daß hier eine befondere 
Gott verliehene Kraft zu Grunde. liege; behauptete 
ungeachtet der Inquifition gegenüber ihm diefe Be⸗ 
tung mehr fchaden mußte, als das Eingeftehen einer 
Ihung. Auch feine Frau verficherte, daß ihr Mann, 
fie fonft zur Mitwifferin al feiner Künfte gemacht, 
eſer Beziehung ſtets erklärt habe, fie fei zu ſchwach, 
dieſes Geheimniß faffen zu können. Auch kann man 
: annehmen, daB alle Kogenmeifter, die mit Kindern 
sten, Betrüger geweien fein. &o mag man wol 
en, daß bier. in der That eine befondere piychifche 
virkung, vielleicht dem Räthſelgebiete der ſogenann⸗ 
nagnetifchen Kraft angehörig, im Spiele geweſen fei. 
Die Anhänger Eaglioftro’8 beteten ihn förmlich an. 
ndben lang lagen fie zu feinen Füßen und glaubten, 
) die geringfte Berührung von ihm gebeiligt zu 
en. Bei der Pfalmftelle: «Memento Domine 
id et omnis mansuetudinis ejus» ward in Den 
n, ftatt David, Cagliostro .. gefungn. — Im 
igen behielt er viele Einrichtungen und Zeichen der 
Wnlichen Freimaurerei bei und vermehrte nur dic 
‚der Grade, öffnete auch die Logen allen Religionen 
namentlich auch den Juden, die er für das redfichfte 
14 * * 


* 


324 Caglioſtro. 


in die Baſtille geſetzt worden, nachdem man ihn vorher 
fruchtlos veranlaßt hatte, die Flucht zu ergreifen, und 
im Endurtel vom 8. Mai 1786 wurde er aus Frank⸗ 
reich verbannt. Während des Proceſſes reichten feine 
Anhänger eine prachtvoll gedrudte und mit dem Bil: 
niß Caglioſtro's ausgeftattete Vertheidigungsſchrift bei 
dem Parlamente ein, an welcher fogar d'Espremenil) 
Antheil gehabt haben fol, und in Diefer dem parifer 
Parlament von 1786 durch Männer der höhern Stände 
überreichten Eingabe wurde verfihert: „Caglioſtro fe 
der Sohn eined Großmeifterd des Malteferordend und 
zu Mekka und Medina geheimnißvoll erzogen. Bon 
zartefter Tugend an auf Reifen, babe er fih in de 
ägyptifchen Pyramiden die geheimen Wiflenfchaften dei 
. Drientd angeeignet. Sein Erzieher, der weile Althatat, 
dem er al dieſes Wiflen verdanfe, fei Chrift und Mat 
teferritter gewefen, habe aber die Gewohnheit gehabt, 
fih und feinen Zögling in mufelmännifche Tracht zu 
hüllen. Nachdem er die volle Reife feiner Vernunft 
und feines Genied erlangt, babe er Europa bereiſt 
Arzt und Prophet, mit der Macht, die Geifter herauf: 


zubefchwören, begabt, babe er fich überall als de . 


Freund der Menſchen verfündigt; das fei der Ber 
name, den ihm die Dankbarkeit verliehen.” Als er enf- 
laflen ward, beleuchteten feine Anhänger ihre Wohnun 
gen und feierten feine Befreiung durch Feſte. Ride 
angefehene Männer begleiteten ihn nach Paſſy und Et. 


1) Jean Jacques Duval dV’Espremenil, geb. zu Pondichery 1746, 
Parlamentsrath zu Paris und bartnädigfter Widerſacher des Hofes 
in deffen Streitigkeiten mit dem Parlamente, fpäter aber, als De 
putirter von Paris bei der Nationalverfammlung, eifrigfter Verthei⸗ 
diger des Koͤnigthums — worin Feine Inconfequenz, fondern gerad 
rechte Gonfequenz lag — 1791 aud der Berfammlung ausgetreten, 
1794 guillotinirt. 


Caglioſtro. 325 


Denis, wohin er fi zunächſt begab, und ald er ſich 
m Boulogne einfchiffte, flanden Zaufende am Strande 
und flebten um feinen Segen. 

Er ging nah England und ließ fofort eine Schrift 
eeicheinen, worin er den Gouverneur der Baftille, Mar: 
quis Launay '), und den Chevalier Chenon befchuldigte, 
ihm feine Pretiofen entwendet zu haben. Zum Glüd 
tönnten fie den Ungrund diefer Belchuldigung unwider- 
legbar erweifen. Berner veröffentlichte er ein vom 20. 
Februar 1786 datirted Sendichreiben an das franzdfifche 
Bolf, worin die jehr natürlichen Wünſche eined eben 
aus der Baſtille Entlaffenen: Zerftörung der Baftille, 
Abſchaffung der Lettres de cachet u. f. w. in Form 
einer Prophezeiung vorgetragen wurden. Diefed Schrei- 
ben gab ihm ſpäter noch einen Vorwand, fid) von Rom 
aus an die Nationalverfammlung zu wenden und, da 
er fich große Verdienſte um die Freiheit des franzöfi- 
fihen Volks erworben habe, um die Erlaubniß zur Rück⸗ 
kehr zu bitten. — Während feines damaligen Aufent- 
Baltes in London foll er auch mit einem Schwärmer 
ganz anderer Art, mit dem Lord Georg Gordon ?) in 


. 2) Bernard René Zourdan, Marquis de Launay, war mit fei- 
sem ganzen Geſchick an die Baftille gekettet. Er war in ihr gebo- 
ten (1740), wurde Gouverneur derfelben, ald welder er fih human 
md mild benahm, und wurde bei ihrer Erftürmung (1789) vom 
Höbel crmorket. 

- 3) Lord Georg Gordon, geb. 19. Dec. 1750, aus einer uralten, 
normaͤnniſchen, fpäter nad Schottland verpflanzten Familie, melde 
ob nad) der Bertreibung der Stuarts lange Zeit jafobitifh und 
romiſch katholiſch blieb. Cr war ein Sohn des dritten Herzogs 
Georg Sosmus und warf fih ebenfo zum Bertheidiger der bigottes 
ken ſchottiſchen Presbyterianer und namentlih zum Bertreter ihres 
Katholitenhaffes, wie zum Paladin der Fatholifhden Iren auf, ver- 
Mehr aber dabei, zwar nicht ohne alle Schlaubeit des Wahnfinnes 
umd mit höchſter Maftlofigkeit, aber obne höheren Geift und Plan. 
Sr benuste eine 1778 von dem edeln Sir Georg Saville einges 


324 Caglioſtro. 


in die Baſtille geſetzt worden, nachdem man ihn vorher 
fruchtlos veranlaßt hatte, die Flucht zu ergreifen, und 
im Endurtel vom 8. Mai 1786 wurde er aus Frank⸗ 
reich verbannt. Während des Procefies reichten feine 
Anhänger eine prachtvoll gedrudte und mit dem Bil: 
niß Caglioſtro's ausgeftattete Wertheidigungsfchrift bei 
dem Parlamente ein, an welcher fogar D’Edpremenil ') 
Antheil gehabt haben fol, und in diefer dem para - 
Parlament von 1786 durch Männer der höhern Stände 
überreichten Eingabe wurde verfichert: „Caglioſtro fe 
der Sohn eined Großmeifterd des Malteferordend und 
zu Mekka und Medina geheimnißvoll erzogen. Von 
zartefter Tugend an auf Reifen, babe er fich in den 
ägyptiſchen Pyramiden die geheimen Wiflenfchaften dei 
. Drientd angeeignet. Sein Erzieher, der weife Althatas, 
dem er al dieſes Willen verdante, fei Chrift und Mal 
teferritter gewelen, habe aber die Gewohnheit gehabt, 
fih und feinen Zögling in mufelmäannifche Tracht zu 
hüllen. Nachdem er die volle Reife feiner Vernunft 
und feines Genied erlangt, babe er Europa beraifl. 
Arzt und Prophet, mit der Macht, die Geifter herauf: 
zubefchwören, begabt, babe er fich überall als ba 
Freund der Menfchen verfündigt; das fei der Be 
name, den ihm die Dankbarkeit verliehen.” Als er ent 
laſſen ward, beleuchteten feine Anhänger ihre Wohnun⸗ 
gen und feierten feine Befreiung durch Feſte. Ride 
angefehene Männer begleiteten ihn nach Paſſy und Et. 





1) Zean Jacques Duval d’Espremenil, geb. zu Pondichery 174, 
Parlamentsrath zu Paris und bartnädigfter Widerſacher des Hofes 
in deffen Streitigkeiten mit dem Parlamente, fpäter aber, ald De fi 
putirter von Parid bei der Nationalverfammlung, eifrigfter MBerther 
diger des Königthums — worin Peine Inconfequenz, fondern gerek hi 
rechte Gonfeguenz lag — 1791 aus der Berfammlung audgetretm, 
1794 guillotinirt. 





Caglioſtro. 325 


Denis, wohin er fich zunächft begab, und als er fich 
zu Boulogne einichiffte, flanden Zaufende am Strande 
und flehten um feinen Segen. 

Er ging nach England und fieß fofort eine Schrift 
eeicheinen, worin er den Gouverneur der Baftille, Mar- 
quis Launay ’), und den Chevalier Chenon befchuldigte, 
ihm feine Pretioſen entwendet zu haben... Zum Glück 
fonnten fie den Ungrund diefer Beihuldigung unwider⸗ 
legbar erweifen. Berner veröffentlichte er ein vom 20. 
Februar 1786 datirtes Sendfchreiben an das franzöftiche 
Volk, worin die jehr natürlichen Wünfche eined eben 
aus der Baſtille Entlafienen: Zerſtörung der Baftille, 
Abfchaffung der Lettres de cachet u. |. w. in Form 
einer Prophezeiung vorgefragen wurden. Diefed Schrei- 
ben gab ihm ſpäter noch einen Vorwand, fi) von Rom 
aus an die Nationalverfammlung zu wenden und, da 
er fich große Verdienfte um die Freiheit des franzöfi- 
hen Volks erworben habe, um die Erfaubniß zur Rüd- 
kehr zu bitten. — Während feines damaligen Aufent- 
haltes in London fol er auch mit einem Schwärmer 
ganz anderer Art, mit dem Lord Georg Gordon?) in 


I) Bernard Nend Jourdan, Marquis de Launay, war mit ſei⸗ 
nem ganzen Geſchick an die Baftille gefettet. Er war in ihr gebo- 
ten (1740), wurde Gouverneur derfelben, ald welder er ſich human 
md mild benahm, und wurde bei ihrer Erftürmung (1789) vom 
Poͤbel ermorket. 

3) Lord Georg Gordon, geb. 19. Dec. 1750, aus einer uralten, 
kormännifdyen, fpäter nad Schottland verpflanzten Familie, melde 
och nad der Bertreibung der Stuartd lange Zeit jakobitiſch und 
rmiſch katholiſch blieb. Er war ein Sohn des dritten Herzogs 
Georg Gosmus und warf ſich ebenfo zum Vertheidiger der bigottes 
Ren ſchottiſchen Presbnterianer und namentlid zum Bertreter ihres 

Katbolitenhaffes, wie zum Paladin der katholiſchen Iren auf, ver- 
fuhr aber dabei, zwar nicht ohne ale Schlauheit des Wahnſinnes 
und mit bödfter Maftiofigkeit, aber ohne höheren Geiſt und Plan. 
Gr benuste eine 1778 von dem edeln Sir Georg Saville einges 


328 Caglioſtro. 


feine religiöſen Meinungen gerichtet. Er bekannte end— 
lich gänzliche Irreligiofität und Keberei und ward zum 
Zode verurtheilt. Pius VI. verwandelte (7. April 1791) 
die Todesſtrafe in lebenslängliche Haft. Bei vollfom- 
mener Neue follten auch die geiftlichen Cenſuren und 
Bußen erlaffen werden. Xorenza ward in ein Straf 
kloſter gebracht. Daß Caglioſtro feinen Beichtvater zu 
erwürgen verſucht habe, um in deſſen Kleidern zu ent⸗ 
fliehen, und daß man ihn 1797, bei Annäherung der 
Franzoſen, todt in ſeinem Kerker gefunden habe, ein 
Opfer der Inquiſition, ſcheint Fabel. Seine Zeit war 
vorüber und politiſche Bedeutfamkeit hatte er nie; am 
wenigſten ſeit die Politik aus den Händen der Intri⸗ 
guanten in die der Revolutionairs und Gewaltmenſchen 
gekommen war. Uebrigens ſoll Caglioſtro bereits 17% 
im Fort San Leo geſtorben ſein. 

Die äußere Erſcheinung Caglioſtro's wird von Eins 
gen ald widrig und abfloßend gefchildert, während Anbere 
günftiger geurtheilt haben. Klein war er und, als & 
cifianer, von brauner Farbe, fol auch fpäter fehr fett 
geworden fein und gefchielt haben. Doc babe er einen 
fehr fchönen Kopf gehabt, der zum Modell eines bege 
fterten Dichters hatte dienen können. Seine Ausſprache 
war nicht frei vom ficilianifchen Dialekt; fein Ton, feine 
Geften und Manieren waren die eined prablerifchen, am 
maßenden und zudringlichen Charlatans, was aber am 
Ende feine Verhältniffe mit fich brachten. In gewöhn 
licher EConverfation im vertrauten Eirfel fol er ange 
nehm geweien fein. Won feinen Reden, Die er fe 
mit einem Degen in der Hand bielt, bat feine Yra 
geurtheilt, daß fie nur ein weitihweifiger Galtmathlad 
bochklingender Worte und endlofer Ziraden geweſen ſeien 
Möglich freilich, daB fie eben nichts Davon verſtanden 


Caglioſtto. 399 


bat; auch fah fie ſpäter überhaupt in Herabſetzung ihres 
Mannes ein Mittel, fi) weißzubrennen. 

Die Geldmittel, die ihm zu Gebote fFanden, oder 
die er effectio verbraucht hat, find zu manchen Zeiten 
fo außerordentlich gewefen, daß fie durch alle befannten 
Mittel, durch die er fich Geld zu verfchaffen wußte, nicht 
erflärt werden können. Auf feinen Reifen brauchte er 
ſtets 6 Ertrapoftchaifen. Nach der gewöhnlichen Poli- 
tie mebdicinifcher Charlatand machte er feinen Patienten 
feine Rechnung und verlangte Feine Bezahlung, nahm 
aber wol Geſchenke und Darlehen von ihrer Dankbarkeit 
an. Es wird gerühmt, daß er bei feiner ärztlichen Hilfe 
feine Mühe und Belchwerde fcheute, und man erzählt 
in der That einige außerordentliche Euren, die er be- 
wirft babe, neben denen aber auch manche unglüdliche 
berichtet werden. Die Medicamente vertheilte er um: 
fonft, und nur feine Pillen verkaufte ein ihm attachir- 
ter Apotheker zu mäßigen Preifen. Sein fogenannter 
ägyptifcher Wein foll nur ein ſtark gewürztes, flimuli- 
rendes Getränk, fein erfrifchendes Pulver aus Salat 
und ähnlichen Blättern bereitet gewefen fein. Er be- 
diente fi) aber auch des giftigen arum maculatum 
und wendete äußerlich den Bleizucker in ftarfen Do- 
fen an. 


Vergl.: Compendio della vita e delle geste di 
Giuseppe Balsamo, denominato il Conte Caglios- 
tro; Rom, 1791. Deutih unter dem Titel: Leben 
und Zhaten ded Joſeph Balfamo, fog. Grafen Ca- 
glioftro; aus den Acten der römifchen Inquifition; Zü- 
rich, 1791. — Goethe, Italienifche Reife. — Elifa 


330 Caglioſtro. 


von der Rede, Nachricht über des berüchtigten 
glioftro Aufenthalt in Mitau 1777; Berlin und 
tin, 1787. — Ueber den Abenteurer Biufeppe Bal 
befannt ald Graf Eaglioftro, in den Neuen Sahrbi 
der Geſchichte und Politik, Jahrgang 1845, Bd. 1 
37 fg. — Denktwürdigfeiten des Barond Karl He 
von Gleichen; Keipzig 1847, ©. 123 fo. 


XU. Duchanteau und Clavieres. 


ıchanteau, der Mitte des 18. Jahrhunderts angeho- 
‚war ein fchöner, geiftreicher, Tiebenswürdiger, be- 
er Mann, den geheimen Wiflenichaften leidenſchaft⸗ 
ergeben. Nachdem er fich lange mit dem Hebräi: 
n und befonderd mit den Kabbaliften befchäftigt, 
er fich zu Amfterdam befchneiden, da er fich in den 
f gefeßt hatte, man müfle Jude fein, um von den 
zbinen in ale Mofterien der Kabbala eingeweiht zu 
ben. Da aber diefe Kabbala ihm noch nicht in ge: 
fchter Weiſe über die Schranken des menfchlichen 
ſſens binausgeholfen hatte, fo warf er fich auf daß 
ıdium der Alchimie und erfand fich eine eigene Me: 
ve, den Stein der Weifen zu finden, die in ebenfo 
reicher, als eigenthümlicher Weife den Hauptftellen 
alchimiftifchen Schriften zu entfprechen und ihre 
zten Räthfel zu löſen ſuchte. Alle namlich kommen 
n überein, dag man unabläffig das Untere mit dem 
en zu vereinigen fuchen, und daß das euer, das 
äß und der Urftoff fich in demfelben Subjecte finden 
ten. Nun fagte Duchanteau: „Dieſes geheimniß- 
e Subject bin ich felbft, und jeder Mann, welcher 
geſunde Conftitution bat, ift vom 20. bis zum 
Jahre im Stande, den Stein der Weiſen zu berei- 


332 Duchantean und Clavieres. 


ten, ohne irgend- etwas außer ſich zu brauchen. Man 
lafle mich) ganz nadend in ein Zimmer gehen; man 
ſchließe mich darin ein, oder bewache mich, ohne miı 
das Geringfte zu eflen, oder zu trinken zu geben, unl 
ih will nach Verlauf von 40 Tagen mit dem Ste 
der Weifen daraus hervorgehen.” Er unternahm diefa 
Beweis in der Loge der vereinigten Freunde zu Paris 
Sein Geheimniß war ein ziemlich undelicated: .er tram 
fortwährend feinen eigenen Urin und meinte: „Sehe 
da die Verfchmelzung des Untern mit dem Obern; mei 
Urin ift der Urfloff, mein Körper ift das Gefäß um 
meine Warme ift dad Feuer; fo finden fich die die 
Grunddinge in einem Träger vereinigt.” 

Man ließ den Duchanfeau nadend in ein Zimmer ge 
ben, und gab ihm dann Kleider hinein. So hatte mm 
die Gewißheit, daB er feine verborgenen Nahrungsmit 
tel mitgebracht hatte. Die Brüder bewachten ihn weh 
felöweife. In den erflen Tagen litt er heftig an Hu 
ger und brennendem Durft; nach und nach aber reinigt 
und verdicte fich fein Urin und von da an mindet 
fich feine Pein. Dagegen erhöhten fi feine geiftige 
Kräfte, oder wurden aufgeregter; er wurde täglich ba 
terer, geiftreicher, beredter; das Erftaunlichfte aber wär 
wenn fich, wie verfichert wird, auch feine Körperfraf 
auffallend vermehrt hätte Doc könnte dies vielleich 
auch dadurch erklärt werden, daß feinen Zuftand & 
immer zunehmendes, zuleßt gefährlich erfcheinendes Zi 
ber begleitete. Dieſes Fieber machte den Logenrath Den 
doch beforgt. Er fragte fi: was es für Folgen habe 
dürfte, wenn diefer Menfch über feiner Operation, m 
die die Brüder gewußt und zu der fie mitgewirkt hai 
ten, fterben ſollte. So befchloß man, ihn zum Aufg 
ben feines Werfuches zu nöthigen. Er hatte ihn bi 


— — 


Duchantean und Clavieres. 333 


zum 26. Tage ausgehalten und dieſe 26 Tage in der 
That nichts genoſſen, als feinen Urin, Der ſich zuletzt 
bis zum Inhalt einer halben Taſſe verringert hatte. 
Der Urin fol zulebt von einem außerft dunfeln Roth, 
Die und Pebrig gewefen fein und ungemein ſchön und 
baffamifch gerochen haben. Man bat ihn forgfältig in 
den Archiven der Loge aufbewahrt; aber die Revolution 
bat mit fo vielen andern koſtbaren Schägen auch diefen 
verfchleudert und Niemand weiß, wo er bingefommen ift'). 
As Duchanteau am 26. Tage fein Unternehmen auf 
geben mußte, entichadigte er fich für das lange Kaften, 
indem er noch an demfelben Abend fo viel aß und trank, 
wie feine ſechs Zifchgenoflen zufammen, und dad Merk⸗ 
würdigfte war, Daß diefe Unenthaltfamkeit ihm nicht im 
Geringften fchadete. In feinem Unmuth darüber, daß 
er fein Ziel, deſſen Erreichung er fchon fo nahe gewe- 
ſen, verfehlt hatte, wollte er das Erperiment durchaus 
wiederholen, konnte es aber diesmal nur bis zum 16. 
Tage aushalten, wo ihn die Kräfte mit einem Male 
verließen, und da er bald darauf ſtarb, fo fcheint es, 
daß Diefer zweite Verſuch ihm das Leben gekoftet hat. 
Noch gedenken wir eines andern Verfahrens für den: 
ſelben Zweck, deflen Geheimniß in den Händen Clavie⸗ 
ee’ war. Gtienne Clavieres, geb. zu Genf am 27. Ja⸗ 
nuar 1735 und Banquier dafelbft, ftand an der Spitze 
der Ungufriedenen feiner Vaterftadt, deren Schritte 1782 
u einer gewaffneten Einmiſchung der Garant Der 
genfer Verfaſſung, Frankreih, Sardinien und Bern 
führten, einem der früheften Beilpiele der Interventio- 
nen im neueren und neueften Sinne. Aber auch die 
damalige genfer Infurrection felbft war einer der frühe 


1) Dentwürdigkeiten des Varons von Gleichen. S. 165 fg. 


334 Duchantean und Clavieres. 


ften Vorläufer neuerer Revolutionen und gab zunächſt 
ein Vorfpiel mancher Züge der franzöfifchen Revolution, 
an welcher Die vertriebenen genfer Demokraten großen 
Antheil hatten. Der Aufftand war gegen ein Verfah⸗ 
ren gerichtet, wobei die Behörden ihre verfaſſungsmä⸗ 
Bigen Rechte keinesweges überjchritten hatten. Er war 
eigentlich gegen eine Ausübung des Veto gerichtet, wei 
bald auch die Partei der Regierung die der negatiks 
hieß, während die der Oppofition parti representant 
genannt wurde. Sicherheitsausfchüfle und Clubs ſetz 
ten fi) an die Stelle der verfaflungsmäßigen Regie 
rung. Die Syndicd wurden verhaftet. Eine Schredent 
berrfchaft durchzog die Stadt und fuchte den Schein 
eines übereinftimmenden Volkswillens für die Zwede 
der Revolutionsgmänner, deren Eriftenz auf dem Spiele 
ftand, zu erzwingen. Man füllte die Kathedrale und 
die von den „Ariftofraten” bewohnten Stadttheile mit 
Pulver, entweder, wie die Einen fagten, um die Stadt 
im äußerften Falle in Die Luft zu fprengen '), oder, wie 
Andere wollten, um die der Revolution abgeneigten 
Claſſen durch Furcht zur Theilnahme zu nöthigen. In 
deß troß Ddiefer verzweifelten Vorbereitungen ward der 
Interventionsarmee fo gut wie fein Widerftand geler 
ftet *) und 25 Hauptdemofraten wurden theild verbannt, 
theils flüchteten fie fich freiwillig. Unter ihnen Clavieres. 
Sie gingen zunächſt nach England, bei dem fie ſchon 


1) Möglid jedch, daß diefe Anlage auch aus einem ganz ent 
gegengefegten Borgange entſtand. Als nämlidy ein von dem Befehl 
haber der Franzoſen, General Marquis Jaucourt, abgefenveter 
Parlementair drohte, man werde die Stadt in Brand fteden, mem 
fie fi nicht ergebe, fo fchilte der Gommandant der Genfer, Wo⸗ 
merat, dem Marquis Iaucourt cin Padet Schwefelhölzden. 

2) Es ftanden 4000 Mann auf den Waͤllen; aber fie gaben fid, 
ſobald tie Sturmleitern angelegt wurden. 


Dechantean und Elapiered. 335 


vorher Schuß gegen Frankreich gefucht hatten. Die 
Berbannten ernannten, zur Fortführung ihrer Unter- 
handlung mit England, fechd Commiflare: D’Ypernois, 
Blavieres, Grenus, Ringler, Duroveray, Gasc, und 
es ift eine Gapitulation Großbritaniend mit den genfer 
Berbannten gefchloffen worden, worin die englifche Re- 
zierung ihnen, unter dem 4. April 1783, 50,000 Pf. 
St., theils für ihre Bedürfnifle, theild um ein Genf 
a Irland zu errichten, bewilligte; Died auch ein Vor⸗ 
Aufer neuerer verwandter Subventionen. Die Verwal- 
ung bed Geldes wurde 8 Mitgliedern des Geheimen 
Raths, A Mitgliedern des Unterhaujes und den genann- 
tm G genfer Flüchtlingen vertraut. Ihr Hauptpatron 
war Lord Temple, Marquis von Budingham ') und 
dieſer namentlich verfchaffte ihnen die Subvention. Lord 
Mahon bot ihnen Xändereien zum Aufbau ihrer Nie- 
berlaffungen an. Vor den Genannten waren ſchon an 
dere Genfer derfelben Partei nach England gegangen, 
z. B. Siardet, La Rohe. Deluc’) war fchon feit 
1773 Vorleſer der Königin. Der wadre Delolme’), 
gleichfalls ſchon früher nah) England geflüchtet, febte 
änen edlen Stolz darein, feinen Unterhalt im fremden 
Bande nur feiner Feder zu verdanken, und vergalt den 
Schub, den ihm England gewährte, durch ein gefeier- 
tes Merk über deſſen Verfaſſung. Er hat fih aud) 
ſpäter nicht wieder in das NRewolutiondtreiben gemiſcht; 


1) Iſt es nit eigen, daß Palmerſton aud zu ven Temple⸗ 
Budinghamd gehört? 

3) Der bekannte Geolog und Meteorolog Jean Andre Deluc, 
eb. zu Senf 1727, 1768 von feiner Partei nad Paris gefendet, 
[773 in England angeftelt, 1798 Srofeffer in Göttingen, welde 
Stelle cr niemals antrat, + zu Windfor 8. Kor. 1817. 

3) Dean Louis Deloime, geb. zu Genf 1740, Advccat, + in 
Scwen in der italienifhen Schweiz 16. Auli 1806. 


336 Dacantean und Clavieres. 


denn er hatte, wie Keiner feiner Genoflen, in England 
eine Einfiht in dad wahre Weſen der Freiheit und der 
Staatdordnung gewonnen. Später folgten ihnen Du 
mont, Chauvet, Marat'), Melly. Sobald aber in 
Frankreich Neder zur Gewalt gelangt war, erichien zu 
nächſt D'Yvernois in Paris und bald famen auch Cla⸗ 
. viered und Andere. Sie fchlofien fi) befonders an 
Mirabeau an, welcher Duroveray ?) feinen Lehrer im 
Revolutionsweien und Clavieres feinen Lehrer im F- 
nanzwefen genannt haben fol, und fein Sournal: Le 
Courrier de Provence den Genfern Duroveray, Cla 
viered, Dumont und Reybas überließ. Nah Mir 
beau's Tode fchloflen fih die Genfer, und namentlid 
Glavieres, an die Girondiften, und ald ed durch die 
Drohung einer Anklage gegen die Königin gelungen 
war, den Hof zur Annahme eined girondiftifchen Mi⸗ 
nifteriumd zu beflimmen, ward Clavitres, Durch den 
Einfluß feined vieljährigen Freundes Briffot, Finanz⸗ 
minifter (24. März 1792), gehörte aber auch in dieſem 
Minifterium zu der heftigeren Fraction und ward fchon 
am 12. Juni, mit Servan und Roland, wieder entlaf- 
fen. Parteiroyalifter befhuldigen ihn, Darauf die Volke: 
bewegung vom 20. Zuni veranlaßt zu haben, und die 
felbe Partei, Die es Tiebt, nur außerliche Umtriebe als 
Urfachen der franzöfifchen Revolution und ihres Gange 
zu erfennen und fie bald England, bald Defterreid, 
bald dem Herzog von Orleans, bald dem Grafen von 
der Provence. zur Laſt legt, wirft ihm vor, daß er bier, 
wie überall, als englifcher Agent gehandelt habe. Am 





1) Marat war fein Genfer, fondern aus dem Yürftentbum 
Neuenburg, gehörte aber damals zu derfelben Goterie. 

2) Duroveran war übrigens ſchon 1794 bei der royaliſtiſchen 
Emigration. 


Duchantean und Clabiereb. 337 


14, Juli und am 10. Auguſt hatten aber die Giron⸗ 
Yiten jedenfall das Heft nicht mehr in den Händen 
md auch aus der Fremdencoterie trat jetzt die heftigfte 
fraction hervor: Marat. Doch fuchten die Girondiſten 
senigftend der Bewegung nachzukommen und Clavitres 
rat, mit Roland, Servan und andern Gleichgefinnten, 
ieder ind Minifterium; vom Hofe jeßt unabhängig, 
ber deſto abhängiger von den Jakobinern, Denen diefe 
Rinifter geborchen mußten, während fie ſich Doch beide 
emd waren, mithin Der Gehorfam ihnen und ihrer 
Sache nichts helfen konnte. Nach waderenm Wider: 
ande gegen Danton, Marat und Robeöpierre ward 
lavieres am 2. Juni 1793 mit den andern Girondiften 
erhaftet, am 5. Sept. vor das Revolutionstribunal ver: 
ieſen und tödtete fi) am 8. Dec. in der Conciergerie, 
nden er fich ein Mefler in die Bruſt ſtieß. Seine 
frau nahm Gift und flarb zwei Tage fpäter. Bevor 
r fih erſtach, fol er die Verfe aus der Waife aus 
hing recitirt haben: 


«Les criminels tremblans sont traines au supplice, 
Les mortels g&nereux disposent de leur sort.» 


Ein genfer IUuminat, aber ein ehrlicher Mann, was 
ange nicht alle Illuminaten aller Zeiten geweſen find, 
in Notar Chenaud, fol jährlich der franzöfifchen Re⸗ 
Herung gefchrieben und ihr vorausgefagt haben, mas 
He genfer Coterie in Frankreich zunächft betreiben werde, 
oll aber namentlich die abenteuerlichen und blutigen 
Schiefiale des Clavieres im Voraus verfündigt haben. 
NMavitres ſelbſt verlangte, noch vor feinem Sturze, daß 
kan unter fein Portrait folgende Verſe feße: 

«On tombe, on se rel&ve, on terrasse, on detruit, 
On recule, on avance, on s’arrete, on poursuit. » 


338 Dadpantean und Eleviereh. 


Bevor übrigens Clavieres zu fo hoben Stellungen 
in Frankreich gelangte, war er froh, eine geringe Sub 
alternftelle bei dem Finanzweien zu befommen, und in 
dDiefer Zeit verkaufte er der Loge der Vereinigten Fremde 
ein Manuſcript, was er wol der Periode feiner genfe 
Geheimverbindungen verdankte und worin ein fralid 
fehr umſtändliches und fchauerliched Verfahren befchrie 
ben war, den Stein der Weifen zu bereiten. Man 
brauchte dazu zuwörderft einen reinen Junggeſellen und 
eine reine Iungfrau. Beide mußten unter einer befon- 
deren Sonftellation verheirathet werden. Ihr erſtes Kind 
mußte ein Knabe fein und gleich bei der Geburt in ei⸗ 
nen gläfernen Recipienten eintreten, der fofort in eine 
Retorte zu bringen war, worauf man das arme Kind 
am Feuer zu calciniren hatte. Nach einem ſehr ausge 
dehnten Procefle, deſſen Einzelheiten unfer Berichte: 
ftatter vergeflen hatte, follte fich das Kind in einen 
Stoff verwandeln, welcher zugleich Univerfalmebicin und 
Stein der Weifen fein würde und deflen Kraft fich bei 
jedem wiederholten Procefje verzehnfachen ſollte. Das 
Manufeript, worin dieſes wahnfinnige und graufame 
Verfahren dargelegt war, erging fich zugleich in mit 
den Erperiment in Verbindung gefeßten Erläuterungen 
der Mythologie und namentlih der 12 Arbeiten de 
Hercules, die ed auf Die alchimiftifchen Aufgaben bezog. 
Später fol ein Genoffe des Claviered das Manufeript 
ind Ausland (nah ©....... ) gebracht haben, wo eine 
nad) Schägen gierige Prinzeffin und ein fehr wenig te 
figiöfer Minifter ernſtlich daran gedacht hätten, dieſes 
große Werk zu unternehmen, indeß doch durch die Un: 
ficherheit des Erfolgs und die große Zahl der Schwir: 
rigfeiten abgeſchreckt worden feien. 

Der Furfächfifche Gefandte in Madrid, Graf Johann, 


Duchantean und Clapieres. 339 


Joſeph Hyacinth von Kolowrat-Krakowsky (geb. 11. 
Sept. 1692 + im Det. 1766) zeigte zwei ſpaniſche Kup: 
feermünzen, von denen die eine, dergleichen niemals in 
Biber geichlagen worden, ihm und jeinen Freunden 
ganz zu Silber geworden zu fein fhien. Die andere 
hatte nur in der Mitte einen Silberftreifen, und wenn 
man fie zerichnitt, fah man deutlich, Daß derfelbe durch⸗ 
Bing"). Kolowrat verficherte, daB die Verwandlung in 
feiner Gegenwart vorgegangen fe. Iedenfalld waren 
die Münzen vorbereitet und in feiner Gegenwart durch 
nen Zafchenfpielerftreich untergefchoben worden. 


1) Denkwürdigkeiten des Barons von Gleihen a. a. D. 


15 * 


XI. Der Graf von St. Germain, 


Als eine Art praftifhen Beweifed der Möglichkeit, ſchon 
bienieden zur phyſiſchen Unfterblichkeit und ewigen Ju⸗ 
gend zu gelangen, oder doch die Grenzen der Kraft um 
des Lebens weit über Das gewöhnliche Maß auszudeh⸗ 
nen, ftellte fich ein Abenteurer dar, welcher ſeit 17, 
zuerft ald Marquis von Montferrat, in Venedig alt 
Graf de Bellamare, in Piſa ald Chevalier Schöning, in 
Mailand als Chevalier Welldone, in Genua als Graf 
Soltifow '), in Schwabach ald Graf Tzarogy (NRagoky), 
in FSranfreih ald Graf von St. Germain ?) auftrat, 
welchen letztern Namen er dann bis an fein Ende ber 
behielt. Seine eigentliche Herkunft ift niemals entdedt 
worden, auch fein Vaterland nicht. Selbft Friedrich. 

bezeichnet ihn al& einen Mann, den man niemals habe 

enträthfeln können. Wenn er, wie er es liebte, von 





| 
| 


— ⸗ 





1) Ein Mitglied dieſer Familie in jener Zeit war in maurerifd: 
myſtiſchen Verbindungen, wie wir, das Nähere einer fpätern det 
vorbehaltend, aud in den Miscellen, unter der Rubrik: Nitſche und 
Ruſca, anführen werden. 


2) Nicht zu verwechfeln mit Graf Robert St. Germain, geb. zu 
Lons⸗le-Saulier 1708, erft Icfuit, dann Militair in franzöfifgen, 
pfälziſchen, Öfterreihifhen, preußifhen Dienften, dann, zu Struen⸗ 
ſee's Zeit, däniſcher Kriegsminifter, zu Anfang der Regierung Lu 
wig's XVI. aud franzöfifher Kriegsminifter, + 1778. 


Der Graf von St. Germain. 341 


feiner Kindheit fprach, malte er fich umgeben von zahl- 
richem Gefolge, wie er fich auf prächtigen Zerraflen in 
einem Föftlichen Klima erging, als wäre er der Kron- 
min; eined Königs von Granada in der Zeit der Mauren 
gavefen. Ein alter Baron von Stoſch wollte unter 
der Regentichaft (1715— 1723) einen Marquis von Mont: 
ferrat gekannt haben, der für einen natürlihen Sohn 
der in Bayonne refidirenden Witwe des Königs Karl II 
son Spanien ') und eined madrider Banquierd gegolten 
habe. Einige haben St. Germain für einen portugie- 
ſiſchen Marquis von Betmar, Andere für einen fpani- 
ſchen Iefuiten Aymar, Andere für einen elfafier Juden 
Simon Wolff’), noch Andere für den Sohn eines 
Gteuereinnehmerd zu St. Sermano in Savoyen, Na: 
mend Rotondo, gehalten. Der Herzog von Choifeul 
erflärte ihn einmal, jedoch in zorniger Stimmung, für 
den Sohn eined portugiefiihen Juden, was übrigens 
mit der Geſchichte des Baron Stoſch ſich wohl vertra- 
gen Eönnte. Er ſprach fehr gut deutſch und engliſch, 
vortrefflich italienifh, das Franzöſiſche mit einen pie 
montefiichen Accent, dad Spanifche und Portugiefiiche 
m vollfommenfter Reinheit. 

Der Herzog von Choifeul war aufgebracht auf St. 
Germain, weil er bei einer Diplomatifchen Intrigue, die 
der König, oder vielmehr der Marichall de Belleisle ‘) 
hinter Choiſeul's Rücken gefpielt, zum Werkzeug gedient 


1) Maria Anna von PfalzsReuburg, geb. 28. Oct. 1667, verm. 
16. Mai 1689, Witwe 1. Nov. 1700, feit dem Dec. 1700 in 
Toledo, feit 1706 in Bayonne wohnend, von wo fic crft 1738 
nach Suadalarara überzog und am 16. Zuli 1740 }. 

2) ©. die Memoiren der Marguife von Grequi. 

3) Karl Ludwig Auguft Zouquet Graf von Belleidle, geb. zu 
Billefranche 23. Sept. 1684 + 26. Zan. 1761. Er war feit 1749 
franzoͤfiſcher Kriegsminiſter. 


342 Der Graf von St. Germain. 


hatte. Bekanntlich beftand Choiſeul's Lieblingsplan und 
gewiffermaßen der Stolz feiner ſtaatsmänniſchen Lauf⸗ 
bahn in der von ihm bewirkten Ausfühnung und Ver 
bündung zwifchen Frankreich und Oeſterreich. Belleisle, 
der alte Gegner Oefterreihd aus dem öfterreichifchen 
Erbfolgefriege her, widerſtrebte dieſer Politik aufs Ei 
frigſte. Ludwig XV. und die Marquife Pompabeur 
waren jedenfalld des Krieges müde, der nicht ging, wit 
er follte. Auch Choifeul wollte den Frieden; aber men 
zweifelte, ob er fo eifrig Dafür wirke, wie ed im Ginw 
der andern Partei war. St. Germain gehörte zu den 
Sünftlingen Belleisle's und gab ihm mancherlei feltiame 
Rathſchläge. Jetzt zunächft verficherte er ihm, daß er 
mit dem eben im Haag befindlichen Prinzen Ludwig 
von Braunfchweig vertraut fei und durch Ddiefen am 
leichteften eine Unterhandlung anknüpfen könne. De 
König und Kriegdminifter fchieften denn in der That 
den St. Germain nad) dem Haag’). Allein der dor 
tige franzöfifche Gefandte Graf d'Affry?) entdeckte das 
Geheimniß diefer Sendung und fehidte fogleich einm 


| 
| 
! 
1 
) 
| 


1) Dies ſcheint 1760 gefhehen zu fein. 1761 fand übrigens 


eine Unterhandlung im Haag ftatt, melde wirflih an cine Eroͤff⸗ 
nung ded Prinzen von Braunſchweig antnüpfte, aber durch dAffry 
und den englifhen Gefandten Mord geführt wurde und erfolgles 
blieb. ©. Zlaffan, V, 378. 

2) Ludwig Auguft Auguftin D’Affry, aus einem alten Gefdlehte 
des Gantons Freiburg, Sohn des franzöfifden Generallieutenants 
Franz d'Affry, ward zu Berfailles 1713 geboren, foht in der 
Schlacht bei Guaftalla, wo fein Bater fiel (1734), ftieg bis zum 
Maredhal de Camp, ward dann 1755 Gefandter im Daag, ging 
1762 als Senerallicutenant wieder zur Armee, ward 1780 Obriſt 
ter Schweizer, am 10. Auguft 1792 verhaftet, + 1793 auf feinem 
Schloſſe St. Barthelemy im Waadt. Ein Sohn von ihm war an 
jenem 10. Auguft gefallen. Ein andrer Sohn, Ludwig Auguftin 
Philipp, geb. zu Freiburg 1743, mar franzöfifher Generallieute⸗ 
nant, ging in die Schweiz zurück, mard der erfte Landamman der 
Schweiz unter der Mediationdacte und + 26. Juni 1810. 


Der Graf von St. Germain, 343 


ourier an Choiſeul, mit bitteren Beſchwerden, daß er, 
me fein Mitwilen, unter feinen Augen, durch einen 
ibefannten Fremden den Zrieden unterhandeln lafle. 
joiſeul fchiefte den Courier ſogleich mit einer Anwei⸗ 
ng an den Grafen d'Affry zurüd, wonach dieſer mit 
Balichflem Nachdrud von den Generalitaaten die Aus⸗ 
ferung St. Germain’d verlangen und ihn dann ge 
zaden in die Baftille fchiden folte Am folgenden 
age brachte Ehoifeul im Eonfeil die Depefche des Gra⸗ 
a D’Affry vor, verlad darauf die Antwort, die er er- 
eilt Hatte, ließ feine Blicke mit Stolz auf feinen Col⸗ 
yen berumgehen, richtete fie dann abwechfelnd auf den 
hnig und Herrn de Belleiöle und fagte endlich: „Wenn 
mwmir nicht Die Zeit genommen habe, die Befehle des 
hnigs einzuholen, fo beruht dad nur auf meiner Ueber: 
wgung, daß Niemand bier gewagt haben würde, einen 
sieben ohne Vorwiſſen des Minifterd der auswärtigen 
ngelegenheiten Ew. Majeftät zu unterhandeln. Der 
önig fchlug die Augen nieder wie ein Schuldiger; der 
tinifter wagte kein Wort zu fprechen und der Schrift 
8 Herzogs von Choifeul ward genehmigt. St. Ger⸗ 
ain entkam ihm aber doch. Die Generalftaaten bezeig: 
w fich zwar willfährig, welche Gefälligkeit fie auch 
br geltend zu machen wußten, und fchidten cine zahl: 
iche Wache ab, ihn zu verhaften; er war aber vorher 
ı ber Stille von der Sache in Kenntniß gelegt wor: 
m und entflohb nad) England). Won bier ging er 


1) Man bat die Gefhihte irrthümlih umgekehrt berichtet und 
e Unterhandlung in Gngland gepflogen werden, die Flucht aber 
ich dem Feſtland geſchehen laffen. Daß Choiſeul auch von Eng⸗ 

nd die Auslieferung St. Germain's verlangt hätte, iſt bei dem 
aligen Kriegsſtande hoͤchſt unwahrſcheinlich. Den Borgang mit 
boifen! im Gonfeil erzählt leihen a. a. D. S. 118 fe. 


344 Der Graf von St. Germais, 


bald nach Petersburg und fol bier bei der Revolution 
von 1762 eine Rolle gefpielt haben, von der man je 
Doch nichts Näheres weiß ')., Jedenfalls war er auch 
nachher mit den Orlows fehr befreundet. Als er 1770 
in ruffticher Generalduniform und unter einem ruffifchen 
Namen in Livorno erfchien, ward er von dem Grafen 
Alexis Orlow mit einer Rüdficht behandelt, welche die 
fer ſtolze Mann gegen Niemand zeigte, und Gregor 
Drfow, der ihn 1772 mit dem Markgrafen von Yn 
fpach zu Nürnberg auf der Durchreife ſah, nannte ihn 
feinen caro padre, fol ihm 20,000 venetianifche Zechi⸗ 
nen geichen?t haben und fagte über ihn zu dem Mark⸗ 
grafen: «Voila un homme qui a joue un grand 
röle dans notre revolution.» Von Petersburg ging 
er nach Berlin und zog dann in Deutichland und Ja 
lien umber. Längere Zeit lebte er in Schwabach und 
bei dem Markgrafen von Anſpach, den er auch nad 
Stalten begleitete. Zuletzt hielt er fih in Eckernförde 
bei dem Landgrafen Karl?) von Heſſen, bekanntlich « 
nem großen Gönner geheimer Wiflenfchaften und einer 
Beute zahlreicher Charlatane, auf und flarb bei ihm le 
bensmüde im Jahre 1780. Während des legten Jah 
res feines Lebens Tieß er fi) nur von Frauenzimmern 
bedienen, die ihn wie einen zweiten Salomon pflegten 
und hatfchelten, und in deren Armen er ftarb, nachdem 


1) In den zahlreihen Berichten über jene Revolution wird Gt. 
Germain nie erwähnt, wol aber ein Piemontefe Odard, der abe, 
nad dem, was Rulhiere über deffen Schidfal anführt, nit Drew 
tiſch mit St. Germain fein Fann. 

2) Landaraf Karl von Heffen=Kaffel, geb. 19. Dec. 1744, um 
30. Aug. 1766 mit Zuife Prinzeffin von Dänemark (geb. 30. Ian. 
1750 + 12. Ian 1831) vermählt, dänifher Feldmarſchall ws) 
Statthalter der Herzogthümer Schleswig und Holftein, Vater der 
verwitweten Königin von Dänemark, Bruder des erften Kurfürſten 
von Heffen, ftarb am 17. Auguſt 1836. 


Dee Graf von St. Germain. 345 


er allmälig feine Kräfte verloren. Seine Papiere kamen 
in die Hände des Landgrafen, dem man aber niemals 
ne Auskunft über die Räthſel, weiche St. Germain 
kinen Zeitgenofien aufgegeben, hat abgewinnen können, 
ee aber auch nicht der Mann dazu war, bei Beurthei- 
ung ſolcher Männer Kritik anzumenden. 

Im Allgemeinen fcheint St. Germain unter den 
Sharlatans des 1Sten Jahrhunderts einer der Unfchäd- 
Iheren geweſen zu fein, und mit feinen Schwindeleien 
ucht eben mehr bezweckt zu haben, als ſich in der vor- 
shmen Welt und deren Genüffen zu behaupten, auf 
Koften reicher Großen ein behagliches Xeben zu führen 
md fi an dem Staunen zu ergößen, was feine Be: 
ſinderheiten erregtn. Zu dem allen benußte er das 
Geheimniß, was feine Herkunft umringte, den Beſitz 
Aniger chemifchen Geheimnifie und die, vielleicht auch 
durch letztere unterflüßte Iangjährige Behauptung eines 
riſtigen und fich gleichbleibenden Ausſehens. Auf fei- 
nen befländigen Umzügen batte der durch feine Rück— 
Ihten gebundene Mann vielleicht dann und wann in 
iner Intrigue mitgeholfen, was ihm dann auch weiter 
a Statten fam. Irgend einen nachhaltigen Einfluß 
8 äußern, fcheint er nie erflrebt zu haben und in fei- 
en‘ Anſprüchen ziemlich mäßig geweſen zu fein. 

Er war von mittlerer Größe, fehr robuft und be= 
ahrte fein rüftiges Ausſehen in der That wunderbar 
mge. Rameau und eine alte Verwandte eined fran- 
Jfiſchen Sefandten zu Wenedig wollten ihn 1710 als 
sen Mann gekannt haben, der etwa 50 Jahre alt zu 
in fchien. 1759 fchien er 60 Jahre zu haben und der 
inifche Legationsfecretair Morin, der ihn 1735 auf 
ner Reife nach) Holland kennen gelernt hatte, verficherte 

15 * * 


% 


346 Der Graf von St. Germain. 


25 Jahre fpäter, er fchiene ihm wicht um ein Jahr 
gealtert zu fein. In Schledwig foll er bis in bie letzte 
Zeit das Ausfehen eines gut confersirten Sechziger 
gehabt haben. Wenn fi) das alled wirklich fo ver 
halten hat, fo ift ed Glück und vielleicht etwas Geſchic. 
Möglich aber auch, daß der St. Germain von 1710 
doch ein Anderer war, wo dann die Sache gar nichts 
Abſonderliches mehr haben würde. 

Er ſelbſt fuchte allerdings den Glauben an ein um 
gewöhnliche Alter zu erweden und bediente fich dazu 
mancherlei Kunftgriffe, ohne gerade Jedermann eine be 
ſtimmte desfallſige Verficherung zu ertheilen. Indeß ift 
er nie fo weit gegangen, wie man ihm nachgefagt bat, 
ſich für einen Zeitgenofien des Heilanded auszugeben 
und der Dienfte zu rühmen, die er ihm bei Pilatus 
geleiftet, oder der Bemühungen, die er zu Gunften de 
Canonifation der heiligen Anna auf dem nicäifchen Em 
eit gehabt. Dieſe Gefchichten rühren vielmehr von eine 
Moftification ber, die durch einen wißigen Parifer ver 
mittelt ward, welcher eine befondere Gabe befaß, bie 
Leute nachzuahmen, und weil er Died befonders af 
Engländer anmwendete, den Beinamen Mylord Gower 
führte. Diefer ward in Kreife geführt, in welche St. 
Germain nicht kam, dort für Diefen ausgegeben und 
oufrirfe nun feine Rolle, ohne deshalb weniger Glauben 
zu finden. Indeß ein Paar Sahrhunderte ſchrieb ſich 
St. Germain doch zu. Sprach er mit einem Dumm 
kopf von einem Vorgange aus der Zeit Karl's V., fo 
vertraute er ihm ganz unummunden, daß er Dabei ge 
weſen fei; fprach er dagegen mit einem weniger Lädt. 
gläubigen, fo begnügte er fi, die Meinften Umſtände, 
die Mienen und Geften der Sprechenden, bis auf dab 





Der Graf von St. Germaik. 347 


Zimmer und den Platz, den fie eingenommien, mit einem 
Detail und einer Lebendigkeit auszumalen, die den Ein- 
druck machten, ald höre man einen Menfchen, welcher 
wirklich zugegen geweſen. 

Zuweilen, wenn er ein Geſpräch Franz' J. oder Hein⸗ 
hs VIII. referirte, ſtellte er ſich zerſtreut und fagte: 
‚Der König wendete ſich zu mir” — verfchludte aber 
afch Das „mir“ und fuhr mit der Haft eined Mannes, 
ver fich vergeflen bat, fort: „zu dem Herzog fo und 
o.“ Er war mit dem Detail der Geſchichte fehr ver: 
yaut und hatte fi) jo natürlich entworfene Zableaur 
mb Scenen zufammengefeßt, daB niemals ein Augen: 
guge einen neuen Vorgang fo lebensvoll gefchildert hat, 
sie er die Ereignifle vergangener Jahrhunderte. „Diefe 
dummköpfe von Parifern”, fagte ex eined Tages zu 
dem Baron von Gleichen '), ‚glauben, ich fei 500 
Jahre alt und ich beftärke fie in dieſer Idee, da ich 
ehe, daß fie ihnen foviel Vergnügen macht; nicht daß 
nicht wirklich unendlich älter wäre, ald ich aus 
che.“ — 

Er beſaß mancherlei chemiſche Geheimmittel, nament⸗ 
ich zu Schminken, Schönheitsmitteln, Färbeſtoffen; 
sch zu einer äußerſt ſchönen Compofition von Kupfer 


) Kerl Heiarih von Bleiben, geb. 1733 zu Remerödorf im 
eireuthi hen, ftudirte in Leipzig, wo ihn Gellert werth hielt, ging 
n in baireuthiſche Hofdienfte, reifte mit Cronegk nad Paris, wo 
im Krelfe ver ran von Graffigny lebte, begleitete 1755 feinen 
of nah Italien, reifte 1756 wieder dahin, für die Markgräfin, 
te Schwefter Friedrich's II., Kunſtſachen zu Paufen, ging 1758 als 
— nach Paris, wie der Herzog von Eholfeul, der ihn ſehr 
Ste, ſelbſt gewünfdt hatte, ward 1760 daͤniſcher Geſandter in 
‚17163 in Paris, 1770 in Neapel, trat dann in Ruheſtand 
u lebte von 1779, öftere Reiſen abgerechnet, in Regensburg, 
® er am 5. April 1807 ſtarb. 


348 Der Graf von St. Germain. 


und Zink; wahrfcheinlich auch zu nachgemachten Ede: 
fteinen. Dem Baron Gleichen zeigte er, außer eine 
Fleinen Sammlung vortrefflicher Gemälde, worunte 
eine heilige Zamilie von Murilos, eine Mafle von fo 
glänzenden und großen Eddfteinen, daß Gleichen die 
Schätze der Wunderlampe zu erbliden glaubte, und 
denen fich die wahrfcheinliche Unechtheit wenigftens nicht 
anfehen ließ. Aber er behauptete weder, eine Univer⸗ 
falmedicin, oder gar den Stein der Weilen zu befiten, 
noch rühmte er fich überhaupt übernafürlicher Kennt- 
niffe. Er lebte fehr mäßig, trank nie beim Eſſen und 
purgirte fi) mit von ihm felbft zubereiteten Senesblit- 
tern. Etwas Anderes rieth er auch feinen Freunden 
nicht, wenn fie ihn fragten, was man thun müffe, um 
lange zu leben. Wol aber fprach er oft mit myfteis 
fer Emphafe über die Ziefen der Natur, und öffne: 
der Phantafie einen weiten Spielraum in Betreff feine 
Wiſſens, feiner Schäge und feiner erlauchten Abkunft. 
Den Regierungen bot er nicht, wie die Charlatand eine 
früheren Zeit, das Geheimniß der directen Goldmader: 
funft an, fondern, der vorgefchrittenen Zeit gemäß, eine 
indirecte Bereicherung durch. allerlei induftrielle Recepte 
und Unternehmungen. Während er fo den Anfchan 
eined Mannes hatte, der nad) Geld jagt, ward er einft 
in einer Beinen piemontefifchen Stadt wegen eines Wech⸗ 
feld verhaftet, brachte aber fogleich mehr als 100,000 
Thlr. in guten Papieren hervor, bezahlte auf der Stel, 
feste fi) gegen den Gouverneur der Stadt gewaltig 
aufs hohe Pferd und wurde auf das Ehrerbietigfte ent 
laſſen. — Den Markgrafen von Anfpach behandelte er 
fehr rückſichtslos, als einen jungen Menfchen, der noch 
nicht von hohen Dingen verfiche. Um fein Anfehen 


Der Graf von St. Germain. 349 


an diefem Eleinen Hofe zu erhöhen, zeigte er von Zeit 
zu Zeit Briefe des großen Zriedrih. „Kennen Sie diefe 
dand und dieſes Siegel?” ſagte er zum Markgrafen, 
ndem er ihm den Brief im Gouvert zeigte. „Ja, das 
ſt das Beine Siegel des Königs.” „Nun wohl, Bie 
len doch nicht erfahren, was darin iſt“, und damit 
deckte er den Brief wieder in die Taſche. 


XIV. Drei Berren von Hund und Alten 
Grotkau. 


Die Herren von Hund und Alten-Grotkau find ein 
altes ſchleſiſches Gefchlecht, deilen Zufammenhang mit 
andern Familien ded Namend von Hund, wenn er je 
beftanden, nicht mehr nachzumeifen ift, ſowie überhaupt 
die beglaubigten Nachrichten von dem ſchleſiſchen Stamme 
nicht über Heinrich) von Hund auf Alten: Grotfau hin 
ausgehen, welcher 1480 lebte und defien Sohn gleiche 
Namens 1518 Burggraf von Glatz gewefen ift '). Dei 
Lebteren Enkel war Hildebrand von Hund auf Raufe 
im Fürſtenthum Liegnig, fürftlich Tiegnigifcher und brie 
gifcher Rath. Won feiner Gemahlin, Anna von Roth 
ftein (oder Rothkirch?), erhielt er zwei Söhne, und Nach⸗ 
fommen Beider haben fich fpater in die Lauſitz gewendet 
und dort neue Linien ihres Hauſes geftiftet. Die von 
dem jüngeren Sohne, Chriftoph, abflammende, deren 
fpäter gedacht werden foll, bfühte zu Ebersbach, jedoch 
nur furze Zeit. Weber ein Sahrhundert jedoch beftand 
die Linie des älteren Sohnes, Wenzel’d, und aus ihr 
find namentlich zwei Männer hervorzuheben, deren Leben 


1) Dod kommen fon 1300 Johann und Chriſtoph von Hund in 
Urkunden vor, feinen aber niht auf Alten-Grotkau gefeffen 3% 
haben. 


Drei Herren von Hund und Alten-Grotln 351 


einen merkwürdigen, zugleich die verfchiedenen Zeiten 
bezeichnenden Gegenfab bildet '). 

Wenzel ward fürftlich liegnitziſcher Rath, Hofrichter 
und Landesältefter des Fürſtenthums Liegnig. Er beſaß 
die Rittergüter Rauße bei Neumark, Wilfchkau und 
Petichkendorf bei Lüben in Schiefien, und erbeirathete 
nit feiner erften Gemahlin, Margaretha von Noftig, 
das Rittergut Unwürde in der Oberlaufit. Seine zweite 
Gemahlin war Urfula von Köckritz aus dem Haufe Fe: 
finberg im Zürftenthum Deld. In den Drangfalen des 
dreißigiährigen Krieges zog er mit den Seinigen erft nach 
Kiegnig, wo er den Ständen, zur Bezahlung einer Kriegs: 
feuer an den fchwedifchen Obriften Reichwald, fein Sil⸗ 
berzeug im Werthe zu 500 Thlrn. lieh. Als die Peft 
in Biegnit zu wüthen begann und feinen eigenen Jäger 
ergriff, ging er nad) Petichkendorf. Won da reifte er 
mit den Seinigen und einer aus Mann, Frau und zwei 
Löchtern beftehenden Familie von Landskron, welche letz⸗ 
tere aber auf der Reife ſämmtlich an der Peſt ftarben, 
nach Hrauftadt, wo er blieb, bis Krieg und Peſt fich 
verzogen. Nach Liegnit zurückgekehrt, fand er fein Haus 
völlig außgeftorben und die Thüre zugenagelt. Im Haufe 
jelbft waren feine zurückgelaſſenen Mobilien ſämmtlich 
unverfehrt erhalten. Gin ehrlicher Bürger, welcher wahr: 
genommen, daß alle Bewohner des Hauſes theild ges 
flüchtet, theild an der Peft geitorben feien, hatte beim 
Magiſtrat Anzeige gemacht, worauf die Thüre vernagelt 
worben war. Er ging nun nach Rauße, um feine ver: 
wüfteten Güter wieder aufzubauen, mußte aber, ben 
Sreueln des Krieges zu entgehen, bald wieder flüchten 


1) Wir fhöpfen dabei befonderd aus einem XAuffage in der gör⸗ 
ligiſchen Neuen Laufitiſchen Monatsihrift von 1807, ergänzen ihn 
aber für unfern Zweck aus andern Quellen. 


352 Drei Herren von Dund und Alten: Grotlan. 


und zog erft nach Breslau, dann weiter an die polmifihe 
Grenze, zu einem Herm Wilhelm von Malzahn. Nah 
längerer Zeit kehrte er auf feine Güter zurüd, Die er 
gänzlich verwüſtet antraf. Er entichloß fich nun, fir, 
was ihm auch begegnen möge, nicht wieder zu verlaflen, 
da er daran verzweifelte, irgendwo wahre Ruhe und 
Sicherheit zu finden und des Umherziehend müde war. 
Diefen Entſchluß hielt er auch bis an feinen Zod, un 
geachtet er viel von Marodeurs und Kriegsfteuern zu 
leiden hatte, nach ihm gefchoflen, fein ganzes Vieh weg: 
genommen wurde und derglL mehr. Gram und Gorge 
warfen ihn endlich aufs Kranfenbett und er ftarb am 
19. Januar 1637, mit Hinterlaffung von vier Söhnen 
und drei Zöchtern. 

Der ältefte Sohn, Andreas, ward, nebft Herrn Otto 
Friedrih von Hund, zum Wormund der unmünbigen 
Geſchwiſter beftelt und half feiner Mutter, eine Paufe 
des Krieged zu benugen, um zunächft die Güter Rauße 
und Petfchfendorf wieder in den nothdürftigften Stand 
zu fegen, worauf er ſich nach der Oberlaufig begab, um 
das, wie ed jcheint, ihm allein zugefallene Unwürde zu 
bewirthichaften. Die Witwe mußte aber bald wieder 
flüchten; einmal ind Glogauifche zu ihrem Schwager 
Hans von Saliſch; dann nach Koblin in Polen zu Herm 
Siegmund von Ködrig, welcher feine ſchleſiſchen Güter 
verlaflen und Güter in Polen gepachtet hatte. Ihre 
Güter blieben nun wüfte und unbewohnt Tiegen und 
die Kühe warfen im Baumgarten Junge. Die Witwe 
309 in Polen, wohin ſich immer mehr fchlefifche Adelige 
geflüchtet hatten, bei ihren Freunden und Verwandten 
umher, und feheint vor Ende des Krieges geftorben zu 
fein. Ihr zweiter Sohn, Wolf Kafpar, hat fpäter bie 
ſchleſiſche Linie fortgefegt und intereffirt uns nicht weite. 


Drei Deren von Hund und Alten Grottn. 353 


Der dritte Sohn, Hans Siegmund, ging in Krieg: 
Dienfte, ward Standartenträger des Obriften Schen- 
ringe, und blieb bei Pardubig in Böhmen vor dem 
Beinde. Die Töchter haben in der Folge geheirathet. 
Der jüngfte Sohn, Heinrich Wenzel, ift ed nun 
umächft, deſſen Schickſale Interefle bieten. Er war 
m 9. September 1625 zu Rauße geboren worden und 
yatte, der Kriegdunruben halber, nur eine fehr unvoll- 
omniene und oft unferbrochene Schule genoffen, obwol 
eine Eltern jede Ruhepaufe benußten, ihn bald zu einem 
Marrer, bald in die Obhut eined Hauslehrerd, bald zu 
inem Gchulmeifter zu thun. Vom 14. bis 16. Lebens: 
abre war er bei Heren von Köckritz in Polen, der ihn 
isweilen auf feine fchlefiichen Güter verfendete, oder 
nitnahm. 1642 fchrieb der ald Verfaſſer einiger asce⸗ 
iſchen Schriften befannte David von Schweinig '), der 
sach Preußen geflüchtet war und dort ein verwüftetes 
But im Kreife Morungen von der verwitweten Kurfür: 
tin gepachtet und mit feinen fchlefifhen Unterthanen 
befeßt Hatte, an die Witwe von Hund und trug ihr 
in, daß. fie ihren jüngften Sohn zu ihm ſchicken möchte; 
m wolle ihn ald Page beim Kurfürften anzubringen fu: 
den. Mutter und Sohn griffen freudig zu und Die 
Butter Ichaffte Rath, dem Sohne wenigftend 6 oder 





1) - David von Schweinig auf Seifersdorf und Peterödorf, geb. 
B. Mai 1600, ftndirte in Heidelberg und Gröningen, reifte in 
Ingland, trat dann in fürftlid Licgnigifhe Hof» und Staatsdienſte, 
ing, nachdem feine Güter vermwüftet worden, nad Preußen, von 
„er 1650, von 170 zu ihm geflüchteten Unterthanen begleis 
et, zu rte, ward 1651 Hofrichter zu Liegnig, + 27. März 
667. Beine religisfen Schriften gehören der Spener’fhen Rich⸗ 
ung an und Spener bat mehrere Borreden dazu gefhrieben. Da- 
eben gab David von Schmeinisg aber and eine Genealogie Derer 
on Schweinitz heraus. 


354 Drei Herren von Hund und Alten» Grotlam. 


7 Ducaten mitzugeben.- Won Polnifch-fla aus ging 
er mit Fuhrleufen nach Thorn, wo er einige Zage bi 
einem fchlefifchen Schneider blieb, Der früher bei einem 
Herrn von Seidlitz VBedienter geweien war und von 
da ber noch eine gewifle Deferenz für fchleftfche Ed 
leute hatte. Von da reifte er zu einem Herrn von 
Reichenbach, der bei Eylau fchöne Güter gepachtet hatte 

und ihm viel Gutes erwied. Bei Schweinig erfuhr e, 
daß er zu fpät gekommen, indem der Hof bereits nah 
Berlin zurüdgekehrt fei, fand auch einen Concurrenten 
aus Schweinigend eigner Familie, der, wie er in feine 
Selbftbiographie fagt, älter und größer, „auch etwas 
gröber“ ald er war. Ein Obriſt Wallrad wollte ihn 
wol ald Page nehmen; er meinte aber: ein Paar 
Schuhe putzen könnte er ſchon; wenn er daher fonf 
nicht8 zu fehen und zu lernen befäme, fo könnte ihm 
der Dienft nichts nügen. Nach einem balben Jahre 
entfchloffen fich unfer Hund und der junge Schweinif 
zur Rückkehr, kauften für 10 Thlr. ein Pferd, auf dem 
fie abwechfelnd ritten, und famen mit diefem glüdlid 
in Koblin bei der Frau von Hund an. - Der junge 
Mann fcheint aber doch durch dieſen Verfuch in feinem 
Wunfche, ſich auf eigne Füße zu flellen und in be 
Welt zu verfuchen, beftärkt worden zu fein. Er be 
ſchloß, in den Niederlanden Kriegsdienfte zu fuchen, 
und auch der Herr von Ködrig gab feinen älteften 
Sohn, Wolf Leuthold, dazu mit. Heinrich) Wenzel's 
Bruder auf Unmwürde ſchickte 50 Thlr. zu den Reale 
koſten, und fo fuhren fie 1644 mit der ordinairen Poſt 
na) Danzig ab, wo fie fi) nad einigen Zagen, in 
Geſellſchaft andrer junger ſchleſiſchen Edelleute, die zum 
Theil in Kriegsdienfte, zum Theil mit Hofmeiftern auf 
Reifen gingen, auf einem holländifchen Kauffahrer ein 


Drei Herren von Hund nnd Alten⸗Grotkan. 355 


ſchifften. Nach allerlei Befchwerden und Zährlichkeiten 
men fie nach 4 Wochen glüdlih in Amſterdam an 
und eilten, von da nad) Gent zu fommen, wo fie in 
die Leibcompagnie des Feldmarfchalld Johann Wolfard 
Grafen von Brederode einrollirt wurden. Won befon- 
deren Kriegsthaten des jungen Mannes, der nur über 
geringe Beloldung Fagt und 1645 „endlich“ wieder 50 
Thlr. von feinem Bruder Andreas erhielt, wird nichts 
berichtet. Diefer Bruder farb am 24. Auguft 1647, 
eft 33 Jahre alt, ohne Nachkommenſchaft zu binterlaf- 
fen, und jeßt mag Heinrich Wenzel die Kriegsdienfte 
verlafien und Das Taufiger Gut übernommen haben. 

In der Lauſitz finden wir ihn 1651, wo er fih am 
21. Februar mit Anna Maria, der nachgelaflenen jüng- 
ſten Zochter des Joachim von Ziegler und Klipphaufen 
auf Cunewalde vermahlt. Sie war am 29. Juli 1629 
geboren und mag ihm, ungeachtet fie noch 5 Geſchwi—⸗ 
ſter hatte, einiged Vermögen zugebracht haben; er felbft 
aber muß in der Schule des Mangels und der Trübfal 
en fehr guter Wirth geworden fein. Denn 1677 Faufte 
er die Güter Mönau, Rauden, Merbdorf und Beerwalde 
und hatte fie bis 1682 volftändig bezahlt. Dann Faufte 
ee 1687 Obergebelzig und Klein-Förftchen, 1689 eine 
Mühle bei Gröditz und 1690 Jerchwitz. Er flarb am 
6. Juni 1697 und feine Gemahlin folgte ihm am 9. 
Mat 1722. 

Auch fein Sohn, Joachim Hildebrand (geb. 18. 
Nov. 1651, + 16. Dec. 1722), kurfächfiiher Rath und 
Landesälteſter des Bubiffinifchen Kreifes, folgte dem 
Beiſpiel des Vaters und vermehrte den Güterbefig durch 
den Ankauf von Kittlik, Groß: Schweinig und Zoblig. 
Seine erfte Gemahlin hatte ihm 4 Söhne und 7 Töch⸗ 
ter geboren. Bon den Söhnen ftarb der Aeltefte zu 


356 Drei Herren von Hunb und Ulten⸗Grotkan. 


Leipzig als Student an den Blattern, der Dritte auf 
dem Gymnaftum zu Görlitz, der Iüngfte in gleichem 
Alter zu Brandenburg. Die Güter erbte der zweite 
Sohn, Joachim Hildebrand (+ 21. März 1731), tur 
fächfifcher Kammerherr, und kaufte noch Ließka und 
Nieder» Gebelzig dazu. 

Auch ihn überlebte von vier Söhnen nur ein Gin- 
ziger, der Iüngfte, dem Vater, Groß» und Urgroßva⸗ 
ter diefe gewaltige Gütermaſſe gefammelt hatten, der in 
viel weitere Kreife eingriff, als fie, ganz andere Zeit⸗ 


richtungen vertrat, der aber fein Ausichreiten aus dem. 


einfachen, aber fichern Wirkungskreiſe durch innere und 
äußere Zerrüttung gebüßt hat. 

Karl Sotthelf von Hund, geboren zu Mönau am 
11. September 1722, folglich bei dem Tode feines Va⸗ 
terd noch unmündig, ftanb unter der Vormundſchaft 
feiner Mutter und des Landesälteften Kafpar Heinrid 
von NRodewig. Um den einzigen Sprößling zu erhal 
ten '), ward alles Mögliche aufgewende. So hielten 
ihm feine Eltern bis in das neunte Jahr eine Amme 
und feine Mutter ließ ihn auch fpäter noch, wenn ſich 
eine gefunde Perfon dazu im Dorfe fand, diefes Stär— 
fungsmittel gebrauhen. Auch für feinen Unterricht 
ward in anftändiger Weife durch tüchtige Hauslehrer 
geforgt. 1737 bezog er bie Univerfität Leipzig und 
1739 ging er in Begleitung des Obriften Karl Fried 
rich von Schönberg auf Reifen. Er foll die jüngfte 
Tochter feined Vormundes geliebt haben und durch ihren 
od, der wol über fein ganzes Geſchick entfchieden hat, 
zu dem Entichluffe gebracht worben fein, nie zu heira⸗ 





1) Seine drei älteren Brüder waren in ven Zahren 1712, 1716 
und 1722 geitorben. 


Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkat. 357 


then. 1741 reifte er nach Paris, wo er durch eine vor⸗ 
nehme Dame, zu der er in ein Verhältniß getreten war, 
was jedoch nur 2 Jahre anbielt, der katholiſchen Relis 
gion gewonnen ward. Doch hielt er feinen Webertritt 
noch lange Jahre geheim. 1742 wohnte er der Krö- 
nung Kaiſer Karl's VII zu Frankfurt a. M. bei und 
ward kurkölniſcher Kammerherr. — Baron, wie er ge 
wöhnlich in Schriften genannt wurde und fi) wol auch 
ſelbſt nannte, ift er nie geweien. — In Frankfurt trat 
er auch, am 20. März 1742, dem Maurerorben bei, in 
welchen er bald eine fo große Rolle fpielen ſollte, und 
war gerieth er in eine Xoge, welche dem Elermont’fchen 
Syſteme angehörte. Diefes Syſtem, das feinen Namen 
von dem Palais Elermont in Paris erhielt, wo die ver- 
triebenen Stuartö wohnten, war von Haus aus für ja- 
tobitifche und jefuitiiche Zwecke erfunden worden, und 
nachdem die politiichen Zwede hoffnungslos geworben 
waren und Die Kirche, deren verfaflungsmäßige Vor: 
eher im 18. Jahrhunderte immer mehr in Gegenfat 
gegen den Iefuitismus traten, die Geiftlihen aus dem 
Drden abgerufen hatte, geriethen dieſe abenteuerlichen 
Logen, die ſich für eine Fortſetzung des Tempelherren⸗ 
ordens ausgaben, gänzlich in die Hände von Betrü— 
gern und Betrogenen. 

Zu den Letzteren gehörte Hund, den man wol be: 
fonderd durch feine Eitelkeit und feinen unbeftimmten, 
von einem einfach = praftifchen Xeben nicht befriedigten 
und Doc zu einer wahrhaft großartigen höheren Wirk: 
ſamkeit nicht berufenen Thätigkeitstrieb geködert hat. 
Er war ſchon 1743 zum Tempelherrn befördert, dem 
Srätendenten vorgeftellt und in Maftriht zum Heer: 
meifter der Provinz Niederdeutfchland ernannt worden. 
Hund gewann auch Heinrich Wilhelm von Marfchall, 


358 Drei Herren non Hund and Mlten«Grotfan, 


den Provinzialgroßmeifter von DOberfachien '), für das 
Glermontfche Syftem umd bildete nun einen Logenbund, 
der den Namen der ftricten Obfervanz nicht deshalb er: 
hielt, weil ex die echten Ordensregeln fireng beobachte 
hätte, fondern weil feine Mitglieder firengen Gehorſam 
(an unbefannte Obere’), anfangs wahrfcheinlich Jefuiten) 
geloben mußten. Hund ftiftete viele folche Logen und ge 
wann felbft die Mutterloge zu den drei Weltkugeln dafür. 
Die ſächſiſchen Logen hatten ſchon von ihrer Stiftung he 
einige Empfänglichkeit für das franzöftfche Syſtem, wenn 


| 


| 
) 
) 


gleich nur zu flüchfiger Aufnahme, nicht zu Dauerndem 
Fefthalten ded dem Nationalgeifte Widerftrebenden. Die . 


erfte fächfiiche Loge, die zu den drei weißen Adlern, 
hatte nämlich 1738 der Graf Rutowski, der zu War 
fhau 1735 in den Orden aufgenommen worden, zu 
Dresden gefliftet und es war dabei der franzöfiiche Le⸗ 
gationsrath D’Ecombes fehr thätig geweien. Sein Groß 
meiftertbum ward auch von den in Wittenberg und 
(1741) Xeipzig geftifteten Logen anerfannt. Durch Hund 
und Marſchall wurden nun auch andere Xogen, die fih 
nach und nach in Dresden, Keipzig, Altenburg ’), Sad: 
fenfeld °), Naumburg °) bildeten, derjelben Richtung ge 


1) Er hatte das Patent eines folden von dem Großmeifter von 
England, Lord Darniey, erhalten. Ein Aufenthalt in Paris fol 
ihn zuerft für das Elermontſche Syſtem empfänglid gemadyt haben. 

3) Der hödfte Obere hieß Eques a penna ruhra. 

3) Archimedes zu den drei Reifbretern. Sie bat fih als ifolirte 
Loge gehalten und hatte viele Berdienfte um die nachherige Reini⸗ 
gung des Ordens. Sie ward 1742 von Marfchall geftiftet. 

4) Zu den drei Rofen, 1743 geftifte. Ihr Stifter war ber 
wadre Graf Zriedrid Ludwig von Solms auf Sadfenfeld, kurſaͤch⸗ 
fiſcher wirklicher Geheimerath und Kreishauptmann, ein wegen fe 
ner Wohlthätigkeit und Biederkeit feiner Zeit im oberen Grzgebirge 
ungemein verchrter Mann, geb. 2. Scpt. 1708 + 27. Auguft 1789. 
Die Loge ward fpäter nad Rußdorf verlegt und erloſch dafelbft. 

5) Zu den drei Pammern. Marſchall hatte fie ſchon früher ge 


Drei Serum von Hund und Alten⸗Grotkan. 359 


wonnen. Sie hatten nicht zahlreiche, aber meiſtens vor- 
nehme und einflußreiche Mitglieder. 

An Hund's Händen war die Sache eine ziemlich un: 
gefährliche Spielerei. Er felbft hatte Feine Zwede und 
trieb fih mit Namen und Formen umber, und für die 
Zwecke, welche Die geheimen Leiter haben mochten, war 
in Deutſchland nicht viel zu thun. Doch bahnte die 
Sache einzelnen Abdenteurern und Betrügern zu gele 
gentlichem Misbrauche vermögender Mitglieder den Weg. 
Auch ftellten fich frühzeitig allerkei Abzweigungen und 
noch weiter gehende Auswüchle ein. So das Roſaiſche 
Syſtem, das ein früherer anhaltinifcher Superintendent 
Rofa in den Jahren 1755 — 61 in Deutfchland und 
Schweden verbreitete, und das fich mit Alchimie, Theo- ' 
fopbie, Kosmofophte und Mechanik zu beichäftigen vor: 
gab. Berner die afritaniichen Bauherren, welche von 
Kippen 1756 in Berlin ſtiftete, und die fich mit der 
Gefchichte der Geheimgeſellſchaften beichäftigten, aber 
nur bis 1787 beftanden haben’). Die bekannten Illu⸗ 
minaten, über die wir uns vielleicht fpater einmal ver: 
breiten. Die neuen Roſenkreuzer, zu denen Schrepfer 
und von Wöllner gehört haben follen. Die mit ihnen 
verwandten, ganz befonders zahlreichen VBetrügereien 
ausgefehten, 1780 in Defterreich entftandenen afiatiichen 
Brüder, deren Hauptvertreter der Freiherr Eder von 
Eckhofen und der Hoffecretair Bohemann zu Stodholm 
waren’). Einer von aufrichfigerer und wärmerer Fröm⸗ 


ftiftet3 fie war aber wieder eingegangen, und Hund ftellte fic 1754 
wieder ber. 

1) Bergl: Der entdeckte Orden der afrifanifhen Bauherren; 
GSonftantinopel (Berlin), 1806. 

2) Bergl.: Die Brüder St. Johannis des Eoangeliften aus 
Afienz Berlin, 1830. 


308 Zen Seren sen Surb uud Mlten-Grotlan. 


mafrs teidern Red acherten die 1777 in Schleſien 
see zur beit wieder erſeſchenen Kreuzbrũder; 
Fr rer Het zeberten Die Martiniften an, 
ie Km memeer ren Lonis Claude de ©. 
Rz .:r2. 175 + 1303), eder von beflen Lehre, 
Wire Deiszzi:. baden. Im Frankreich waren die 
Yizidk mer : B. Die ron Gaglioftro geftiftee 
ssrpäts: Wizrere, Die Elu-Coens, die bermetifche Fre 
zizer. De Dinisiaden geberten, nicht minder zahlreich. 
Air gerede sen Kranfreib aus drangen im fiebenjähri- 
sen Krise. mir den franzefiiben Armeen, auch Diele 
Werrirungen nah Douridlant. 

Hict Kick aber aub eine heilſame Reaction nicht 
‚ange aus. Hund, Der ñch im Orden Eques ab ense 
nannte, batte ñch Dur einen Umtreiber, Ramens Becker 
oder Leucht, welcher wegen Kaflendefecten flüchtig war, 
fih aber Ichnien a Fünen nannte und von den gehei⸗ 
nen Oberen in Echortland als Großprior zur NReformi- 
rung Der Deutichen Maurerei abgefchidt fein wollte, be 
reden falten, 1764 cinen Congreß nad) Altenberge bei 
Kabla zu berufen, der auch fehr zahlreich befucht ward. 
Man trieb hier vielerlei Spielereien. Sohnfon behaup- 
tete, der König von Preußen verfolge ihn und wolle 
ihn auf dem Gongreile verhaften Iaffen. Deshalb ftellte 
er geharniichte Templer als Vorpoften aus und Fieß fie 
Patrouillen reiten. Endlich aber entfloh er mit der 
Kafle °), und nun wurden die verfammelten Brüder 
auch gegen Hund mistrauifh, und drangen heftig in 





1) Bergl.: Barnhagen von Enfe, Denfwürvigfeiten und Ber 
milde: Schriften (Leipzig, 2te Auflage, 1843, 6 Bre.), Br. IV. 
. fg. 


2) Er mwurte in Magdeburg eingeholt und wegen früherer Be 
m auf dic Wartburg gefept, wo er 1775 geitorben ift. 


Drei Herren non Hund und Alten⸗Grotkan. 3601 


ihm, endlich mit feinen höheren Geheimniſſen herauszu- 
treten. Er verficherte auf fein Ehrenwort und feinen 
Degen, der Wahrheit gemäß, daß er wirklich zu Maſt⸗ 
richt zum Heermeiſter der Tten Provinz ') ernannt wor: 
den fei und bis vor Kurzem mit unbekannten Oberen 
zu DId : Überdeen correfpondirt habe. Die Mehrzahl 
berubigte ſich noch Dabei. Eine Minderzahl aber, 
unter Führung des Generalftabsarztes Ellermann, adop- 
tirten von Zinnendorf, trennte ſich und der Letztere grün⸗ 
dete 1766, unter ſchwediſchen Formen, ein fehr ftrenges 
Syſtem, was er aber Die lare Obfervanz nannte, und 
nach welchem noch gegenwärtig viele Logen in Preußen 
und Mecklenburg arbeiten. Aber auch dig ftricte Obſer⸗ 
vanz begann eine Reform auf dem Convent zu Kobfo, 
wo fi Hund nochmald durch WVerficherung auf feine 
Ehre und feinen Degen legitimirte, aber der Herzog 
Karl von Braunichweig (+ 26. März 1780) zum Groß: 
meifter ernannt wurde und Hund nur noch Heermeiſter 
in. Ober⸗ und Niederfachien blieb. Dennoch fand bald 
darauf ein Abenteurer, Gugumos, der fi) eques a 
cygno triumphante nannte und für einen Abgefandten 
des Heiligen Stuhles in Cypern ausgab, Glauben und 
veranlaßte den Congreß zu Wiesbaden, wo er entlarst 
wurde. Schubart ?), der eques a struthione, ber ſich 


1) Das SElermontſche Syftım hatte 9 Previnzen, welde anfangs 
Iragonien, Auvergne, Languedec, Leon, Burgund, Britannien, 
Kiederdeutfchland (zugleich Polen, Liefland und Kurland umfaflend), 
Italien und Griechenland, fpäter aber Niederdeutihland, Auvergne, 
anguedec, Italien, Grichenland, Defterreih, die Lombardei, 
Rußland und Schweden waren. 

3) Johann Chriſtian Schubart, geb. zu Zeit am 24. Zebr. 1734, 
war erft Leineweber, dann Gopift, fpäter Secretair bei preußifchen 
Generaͤlen, Kriegs: und Marſchcommiſſar, NRittergutsbefiger, durch 
Beifpiel und Schriften um landwirthſchaftliche Berbefferungen hoch⸗ 
verdient, 1784 als Edler von Kleefeld in ten Reichsadel erhoben 

1 14 


362 Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotken. 


in diefen Bewegungen aus niederem Stande zu hohen 
Verbindungen emporgearbeitet hatte und wahrhaft für 
Menſchenwohl und echten Vorfchritt begeiftert war, er 
kannte die Zäufchungen ded Syſtems und legte ſeinen 
Hammer in der Loge zu den drei Weltfugeln nieder. 
Die Convente zu Braunfchmeig (1775) und Wolfen: 
büttel (1773) fahen immer heller. Die Schrepfer'ſche 
Angelegenheit, der wir eine befondere Darftellung wit: 
men, öffnete Vielen die Augen. Der Dberhofprediger 
Stark!) zu Darmſtadt, der eques ab aquila fulva, 
befämpfte das Clermontſche Syſtem, feit ed ihm nit 
gelungen war, für das von ihm gefliftete klerikaliſche 
Syſtem Anklang zu erlangen. Dies zunächft veranlafte 
den Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunfchweig’), 
welcher 1783 feinem Vater ald Großmeifter gefolgt war, 
einen Convent nad) Wilhelmsbad zu berufen (1783), auf 
welchem man das Tempelherrenweſen fallen ließ und das 
Wilhelmsbader oder rectificirte Syſtem begründete, nad 
welchem nod) jet eine große Anzahl deutſcher Logen 
arbeitet. 

Diele den Schwärmergeiſt austreibende Reform wurd: 
vielleicht auch dadurch etwas erleichtert, daB Hund in 
zwifchen geftorben war, während der zu Zurin erwählte 
Heermeifter Vernez in Deutichland feinen Gehorfam fant. 

Hund war 1753 kurſächſiſcher Kammerherr und 1755 
Zandesältefter des budiffinifchen Kreifes geworden, erhielt 
auch den ruffiihen Annenorden. Im ftebenjäührigen 
und Eoburgifher Geheimerath, + 23. April 1787. Vergl.: Chr 
bart Erler von Klecfeld; Dresden, 2te Auflage, 1846. 

1) Diefen merkwürdigen Mann behalten wir und zu ciner fünf 
tigen Darftelung vor. 

2) Der bekannte Feldherr, der am 10. Nov. 1806 an den Zee ° 
gen ver bei Auerftärt erhaltenen Wunden ftarb. \ 


Dei Herren von Hund und Alten⸗Grotlan. 363 


Kriege nahm er auf das Entichiedenfte Partei gegen 
Preußen und für Defterreih und hatte ſtets öfterrei- 
chiſche Hufaren zur Bedeckung um fich, mußte auch oft 
nach Böhmen flüchten. Vor dem Ueberfalle von Hoch: 
kirch hatte der Feldmarſchall Daun fein Hauptquartier 
auf dem Gute Hund's zu Kittlik. 1762 ward er Ge: 
heimerath und nad) dem Frieden erhielt er den Auftrag, 
die unter den Freimebern in Lauban ausgebrochenen 
Unruhen und die Irrungen mit dem daſigen Klofter bei- 
zulegen, was er auch mit Umficht und Geſchick beforgt 
baben fol. Schon während des fiebenjährigen Krieges 
batte er ſtets einen Kapuziner aus dem Klofter Rom: 
burg ald Beichtwater bei fih. Bald nach dem Frieden 
legte er feine ZLandesälteftenftelle nieder und befannte fich 
num Öffentlich zur Latholifchen Religion, der er geheim 
ſchon Länger ald 20 Jahre angehört hatte Im Orden 
fheint ihm Diefe Entdedung zunächſt feinen Schaden 
gebracht zu haben, wie denn die Zeit überhaupt in die⸗ 
fer Beziehung damals forglofer und toleranter war, als 
ipäter. 

Gewöhnliche LXiederlichfeit und Ausfchweifung wird 
ihm nicht Schuld gegeben. Aber freilich hatte er man⸗ 
cherlei Eoftipielige Neigungen und Gewohnheiten. Seine 
Drdensumtriebe follen ihm, auch ohne daß der Aufwand 
feiner beftändig in Anſpruch genommenen Gaftfreund- 
ſchaft angefchlagen würde, an 50,000 Thlr. gefoftet 
haben. Auch wendete er viel auf fchöne Pferde, die er 
malen und ihre Bildniffe, mit beigefügten Namen, über 
den Ständen derfelben anbringen ließ. Er baute meh 
tere Kirchen auf feinen Gütern von Grund aus neu, 
wobei er fumbolifche Beziehungen auf den Orden an- 
bringen, auch Nachrichten darüber in die Grundfleine 
einmauern ließ. Er ward viel gemisbraucht, und 

1R% 


364 Drei Herrn non Hund und Alten⸗Grotkan. 


da er nicht verheirathet war, fo war auch in feinem 
Hausweſen Feine wirthliche Auffiht. Durch das alle 
fam er endlich dahin, ein Gut nad) dem andern zu ver: 
faufen. Zuerft das nach Unwürde gehörige Gut Delgo: 
wis an die Unterthanen dafelbft; dann die Güter Kitt: 
fie, Unwürde, diefen Stammſitz feines Geſchlechts in der 
Lauſitz, und Gebelzig an die verwitwete Grafin Sal 
mour; dann wiederholt ihm gehörige Waldungen. End» 
(ich 1773 trat er die Güter Mönau, Rauden, Ließka, 
Merzdorf und Beerwalde an Mathäus Lange auf Klein: 
Händen gegen einen Keibrentencontract ab, wobei er 
fich freie Wohnung im Herrenhaufe zu Mönau, deflen 
Tapeten voller Sinnbilder und. beziehungsreicher In⸗ 
ſchriften waren, und einen flarfen Auszug vorbehidt. 
Von Mönau 308 er zulebt nach dem einzigen ihm nod 
gebliebenen, und zwar von ihm ſelbſt erfauften Gute | 
Lipßa bei Ruhland. Doc auch Died wollte er dem 
Grafen Röder auf Königdbrüd gegen Keibrente abtreten 

Vorher aber reifte er, bereits kränklich, 1776 in Dr 
dendangelegenheiten nach Meiningen und bier warf ih 
feine Krankheit aufd Sterbelager. Auf diefem Tieß a | 
fih von einem Trupp Muſikanten vorfpielen und flark, 
nachdem er die Sacramente feiner Kirche empfangen, I 
am 8. November 1776. Sein Leichnam wurde nad 
Melrichftadt, einem 3 Stunden von Meiningen entfar 
ten, damals bifchöflich würzburgifchen Städtchen gr 
fhafft, wo er, in vollem Zempelherrenornate, vor da & 
Hochaltare in dortiger Pfarrkirche begraben wurde‘) |y 
Nach feinem Tode brach Concurd zu feinem Nadhlak |, 


— r — — 





1) Vergl. auch: (von Kepler), Anti-Saint-Nicaise; Leipiid v 
1786. — Ueber diefen Keßler bringen mir in den Miscellen & ff 
niges. 


Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkan. 365 


ws; feine Mobilien wurden öffentlich verfleigert, und 
dn lebte But, Linea, Fam an den Grafen Röder. 


— —— — —— — — 


Wir erwähnten oben, daß auch eine zweite, von 
hriftoph von Hund abſtammende Linie derer von Hund 
mb Alten⸗-Grotkau Furze Zeit in der Laufig anfällig 
eweſen jet, und auch an dieſes Verhältnig Tnüpft fich 
im bezeichnendes Zeitbild. Ein Enkel jenes Chriftoph, 
Ramend Hand Ludwig, war im Dreißigjährigen Kriege, 
er für feine Vettern die oben gefchilderten Bedräng- 
iſſe berbeiführte, Faiferlicher Rittmeifter und ftarb 1645, 
BB er eben beim Regimente ald Obriftwachtmeifter vor: 
eſtellt werden follte, die Nacht vorher vom Schlage 
etroffen. Der Krieg batte ihn nach Erfurt geführt 
nd er hatte dafelbft, am 16. Juli 1639, ein Fräulein 
on Eberftein, aus dem Haufe Gehofen, die Schwefter 
es nachherigen fächfifchen Generalfeldmarfchalld Ernft 
recht von Eherftein, geheirathet. Dadurch kamen 
ine Nachkommen zunächft nach Thüringen und Sad: 
n, deflen Milttairadel fie vermehrten. Zu ihrem An- 
jeil an dem fchlefiichen Familiengute Voitmannsdorf, 
ar den fie fih Mühe gaben, konnten fie nicht gelan- 
en, weil die fchlefifchen Vettern fich durch Webertritt 
ar Fatholifchen Kirche in Vortheil gefeßt hatten. Der 
ingſte Sohn des Genannten war noch nicht geboren, 
8 fein Water ſtarb. Die fchwangere Witwe reifte 
lends nach Thüringen, um bei ihrer Mutter niederzu- 
smimen; aber Die Wehen übereilten fie unterweged; fie 
mßte auf dem Gute ihres Bruders, Reinsdorf bei Ar: 
sen, Halt machen und gebar dort Ludwig Dietrich, 
velcher in Thüringen aufwuchs und &tallmeifter des 


366 Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkan. 


Grafen von Stolberg wurde, fpäter aber in bolländifche 
Kriegsdienfte ging und als Rittmeiſter flarb. Von fe 
ner erften Gemahlin, einer geborenen von Zanthier, er 
hielt er einen Sohn, Friedrich Ludwig, welcher von 
früh an zu einem unfteten, vielbewegten und Drangvol: 
len Leben beftimmt war. 

Friedrich Ludwig von Hund ward zu Stolberg am 
14. Febr. 1670 geboren. Schon in früher Jugend ward 
er viel umbergeaworfen. Den erften Unterricht erhielt er 
zu Stolberg, dann zu Naumburg bei dem Stallmeifter 
von Pappenheim, dann (1679) kam er nach Penig ald 
GSefpiele junger Herren von Schönburg, wo er jedoch 
nur ein Jahr blieb und 1680 nach Halberftadt auf bie 
Schule gebracht wurde. Won da verfrieb ihn eine aus: 
brechende -Contagion und er Fam nach Klofter-Roßleben. 
Aber auch auf diefer Schule war, ohne feine Schuld, 
feines Bleibend nicht; denn fie brannte 1686 ab, wor 
auf er nach Halle ging. Diefer Unftern, der feine Stu 
dien verfolgte, fcheint ihn zu dem Entſchluſſe gebracht 
zu haben, dem Schickſal, das ihn zu Feiner ruhigen 
Lebensbahn zu beftimmen fchien, nicht länger Zrog zu 
bieten. Schon am 22. November 1686 trat er als 
Gefreiter bei den Sachen ein, und diente mehrere 
Jahre ald Unteroffizier. Erſt 1689, bei der Belagerung 
von Mainz, wurde er Fähndrich und war 1694 Regi- 
mentöquartiermeifter. In Diefem Sabre wohnte er dem 
Feldzuge in Brabant, ald Volontair, in der Suite eine 
Vetterd, des Obriften von Hund, der ein ſpaniſches 
Reiterregiment befehligte, bei. 1695 ging eg mit den 
Sachen nach Ungarn, erhielt 1696 eine Compagnie, 
zog 1699 als Gardecapitatn mit nach Polen und rüdte 
damald nach Danzig und Polangen. 1700 war e 
bei der Erflürmung von Dünamünde und warb 1702 


Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkat. 367 


Major, 1703 Obriftlieutenant. Doc, folte ihn auch 
daſſelbe Jahr die Kehrfeite des Kriegsglückes kennen Ich» 
tn. Bei der Belagerung von Thorn ward ihm Der 
rechte Arm zerichoflen und er gerieth in ſchwediſche Ge⸗ 
fangenſchaft. Die Ueberfahrt nach Schweden, in der 
ſtrengſten Winterfälte und unter furchtbaren Stürmen, 
dauerte drei Wochen; feine Wunde brach wieder auf, 
heftiges Wundfieber fchüttelte ihn und ärztliche Hilfe 
war in Feiner Weile zu haben. Im December langte 
er in Kalmar an und erhielt zu Karlöfrona vom Gene: 
al Wachtmeifter die Erlaubniß, fih den Ort feiner Ge: 
fangenfchaft im Lande felbft zu wählen, worauf er denn 
erft nach Gothenburg, dann nach Stodholm zug. An 
letzterem Orte erwielen ihm, wie andern gefangenen 
Sachſen, die weiblichen Glieder der ſchwediſchen Königs: 
familie viele Güte. 1705 warb er ausgewechfelt und 
trat wieder ald Obriftlieutenant in die Garde ein. Yon 
Neuem in Polen Fämpfend, verlor er in der Schlacht 
bei Frauſtadt (1706) feine Equipage und wäre beinahe 
wieber von den Schweden gefangen genommen worden. 
.1707 Fam er zum Regiment Königin, was er durch 
BWerbungen in der Oberlauſitz complettirte und damals 
wahrfcheinlich die Merbebefanntfchaft machte, die ihm 
die Ausfiht auf einen ruhigen Lebensabend eröffnete. 
Zunächft aber ging es wieder in den Krieg. Diesmal 
aber nicht in das fraurige Polen, fondern in Die geleg: 
neten Niederlande, wo Zeldherren wie Marlborough und 
Eugen befehfigten. 1709 nahm er an dem Sturme von 
Zournay einen fo rühmlichen Antheil, daß er die Aus⸗ 
zeichnung genoß, bei dem Einzuge in den eroberten Platz 
zuerft in Die Feftung einmarfchieren zu dürfen. 1710 
wear er bei der Belagerung von St. Venant und ward 
1711 Obrift. Der fpanifche Erbfolgefrieg hatte inzwi- 


368 Drei Herren von Hunb und Alten» Grotkan. 


fchen eine andere, wenig Xorbeeren verfprechende Wen⸗ 
dung genommen und die deutſchen Hilfstruppen rüdten 
meift nad) Haufe. Auch unfer Held kam ind Vaterland 
zurück und erhielt feine Garnifon zu Zittau, wo er noch 
in demfelben Jahre die Witwe des reichen SKaufmannd 
Loofe, Anna Martha geb. von Keßler genannt Sprengt: 
eifen aus einem dortigen Patriziergefchlechte '), heirathete 
und darauf feinen Abfchied nahm, den er am 11. Mars 
1712 in fehr ehrenvoller Weile erhielt. So rubte a 
in den Armen einer reihen Witwe von den Mühſelig 
feiten feiner Kämpfe in Ungarn, Polen und Flandern 
aus. 1717 kaufte er die Rittergüter Ebersbach und 
Siebenhufen und zwar von den Gläubigern einer Bale, 
einer Frau von Vechtrig, geb. von Hund aus Unwürde. 
Allein er genoß Ruhe und Wohlftand nicht lange, fon 
dern farb fhon am 19. Ian. 1719, und, zwar ohne 
Nachkommen zu hinterlaffen. Die Witwe aber trat ſchon 
1722 wieder in die dritte Ehe niit einem Herrn von Ein 
fiedel auf Hopfgarten, wo fie am. 6.. December 1732 
ftarb. Die genannten Güter hinterließ fie ihrem Sohne 
erfter Ehe, Johann Chriftian, der fchon 1718 von den 
Erben des Landkammerraths Schmeiß von Ehrenpreiß 
Noſtitz gekauft und ſich als Edler von Loſſa Hatte in 
den Adelftand erheben laſſen. Diefer ftarb 1754 um 
durch feine Tochter famen die Güter an die Familie 
von Broizem.. 


1) Es wird in den Miöcellen nohmals erwähnt werden. 


Be —— 4 ur — BE u —— PH 


XV. Iohann Georg Schrepfer. 


Johann Georg Schrepfer, 1730 geboren, war anfangs 
Kellner in einem leipziger Gaſthauſe) und ſchon als 
olcher unter die dienenden Brüder einer dortigen Frei: 
naurerloge aufgenommen worden. Später hatte er eine 
Beau mit einigem Vermögen geheirathet und hielt feit- 
em eine eigne Schenkwirthichaft in der Kloftergafle. 
Ir war nicht ohne Fähigkeit, aber von jeher Hiederlich 
md frech. Wahrſcheinlich in Folge ded damals von 
frankreich aus in den Logen, befonderd in denen ber 
yicten Obfervanz, eingeriffenen Schwindelgeiftes, war 
e auf den Gedanken gekommen, auszufprengen, Daß 
e bie Babe ber Geifterbefhwörung und auch fonftige 
bernatürliche Fähigkeiten befige, wobei er, um Diele 
Serficherungen glaubhafter zu machen, Nichteingeweih⸗ 
m vorgefpiegelt hatte, daß er dies bei den Zreimaurern 
Hernt babe. Dies ward ruchtbar und die Loge verbot 
ym, unter firenger Bedrohung, feine Gaukeleien fort 
uſetzen. Er antwortete: die leipziger Loge habe ihm 
ichts zu befehlen; er ftehe unter einer höheren Loge 
nd ſei zu Allem, was er gethan, von dem Herzog 


1) Red Ginigen fol er in feiner Jugend Hufar gewefen fein. 
16. * * 


370 | Johann Georg Schrepfer. 


von Kurland ') auforifirt worden. Der Herzog, bi 
dem man Erfundigung einzog, erflärte, DaB ihm Schrep 
fer’d Treiben vollig fremd ſei. Hierüber aufgebradt, 
ſchrieb Schrepfer ein Pasquill auf den Herzog, was den 
Letzteren wieder zu dem Entfchluffe brachte, Schrepfer 
züchtigen zu laflen. Zu dem Ende ging der Adjutant des 
Chevalierd de Sare’), Obriftlieutenant von Sybow’), 
mit einigen Unteroffizieren des Regiments Kurfürftin 
nach Leipzig und ließ von diefen den Pasauillanten 
abfangen und in eine Wachſtube bringen, wo er nad 
empfangener Züchtigung noch gezwungen ward, fchrift: 
lich Darüber zu quittiren. Später hat Schrepfer behaup- 
tet, die Prügel feien ihm nicht wirklich ertheilt, fondern 
gegen die audgeftellte Duittung erlaffen worden. m: 


— — — — 


1) Ehriſtian Joſeph Karl, Sohn des Königs von Polen und 
Kurfürſten von Sachſen Friedrich Auguſt IL, geb. 13. Juli 1733, 
+ 16. Juli 1796. 

3) Johann Georg Chevalier de Saxe, ein natürlicher Sohn te 
Königs von Polen und Kurfürſten von Sacſen Friedrich Auguſtl. 
von der Zürftin von Teſchen (S. 209). Sr war 1705 geboren um 
ftarb als kurſaͤchſiſcher Generalfeldmarfchall, Ehef des Geheimen Kriegs⸗ 
ratböcollegium3 und Gouverneur ven Dresden am 25. Zebr. 1714. 
Ein neuerer Chevalier de Sare war Joſeph, der Sohn des Prinzen 
Xaver aus deffen morganatifcher Ehe mit der Gräfin Spinucei. Die 
fer fiel im Duell mit Fürft Tſcherbatow am 26. Juni 1802. 

3) Zrüher in preußiſchen Dienften und bei Friedrich IT. in Gunf, 
um vie er durd folgenden Borfall kam. Er befehligte bei der Leber 
gabe von Dresden am 5. Sept. 1759, damals Hauptmann, dit 
Hauptwache im Schloſſe und ſollte durd öfterreihifhe Truppen ab 
aelöft werden. Da erfheint der preußifhe Thrift von Hoffmann zu 
Pferde, in völlig betrunfenem Zuſtande, und verbietet ihm, der re 
baltenen Ordre nachzukommen, wirft ihm Zeigheit ver 2c. Spaten 
heißt ihm, ſich zu entfernen und bedroht ihn mit den ftrengfien Mor 
regeln. Als aber Hoffmann zu fhhimpfen fertfährt, läßt Sydow drei 
Solvaten vortreten und Feuer geben, was den Obriften augenblid. 
lich todt zu Boden ſtreckt. Das Kriegsgeriht ſprach Surom frei; 
aber Friedrich II. meinte doch, er hätte fi umfihtiger benchmen 
koͤnnen, ſchickte ihn ein Jahr nah Magdeburg und gab ihm dann 
den Abſchied. 


EM iO U De nei 


Johann Georg Schrepfer. 371 


deß im unmittelbaren Eindrude des Gefchebenen be⸗ 
ſchwerte er fich bei dem leipziger Stadtrathe über die 
afahrene Mishandlung und Diefer verfprach, dem Kur: 
fürften Anzeige thun zu wollen. Dem Herzog von 
Kurland, der jeßt fühlen mochte, daß die polnifche Re⸗ 
minifcenz, in der er gehandelt, in Sachen und unter 
Friebrich Auguft III. nicht angebracht fet und der zwar 
hitzig und derb, aber von Herzen gut und nicht nach⸗ 
tragend war, und dem Minifter von Gutfchmid ') ge⸗ 
lang es, bei perfünlicher Anweſenheit in Leipzig, in der 
Michaelismefle 1773, die Sache nach allen Seiten Hin 
beizulegen. Als bald darauf ein Artikel in der hambur⸗ 
ger Zeitung den Vorfall berichtete, ließ Schrepfer eine 
Widerlegung einrüden, worin er verficherte, daß er die 
wahren Freimaurer hochfchäße, allein von Solchen, 
welche, ‘wie Die leipziger, den Templerorden wiederher- 
fielen wollten, nichtö wiflen wolle und fich losſage. Es 
fi nicht wahr, daß er Schläge erhalten, und ber Prinz, 
deſſen Namen man dabei genannt habe, einer folchen 
Handlung nicht fähig. Bier trat Schrepfer alfo, fchein- 
bar im Intereffe der reinen Maurerei, gegen dad Gler- 
montfche Syſtem auf, während. diefes doch gerade einem 
Treiben, wie das Seinige, günftiger war. 

Mochte nun Schrepfer den Wunſch gefaßt haben, 
fi an dem Herzog und deffen Umgebungen zu rächen, 
oder wollte er nur die bei Gelegenheit der Ausfühnung 
angefnüpften Verbindungen benugen, um Eitelfeit und 
Geldbedürfniß zu befriedigen, genug, er fing fehr bald 
feine Schwindeleien in größerem Style an. Er verließ 
Leipzig auf einige Zeit, Fam aber nach der Oftermefle 

1) Gutſchmid (geb. 1721, + 30. Dec. 1798) war früher Bür⸗ 
germeifter in Leipzig geweſen. 





372 Johann Georg Schrepfer. 


1774, unter dem angenommenen Namen eines franzof: 
fhen Obriften, Barond von Steinbach, wieder dahin 
zurüd, und begann feine Geilterbefhmwörungen von 
Neuem. Das Wunderbarfte, was er verrichtete, war 
unftreitig, daB er in Leipzig, wo man Doch feinen 
Stand, feine Herkunft, den ganzen Menichen fo wohl 
fannte, für die von ihm angenommene Rolle Glauben 
zu finden wußte. Er machte vielen Aufwand, wozu 
wahrfcheinlich feine Anhanger und Gläubiger die Mittel 
hergeben mußten; wenigftens bezahlte er feine älteren 
Gläubiger nicht. Seine Geifterbefhwörungen muß er 
mit einigem Gefchid eingerichtet haben. Range nachdem 
Schrepfer's Rolle ausgefpielt war, vertheidigte noch der 
Conferenzminifter Peter Friedrich Graf von Hobenthal'), 
mit fomifchem Eifer, Die Wirklichkeit jener Erfcheinungen. 
Uebrigens ließ Schrepfer allerdings Perfonen, denen er 
eine befondere Ruhe und Schärfe der Prüfung und ent⸗ 
ſchloſſene Geiſtesgegenwart zutraute, bei feinen Phantas⸗ 
magorieen nicht zu. So erhielten 3. B. in Dresden die 
Generalmajore Bennigien und Dettingen, der Obriſt 
Agdolo und der geheime Finanzrath Zerber, auf ihren 
ausgefprochenen Wunſch, den magilhen Dperationen 
beizumwohnen, abfchlägige Antwort. Auch fol Schrep⸗ 
fer den Anweſenden vorher geiftige Getränke haben rei⸗ 
hen und das Zimmer ſtark Durchräuchern laſſen, wos 
denn die Zufchauer in eine eraltirte Stimmung veriet 


1) Er war damals Freiherr und (feit 1774) Geheimerath, ward 

1779 Gomitialgefandter in Negensburg, 179 Neihögraf, 1799 Gen: 
ferenzminifter und Mitglied des Geheimen Gonfiliums und ftarb 1818. 

Er ift nit mit dem auch als Schriftfteller befannten, gelchrten, 
frommen und mwohlthätigen Grafen Peter Karl Wilhelm von Hohen 
thal, welder 1825 gleihfals als Eonferenzminifter ftarb, nod mit 
N“ Bater, dem edlen Grafen Peter von Hohenthal zu verwechſeln. 


Johann Georg Schrepfer. 373 


haben mag. Der Kammerherr von Heynig '), der wäh: 
rend der Mefle einem ſolchen Schaufpiele beigewohnt 
hatte, wurde Davon fo ergriffen, daß man für feinen 
Verftand fürchten mußte. Nachdem ſich Schrepfer dem- 
nah auch in höheren Kreifen in ein myſteriöſes Anfe- 
ben geſetzt hatte, ging. er zu Ausführung eined umfaf- 
jenderen Planes über. Zu feinem nächſten Werkzeuge 
wählte ex fich den reichen Seidenwuarenhändler du Bose, 
einen Halbbruder der Gemahlin?) des geheimen Finanz- 
rathes Ferber und eifrigen Freimaurer. Diefem ift der 
Handel am theuerften zu ftehen gefommen. Schrepfer 
eröffnete ihm, er fei mit einer Vollmacht des Herzogs 
von Braunfchweig ’), ald Großmeifter, verfeben, zeigte 
auch ein von ihm felbft geichmiedeted Eremplar einer 
folhen vor und verficherte, er habe den Auftrag, eine 
Verichmelzung des Freimaurerordend mit dem aufgehobe- 
nen Sefuitenorden zu bewirken; ein Vorhaben, für wel- 
ches man alſo damals auf Anhänger rechnen konnte! 
Er ſtehe in diefer Angelegenheit mit dem Herzog von 
Orleans '), von welchem er nachgemachte Briefe vorwies, 


1) Diefer fehr achtbare Mann war der jüngere Bruder des treff⸗ 
liegen Freiherrn Frienrih Anton von Heynit (geb. 1725 + 1809), 
welcher erſt Furfächfifher General Bergcommiffarius wer, um jene 
Zeit aber preußifher Minifter wurde. Der Sohn ded. Erftgenannten 
ging in baierifche Dienfte und ift, wenn wir nit irren, das aus 
den neueren Landtagen befannte Mitglied der bis 1848 beftannenen 
I. Kammer. 

3, Luiſe Elifabeth du Bosc, Tochter des frankfurter Kaufmanns 
" Bel und der Marianne de Rapin, geb. 1747, + 19. Iuni 
3) Rad Anderen des Prinzen Ferdinand von Sraunſchweig. 

4) Ludwig Philipp, + 18. Nor. 1785. In der That war ders 
felbe, damals nod Herzog von Ghartres, 1771 ald Großmeiſter an 
die Spige aller Großlogen aller Sufteme in Frankreich gekommen, 
wodurch die Yreimaurerei wieder Aulaffung in Frankreich erhielt. 
1772 wurde er zum Souverain grand maitre de tous les consells, 


374 Johann Georg Schrepfer. 


in Verbindung, und durch deflen Protection babe er 
den Rang eines franzöfifchen Obriften erhalten. Den 
Ramen: Baron von Steinbach habe er im Interelle der 
Sache, um ſich mehr Anfehen und Zutritt in höhere 
Kreife zu verfchaffen, angenommen. Die Iefuiten hätten 
unermeßlihe Schäße in Sicherheit gebracht und einen 
Theil davon in feine Verwahrung gegeben, — was 
denn freilich Fein Zug der gerühmten Jeſuitenklugheit 
gewefen fein würde. Seine Abficht fei, dieſe Gelder 
zum Beſten feined Waterlanded zu verwenden und ne 
mentlich feinen Verfolgern Wohlthaten zufließen zu laf 
fen, um fie zu befchämen. (Damit wollte er wahrſchein⸗ 
lich feine Annäherung an den Herzog von Kurland mo: 
tiviren.) Wer aber an diefen Gaben Theil haben wolle, 
müffe zuvor feinen Lebenswandel beflern, eine getreu 
Beichte aller jemald begangenen Vergehen ablegen und 
die von ihm Beleidigten um Verzeihung bitten. (Auch 
darin liegen wol Fingerzeige auf Schrepfer’s Abſichten 
und Beweggründe.) Sei dies geſchehen, fo wolle er 
nicht nur fchriftliche Beweiſe feiner Angaben vorlegen, 
fondern auch die Wahrheit derfelben durch — Geifter: 
erfcheinungen befräftigen. (Ein beflerer Beweis ware 
die Beibringung der Schäge geweien.) Jedoch müſſe 
er bemerfen, daß er nicht jeden abgefchiedenen Geift 
überall und ohne Unterfchied heraufbeſchwören Fönne. 
Gr fei an die Drte gebunden, die von denfelben wäh 
vend ihrer Xebzeit bewohnt geweſen, und babe über fe 
lige Geiſter gar Feine Macht). Wie plump auch die 


chapitres et loges ecossaises de France cerflärt und wirkte, mit 
dem aus Deputicten aller Legen beitchenden Grand Orient de France, 
im Sinne der Reform. 

1) Diefe Lehren würten mit ven Theoricen Quftinus Kerner's 
wohl barmeniren. 


N 


Johann Georg Schrepfer. 375 


ganze Falle war, fo ging du Bosc doch hinein und 
gab Schrepfern Empfehlungsbriefe nach Dresden an 
feinen Schwager Zerber und an den KConferenzminifter 
von Wurmb '). . Kerber war zu Hug und zu gründlich 
gebildet, um fich irgendwie auf die Sache einzulaflen, 
und auch Schrepfer merkte gleich, DaB Ferber fein Mann 
für ihn ſei, DaB er fich vielmehr vor demfelben in Acht 
nehmen müſſe. Wurmb aber ließ fich verleiten, auf 
die Sache einzugehen, wenn auch zunächſt in der Ab: 
fit, ihr auf den Grund zu kommen. Nachdem er fi 
einmal darauf eingelaflen, zog fich auch über ihn das 
berüdende Netz zufammen. Endlich ließ fih auch der 
Herzog von Kurland die Patente und Briefe vorlegen, 
an denen Niemand eine Fälſchung entdedte. In Bes 
treff des Schatzes erflärte Schrepfer, er beftände aus 
mehreren Millionen Steuerfcheinen ’) und fei in Frank: 
furt a. M. bei den Gebrüdern Bethmann niedergelegt. 
Man fihrieb an dieſes Haus und erhielt zur Antwort, 
daß Dafelbft wirklich ein wohl eingepadtes und verfie- 
gelte Bade, dem AUnfcheine nach Papiere enthaltend, 
gegen Quittung deponirt und dazu die Weifung ertheilt 
worden fei, ed nur gegen Rüdgabe der Quittung und 
gegen ein eigenhändiges Schreiben des Dbriften Stein- 
bach auszuantworten. 

Einftweilen begann Schrepfer feinen Geifterbeweis. 
Zum Theater wurde dad Palaid ded Herzogs von Kur- 
land gewählt, was nad deflen Tode zum Zeughaufe 


1) Zriedrigd Ludwig von Wurmb (+ 1801), cin ſehr begabter 
und kenntnißreicher, aber au zu manden Schroffheiten und Green» 
tricitäten geneigter Mann, dem der Kurfürft deshalb nicmald cine 
eigentlich leitente Stellung bat vertrauen wollen. 

V Wie die Jeſuiten gerade auf fähfifhe Steuerſcheine gefollen 
fein mögen! 


3:6 Johan Georg Särepfer. 


geihlagen werden ift. In dieſem Palais hatte der Che 
valier de Eare gewohnt und deſſen Geift ließ man u. A. 
ericheinen. Dieler abgeichiedene Geiſt Toll ſich aber fehr 
ungern zurückbemüht, und Die fchredlichften Verwün⸗ 
ihungen gegen die Störer feiner Ruhe audgefprocen 
baten. Das Local, was man vorgerichtet, hatte die 
Term eined Theaters und die Zufchauer faßen in einem 
Halbkreiſe, den in keinem Falle während der Vorſtel⸗ 
lung au verlaften, ihnen unter Androhung ber unglüd- 
lichiten Folgen eingeſchärft war; fie follten die Künfte 
und Apparate nicht unterfuchen dürfen, durch welche die 
Geiſter beraufbeihweoren wurden. In diefer Geſellſchaft 
befanden fi der Herzog von Kurland, der Minifter 
von Wurmb, der Baron Hobenthal, der Kanmerherr 
von Siſchofe werder ), der Kammerherr und geheime 
Kriegsrath Chriftian Friedrich von Hopfgarten und der 
Adiutant ded Herzogs, Dbrift von Fröden ). Die 
meiften diefer Perfonen pflogen vertrauten Umgang mit 
Schrepfer und befuchten ihn in feiner Wohnung im 
Hotel de Pologne. Man bat behauptet, dag Schrep⸗ 
fer, felbft wenn der Herzog bei ihm eintrat, nicht von 


1) Achann Rudolph von Bifhefswerder (+ 1303) trat fpäter in 
preußiſche Dienſte, ward Günftling des Königs Friedrich Wilhelm IL, 
General und Miniſter, Gefandter in Paris 2c. und war eine Haupt: 
perſon in dem mopftifhen reiben an dem damaligen berliner Hofe. 
In cinem am Fuße der Terraſſe von Sansfouci ftichenden, zu der 
föniglipen Gebaͤuden gehörigen Daufe, das cr bewohnte, ließ er 
vor dem König, WBöllner und Anderen Geifter erſcheinen, woraus 
man fliehen muß, daß er aufgehört hatte, blos Betrogener zu 
fein. 

?) Karl Friedrich Benjamin von Zröden, geb. 232. Ian. 17%, 
ftarb als Generalmajer am 15. Rovember 1793. Er gründete 1706 
die Artillerieſchule. Von tem Hofſtaate des Herzogs hielt fi mur 
der Kammerherr von Brüggen von dem Ehrepfer’fhen Treiben fern, 
dem es der Herzog aber auch durch eine auffallende Kälte entgelten 
ließ. 


———— 


Johann Georg. Schrerfer. 377 


finem Blake aufgeltanden fei, fondern ihm nur mit 
einem leichten Kopfniden einen Stuhl an feiner Seite 
angewielen babe; wobei er wol im Stillen ein Gefühl 
des Triumphs gefrönter Rache empfunden haben mag. 
Bifchofswerber machte Brüderfhaft mit ihm und fchloß 
fid, mit Hopfgarten, am engften an ihn an. Seine An» 
haͤnger hatten dabei fammtlich einen firengeren Lebens⸗ 
wandel und den äußeren Schein der Frömmigkeit ange- 
nommen. Der Minifter Wurmb, der übrigens bis an 
feinen Tod eine Hauptflüge,. nicht ſowol des Pietismus, 
als der fächfifchen Orthodoxie blieb, hatte feine Gemah⸗ 
fin, wie fte ſelbſt wiederholt erklärt hat, wegen der Be 
leibigungen und Krankungen, die er ihr zugefügt haben 
möge, feierlih um Verzeihung gebeten. Died jedenfalls 
zur Erfüllung der Bedingungen, unter denen zu dem 
Schatze zu gelangen. war. -. 

Nah diefem Schatze hatte nun Schrepfer freilich 
ſchreiben müſſen und derſelbe, nämlich das bei Beth- 
manns niedergelegte Packet, kam auch richtig an. Es 
handelte ſich nun um deſſen Eröffnung, welche Schrep⸗ 
fer aber, unter allerlei Ausreden, von einem Tage zum 
andern verſchob. Inzwiſchen hatte ſich auch der franzö⸗ 
fiſche Geſchäftsträger Marbois geregt und von Schrep⸗ 
fer die Vorzeigung ſeines franzöſiſchen Obriſtenpatentes 
verlangt, widrigenfalls er ihn für einen Betrüger halten 
und auf feine Verhaftung antragen müſſe. Dieb ver⸗ 
urfachte folche Verlegenheit, daß der Herzog von Kur⸗ 
land bereits entichloffen war, den Schuß bed Kurfür- 
fien, für Schrepfer nachzufuhen und nur mit Mühe 
durch den Srafen Marcolini von diefem Schritte abge 
balten wurde. 

Endlich Tonnte ed Schrepfer nicht länger vermeiden, 
den Zag der Entfiegelung des geheimnißvollen Padets zu 


378 Johann Georg Schrepfer. 


beftimmen, und an dieſem, kurz vor der leipziger Mi- 
chaelismeſſe angelegten Zage fanden fich die Auserwähl⸗ 
ten bei dem Minifter von Wurmb verfammelt. Das 
Packet war da; aber Schrepfer felbft hatte Poftpferde 
genommen und war, unter dem Vorwande eined Ge 
ſchäfts von höchſter Wichtigkeit, nad) Leipzig gereiſt. 
So viel Verdacht Died auch erwecken mußte, fo wagte 
man doch an diefem Zage noch nicht, dad Pade in 
Schrepfer's Abweſenheit zu eröffnen. Ob diefe Eröff: 
nung in der nächften Zeit in Dresden, oder ob fie erft 
in Leipzig, Durch welches Wurmb reifte, ald er fich auf 
fein Gut Großen⸗Furra in Thüringen begab, gefchehen 
fei, können wir nicht beftimmen. Eröffnet ward es und 
enthielt weißes Papier und mehrere Zettel, in weichen 
wieder auf andre Papiere verwielen war. Dies fcheint 
zunahft nur Wurmb und du Bosc befannt worden zu 
fein, und Diefe hielten die Sache noch geheim; fei e®, 
daß fie ſich ſchämten, oder daß fie immer noch eine leiſe 
Hoffnung auf den Schat hatten. Bilchofswerder und 
Hopfgarten kamen während der Meſſe nad) Leipzig und 
gingen auf das Vertrauteſte mit Schrepfer um. Dod 
fein Gewebe war zu roh; er konnte ed nicht Tänger 
halten. 

An einem der lebten Meßtage, am 7. Det. 1774, 
als die Frift herannahte, auf welche Schrepfer feine 
Gläubiger mit ihrer Zahlung vertröftet hatte, lud e 
Bifchofswerder und Hopfgarten, nebft noch zwei ande 
ren feiner Bekannten, zum Abendeſſen zu fich ein. Als 
fie beifammen waren, fagte er: „Diefe Nacht legen wir 
und nicht zu Bette, denn morgen mit dem Früheſten, 
noch vor Sonnenaufgang, follen Sie ein ganz neue 
Schaufpiel zu fehen befommen. Bis jebt habe ich Ih 
nen Verftorbene gezeigt, die ind Leben zurückgerufen 


Johann Georg Schrepfer. 379 


wurden; morgen aber ſollen Sie einen Lebenden ſehen, 
den Sie für todt halten werden.” Nach dieſen Wor⸗ 
ten legte er ſich auf das Sopha und ſchlief mehrere 
Stunden fo feſt, daß feine Säfte ihn ſchnarchen hörten. 
Als gegen 5 Uhr der Zag anbrach, fland er auf, mit 
den Worten: „Nun, meine Herren, ift es Zeit, DaB 
wir gehen”, und Alle begaben fich nach dem Roſen⸗ 
thale. Schrepfer, der auf dem Wege die vollkommenſte 
Gemůthsruhe zeigte, wies feinen Begleitern, als fie dort 
angelangt waren, ihre Plätze an, indem er zu ihnen 
fagte: „Rühren Sie Sich nicht von der Stelle, bie ich 
Sie rufen werbe; ich gehe jetzt in dieſes Gebüſch, wo 
Sie bald eine wunderbare Erſcheinung fehen follen.” Er 
entfernt fich, und bald darauf fällt ein Schuß, den Die 
Herren, in der Meinung, es fei ein Jäger in der Näbe, 
zuerſt nur wenig beachten. Allein nach langem Warten 
verlieren fie zulebt die Geduld, gehen in das Didicht 
hinein und fehen — ihren Propheten todt auf den Bo⸗ 
ben geftredt. Er hatte ſich mit einer Taſchenpiſtole ent- 
feibt. Sie zeigten den Vorfall augenblicklich bei dem 
Stabtrath an, welcher fofort in Schrepfer's Wohnung, 
in der ſich mancherlei phyſikaliſche Inftrumente und 
Apparate gefunden haben follen, Alles verfiegeln ließ. 
Es fand fi auch ein Zettel an feinen Bruder, worin 
er dieſem fchrieb: „WB. und D. find bie Urheber meines 
Unglüds; nimm Dich meiner Frau und Kinder an.” 
(Er felbft war freilich der Urheber feines Unglüds und 
Wurmb und du Bosc waren höchftens die mindeft Ger 
duldigen feiner Opfer.) Den du Bosc, dem diefer Han- 
dei an 4—5000 Thlr. gefoftet haben fol, tröftete übri⸗ 
gend ein zweiter Zettel mit der natürlich nie in Erfül- 
lung gegangenen Verficherung: feine Forderungen wür⸗ 
den zur Neujahrsmeſſe 1775 getilgt werben. 


380 Johann Georg Schrepfer. 


Während diefed in Leipzig vorging, reifte der Mi: 
nifter Wurmb nad) Dresden zurüd, aber ohne ſich in 
Leipzig aufzuhalten. In Meißen erreichte ihn eine Staf- 
fette, welche der Dr. Zeller, ein Winkeladvocat und 
Anhänger Schrepfer's, ihm nachſchickte, um ihn von 
der unerwarteten Wendung der Dinge in Kenntniß zu 
feben. Der Minifter fchrieb fogleih an Zeller zurüd: 
er folle fih um jeden Preis der Hinterlaffenen Papiere 
Schrepfer's zu bemächtigen ſuchen und ihm biefelben 
nachſchicken, und Zeller hatte auf diefen Befehl Die Ked- 
beit, die Siegel zu erbrehen. Er wurde zwar zur Ver: 
antwortung gezogen, aber der Zwed war erreicht '). 


Ueber das Verfahren, was in jener Zeit bei dem 
Geiftereitiren angewendet wurde, mag vielleicht ‚Folgen 
des einigen Auffchluß bieten, was dem Baron von 
Steihen von der Marfgräfin Wilhelmine von Bran⸗ 
denburg-Baireuth ), Schweſter Friedrich's II., erzählt 
wurde °). Hiernah war auf der Univerfität Halle, 
wahrjcheinlih in den vierziger oder funfziger Jahren 
des 18ten Jahrhunderts, ein Profeſſor gewefen, wel 
cher Geifter erfcheinen ließ. Friedrich IL, dem von Off 
zieren, deren Muth und Geift er Fannte, erzählt wor: 
den, daß fie dergleichen wirffich gefehen, ließ den Pro- 


1) Der aus verbürgten Privatquellen gefloffene Anhalt diefes Auf 
füges ift, in anderer Zaffung, bereits in den Neuen Jahrbuͤchern 
der Gefhihte und Politif, Jahrgang 1548, Br. J. &. 97 fa. 
mitgetheilt worden. 

2) Zriederifa Sophia Wilhelmine, geb. 3. Auli 1709, verm. W. 
Nov. 1731 mit dem Markgrafen Zrievrid von Baireuth, + 14. 
Dct. 1758. 

3) Denfwürdigfeiten, S. 207 fe. 


Johann Georg Schrepfer. 381 


feffor nad) Berlin kommen und bat ihn, ihm einige 
Hefer wunderbaren Ericheinungen zu zeigen. Der Pro« 
feſſor ermwiederte: „Da ich nicht ganz: ficher bin, daß 
mein Geheimniß nicht einigen nachtheiligen Einfluß auf 
das Gehirn üben könne, weshalb ih ed nur unter 
Sicherungdmaßregeln für meine eigne Gefundheit ans 
wende, ſo bewahre mich Gott, davon in Bezug auf 
Ew. Majeſtät Gebrauch zu machen; aber ih will 
mehr thun, ich will ed Ihnen erflären. Es befteht in 
einem Räucherwert, was man in einem dunfeln Zimmer 
verbreitet, in. dad man ſchauluſtige Menfchen eintreten 
läßt. Diele Räucherwerk, wovon bier das Recept ift, 
hat zwei Eigenfchaften: 1) den Patienten in einen 
Halbſchlaf zu verfeßen, welcher Teicht genug ift, ihn 
alled verftehen zu laſſen, was man ihm fagt, und tief 
genug, ihn am Nachdenken zu hindern; 2) ihm das 
Gehirn dergeftalt zu erhigen, daß feine Einbildungskraft 
ihm lebhaft das Bild der Worte, die er hört, abmalt 
und bie Vorftellung beifügt, Die Dazu dient, das Ziel 
feined Strebens zu verfolgen und zu erreichen; er ift 
in dem Zuſtande eined Menfchen, der nach den leichten 
Gindrüden, die er im Schlafe empfängt, einen Zraum 
zuſammenſetzt. Nachdem ich in der Unterredung mit 
meinem Neugierigen möglichft viele Einzelheiten über 
die Perſon, die ihn erfcheinen fol, kennen gelernt und 
ihn nach der Form und den Kleidern gefragt habe, in 
denen er fie ſehen will, laſſe ich ihn in das dunkle Zim⸗ 
mer treten. Wenn ich glaube, daB das Räucherwerk zu 
wirken begonnen bat, folge ich ihm, indem ich mich ge- 
gen den Eindrud des Räucherwerks durch einen Schwamm 
fhüße, der in den Liquor getaucht ift, den ich bier habe. 
Dann fpreche ich zu ihm: Sie fehen den und den, fo 
und fo geftaltet und gekleidet, worauf fi) fofort feiner 


382 Jeham Georg Särepfer. 


erregten Phantaſie die Geſtalt abmalt; hierauf frage ich 
ihn mit rauer Stimme: Was willſt Du? Er iſt über⸗ 
zeugt, daß der Geiſt zu ihm ſpricht; er antwortet; ich 
erwiedere, und wenn er Muth bat, fo ſetzt ſich die Un⸗ 
terredung fort und fchließt mit einer Ohnmacht. Dide 
lebte Wirkung des Räucherwerks wirft einen myſteriöſen 
Schleier über dad, was er zu fehen und zu hören ge 
glaubt hat, verwilcht die Beinen Mängel, deren er ſich 
erinnern könnte, und binterläßt ihm bei feinem Erwa- 
chen eine aus Furcht und Achtung gemifchte Ueberzeu: 
gung, gegen die ihm Fein Zweifel mehr bleibt.” 

Der König prüfte die Richtigkeit diefer Dperation 
und legte dann dad Recept und die YAusführungsvor: 
Schrift, unter verfchloflenem Umfchlag, in feine Hand: 
fchriftenfammlung. Gleichen's Vermuthung, dag Bir 
fhofswerder und Genofien das Geheimniß Dort, oder 
in Halle, gefunden und bei den Geiftercitationen, durch 
die fie Friedrich Wilhelm IL myſtificirt und unterjocht 
haben follen, angewendet haben, laſſen wir dabinge 
ftelit fein. Schwerlich ift jener hallefche Profeflor der 
einzige Inhaber des Geheimnifles, fchwerlich ift fein 
Weg der einzig anmwendbare gewefen, und Bifchofd: 
werder dürfte Doch wohl complicirtere Mittel angewen⸗ 
det haben. _ 


XVI. Jakob Sermann Obereit. 


Ludwig Oberreit ') aus Arbon hatte fi der Handlung 
gewidmet und theild in feiner Vaterftadt, theild in Lyon 
conbitionirt. Won den gewöhnlichen Verirrungen ber 
Sinnlichkeit junger Menfchen ohne fefte Grundſätze oder 
edlere Zielpunfte zog ihn das Gebet eines frommen Ka⸗ 
meraden und Die Lectüre einiger Schriften, namentlich 
des Hermann Kranke und des Bruder Laurent ab, und 
er gerieth allmälig ganz in einen myſtiſch-pietiſtiſchen 
©eparatiömus, nahm eine wahlverwandte Sattin, trat 
mit den angeſehenſten Myſtikern feiner Zeit in Verbin⸗ 
dung, fchrieb mancherlei in diefer Richtung und erzog 
auch feine Kinder im gleichen Sinne. Jakob Hermann 
war fein Erfigeborener und trat am 2. December 1725 
zu Arbon, wo fein Vater dDamald Buchhalter war, in 
die Welt. 1732 309 der Vater nach Lindau am Bo: 
denfee, wo er Rentamtöbuchhalter wurde. Unſer Obe⸗ 
reit war von früh an ungemein fleißig, wendete feine 
ganze Zeit der Lectüre zu, lad aber freilich, ohne fichere 
Anleitung, alles was ihm unter Die Hand fam und am 
liebften myſtiſche Schriften. Die Bibliothek feines Va⸗ 


— —— 





1) So ſchrieb fih die Familie. Unſer Held ließ aber das zweite 
r weg. 





384 Jakob Hermann Obereit. 


terd enthielt meift theologiſche und gefchichtliche, fowie 
aus der Erbichaft eined Bruderd medicinifche Werke, 
was denn auch alles verfchlungen ward. Doc auch 
Plutarch, Nepos und Valerius Marimus zogen dad 
junge Gemüth an. Wie fein Vater, der äußern Kirche 
abhold und einem feparatiftifchen Herzensglauben erge: 
ben, gab er feine frühere Abfiht, Theolog zu werden, 
auf und entichied ſich für Die Heilfunde. Er kam 1740 
zu einem Wundarzte in Arbon in die Lehre, und fein 
Principal fonnte ihm ſchon nah den erften Wochen 
einige Patienten überlaflen. Im October 1743 wurde 
er in St. Gallen freigefprochen und ging nun im De: 
ceniber auf die Manderfchaft, wo er Y Jahr in Mün- 
hen, 1 Iahr in Augsburg, Jahr in Rürnberg und 
Y Zahr in Erlangen zubrachte. Hier trat er im Juni 
1746 in die Dienfte eined nach Italien reifenden könig⸗ 
ih polniſchen Architekten, veruneinigte fich aber unter: 
weges mit ihm und ging nad) Wien, wo er vergebens 
eine Condition ald Barbiergefelle ſuchte. Er fchrieb an 
feinen Vater um Geld und äußerte dabei den Wunſch, 
einige Zeit eine Univerfität zu befuchen. In der That 
bewilligte ihm der Magiftrat zu Lindau ein anfehnliches 
Stipendium zu einem dreijährigen afademifchen Curſus, 
wogegen er fich verpflichten mußte, feine Dienfte der 
einft der Stadt Lindau widmen zu wollen. Er ging 
nun nad) Halle und im Herbft 1747 nach Berlin, wo 
er 2); Iahre blieb, und fich außer mit feinem Brot: 
fache mit PHilofophie, neueren Sprachen und ſchönen 
Wiffenfchaften befchäftigte. Weber dieſe Befchäftigung 


mit „vorwißigen Unterfuchungen‘ gab ihm der Herr von | 


Merſay in Godelöheim, ein unter den Separatiften 
jener Zage ſehr angefehener Mann, den er auf der Rüd: 
reife, im Mai 1750, dem Befehl feines Waters gemäß, 


! 
\ 


Jakob Hermann Obereit. 385 


auf ein Paar Wochen beſuchte, eine ernſte Zurecht⸗ 
weiſung. 

Im Juni 1750 kam er nach Lindau zurück und trat 
als praktiſcher Arzt und Operateur auf, wurde auch 
1752 zum Geburtshelfer beſtellt und ſchrieb manches 
Nützliche in dieſem Fache, fand aber viel Widerſtand bei 
den Anhängern des alten Schlendrians. Zuletzt verlor 
ee faſt alle Kunden, blieb nur bei feinen nächften Wer: 
wandten Hausarzt und überließ fih nun immer mehr 
feiner Reigung zur Philoſophie, Theoſophie, Poeterei 
und Chemie, welche letztere er fchon in Berlin bei Pott 
mit befonderem Eifer betrieben. Wie er fie auffaßte, 
ergibt fich unter andern daraus, daß er „einige Metalle 
unter göttlichem Beiftand und Hilfe zu verbeilern und 
zu veredein verſuchte.“ 1763 ftarb feine Mutter nach 
langer fchmerzlicher Krankheit, wobei er ihr treuen und 
geſchickten Beifland leiſtete. Durch feine 1767 zu Karls⸗ 
ruhe gedrudte Disquisitio .de universali methodo 
medendi confortativa erwarb er fich die Aufnahme 
zum Mitgliede der baierifchen Akademie der Willenichaf- 
ten. Er unterhielt Verbindungen mit Wieland '), Bod- 
mer, Lavater, Pfenninger, Zobler, Stolz, Heß und 
andern Schweizern und trug fich viel mit Gedichtöplänen 
im Sinne der Bodmerifchen und früheften Wielandifchen 
Richtung. Doch hatte er keinen Beruf zur Poeſie, wie 
ihm fein jüngerer Bruder, Ludwig, welcher Finanz: 
Oberbuchhalter in Dresden geworden war und durch 
den die Familie nah Sachfen gekommen ift, auch offen 
fagte. Während der Vater Oberreit fich ganz der reinen 
Myſtik ergab, Jakob Hermann diefelbe mit allen mög: 


1) Diefer creirte ihn auch 1769, als Kanzler der freien Reichs⸗ 
ftadt Biberach und kaiſerlicher Pfalzgraf, zum Doctor der Philoſophie. 
I. 17 


386 Jakob Hermann Obereit. 


fihen andern Wiffenichaften amalgamtirte und verdoctri- 
nirte, verband Zudwig mit derſelben Yamilienrichtung 
Weltkenntniß, Geſchmack und praktifchen Sinn. 
1769 traf die Familie ein ſchweres Unglüd. Der 
alte Buchhalter hatte die ihm anverfraute Kafle wol 
oft auf dem Papier überfchlagen, niemald aber wirklich 
überzählt. Nun fand fich auf einmal ein Defect von 
mehreren Zaufend Gulden. Seiner Unfchuld bewußt, 
hoffte er mit den Seinigen auf ein Wunder. Sie bete 
ten darum und gingen zwei Mal auf dad Rentamt, da 
felbft die fehlende Summe zu finden. Als endlich bie 
Bürgermeifter kamen und das Geld begehrten, antwor- 
tete ihnen der alte Buchhalter getroft: weil ed Gott ge- 
fallen, daß die Herren Bürgermeifter felbft Augenzeuge 
fein follten von der göttlichen Hilfe, auf die er gehofft, 
fo möchten fie nur in dad Nebenzimmer gehen, wo die 
Kifte ſei. Wie heftig aber erfchrat er, als er fehen 
mußte, daß alles leer war. Als der eine Bürgermei⸗ 
fter ihm Vorwürfe machte, daß er ihn fo angeführt 
babe, bat er um Verzeihung: er habe Gottes Stimme 
nicht richtig verftanden. Er mußte den ganzen Defet 
erfegen, wozu fein Vermögen kaum zur Hälfte aus: 
reichte. Das Meifte zu dem Fehlenden gab fein Sohn 
in Dresden und auch ein braver Bürger in Lindau 
trug mit bei. Oberreit wurde feined Amtes entlaflen, 
erhielt jedoch eine Penfion von 200 Fl., wozu dann 
ber Sohn in Dreöden auch noch jährlich einige Hundert 
Fl. und ſpäter noch mehr hinzulegte. Doch Fam die Fa⸗ 
milie nie wieder zum früheren forglofen Wohlſtand. 


Iafob Hermann griff zwar wieder zur ärztlichen ' 
Praris, verdiente aber auch nicht viel, und kam bann - 


wieder auf alchymiſtiſche Thorheiten, die weder feiner 
Kaffe, noch feiner Gefundheit zuträglich waren. Im 


| 


Jakob Hermann Obereit. 387 


Auguft 1771 wurde ihm fein Schmelzofen von Obrig- 
feitöwegen abgebrochen und feine Zeuerarbeit verboten. 
Das wäre eine Wohlthat für ihn geweſen; aber er er: 
wirkte Durch eine Vorftelung, daß ihm die nur zu fei- 
nem Ruin gereichende Arbeit wieder geftattet wurde. 


' Auch fein Dresdner Bruder warnte lange umfonft und 


mußte endlich einen Stillſtand der hermetifchen Arbeiten 
durch Die Drohung, feine Hand fonft abzuziehen, er- 
zwingeñ. Aber fchon 1775 fchreibt der Vater in fei- 
nem Tagebuche: fein Sohn habe „in Veredlung und 
Verbeſſerung der Metalle durch göttliche Gnade endlich 
genugfame Erfahrung und hinlängliches Licht erhalten.” 
1776 ſtarb der alte Vater. 

Vorder entipann fich eine Literarifche Fehde. 1773 
hatte Zimmermann in KHannover ein Fragment über bie 
Einſamkeit herausgegeben, was unferm bereit höchlich 
misfiel und wogegen er eine Schrift ausarbeitete, deren 
Handſchrift er Zimmermann felbft zuſchickte und ihn in 
wiederholten Briefen beſchwor, fie druden zu laſſen. 
Zimmermann that dies in der That und gab die Schrift 
unter dem Zitel: Vertheidigung der Myſtik und des 
Ginfiedlerlebens (Frankfurt a. M., 1775) heraus. Daran 
knũpfte fich fpäter noch Weiteres. 

Sct 18 Jahren war Jakob Hermann in einem 
Herzensbündniß mit einem frommen, fchwärmerifchen 
Mädchen gevefen, der Tochter eined armen Pofamen- 
tirerd Rietmeier in Lindau, bei welchem Obereit Haus: 
arzt war. Er bat das Mädchen und fein Verhältniß 
zu ihr unter dem Titel: „Theanthis und ihr Schweizer: 
Philoſoph. Eine pſychologiſche Geſchichte“ gefchildert '). 


1) Magazin zur Grfabrungs = Scelenfunde, Br. 9, St. 2, 
8 fe . 


17 * 


388 Jakob Hermann Obereit. 


Ihrer Verbindung ftellte fich diefe ganze Zeit der Wider: 


ftand der Eltern ded Mädchens und Obereit's Armuth 
entgegen. Sein eigner Vater Fannte und billigte dad 
Verhältniß. Er entfernte fie aus dem Haufe der El⸗ 
teen und brachte fie unter den Schuß feiner Freunde 


und ſonſt. Endlich 1777 verband er ſich mit ihr, er 


51, fie 42 Jahre alt, zu einer Ehe, von der er fagt, 
fie fei ‚weder platonifch noch epikuräifch gewefen, mehr 
als Freundfchaft, Doch ohne gemeine Vermifchung”, und 
die nur wenige felige Wochen dauerte, nach deren Ver: 
fluß fie an hektiſchen Leiden ftarb. 

Dbereit theilte nun feine Zeit in Studien, Schrift⸗ 
ftellerei und hermetifche Arbeiten. Ein Apotheker zu 
Winterthur nahm ihn in fein Laboratorium und naher 
auch in fein Haus auf. Da aber der Stein der Wei⸗ 
fen nicht erfcheinen wollte, fo 309 fi) der Apotheker 
zurüd und Obereit fegte die Arbeiten auf eigne Koften 
fort, bis fein Hauswirth ihn nicht länger bei fich zu 
behalten drohte, wenn er fortfähre, feine wenige Baar: 
ſchaft durch den Schornftein zu jagen. Dann Iud ihn 


wieder ein Freund der Alchymie, Hauptmann Burcks 


im Canton Bern, zu fi ein. Er follte aber zugleich 
deffen Kinder unterrichten, und ed mag wol fein Gt: 
fühl der Untauglichkeit zu diefem Poften gewefen fein, 
was ihn fchon nad) ſechs Wochen beftimmte, das Ver— 
baltni wieder aufzugeben. Er ging darauf nad Zu: 


rich und brachte ein forgenfreied, angenehmes Jahr in : 


a 


se 44 


dem Laboratorium des Bruders von Lavater zu, we: - 


her Arzt, Chemiker und eifriger Maurer war. In 


diefer Zeit fchrieb er ein zweites, ausführlicheres Werl 


gegen Zimmermann. 8 ift das zugleich die aud in 
formeller Beziehung lesbarſte Schrift Obereit's gewor: 
den, weil er die Handfchrift feinem Freunde Kleu— 


Jakob Hermann Obereit. 389 


fer ') zur Revifion gab, der dem reichhaltigen Werke ein 
fehr geſchmackvolles Gewand verlieh und eigne Anmer- 
tungen binzufügte. Es erfchien unter dem Zitel: „Die 
Einfamkeit der Weltüberwinder nach innern Gründen 
erwogen von einem lakoniſchen Philanthropen. Mit 
Anmerkungen des Herausgebers. Xeipzig, 1781.” Der 
Verfaſſer ftellte das Mohlthätige eines, auch mitten in 
bee Gefellichaft ftilen, eingezogenen, einfamen und in 
fich gekehrten Lebens dem zerftreuten, nach außen ge 
richteten, geräufchvollen und eitlen Xeben der Weltlinge 
entgegen. Das Buch hat viele Xefer gefunden und ver- 
fchaffte Dbereit feiner Zeit wahre Celebrität. Es ift 
auch der Anlaß zu Zimmermann’s großem Werke über 
die Einfamfeit worden. 

1781 ging Obereit zu feinem Bruder nach) Dresden, 
wo er geraume Zeit blieb, mancherlei fchrieb und mit 
der Stiftung eines Privatvereind von Chrifluöverehrern 
zur gemeinfchaftlichen Arbeit am Tempel Chrifti um- 
ging. Ueberhaupt fcheint er gewillen myſtiſchen und 
bermetifchen Drdensverbindungen ?) angehört, jedenfalls 


1) Johann Zriedrih Kleufer, geb. zu Dfterode 27. Det. 1749, 
fiudirte in Göttingen, ward, auf Herder's Empfehlung, 1775 Pro: 
rector in Lemgo, bearbeitete den Zend⸗Aveſta, ging 1778 ald Rec⸗ 
tor nad Dönabrüd, gab 1784 das aus den Schriften St. Martin’s 
zufammengeftellte ‚‚Mayudv oder das geheime Syſtem einer Gefell- 
ſchaft unbekannter Philoſophen“ heraus, ſchrieb viel Theologiſches, 
ward 1798 Profeſſor in Kiel, ſtand in lebhafter Verbindung mit 
Hamann, Jacobi, Lavater, de Luc, den Stolbergs, der Fürſtin 
Galizin u. A., + 1. Juni 1827. — Bergl.: Ratjen, Johann Fried⸗ 
rich Kleuker und Briefe ſeiner Freunde. Goͤttingen, 1842 

3) Die bekannteſten damaligen Verbrüderungen waren, außer den 
Zrelmaurern und den Zefuiten, die Illuminaten, die deutſche Union 
oder die Verbindung der XXI, die Geſellſchaft der deutſchen Kette, 
die Roſenkreuzer, der Drden der Ritter und Brüder Eingeweihten 
aus Aſien, die afritanifhen Brüder, der Ierufalemdorden, der Dr⸗ 
den der hoͤchſten Borfehung oder ded heiligen Joachim's, die Ber- 
brüberung des Kreuzes, die Berbrüberung zum Herzen Jeſu, Pic 


30 Jakob Hermann Obereit. 


in dieſen Kreiſen viel Anſehen gehabt zu haben. Im 
Auguſt und September 1782 hielt er ſich in Hannover 
bei einem Goldarbeiter auf, der ihn aus ſeiner „Einſam⸗ 
keit der Weltüberwinder“ liebgewonnen hatte. Hier be 
ſuchte ihn auch Kleuker und hier lernte er Zimmermann 
perſönlich kennen, lebte in freundſchaftlichem Verkehr 
mit ihm und gab ihm die Eigenheiten zum Beſten, 
welche Zimmermann ſpäter zu feiner Verſpottung aus⸗ 
beutete, ungeachtet er ſelbſt nicht umhin Fonnte, ihn 
für einen „äußerſt ungewöhnlichen und gar nicht ge 
meinen Menfchen, mit freier, erhabener Stirn, ehrli⸗ 
chem Geſicht, hellen, kecken Augen”, für einen „kraft⸗ 
vollen, grundfeften, kernhaften und in mancher firengen 
Tugend geübten Mann, welcher Wahrheit tief herauf 
und mit eiferner Beharrlichkeit fuche und inmwenbige 
Theologie mit Eifer betreibe”, zu erklären. Dann lebte 
er zwei Iahre bei dem Hofrath Nitſche) in Mer 
gelödorf, den er einen «Pansophe en abrege» 
nannte. Im Sommer 1784 Fam er nad) Leipzig und 
ging von da zu Wieland nad) Weimar, der in Verbin 
dung mit andern Freunden für fein Unterfommen forgte, 
fo disparat auch fonft ihre damaligen Richtungen we 
ren. Gegen Zimmermann’s großes Werk über die Ein- 
famkeit, in dem er nicht gefchont worden, fchrieb er 
eine wenig gelungene Satire, die er feiner und Zim- 
mermann’d Freundin, der NRegierungsrathin von Döring 
geb. Strube in Ratzeburg, widmete. 

Nah einem halbjährigen Aufenthalt in Weimar 
Nitter zur Andaht des heiligen Grabed, die Martiniften, die Med 
merianer, die chevaliers bienfaisants de la cité sainte, die Verbin⸗ 
dung zur Wiedervereinigung der hriftlihen Parteien, die deutſche 
Zegenſcaft zur Befoͤrderung der reinen Lehre und wahren Gottſe⸗ 

1) Ueber ihn in den Miscellen. 





Jakob Hermann Obereit. 301 


ſchlug er 1785 feine Wohnung in einem dunklen Dach⸗ 
ftübchen Hinter der Stadtkirche in Jena auf, noch fer: 
ner durch Wieland und andere barmberzige Seelen noth- 
dürftig unterflügt, und gab ſich nun, nicht recht zur 
Freude feiner myſtiſchen und theofophifchen Freunde, 
ganz der Philofophie und zwar dem Studium der neue: 
ren Zeitphilofophie bin, Die er jeboch auch mit feinen 
alten Richtungen in wunderbare Verbindung zu bringen 
wußte. 

Bei einem Beluche in Iena hörte der Herzog von 
Meiningen ’) von Obereit, befuchte ihn, fand Geſchmack 
an dem originellen alten Denker und lud ihn bald dar⸗ 
auf fchriftlich ein, nach Meiningen zu kommen, wo er 
ihm freie Wohnung, Holz, Licht und Koft anbot. Er 
ging auch fofort darauf ein, befand fich Tängere Zeit 
recht wohl dafelbft, gefiel fi) und Andern, beichäftigte 
fi mit Errichtung eines arfadifhen Damenordend und 
gab mancherlei, größtentheild durch die Kantifche Phio- 
fopbie veranlaßte Schriften heraus. Für die franzöſi⸗ 
[he Revolution intereffirte er fi) anfangs fehr, ward 
aber auch ihr ebenfo entjchiedener Gegner, als fie ihre 
ſchreckliche Kehrfeite hervorftreckte. 

Im Zrühjahre 1795 309 er mit Genehmigung des 
Herzogs, der ihm auch eine Feine Penfion auswarf, 
wieder nach Iena, wo er auch von dem Prinzen, nad) 


1) Georg Friedrich Karl, Herzog von Sadfen » Meiningen, geb. 
4. Febr. 1761, feit 28. Yan. 1763 Mitregent feines Bruders unter, 
feit 4. Febr. 1781 ohne Vormundſchaft, feit 21. Juni 1782 allei- 
niger Regent, + 24. Dec. 1803. Seine Gemahlin war Zuife Eleo⸗ 
nore, Prinzeffin von Hohenlohe-Langenburg (geb. 11. Aug. 1768, 
verm. 27. Nov. 1762, + 29. April 1837). Er war der Water der 
verwitweten Königin von Großbritannien, Adelheid, der Herzogin 
Ida von Sachſen⸗Weimar und des jept regierenden Herzogs Berne 
hard Erich Freund ven Sadıfen - Meiningen. 


392 Jakob Hermann Obereit. 


herigen Herzog Auguft von Sachfen: Gotha, von Wie: 
land, Bode und andern Freunden unterflügt ward, 
fi) nothdürftig Durchbrachte, und durch Reinhold ganz 
für Die Kantifche Philofophie gewonnen ward, die er 
aber Doch wol ſchwerlich in Kant's Sinn auffaßte und 
anmwendete. Er ging jetzt fogar mit einem Heirathspro⸗ 
jecte um, das fich aber ebenfo zerfchlug, wie die Hoff 
nung, durch Zimmermann, mit dem er fih, auf deflen 
Entgegentommen, verfühnt hatte, Hofphiloſoph, LXitera- 
turfeeretair, oder Bibliothekar der Kaiferin Katharina 
zu werden. 

Im Frühling 1793 309 er zu feinem Bruder nach 
Dresden, um deſſen drei fafl erwachlene Söhne zu den 
Studien der Menfchheit zu leiten. Indeß mag er dazu 
Doch nicht recht gepaßt haben, und zog ſchon zu Pfing: 
fien 1794 wieder nach Iena, befchäftigte ſich noch fehr 
eifrig mit der Fichte’fchen Wiſſenſchaftslehre, kehrte aber 
zulegt zur „Popularphilofophie Des Herzens” zurüd. 
Die Iebten Jahre feined Lebens trübte ein fehr ſchmerz⸗ 
liches Uebel, an dem er am 2. Februar 1798 endlich 


ſtarb. — Er Hatte eine Selbftbiographie für den - 


Schlichtegrol’fchen Nefrolog ') verfaßt, und von dem 


Hauptmann von Blankenburg?) in Leipzig ſtyliſtiſch 


audfeilen laffen, fie auch drudfertig zurücerhalten. Das 
Manuſcript ift aber fpurlos verloren gegangen. 


1) Aus deffen neuntem Jahrgange (Br. IL, S. 1 fg.) wir de 
Obige auszogen. 
2) Chriſtian Zriedrih von Blankenburg, geb. bei Kolberg U. 


San. 1744, Verwandter Kleift’s, Fämpfte im fiebenjährigen Krieg | 
als Adjutant eines Dragonerregimentd, ging 1777 als Hanptmam : 


ab, Iebte in Leipzig und Konnewig, in innigem Berfehr mit Weiße 
und Zollikofer, und ftarb in Leipzig 4. Mai 1796. Die Durdfidt 
jener Obereit’fhen Biographie mag feine legte Arbeit geweſen fein. 
Er mar feiner Zeit als Aefthetifer und Weberfeger gefchägt. 


VI. Madame de la Croix. 


Präulein von Sarente, Tochter ded Marquis von Senas 
und Nichte eined unter der Pompadour und Choifeul 
jehr einflußreichen Biſchofs von Orleans, hatte fehr jung 
den Marquis de la Croix geheirathet, einen geachteten 
General in fpanifchen Dienften. Eine Zeitlang lebte fie 
von ihrem Manne getrennt in Avignon und beherrfchte 
das Comitat durch den Vicelegat Aquaviva, welcher aufs 
außerfle in fie verliebt war. Als ihr Gatte Vicefönig 
von Gallicien wurde, ging fie wieder zu ihm und ver- 
fuchte nun das Negiment in einer fpanifchen Provinz. 
Nach feinem Tode erfuhr fie mancherlei Kränfungen und 
Ungererhtigfeiten und kam ſehr mittello8 nad) Lyon, wo 
fie in eine gefährlihe Krankheit verfiel, während derſel⸗ 
ben Rifionen hatte und nun von der vollftändigften 
Ungläubigfeit zu grenzenlofer Gfaubensfähigfeit über: 
ging. Die Schriften St. Martin’s, befonderd die Schrift 
des Erreurs de la Verite, zogen fie vornehmlich an; 
fie ſuchte den Verfafler zu Paris auf, ſah ihn oft bei 
ſich, ſtritt fich viel mit ihm und feßte fich endlich ein 
eigned theofophifches Syſtem zufammen, was u. X. eine 
Viereinigkeit enthielt, worin ber Sohn vom Water, der 
heilige Geift vom Sohne und Melchifedec von heiligen 
Geiſte erzeugt ward. Ihre Stärke Sag aber weniger in 
17 * * 


394 Madame de la Croir. 


der Theorie als in der Praxis. Ihr Hauptgeſchäft war, 
den Teufel auszutreiben und dadurch Kranke zu heilen, 
indem fie den Teufel für die Urfache der meiften Kranf- 
beiten bielt, welche ihre Quelle in irgend einer Sünde 
hätten, die den leidenden Theil den Einflüffen des bofen 
Weſens unterworfen habe. Eine Anficht, Die nicht ohne 
ihre MWahres fein mag, fobald fie bildlich) und cum grano 
salis verftanden wird. Sie operirte durch Gebete und 
durch die Auflegung ihrer mit geweihten Waller und 
Del benegten Hande. Am meiften aber glaubte fie fi 
auf ihrem Plage, wenn fie einen Beleflenen traf, aus 
welchem fie den Teufel auszutreiben ſich mühete. Sie 
unterfchied die Beſeſſenen, von denen fie annahm, daß 
fie einen Pact mit dem Zeufel gemacht und dieſen dadurd) 
in fich hineingezogen hätten, von den blos Befallenen, 
die den Zeufel nur auf fich oder un fich haben follten. 
Mit den Lebteren Fam fie leicht zu Stande. Sa, es 
war ihr fogar möglich, den Teufel vor feinem Abzuge 
der Gefelichaft in irgend einer Form, die Niemand er- 
ſchrecken konnte, zu zeigen. So erzählte fie dem Baron 
von leihen über ein Zeufelhen, von dem fie einen 
franzöftfchen Conſul befreit haben wollte, der im Uebri⸗ 
gen zu den Literaten des Enchklopädiftenkreifes gehörte, 
Folgendes: „Als der böfe Geift aus feinem Leibe ge 
fahren war, befahl ich demfelben, uns in der Geftalt 
einer Eleinen chineftfchen Pagode zu erfcheinen. Er war 
fo artig, eine wahrhaft köſtliche Geſtalt anzunehmen; 
er war in Feuerfarben und Gold gekleidet; fein Geficht 
war fehr lieblich, er bewegte die Eleinen Hände mit vie 
ler Grazie und flüchtete fich unter jenen Vorhang von 
grünem Zaffet, hüllte ſich darein und fchnitt von da 
aus alle Arten von Grimaffen auf feinen alten Wirth 
zu. Der Lestere blieb jedoch, da er ohne Zweifel neu 


Madame de la Eroir. 395 


rehler begangen hatte, von ihm heimgefucht; denn als 
r eines Abende nach Haufe Fam, fand er die Heine 
dagode auf feinem Bureau, und ich war genüthigt, 
dich zu ihm zu begeben, um den Zeufel aus dem Zim- 
ser zu verjagen.” Das Merkwürdigfte war, daß Frau 
e la Croix den Eonful nöthigte, die Wahrheit diefer 
Irzahlung in Gegenwart des Baron Gleichen, mit dem 
er fich bis dahin in ganz anderen SKreifen getroffen, an- 
erkennen. 

Doh Gleichen traf noch andere Perfonen bei ihr, 
eren Verbindung mit ihr und daß fie ſich von ihr den 
‚eufel auöfreiben ließen, ihm noch verwunderlicher war, 
[8 der Fall mit jenem Conful; 3. B. den Marchall 
fichelieu, den Ritter de Monbarrey, den Marquis, Die 
Rarquife und den Ritter de Coſſe. Frau de la Groir 
ebauptete, daß fehr viele Perfonen und auch folche aus 
em Kreife feiner Belanntichaft vom Teufel heimgelucht 
raren und Erfcheinungen hätten, aber nicht davon zu 
yeechen wagten, weil fie fich lächerlich zu machen be- 
weten. Sie nannte ihm namentlich den Grafen Schom: 
erg, der eine vorragende Stelle unter den Anhängern 
er ungläubigen Philofophie einnahm und der zu den 
ewöhnlichen Gäften ded Baron Holbach gehörte. Glei⸗ 
ven erichien diefe Anführung denn doch im höchſten 
zrade unmahrfcheinlih. Indeß erhielt er nach Jahres⸗ 
ft eine Beftätigung jener Aeußerung, als er fich bei 
Radame Neder in Geſellſchaft befand. Diefe Dame 
rachte nämlich einen Brief Buffon's vor, worin er 
w über gewifle Vifionen fchrieb, die in der Provinz 
zurgund graffirten und wobei ed immer alte Weiber 
yaren, die erichienen. Einige Literaten, welche Buffon 
icht geneigt waren, weil er ihnen zu religiös war, 
achten einige fchlechte Wiße über feine Neigung, Uns 


396 Madame de la Croix. 


glaubliches zu glauben. Da aber fagte der Graf von 
Schomberg: „Sie kennen mich hinlänglich, meine Herren, 
um überzeugt zu fein, daß ich nicht an Gefpenfter glaube; 
aber das hindert nicht, daß ich feit langer Zeit und faft 
jede Woche und jetzt noch die Geftalten dreier alter Wei⸗ 
ber ehe, die fih am Fuße meined Bettes erheben und 
mir, indem fie ſich gegen mich verbeugen, abſcheuliche 
Grimaſſen fchneiden.” 

So fah auch ein gewiller Zieman, der zu Glei— 
chen's Freunden gehörte, und zwar von der Paffion für 
die fogenannten geheimen Wiflenfchaften angeftedkt, aber 
ein fehr wahrheitöliebender und fi vor Zäufchungen 
hütender Mann war, faft an jeder Stelle, die er einige 
Minuten lang feſt anfah, einen’ Kopf, deffen Augen und 
Züge fo ausdrudsvoll waren, daß fie zu leben fehienen. 
Auf der Blutfpur, die man in dem Zimmer des Schloſ— 
ſes zu Edinburgh zeigt, wo David Rizzio ermordet 
wurde, wollte er einen Kopf geſehen haben, auf dem 
fid) in erfchredender Weife die Krampfe eines Sterben: 
den zeigten. Er kehrte wiederholt zu derſelben Stelle 
zurück und fah immer diefen Kopf und immer furdt: 
barer wieder. Die Sache ift durch dad Spiel de 
Phantafie, verbunden vielleicht mit einer eigenthünli: 
hen Beichaffenheit des Auges, unfchwer zu erflären : 
und namentlich die ftete Wiederkehr des einmal ergriffe 
nen Bildes hat gar nichts Befremdliches. | 

Frau de la Eroir war in ihrer Jugend eine beifpie: 
(08 vollkommene römische Schönheit gewefen. Bol | 
Grazie und Ausdrud, mit durchdringendem Auge, ein - 
Adlernafe, einem hoch getragenen Haupt, einer prädfi- 
gen Haltung, war fie das Ideal einer fchönen Kaiferin. 
Von fo viel Reizen blieb ihr im Alter ein geiftvole 
und belebted Geficht, eine wohlgebaute Taille, ein ſchoͤ 


Mabame de la Ersir. 397 


ner Zuß, eine gebieteriiche Miene und viel Fluß der 
Rede. Diele imponirenden und ungewöhnlichen Reſte 
flimmten trefflich zu der Rolle, die fie fpielte, wenn fie 
zum Zeufel fprah. Ihre drohende Geberde und der 
Ton ihrer Stimme machten zittern, und in ihrer Haltung 
lag foviel Adel, in ihrer Inbrunft foviel Erhabenheit, 
in ihrem ganzen Weſen ein fo hoher Ausdrud des Glau⸗ 
bend und der Zuverficht, daß man eine Heilige zu fehen 
glaubte, die ein Wunder zu thun im Begriff war. Herr 
von Gleichen war jedoch, ungeachtet er manche Zage 
bei ihr zubrachte, um abzuwarten, daB der Zeufel aus 
dem Leibe eined Befeflenen herausfahre, nie fo glücklich, 
diefen Augenblid zu treffen. Nur Kopf= und Zahn: 
ſchmerzen, Koliken und rheumatifche Uebel ſah er heilen. 

Frau de la Eroir erzählte mit einer ihr eignen Nai⸗ 
vetät, Srazie und malerifchen Kunft die Einzelheiten der 
Befuche, die fie, wenn fie allein war, von den böfen 
Geiſtern empfing. Man fah alles, was fie fagte, fo 
lebhaft und natürlich waren ihre VBefchreibungen. So 
oft Gleichen fie befuchte, erzähltes ſie ihm Neues von 
ihrer dämoniſchen Geſellſchaft. Bald waren es höchft 
drollige Poflen, Die man getrieben hatte; bald hatte fie 
erſchreckliche Verfolgungen erfahren. 

Dft kamen ganze Broceffionen von Büßenden, in 
großen rofenfarbenen Gewändern, oder häßlich riechende 
Kapuziner, in Himmelblau gefleidet, oder andere Lächer: 
lich ausflaffirte graßliche Perfonen, die des Nachts zu 
ihr famen und über ihr Bett wegfchritten, indem Die 
Kapuziner ihr Küffe zumarfen und die Büßenden ihre 
Deden geißelten. Zuweilen gab man ihr einen Ball, 
wo fie die feltfamften Trachten und die Moden aller 
Jahrhunderte ſah. Ein anderes Mal zeigte man ihr 
ein herrliches Zeuerwert, Pyramiden von Diemanten 


308 Madame de la Croir. 


und Koftbarkeiten, prächtige Illuminationen, oder be 
zauberte Palaͤſte. Sie Ichilderte das alled fo lebendig, 
mit foviel Geſchmack, Heiterkeit und Beredtſamkeit, daß 
ihre Erzählungen größeren Werth hatten, ald Die mei: 
ſten Beichreibungen eines Feſtes oder der glänzendften 
Aſſemblee. 

Eines Tages erzaͤhlte ſie von einer theologiſchen 
Disputation, die fie mit einem ihrer vertrauteſten Gei⸗ 
fter gehabt Hatte, der als Doctor der Sorbonne ven 
fleidet war, fie als Keßerin behandelte und die Mei: 
nungen der römischen Kirche in der orthodoreften Weile 
verfocht. „Als er aber zulegt Blasphemieen einmifchte", 
fagte fie, „Ichloß ich ihm den Mund mit einem Vorlege 
ſchloß, das er bis zum Zage des Gerichtd tragen wird.“ 
„Und woher nahmen Sie diefed Vorlegeſchloß?“ fragte 
Gleichen. „Ach, mein lieber Baron”, erwiederte fir, 
„wie wenig kennen Sie den Unterſchied zwiſchen der 
geiftigen und der materiellen Wirklichkeit; es ift ein 
völlig wahrhaftes Vorlegeſchloß, was ich ihm angelegt 
babe; Die unfrigen® haben nur das Ausſehen eines 
Solchen.“ 

Manche Leute waren boshaft genug, ſie zum Beſten 
zu haben, und luden ſie in Häuſer ein, hinſichtlich deren 
ihr vorgeſpiegelt ward, daß es darin ſpuke. Dieſe 
Streiche wurden ſelbſt ſo grob getrieben, daß fie den 
Spott bemerkte; aber ſie legte dieſe Demüthigungen an 
den Fuß des Kreuzes nieder, und ſagte zu Gleichen mit 
großer Offenheit und Verſtändigkeit: „Sie, die Sie mich 
fo eiferſüchtig auf meinen Ruhm und meine Ueberlegen⸗ 
heit gefannt haben, die Ste willen, daß ich mich des 
geringften Leberfluffes beraube, um ihn den Armen zu 
geben, die Sie fehen, daß das Geichaft, was ich treibe, 
mir nichts ald Schande und Verachtung in einem Lande 


Madame de la Ersir. 399 


einbringt, wo ich vermöge meines Ranges und meiner 
Verwandtfchaft eine ganz andere Rolle fpielen könnte, 
fühlen Sie nicht, daß eine viel höhere Macht mir das 
Werk, das ich verrichte, auflegen muß? Sagen Sie 
mir freimüthig, ob mein Geift gelitten hat? ob Sie 
finden, daß ich wahnfinnig geworden bin?’ Gleichen 
fand es um fo fchwieriger, auf dieſe Fragen zu ant- 
worten, je mehr ihm ihr Geift glängender ald jemals 
erfchien. Er fagte ihr die nöthigen Höflichkeiten, dachte 
aber im Stillen, Daß eine fire Idee fich recht wohl mit 
im Vebrigen richtigen Anfichten vertragen, und daß auch 
ein fonft vernünftiger Menſch feinen Winkel der Narr: 
beit haben könne. Uebrigens erflärte er, dag Frau de 
la Eroir, die er zum lebten Male im Sabre 1791 zu 
Perry in der Champagne bei Eazotte ’) ſah, welcher 
auch zu ihren Anhängern gehörte, nachdem er früher 
Martinift geweien war, eine fo thäatige Menfchenliebe, - 
eine fo erbauliche Frömmigkeit, eine fo rührende See- 
fengüte, foviel Salbung, Geift und Adel ded Charaf- 
ters befeflen babe, daß ed unmögikh geweien fei, fie 
nicht zu lieben und zu achten. 

Die Revolution bielt fie für ein Werk des Zeu- 
feld und rühmte fih, als eines Zuges befonderer Bra- 
vour, daß fie einen Talisman von Lapis Lazuli zeritört 
babe, den der Herzog von Drleand in England von 
dem berühmten jüdifchen Oberrabbiner Falk Scheck erhal- 
ten. Sie verfiherte: „Dieſer Talisman, der den Prin- 
zen auf den Thron bringen follte, wurde, durch Die 
Kraft meiner Gebete, auf feiner Bruft in dem merf- 
würdigen Augenblide zerbrocdhen, wo er inmitten der 
Nationalverfammlung in Ohnmacht fiel.‘ 


1) Ueber ihn befonders. 


400 Mabame de la Greiz. 


Herr von Gleichen fchließt feinen Bericht über dieſe 
merfwürdige Frau mit der Schilderung einer Scene, 
von der er fagt, Daß er fie nie habe vergeflen, noch 
ſich erflären können. Frau de la Groir Hatte einen 
Befeflenen, der von feinem Nachbar, einem Müller, 
verleitet worden war, ohne fein Wiſſen einen Pact mit 
dem Zeufel einzugehen. Da der Pact unbewußt einge 
gangen worden, fo konnte der Beſeſſene befreit werden. 
So oft er zu ihr Fam, warf er ſich auf Die Kniee und 
berichtete, unter Schluchzen, die ſchrecklichen Qualen, 
die er unabläffig erdulde. Frau de la Croix legte ihn 
auf ein Kanapee, entblößte ihm den Xeib und wendete 
Reliquien und Weihwafler darauf an. Dann hörte 
man ein widerwärfiged Knurren im Leibe und der Pa 
tient flieg erſchreckende Schreie aus; aber der Zeufel 
hielt feft und die Hoffnungen, ihn ausfahren zu fehen, 
wurden immer gefäufcht. Eines Tages wurbe diefer 
Befeflene wüthend, fprang vom Sanapee herab und 
drohte, ſich auf die Gefellichaft zu flürzen. Frau de 
a Croix ftellte ſich zwilchen ihn und die Uebrigen und 
brachte ihn mit drohender Miene wieder an feinen Plak. 
Jetzt aber Fnirfchte er mit den Zähnen mit folcher Kraft, 
dag die Vorbeigehenden auf der Straße es hätten hören 
können, und ftieß wuthſchäumend fo fehredliche und un: 
erhörte Läſterungen aus, daB den Zuhörern die Haare 
zu Kopfe fliegen. Hierauf ging er zu den beftigften 
Schmähungen gegen Frau de la Groir über, und fchlo$ 
mit der ärgerlichften Aufzählung allee Sünden, welde 
dDiefe arme Dame in ihrem ganzen Xeben begangen ba 
ben fonnte, unter Anführung von Detaild, won denen 
viele geeignet waren, fie vor Beſchämung fterben zu 
machen. Sie hörte aber das alled mit zum Himmel 
gewendeten Augen und auf der Bruft gekreuzten Han 


Madame de la Eroir. 401 


den, unter bitterlichem Weinen an; die Jugend abge: 
rechnet, einer heiligen Magdalene gleihend. Als der 
Hatient feine Rede beendigt hatte, kniete fie nieder und 
fagte zu den Anwefenden: „Meine Herren, fehen Sie 
bier eine von Gott meiner Reue bewilligte gerechte Strafe 
meiner Sünden. Ich verdiene diefe Demütbigungen, 
die ich vor Ihnen erfahren habe, und ich würde mich 
denfelben vor ganz Paris unterwerfen, wenn ich da⸗ 
durch all meine Fehler zu fühnen vermöchte ’). 


1) Dentwürvigkeiten des Varons ven Gleihen, &. 149 fo. 


XVII. Condamine und die Convulflondre, 


Die janfeniftifche Bewegung hatte ihre reine und hohe 
Seite, die in dem großen Pascal ihren erhabenften ge 
fligen Ausdrud, in den milden Frauen von Fort 
Royal!) ihre edelfte fittlihe Verklärung fand. Sie 
war bier aus dem Bedürfnig nach religiöfer Innigkeit 
und Ziefe gefloffen; ein Proteft, nicht gegen die Yun 
damente der römifchen Kirche, wie der Proteftantismus, 
aber gegen das, was menfchliche Lift und Berechnung 
aus ihr gemacht hatte, gegen DOberflächlichfeit, Heuche⸗ 
lei und Formenwerk. Ald aber Verfolgung der Sadı 
in größeren Kreifen Theilnahme ſchuf, ſchloß fich auch 
die Schwache und Thorheit der Zeit ihr an, und dann 
blieben auch hier die Entftelungen und Verzerrungen 
nicht aus. Auch die Ianfeniften, wie fie zum Schwarme 
geworden waren, wollten ihren eignen Heiligen und 
Wunderthäter haben und fanden ihn in ihrem 1727 
geftorbenen und auf dem Kirchhof des heiligen Medar 
dus zu Paris begrabenen Genoffen, Franz von Parit. 
Hier wurden große Verfammlungen gehalten, bei benen 





1) Bergl.: Reuchlin, Gefhihte von Port Royalz Hamburg 
und Gotha, 1839 fg., 4 Bde. — 

Derfelle, Pascal's Leben und der Geift feiner Schriften; Stutt- 
gart und Tübingen, 1840. 


L— 40 Yes 


Gonbamine und die Eonpulkonäre. 403 


von überfpannten Gebeten und Reden der Uebergang 
zu Weiflagungen und Wundern bald gefunden ward. 
Die Eraltation führte zunächft, wie ja noch heute bei 
den Verſammlungen mancher amerifanifcher Secten⸗ 
ſchwärmer, zu Krämpfen, Zudungen und fogenannten 
übernatürlichen Zuftänden, und bald wurden dieſe in 
eine Art Syftem gebradht, wo fi dann nicht mehr 
feicht unterfcheiben ließ, welchen Antheil das unbewußte 
Wirken der Einbildungsfraft und fonftiger geheimer 
Sedenkräfte und welchen die berechnete Verftellung 
daran habe. Unzüchtige Entblößungen, bei welchen 
man doch behauptete, daß fie eben nur aus Erhaben- 
beit über die Sinnlichkeit flöflen und denen man aller 
band muflifche Deutungen unterlegte, und freiwillig auf 
genommene Martern, gegen deren Schmerz, wo nicht 
Zöufhung unterlief, die höchftgefteigerte Erregung ab: 
flumpfte, bildeten die Haupttheile dieſer Schauftellun- 
gen, welche namentlich 1731 unglaubliche, Durch die 
verfchiedenften Beweggründe angelodte Menſchenmengen 
berbeizogen. Das Unweſen erreichte einen Grad, bei wel- 
chem, auch von allen Parteitendenzen abgefehen, ein Ein- 
fhreiten der Regierung, wie ed 1752 erfolgte und den 
Zugang zu dem Grabe verhinderte, ganz natürlich war. 
Indeß feßten die Schwärmer ihre Uebungen noch längere 
Zeit in immer geheimer werdenden Zufammenfünften 
fort, indem fie fi) Erde von dem Grabe ihres Heil» 
gen zu verihaffen und dann an jedem beliebigen Orte 
die vermeintlichen Wunder zu erneuern wußten. Die 
Lächerlichkeiten und Ercefle Diefer Vorgänge waren es aber 
hauptfächlih, woran der Ianfenismus, der fich außen 
dem wenigftend ald Richtung einer achtbaren Minorität 
wol bätte erhalten mögen, zu Grunde ging. 

Auch über diefe Scenen theilt der Herr von Glei⸗ 


404 Gonbamine und die Eoxuulkienäre. 


chen ') einige eigne Erfahrungen mit, die und charakte 
riftiih genug ericheinen, um fie aus dem Franzöfiſchen 
feines feltenen Werkes hierher zu übertragen. 

Der bekannte Gelehrte de la Condamine ?’) wurde 
von einer unbezähmbaren, follen wir fagen Neugier 
oder Wißbegier, beberrfcht, mit welcher feine Taubheit 
in fatalem Widerſpruch fland. Wenn er zwei Perfonen 
fi) mit einander vertraulich unterreden ſah, fo näherte 
er fich ihnen nicht nur auf die indiscrefefte Weiſe, fon: 
dern man ſah ihn auch fein Hörrohr herausnehmen. 
Hand er einen Brief auf dem Zifche, fo konnte er fid 
nicht enthalten, ihn zu Öffnen und zu leſen. Wie Her 
von Choifeul Gefandter zu Rom war, fand er einmal 
Condamine, wie er im Cabinete diefed Geſandten, mit 
dem er in der größten Vertraulichkeit lebte, Die Papiere 
durchflöberte und überflog. Herr von Choiſeul kündigte 
ihm mit der ernfleften Miene und einem höchſt tragi« 
fhen Zone an, daß feine Pflicht ihn nöthige, ihn ver 
haften zu laſſen und in die Baftille zu ſchicken, indem 
in diefem Augenblide ein fo wichtiges Staatsgeheimnif 
in Verhandlung wäre, daß fchon die Möglichkeit, davon 
Kenntnig zu haben, binreiche, ihn fo lange einschließen 
zu machen, bis das Geheimniß zur Deffentlichkeit gelangt 
fei. Umfonft verficherte er, daß er nichtd gelefen habe, 
daß er von gar nichts wille: man befahl, Die Wache 


1) Denkwürdigkeiten, S. 159. 

2) Karl Maria de la Gondamine, geb. zu Paris 28. Ian. 1701, 
trat in Militairdienfte, machte dann große Reifen in der Levante, 
an den afrifanifhen Küften, in Südamerifa, namentlid zum Imede 
don Erdmeſſungen, madıte fih um die Blatterimpfung verdient und 
+4. Zebr. 1764 an den Folgen einer neuen Operationsmethode, die 
er an fi felbft anwenden ließ, um der Afademie darüber berichten 
zu können, alfo zulegt an einem Auöfluffe des im Terte mehrfad cr: 
wähnten Charafterzuges. 


Sondbamine und die Convulfionaͤre. 405 


zu bolen, eine Poſtchaiſe bereit machen zu laſſen und 
jagte ihm eine ſolche Furcht ein, daß die Zeugen der 
fomifhen Scene ihr höchſtes Ergötzen daran hatten. 
Man fagt Condamine nach, daß er zu Konftantinopel 
einen Beinen Diebftahl begangen babe, um die Bafton- 
nade auf die Fußſohlen zu erleiden und fich einen Be⸗ 
griff von dem Eindrud diefer Strafe machen zu Fönnen. 
Als Damiend ') hingerichtet wurde, trieb ihn die Neu⸗ 
gier nicht blos, durch die Menge der Zufchauer und die 
innere Schranke der Wachen zu dringen, fondern er ge: 
langte auch an den Kreis, welchen alle Scharfrichter 
der Umgebungen von Paris, die durch das für fie fo 
intereflante Schaufpiel angelodt worden waren, um das 
Schaffot gebildet hatten, und wurde unter dem Schuße 
des parifer Scharfrichterd, des Herrn Charlot, zugelaf- 
fen, welcher, nachdem er ihn erfannt hatte, ausrief: 
„Meine Herren, mahen Sie Platz für Herrn de la 
Condamine; er ift ein Liebhaber” ?). 

Natürlich, daß diefer wißbegierige Beobachter ſich 
auch für die Convulſionäre höchlich intereffirt. Auch 
gab er fich alle erforderliche Mühe, um zu ihren, da= 
mald von der Polizei fehr genirten Myfterien zugelaflen 
zu werden. Er verſprach Verſchwiegenheit und daß er 
fi wie ein Proſelyt verhalten wolle, der fich bei ihnen 


1) Robert Zranz Damiend, geb. zu Tieulloy bei Arras 1714, 
politifher Zanatifer, am 28. März 1757, wegen eines am 4. Jan. 
gegen Ludwig XV. verübten Attentats, nad furdtbaren Martern 
geviertheilt. 

3) Eine andere Anekdote von ihm it, dap er bei einer Reife in 
Italien in einem am Meere liegenden Dorfe in der Kirche eine brens 
nende Kerze traf, auf Befragen erfuhr, es Fnüpfe fih an dieſelbe 
der Glaube, daß, ſowie fie erlöfhe, das Dorf von den Fluthen 
weggerafft werten würde, und nun fofort die Kerze ergriff und 
ansläfhte, worauf er nur mit Mühe vor der Wuth der erbitterten 
Landleute gerettet werden konnte. 


406 Gondamine und bie Connulfsnäre. 


zu erbauen und fi) von der Wahrheit ihrer Wunder 
zu überzeugen beabfichtige. Nachdem er aber ein fehr 
bübfches junges Mädchen hatte and Kreuz fchlagen je 
ben, näherte er fich ihr, als fie wieder abgenommen 
worden, und fagte ihr, mit der den Schwerhörigen ge 
wöhnlichen lauten Stimme, ind Ohr: „Mademoifelle, 
Sie treiben bier ein fehr fchlechtes Handwerk; gefchieht 
ed, um Geld zu gewinnen, fo will ich Ihnen ein ande 
red zuweifen, was Ihnen ficherlich fehr viel mehr Veir⸗ 
gnügen bereiten wird.” Diefe von der ganzen Verſamm⸗ 
lung vernommene Aeußerung verurfachte einen fo gro 
Ben Scandal, daß Herr de la Condamine glaubte, es 
fei fein Letztes, ſchimpflich hinausgejagt wurde und, troß 
aller feiner Bitten, niemald wieder Zutritt in eined der 
Häufer erlangen Fonnte, wo dieſe Fanatiker fich ver 
fammelten. 

Eines Tages in der Charwoche befand fidy Gleichen 
in einer Gefelichaft, wo man von einem fehr merkwür⸗ 
digen Schaufpiele ſprach, das am Charfreitag in einer 
gewiflen Werfammlung der Convulfionäre zu erwarten 
ſei. Man werde da eine junge Perfon, mit dem Kopf 
nach unten und den Füßen nach oben, freuzigen. Da 
er einige Luſt bezeigte, dahin zu gehen, fo gab ihm eine 
Dame ein Billet an einen ihr befreundeten Advocaten, 
der mit den Convulfionären fehr lürt war und den fie 
darin bat, ihn einzuführen. Am Vorabend des Char: 
freitags traf er Condamine in einem Haufe, wo man 
fi) von der feltfamen Scene unterhielt, welcher Glei⸗ 
hen am folgenden Tage beiwohnen ſollte. Condamine 
jammerte über feine Augfchließung und Gleichen Fonnte 
fih nicht enthalten, ihm fein Billet zu zeigen und fi 
über ihn luſtig zu machen. Sobald aber Condamine 
erfuhr, daß der Advocat, an welden Gleichen gewieſen 


u‘ 


Conbamine und die Gonpulfionäre. 407 


war, dieſen nicht Fenne, kam ihm der Gedanke in den 
Sinn, fih für Gleichen auszugeben und an deſſen Stelle 
zu treten. Fußfällig bat ee nun Gleichen, ihm das 
Billet abzutreten, indem er verficherte, fich vernünftig 
betragen zu wollen, und ewige Dankbarkeit zufagte. Glei⸗ 
hen ließ fich bereden und Condamine ließ ſich bei dem 
Advocaten unter Gleichen's Namen anmelden. Der Ad- 
vocat empfing ihn ungemein freundlich, führte ihn in 
feine Bibliothek, zeigte ihm die Werke mehrerer deutſcher 
Gelehrten und erkundigte ſich bei ihm nach diefen. Con⸗ 
damine antwortete jo gut er nur Tonnte, fagte, er habe 
bei dem Einen das Recht, bei dem Andern die Philo- 
fopbie fludirt und fpielte die Rolle eines leidlich unter: 
richteten deutichen Reifenden fo vollfommen, daß der 
Advocat nicht aus feiner Zaufhung Fam. Unterweges 
unterrichtete er feinen Fremden über die Vorfiht, mit 
der er fich benehmen, und über die fromme Gläubigkeit, 
die er zur Schau fragen müſſe. Aber das linglüd 
wollte, daß das Haus, wohin fie gingen, gerade daſſelbe 
war, aus weldhem Herr de la Condamine fo ſchimpflich 
geftoßen worden war. Die Erfcheinung des Teufels 
hätte einen fchredlicheren Eindrud bervorbringen Fon: 
nen, als der Anblid Condamine's. Alle flürzten fi 
auf ihn und überfchütteten den Advocaten mit den 
ſchneidendſten Vorwürfen, daß er ihnen ihren grauſam⸗ 
ten Feind hereinführe, einen Ruchlofen, der die Heilig- 
feit ihrer Myſterien mit den anftößigften Abfichten ent: 
weiht habe. Der arme Advocat verftand kein Wort 
von dem allen und erfchöpfte fich in NWerficherungen, 
daß fie fih irrten und daß diefer Herr ein ihm ehr 
empfohlener Deuticher von Diftinction fe. Als fie ihm 
aber erklärten, Daß ed Herr de la Condamine fei, den 
er eingeführt habe, vereinigte er fich mit der ganzen 


408 Gondamine und die Convulſionare. 


Geſellſchaft, ihn zur Thüre hinauszuwerfen, indem er 
ihn mit Verwünfchungen und Schmähungen, zuglad 
für die Dame und den deutjchen Herrn, belud. 
Verfchiedene Jahre fpater ward Gleichen von dem 
Marquis de Nesle zu den Convulfionären geführt, welche 
damals ihre Myfterien in großer Verborgenheit feierten, 
weniger wegen der Strenge der Polizei, ald weil man 
gefchidt genug geweſen war, fie zum Gegenflande des 
Spottes werden zu laflen, weile genug, fie nicht mehr 
zu verfolgen, fondern mit Geringſchätzung zu behandeln. 
Marquis de Nesle führte Gleichen zu einem alten Par: 
lamentsrath im Infelviertl. Er fand bier in einem 
fhönen, mit karmoiſinrothem Damaſt ausmeublir 
ten Zimmer den alten Rath, feinen Neffen, einen 
Parlamentsadvocaten, eine alte Verwandte und eine 
dem Marquis bekannte Spigenwälcherin, welche gefteu 
zigt werden follte.e Da man nicht mehr wagte, Kreuze 
im Haufe zu haben, fo hatte man, flatt eines folchen, 
ein großes Bret auf dem Fußboden angebradt. Man 
ließ zuerft vier große Nägel unterfuchen, und nachdem 
man die Patientin auf dad Bret gelegt hatte, trieb 
der Advocat ihr die Nagel mit großen Hammerſchlägen 
durh Hande und Füße. Wahrend nıan Gebete an 
ftimmte, jammerte fie ganz leife und ließ ein ſchwaches 
Wimmern hören, wobei fie die Stimme eined Wickel 
finded nachahmte, die fie auch beibehielt, folange fie 
auf dem Brete befeftigt war. Plötzlich fing fie an zu 
rufen: „Papa Elias, wo bift Du nur? Du fagft, ich 
fei ein böfes Feines Mädchen; Du haft Recht, mein 
Heiner Papa; aber ich werde verftändiger werden; fage 
mir nur, wad ih thun muß, ich unterwerfe mid 
allem.” — Nah Verlauf einiger Minuten ftredte fie 
die Zunge heraus. „Sie will, daB man fie ihr löſe', 


Gonbamine und die Conbulſionaͤre. 409 


fagte der Advocat. Er nahm ein Rafirmefler, legte ein 
Zub unter die Zunge des Mädchend und brachte Drei 
freuzweife Schnitte darauf an, welche fehr bluteten. 
Nach den erſten Schnitten hatte die Patientin die Zunge 
zurüdgezogen und nur die Spite fehen Iaflen. Der 
Advocat fagte: „Nur vorwärts, fein Sie nicht fin- 
diſch.“ „Ach mein,” erwiederte fie, „es geichieht nur, 
weil Sie mir zu gut thun,” und präfentirte darauf die 
Zunge mit der beftmöglichften Grazie. Nachdem die 
drei Kreuzſchnitte bewirkt worden, fing fie an, mit ihrer 
KHeinkinderflimme in Einem Zuge zu prophezeien und 
der Rath nahm alle die Thorheiten, die fie von fich 
gab, zu Protofol. Man zeigte den Gäften mehrere 
Bände voll folher Weiffagungen, welche unverftänd: 
fiher waren, als die ded Noftradamud. Nachdem fie 
eine gute halbe Stunde prophezeit hatte, brach fie auf 
einmal ab und verlangte, erquidt zu werden. Diefe 
fanfte Erquidung (soulagement) beftand darin, daß 
man ihr die Arme mit ftarfen Spidnadeln durchſtach, 
und fie mit großen Holzicheiten auf Kopf und Bruft in 
ebenfo barbarifcher, wie bei der geringen Beſchwerde, 
die ed ihr verurfachte, wunderbarer Weile ſchlug. Man 
hätte denken follen, dieſe Schläge müßten fie umbringen, 
aber fie bat, fie noch ſtärker zu fchlagen, und fing dann 
von Neuem an, auf dad Schönfte zu prophezeien. Die 
ganze Ceremonie dauerte eine gute Stunde. Ald man 
die Nägel wieder berausgezogen, blutefe nur der eine 
Fuß, und die andern Wunden fchienen in Begriff, ſich 
zu fchließen. Sie zog ihre Strümpfe und Schuhe wie- 
der an, und ohne dad Geringfte von den Fremden an: 
sunehmen, frabte fie über das Pflafter mit fo leichtem 
Schritt, ald wenn fie nur ein Zußbad genommen hätte. 
J. 18 


410 Conbemine und bie Gonunlfionäre. 


(Diefe Scene berubte fiherlich auf einer reinen Ta⸗ 
fchenfpielerei, bei der ſich der junge Parlamentsadvorat 
und die hübfche Spitzenwäſcherin verftanden haben mö: 
gen, während der gute alte Parlamentsrath ganz glau: 
big und gewiflenhaft das Protokoll führte.) 


— — — — — — — 


XIX. Gazotte. 


Jakob Cazotte war im Jahre 1720 in Dijon geboren, 
wo ſein Vater Kanzleiſchreiber war, und ward in dem 
dortigen Jeſuitencollegium erzogen. Ein älterer Bruder, 
der in Paris eine gute Stellung gefunden, nahm ihn zu 
ſich und er vollendete feine Studien in Paris. Später 
ward er in der Marineverwaltung angeftellt und kam 
1747 als Controleur nad) Martinique, wo er zum Ge- 
neralcommiffär aufrüdte.. In Martinique lebte er in 
angefehener und einträglicher Stellung, verbeirathete fich 
mit Elifabeth Roignon, deren Vater der oberfle Richter 
der Infel war, und erwarb ſich dadurch befondere Ver—⸗ 
Dienfte und Auszeichnung, daß hauptfächlich durch feinen 
thatkräftigen Eifer der Angriff der Engländer auf das 
Hort St. Pierre (1759) abgefchlagen ward. Er hatte 
fi) eigned Vermögen in Martinique erworben und fein 
finderlos fterbender Bruder hinterließ ihm feinen be- 
trächtlihen Belit. Da nun das Stlima der Antillen 
feiner Geſundheit nicht zufagte, fo entſchloß er fich, 
feinen Abfchied; zu nehmen und mit feiner Kamilie nad) 
Frankreich zurückzukehren. Er überließ fein in Marti⸗ 
nique erworbened Vermögen, was fi) auf gegen 50,000 
Thlr. belaufen haben foll, dem dortigen Superior der 
Sefuitenmiffion, feinem alten Lehrer, Pater Lavalette, 
18 * 


412 Jakob Cazotte. 


gegen Wechfel auf die Iefuiten in Frankreich, hatte aber 
den Verdruß, daß dieſe proteflirt wurden und er fchlüß- 
fih um fein Geld kam.) Eine Sache, welche zu einer 
Reihe ähnlicher Proceſſe und in ihren weiteren Folgen 
zu der Aufhebung des Ordens in Frankreich und ander: 
wärts Veranlaſſung gab. Indeß blieb Cazotte in dem 
Vermögen feined Bruders noch genug, ein forgenfreies 
Leben theild in Paris, theild auf dem ererbten Landſitze 
in Pierry bei Epernay zu führen und feine ganze Zeit 
der Wiffenfchaft, den Künften und dem gefelligen Leben 
zu widmen. 

Diefe Muße wurde auch eine productive Schon 
als er das erfle Mal in Paris Iebte, war er in dem Haule 
feines Landsmannes Raucourt mit Freunden und Me 
gern der Literatur in Verkehr geweien und hatte eine 
frühe Neigung zur Poefie auch in eignen Verſuchen be 
tbätigt, welche, als ein Zufall fie ſpäter befanntmachte, 
Beifall fanden. In Martinique benugte er manche Mu 
Beftunde, eine heroifche Dichtung in Profa „Olivier“ 
audzuarbeiten, und jest (1763) Tießen feine Freunde dieſes 


1) Lavalette hatte zu St. Peter auf Martinique ein ausge: 
dehntes Handelögefhäft begründet. Der Drden midbilligte dies an: 
fangs und rief ihn zurück. Da fi aber die große Ginträglikeit 
der Unternehmung zeigte, fo ward der Drden anderes Sinnes, 1: 
nannte ihn zum Generalfuperior auf allen Infeln unter dem Winde 
und unterftüste ihn mit Geld und Gredit. Wie aber der Seefrieg, 
welder 1756 ausbrach, die Unternehmungen Lavalette's durch⸗ 
kreuzte und die Berlufte an die Stelle der Gewinne traten, ließ der 
Orden ihn fallen, und bot den Gläubigern, ftatt Geldes, Geelen: 
meffen an! Daraus entftand eine Maffe- Banferotte und Proceſſe. 
Die letzteren wurden zulegt alle, auf Betrieb der Iefuiten, durd 
einen Gabinetöbefehl vom Auguft 1760 an die große Kammer de 
parifer Parlaments verwiefen. Aber aud bier wurde der Ordensge⸗ 
neral zur Zahlung verurtheilt. Diefe fcheint er nit, oder nur 
theilweife geleiftet zu haben. Es Enüpfte fi aber eine Unterfuhung 
der Wirffamfeit des Drdend an die Sade, die zuletzt mit feiner 
Aufhebung endigte. 


Jakob Cazotte. 413 


Werk, eigentlich ohne ſein Wiſſen und Willen, aber mit 
günſtigem Erfolge drucken. Die freundliche Aufnahme, 
die es fand, ermunterte ihn, auch zwei Novellen, die er 
gleichfalls zu Martinique geſchrieben: „Der verliebte 
Teufel“ und „Der Lord aus dem Stegreif“ in den 
Jahren 1771 und 1772 herauszugeben. In Frankreich 
fanden diefe drei Erzeugnifle feiner Feder, denen feine 
Gedichte und kleineren Novellen jedenfalls nachftehen, 
vielen Beifall und am meiften der Dlivier. Nach deut- 
ſchem Geſchmacke ift letzterer nicht, da er manierirt ift 
und für den Mangel einfacher Naturwahrheit nicht 
durch Zieffinn entſchädigt. Dagegen vercinigen fich in 
den genannten beiden Novellen Fünftlerifhe Anlage, 
reiche Phantafie und anmuthige Darftelung. Die No: 
velle: „Der verliebte Teufel” hat übrigend auch noch 
einen zweiten Theil gehabt, welchen Cazotte unterdrüdte, 
weit er fürchtete, er möchte dem Publicum zu ernſt 
werden. 

Dieſelbe Novelle ſollte aber noch einen ganz befon- 
dern Einfluß auf Cazotte's inneres Seelenieben haben. 
Er hatte darin feinen Helden dämoniſchen Verfuchungen 
ausgefebt und war dabei den Xehren der damaligen 
Dämonologie, wie er fie befonders aus Bodin ') und 
Bekker) geichöpft zu haben fcheint, fo treu geweſen, 


1) Der berühmte Publicift Johann Bodin (geb. zu Angers 1520 
oder 1530 + zu Zaon 1596), der Bater der franzöfiihen Staats⸗ 
wiſſenſchaft, der, außer feinen politifhden Schriften, aud eine den 
Geift der Zeit athmende Demonomanie (Paris, 1579, 4.), cin Thea- 
trum naturae universae (2yon, 1596) und das Heptaplomeres de 
abditis reram sublimium arcanis, welches legtere niemals vollftändig 
im Drude erfhienen, verfaßt hat. 

3) Balthafur Bekker, geb. zu Meglawier in Friesland 20. März 
1634, ward Prediger in DOfterlittend, Loenen, Werft, Zraneder und 
(1679) Amfterdam, aber wegen feiner trefflihen, aud ins Deutſche 

überfegten Schrift: Die bezauberte Welt, worin er mit den Waffe 


414 Jalob Cajotte. 


daß die Anhänger dieſer Lehren die Meinung faßten, er 
fei ein Gläubiger derfelben und befige ganz befondere 
Kenntnifie in dem Fache. Im dieſer Anficht fuchte ihn 
ein Zünger ded Martinez Pafquali auf und hoffte, durch 
ihn weitere Aufichlüffe in den geheimen Wiflenfchaften 
zu erhalten, erflaunte aber fehr, zu erfahren, daß es fi 
bei jener Novelle nur um ein Spiel der Phantaſie ge 
bandelt habe. Das feltfame Begegniß regte jedoch Ca⸗ 
zotte's Wißbegier auf und er benutzte die gefchlofjene 
Bekanntfchaft, um fich in die Geheimniffe der Martini- 
ften einweihen zu laffen. Was er da erfuhr, hat ihn zwar 
nicht zum Kabbaliften gemacht, wohl aber die bereits in 
ihm vorhandene und vieleicht durch die Abgeſchiedenheit 
feines Lebens in Martinique genährte Richtung zu reli⸗ 
giöfer Innerlichkeit und feine Empfänglichfeit für die 
Anerfennung einer überfinnlichen Welt befeftigt und ent- 
widelt. Er feßte feine Verbindungen mit den Philofo- 
phen und Schöngeiftern der Zeit fort, blieb aber ihrem 
Materialismus und ihrer Gemüthlofigkeit fremd. Webri- 
gend gab er noch, mit Hilfe eined arabifchen Mönches, 
Dom Chavis, eine Ueberſetzung arabifher Mährchen — 
auch mit eignen Dichtungen verwebt — heraus, welde 
eine Fortfekung der Zaufend und eine Nacht bilden und 
im 37. — 40. Bande des Cabinet des fees ftehen. 
Die Dper: Les Sabots feßte er, in Gemeinfchaft mit 
Rameau (dem Neffen), nach einem aufgegebenen Thema, 
in einer Nacht zuſammen. Seine gefammten Werke 
find 1816 zu Paris von Baſtien in vier Banden her- 
ausgegeben worden. 

Bei feiner Gefinnung konnte er fich auch dem Gange, 


— — — — — 





der geſunden Vernunft und chriſtlichen Liebe gegen den grauſamen 
Hexenglauben zu Felde zog, 1692 abgeſezt. Sr + 1698. 


Jakob Cazotte. 415 


den die franzöſiſche Revolution nahm, in Feiner Weiſe 
anſchließen, und fürchtete frühzeitig, daB fie moralifche 
Uebel in ihrem Gefolge haben werde, welche alle mate⸗ 
tiellen Vortheile, die fie in Ausficht fielen möge und 
die fie auch nur durch gewaltige materielle Opfer erfau- 
fen werde, überwiegen dürften. Ex fühlte das öffentliche 
Unglüd eines Unwetters, welches dad ganze alte Ge 
bäude der Geſellſchaft, ſtatt es zu reinigen, zerflörte, fo 
tief, daB er ſelbſt mit feiner Schwachen Kraft ſich ihm 
entgegenzumwerfen für Pflicht hielt. Der desfalls ange: 
tnüpfte Briefwechfel mit dem Secretair der Givillifte, 
Ponteau, ward entdedt und hatte feine Verhaftung zur 
Folge. Als in den Septembertagen die Mörder über 
ihn berfallen wollten, warf ſich feine fiebzehnjährige 
Zochter Elifabeth, die ihn in den Kerker begleitet hatte, 
zwilchen ihn und die Banditen und rief: „Ihr follt 
das Herz meines Vaters nicht treffen, bevor Ihr das 
meine durchbohrt habt.” Der Eindrud diefer ſchönen 
Aufwallung Eindliher Liebe auf das umftehende Volk 
war fo groß, daß die Mörder ihr Blutwerf nicht zu 
vollenden wagten, ja Cazotte mit feiner Tochter in Frei- 
beit geießt ward. Aber das Ungethüm der Revolution 
ließ fih ein Opfer, an deflen Blute es einmal geledt, 
nicht leicht entgehen, und ſchon nach wenigen Zagen 
ward Cazotte, hauptfächlich auf Pethion’d Betrieb, aber: 
mals verhaftet und vor jened Mördertribunal geftellt, 
wad man mit dem entweihten Namen eined Gerichts 
befleidet hatte. Selbft diefe Revolutionsrichter konnten 
dem Manne, deflen Leben fleckenlos und eine Kette der 
Liebe und Zugend gewefen, ihre Achtung nicht verfagen 
und felbft der öffentliche Ankläger zollte ihm in der 
Aeußerung: „warum muß ich Sie nach 72 Jahren tus 
gendhaften Lebens fchuldig finden? es genügt nicht, ein 


416 Jakob Eazotte. 


guter Gatte, guter Vater, guter Menſch zu ſein, man 
muß auch wiſſen, ein guter Bürger zu ſein,“) eine Art 
beuchlerifcher Anerkennung. Auch der Richter fagte: 
„Blide dem Tode ohne Furcht ind Angeſicht; denke, daß 
er nicht das Recht hat, Dich zu erfchreden; einem Men- 
[hen wie Du darf ein folcher Augenbli nicht bange 
machen.” Seine Verurtbeilung war natürlich entſchie⸗ 
den. Als er am 25. Sept. 1792 dad Blutgerüft be 
flieg, nachdem er Frau und Kindern fchriftlich das letzte 
Lebewohl gefagt, wobei er fie ermahnte: „meine Frau, 
meine Kinder, beweint mich nicht,. tröftet mich nicht, 
aber denfet daran, vor Allem niemald gegen Gott zu 
fehlen!‘ und nachdem er für feine Zochter Eliſabeth 
eine Locke abgefchnitten, rief er mit fefter Stimme: „Ich 
fierbe, wie ich gelebt babe, Gott und meinem Könige 
treu.” Dann rollte fein mit langen weißen Locken be 
decktes Haupt herunter und feine Haren ausdrucksvollen 
Augen erlofchen. Seine Heiterkeit und fein Glaube 
hatten ihn auch in feinen lebten Lebenstagen nicht ver- 
laflen und hatten auch auf feine Mitgefangenen tröftend 
gewirkt. Doc ftrafte er auch den Unglauben diefer und 
fuchte ihnen aus der Gefchichte Kain’d und Abel's zu 
beweifen, daß die Gefangenen glüdlicher ſeien als die 
Freien, wollte auch ihr jekiges Schickſal fchon in der 
Offenbarung St. Johannis begründet finden. ?) 
Veberhaupt kann es ihm nicht unerwartet gefommen 
fein, wenn die merfwürdige Weiffagung begründet ifl, 
welche Kaharpe °) von ihm erzählt hat. Laharpe namlid 


1) Was würden diefe Leute angefangen haben, wenn man den 
Sap umgedreht und gefagt hätte: zum guten Bürger gehöre vor 
Allem, daß man guter Sohn, Satte, Bater, Nachbar, Zreund, 
Menſch, Chriſt fei, und das dann gegen fie geltend gemadt hätte? 

2) St. Meard, Agonie de 38 heures. 

3) Nicht der Erzieher des Kaifer Alerander, fondern Johann 


Jakob Eozotte. 417 


will im Jahre 1788 mit Cazotte und anderen gefeierten 
Literaten und Notablen jener Zeit bei der Herzogin 
von Gramont ') einem glänzenden Mahle beigewohnt 
haben. Neben Laharpe ſaß Lamoignon-Maleöherbes, 
neben diefem Champfort, dann folgte Sylvan Bailly, 
dann Vicque d'Azyr, Nicolai und viele Andere, Herren 
und Damen, die Elite der parifer Geſellſchaft. Cazotte 
ſaß fchmweigend an einer Ede der Tafel und flarrte in 
dumpfem Brüten auf fein halbgeleertes Glas, nur durch 
die fich Drängenden Zoafte, bei denen er mechaniſch an- 
fließ, von Zeit zu Zeit aus feiner Lethargie geweckt. 
Als endlich die Gefellichaft, vom Weine erhikt, fih in 
immer feurigeren Lobreden auf die Philofophie und deren 
Sieg über den religiöfen Aberglauben ergoß, erhob ſich 
auf einmal Cazotte und ſprach in dem ernfthafteften 
Zone und mit geifterhaften Anſehen: „Meine Herren, 
freuen Sie Sich, denn Sie alle werden Zeugen jener 
geoßen und erhabenen Revolution fein, die Sie fo fehr 
wünfchen. Sie willen, daß ich mich ein Wenig auf das 


Zranz de Labarpe, Berfaffer des Warwick, der Melanie, des Mens» 
zitof und anderer Dramen, des Lycée, der Correspondence litteraire 
u. f. w., geb. zu Paris am 20. Rov. 1739, von feinen Eltern aus⸗ 
gefegt, + 11. Zebr. 18233. Er war erft wüthendfter Anhänger der 
Revolution, ward aber durch fünfmonatlihe Verhaftung im Luxem⸗ 
burg zu ihrem erbittertften Zeind. 

1) Beatrix de Ghoifeul- Stainville, geb. zu Luneville 1730, erft 
Stiftödame zu Nemiremont, 1759 mit dem Herzog von Gramont 
vermählt, Schweſter des Herzogs v. Choifeul, am 17. April 1794 
zugleich mit der Herzogin von Ghaftelet guillotinirt. In Bezug auf 
diefe ſprach fie vor dem Tribunal: „Daß mein Tod befchloffen ift, 
wundert mich nichts ich habe in gemiffer Maße die Aufmerffamfeit 
des Publicums befhäftigt, und wenn ich mich feit Beginn der Re 
volution in nichts gemiſcht habe, fo find doch meine Grundfäge und 
meine Art zu denken befanntz aber diefer Engel, worin bat er Euch 
beleidigt, der niemald irgendwem Unrecht gethan, deſſen ganzes Le⸗ 
ben nur cin Gemälde der Tugend und Wohlthätigkeit darbietet?“ 


18 ** 


418 Jakob Gazette. 


Prophezeien verftehe. Sie, Herr Eondorcet, werden aus⸗ 
geftredt auf dem Boden eines unterirdifchen Gefäng- 
niſſes den Geift aufgeben. Sie, Herr N., werden an 
Gift fterben, Sie, Herr N., auf der Blutbühne dur 
den Henker umkommen.“ Man rief ihm entgegen: „Ber 
Zeufel hat Ihnen denn das Gefängniß, das Gift und 
den Henker eingegeben? Was hat denn das alles mit 
der Philofophie und der Herrfchaft der Vernunft ge 
mein, weldyer wir entgegenfehen und zu der Sie und 
erſt Glück wünfchten?” „Das ift ed eben, was id 
fage,” verfeßte Cazotte, „im. Namen der Philofophie, 
der Vernunft, der Menfchheit und der Freiheit wird das 
alles gefchehen, was ich Ihnen angefündigt, ed wird 
gerade dann geichehen, wenn die Vernunft allein her: 
fhen und ihre Tempel haben wird.” „Wahrlich,“ ent 
gegnete Champfort, „Sie werben feiner von den Prie 
ftern diefer Zempel fein.” „Ich wohl nicht,” antwor: 
tete diefer, „aber Sie, Herr v. Champfort, der Sie 
einer derfelben fein werden und zu fein verdienen, Sie 
werden Sich mit dem Raſirmeſſer 22 Einfchnitte in die 
Adern machen und dann erft einige Monate nach diefer 
verzweifelten Operation flerben. Sie, Herr Bicque 
d'Azyr, werden Sich zwar, vom Chiragra gehindert, die 
Adern nicht felbft öffnen, aber Sie werden Sich die: 
felben von einem Andern in einem Tage fechs Mal 
Öffnen laſſen und in der Nacht darauf flerben. Sie, 
Herr Nicolai, werden auf dem Blutgerüfte fterben, Sie 
auch, Herr Bailly, und aud Sie, Herr Malesherbes.“ 
„Sott ſei gedankt!” rief Herr Richer,” es fcheint, Herr 
Cazotte hat ed nur mit der Akademie zu thun.“ Aber 
Gazotte rief ihm fogleich zu: „Auch Sie, Herr Rider, 
werden auf dem Blutgerüſt fterben, und Die, welde 
Solches gegen Sie und Ihreögleihen verhängen, werden 


Jakob Cazotte. 419 


insgeſammt nicht minder Philofophen fein.” „Und wann 
fol das alled geichehen?” fragten einige Anwelende. 
„Von heute an binnen längftens ſechs Jahren,“ war 
die Antwort. Laharpe ergriff nun das Wort und 
fragte: „Und von mir fagen Sie nichts, Herr Cazotte.“ 
Diefer erwiederte: „Mit Ihnen, mein Herr, wird ein 
großes Wunder gefchehen: Sie werden Sich befehren 
und ein guter Chrift werden.” Das löfte denn doch die 
Unbehaglichfeit der Geſellſchaft und Alles brach in früh: 
liches Lächeln aus. Nun faßte auch die Herzogin v 
Gramont Muth und fagte: „Da find wir Frauen doch 
befler daran, ald die Männer, denn wir werden bei Re 
volutionen nicht berüdfichtigt.” „Ihr Gefchlecht, meine 
Damen,” verjegte Cazotte, „wird Sie diesmal nicht 
fhügen, und wenn Sie Sich noch fo fehr vor jeder 
Einmifchung hüten, wird man Sie doch gerade fo wie 
die Männer behandeln. Auch Sie, Frau Herzogin, wie 
noch viele Damen vor und nach Ihnen, werden das 
Blutgerüfte befteigen müflen, und zwar wird man fie 
auf dem Henkerfarren, mit auf den Rüden gebundenen 
Händen, dahin abführen.” Lächelnd fagte die Herzogin, 
die das alles für Scherz balten mochte: „un, ich denfe 
doch, ich werde in folchem Falle eine ſchwarz ausge⸗ 
fchlagene Kutiche haben.” ‚Rein, Nein!” verſetzte Ca⸗ 
zotte, „der Henkerfarren wird Ihr letztes Fuhrwerk; 
noch vornehmere Damen, ald Sie, werden auf folche 
Weile zur Hinrichtung abgeführt werden.” „Doch nicht 
Prinzeffinnen vom Geblüte?” fragte die Herzogin. „Noch 
Vornehmere,“ antwortete Cazotte. „Aber man wird und 
doch wol einen Beichtvater nicht verfagen?” fuhr fie 
fort. „Doch!“ erwiederte er, „nur der Vornehmſte 
aller Hingerichteten wird einen Solchen erhalten.” „Aber 
was fol denn mit Ihnen felbft werden, Herr Ca⸗ 


4400 Jalob Cajette. 


zotte?“ fragten die Zuhörer, denen die Sache zuletzt 
doch etwas ernſt und unheimlich werden mochte. „Es 
wird mir ergehen,“ antwortete er, „wie es dem 
Manne erging, der in der letzten Belagerung das 
Wehe! über Jeruſalem und endlich auch über ſich ſelbſt 
ausrief, indem ein feindlicher Steinwurf ihn tödtete.“ 
Mit dieſen Worten verbeugte er ſich und verließ die 
Geſellſchaft. 

Laharpe hat dieſe Geſchichte allerdings erſt nach 
Erfüllung der darin enthaltenen Vorherſagungen und 
nach feiner eigenen Belehrung erzählt). Es iſt auch 
wenigſtens nicht ohne alles Auffällige, daB eine fo merk⸗ 
würdige Scene nicht zur Zeit ihres Vorkommens zu 
einiger Deffentlichfeit gelangte. Man bat daher das 
Ganze für eine Fiction Laharpe's ausgeben wollen und 
fein Zeftamentsvoliftreder, Herr Boulars, bat Dies in 
anfcheinend glaubwürdiger Weile beflätigt”). Auf der 
andern Seite hätte eine Fiction, welche ihre Scene in 
fo neue Zeit und in *eine fo zahlreiche und glänzende 
Geſellſchaft verfegt hätte, auch ihr Unmwahrfcheinli- 
ches, und der Englander Wilhelm Burt, welcher gleich: 
fald ein Zeuge derſelben geweſen fein wollte, beftä- 
tigte die Gefchichte in feinem nachgelaffenen Werke: 
„Observations on the curiosities of nature“ aus: 
drücklich. 

Das Wahrſcheinlichſte iſt wol, daß Cazotte nur 
eine allgemeine unheilverkündende Vorherſagung über 


1) In Deutſchland machte Jung-Stilling in ſeiner Theorie der 
Geiſterkunde (Nuͤrnberg, 1808) dieſe Geſchichte zuerſt bekannt. 
Vergl. auch Waſſermann, Der Magnetismus und die allgemeine 
Weltſprache. Creveld, 1822. — Steinbeck, Der Dichter ein Seher. 
Leipzig, 1836 

2) S. die Encyclopedie des gens du monde. 


Jakob Cazotte. 421 


en Bang der heranziehenden Revolution erhob '), Die 
Einzelheiten aber fpätere Ausſchmückung waren. 


1) Eine ſolche gab ein Schriftfteler ganz anderen Schlages, der 
Paul de Kod feiner Zeit, und den Adeen der Revolution, befonders 
brer Zrivolität jehr wahlverwandt, Netif de la Bretonne, fhon in 
en fiebziger Jahren, in der Novelle Les Allies, die ſich in feinen 
‚Contemporaines‘“ findet. 


II. Graf Bonneval. 


Aud ein entfchiedener Repräfentant des 18ten Jahr⸗ 
hunderts, aber ohne einen Zug der myſtiſchen oder 
phantaftifchen Beimiſchung, ftellte Graf Bonneval die 
ganze Frivolität, den gänzlihen Mangel an fittlichem 
Halte, welche die Zeit bezeichneten, ebenfo ftark hervor, 
wie er in den Gaben und Gefchidlichkeiten der Zeit ein 
Meifter war und auch von dem, was den fchlimmften 
Zügen der Zeit doch noch einen Reiz, eine Liebenswür⸗ 
digkeit beimifchte, Manches in feinem Weſen hatte. 
Vaterland und Religion waren ihm nicht nur gleichail- 
tig, feiner Eigenluft gegenüber, er fpottete auch die 
Mahnungen des Gewiſſens mit einem fchneidenden Witze 
hinweg, dem nichts heilig war und hüllte ſich in einen 
fih auf Alles erftredenden Skepticismus und Epiku⸗ 
räismus. Nur dem Princip der Ehre, in der Auffal- 
fung feiner Zeit, fonnte auch er fich nicht entziehen, und 
war tapfer, gewandt, überfprudelnden Eſprits und nidt 
ohne Gutmüthigkeit. Daß ihn übrigens feine Philofo: 
phie und feine Laufbahn nicht vollftändig zu befriedigen 
vermochten, leſen wir zwifchen den Zeilen eined Briefes, 
durch den er gerade den Beweis dafür führen wollte, 
daß er fich glücklich fühle, der und aber doch nur Zrö- 
“ zu enthalten fcheint, die darauf hinweiſen, daß 


| 
| 


Graf Bonneval. 433 


der Urheber bes Troſtes bedurfte. Der wahrhaft Glüd: 
liche gibt fich nicht fo viel Mühe, fi und Andern zu 
beweifen, Daß er es fei. | 

Claude Alerander Graf v. Bonneval wurde am 14. 
Juli 1675 zu Couſſac im Limoufin (nach Andern 1672 
zu Paris) geboren und flammte aus einem alten, ſelbſt 
mit den Bourbond verwandten Haufe Er ward erft 
bei den Iefuiten erzogen, die ihn aber nicht zu zügeln 
vermochten, und trat dann in das königliche Marine 
corps, wo er fich auszeichnete und bald befördert wurde. 
As der Marineminifter, Marquis de Seignelay, einmal 
die gardes marins infpicirte und den Bonneval wegen 
zu großer Jugend zurüdweifen wollte, fagte der Knabe: 
„einen Dann meined Namens caffırt man nicht,” worauf 
der Minifter ihn zwar doch caffirte, aber fogleih zum 
Schiffsfähndrich ernannte. Sein ganzes Xeben möchte 
in Diefer Laufbahn, die feinen Gaben entiprochen, feinen 
abenteuerlichen Sinn befriedigt und feine Fehler verdedt 
haben würde, eine andere und günftigere Wendung ge- 
nommen haben. Aber er ließ fich durch einige Zreunde 
beflimmen, in die Garde überzutreten, und kam damit in 
alle die galanten Abenteuer und Ausſchweifungen pa⸗ 
rifee Gardeoffiziers. Als jedoch der fpanifche Erbfolge. 
frieg ausbrach, 309 es ihn ins Feld, er trat in dad Re 
giment Latour ein und focht unter Catinat und Ven⸗ 
dome in Stalien, unter Boufflerd in den Niederlanden, 
überall fi) den Ruhm eines kühnen Parteigängersd er: 
werbend. Sein nichts fchonender Wit und feine ganze 
Lebensweiſe zogen ihm aber auch viele und gefährliche 
Beindichaften zu. Die Maintenon zürnte dem zügellojen 
Religionsfpötter und er ward 1704 bei der Beförderung 
übergangen, wobei man Erprefiungen, die er verübt ha⸗ 
ben follte, zum Vorwand nahm. Er reichte nun ein 


434 Graf Bomeval. 


Abſchiedsgeſuch ein, welches die ungemeſſenſten Beleidi⸗ 
gungen gegen den Kriegsminiſter Chamillard enthielt '), 
fodag er ſelbſt für gut gefunden hatte, den Beſcheid 
nicht abzuwarten, fondern nad) Deutfchland zu flüchten. 
Es ward ein Kriegdgericht niedergefeßt, Bonneval caf- 
firt und fein Vermögen confiscirt. 

Auf Empfehlung des Prinzen Eugen, der ihn auch 
ald Gegner achten gelernt hatte, kam er in öfterreichifche 
Dienfte und focht ald Generalmajor mit Eifer gegen 
fein Vaterland, nicht blos in Italien, wo er namentlich 
den Papft (1708) zur Nachgiebigkeit zwang, und in den 
Niederlanden, fondern auch auf dem eignen Boden 
Frankreichs, bei den Einfällen der Verbündeten in die 
Dauphind und Provence. Bei dem Frieden ward ihm 
vom Prinzen Eugen die Niederfchlagung feines Pro: 
ceffed und die Rückgabe feiner eingezogenen Güter aus— 
gewirft. In den Befiß der letzteren war jedoch fein 
Bruder getreten, und er bat ihn nicht Daraus verdrän: 
gen fünnen, oder wollen, Icheint übrigens nicht in Un: 
frieden mit ihm gelebt zu haben. Er blieb in öfterrei 
hifchen Dienften, ward Feldmarfchall-Lieutenant und 
Mitglied des Hofkriegsrathes, und nahm in dem ruhm: 
vollen Zürkenkriege des Prinzen Eugen an der Schlacht 
von Peterwardein (5. Auguft 1716) einen glänzenden 
Antheil, ward aber fchwer verwundet. Von feiner Wunde 
ftellte er fih in Wien her und wagte jeßt, von neuem 
Ruhme getragen, auch einen Ausflug nad Paris, wo 


1) Uebrigens ſprach jih auch in dieſem Schreiben fein Stande 
ftol; aus. Er fagte dem Minifter darin: wenn er nicht binnen 3 
Monaten für die ihm widerfahrene Beleidigung Genugthuung erbielte, 
fo werde er in die Dienfte Defterreihs treten, wo ale Minifter 
Männer von Stande wären und ihres Gleihen gebührend zu be 
handeln wüßten. 


Graf Bonnenal. 435 


: mit großen Ehren empfangen ward und ed gänzlich 
wgeflen ſchien, daß er als Franzoſe gegen Frankreich 
ckaͤmpft hatte. Nach dem Frieden lebte er wieder in 
Bien, bei dem Hofkriegsrath befchäftigt. Prinz Eugen 
febte aber im Frieden nicht jo Erfreuliched an feinem 
Schüglinge, wie im Kriege. Nicht blos, daß der An- 
oß, den Bonneval’d zügellofe Xebensweife und feine 
nfähigkeit, feine Zunge im Zaume zu halten, auch dem 
zönner manchen Verdruß bereitete, er fchonte auch 
iefen Gönner felbft nicht und machte ſich ihm nament⸗ 
ch durch ein zudringliches Einmiſchen in feine häusli⸗ 
ven Angelegenheiten läſtig. Eugen fand ed daher für 
ut, ihn ald Generalfeldzeugmeifter in die Niederlande 
s ſchicken. Bonneval jcheint fih von nun auch der 
lchtung und Pietät für feinen großen Beichüger, deflen 
yiten Abftand von ihm er überhaupt wol niemale 
eahnet, fondern Eugen für einen militärifchen Aben⸗ 
rer, wie er felbft war, gehalten haben mag, für ent⸗ 
oben erachtet zu haben. Wenn er in Brüffel mit dem 
Jouverneur Marquis de Pride, deflen Gemahlin und 
‚ochter ſich über die Königin von Spanien, die ihnen 
ie Etikette nicht fireng genug beobachtet, aufgehalten 
atten, in den ärgerlichflen Zwift gerieth, fo haben 
Ranche gemeint, Bonneval habe fich geflifientlih an 
emfelben gerieben, weil de Pride ein Günſtling Eugen’s 
ar. Sei ed nun, daß de Prie diefen Zuſammenhang 
mnte, oder daß er feine Stellung und fich felbft zu 
och hielt, um fich durch einen Mann von Bonneval’s 
Schlage ftören zu laſſen, er brachte durch die floifche 
tube, mit der er Bonneval's mündliche und fehriftliche 
Infälle aufnahm, dieſen fo in Harnifh, daß er ihm 
adlich eine Herausforderung zufchidte. Er ward nun 
erhaftet und nach Wien gefordert. Er ſelbſt behauptet 


426 Graf Bomeval. 


übrigens in einem 1741 an feinen Bruder gefchriebenen 
Briefe, daß fein Sturz nicht durch feine Handel mit 
dem Marquis de Price, fondern durch die Heransforde 
rung eined Höheren veranlaßt worden je. Er fagt: 
„mein ganzes Verbrechen beftand blos darin, dag ich 
den Prinzen von — — (Savoyen?) zum Duell her 
audgefordert '), weil er die Bande unſerer achtzehnjähri- 
gen engen Freundichaft zuerft brach und eine Erdid- 
tung gegen mich behauptete, die die Ehre einer tugend- 
baften Königin beleidigte, und das alled aus einer an 
gebornen Zeindichaft, welche er fein ganzes Xeben hin 
durch gegen Frankreich hegte und welche ich zur Zeit 
unferd vertrauten Umgangs taufend Mal ald eine un 
paflende Schwachheit an ihm getadelt habe.” Daß 
Bonneval nicht der Mann war, in deflen Weſen « 
lag, oder dem ed zugefommen wäre, in einer fallen 
Behauptung gegen die Ehre einer tugendhaften Königin 
den Bruch einer achtzehnjährigen engen Breundfchaft zu 
erkennen, verſteht fich, und mag daher diefer Streityunft 
ihm nur zum Vorwand gedient haben, einem aus an 
derweiten. Gründen vielleicht ſchon lange gefammelten, 
nicht unmwahrjcheinlich in Neid wurzelnden Grolle Luft 
zu machen. Doc wollen wir die Wahrheit des letzten 
Anführend nicht ganz in Abrede ftellen, und es al 
einen befleren Zug in Bonneval’s Charakter betrachten, 
daß er zwar gegen Frankreich Fämpfte, aber doch nod 
Franzoſe genug blieb, um Frankreich von feinem Dritten 
anfeinden hören zu eönnen, ohne fich darüber zu ärgern’). 


1) An Eugen hatte er allerdings, erſt vom Haag aus, ein Schrei⸗ 
ben gerichtet, was ein Andrer als Eugen als Herausforderung bes 
trachtet haben würde. Aber ſo wenig es Eugen beifiel, ihm ſolche 
Folge zu geben, fo wenig hätte es in deſſen Sinne gelegen, es 
zu räden. 

2) Während des utrechter Gongreffes Hat er ſich mit einem Fran 








Graf Bommenel. “497 


Statt von Brüffel direct nach Wien zu eilen, wie 
er angewiefen war, ging er erft nach dem Haag, bielt 
fih dort faft einen Monat auf und erregte durch häu⸗ 
figen Verkehr mit den Geſandten Frankreichs und Spa⸗ 
niend Verdacht. Auf der Weiterreife nach Wien ward 
er verhaftet, auf den Spielberg gebracht und vom Hofs⸗ 
kriegsrath — zum Tode verurtheilt. Der Kaifer mil« 
berte dieſes Urtheil in einjährige Haft auf den Spiel- 
berg und Verbannung. Nach Ueberſtehung feiner Haft 
wurde er, mit der Bedeutung, den deutichen Boden 
niemald wieder zu betreten, über die tiroler Grenze ge: 
bracht, und war fomit feine Laufbahn auch in Defter- 
reich geichloflen. 

Er ging zunächſt nach Venedig und foll Hier geſucht 
haben, in den Dienſt dieſer Republik zu kommen, für 
die er aber allerdings kein Mann war und wo ihn leicht 
eine baldige Bekanntſchaft mit den Bleikammern hätte 
erwarten können. Ste brauchte ernfle und vorfichtige 
Männer. Auch um ruffiiche Dienfte fol er fich bemüht 
haben, und würde er wol, wenn ibm Died gelungen 
wäre, manche Verwirrung angeftiftet, fchwerlich aber 
fein Leben jo ruhig und behaglich geendigt haben, wie 
in dem Dienfte der Pforte. Gewiß aber hat er um fo 
lieber gegen Rußland gefochten, wenn feine Dienfte erft 
von dieſem verfhmaht worden waren. Sein Hauptbaß 
war aber gegen Defterreidh. 

Von Venedig ging er nach Bosnien und warb zu 
Serrai, auf Verlangen eines dortigen üfterreichifchen 
Beamten, angehalten. Hier follen nun, wie wenigftens 
Bonneval in dem angeführten Briefe ſelbſt verfichert, 


zofen geſchlagen, weil diefer ed übel nahm, daß Bonneval geäußert, 
Ludwig XIV. ftrebe nad der Univerfalmonardie, aber glei darauf 
en mit einem Preußen, der vaffelbe geäußert. 


438 Graf Bonneval. 


„die Deutfchen große Summen geboten haben, um ihn, 
als einen Deutfchen, in ihre Hände zu befommen.“ 
Man kann fi wol denken, daß Deſterreich den Bon- 
neoal ungern in türkifche Dienfte geben ſah, fieht aber 
durchaus nicht ab, wie ed den aus feinem Gebiete Ber: 
bannten als feinen Angehörigen reclamiren Tonnte'). 
Er erzählt nun weiter, daß er 15 Monate lang in Haft 
gehalten worden fei und ſich vergebens an Den franzö- 
ſiſchen Gefandten, Herrn de Villeneuve, gewendet habe. 
Er ift überzeugt, daB eine Reclamation von dieſer Seite 
augenblicklich feine Freiheit erwirkt haben würde. Wille 
neuve aber babe fi) geweigert. Bonneval fagt in ber 
ihn bezeichnenden Weile: „Ich babe Feine Urfache für 
Diefe Weigerung finden können; Villeneuve müßte benn, 
weil er der Urenfel eines Juden aus einer Fleinen Stadt 
bei Avignon, aber zu fpat zur Welt gekommen war, um 
den Meſſias kreuzigen zu helfen, ein Vergnügen darin 
gefunden haben, einen Chriften verkaufen zu Fonnen.“ 
Denn er behauptet, DaB er nur deshalb zum Jslam 
übergetreten fei, weil er außerdem feine Freiheit ?) nicht 
zurüderhalten, ja zu beforgen gehabt hätte, feinen Fein- 
den ausgeliefert zu werden. Lieber hätte er fich für den 
Zeufel audgegeben, fchreibt er. Er wolle lieber fein, wo 
und wie er jest fei, als fich ald guter Chrift in Deutid 
land lebendig bangen zu laſſen. Möglich aber aud, 
dag er die Gefahr übertrieb, um feinen Uebertritt ferne 
Gamilie gegenüber, für die er dieſe Mittheilung be 
flimmte, beffer zu motiviren ?), daB es ihm aber nur 

1) Bonneval verfihert, daß es fi auf einen Artikel des paſſare 
wiger Zriedens berufen babe, wonad man fi Die auögetretenen Uw 
tertbanen ven beiden Seiten ausliefern wollte. 

2) Diefe wird dabei freilich in ihrem allerengften Sinne, in rem 


einer Befreiung von eigentlider Haft, genommen. 
3) So fagte er aud, er fei aus ganz anderen umd den beſter 


Graf Bonneval. 429 


m Anftellung im türkifchen Dienfte zu thun war, die er 
hne Erfüllung jener Bedingung nicht erlangen konnte. 
Denn daß er den Islam nicht deshalb angenommen, 
vie er Später fagte, um feine Zage in Nachtmütze und 
Zchlafrock hinbringen zu können, lehrte die Folge. 

Er trat 1730 zum Islam über, erhielt den Namen 
Ahmed und ward bald darauf zum Paſcha von drei 
Rößfchweifen und Chef des Bombardircorps ernannt. 
Er gab fi) nun, von einigen geſchickten Sranzofen und 
ſtalienern unterftügt, viele Mühe, eine Reform des 
ürkiſchen Militärweſens zu bewirken und fand bei dem 
Sultan Mahmud I. Beiftand. Defto mehr binderten 
er Neid der türkifchen Großen, die Ränke europäiicher 
Mächte, der Widerwille des türkifchen Volks gegen jeg- 
iche Neuerung. Einzelnes ift gebeflert, das Heerweien 
ſt wenigftend in etwas beflern Stand durch ihn geho- 
en worden und ed hat fich das auch fehr bald in den 
Erfolgen belohnt; aber troß der günftigen, den Werth 
eines Werkes bewährenden Erfolge konnte er Doch etwas 
Bründliched nicht durchführen. Auch fein politifcher 
Hinflug war feinen Wünfchen nicht entiprechend, woran 
ber zum Theil fein eigner ränkevoller und von perfün- 
ihen Stimmungen beherrichter Sinn die Schuld trug. 
fr wollte die Pforte vor allen Dingen gegen Defter- 
ech richten, deml er jetzt die Gaſtfreiheit, die ed dem 
a6 feinem Vaterlande Verbannten geſchenkt, dadurch 
ergalt, Daß er es zum Gegenftande feines glühendften 
daſſes machte. Er rieth beftändig, fich mit Rußland 


rfahen zu der Neife in die Levante beftimmt, und nur durch be⸗ 
ondere Fügung auf die ganz andere Laufbahn gebradt worden; er 
ürfe aber die wahren Urſachen nicht angeben, weil es fi dabei um 
Jerfonen von hohem Range handele, die er obne ihre Einwilligung 
icht verratben dürfe. Das feinen nur Winpbeutelcien. 


430 Graf Bonneval. 


zu verſtändigen und alle Kräfte gegen Deſterreich zu 
wenden. In gleichem Sinne wirkte der ungariſche 
Flüchtling Joſeph Rakoczy; aber Rakoczy und Bonne 
val vertrugen ſich nicht, und Erſterer war hauptſächlich 
darüber erbittert, daß Bonneval ſeinem Verlangen nach 
dem Titel des Fürſten von Siebenbürgen entgegentrat '). 
Außerdem fanden Rakoczy's Stallmeifter, Ilosway, und 
Bonneval's Secretair, Bon, im Solde des öfterreidi- 
chen Refidenten Zalmann, dem fie jedes mündliche oder 
fhriftlihe Anbringen, was ihre Gebieter an die Pforte 
richteten, fofort hinterbrachten. Auch fonft vertheibigt: 
Defterreich feine Intereffen erfolgreich mit der Wafft, 
mit der man in Konftantinopel, wo die politifchen In: 
tereffen fehr niedrig, die Geldvortheile fehr hoch ange: 
fchlagen wurden, fo viel ausrichten Fonnte: mit Gelb. 
Bonneval hatte den Plan entworfen, daß, während cin 
gegen Belgrad marfchirendes Heer die Aufmerkſamkeit 
der Defterreicher in diefer Richtung befchäftigte, ein an: 
dered nad) Bosnien rüden und in Steiermark einfallen 
follte. Zalmann vertheilte 1000 Ducaten an die rechten 
Stellen und der Plan fiel — in den Bosporus. 
Indeg was Bonneval’d Antreiben nicht bewirken 
konnte, das brachten die Feinde des osmanischen Reiche 
ſelbſt zuwege. Rußland hielt eine Zeit, wo die Zürfen 
mit den Perjern im Kriege waren und wo ed außerdem 
auf Defterreihd Mitwirkung rechnen Fonnte, für gele— 
gen, einige Schritte weiter in feiner natürlichen Auf: 
gabe, einer Erweiterung feined Gebietd gegen dad 
Schwarze Meer zu, zu machen. Defterreich vergaß die 
Großmuth, mit welcher die Pforte ed in feinen Be 


— — — — nn — — mn 


1) Rakoczy trug hier zuletzt noch den Sieg davon, aber freilich 
ohne bleibende Frucht. 


—XR 


Graf Bonneval. 431 


brängniffen geſchont und den zahfreihen Aufreizungen 
wiberftanden hatte, und trat, in der trügerifchen Hoff: 
nung, fih an der Pforte für das in Italien Verlorene 
zu entichädigen, ald hauptkriegführende Macht gegen die 
Türken auf, flatt fi) zu begnügen, Rußland bie flipu: 
lirte Hilfe zu leiften. Go waren die Türken gleichzeitig 
in Krieg mit Perfien, Rußland und Defterreich verwidelt. 
Auch war die Pforte felbft zum Kriege geneigter, feit 
ber weile Großvezier Ai Paſcha, hauptſächlich durch Die 
franzöfiihe Partei, feines Amtes enthoben und nad 
Griechenland entfernt worden war. Denn Ali Paſcha 
batte, theild aus der natürlichen Vorficht und Mäßigung 
feines Charakters, theils mit Rückſicht auf die Leere des 
Schates und die unzufriedene Stimmung ded Volks '), 
immer den Krieg mit europälfchen Mächten zu vermei- 


1) So heißt es in dem Tagebuche des Grafen v. Münnich über 
ven Feldzug von 1735 (Herrmann, Beiträge zur Geſchichte des 
ruſſiſchen Reiches, Leipzig, 1843, &. 117 ff): „Die barten Fol: 
gen derer bei Peterwardein und Belgrad in Ungarn in den Jah⸗ 
ren 1716 und 1717 erlittenen biutigen Niederlagen vrüdten die 
forte noch beftänvig, alle Schaggewoͤlber des vorigen Sultans wa⸗ 
ren audgeleert und der Schag Selims bis über die Hälfte heimlich 
angegriffen. Das Midvergnügen eines ftarfen Theils des Volks über 
vie vor wenig Jahren unternommene Regierungdveränderung war 
noch nit verglommen, und mußten die Glieder des Divand fi nod 
Immer unter befonderen Bedeckungen verfammeln. Das Bolf wollte 
den detbronifirten Shönen Sultan Achmed, der feinen hohen Stand 
fo wohl vorgeftellt, nicht vergeffen, und noch weniger feine Neigung 
defielben Better, dem neuen Sultan Mabmud, zuwenden, der ein 
Meiner übelgeftalteter blöder Herr und dabei miögeboren tft, indem 
ihm das männlide Glied aufwärts gegen den Nabel feſt gewadfen. 
Der über 20 Jahr entlegen geführte Perſiſche Krieg, die verſchiede⸗ 
nen Aufftände des Poͤbels zu Konftantinopel und die Griffe der Re 
sierung, den widerfinnigen Geift der Janitſcharen zu tilgen, hatten 
den Kern derfelben und der anderen Mannfchaft aufgerieben, und 
ZTachmas⸗Chan (Radir⸗Schah) gab in Perfien foviel zu fchaffen, daß 
obne Höhft empfindlichen Rachtheil zum Frieden dafelbft nicht zu ge- 
langen war” ©. a. a. 2. S. 130 ff. 








432 Graf Bomeval. 


den gefucht, in welcher Politik ihn der Rath der Ser 
mächte ') beftärkte. Jetzt aber trat der rafche und un 
erfahrene Ismael Paſcha, ein früherer Janitſcharenaga 
an feine Stelle und die Kriegspartei triumphirte. Mit 
vieler Mühe brachten die Seemächte einen Vermitte— 
lungscongreß zu Niemirow zu Stande, welcher währen 
des Krieges gehalten wurde und fruchtlos blieb. 

Dei alledem kam Bonneval nicht in eigentliche ha: 
tigkeit und erhielt nach keiner Seite bin eine Leitung 
des Feldzugs. Nur die Vertheidigung Azow's hätte 
man ihm wohl gern anvertraut und er ward in diefer 
Angelegenheit, „wider Gewohnheit,” in den Divan ge 
rufen ?). ber er erflärte offen: „er könne in Anfchlag 
des Hafles, den Die Ianitfcharen wegen feiner dem Sul- 
tan präfentirten Bataillond auf regulärem Fuß auf ihn 
geworfen, und wegen feiner Unerfahrenheit in der türkr 
ſchen Art, Krieg zu führen, weder das Commando in 
Azow noch ein anderes annehmen.” — Nicht Bon 
neval, wie Manche geglaubt zu haben fcheinen, war jener 
Ahmed Paſcha, der ald Paſcha von Bagdad den nidt 
zum Vollzug gekommenen Frieden zwifchen der Pforte 


1) Darüber fagt Münnid) (a. a. O. &. 159): „Die Engländer und 
Holländer, die mit ihren Tüchern und andern Waaren eine der confide 
rabelften Branden ihrer Handlung nad der Levante treiben, Fönnten 
nit gerne fchen, daß man die Pforte fo herunter bringe. Denn wenn 
3. E. die Türken, welche wie alle orientalifche Volker in der Bielheit 
der langen Kleider ihre Magnificenz ſuchten, ruinirt würden, fe 
müßten viele Zaufend Tuchmacher, fonderli in England, den Stuhl 
verkaufen. Dieſes fei die Urfahe, warum fi) die Secpüffancen, 
wenn es mit Nußland oder dem Röm. Kaiſer gegen die Pforte zum 
Kriege komme, fo eifrig um Mediation beftrebten, weil fie den Zrie: 
den alödann gemeiniglih nad ihrem Intereſſe abwägen, befondere 
aber fih vor einem ruffiihden Sommercio auf dem ſchwarzen Meere 
nah dem mittelländifhen, als wohin die ruſſiſchen Waaren größten: 
theils durch ihre Hände stugen, 1 fürqhten möchten.“ 

2) Münnich a. a. O. S. 


Graf Bonneval. 433 


und dem perfifhen Schah Zamafp vermittelte Nicht 
Bonnewal, fondern Topal Osman fehlug den Nadir 
Shah '), um nur zu bald, wie fein Nachfolger Abdul: 
lab Paſcha, von ihm gefchlagen zu werden, worauf Die 
Pforte den Frieden durch große Abtretungen erfaufen 
mußte. — Bonneval Eonnte in der Hauptfache nur 
durch Rathſchläge helfen, die zuweilen befolgt wurden, 
zuweilen nicht, im Ganzen aber gut geweien zu fein 
ſcheinen. So rieth er bei dem Einfalle der Ruſſen in 
Die Krimm, ſich vor jeder Schlacht mit ihnen zu hüten, 
wohl aber ihnen foviel als möglich die Xebensmittel ab- 
zuſchneiden“). Hauptlächlich aber drangte er immer zu 
einem Separatfrieden mit Rußland und daß man die 
Hauptmacht gegen Defterreih wende. Dad Erflere ger 
lang nicht, Das Letztere aber gefihah und war auch in 
der damaligen Zeit ganz richtig. Auf der ruffifchen 
Seite kämpfte das Land felbft noch für die Türken und 
mochten fie in befleren Zeiten das etwa Verlorene wie⸗ 
der holen. Noch waren die Pofitionen, in denen Ruß⸗ 
land begründete Macht befaß, zu fern von den Lebens⸗ 
punkten der Pforte, ald daB auch ein weiteres Leber- 
fihreiten der Grenzen eine bleibende Gefahr hätte drohen 
folen. Dan wendete fich daher mit Kraft gegen Defter- 
reich, ald gegen den Feind, auf den man am meiften 
erzürnt und Der zur Zeit der gefährlichte war. 

Diefer Krieg gegen Defterreich ging mit einem Glüde 
von Statten, wie ed die Waffen der Pforte ſchon lange 
vorher nicht und niemald nachher begleitet hat. Dieſes 
Glück kam auch Bonneval zu gute, deſſen Rathfchläge 
und feine Verdienfte um Organifation und Kriegszucht 


1) rüber als Samofp, Kuli Aban befannt. 
2) Münnich a. a. DO. &. 143 


1. 19 


434 Graf Bonneval. 


der türkiſchen Armee) man jetzt ſchätzen lernte. Bon⸗ 
neval ward zum Statthalter von Chios ernannt. In 
deß theild feine unvertilgbare Unvorfichtigfeit, theils die 
fteten Ränke feiner Neider brachten ihn bald wieder um 
Einfluß und Gunfl. Doc ift er niemals eigentlich ge 
flürzt worden. Er blieb Chef der Artillerie und ver 
taufchte nur die Statthalterihaft von Chios mit der 
von Karamanien. Won diefer Zeit an fcheint er fid 
ganz der Meppigfeit der Ruhe ergeben zu haben und 
fuchte fih und Andern wenigſtens einzureden, daß er 
dabei glücklich ſei. Daß aber feine Zufriedenheit feine 
ungemifchte war, blickte Doch durch. So ſchreibt er in 
dem angeführten Briefe: „Ich bin der Meinung, daf 
Gott nichts befchloffen bat, was nicht gut und heilſam 
wäre, und daß folglich der Tod bloß ein eingebildetes 
Uebel tft und weit mehr für ein wirkliches Gut gehalten 
werden follte, da er in der allgemeinen Ordnung ber 
Dinge begriffen ift, die der Schöpfer für alle Weſen 
eingeführt bat. Stolz auf diefe unleugbare Wahrheit, 
genieße ich freilich mein Leben, das wie ein Blig ver: 
geht und mir von meinem Schöpfer bloß zu meinem 
Glücke gegeben ift. Oft wiederhole ich die zwei legten 
Zeilen aus der Dde Malberbes’ auf den Tod: 
«Vouloir ce que Dieu veut, est l’unique ressource, 
Qui nous met en repos.» 

Vebrigend befinde ich mich vollfommen wohl. Sch habe 
weder dad Podagra noch den Schnupfen. Ich Fan 
noch reifen, als wenn ich erft 20 Jahre alt wäre, umd 
bin auch noch ein füchtiger Fußgänger. Nur derjenige 


1) Er hätte vieleiht noch mehr für dicfe leiſten können, wenn 
nit Rußland dic italienifhen und franzöſiſchen Offiziere, welche 
Bonneval zur Seite ſtanden, zum nedertritt in ruſſiſche Dienſte zu 
beſtimmen gewußt hätte. 


Graf Bonneval. 435 


Zeufel, der den heiligen Paulum quälte und ihm fogar 
Maulfchellen gab, hat mich verlaflen, und zwar zu mei- 
nem großen Verdruffe.” 

Doch ſchrieb er auch: „Meine alte Neigung zum 
Kriege wacht zumellen wieder auf, da ich noch Kräfte 
genug habe, noch manche Keldzüge mitzumachen.” Oder 
weiterhin: „Es iſt zwar wahr, DaB das allzu ruhige 
Leben, welches ich führe, einem Manne, der wie ich von 
feiner Jugend an in dem Getümmel der Heere und dem 
Geräufche der großen Welt gelebt hat, zumweilen auffänt, 
und Daß ich, wenn ich nicht eine gute Anzahl Bücher 
befüße, wenig meinem Gefchmade zufagendes Vergnügen 
haben würde.” Indeß er tröftet fich mit Benſerade's 
Worten über Hiob und feine Keiden: 

«Il s’en plaignit, il en parla, 
J’en connais de plus miserables.» 

Er fagt: „Hier thue ich, was ich will. Ich Iebe 
nach meinem Gefallen; mir geht nichts ab, ja ich kann 
fogar meine Reigung zur Verfchwendung befriedigen, Die 
man immer an mir getadelt hat. Bei allen Verfolgun- 
gen, die man gegen mich angeftiftet hat, habe ich weder 
meinen Appetit, noch meine Munterfeit verloren. Glück⸗ 
lich find Diejenigen, die ihre Philofophie im Blute ha- 
ben.” In demfelben Tone fchließt er: „Uebrigens, mein 
Bruder, lebet wohl, und erinnert Euch, daß es hienie⸗ 
den nichts als Narrheiten gibt, die man in Iuftige, 
eenfthafte, Eriegerifche, politifche, juriſtiſche, kirchliche, ge⸗ 
lehrte, traurige u. |. mw. eintheilen kann, daß aber nur 
die erften, nebſt einer fteten Deffnung des Unterleibes, 
uns ein vergnügtes und Ianges Leben verichaffen kön⸗ 
nen.” Ganz hatte er fich jedoch nicht von Europa los⸗ 
gemacht. Denn er fehrieb, nachdem er vorher bemerft 
hatte: „Ich habe mich zuleßt, mit einem vier Pfund 


19 * 


436 Graf Bonneval. 


fchweren Zurban auf dem Kopfe, einem langen Bartı 
und langer Kleidung, in der Türkei niedergelaflen, und 
hätte anfangs vor Lachen berften mögen, wenn ich an 
Die Urfache diefer Maskerade dachte, die mich eigent- 
lich nicht in dieſen Abgrund hätte ſtürzen follen,” er 
fei gleichwohl feinem ganzen Haufe feine Vertheidi- 
gung ſchuldig. 

Sin Einkommen belief fi noch zulegt auf 45,000 
hol. Fl. jährlich und neben demfelben foll er auch von 
europätfchen Höfen, bejonderd wol von Frankreich, An- 
fehnliches bezogen haben. Er hielt die befte Zafel in 
Konftantinopel und fümmerte fi) um die Speifeverbote 
des Alkoran nicht, während er, wol nicht um Des Alto: 
rand willen, die Wohlthätigkeit, welche diefer fo befon- 
ders einfchärft, allerdings in reichem Maße übte. Sei 
ner Neigung zu gefchlechtlicher Ausfchweifung Fonnte er 
fi) als Mufelmann, bis ihn das Alter binderte, mit 
doppelter Freiheit bingeben. Er fol zuletzt aber doch 
von einer Rüdfehr nach Europa gefprochen haben; aber 
die Boten des Todes meldeten fi) und er erkannte fie. 
„Die alte Mafchine,” fagte er, „geht zu Ende. Ih 
weiß, daß ich Diefen Weg ziehen muß, und er Fünmert 
mich wenig, ob ed heute oder morgen: gefchieht.‘ 

Er farb am 22. März 1747. Seine hriftliche Ge 
mahlin, Judith Charlotte Prinzeffin ’) von Biron, mit 
der er fi 1717 vermählt hatte und die in Frankreich 
geblieben war, war ihm fchon 1741 vorausgegangen und 
er hatte Feine Kinder von ihr. Einen jungen Mailän: 
der hatte er an Kindesftatt angenommen und bieder 
erbte nicht nur fein Vermögen, fondern aud) feine Stelle 


— 





1) Diefe Birons wurden allerdings erft 1723 in den Fürften | 
ftand erhoben. 


— 


Graf Bonnenal. 437 


ale Chef des Bombardircorps '). Der junge Mann 
war auch zum Islam übergetreten und hieß Soliman 
Aga?). Der Sultan ließ Bonneval ein prachtiges Denk⸗ 
mal in Pera feßen, worauf folgende Infchrift kam: 

„Hier ruhet Bonneval Achmed Pafcha, den Die 
ganze Welt Fannte. Er verließ fein Vaterland und 
Erbtheil, um den Glauben der Moslemin anzunehmen. 
Bei den Seinigen erwarb er fi) in der Welt Ehre; 
aber durch feinen Uebergang zu den Rechtgläubigen ge- 
wann er Ruhm in der Ewigkeit. Er war ein Weiſer 
unfrer Zeiten und hatte ſowol ihre Größe und Hoheit, 
als ihre Widerwärtigfeiten erfahren. Weil er Dad Gute 
und das Böſe an fich felbft erprobt hatte, jo wußte er 
das Schöne von dem Häßlichen zu unterfcheiden. Voll⸗ 
fommen überzeugt von der Eitelkeit aller menfchlichen 
Dinge, ergriff er ‚den glücklichen Augenblid, in Die 
Ewigkeit überzugehen, und tranf diefen Kelch in der 
Freitagsnacht, der Geburtönacht des Herrlichſten unter 
den Propheten. Died war die glüdliche Stunde, Die er 
fih erwählte, fich in die Hände der Barmherzigkeit zu 
geben. Das Paradies fei der Aufenthalt des Bonneval 
Ahmed Paſcha!“ Auf der tanderen Seite ded Grab: 
mals lad man: „Betet um Gottes Willen die Worrede 
des Alkoran für die Seele des Achmed Paſcha, des 
Dauptes der Bombardirer.” 


1) Mercure hist. Th. 123, &. 139. Bergl. Ebend. Th. 122, 
S. 490. (Ranft) Geneal. hift. Nachr. Th. 112, S. 299. — Die 
ihm zugefhriebenen Memoiren find uncht, und wie die bei feinem 
Leben erfihienenen Biographieen Bonneval's voller Unrichtigkeiten. — 

2) Einige geben ibn für einen Grafen de la Tour, zugleich aber, 
was wahrſcheinlich, für cinen uncheliden Sohn Bonneval's aus. 


XXl. Lord Lovat. 


In Lord Lovat begegnen wir einem Charakter, welcher 
von allen fo philoſophiſchen als myſtiſchen Vorurtheilen 
und Schwächen des 18ten Jahrhunderts frei war, aber 
auch der edleren Segnungen des Menſchenherzens er: 
mangelt zu haben und ein vollendeter grober Egoiſt ge⸗ 
weſen zu ſein ſcheint. Statt der abenteuerlichen, wenn 
auch mit, den einzelnen Fall geſchickt behandelnder Ge 
wandtheit gepaarten Unbeſonnenheit eines Bonneval, 
entfaltete er die raffinirteſte Klugheit, die doch nichts we⸗ 
niger als echte Weisheit war. Mit dem 18ten Jahr⸗ 
hunderte hatte er die finnliche Luſt, die ironifche Welt: 
verachtung, den Proteft gegen Die älteren moraliſchen 
Bindemittel und die nackte Selbſtſucht gemein, flellte 
dies alles aber in der eifernen Kraft einer früheren Zeit 
und in der befonderen Schärfe des fchottifchen Cha- 
rafters dar. 

Simon Frafer Lord Lovat, ein jchottifcher Peer, noch 
in den 70er Jahren des 17ten Jahrhunderts geboren, 
batte 1710, wegen einer groben geichlechtlichen Aus- 
fhweifung, fein Vaterland verlaffen müflen, war an 
den Hof von St. Germain, wo fih alle Unzufriedenen 
der britifhen Infeln fammelten, und der in ihrer Auf: 


BG nicht wählerifch fein fonnte, gegangen und ba 





Lord Leyet. 439 


ſelbſt zur römiſch⸗katholiſchen Kirche übergetreten. Da 
er aber Fein Herz für die jakobitiſche Sache hatte — 
wie überhaupt für Feine — vielmehr berechnete, DaB ihm 
Verdienfte um die in England berrichende Partei grö⸗ 
Bere Vortheile bringen Fönnten, fo hatte er Ränke ge: 
fponnen, welche entdedt wurden und ihn in die Baftille 
brachten. Wieder freigelaflen, trat er in den geiftlichen 
Stand und benahm fich äußerlich fo beuchleriich, Daß er 
fih in den beften Ruf eremplarifcher Frömmigkeit feßte, 
während er, ein wahrer Zartuffe, gleichzeitig in zahl: 
reiche Liebeshändel verwidelt war. Eben waren diefe 
in Begriff, ruchtbar zu werden und ihn an weiterer 
Sortfegung feiner Heiligenrolle zu verhindern, alö der 
Zod der Königin Unna (1. Auguft 1714) und das 
Belangen des Haufes Hannover zu dem britifhen Throne 
feinen Berechnungen eine neue Unterlage und ein neues 
Ziel bot. Er calculirte jebt, DaB die neue Dynaftie An⸗ 
hänger in Schottland brauchen, daß ſich Gelegenheit 
bieten werde, fich Verdienfte um fie zu erwerben, und 
daß er dadurch die Kolgen früherer Anftöße austilgen 
könne. Er war aber auch bereit, fich die gleichen Ver⸗ 
bienfle um die vertriebene Dynaftie zu erwerben, wenn 
ee fände, Daß deren Actien beffer ftänden, als die Han⸗ 
noverd. Er verließ den geiftlichen Stand und ging nach 
Schottland zurüd, wo er denn bald fand, daß die jafo- 
bitifche Sache zur Zeit Feine Ausfichten habe, und ſich 
Daher mit ganzer Kraft und Gefchidlichkeit dem unbe: 
fonnenen Unternehmen von 1715 entgegenſetzte. Dadurch 
fegßte er fich in fo guten Credit bei der Regierung, daß 
er nicht nur eine Amneftie für feine früheren Vergeben, 
fondern auch die durch ihren Befiger verwirften Güter 
der Lovats erhielt. Er ftand nun an der Spike dee 
mächtigen Clans der Fraſer, heirathete auch erſt eine 


440 Lord Lovat. 


Grant, die Tochter eines der bedeutendſten Häuptlinge, 
dann, nach deren Tode, eine Verwandte des Herzogs von 
Argyle, die ſich jedoch bald wieder von ihm ſcheiden 
ließ. So erweiterten ſich ſeine Verbindungen und ſein 
Einfluß nad) allen Seiten. Von der engliſchen Regie: 
rung zog er bedeutende Jahrgelder, und ward auch mit 
fonftigen Gunftbezeigungen derfelben überhäuft. Dan 
wußte in London fehr gut, daB man ihn bezahlen müfle, 
um ihn zu haben, und hatte den beften Willen und 
Stauden, ihn fehr gut zu bezahlen. Indeß das alles 
war ihm noch nicht genug, und hauptfächlich er wollte 
ſich von beiden Seiten bezahlen laſſen und nach beiden 
Seiten hin eine Thüre offen halten. Schon feit 1736 
ließ er fi) in die jafobitifchen Umtriebe ein, und als im 
Jahre 1739 der fpanifche Krieg erklärt ward, trat er, 
mit anderen fchottifchen Ebdelleuten, in Verbindung mit 
Frankreich, gegen welches man fich erbot, falls es ein 
Heer nad) Schottland bringe, 20,000 Mann dazu ftoßen 
zu laſſen. Der Cardinal Fleury fcheint Dem Unterneh 
men nicht ganz abgeneigt gewefen zu fein. Nach feinem 
Tode behandelten ed Die Franzofen nur als eine Art 
Popanz, da fie wohl willen mochten, daß die Sache der 
Stuartd auf immer in England verloren fei, und daß 
Englands innere Kraft zu gediegen fei, un Durch ſolche 
Verſuche mehr als vorübergehend erfchüttert zu werden. 
Der Pratendent aber, Karl Eduard '), faßte fehr erflär- 
lihe Hoffnungen, ging nad Paris, Tieß fi) von den 
Franzofen zu ihren Blendwerken gebrauchen, und als er 
endlih fah, daB man ihn immer nur hinhielt, ohne 
etwas Größered an feine Sache wagen zu wollen, fo 
war ed wohl erflärlich, daß er Den verzweifelten Ent: 


— 17%, + 31. Ian. 1788, beides zu Rom. 





Lord Lovat. 441 


ſchluß faßte, die Sache auf eigne Hand durchzuführen. 
Er vertraute dem wahren Enthuſiasmus eines begeiſte⸗ 
rungsfähigen, treuen und ritterlichen Volks und berech— 
nete nicht, Daß dieſe treuen Seelen wol das Heer bil- 
den und — im Falle des Midlingend die Opfer wer« 
den, Daß aber die Enticheidung von den Führern und 
von dem Stande der Kräfte abhängt. 

Den fchottiichen Verſchwornen und namentlich Lovat 
fam die Unternehmung des Prinzen höchſt ungelegen. 
Die Aufrichtigen unter ihnen hätten wol zu einer von 
Frankreich mit ganzer Kraft geführten Erpedition Ver— 
trauen gehabt und, wenn nicht den Sturz der Dynaftie 
in England, doch das Miedererringen einer ftaatlichen 
Selbftändigkeit Schottlands von ihr gehofft, aber fie 
fannten die Verhaltniffe zu gut, um zu glauben, daß 
auch nur dad von den bloßen eignen Kräften des in 
fih gefpaltenen Schottlands zu erwarten fei. Frankreich 
aber gab nichts, als ein wenig Geld, Waffen und die 
Erfaubniß für die in feinen Dienften ftehenden fchotti- 
{hen und irifchen Offiziere, dad Abenteuer mitzumachen. 
Lovat wäre wahrſcheinlich auch an einer franzöfiichen 
Erpedition nichts gelegen, fondern das Liebſte geweſen, 
wenn er auch ferner von Frankreich und dein Präten- 
denten durch Nahrung ihrer Hoffnungen Geld ziehen, 
durch Theilnahme an der Verfchwörung auf die Iafo- 
biten Einfluß üben, und zugleich von der Regierung ſich 
für den Verrat und die Vereitelung dieſer Plane be 
zahlen laſſen konnte. 

Indeß als Karl Eduard nach Schottland kam (1745) 
und im Anfang glänzende Erfolge hatte, mußte er ſich 
doch erklären, konnte er wenigſtens nicht gänzlich un⸗ 
thätig bleiben. Im Anfang zwar hielt er ſich zur Re⸗ 
gierung und begnügte ſich, ſeine Leute zu rüſten und be⸗ 

19 ** 


42 Lord Lovat. 


reit zu halten, indem er beide Theile hoffen ließ, daß er 
zu ihnen ſtoßen werde. Als aber bei Preſton Pans am 
1. October 1745 der wilde Muth der erhitzten Berg— 
fehotten über eine die Gegner unflug veradhtende Min: 
derzahl der Regierungstruppen gefiegt und damit die 
Hoffnungen der Aufftändifchen auf ſchwindelnde Höhe 
getrieben hatte, ließ Frafer feinen Sohn, der zu dem 
ganzen Unternehmen Feine Luſt gehabt haben fol, mit 
500 Clandleuten zu dem Heere de Prinzen ftoßen. 
Hier hatte der alte Fuchs nicht richtig calculirt. Jener 
Sieg war ein Zufall, ein Erzeugniß ded Augenblicks und 
darum nur auf den Augenblid wirkend; die Niederlage 
bei Sulloden, 27. April 1746, war der Ausdruck de 
wahren Standes der Verhältniſſe und darum ent 
feheidend. 

Lord Lovat felbft mußte in Die Gebirge flüchten und 
ward in einem hohlen Baume ergriffen. Jetzt begann 
er die Rolle, in der der adhtzigfährige Greis noch zum 
legten Mal all feine Heucheffünfte entfaltete, um fid 
wo möglih aus den Schlingen feiner Feinde zu be 
freien, fei ed durch die Gunft der Großen, fei ed durch 
den Einflyß der öffentlichen Meinung, im ungünftigften 
Galle aber fih doch noch an feinen Gegnern durch das 
Ddium, das er ihnen zuzog, zu rächen und mit einem 
beſſeren Ruhme aus der Welt zu gehen, ald den er im 
Leben genoffen und verdient haftee CE muß in den 
alten Zeiten öfters folche zähe und aalgleiche, proteus: 
artige Charakter gegeben haben, und die deutſche Poefic 
des Mittelalters hat einen folchen in einem der größten 
Kunftwerke der Welt gefeiert; in Neinede dem Fuchs, 
dDefjen treues Abbild Lord Lovat war. 

Zunächft verfuchte er ed, ob er nicht die Sieger be- 
ſchwatzen fünne, und fchrieb 22. Juni / 3. Juli an den 


Lord Lovat. 443 


Herzog von Eumberland Folgendes: „Durch dieſes un- 
terthänige Schreiben wendet fi) an Ew. königliche Ho- 
heit der unglüdliche Lord Simon Frafer von Lovat. 
Ich würde mich nicht unterftehen, Em. königliche Hoheit 
um die geringfte Gnade zu bitten, wenn nicht der größte 
Theil der der Regierung zugethanen Einwohner des 
Landes, wie der Lord Prafident und Die damaligen An- 
hänger des Hofes, fich noch erinnern müßten, daB ich 
1715 zur Unterdrüdung der Rebellion, mit Gefahr mei- 
ned Lebens und Verluft meines einzigen Bruders, Em. 
königlichen Hoheit Familie mehr wefentliche Dienfte ge: 
feiftet, ald irgend eine einzige Perfon meines Standes 
in ganz Schottland. Ich wurde bei diefer Gelegenheit, 
im Namen des Königs, meined Herrn, durch den Gra- 
fen von Stanhope, damaligen Staatsfecretair, mit drei 
Schreiben beehrt, worin Se Majeftät mir ganz bejon- 
dere Beweile ihrer Gnade gaben, die das ganze Vater: 
land zu einer unverbrüdhlichen Zreue hätten bewegen 
follen. Ihre Majeftät ließen es auch nicht bei bloßen 
Worten bewenden. Als ich bei Hofe anlangte und Sr. 
Majeftät durch den verflorbenen Herzog von Argyle 
vorgeftellt ward, erlangte ich von Stufe zu Stufe einen 
fo hohen Grad königlicher Huld, wie man noch an kei⸗ 
nem einzigen Schotten wahrgenommen, und hafte zum 
Öftern Die Ehre, in den Parks von Senfingfon und 
Hamptoncourf Ew. Eönigliche Hoheit auf den Armen 
zu haben, um Sie St. föniglihen Majeftat, welche für 
Solche, fowie für die Föniglichen Prinzeffinnen, befon- 
dere Zärtlichkeit zeigten, zu einer großväterlichen Umar- 
mung darzureichen. '). Ich beichwöre Sie Daher, mein 


1) Man kann über den alten Fuchs, der folde Grinnerungen 
anzieht, ärgerlid werden und feine Untreue doppelt ftrafbar fin- 


444 Korb Lovat. 


Herr, ſich von den betrübten Umſtänden, worin ich mich 
befinde, rühren zu laflen und mir Merkmale Ihrer Güte 
und Großmuth zu geben. Sollte ich die Ehre haben, 
bei Ew. Föniglichen Hoheit zum Handkuß gelafien zu 
werden, fo würde ed mir nicht ſchwer fallen, Sie zu 
überzeugen, daB ich Dem König und der Regie: 
rung noch ſolche wesentliche Dienfte zu leiften 
im Stande fei, wie man fi von dem Elend neunund: 
fiebzigjähriger Greife, wie ich bin, der ich noch dazu allen 
Gebrauch meiner Hände und Füße bereits verloren, 
wol nimmermehr vorftellen ſollte. Ihr königlicher Herr 
Vater, mein allergnädigfter Herr, war im Sabre 1715, 
in Vergleich mit und, noch fehr jung, ald ich Demiel: 
ben eine Fürbitte für den Lord Macintofh knieend zu 
überreichen und Seinen Schuß für denfelben zu erbit- 
ten, die Ehre hatte. Ihro Majeſtät geftanden felbigen 
zu und gaben die Begnadigung Dero Kammerherrn, 
Karl Katheart, mit Befehl, fie in meine eignen Hände 
zu liefern, Damit ich foldhe gedachtem Lord zuftellen 
fünne. Es ift Diefes unter fo vielen. Zeichen der Güte 
nur Eines, womit Se. Majeftät '), während der Abwe: 
fenheit des Königs in Hannover, mic) zu begnadigen 
beliebt haben, und ich zweifle nicht, daB das Blut, 
welches in den Adern Ew. Föniglihen Hoheit wallt, 
eben fo großmüthig und mitleidig fei.‘ 

Es half aber nichts. Lovat ſaß erft im Fort Wil: 
beim, dann im Hort Auguft und ward im Auguſt nad 
London gefchafft, worauf im November das Unterhaus 


den. Aber e5 ift allerdings eine fhwere Aufgabe, einen Mann, der 
folhe Beziehungen anführen Fann, köpfen zu laffen. 

1) Hier ift der 1745 regierende König Georg IT., Vater des Ders 
zogs von Gumberland, Großvater Georgs III. Sohn des 1715 re 
gierenden Königs Georgs I. gemeint. 


— 


Lord Lovat. | 445 


ihn bei dem Oberhauſe wegen Hochverraths belangte. 
Bei diefem Prozeſſe fuchte er nun alle Chicanen hervor, 
ihn fo lange ald möglich hinauszuziehen, fo daß er der 
Krone an 10,000 Pf. St. gefoftet haben fol. Als end- 
lich alles nichts Half, ſpeculirte er nur noch auf die öf- 
fentliche Meinung, welche über die, fobald man nidht an 
die Zeiten der Stuartd dachte, zahlreihen Bluturtheile 
allmälig unmuthig ward. Bei der Schlußverhandlung 
vor den Schranken des Oberhaufes zeigte er fich demü- 
thig und ergeben und machte nur fein Alter, feine Ge- 
brechlichkeit, feine Hilflofe age, die Erbitterung feiner 
Feinde, feine Zaubheit, Die Schwäche feiner Stimme in 
fo weitem Raume und vor fo großer Verfammlung, 
endlih das Anftrengende und Ermüdende des ganzen 
Verfahrens geltend. So fand der argliftige Mann mehr 
Theilnahme im Wolfe als viel Beſſere. Der Prozeß zog 
fi) Iange hinaus. Dennoch ward er Ende März 1747 
vom Dberhaufe des Hochverraths fchuldig erflärt und 
zum &ode verurtheilt. Wie gewöhnlich ward, ftatt der 
barbarifchen Strafe des Hochverraths), im Wege der 
Strafverwandlung die Enthauptung mittelft Beiled ver: 
bängt. Nach Anhörung des Urtheild hielt der Lord eine 
kurze Rede an das Gericht, die voll beißenden Spottes 
war. Seine Freunde bemühten fi, ihm Begnadigung, 
oder doch Aufihub der Vollziehung des Urtheild auf 
fünf Jahre, während welcher fie feinen natürlichen Tod 
erwarteten, zu erwirfen, und da der Wunfch, einen recht 
fchlechten Menfchen recht hart beftraft zu fehen, zwar 
natürlich, aber Doc auch falih und unvernünftig, und 


— — — 


1) Die Strafe des Hochverräthers war eigentlich, daß er erſt ge⸗ 
hängt, halb todt wieder abgeſchnitten, die Eingeweide aus ſeinem 
Leibe geriſſen und verbrannt, fein Kopf abgeſchnitten und ver Leib 
geviertheilt wurde. 


446 Lord Lovat. 


eigentlich ſchon ein Zug von Rachſucht und Haͤrte iſt, 
vielmehr bei dem Anblick eines recht ſchlechten Menſchen 
nur der Wunſch ſeiner recht gründlichen Beſſerung in 
uns erwachen ſollte, wir auch gar nicht wiſſen können, 
ob die ſogenannte Todesſtrafe wirklich eine Strafe iſt, 
fo hätte man ihnen die Erfüllung ihres Verlangens 
wol gönnen mögen. Ein feltiamer Umſtand war es 
Dabei, daß ein Menich, von dem wir nicht wiflen, baf 
er irgend einen Zufammenbang mit Lovat gehabt, den 
auch Feine Theilnahme für denfelben geleitet zu haben 
ſcheint, durchaus ftatt Lovat's zu flerben begehrte. Es 
war dies ein gewifler John Painter aus dem St. Johns: 
collegium zu Oxford. Er richtete Schreiben an den K: 
nig, an den Grafen Chefterfield ') und an Mr. Pelham?). 
Daß er für Lowat feine Theilnahme fühlte, ergab fih 
aus diefen Schreiben ſelbſt. Dem König fchrieb er, er 
möge. den unwürdigen Verräther, der um das Leben 
bitte, mit dem Xeben ftrafen, ihn aber fterben laſſen. 
„Laſſen Sie mich,” fchrieb er, „dad Haupt auf den 
Block legen und furchtlos jenen Streich empfangen, 
von welchem ich wahrhaftig glaube, Daß er die Sede 
vom Leibe trennen und damit von al ihrem Elende be 
freien werde.” An Lord Chefterfield ſchrieb er: er bitte 
um weiter nichts, ald daß Lovat und feine Familie, 
wegen des großen Verbrechens der Rebellion, deflen 
dDiefer Lord überführt worden und weshalb diefer Ber: 
räther ganz rechtmäßiger Weile zum Zode verurtheilt 


1) Der berühmte Berfaffer der Letters to his son, Philipp Dor: 
mer Stanbope, Graf v. Shefterficld, geb. 22. Sept. 1694, + 24. 
März 1773. 

2) Henry Pelham, Bruder des Herzogs von Newcaftle, lange 
Mitglied des Minifteriums Walpole, dann zur Sppofition überge 
treten und 1743 Nachfolger Walpole’s, + 1754. 


Korb Lovat. 447 


worden, begnadigt werden und daß man ihm dagegen, 
zu völliger Genugthuung für die Schuld dieſes Lords, 
den Kopf abfchlagen möge. Dabei war diefem Wahn- 
finne Humor beigemifcht. Der gleichfalld wegen des 
fchottifchen Aufſtandes bingerichtete Lord Kilmarnod 
batte bei Befteigung des Schaffotted gefagt: „Herr, das 
ift erſchrecklich“ In Bezug darauf fchrieb Painter an 
Lord Chefterfield: „Mylord, ich Tann ungefcheut die 
Verficherung geben, daß ich in Betreff der Gnade, um 
die ih Sie anfpreche, Ihnen durh Mangel an liner- 
fchrodenheit bei dem Anblicke des Todes Feine Schande 
machen werde, und DaB alle Zeufel des Milton, mit 
allen Geiftern der bei Eulloden erfchlagenen Schotten, 
wenn fie befehworen werden könnten, zur Stelle zu kom⸗ 
men, mich nimmermehr bewegen follten, bei Befteigung 
des Schaffotd zu fagen: Herr, Das ift erfchredtich.” 
In dem Schreiben an Mr. Pelbam bob er befonders 
hervor, daß er eine Gefälligfeit beanfpruche, binfichtlich 
deren er gar fehr zweifle, ob noch fonft Semand ſich 
mit ihm darum Mühe geben werde, wo er vielmehr 
glaube, daß Fein einziger Menjch weiter in der ganzen 
Nation Sei, der fie annehmen möchte. Dad aber fcheint 
der Keim dieſes Wahnſinns geweſen zu fein, daß Pain- 
ter beweiſen wollte, er fürchte den Tod nicht, und ſich 
viel darauf einbifdete. 

Lovat erhielt Feine Gnade. Die Nachricht, daß der 
Tag feiner Hinrichtung beftimmt fei, trübte feine Hei⸗ 
terfeit keinen Augenblid und er beobachtete vielmehr von 
nun an die Haltung eines yphilofophifchen Spöüttere. 
As fein Wörter ihn einige Zage vor feinem Zode 
fragte, ob er weißen oder rothen Wein wolle, antwor- 
tete er: „feinen weißen, wenn ihr nicht wollt, daß ich 
mit einem Larirmittel im Leibe vor dem Blod er: 


448 arı Saat 


eme Gi der Min des Zewer ibn fragte, was 
= za. meer ee: ‚We Gute, denn ich be 
erz mi zz men Tr, we fc leicht fan: Majors 
au ’or ren Gemriiizuernants bingchen.“ Cr übte 
ah fırmi:h en, Ye Rees on der Tragẽdie mir An- 
Sin? :ı 'stior Am Tage ver kinem Tede ſprach cr 
ac zum Sa Serhenter Areunde uber die ins Par—⸗ 
limmr zehrsähte Bl wezm Aufhebung der ſchottiſchen 
Ersmisritcfen a ſagte: er wände, daß all 
Harzer, die für dieſeibe Kummm würden, den Durdfall 
kerzmeı misten Gr erlangte, daß fein Leichnam 
nach Schettland gebracht und in ſeiner Familiengruft 
in ter Kirche zu Kirkhill beigeſezt werden ſolle. Cr 
habe zwar früher in ſeinem Teſtamente verordnet, daß 
die Pftijer und Rufikanten von Edinburgh vor feinem 
Sarge ber friden fehlten; das werde jekt freilich nicht 
wohl angchen, indeB vertraue cr doch, daß die guten 
alten Weber in feinem Lande ihm zu Ehren cin Kla— 
gelied anſtimmen wurden Dos Schaffot beflieg er am 
20. April 1744 mit volliger Heiterkeit, fprach feinen 
Freunden Muth und Zroft zu, erinnerte an das dulce 
et decorum est pro patria mori und legte, nachdem 
er noch die Worte des Dvid recitirt: 

» Nam genus et proavos et quae non fecimus ipsi 

Vix ea nostra voco« !) 
fein altes graues Haupt auf den Blod, wo ed der Scharf: 
richter mit einem einzigen Streiche vom Körper trennte?). 

1) Denn den Stamm und die Ahnen und was wir nit felber 

vollbrachten, 
Nenn' ich das Unſrige kaum. — 

2) Memoirs of the Life of Lord Lovat; London, 1746. Mere. 

hist, Th. 122, S. 440 und 545. (Ranft) Gencal. Hiſt. Nad: 


x 118, &. 889, Th. 119, 6. 1016, 3. 1%0, ©. 1073. 





XXI. Spufgeihichten am Eurtrierifchen 
ofe, 


Der Hof zu Ehrenbreitftein war noch im 18ten Jahr: 
hunderte mehrfach Die Scene von Spukgeſchichten. Dft 
wenn 3. B. der Kurfürft Iohann Philipp ') am fpäten 
Abend, in fein Brevier vertieft, durch die Gemächer 
fehritt und zulegt in Das äußere Vorzimmer gelangte, 
fah der wachthabende Gardift durch die Glasthüre einen 
Herrn in grauem Rod zur Seite ded Kurfürften, der 
fih, troß feines ernften Weſens, auffällige Freiheiten 
mit dem Fürften herausnahm. inftmald bemerkte der 
Gardiſt fogar, daß der verdächtige Fremde einige Schritte 
hinter dem Kurfürften zurüdblieb und ihm Schnippchen 
ſchlug und Nafen drehte. Da Fonnte fich der ehrliche 
Soldat nicht enthalten, Die Thüre aufzureißen, um den 
frechen Spötter zu faflen, erftarrte aber zur Bildfäule 
und flarrte offnen Mundes, ald er den Kurfürften ganz 
allein fah und Diefer, fi) herumdrehend, nach der Ur: 
fache des ungebührlichen, ungeſtümen Eintretend fragte. 
„Ich babe mich fo erfchredt um Ew. Kurfürftliche Gna⸗ 
den,“ ftanımelte der Gardift, „der frevelhafte graue 

1) Zohann Philipp, Freiherr v. Walderdorf, geb. 24. Mai 1702, 


Goadjutor zu Trier 11. Juli 1754, Sturfürft 18. Ian. 1756, Bi⸗ 
fhof zu Worms 20. Juli 1763, + 12. Ian. 1768. 


450 Spukgeſchichten am Eurtrierifhen Hofe. 


Rod” — „So, ift der wieder da gewelen? das ift ein 
alter Bekannter,” entgegnete der Kurfürft, und hieß den 
Soldaten auf feinen Poften zurüdgehen. 

Bedeutfamer war eine andere Vifton, deren Gewährs- 
mann der alte Obriftlieutenant Alerander Friedrich v. 
Zrautenberg war. Diefer hatte ald Leibpage Die Auf- 
wartung bei dem Kurfürften, ald der Gardeobrift v. Eh 
renfeld eine befremdliche Ausfage des Gardiften rappor: 
tirte, der in der vorhergehenden Nacht in der Außerften 
Antichamber auf Poften geftanden hatte. Diefer Gar- 
dift ſah namlich gleich nach Mitternacht einen Mann, 
den er für den Kurfürften hielt, von mehreren Gavalie 
ren begleitet, unter Vorantritt zweier Pagen, Deren Je 
der eine Girandole. trug, den Haupfgang berabfommen 
und raſch an ihm vorübergehen. Anfangs Dachte er 
nichts Arges, fpater aber fiel es ihm bei, Daß er von den 
vielen Perfonen auch nicht einen Tritt gehört, und daß 
der Kurfürft ungemein bla und mager auögefehen habe. 
Der Kurfürft gab hierauf, nach augenblidlichem Schwei: 
gen, Befehl, daß in der nächſten Nacht derfelbe Mann 
Denjelben Poften einnehmen, genau auf Alles merken und 
zumal Darauf achten jolle, wohin ſich die Geſellſchaft 
wenden würde. Gr folte einen Kameraden zu fich neh 
men, was er aber ablehnte‘). Wie das vorige Mal, 
famen zuerft zwei leuchtende Pagen, dann ein Kurfürft 
mit langem weißen Bart, in einen prächtigen Zalar 


1) Das kann ein Beweis des Muthes fein, Fönnte aber aud auf 
den Verdacht führen, daß der Hatſchier — ein Windbentel geweſen 
fei. Möglich aber au, daß er den Kurfürften auf cinem Geheim⸗ 
gange belauſcht hatte, und daß das Weitere eine Myftification war, 
durch welche man ihn in dem Gedanken beftärken wollte, er habe 
Geifter gefehen. Doch woher wäre dazu die Räumlichkeit gekommen, 
von der wir hören werden? 


Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hefe. 451 


gekleidet, bierauf fein Gefolge. Die Thüren des Vor⸗ 
simmerd, in Das fie eintraten, blieben offen und der 
Hatfchier folgte ihnen nah. ALS fie im dritten Zimmer 
angefommen waren, wendeten fie ſich rechtd und bier 
zeigte fich an der vergoldeten Zapetenwand eine fonft 
nicht Dafelbft zu bemerkende Thüre. Die Pagen mach⸗ 
ten Spalier, der Kurfürft fchritt hindurch, die übrigen 
Herren und zulegt die Pagen folgten. Auch der Hat- 
ſchier fchlüpft endlich durch die Thüre und tritt auf 
einen Balken, von den er in den weiten Raum einer 
von Menichen erfüllten Kirche fchaut. Im Chore niet, 
dem Grabftein den Rüden zuwendend, ein in lange 
Sewänder gehüllter Dann, über deflen Haupt drei Bi- 
ſchöfe eine Krone halten. Da erfcheint auf der entge⸗ 
gengefegten Seite die Wache; der Hatfchier fchlüpft zur 
Zhüre heraus ') und Thüre und Alles ift verichwunden. 
Der Kurfürft fragte den Gardiften, ob er fich erinnere, 
den ihm erfchienenen Kurfürften fchon fonft geſehen zu 
haben. Der Gardift glaubte das, und als ihn nun der 
Kurfürft nach dem Speifefaal führen ließ, wo die Bild⸗ 
nifle der alten Kurfürften hingen, erkannte der Gardiſt 
feine Ericheinung in dem Bilde des Kurfürften Philipp 
Chriſtoph. Bald darauf kam die Nachricht, daß Kaifer 
Sranz I. am 18. Auguſt 1765 geftorben fei und die 
Krönung Joſephs II. bevorfiche. Das hatte denn die 
Bifion bedeutet. 

Im Herbfi 1767 wurde eifrig an einer Umgeſtal⸗ 
tung der Purfürftlihen Winterwohnung gearbeitet. Jo⸗ 
hann Phuipp betrieb die Arbeiten felbft und befuchte 
täglich in den Mittagsftunden den dabei befchäftigten 
Zapezier. Eines Tages fand er ihn am Zuße der Lei⸗ 


I) Warum? 


452 Spulgeſchichten cm kurtrieriſchen Hofe. 


ter wie todt liegen. Er fchaffte ſchleunigſt Hilfe herbei, 
aber ed währte lange, bevor er ein Lebenszeichen gab, 
und erft am andern Morgen Ponnte er erzählen, was 
ihm begegnet fei. Da berichtete er denn: es ſei ein 
Herr in rotbdamaftenem GSchlafrode hereingefommen, 
den er für einen Hofcavalier gehalten und eine ſtumme 
Reverenz gemacht babe. Diefer aber habe ihn gar grie⸗ 
felig angeblickt und mit einem boshaften Lächeln gefagt: 
„Du machſt Dir da viel vergebliche Arbeit; ein andäch⸗ 
tig Vaterunſer zu beten, follte Dir und ihm wol die- 
licher fein. Wille, daB Derjenige, für den Du dide 
Zimmer fchmüdeft, fie nicht beziehen wird.” Erfchroden 
babe er ein Kreuz gefchlagen und das Vaterunſer be 
ginnen wollen. Da fei die Geftalt in Rauch zerfloflen, 
ein fchallendes Gelächter ertönt und er bewußtlos von 
der Leiter gefallen. Das geſchah am 16. November 
1767; am 25. erkrankte der Kurfürft und flarb am 
12. Januar 1768. 

Am berufenften aber war die Silberkammer im nörd: 
lichen Flügel des Schloſſes. Hier ſah man zahlreiche 
Verfammlungen, unheimliche Geftalten, bald einzeln, bald 
in Zügen herausfommen, hörte feltfame Töne und fremde 
Sprachen, fah die Fenſter beleuchtet, fand Die verfchlof 
fene Thüre offen, fur; Spuf über Spuk. Es hatte aber 
auch in diefen Räumen 1631 und 1632 der M. Felir 
Wendrownikius gewohnt, deflen oftenfibelftes Gewerbe 
— die Goldmacherei war, während ihn Manche für 
einen Agenten Bethlen Gabor’d hielten. Dies nahm 
die Hofleute, welche die Praktiken ihres Herren mit den 
Franzoſen und deren Verbündeten nicht billigten, gegen 
ihn mächtig ein und fein befonderer Feind war der fonft 
bei dem Kurfürften überaus einflußreiche Geheime Käm⸗ 
merer Michael Wiedmann. Man muß dahingeftellt fein 


N 


Spalgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe, 453 


laflen, wieviel Antheil fein Grol, oder politiihe Zen- 
denz an folgender Erzählung hat, oder wie weit er jelbft 
getäufcht geweien. Am 2. Juni (1632?) hätte er gern 
gefehen, wenn der Kurfürft zeitig zur Ruhe gegangen 
wäre, denn fein Schwiegervater, der Zöllner von Bop- 
pard, aus dem edlen Geſchlechte von Nettesheim, war 
zum Beſuch gefommen. Aber gerade diefen Abend blieb 
der Herr über Gewohnheit Tange beim Abendefien, und 
ald er ihm dann zur Ruhe leuchten wollte, erfuhr er, 
dag er ihn erft noch zu dem Ungar zu begleiten babe, 
defien Arbeit ſich der Kurfürft erft noch anfehen wolle. 
Der Ungar erwartete fie bereits. Er hatte in die Mitte 
des Gemachs einen großen Schragentifch gezogen, worauf 
ein Zeller und auf diefem ein Becher fand. Im Dfen 
brannte ein flarfed Feuer. Sie bewunderten die ſchöne 
Arbeit des Bechers und Tellers, an welchem legteren 
„Heidenköpfe,“ wahrfcheinlich antife Münzen, angebracht 
waren. Dann aber verlangte der Kurfürft: daB das 
Weitere vorgenommen werde. Der Ungar bat fußfällig, 
feiner Schwachheit zu fchonen, erhob fich aber, als der 
Kurfürft zornig auf feinem Sinne beharrte, und ver- 
fiherte, daß nicht Furcht ihn abhalten folle, den Willen 
Sr. Furfürftlichen Gnaden zu thun. Dad Werk fei aber 
für ihn mit der höchften Gefahr des Leibes und der 
Seelen verknüpft und fo müfle er einige Vorſchriften 
zur Befolgung empfehlen. Er fchob nun einen altfran- 
tifchen Armfeffel herbei und Iud den Kurfürften ein, ſich 
darauf niederzulaffen, unter Teinerlei Umftänden aber 
davon. zu erheben, oder auch nur ein einziged Wörtlein 
zu fprechen. Sonft fehe er, der Ungar, feinen gewiſſen 
Zod vor Augen. Der Kämmerer ward hinter den Stuhl 
poftirt und gewarnt, weder von dannen zu weichen, noch 
einen Laut vernehmen zu laffen. Der lingar legte nun 


Ba Gpuigefiäten am kurtrieriſchen Hofe. 


um den Becher mit den Heidenföpfen einen mit dem 
andern Ende an dem Schmelzofen befeftigten Draht, 
309 demnächft, unter beftändigem leiſen Gebet, drei Kreife 
um feine Säfte und führte endlich von dem äußerften 
Kreife einen geraden Strich nad dem Schmelzofen. 
Nachdem er auch noch die brennenden Lichter, in Ge 
ftalt eined Zriangulums, um den Zeller gefebt, kniete er 
vor den Dfen nieder, wo er fortfuhr, leiſe zu beten, 
auch von Zeit zu Zeit aus der neben ihm ſtehenden 
Büchfe eine Species in die Flamme warf, worauf dann 
jedesmal ein gewaltiges Prafleln im Dfen entfland und 
worüber die Gluth aufs Heußerfte zunahm. Das modte 
eine Stunde gewährt haben, und der Kämmerer fah, 
wie der vom Dfen zum Becher gehende Draht erglühte, 
auf dem Becher dicke Tropfen ftanden, inwendig aber 
es in den fchönften Farben blitzte und fpielte, wie er cd 
oftmals auf der Silberhütte geſehen. Allmälig gewahrte 
er ein Dehnen und Reden an dem Becher, der ausein⸗ 
anderging und an Höhe zunahm, wie auch die Heiden 
föpfe fichtfich zu wachfen ſchienen. Immer eifriger mur⸗ 
melte der Ungar und immer höher ſchwoll der Becher, 
bis er beinahe mit den Rändern an die Dede fließ. Da 
erfholl ein Donnernder Knall und heraus fprangen die 
Heidenföpfe, ald Männer mit Bärten und langen Män- 
teln, gar fchauerlich anzufehben. Sie fchloffen einen Kreis 
um den Kurfürften und der letzte fiel vor der dieſem 
zunächft ftehenden Geftalt auf die Knie, zeigte auf den 
Kurfürften und fagte: „Das iſt derjenige, welcher das 
römische Reich den Galliern zu überliefern begehrt.” 
Darauf ſteckten fie die Köpfe zufammen, ald gingen fie 
zu Rathe, und wie das Flüftern zu Ende, brachte der 
am entfernteften Stehende ein breites Schwert unter 
dem Mantel hervor, rief: „das fchidt Das Gefeb dem 


u 


Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 455 


Verräther’)I” und that einige Schritte vorwärts, ale 
wollte er auf den Kurfürften einhauen. „Helf, helf, 
Michel!” rief diefer mit erflidter Stimme, und fofort 
war alled verſchwunden. Der Kurfürft lag in Ohnmacht; 
auch der Ungar war wie leblos auögeftredt auf dem 
Boden und mit Mühe gelang ed dem Kämmerer, den 
Kurfürften wieder zur Befinnung zu bringen, worauf 
auch der Ungar fich todtenbleih erhob und den Kurfür- 
ften in deflen Schlaffammer bringen half. Als der Un⸗ 
gar fortging, fagte er dem Kämmerer noch: „Ich weiß, 
daß Ihr mir von Herzen gram, und follt Ihr bald des 
Ueberdruſſes an mir entlebigt fein. Doch will ich nicht 
von Euch fcheiden, ohne eine Warnung zu binterlaffen. 
Sorget, daß der goldne Becher mit den Heidenköpfen 
alsbald zerbrochen werde, oder daß wenigftend Se. Kur⸗ 
fürftlihen Gnaden niemald einen Trunk daraus thun. 
Er müßte anfonften des jählingen Todes fein, gleich- 
wie ein Jeder, der aus dem gebannten Pokal trinken 
würde.” — Der Kämmerer mußte am Bette ded Kur: 
fürften bleiben, der gewohnt war, nur von ihm feine 
Arznei für alle plößliche Alteration: Krebsaugen in Waſ⸗ 
fer gerührt, zu nehmen. Eben war er ein wenig auf 
feinem Stuhle eingefchlafen, als ein fürchterlicher Don⸗ 
nerfchlag, dem nach einander mehrere, immer einer hef: 
tiger, ald der amdere, folgten, ihn wedte. „Das muß 
eingefchlagen haben, und ganz in der Nähe,” fagte der 
Kurfürft, und indem ließ fih in der That ein Feuerlärm 
vernehmen. „Es brennt im Laboratorium,‘ riefen meh⸗ 


D Die ganze Scene würde wenigftend nit zu der Annahme 
ftimmen, als fei der Ungar ein Agent Bethlen Gabor’ und Berfüh- 
rer des Kurfürſten gewefen. 


456 Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe, 


rere Stimmen und der Kämmerer eilte der Stelle zu, 
von der ein Dichter Rauch emporftieg. Sie hatten bereits 
die Thüre des Laboratoriumd eingefchlagen und ber 
Kämnterer drang mit den Erften in die Stube ein. Da 
ftedte der Ungar mit dem Kopfe zwilchen den Stäben 
des Gitterfenfters, das Geficht blieblau zum Naden ge 
dreht, Die Zunge weit berausgetreten. Der Kurfürft 
börte den Bericht ded Kämmerers mit jo großer Bewe 
gung an, daß derfelbe ſich ermuthigt fand, den Herrn 
fußfällig und flehendlich zu bitten: er wolle doch an 
diefer erfchredlichen Befchichte ein Erempel nehmen und 
von dem gefährlichen Verkehr mit unbefannten Perfonen 
und den viel gefährlicheren Praktiken ablaffen. » Jacta 
est alea!« war die Antwort; der Kämmerer wagte 
nichtd weiter zu fagen, und am 9. zogen die Franzoſen 
in die Feſtung ein. 

Sie kamen ald Verbündete ded Kurfürften, aber dod 
ward ed ihm bald zuwider, mit dem franzöfifchen Gou- 
verneur de Bufiy-Lameth unter Einem Dacdhe zu leben, 
und er zog nad) Trier in die St. Peterd Burg. Hier 
geichah ed am 12. März 1635, ald alles im Palaſte ſich 
Thon zur Ruhe begeben und der Kammerer dem Kur: 
fürften das fünfte Gapitel des Evangeliums Matthäi vor: 
lad, daß fich auf einmal ein fürchterliched Poltern die 
Treppe herauf vernehmen Tief. Man hörte ein Pferde 
getrappel im Vorzimmer, die wohlverriegelte Slügelthüre 
fprang auf und ein Reiter, in welchem der Kurfürft 
fogleih den Ungar erkannte, trieb fein Pferd bis zu 
denn Seflel des Kurfürften hin und fprady mit rauer 
Stinme: „gib wohl Acht auf das, was ich Dir zu 
berichten gefendet bin. Deine Zeinde haben fich gegen 
Did zufammen verfchworen und ihre Stunde ift ge 
fonımen. Sie werden Dich zur Gefangenfchaft abführen 


IN 


Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 457 


ı fremde Lande '), und wird das der Dir bevorftehen- 
en Zrübfale Geringftes fein, wo Du Dich nicht ent- 
chließeſt, auf der Stelle mir zu folgen. Denn ich habe 
ie Macht, Dich in Sicherheit zu bringen.” Der Kur: 
ürft erhob fich aber mit ungewöhnlicher Sefchwindigfeit 
on feinem Sige, fchlug ein Kreuz und rief den Namen 
fefu an, worauf der Ungar mit feinem höllifchen Klep⸗ 
er im Kamine verfchwand. — Man fieht, der treue 
Yiener, der die Politik feines Zürften entichieden mis⸗ 
Wigte, der Perfon aber liebende Anhänglichfeit bewahrte, 
ielt fi) an den Gedanken, daß diefelbe in einer Ver⸗ 
übrung durch böfe Geifter wurzele, der Kurfürft aber 
och dem Aeußerften widerftanden habe. Oder foll man 
n ber ganzen Sache ein Complott wittern, bei dem der 
tämmerer jelbft im Spiel geweien und Das den Kur- 
ürften mit Lift in die Hände Tiefern follte, in die er 
ald darauf durch Sturm und Ueberfall fam? In der 
daft zu Linz entließ der Kurfürft den Kämmerer, feinen 
inzigen Vertrauten, wenn auch mit thränenden Augen, 
veil er ihn zu gut Paiferlich fand. 

Zriedlicher und mehr dem rein perfönlichen Gebiete 
mgehörend war die Viſion, welche der Kurfürft Johann 
hugo feinem Weihbiſchof Verhorft erzählte. Es waren 
m 6. Januar 1701 die primae vesperae solennes 
jehalten, zu Ehren der heiligen Drei Könige Kreide, 
Weihrauch und Wafler geweiht und demnächſt von den 
Hof» und Schloß-Sacellanen die Gemächer benedicirt, 
vorauf dann um A Uhr Nachmittags die AQflündige 
Andacht ihren Anfang nahm. Es war Gebrauch des 


1) Es geſchah dies am 25. März 1635. Wir behalten und über 
en Kurfürften Philipp Ehriſtoph (Einen v. Sötern) und feine Um⸗ 
riebe und Schickſale weitere Mittbeilungen vor. 


I. 


458 Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hefe. 


Kurfürften, jedesmal der erften und lebten diefer Bet: 
ftunden beizumohnen. Diesmal aber binderten ihn von 
Wien eingetroffene, fofort zu beantwortende Depefchen. 
Unter mandyerlei Störung verzog ed bis zu Mitternacht, 
wo er endlich fein Brevier unter den Arm nehmen und 
den Handleuchter ergreifen konnte, um aus der Vorſtube 
feines Schlafelofets in das Dratorium binabzugehen. 
Hell brannten da unten auf dem Hochaltar die Kerzen, 
die ganze Kirche war heil beleuchtet, der Betſtuhl fland 
vor dem Altar, aber der Kaplan fehlte noch. Indem 
ging die Thüre der Sacriftei auf und ed traten drei 
Hriefter nach einander heraus, welche Feine Chorhemben, 
fondern Eoftbare Pontificalien trugen, nur daß ihnen bie 
Infuln fehlten. Sie machten vor dem Altar ihre Knie 
beugungen und festen fi) dann auf den Stufen nieder. 
-Sie fahen den Kurfürften an, er ſah fie an, und endlich 
rief er ihnen in ungeduldigem Zone zu: fie follten doch 
anfangen. „Wir warten noch auf Einen!” erwiederte 
der in der Mitte. Dem Kurfürften kam es wunderlid 
vor, daß in feiner Gegenwart noch auf Iemand gemar: 
tet werde; indeß erregte doc, dad Fremdartige der ganzen 
Scene feine Neugier '), und er entfchloß fich, in die Sa: 
eriftei hinabzugehen, um die Scene näher zu unterfuchen. 
Die Thüre, welche aus dem Oratorium auf Die Wende. 
treppe führte, fand er, wie gewöhnlich, unverfchloffen. 
Auf der Treppe aber bemerkte er eine Helle, und als er 
herabſah, erblickte er eine Figur von genau feiner Größe 
und Geftalt, ganz ebenfo angethan, ein Buch unter dem 
Iinfen Arm, in der rechten Hand einen filbernen Hand 
leuchter tragend, welche etwa zehn Stufen unter ihm 


1) Daß er auch jept noch wol etwas Ungewoͤhnliches, aber nichts 
unbeimli Webernatürliges fpürte, würde dafür fpreden, daß er ge 


N Im Traume befremdet nichts. 


Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 459 


ging und faft ſchon an die Thüre der Sacriftei gelangt 
war. Noch immer befremdete e8 ihn nur, hier Ieman- 
dem zu begegnen, der auf die Sacriftei zuging, zu der 
er den Schlüfjel in der Zafche hatte’), und er eilte dem 
Vordermann nach. Diefer wendete fih und zeigte ihm 
fein eigned Bid wie in einem Spiegel. Er fland re 
gungslos; die Geftalt drehte fi) wieder um, machte bie 
Thüre auf, ald wäre fie unverfchloffen gewefen, und warf 
fie hinter ſich zu, daB die Fenſter klirrten“). Der Kur: 
fürft fand Die Thüre verfchloffen und der Schlüffel wollte 
nicht greifen. Da überlief es ihn Falt und warm, und 
heftiger, al& er berabgefommen, trieb es ihn die Treppe 
hinauf. Ja, ed fiheint, er wollte fich jeßt auch im Dra⸗ 
torium nicht langer aufhalten, fondern in feine Zimmer 
eilen’).. Da aber fand er an der Thüre, die aus dem 
Dratorium dahin führte, zwei wachhabende Zrabanten, 
die erft vor ihm präfentirten, dann aber die Wehren 
freuzten und auf fein VBefragen flumm blieben. Er 
wendete fih nach der Baluftrade und fah hier mit Ent: 
fegen die Kirche dicht vol Menfchen, unter denen er 
allmälig manchen längſt verflorbenen Bekannten ent: 
dedte. Auf dem Betftuhle kniete die Geftalt, die er auf 
der Treppe gejehen, in vollem Drnafe, von zwei Aſſi⸗ 
fienten umgeben. Gleich diefen mit der Inful bekleidet, 
faß ein dritter Prälat als Celebrant vor dem Altare. 
Jetzt erkannte er die drei Bifchöfe, die ihn vor 25 Jah 


1) Aber die GSeiftlihden follten ja aus der Sacriftei gefommen 
fein und warteten noch auf Einen, von dem er annehmen mußte, daß 
er noch unten fei. 

9) Dos ift eigentlich nicht Geifterfittes wel aber machen es cilig 
flüchtende Menfden. 

3) Wäre er bei wahrer Befinnung gemeien, fo würde er fi 
nah den Geiftlihen umgeſehen und diefe nad dem Vorgang befragt 
haben. 

20 * 


460 Spalgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 


ren geweiht hatten und bdaflelbe jekt an feinem Ebenbild 
thaten. Als die GSeremonie zu Ende war, wurbe dab 
Gedränge dichter, bis fich in der Mitte eine Gaſſe bil: 
dete. Durch dieſe Famen der Kammerportier und der 
Hoffourier, dann der vorige Hofmarſchall, dann, „ſchoͤner 
wie der fchönfte Sommertag, leuchtend ald von Milie: 
nen Diamanten,” ein Mädchen von höchftens 15 Jahren, 
in der er feine Schwefter Eva erkannte. Sie frug eine 
Brautkerze und eine folche trug auch in der einen, in 
der andern Hand aber einen Palmenzweig fein Bruder 
Damian Adolph ). Auch diefer war herrlich anzufehen; 
um den bloßen Hals, welcher wie ein Kryſtall durd- 
fichtig war, trug er ein ſchmales rothes Bändchen’) 
und fein Ordenskreuz blinfte wie ein Sonnenftrahl. Das 
Brautpaar, welchem Beide die Kerzen vortrugen, waren 
des Kurfürften Vater und Mutter. Ihnen folgten die 
übrigen Kinder, die Verflorbenen ſowohl, wie die noch 
Lebenden, wie die Keflelftadt, mit der er eben zu Nacht 
gegefien hatte, und die Quad’). Die Lebenden fahen 
fehr ernfthaft, die Verftorbenen aber vol unvergleichli⸗ 
hen Entzüdens aus. Das Braufpaar wurde zum Bet: 
ftuhl geführt; die Kerzenträger knieten zu beiden Seiten 
nieder und der Biſchof, in dem er fein Ebenbild er 
fannte, Tas eine ftille Meſſe. Wie das Ite, missa est 


1) Der jüngfte Bruder, geb. 8. Juni 1639, Ritter des deutſchen 

Ordens und Gomtbur zu Trier, Purbaierifher Obriftlientenant, am 

%Y5 Mai 1664, bei der Belagerung von Kanifa, durch eine türkiſche 
tüdtugel getödtet. 

2) Wol feine Bunde bezeichnend. 

3) Auch die übrigen Brüder, Damian Emmerid (geb. den 7. 
Det. 1632, + ald Domprobft zu Trier und Speier 15. Auguft 1682) 
und Johann Friedrid (geb. 13. Zuli 1636, + als Zreiherr, Pf. und 
Feldmarſchalllieutenant und kurtrieriſcher Gcheimerath 
1696). Es dat aud noch, außer den drei Genannten, 

gegeben, die wol auch ſchon todt waren. 






Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 461 


gefprochen, trat der Dfficiant an dad Brautpaar, faßte 
der Mutter Hand, nahm ihr den Ring vom Finger und 
umfchlang fie, wie den Bräutigam, mit der Stola. — 
Fest aber veränderte ſich auf einmal, ohne daß er be- 
merkte, wie es zuging, die ganze Scene‘). Gelbe Ker: 
zen brannten auf dem Altar, ſchwarz ausgeichlagen 
waren die Wände, ernft und feierlich tünte das Dies 
Irae, ed war ein Zraueramt. lm den Sarg drängten 
fih die Miniftranten; als es endlich eine Lücke gab, fah 
er ich felbft im Sarge, mit der Inful und den übrigen 
bifchöflichen Infignien angethban. Er fah, wie der Sarg 
erhoben, in die auf der Epiftelfeite geöffnete Gruft ber: 
abgelaffen, ein zerbrochenede Wappenfchild ihm nachges 
worfen wurde. SIebt erft glaubte er, das Bewußtſein 
zu verlieren. Als er endlich aus feiner Betäubung er: 
wachte, fand er fi) von Stille und Einfamkfeit umge: 
ben’) und fchleppte fi) mühſam nach feinem Schlaf: 
zimmer, wo er eine ehr unruhige Nacht verbrachte. 
Spät am Morgen fchellte er dem Kammerdiener. Als 
Diefer dem Bette zufchritt, ftrauchelte er, bückte fich und 
ergriff einen Ring, den er dem Kurfürften überreichte. 
Es war der Trauring feiner Mutter, den er 
feit 20 Jahren ſchmerzlich vermißte”). Der Kur: 
fürft ſtarb übrigens erft zehn Jahre, aber genau zehn 
Sabre, nach jener Nacht. 





1) Ganz dem Traume gemäß. 

2) Aber war wirklid im Dratorium Fein Gotteödienft geweſen? 
Dder wäre der Kurfürft während deffelben eingefhlafen? Hat er fid 
da nidht bei den Geijtlihen befragt? War etwa irgend eine Nach—⸗ 
Iäffigfeit im Spiele, zu deren Berdedung man den Traum des Kur⸗ 
fürften benugte, feine Berwirrung vielleicht noch verftärfte? 

3) Dies jcdenfalld der merfwürdigfte Umftand in der Gefchichte, 
der cin Polizeigenie zu Verdacht gegen ten Sammerdiener veran⸗ 
laffen koͤnnte. 


482 Spatgeihihten am kurtrieriſchen Hefe. 


Diefer Kurfürft war der zweite Sohn des kaiſerl. 
Dbriftlieutenants Wilhelm v. Orsbeck zu Vernich, aus 
defien Ehe mit Maria Katharina v. d. Leyen, einer Schwe- 
fter des Kurfürften von Zrier, und ein fehr tüchtiger, treff- 
licher Fürſt. Er war am 13. Ian. 1634 geboren, fu: 
dirte in Köln und Mainz und im Collegium germa- 
nicum zu Rom, von wo der Ieluitengeneral P. Diva 
Ihon damals fchrieb: „Es wird diefer Iüngling, zu 
reiferen Jahren gelangt, nicht viele feines Gleichen in 
Deutichland finden, und möchte er wol Sr. Eminenz 
(dem Kurfürften Karl Kafpar) zum Nachfolger beftimmt 
fein.” 1655 verließ er Rom, ftudirte noch in Paris 
und Pont⸗a⸗-Mouſſon, fam 1657 in das fpeierfche, 1658 
in das frierifche Domcapitel, ward 1660 Domdechant zu 
Speier, am 7. Ian. 1672 zum Coadjutor feines Oheims, 
am 16. Juli 1675 zum Bifhof von Speier gewählt 
und trat Die Regierung des durch den Krieg auf dad 
furchtbarfte verwüfteten Kurſtaats am 9. Juni 1676 an. 
Er ftellte den Wohlftand des Landes durch zweckmäßige 
Mafregeln her und begründete die Verwaltungsorgani: 
fation, welche bis 1794 im Wefentlichen unverändert ge: 
blieben if. Seiner anerfannten Rechtserfahrenheit ver: 
danfte er den Ruf zum Amte eines Faiferlichen Kam: 
merrichterd (1677) und bewährte fie auch durch 66 
treffliche Verordnungen, durch die er die Gefeßgebung 
des Kurftaates regelte. Der franzöfiihe Refugie Blain- 
ville fagt von ihm in feiner Reifebefchreibung (I, 124): 
„Johann Hugo, aus dem Haufe der Freiherren v. Ors⸗ 
bed, ift der Xebte feines Stammes und beinahe fchon 
72 Jahre alt, von guter Geftalt und von einer Leutſe⸗ 
ligfeit, welche ihn von Jedermann angebetet macht, ein 
barer Feind aller Ungerechtigkeit und Unterdrücdung, 
n herzliches Mitleiden mit feinen Untertbanen bat, 






Sputgeſchichten am Iurtrieriiken Hefe. 468. 


die unter den Bedrängniffen des Krieges feufzen, und 
fi) lieber mit mäßigen Einfünften begnügt, ald daß 
ee fie mit fchweren Abgaben bedrüden ſollte. Er ift, 
mit einem Worte, ein wahrer Vater feines Landes. 
Sen Hof, der feinem Vorbilde folgt, ift unwiderſprech⸗ 
fih einer von den geregeltften in Deutfchland. Er be- 
ftehbt aus wahrhaftig weifen Männern, welche Ehre und 
Redlichkeit allen anderen Dingen vorziehen. — Hier 
wird Die Gerechtigkeit unparteiifch verwaltet, und man 
fiehet hier nichts von dem Stolz und der Verachtung 
der Tugend, noch von den Gottlofigfeiten, mit denen 
der größte Theil Diefer braufenden Höfe fo großthut.” 

Er ftarb am 6. Januar 1711 in der Burg zu Co- 
blenz. Das Gedächtniß der zehn Jahre vorher verleb- 
ten Dreikönigsnacht hatte fi fo tief in das Gemüth 
des Kurfürften eingeprägt, DaB er von da an für Die 
heiligen drei Könige ſtets eine befondere Andacht bezeigte, 
ihnen zu Ehren einen Altar in der Domfirche erbaute 
und fich feine Begrabnißftätte zu deſſen Füßen erwählte. 
Da er der Lebte feined Stammes war, fo wurde, wie 
ihm der Zraum vorhergezeigt, wie er aber auch fchon 
damald vorherwußte, fein Wappenfhild ') zerbrochen 
und mit ihm in dad Grab gefenft. 

Mebrigens follen die Spufgefchichten der Philipps 
burg zu Ehrenbreitflein ’) eine Hauptveranlaffung ge: 





I) Das Wappenfhild der Dröbede, deren gleihnamiges Stamm- 
baus in der Nähe von Sittard und Gangelt lag, enthielt im golde- 
nen Felde cin rothes Andreasfreuz und in jedem der vier Winkel 
befand fih, wie höflihe Herolde fagten, ein grünes Blatt der Waſ⸗ 
ferlilie. Unhöfliche Herolde aber fanden in diefen angeblihen DBlät- 
tern ein ganz anderes, durch die harlemer Wirthin und Götz von 
Berlihingen berühmt gewordenes Bild, deffen Namen fie aud in dem 
Ramen des Geſchlechts erkennen wollten, und würde fonad das Wap⸗ 
pen ein Spredendes geweſen fein. 

3) Siehe den Rheiniſchen Antiquarius (Goblenz, 1845), cin hödft 


MA Scoecgeſchichten am lartrieriſchen Hefe. 


geben haben, daß der letzte Kurfürft von Zrier, Clemens 
Wencedlaus ’), feine Refidenz erft nach dem Dikafterial- 
bau, dann in das zu Coblenz neuerbaute Schloß verlegte. 


merfwürtiges, für Liebhaber von Guriofitäten äuferft anzichentes 
Bud, worin fid, allertingd unter mandem Zrodenen und in ctwas 
wunderlider Form unt Berkettung, cin Reichthum von intereffanten 
und anmuthigen Geſchichten aus dortigen Gegenden findet. 

1) Bekanntlich ein Prinz aus dem Kurhauſe Sachſen, geb. 28. 
Set. 1739, 1763 FZürftbifhof zu Zreifing und Regensburg, 1768 
Kurfürft zu Zrier, refignirt 1303, + 237. Juli 1812. 


Miscellen. 


20 ** 


1. Nitſche und Rusca. 


Andreas Nitfhe (f. ©. 390) ward am 17. November 
1731 auf der Iandvoigteilichen Seidau bei Budiſſin gebo- 
ren. Sein Bater war ein dafiger Einwohner gleihen Na⸗ 
mens, feine Mutter Anna Nitfche geborene Miethe. Den 
erften Unterricht genoß er bei dem dortigen Schullehrer 
Karl, Fam dann in die gräflich Gersdorf’fche Schulanftalt 
zu Uhyſt und 2 Jahre fpäter auf das Gymnafium zu Bu- 
diſſin. Er ſtudirte zwei Jahre zu Wittenberg und dann in 
Leipzig. Won Leipzig ging er nach Kopenhagen und von 
da nah Mosfau, wo er eine philofophifche Profeffur an 
der Univerfität erhielt, die er jedoch fihon nach Jahresfrift 
wieder aufgab und mit einem ruſſiſchen Cavalier nad) Wien 
teifte. Won da ging er nad) der Schweiz und blieb einige 
Zeit auf der Akademie zu Genf. Dann ging er nad 
England und befuchte die Univerfitäten Oxford und Cam⸗ 
bridge. Dann über Holland und. Lübel nad Rußland zu- 
rück, wo er feinen Aufenthalt abermals in Moskau nahnı. 
AU diefen Reifen ſcheinen maurerifche Arbeiten zum Grunde 
gelegen zu haben und wol diefelben Verbindungen vermit- 
telten feine vertraute Verbindung mit dem Haufe des Ge- 
heimenraths und Senators Grafen Michael Soltitow, beffen 
dritte Tochter, die Gräfin Marie Soltikow, er 1779 heira- 
thete. Aber fchon 1776 Hatte er das Niktergut Mengels- 
dorf und Löbensmüh gekauft und bezog ed von 1780 an. 
Er führte den Titel als kurſächſiſcher Hofrath. Seine Ehe 
war finderlos, aber glücklich. Er + am 18. Juli 1795 
am Nervenfieber. Im Beſitze ausgebreiteter Verbindungen 


468 Miscellen. 


und Correfpondenzen, lebte er doch in Mengelsdorf gan; 
zurüdgezogen und einfam. Er fehrieb viel, ließ aber, ein 
Gedicht auf den Tod feines ehemaligen Lehrers der Chemie 
in Leipzig, des Prof. Rüdiger, ausgenommen, nie etwas 
druden. Er verftand die drei vornehmften alten und bie 
meiften neueren Sprachen. Sein Teſtament fing fi fol 
genderweife an: 

„Beftelle dein Haus, denn du mußt fterben! So ruft 
den Sterblihen Vernunft und Erfahrung — fo ruft dem 
Manne die Religion zu, der Chriftum als das ewige 
Wort des Vaters zu finden das Glück gehabt hat. Heilig 
fei alfo auch mir diefe Stimme, damit mein Haus beftellt 
fei, wenn fie erfhallen wird. — Mein geiftiges Alles über- 
gebe ich in die Hände meines barmherzigen Vaters — dei 
Daters der Liebe, von dem ich folches erhielt, denn es ift 
— fein; feine Güte gebrauche ed in fünftigen Ewigkeiten, 
nach feinem gnädigen Wohlgefallen. — Für meine förper- 
liche Hülle werben meine zurüdgebliebenen Freunde forgen: 
daß fie in aller Stille in die bloße Erbe begraben, und um 
einer ruhigen Verweſung zu genießen, mit einem Öteine 
bedeckt werde, auf den ich Sie beigelegte Grabfchrift zu 
fegen bitte. 

Epitaphium. 

Reifender! 
Suche meinen wahren Namen nicht auf diefem Steine, 
denn meine Mitpilger hatten die Vaterfprache vergeffen und 
nannten mid) in ihrem Mutterlande 


Andreas Nitfche. 


Ih trat den 17. Nov. 1731 auf der Seidau bei Bubiffin 
in ihre Gefellfchaft, veifete lange, wie fie, in dem finnlichen 
Kreife herum, und Fam nicht eher zur Ruhe, als bis id 
auf die gerade Linie der Ewigkeit Fam, das verlorne 
Wort wiederfand und in ihm die unverfiegende Duelle des 
Seins, Lebens und Bewegen erblidte. Geringe ift 
die Anzahl der Tage, die ich burchlebte; aber fehr groß iſt 
die Menge des Guten, das der Vater der Menfchen im 


Mistellen. | 469 


Leiblihen und Geiftigen an mir that. Durch feine Liebe 
geleitet, fand ich in einem fremden Lande eine zärtliche Ehe⸗ 
gattin und Freunde. Der Tod entriß mich den 

ihren Armen; mein Geift hielt ſich beim Scheiden an bie 
väterliche Hand des Vaters der Geifter, der ihn mit Un- 
fterblichkeit bezeichnet hatte, und der Tod behielt nichts als 
das Gehäufe, darinnen ich Fahre wohnte. Verweſung 
ift allmälige Auflöfung des Sterblichen in feinen Urſtoff, 
und biefes glückliche Loos wird hier der Hülle zu Theil, die 
unter biefem Steine die allgemeine Veredelung erwartet!” 

Sein Leichnam ward am 22. Zuli nach Bubiffin ab» 
geführt und dafelbft am 23. zum Taucher beerdigt. 

Zur felben Zeit lebte auch ein anderer Laufiger, ein’ 
Wende, Namens Rusca, der fich gleichfalls im Soltikow⸗ 
fhen Haufe längere Zeit, als Hauslehrer und fonft, aufge 
halten und große Reifen im Dienfte der theofophifchen 
Maurerei gemacht hatte. 


2. Keßler und Mylius. 


Chriftian Friedrich Keßler mar der Sohn eines faal- 
feld’fchen Cabinetsſecretairs, ber früher bei dem ilmenauer 
Bergbau angeftellt gemwefen mar, und einer Franzofın und 
wurde 1723 oder 1729 in Saalfeld geboren. Später ward 
fein Vater Syndicus der Brüdergemeinde in Ebersdorf und 
ftarb bdafelbft um 1757. Die Witwe farb menige Jahre 
fpäter. Der junge Keßler wohnte feit 1748 im Brüber- 
baufe zu Ebersborf und ſcheint fich frühzeitig mit Zeichnen 
und Feldmeßkunſt befchäftigt zu haben. 1752 308 er nad 
Herenhut, wo auch fein? Schwefter 1760 oder 1761 ge- 
ftorben iſt. Er vervolllommmnete fih im Beldmeffen bei 
einem zunftmäßigen Feldmeſſer, Reuter, melcher fpäter in 
Nordamerika geftorben ift, und nahm mehrere oberlaufigifche 
Büter auf. Bei diefer Gelegenheit ward er mit dem Ges 
heimenrath v. Hund auf Unwürde (f. ©. 356 ff.) bekannt. 


410 Miscelen. 


Später gab er feine Verbindung mit den Derrnhutern auf, 
ging unter die fchlefifhen Bolontaire, welche der k. k. Ge⸗ 
neral Freiherr v. Bed errichtete, warb Lieutenant und kam 
in die Suite bed genannten Generals. In Oftrig lernte 
er einen emeritirten öfterreichifchen Lieutenant v. Keßler ge- 
nannte Sprengseiſen kennen. Diefer, deffen Water Elias 
Hauptmann der Herrfchaft Friedland geweſen und in Oftris 
geftorben war, ſtammte aus einer katholifchen Linie eine jit- 
tauer Patriziergefchlechtes (&. 368) und war ber Lepte feines 
Stammes. Er übertrug Abel und Wappen auf ben Lieute 
nant Keßler, welcher fpäter zu dem Infanterieregiment Arem- 
berg fam, 1763 Major war, zulegt aber in Thüringen gelebt 
"und eine Topographie bed Meiningenfhen Oberlandes ge 
fihrieben hat. Er fol auch der Verfaffer des Anti-Saint- 
Nicaise fein. 

Johann Wilhelm Mylius, Premierlieutenant der tur 
fächfifchen Ingenieure, kam zu Anfang bes fiebenjährigen 
Krieges nach Leippa, um einen Bau zu leiten, und blieb 
dann bis an fein Ende dafelbfl. Er war ein geſchickter In⸗ 
genieur und philofophifcher Kopf. Einige Zeit vor feinem 
Ende erklärte er dem Prediger feines Kirchfpield, daß fein 
philofophifches Syftem zu feiner Beruhigung doch nicht 
ausreihe. Er erfuchte ihn, ihm zu einer noch zu beftim- 
menden Zeit das heilige Abendmahl zu reichen und fich 
vorher mit ihm darüber fo zu unterreden, wie er es mit 
dem Einfältigften feiner Kirchkinder zu thun pflege. Einige 
Zeit barauf ward er vom Schlag gerührt, ließ den Prediger 
rufen, genoß das heilige Abendmahl und flarb am 3. Dt. 
1791, im 6lften Jahre feines Alters. 


3. Heinrich Gottlob von Debfchüg. 


Heinrih Gottlob von Debfhüg, der Sohn Heinrich 
Sigmunde v. Debfehüg auf Oberlichtenau, Turfächfiichen 
Raths und Landesälteften des Fürftenthums Goörlig, und 


N 


Miscehen. 471 


der Anna Sidonia v. Eberhardt auf Oberlichtenau, hatte 
fhon bei Xebzeiten feines Vaters die Güter Langenau und 
Flachenfeifen in der Oberlaufig, wie es fcheint, durch Ver⸗ 
heirathung mit Magdalene Tugendreich, verwitweten v. Keft, 
geborenen v. Reibnig erlangt, mit der er in finderlofer Ehe 
lebte. Er war am I. Sept. 1656 geboren, war erft durch 
Hauslehrer, dann ein Jahr lang in Dresden unterrichtet 
worden und hatte 1676 — 1679, nach dem Beifpiele feines 
Vaters, größere Neifen durch Defterreih, Stalien, Frank 
reich, die Schweiz gemacht. Am 24. Februar 1692 warb 
ee ermordet. Ueber die Umftänbe, unter welchen biefes ge- 
fchehen, gibt es zwei von einander etwas abweichende Be⸗ 
richte, welche aber beide noch Manches dunkel laſſen. Nach 
dem einen, der blos auf mimdlichen Erzählungen beruht, 
wohnte er einer adeligen Hochzeit zu Armenruhe in Schleften 
bei. Bei Tifche kam er einem Freiheren v. Braun gegen- 
über zu figen, ben er früher nie gefehen haben foll, bei 
deffen unerwartetem Anblid er aber fo erblaßte und beklom⸗ 
men ward, daß es feinem Nachbar auffiel, dem er, auf Bes 
fragen, endlich geftand, daß er eine außerorbentlide Furcht 
und heftige Abneigung vor jenem Braun empfinde, unge 
achtet er ihn zum erften Male fehe. Seine Angft flieg fo, 
daß er vom Zifche aufftand, fich in feine Kammer zurückzog 
und zu Bette legte. Die Gefellfehaft war fchon fo fröhlich 
geworden, dag man feine Abweſenheit anfangs nicht bes 
merkte. Als man ihn fpäter doch vermißte, plauberte fein 
Nachbar die Urfache aus und als auch Braun fie erfuhr, 
ftürzte er in der MWeinhige hinaus, ließ fich das Zimmer 
Debſchützens zeigen, erzwang duch Drohungen die Deff- 
nung ber verfchloffenen Thüre und flach den Entkleideten 
und Wehrlofen in den Leib, daß er nieberftürzte und bald 
darauf verfchied. Nach dem andern Bericht, ber mit gewiffen 
Worten feiner Grabfchrift beffer übereinſtimmt und aus fei- 
nen zu Zittau 1693 in Folio erfchienenen Funeralien entlehnt 
ift, hatte er an jenem Tage, dem Sonntage Invocavit, erft 
feine Gemahlin nach Papſthain in die Kirche begleitet und 
dann feinerfeit® dem GBottesdienfte in Harpersdorf beigewohnt. 


472 Mibtellen. 


Hierauf begab er ſich mit dem Landesälteſten des goldber⸗ 
giſchen Weichbildes, Carl Siegmund v. Mauſchwitz, mit 
welchem er als Curator ſeiner Frauen zu ſprechen hatte, in 
deſſen Wohnung zu Armenruh. Sie begleiteten Kaspar 
Konrad v. Spiller, der v. Braun auf Bertelsdorf und 
deſſen Vetter, der v. Braun auf Merzdorf. Zu Mittag 
ſpeiſten ſie ſehr vertraulich zuſammen. v. Debſchütz geht 
aber vor dem Abendeſſen zu Bette, weil er des andern 
Morgens zeitig nach Jauer in Rechtsangelegenheiten reiſen 
wollte. Gleich darauf kommt ihm v. Braun auf Merzdorf 
nach, fegt fih zu ihm aufs Bette und macht ihm vielfäl- 
tige Gareffen, herzet und Lüffet ihn. Die andre Geſellſchaft 
fommt nach und fucht ihn fortzubringen, allein er läßt nicht 
ab und wirft mit ehrenrührigen Neben um fich, bis endlich 
v. Debfchüg, um nicht im Bette überfallen zu werben, auf- 
fteht. Und obgleich er an fich hielt, auch dem v. Braun, 
den er vorher noch nie gefehen, kein Wort fagte, fo fuchte 
dieſer es doch durch beifende Worte dahin zu bringen, daf 
beide zum Degen griffen. Die Anmefenden brachten fie 
zwar auseinander, aber während fie mit Debfchüg rebeten, 
ftieß v. Braun unverfehens zwifchen ihnen durch, verlegte 
Debfhüg fo, daf er eine halbe Stunde darauf ftarb, und 
fprang auf und davon. Der Leihnam warb in Lichtenau 
beigefegt, wo ihm fein Water neben dem Altar ein Dent- 
mal fegen ließ, ein hoͤlzernes Schnigwert mit fombolifchen 
Verzierungen und einer Tafel in Form eines gefalteten Zu 
ches oder Vorhanges, mit folgender Inſchrift: 


„Mein Kefer! 
Du wirft fallen, 
Du weißt aber nicht, wenn, wo und wie? 
Drum lerne die Kunſt wohl zu ftehen, 
So fannft du plöglich, und doch felig, fallen. 
Alfo ftand und fiel der wohlgeborne Ritter und Herr, 
Herr Heinrih Gottlob v. Debſchütz, 
Auf Langenau und Flachen Seiffen, Erb⸗Herr auf Lichtenau. 
Diefer trat in das Xeben Anno 1656. den 1. September. 


Miscehen. 413 


Und lernte die Kunftwohl zu ftehen, 
jet Gott in Gnaben durch Fucht, Liebe und Vertrauen: 
Bei denen Menſchen in Liebe durch Tugenden. 
Denn ſein Fleiß blieb niemals ſtehen, 
r zierte ſeine Jugend mit Adelichen Exercitiis und Sprachen, 
Und erbauete ſeinen Verſtand durch vernünftiges Reiſen, 
eſahe ganz Italien, Frankreich und andere Orte mit Nutzen, 
nd ruhete endlich in der Liebe einer frommen Lebens⸗Freundin, 
er wohlgebornen Frauen, Frauen Magdalenen Tugendreich 
v. Leſt, gebornen von Reibnitz. 
Witwen und Frauen auf Langenau und Flachen Seiffen, 
tit der er eine zwar unfruchtbare, doch aber ſehr vergnügte 
Ehe geführt. 
fo ftand er 35% Jahre und 13 Wochen i im Leben rühmlich, 
nd fiel 1692 den 24. Febr. zur Armen⸗Ruh in Schleſien 
urch einen unverhofften Degenftoß eines verftellten Freundes. 
Doch weil er mit Jeſu im Leben geftanben, 
So konnte er auch ohne diefen im Tode nicht fallen. 
arum fället der Gerechte, fo wird ex doch nicht weggeworfen, 
Denn ber Herr erhält ihn, Palm 37, 24." 


uf einer kleineren, darunter befindlichen Schrifttafel ift der 
1. und 35. Vers aus dem Iten Capitel bes 2ten Buches 
amuelis ausgefchrieben : 


„Deine Hände find nicht gebunden, deine Füße find 
nicht in Feſſel gefeget: bu bift gefallen, wie man vor 
böfen Buben fälle. Da bemweinete ihn alles Volk 
noch mehr. 

Da nun alles Volt hinein kam mit David zu effen, 
da es noch hoch Tag war, ſchwur David, und ſprach: 
Gott thue mir dies und das, mo ich Brod oder etwas 
Lofte, ehe die Sonne untergebet.” 


n einem von dem Gefchichtfchreiber des Debfchügifchen Ge⸗ 
Hechts, George Wende, verfaßten wortreichen Entmwurfe 
ser Grabſchrift finden ſich als Beziehungen auf bie To⸗ 
Sart folgende Stellen: 


474 Mibtellen. 


„Das klaͤglichſte leider! iſt, 
daß er nicht, als ein Kriegemann vor feinem Feinde im Felbde, 
fondern ganz unfchuldig vor feinem vermeinten Freunde in 
ber Kammer, 
erblaffen müſſen“ — — 


„Er ftand wieder auf, um einem Unglüd zu entgehen, . 
geriet, aber dadurch allererft in das größte Unglück.“ 


Als in den achtziger Jahren bed 18ten Jahrhunderts bie 
Gruft geöffnet wurde, um einen Heren v. Löben, denen da⸗ 
mals Lichtenau gehörte, dort zu beftatten, fand man ben 
Leichnam jenes Ermordeten noch ganz unverfehrt. Die 
Finger fühlten fih wie Leder an und es war unmöglich, 
den goldnen Ring davon abzuziehen. Ebenfo unverweslic 
lag ber Leichnam eines Heinrich v. Debfhüg von 1672 bis 
1712, wo er durch eine große Ueberſchwemmung fortgeführt 
wurde, in der Kirche zu Reutomnig. 


4. AÜbentenrerleben. 


| Bei der fruchtlofen Belagerung von Coblenz durch die 

Sranzofen im Jahre 1688 entdedte man, daß die Schüffe 
des beiten Gonftablers auf dem Ehrenbreitftein ohne Effect 
über das franzöftfche Lager hinausgingen. Dan nahm ihn 
in Haft und entdedite ein Einverſtaͤndniß beffelben mit den 
Feinden. 

Der Mann, von welchem, mol feiner „unfehnlichen 
Sreundfchaft” halber, der Nheinifche Antiquarius (S. 613 
ff.) nur den Vornamen Hugo anführt, war eines Gerichts⸗ 
fchreiberd Sohn!) und die nahen Beziehungen feines Va—⸗ 
ters zu dem kaiſerlichen Generallieutenant Melchior v. Hag- 
feld ?) verfchafften ihm eine Fahne in deffen Regiment, mit 


1) Wir glauben, in oder bei Andernady. 
2) Geb. 1593, 1641 Reichsgraf, + 1658. 


Mistellen. | 475 


dem er vor Krakau’) zog. Er zeichnete fich durch Neigung 
und Geſchick für die Bedienung ber Gefchüge aus und hatte 
die befte Ausficht auf Beförderung. Er fcheint aber ebenfo 
fortwährend viel Neigung und Geſchick für die Bedienung 
der Weiber gehabt zu haben, und ein Zug diefer Urt, ber 
ihn in ein Dorf jenfeitd der Weichfel geführt hatte, brachte 
ihn in diedände ftreifender Rakoczyaner?). Diefe verkaufe 
ten ihn um wenige Grofhen an einen tatarifchen Häupt⸗ 
ling, ber ihn im vafcheften Kluge der Ukraine zufchleppte, 
unterweges aber an einen Haufen räuberifcher Heidamaken 
verlor. Diefe brachten ihn, nach langem Ritte, ber an bem 
Scloffe Kaminieg vorbeiführte, zu ihrer in der Höhe eines 
fteilen Felſen gelegenen Höhle, in welche bie Leute in einem 
Korbe gezogen wurden. Er war bei einer completten Räu« 
berbande, von der kein Entlommen möglich fchien und bie 
unter dem ftrengen Befehl eines Hetman ftand. 

Der gefangene Fähndrich fand in der Höhle ein als 
unbrauchbar in den Winkel geworfenes Falconet, erregte 
das Erftaunen ber Bande, ald er es blank pugte, verdiente 
fih einen Trunk grünen Weines von dem Hetman, als er 
es auf bie hergeftellte Laffette gerichtet, und mar ber 
Liebling Allee geworben, als er den erftien Probefchuß ge» 
than hatte. In der Höhle beftand er eine lange Belage- 
ng durch die Scharen des Siniawski und der Potockis 
und die Sache fohien ein fchlimmes Ende zu nehmen, als 
es den DBelagerern gelungen war, ben Räubern das Waffer 
abzufchneiden. Ein glüdliher Schuß aus bem Falconet, 
der den Belagerern den Pulkownik, den Leiter ber Ein» 
ſchließung, töbtete, half aus ber Noth durch gänzliche Zer- 
ftreuung ber Polen. 

Der Hetman belohnte das Verdienſt feines Conftablers, 


1) Alfo begann die Kriegslaufbahn unferes Abenteurers um 1657, 
wo ein Faiferlihes Heer den Polen gegen die Schweden zu Hilfe 309 
und Hapfeld Krakau und Poſen eroberte. 

2) Leute des mit den Schweden verbindeten Zürften von Gies 
benbürgen, Georg II. Rakoczy. 


416 Miscellen. 


indem er ibm die Zochter des vorigen Hetman zur Frau 
gab, nachdem er ihn in der Walachei durch den naͤchſten 
Papas in bie rechtgläubige Kirche hatte aufnehmen laffen. 
Run wohnte er auf dem Gute feiner Frau in dem Dorfe 
Glubowa. Beine Madufch war ein fchönes Weib und gu- 
ten Bemüths; nur trieften alle ihre Kleider, mit Ausnahme 
bes Kirchenmantels, von Fett; dies freilich das befte Schup- 
mittel gegen allerlei Iandübliches Ungeziefer, was bie Hütte 
verpeftete. So wurden ihm die immer Feder und haͤufi⸗ 
ger ausgeführten Raubzüge, zu denen er entboten wurde, 
doch zur Erholung, fo oft und ſchwer ihn auch das Ge 
wiffen flug. Einſt überfielen fie eine für ben Sahr- 
markt zu Mohilow beftimmte jüdiſche Caravane. Einem 
greiſen, ſchwer verwundeten Türken gab er aus Mitleid den 
Todesſtoß, faßte aber ſogleich den Entſchluß, der Mord⸗ 
geſellſchaft zu entrinnen, und barg deshalb, dem Geſetze der 
Bande zuwider, 300 Ducaten, die er bei dem Türken ge⸗ 
funden, um fie als Nothpfennig hinter ber Kirche zu ver- 


ſcharren. 

Die geſuchte Gelegenheit zur Flucht fand ſich bald. 
Durch Erfolge immer kühner gemacht, faßte der Hetman 
den Plan zu einer größeren Unternehmung, als er noch je 
gewagt. Er wollte die Feſtung Berdyczow erobern. Der 
Faͤhndrich ward als Kundſchafter ausgeſchickkt. Beim An 
blick des nach heimifcher Sitte gepflogenen Kirchendienftes 
und der Mutter Gottes auf dem Altare aber warb das 
Herz des Sünders zerfnirfcht. Er begehrte zu beichten und 
entdeckte dem Prior den ganzen Anſchlag. — Dem Hetman 
brachte er günftige Berichte, z0g aber dann die begonnene 
Belagerung, durch dreimalige Aenderung ber Batterie, in 
bie Länge, bis Fürſt Wisnowiedi zum Entfag kam un 
bie das Öfterfeft mit Zechen begehenden Heidamaken über- 
fiel. Der Fähndrich entfloh unter den Erften, machte ſich 
aber dann auf einem Seitenwege nach Berdyczow und ind 
Klofter, wo ihn ber Prior erfannte, aufnahm und mit Em- 
pfehlungen nach Lemberg ſchickte. 

Bon hier empfahl ihn ein durch die türkifchen Ducaten 


Mistcellen. 477 


ewonnener Jude an den Hof von Zbaras, wo er an die 
Spige bed herzoglichen Geſchützweſens geſtellt ward. Er 
efand ſich Hier wohl und ſelbſt die Herzogin warf ein gün⸗ 
Hges Auge auf ihn. Da erwachte aber bie Eiferfucht bes 
derzogs; Hugo wurde in Kerker und Bande geworfen, ge 
nartert, als Haidamak, Näuber, Mörber, Schismatiker und 
Kpoftat zum Feuertode verurtheilt. Aus folcher Noth bes 
reite ihn — der Geiſt ſeiner Maduſch und ihres „etwan 
vie ein Vogel, und doch in WMenſchengeſtalt, lieblich, durch⸗ 
ichtig und leuchtend anzublickenden“ Kindes '). „Sieh ba,” 
prach die Madufch, die nicht mehr einer walachifchen Bäuer 
in, fondern der vornehmften Dame glich, und deren Worte 
ein lebender Menſch volllommen hätte wiedergeben koͤnnen, 
„ſieh da unfer Kind, das nicht geboren worden, benn «6 
jat mir ber Hetman mit feinem Säbel ben Kopf abge 
lagen, um daß er mich in Verdacht gehabt, ich wiffe um 
Dein Einverftändniß in jenem Kloſter. Jetzt bete ich für 
hn, wie für Did. Auch Dein Kind hört nicht auf, für 
Dich zu beten, und hat ſich von der Mutter Gottes des 
Baters Leben erbeten. Stehe auf und folge mir nad.“ 
Beine Ketten fielen; er folgte der leuchtenden Geftalt Trep- 
pen auf und nieber, durch verworrene Gänge; bann wehte 
hn frifche Morgenluft an, bie Slügel einer Taube berührten 
eine Stirne und er war im Freien’). 


1) Man flieht, daß der Abenteurer, aus deflen eignen Angaben 
yas Meifte über feine Fahrten und Fata gefhöpft werden mußte, 
Dichtung und Wahrheit gemifht hat. Daß er im Allgemeinen die 
Bahrheit, auch mo fie ihm ſchaden Fonnte, nicht verhehlen wollte, 
gibt die Dffenheit, mit der er Verbrechen befannte, die nur durch 
ihn ermittelt werden Eonnten. Cinzelnes mag er aber mol auöges 
hgmüdt und an Phbantafie fheint ed ihm nicht gefehlt zu haben. 

3) Diefer Geiſt ift ihm nicht wieder erfhienen, obmohl er ihn 
aoch oft hätte brauden koͤnnen. Später ward er, wie wir fehen wer⸗ 
yen, von Spukgeftalten beimgefuht. War bei dem allen nicht blos 
yewußte Erfindung, fondern auch Kinbildungsfraft im Spiele, fo 
önnte man in dem Gegenfage früherer und fpäterer Wahnbilder den 
Kampf des guten und böfen Principe in feiner Seele ausgeſprochen 

en. 


478 Miscehen. 


Er bettelte fi dur Polen nah Preußen, wo bat 
Betteln nicht mehr gehen wollte, ba die Leute fein eifernes 
Halsband nicht mehr für eine freiwillige Bußübung halten 
wollten. Da verkaufte er fih an bänifche Werber und lag 
in verfchiedenen Garnifonen, von denen ihm feine zufagte. 
Aus Odenſe defertirte er, warb bei den nieberlänbifchen 
Herren auf NRordfirand Küfter und genoß guten Ruf und 
Vertrauen. Das flille, gezwungene Leben langmweilte ihn 
aber, und als ein hanfeatifhes Schiff auf die Rhede kam, 
entfremdete er das werthvollſte Eigentum der ihm anver- 
trauten Kapelle und flob damit nad) Damburg, mo er 
einige Wochen in Saus und Braus lebte, verfehiedene Rauf- 
händel beftand und endlich wegen Todtſchlags entlaufen 
mußte. Nun ließ er fich bei den münfterfchen Volkern als 
Urtillerift anwerben. Er befand Ach bier ganz mohl, muf 
aber doc; frühzeitig gefühlt haben, daß ihm feine bleibende 
Stätte befchieden fei, indem er ſich bei Zeiten im Namen 
feines Hauptmanns Bergmayer einen ehrlihen Abfchieb 
fhrieb und bes Hauptmanns Petſchaft darauf drückte. Bon 
dem Paffe Gebrauch, zu machen, beftimmte ihn das zufällige 
Begegnen eines alten Bekannten aus Andernach, von dem 
er den Tod feiner Eltern und die Schulden halber erfolgte 
Veräußerung ihres geringen. Eigenthums, aber auch das 
Bekanntfein fo bedenklicher Partien feiner Abenteuer er 
fuhr, daß er für gut fand, eilends fein Bündel zu fehnüren. 

Er ging nun zur holländifchen Artillerie, nahm ſich vor, 
einen neuen Menfchen anzuziehen, und kam bald in fo guten 
Ruf, daß eine junge, begüterte, Einderlofe Witwe ihm Her 
und Hand ſchenkte. Sie gebar ihm mehrere Kinder und 
er lebte mit ihr fo einig und glücklich, wie mweiland mit 
feiner Maduſch, die gewiß in jener Zeit befriedigt auf ihn 
geblidt hat. Da aber warf fi) der Böſe auf fein Weib 
und ftachelte in deren Herzen die Eitelkeit zu dem Verlan⸗ 
gen, ihren Mann als Offizier zu fehen, während er jeßt 
nur Corporal mar. Dazu war in Friedenszeiten in Hol- 
land wenig Ausficht, und fo entfchloß er fi, erſt in Gui⸗ 
nea, dann in Oftindien zu dienen. Er wurde Lieutenant, 


Miscellen. 479 


ſoll ſich aber in jenen fernen Ländern auch manche unchriſt⸗ 
liche Sitte angeeignet haben. Als er nach Hauſe kam, 
hatte ſeine Frau inzwiſchen ein Kind geboren. Er klagte 
auf Scheidung; ſie verſicherte aber, das Kind ſei von ihrem 
Gatten ehelich erzeugt. Sie habe nämlich einſtmals des 
Nachts fehnlih an ihren Mann gedacht und bei ihm zu 
fein gewünſcht. Da fei fie aus Seeland nad Dftindien 
geführt, bafeibft von ihrem Manne unbelannt gefchwängert 
und noch in felbiger Nacht nach Seeland zurüdgeführt wor⸗ 
den. War es nun ſein Wunderglaube, oder meinte er, daß 
er es mit ſeiner Frau nicht ſo ſtreng nehmen dürfe, er ließ 
ſich zulegt die Ausrede gefallen. Das aber zog ihm fo viel 
Spott und Hohn zu, bag er es endlich nicht mehr aushalten 
zu fönnen glaubte und feine Frau zu einem Spasziergange 
in die Dünen vor Vlieſſingen berebete, von dem fie nicht 
zurückgekehrt if. Ihn aber verfolgte feit jener Zeit die Er 
fheinung eines ſchwarzen Geflügels, eines Vogels oder einer 
Fledermaus, bald ihn umflatternd, bald auf Hand oder 
Schultern figend, und immer ihn klagend umkrächzend. 

Er mar über Berg-op-Zoom nad) Derzogenbufch ent- 
flohen und hatte fi) da einer Beinen, nach Antwerpen be 
flimmten Caravane angefchloffen. In der Nähe von Hoog- 
firaten vergaßen fie ber bis dahin beobachteten Vorficht und 
wurden von ben Mäubern der Kempen, deren höhere Grabe 
mit dem Teufel im Bunde ftanden und die deshalb Bock⸗ 
reiter hießen, überfallen, Viele getöbtet, Andre gefangen, unter 
Lepteren Hugo. Er trat in die Bande ein, widerſtand aber 
lange dem Anſinnen der Leiter (Makers), auch feine Seele 
den Zwedien ber Gefellfichaft zu verfchreiben und auf dem 
großen Sabbat bei Kranendont die Weihe ber höheren 
Grade zu empfangen. Da warb er, mit andern Gliedern 
ber Genoſſenſchaft, in einem Gehoöfde zwiſchen Haſſelt und 
Bilſen von den Reitern des Landcomthurs von Bilſen ge⸗ 
fangen. Ein Theil, ſelbſt Kinder, wurden bier und an an⸗ 
dern Orten zur Abfchredung an Bäume gehängt; die rü⸗ 
fligften Männer verkauften die Reiter, für je 10 Albertus- 
tbaler, an franzöfifche Werber. 


4850 Mischen. 


Hugo diente nun vorerft als Pikenirer im Regiment 
Piemont und ward vor Lille zur Wrtillerie commanbitt, 
machte auch den Spion in den Niederlanden, beirathete bie 
Maitreffe des Hauptmannd und befand fi lange Zeit in 
ganz blühenden Umftänden. Nach dem Tode bes Daupt- 
manns fehlte aber der viel brauchenden Wirthſchaft die 
Geldquelle. Eine Zeit lang will er ſich durch einen Hede- 
thaler geholfen haben, den er ſich aus dem Nachlaſſe eines 
Freundes in den Niederlanden zugeeignet. Das ſei aber 
von einem Wiſſenden entdeckt, durch ſchwarze Kunſt ge⸗ 
hemmt und obendrein der Juſtiz denuncirt worden. Die 
Hauptſache war wol, daß es mit ſeinen Rechnungen als 
Compagnie⸗Adjutant nicht in Ordnung war, und mag 
wol hierin eigentlich das Geheimniß des Heckthalers und 
feiner fpätern Hemmung zu ſuchen fein. Er deſertirte zu 
Anfang des Jahres 1675 aus Meg, trieb ſich eine Zeit 
lang in der Pfalz herum und ſuchte endlich, unter falfchem 
Namen, Condition auf dem Ehrenbreitftein. Er ward an ' 
genommen und galt bald für den gefchidteften und zuver- 
läffigften Conftabler, bis er fich bei ber Belagerung von 
1688 durch 200 Fl., die ihm ein Bockreiter auszahlte, be 
ftechen ließ. Er geftand alles ein und für den Religions 
verächter, Schismatifer, wiederholten Mörber, Kirchenräuber, 
und eines pactum diabolicum implicitum Verdächtigen, ward 
eigentlich die gefchärftefte Tobesftrafe beantragt. Der Kur 
fürft ließ e8 aber, da es für das Meifte Leine Beweiſe gab, 
als fein eignes Geftändniß, dabei bewenden, ihn von hinten 
erfchießen zu laffen. Sein Schädel ward am Gießhaufe 
an einer eifernen Stange befeftigt und ein Facſimile deſſel⸗ 
ben, was der Leibarze Siegel anfertigen laſſen, ift nod 
vorhanden. 


Mistellen. 401 


5. Kriegeriſche Zeiten. 


In dem Aufſatze über die drei Herren v. Hund iſt 
namentlich bei dem Dritten das bewegte Leben eines Sol⸗ 
daten in kriegeriſchen Zeiten und der raſche Wechſel der 
Schlachtfelder, auf denen er um die Gunſt der Bellona zu 
werben hat, geſchildert worden. Es gibt wenig Adelsfami⸗ 
lien, beſonders im mittleren Deutſchland, deren Geſchichte 
nicht ähnliche Züge darböte, und oft drückt ſich der Cha⸗ 
rakter der Zeit in den bunten Schickſalen ihrer Kinder recht 
bezeichnend aus, wie denn überhaupt aus der Geſchichte der 
Adelsfamilien, welche jedenfalls den Vortheil bieten, daß ſie 
ihre Erlebniſſe eine lange Zeit zurück kennen und während 
berfelben zu ben Notablen des Volks gehörten, noch fehr 
viel Intereffantes an Sittenzügen und Lebensbildern zu 
gewinnen wäre, wenn fie hauptfächlih mit Nüdficht darauf 
behandelt würde. Wir erlauben uns, nur beifpielömweife 
einige recht prägnante Fälle hervorzuheben, könnten aber das 
Verzeichniß noch unendlich vermehren. Otto Ludwig v. 
Ganig wurde am 6. Sept. 1661 zu Nopkeim bei Pillau 
geboren, wo fein Vater Commandant war. Er ging unter 
das Militair und ftand erft bei der Garnifon in Pillau, 
warb dann Lieutenant bei Prinz Alerander von Kurland, 
ging 1684, unter General Truchfeß, als Capitain in bie 
Ukraine, war 1686, unter Generalfeldmarfchall v. Schöning, 
vor Dfen, wohnte 1688 der Belagerung von Belgrad, als 
Volontair bei den Baiern, bei, machte 1689 den Feldzug 
am Rhein, 1690 die Kampagne in der Eifel, 1691 die in 
Brabant mit. 1692 trat er ald Major in Furfächfifche 
Dienfte und ftand 1694 am Nedar wider die Franzofen. 
1694 follte er als Obriftlieutenant nach More ') gehen, 








— — nn 


1) Wie viel deutſches Blut iſt damals, und für die Folge an⸗ 
ſcheinend höchſt nuglos, in Morea und Attifa vergoffen worden! Wie 
viel dur drei Jahrhunderte in Ungarn, wo es niht an ven Wün- 
fen unfrer Demokraten gelegen hätte, wenn feine Frucht nicht auch 
vereitelt worten wäre! 


1. 21 


482 Miscelen. 


was fic) durch den Tod des Kurfürften Johann Georg IV. 
zerfchlug, worauf er zue Garde fam und unter Ludwig von 
Baden dem Feldzug am Nheine beimohnte. 1695 ward er 
Dbrift des Heiterregiments des nun fächfifchen Feldmar⸗ 
ſchalls v. Schöning und rüdte mit biefem 1697 nad) Po- 
ien. 1698 tämpfte er in Podolien. 1699 Fam er nad 
Sachen zurüd und bereitete fih eine Ruheſtelle, indem er 
1700 mit einer Fräulein v. Kyau eine ganze Meihe bedeu- 
tender Rittergüter in der Oberlaufig erheirathete. — Er 
hatte ſechs Brüder. Der Ueltefte, Chriftoph Albrecht, in 
Preußen begütert, war 1653 geboren, ward Fähndrich in 
Pillau, ging ald Lieutenant, unter dem Regimente des 
Strafen v. Lehnborf, nad) Holland, 1676 ale Volontair 
mit dem großen Kurfürften nach Liefland, dann bis: 1679 
wieder nach Holland, ſtand darauf als Major in Pillau, 
kämpfte 1684 in ber Ukraine, 1691 als Obriftlieutenant in 
Brabant, warb vor Namur verwundet, flieg zum Obri⸗ 
ften und ward bei Kaiferswerth abermals verwundet. 1704 
focht er als Brigabier In der glorreihen Schlacht bei Höch⸗ 
ftädt und ward hier, wie als Generalmajor vor Landau, 
abermals verwundet. Endlich fampfte er 1711 fehr tapfer 
und fiegreich auf dem Monte Ballone bei Chaumont, farb 
aber am 18. November zu Sarı Benedetto auf der parme- 
fanifchen Grenze. Der zweite Bruder, Johann Georg, fiel 
1686 vor Dfen. Der Dritte, Andreas Salomon, ftarb 
1688 als bannoverfcher Hauptmann vor Negroponte. Der 
Vierte, Zriedrih Wilhelm, ftarb als Lieutenant in Küftrin. 
Der Fünfte, Elias, blieb als preußifcher Hauptmann ver 
Elbingen. Der Sechſte, Melchior Ernſt, flieg zum preufi- 
fhen Brigadier. 

Ein Erasmus v. Gersdorf auf Rautig hinterließ eine 
zahlreiche Nachfommenfchaft, bei der ſich aber eine Zeit lang 
tragifche Creigniffe häuften. Ein Enkel aus der aͤlteſten 
Linie, welche Hans auf Kittlig geftiftet, blieb 1625 in der 
Schlaht an der Deffauer Brüde. Ein Nachkomme eines 
anderen Sohnes, Chriftophs, Hans Lubwig zum Steh, geb. 
1638, ward in feinem Hauſe von einem v. Zabeltig erflo- 


Miscellen. 483 


hen. Ein dritter Sohn, Peter, zeugte Kaspar Sigmund, 
der im Duell erftochen ward. Des Erasmus vierter Sohn, 
Michael zu Gloſſen, ertrant am 11. Juni 1620, 40 Jahre 
alt, beim Baden. Don diefes Michael’ Söhnen fiel Hans 
Erasmus als bänifcher Mittmeifter in einem Treffen wider 
die Schweden; Hans Kaspar und Michael ftarben bei der 
Belagerung von Mantua und wurden zufammen unter 
einen Nufbaum begraben, und Nikolaus zu Gloffen ward 
am 8. Nov. 1643, zu Reichenbach, 24 Jahre alt, erfchoffen. 
Drei jüngere Söhne des Erasmus: Kaspar, Jofeph und 
Heinrich genannt Jungblut, waren in ber Schlacht auf 
dem weißen Berge und wurden nachher von ben böhmifchen 
Bauern erfehlagen. Der jüngfte Sohn, Nitol, zog den 
Waffen, in ben Niederlanden, Jülich, Dänemark, bei der 
Belagerung von Braunfchweig nach und ftarb endlich 1617 
unverheirathet in Schweben. 


6. Chriſtoph Springer. 


Kurz vor Bladwell (S. 12) und im Zufammenhange 
mit feinem Proceffe wurde, auf Anftiften derfelben Partei, 
‚welche Blackwell auf das Schaffot brachte, auch der ftod- 
bolmer Kaufmann Chriftoph Springer, wie auch ein Kaufe 
mann Frank, auf ben man jedoch nichts Ernftliches bringen 
tonnte, im Februar 1747 in Haft gebradht. Man gab ihm 
Schuld, daß er ein dänifcher Agent fei und auch mit dem 
ruſſiſchen Sefandten in allzu vertrautem Verkehre geftanden, 
auch die gefährliche und verfaffungswidrige Meinung ver- 
fochten habe, daß die Reichstagsabgeordneten mit ihren 
Committenten Rath pflegen follten, und es ward ihm der 
Proceß gemacht. Am Tage bevor ihm das Urtheil bekannt 
gemacht werden follte, am 27. November, gelang es ihm, 
zu entfliehen, indem ber wachthabende Unteroffizier fo feft 
eingefehlafen wer, daß er ihm Mantel und Hut abnehmen 
und fich, dergeftalt verkleidet, aus dem Staube machen 

21 * 


4834 Mibcelen. 


konnte. Man glaubte anfangs, er ſei zu dem ruſſiſchen 
Geſandten, Baron v. Korf, geflüchtet, und ließ beffen Haus 
buch ein Detachement Leibgarde umftellen. Anderen Tages 
ließ man den Entflobenen auf allen Strafen austrommeln. 
Bild aber erfuhr man, daß er bei dem englifchen Geſand⸗ 
ten, Mr. Guididens, verborgen fi. Dan ließ nun dieſes 
Haus von 4 — 500 Mann Leibgarbe umsingeln und ber 
Hofkanzler, Baron v. Nolt, begab fih zu dem Gefandten 
und erflärte ihm, daß man wohl wiffe, Springer halte fid) 
in feinem Haufe auf, und zuverfichtlih erwarte, er werde 
ihn ausliefern laffen. Mr. Guididens antwortete: es fei 
ihm der Aufenthalt des Springer in feinem Haufe unbe 
fannt; er wolle fih aber erkundigen. Man ließ nun das 
Trommeln nur in der Straße fortfegen, wo der englifche 
Gefandte wohnte, um den Pöbel dahin zu locken und da 
durch einen mehreren Vorwand zu fo flarfer militärifcher 
Befagung zu gewinnen. Der Baron v. Nolk erflattete dem 
König Beriht und fam dann nohmals zu Mr. Guididens 
mit erneuertem Andringen, wobei er die Hoffnung aus 
fprah, daß der Gefandte nicht zu Mafregeln Anlaß geben 
werde, die für beide Kronen unangenehme PVerwidelungen 
herbeiführen fönnten. Der Gefandte ermiederte: „Er ſei 
nicht Springer's Wächter und müffe fich übrigens auf das 
beziehen, was er fchon vorher in diefer Sache gefagt habe.“ 
Endlich gegen Mittag fam Herr v. Nolt zum dritten Male 
zu dem Gefandten, während welches Befuches die Soldaten 
ihre Gewehre geladen haben follen. Es ward dem Gefand- 
ten nun noch eine Stunde Zeit gegeben, den Springer auf 
_ zuliefeen, widrigenfalls man die gehörigen Mafregeln zu 
nehmen wiffen werde. Mr. Guidickens verfegte hierauf: 
daß er wider die Gewalt nichts ausrichten könne, aber auf 
das Feierlichfte wider alles mit untergelaufene gewaltſame 
und orbnungswidrige Verfahren proteftiren, fich auch bie um 
4 Uhr Frift ausbitten müffe, um die übrigen fremden Ge⸗ 
fandten um Rath fragen zu können. Nachdem fi Herr v. 
Nolk mwegbegeben, fehrieb der Gefandte an ihn und erklärte, 
unter Erneuerung feiner Proteftation, daß, dba er be 


En‘ 


Miscelen. 485 


Gewalt, die man wider ihn zu gebrauchen willens fei, nicht zu 
widerfiehen vermöge, ber Hofkanzler ſich zu ihm verfügen 
und den unglüdlihen Springer in Empfang nehmen möge. 
So ward denn Springer wieder in fein Gefängniß zurüd- 
geführt und darauf zum Pranger und zu ewiger Haft 
verurtheilt. 


7. Priefter- und Weiberliſt. 


Die an den König Alphons VI. von Portugal ver- 
mählte Maria Francisfa Sfabella von Savoyen- Nemours 
fühlte fich bald nad, ihrer, 1666 ftattgefunbenen Verheira- 
thung bei ihrem Gemahl fo unglüdiih, daß fie mit ihrem 
Schwager, dem Infanten Dom Pedro, auf Pläne einging, 
bie eine Entthronung bed Königs bezielten und fpäter auch 
durchfegten. Zum Unterhänbler diente ihr ihr Beichtvater, 
der aus Frankreich mitgebrachte Jeſuit de Ville, und fie 
fuchte auch den damals in Portugal an ber Spige des 
Kriegsweſens ftehenden Grafen, nacherigen Herzog von 
Schoniberg für die Sache zu gewinnen, befchidte ihn des» 
balb durch ihren Beichtvater und Enüpfte auch einen Brief- 
wechfel mit ihm an, ohne doch Schomberg aus feiner vor» 
fihtigen und neutralen Haltung herausbringen zu kön⸗ 
nen. Sie befchwerte fih u. A. wie wenigftens der Beicht- 
vater erzählte, über die Impotenz des Königs und daß er, 
um diefe zu verdeden, die Königin in eine Zodfünde zu 
bringen beabfichtige, indem er nämlich ihr Bett in ein 
Schlafzimmer mit einem geheimen Eingang babe ftellen " 
laffen, welches man unbemerkt betreten und verlaffen könne. 

Eines Abends erhielt die Königin einen ausführlichen 
Brief von Schomberg, den fie im Bette las, und darauf 
einfchlief. Am andern Morgen war der König bei ihrem 
Erwachen bereits in die Kapelle gegangen und fie eilte, ſich 
anfleiden zu laffen, und ihm zu folgen. Doch kam fie nicht 
vor ber Elevation an Ort und Stelle und mußte eine 


456 Mbeellen. 


andere Meſſe abwarten, während der König bie Kirche ver⸗ 
ließ. Jetzt erft fiel ihr ein, daß fie das Schombergiſche 
Schreiben auf ihrem Bette gelaſſen habe. Erſchrocken fagte 
fie dies ihrem Beichtvater, der ſogleich nach ihrem. Schlaf- 
zimmer eilt. Aber zu feiner größten Beflürzung erfuhr 
er, daß der König fi darin befinde, den er auch mit 
großen Schritten darin auf und abgehen und fich mit der 
Oberhofmeifterin Gräfin v. Eaftel-Melhor, der Mutter des 
almächtigen Minifters, heftig unterreden hörte. Er felbft 
durfte das Schlafzimmer der Königin in ihrer Abwefenheit 
nicht öffentlich betreten und fo mußte er mit der Trauerpoft 
in die Kapelle zurück. Die Königin fchickte jegt eine ihrer 
Damen ab. Diefe fand jedoch die Sache nur noch ſchlim⸗ 
mer, indem fi der König auf das Bett geworfen hatte. 
Run blieb nichts übrig, als daß die Königin felbft Hineilte. 
Aber die Meffe war noch nicht vorüber. So fiel fie denn, 
auf den Rath des Beichtvaters, in Ohnmacht und wurde in 
diefem Zuftande in ihr Schlafgemad getragen. Doch auch 
bier fam neuer Schreden, indem der König bei dem An- 
blick der ohmmächtigen Königin Befehl gab, fogleich ihr 
Bett zurechtzumaden. Damit wäre ber gefährliche Brief 
noch im legten Augenblide entdecdt worben. Weibliche Gei- 
fteögegenwart half auf dies Mal. Die Königin erholte fih 
etwas und bat mit ſchwacher Stimme, fie nur eilends auf 
das Bett, fo wie ed wäre, zu bringen. Dies gefchah und 
fie fühlte mit erleichtertem Herzen, daß ber Brief, durd 
ein auf bem Bette liegendes Kleid verdedit, noch unverſchrt 
damwar. 


8 Ein englifher Schiffscapitain. 


Der Kaifer Peter der Große hatte in dem unglücklichen 
und doc, fo glüdlichen Frieden am Pruth, durch den ihn 
geſchickte Benugung türkifcher Schwächen aus der Gefahr 
des gänzlichen Unterganges rettete (21. Juli 1711), u. A. 


RT 


Miscehen. 487 


die Rückgabe Azows und die Schleifung Taganrogs ver- 
fprochen. Beide Hatte der alte Großadmiral Graf Aprarin 
inzwifchen gegen bie türkifche Flotte herzhaft vertheidigt und 
mit einem Theil der Befagung von Taganrog bie türkifchen 
Landungstruppen zwei Mal auf ihre Schiffe zurüdgejagt. 
Dem wiederholten Befehle des Kaiſers mußte er gehorchen, 
verließ aber die Pläge mit thränenden Augen. Einige von 
den im Hafen liegenden Schiffen waren fo groß und tief 
gehend, daß man fie nicht in den Don beraufbringen fonnte 
und deshalb den Türken zum Verkaufe anbot, die fie aber 
im Hafen liegen und anfaulen liegen. Ein ruflifcher Schiffs- 
capitain, Namens Simon, ein geborener Engländer, wollte 
fein gut equipirtes und etwas leichtgehendes Schiff durchaus 
nicht abtafeln und verlaffen, und ale das Waſſer flieg und 
er zugleich günftigen Wind befam, lief er mit vollen Se⸗ 
geln aus dem Hafen, die türfifche Flotte und die Meerenge 
hart unter Jenikale vorbei, den Canal bei Konftantinopel, 
bie Darbanellen und den Archipelagus hindurch in das mit⸗ 
telländifche Meer und fo um ganz Europa, und fam in den 
erftien Tagen des vierten Monats nach feiner Abfahrt wohl⸗ 
behalten nad Kronftadt und St. Petersburg, nachdem er 
die Kühnheit und das Vergnügen gehabt, daß er im Ange⸗ 
fichte des Seraild von feinem Schiffe zwei Lagen aus den 
Kanonen gegeben, und den Sultan und ganz Konftantinopel 
in Schredien gefegt ). 

1) Münnich's Tagebuch in Herrmann’s Beiträgen, &. 123 ff. 
Diefes Tagebuch ift von dem aus Sachſen gebürtigen Kammerrath 
Junker verfaßt, der bei dem ruffiihen Salinenweſen angeftellt war 
und mit Münnid in vertrauten Berhältniffen ftand. &.: Herrmann, 
Geſchichte des ruffifhen Staats, Bd. IV., &. 576 und 694 ff. 


— — — —— — — — — — 


Nachtraͤge. 


(Zu S. 47). | 

Nah den Memoiren ber Fürftin Daſchkow (I., 108) 
hatte die Kaiferin Katharina unmittelbar nach der Ermor- 
dung des Kaifer Peter III. ein Schreiben des Alerander 
Orlow erhalten, worin er fie in den demüthigften Ausdrü- 
den um Verzeihung wegen diefer Miffethat bat. Diefen 
Brief bewahrte die Kaiferin mit Sorgfalt unter ihren wid 
tigften Papieren. Nach ihrem Ableben ließ ſich der Kai 
fer Paul das Käftchen bringen, worin fi) Die geheimen 
Briefihaften feiner Mutter befanden, und ſich deren Inhalt 
vom Fürften Berborodfo vorlefen. Als der Brief Alerander 
Orlows beendigt war, rief der Kaifer aus: „Gott fei ge 
lobt, die wenigen Zweifel, die ich in Bezug auf diefes Er- 
eigniß über die Theilnahme meiner Mutter hatte, find nun 
verfehwunden.” Er befahl, daß der Brief dem Großfürften 
und dem. Grafen Roftopfchin gezeigt werden folle. 


(Zu den Auffägen III. und IV.) 

Erft nach dem Abdrude diefer Aufjäge ftieß ich auf eine 
umfaffende Darftelung des Cardinal Alberoni, aus ber 
Feder des verftorbenen Prof. Eifenbah in Tübingen, im 
Sahrgange 1829 der Pöligifchen Jahrbücher (Bd. J., ©. 
472 ff., Bd. IL, ©. 210 ff), Der Verf. beurtheilt Al 
beroni im Ganzen fehr richtig, und hebt namentlich feine 
Verdienfte um die innere Verwaltung Spaniens hervor, 
hat aber manche neuere Quellen nicht benugen fünnen, die 
mir zugänglich waren. Er gibt noch einen dritten Geburts: 
ort Alberoni’8 an: Borgo di S. Donnino. Bon der Dr. 
fini behauptet er, daß fie fpäter den Plan gehabt habe, 
eine italienifche Partei, unter Führung Orri's, in Spanien 
in die Höhe zu bringen und die Nationalfpanier zu ver: 


Rachtrage. 489 


drängen. Aber außer Orri war Don Melchior Macanaz, 
alfo ein Spanier, die Seele diefer Partei und ihrer Re 
formpläne. In Betreff des Sturzes der Drfini bat er 
auch die Meinung der Herzogin von Orleans, daß die Dr 
fini zuerft die Königin mit Vorwürfen überhäuft habe, die 
dann von dieſer überboten und in Kraft gefegt worden feien. 
Beide Frauen feien zu diefer Rolle von Alberoni angeleitet 
worben, welcher namentlich der Orſini gefagt habe, fie müffe 
der Königin von vornherein imponiren. Die Königin habe 
die entgegengefegte Erzählung, daß fie auf Befehl des Kö⸗ 
nigs und nicht auf Anftiften Alberoni’d gehandelt Habe, 
nur verbreitet, um bie Sache zu befchönigen. Mir fcheint 
jedoch eben diefe legtere Erzählung fowol in dem Charakter 
Philipps V., als in dem ber Orſini, welche recht wohl 
wußte, durch welche Mittel fie die anfänglich zweifelhafte 
Gunſt der eriten Gemahlin bes Königs erworben und welche 
in der Behandlung der Menfchen keine folhe Stümperin 
war, wie jene andere Verſion vorausfegt, beffer begründet 
zu fein. Hat ein Befchönigen im Plane gelegen, fo Tiegt 
es viel näher, bies in einer folchen Erzählung zu fuchen, 
welche die Schuld auf die Prinzeffin Orſini fchob. — Da- 
gegen will ich nicht unermähnt laſſen, daß Eiſenbach bie 
großen Unvorfichtigkeiten des Prinzen v. Gellamare, welche 
zur Entdeckung der Verſchwörung führten, nicht auf feine 
Unfähigfeit, fondern auf die Abficht fehiebt, die Sache fchei- 
tern zu machen und dadurch Wlberoni einen Streik zu 
fpielen. Gellamare fei ja ber Neffe des Carbinal del Giubice 
gewefen, der von Alberoni geftürzt und vielfach gefränft 
worden fe. Es bleibt das eine Eonjectur, für die es weiter 
feinen Beweis gibt. — Der ©. 156 erwähnte Sandrasty 
war ein Schlefier. Der ebendafelbft erwähnte Schlieben 
war früher in Spanien gewefen und von der Orfini be 
günftigt worden. 


(Zu ©. 212). 
Wir erfehen aus handfchriftlichen Mittheilungen, bie 
und erft neuerdings zu Geficht gekommen, daß Xaver Hee⸗ 
91 ** 


490 Rachtraͤge. 


wald, Legationsrath und Kammerzahlmeiſter der Kurfürſtin 
Witwe, am 26. Januar 1777 auf den Koͤnigſtein gebracht, 
am 9. März 1778 aber wieder entlaſſen und ihm Bautzen 
zu ſeinem künftigen Aufenthaltsorte angewieſen wurde. 
Hierdurch beſtätigt ſich die S. 208 ausgeſprochene Anſicht, 
daß Heewald nicht ernſtlich betheiligt geweſen. Waͤhrend 
feines Aufenthaltes auf dem Königſtein erhielt er täglich 8 
Gr. und beftritt feinen Aufwand ex propriis. Agdolo da 
gegen erhielt monatlich 30 Thlr. aus dee Generalkriegskaſſe 
und 20 Thlr. aus ben Generalkriegsgerichten. Agdolo findet 
fih fhon am 16. Sept. 1776 auf ben Liften der Feftung 
(vergl. ©. 208), wird am 9. Det. nah Pirna gebradt, 
und kommt am 21. April 1777 (&. 212) wieber auf ben 
Königftein. Mit Heewald kam Marla Anna Gozza, melde 
als feine „vorgegebene Ehefrau‘ bezeichnet wird, auf ben 
Königftein, wurde aber ſchon am 28. nah Dresden ge 
bracht. Sie erhielt täglich 6 Gr. 


(Zu ©. 230 und 231.) 

Die drei bei den Bauernunruhen und während ber 
Scene zu Hirfchftein verhafteten Bauern waren ber Richter 
und Hufner Gottfried Gehre in Bahre, der Gärtner Io: 
bann Gottfried Thiele in Althirfchftein und der Gärtner 
ChHriftian Mann in Nößchen. Sie famen am 11. Sept. 
1790 auf den Königftein. Gehre und Thiele wurden fchon 
am 11. Nov., Mann wurde am 3. Dec. beffelben Jahres 
wieder entlaffen. 

(Zu ©. 307.) 

Wir fehen doch, daß ber gute Superintendent Boden- 
fhag lange auf die ihm verfprochene Beförderung im Va⸗ 
terlande hat warten müffen, und daß er fie ſchwerlich der 
Eofel zu danken hat. Johann Ehriftoph Georg Bodenfchag 
wurde am 25. März 1717 zu Hof geboren, ſchon 1740 
Pfarrer zu Uttenreuth, aber erft 1764 nach Frauenaurad 
verfege und erft 1781 Superintendent zu Baiersdorf, als 
welcher er am 4. Oct. 1797 verftorben ift. 


Megiiter. 


m 


Abalyanow, ruff. Generalpros 
curator, 64. 

Abenteurerleben, 474. 

Ahmed Paſcha, 432. 
Adie, Graf dv’, in die Gellamare- 
verſchwörung verwidelt, 156. 
Affry, die Grafen dv’, 342, 343. 
Agdolo, Obrift, 196 ff. 372, 490. 
Agliata, Senoffe Gaglioftro’s, 6. 
Aauilar, Graf v., intriguirt ge⸗ 
gen den Sardinal d'Eſtrées, 107; 
wird Oberbefchlöhaber der fpa= 
nifhen Heere, 1215 wird ge⸗ 
ftürzt, 123. 

Ahlden, Herzogin von, jtirbt 
2573 ihre Erbſchaft, 260, .262. 

%iguillon, Herzog v., Minifter 
der ausw. Angeleg., 1823 fein 
Streit mit Graf Broglie, 183. 

Alba, Herzog v., ſpaniſcher Ge- 
fandter in Paris, 107. 

Alberoni, Gardiral, 135 ff., 488; 
fein Sturz, 160 ff.3 fein Tor, 
165; fein Zerdaitniß zu Rip⸗ 
perda, S. 1 

Alberoni, Gäfer, 169. 

Ai Pafcha, 431 — 432. 

Alleurs, Gruf des, franz. Ges 
fandter in Konftantinopel, 1783 
ad einer Lubomirska vermählt, 


Alfufiew, Obrift, 34. 
Altieri, Prinzeffin, 199. 


Altotad, Genoffe Eaglioftro’s, 
314 


Amelot de Sournai, franz. Ge⸗ 
fandter in Madrid, 1173 ab 
berufen, 121. 

Andres, deutfcher Arzt in Lon⸗ 
don, 13. 

Anbalt-Deffau, Hof und fürft- 
lihe Zamilie, 264 — 268. 

— Leopold, Zürft zu, ebend.; 3 
270 — 271. 

Anbalt-3erbft, die Berhält- 
niffe Katbarinad, 10; wie der 
Zürft dic Einladung nah Ruf: 
land aufnimmt, 235 die Für- 
ftin Johanna Eliſabeth, 10. 

Anhalt, die Srafen v., 264. 

—N ⸗ die v., 264. 

Anfpad,Markgrafv., 348-349. 

Aprarin, Admiral, fein Wohn⸗ 
baud, 33 vertheidigt Taganrog, 
487 3 führt das holfteinifche Her: 
zogspaar nach Holftein zurüd, 4. 

Aprarin, General, fein Rückzug 
aud Preußen, 175 er ftirbt, 15. 

Aquaviva, Gardinal, 164. 

—— Bircelegat, 392. 

Araktſchejew, General, 75 ff. 

Armfeld, Frh. v., 92. 

Arnim, Graf v., preußiſcher Mi⸗ 
niſter im Juſtizfache, 4 - 275. 

Aſtorgas, Marquis v., 121. 

Aubenton d', Beichtvater Phi⸗ 


ai 





© mt teiec: iemen Uxfisand er proprüs. Agdolo da- 
zer eier mean 36 Ihlr. and ber Generalkriegskaſſe 
zu Ip. anf der Genersffriegägerichten. Agdolo findet 
= dee m Ik Exre 17.6 auf ben Liften ber Feſtung 

E u 


1720 ıaxf ten Königiem. Gebre und wurden jchon 
am Il. Re:, Mann wurde am 3. Dec. deffelben Jahres 
wieder eutlafien. 

(Zu ©. 307.) 


Wir icben doch, daß der gute Superintendent Boden- 
fhag lange auf Die ibm verfrrocddene Beförderung im 2a 
teriande hut warten müffen, und baf er fie ſchwerlich der 
Coſel au tanken bat. Jobann Chriftoph Georg Bodenſchah 
wur am 25. MRäirı 1717 au Hof geboren, fchon 1740 
Pfarrer au Uttenreuth, aber erft 1764 nad Frauenaurad 
veriegt und erft 1781 Superintendent zu Beiersdorf, als 
welcher er am 4. Det. 1797 verftorben ift. 


Hegiiter. 


nn en 


Abalyanow, ruff. Generalpro: 
curater, 64. 

Abenteurerleben, 474. 

Ahmed Paſcha, 432. 
Adie, Graf d', in die Gellamares 
verſchwoͤrung vermwidelt, 156. 
Affry, vie Grafen dv’, 342, 343. 
Agdole, Obrift, 196 ff. 372, 490. 
Agliata, Genoffe Eaglioftro’3, 6. 
Aauilar, Grafv,, Intriguirt ge⸗ 
genden Cardinal d'Eſtrées, 107; 
wird Oberbefehlshaber der ſpa⸗ 
niſchen Heere, 1213 wird ge⸗ 
ſtuͤrzt, 123. 

Ahlden, Herzogin von, ſtirbt 
2573 ihre Erbſchaft, 260, 262. 

Aiguillon, Herzog v., Miniſter 
der ausw. Angeleg., 1823 fein 
Streit mit Graf Broglie, 183. 

Alba, Herzog v., ſpaniſcher Ge⸗ 
ſandter in Paris, 107. 

Alberoni, Gardinal, 135 ff., 488; 
fein Sturz, 160 ff.5 fein Top, 
165; fein Berhaͤltniß zu Rip- 
perda, &. 167. 

Alberont, Gäfer, 165. 

Ali Paſcha, 431 — 432. 

Alleurs, Graf des, franz. Ges 
fandter in Konftantinopei, 1785 
einer Lubomirska vermaͤhlt, 


Alfufiew, Obriſt, 34. 
Altieri, Prinzeftin, 199. 


Altotad, Genoffe Saglioftro’s, 
314 


Amelot de Gonrnat, franz. Ge⸗ 
fandter in Madrid, 1173 abs 
berufen, 121. 

Andres , deutſcher Arzt in Lon⸗ 


3. 

— — Hof und fuͤrſt⸗ 

liche Familie, 264 — 268. 

— Leopold, Yürft zu, ebend.; 
0—- 271 


2370 — 271. 

Anhalt-3erbft, die Berhält- 
niffe Katharinad, 10; wie ver 
Zürft die Einladung nad Ruf: 
land aufnimmt, 235 die Für- 
fin Johanna Eliſabeth, 10. 

Anhalt, die Grafen v., 264. 

— v., HA. 

Anfpad, Martgrafv., 348-349. 

Aprarin, Admiral, fein Wohn⸗ 
haus, 3; vertheidigt Taganrog, 
487 ; führt das holfteinifche Her⸗ 
zogspaar nady Helftein zuräd, 4. 

Aprarin, General, fein Rückzug 
aus Preußen, 173 er ftirbt, 15. 

Aquaviva, Gardinal, 164. 

—— #Bicelegat, 392. 

Xraktfhejem, General, 75 f. 

Armfeld, Frh. v., 92. 

Arnim, Graf v., preußiſcher Ri⸗ 
nifter im Juſtizfache, 374— 275. 

Aſtorgas, Marmisv., 121. 

Aubenton d', Beichtrater Phi⸗ 


Gazotte, 399, All fi. 

Gellamare, Prinz v., ein Giu⸗ 
dice, 12355 fein Xeußeres, 1535 
fein Gharakter, 154,480; feine 
Rolle in Frankreich und Schick⸗ 
ſale, 155 

Chaiſe, de ta, 112. 

Ehalois, Prinz von, 96. 

—— Graf v., 130. 

Ghandes, Marquis v., 13. 

Ghanteloupe, Palaft zu, 124. 

Ghaptal, Sraf, 124. 

Gharlot, Scharfrichter, 405. 

Ghaftelet, Herzogin v., 217. 

Ehenaud, 337. 

Chenon, Ghevalier, 235. 

Ehcfterfield, Graf, 446. 

Shetardie, Marquis de la, 7. 

Ghoifeul, Herzog v., in Shan 
teloupe, 1243 fein Berbältmiß 
zur geheimen Diplomatie Lud⸗ 
wigs XV., 179 — 1825 fein 
Berbältniß zu Vergennes, 193; 
was er von dem Grafen St. 
St. Germain fagt, 3413 fein 
Gonflict wegen dieſes, 341 — 
3433 fein Scherz; mit Conda⸗ 
mine, 4045 feine Schweſter, 417. 

Glavieres, 333 ff. 

Glemend XI, erhebt Portocars 
rero zum Gardinal, 975 fein 
Groll gegen die Orfini, 1315 
muß XAlberoni zum Gardinal 
maden, 1465 fein Tod, 163. 

Sıesmont'fües Syftem, 357, 


Gocceji, Samuel v.; feine Ges 
ſchichte, 2565 was er zu Nüß- 
ler jagt, 3575 wird Miniiter, 
2; feine Juftigreform, 274 — 


Golonna, Cardinal, 97. 

Gondamine, de la, 404 ff. 

Gonti, Ludwig Franz, Prinz v., 
feine Steltung in der geheimen 


Regifter. 


Diplomatie Ludwigs XV., 177 
— 1795 empfiehlt d'Eon, 187. 
GSonpulfionaire, die, 402 fi. 

Gopfton, Georg, 317. 

Gofel, Gräfin v., 296 ff.3 ihre 
Rachkommen, 300, 301. 

Gourecillon, Marquis, in der 
Gellamareverfhwörung , 153, 
156, 157. 

Gramer, begleitet den Prinzen 
Deter nah Rußland, 75 aus: 
gewieſen, 12. 

Greug, preuß. Minifter v., 260. 

Groiff», 108. 

Greir, Madame de la, 393 ff. 

Gunningbam, 381. 

Dänemarf, Peters II. Pläne 
in Betreff deſſelben, 28, 99. 
Friedrich VI, König v., 535 
Juliane Marie, Königin v., 52. 

Damiend, 405. 

Dapifard, 157. 

Daſchkow, Zürftin, eine Wo⸗ [ 
ronzow, 173 ihre Rolle in der 
Verſchwoͤrung, 34, 35, 37; fie 
begleitet die Kaiferin, 42; Pa⸗ 
nin's Neigung zu ihr, 54. 

Debroffe, de, fähfifher Ges 
fandter im Paag, 285. 

Det chütz, v., feine Ermordung, 
470. 


Delaunay, Dlle, 157. 
Delolme, 375 
Deluc, 375. 
Derſchau, Obriſt v., 262. 
Deslandes v. Regnault, 120. 
Deutſchland, Peters II. Plan 
in Betreff deffelben, 28, 29. 
Diviers, ruff. General, 39. 
Dolgorudy, die, 2. 
Dönhoff, Gräfin v., 298, 302. 
Döring, Poet v., 3W. 
Douglas, Ritter, franz. Agent 
in St. Petersburg, 187. 
Dreſch, v., 272. 


Regifer. 


Droft, Arzt in St. Peters⸗ 
burg, 97. 

Drouet, 182. 

Dubarri, die, 182. 

Duchanteau, 330 ff. 

Duboid, Gardinal, feine Ger 
ſchichte, 1515 fein Berfahren 
bei der Gellamareverfhmwörung, 
154 — 156. 

Dubois Martin, 180. 

Duder, v., 12. 

Dumesnil, Gellamareverſchwö⸗ 
ver, 193, 156. 

Dumouriez, 182. 

Duparc, die, 299. 

D H 3 veray, genfer Fluͤchtling, 


Eder v. Gähofen, 359. 

Ecombes dv’, 358. 

Ehrenfeld, DObrift v., 450. 

Eichel, preuß. Geh. Gabinets⸗ 
rath, 273, 275. 

Ellermann, 361. 

P Gnoe, Freiherr v., fächfifher Mi⸗ 

nifter, 10. 

Engelbardt, Serseant, ſpäter 
General, 46, 4 

Eon v’, 184 ff. 

Eöclignac, Herzogin v., 19. 

Eöspremenil vd’, 324. 

Efrend, Garvinal d’, 96, 105 


—— Abbeé, 105, 110 — 112. 

Eugen, Prinz, von Savoyen, 
239; fein Berhältniß zu Bon⸗ 
neval, 424 ff 

Zagel, 282. 

Favier, 182. 

Faye, de la, 281, 282. 

gelisiani, Lorenza, 310 fi. 

Zenelon, 105 

-— Marquis v., 288. 

Zerber, Friedrich —— Ic fein 
Berhältniß zu Agdolo, 200 
2013 von der Kurfürftin Witwe 


beſchenkt, 2055 Agdolo bei ihm, 
20153 Misftimmung des Kur⸗ 
fürften gegen ihn, 2113 fein 
Berbältniß zu Schrepfer und 
du Bose, 372 — 373. 

Zermer, Graf v., 2. - 

Zlemming, Sarl Georg Fries 
drid Graf v., 286. 

—— Jakob Heinrich v., 247,301. 

arm, Johann Friedrich v., 245 — 


Zleury, Eardinal, 177, 440. 

Zlotte, 120 

Folard, 159. 

Zranfreih, Ludwig XIV, Ks 
nig von, 104 ff., 1495 2ud» 
wi XV., König von, 140,170, 


Fresne, dei, 114. 
Zrief 3 Heinrich Friedrich Graf 


v., . 

—— Heinrihd Graf v., 297 

Zröpden, v., 376. 

Zürftenberg, Egon Zürft v., 
297, 303. 


Zub, Rector in Kiel, 5. 

Gagarin, Zürftin, 74, 78. 

Galizin, Zürft Iman,25, 42,49. 

Gardini, Ignaz, Alberoni’s 
Gönner, 135. 

Gasc, genfer Ylüdtling, 335. 

Gavandun, Ghevalier de, Gel« 
lamareverſchwoͤrer, 156 

Geißler, 321, 222 

Genua, 161, 162. 

Georg J., Siehe: Großbritannien. 

Gerault, franz. Agent in Pos 
Im, 181. 

Gerber, die v., 264. 

Gersdorf, die v., 482, 

Gersſsdorf, Karl Auguſt v., 

ſaͤchſ. 213.316. Minifter, 


, _ 
ohanna v., 240, 249 
Gibraltar, 114 124. 


496 
en Gardinal del, 125, 
4 


141, . 
Glebow, Alerander, 25, 34. 
Gleichen, Baron v., 320, 347, 
348, 394 ff., 404 ff. 
Goethe, 310, 316, 3239. 
Golz, Zreiderr v. d.3 preuß. 
Gefandter in &t.Petersburg,27. 
Gordon, Lord Georg, 325, 


Gräve, Arzt in Petersburg, 91. 

Gramedo, Graf v., S. 12. 

Sramont, Herzog v., franz. 
Trlandter in Spanien, 112 — 


—— Herzogin v., 417 ff. 

Grashof, Paftor, 252. 

Grenus, genfer Flüchtling, 335. 

Grilli, genuefifher Patricier, 96. 

Grimaldo, Marquis v., 116, 
125, 132, 144. 

Großbritannien, 
König von, 175. 

geudanneel, Gräfin, 88 

Grünftein, 26. 

—A 28, 27, 43, 44, 
48, 50. 

Guerchy, Graf v., 188, 189. 

Guerra, Dominik di, 141. 

Gugomos, 361. 

Gutſchmid, v. 371. 

Halifar, Lord, 189. 

Hannover, 29. 

Harcourt, Herzog v., 104. 

Hapfeld, Meldior v., 434, 435. 

Hedmann, 13 

Heewald, Sceretair der ver: 
witweten Kurfürftin von Sach⸗ 
fen, 206, 211, 212. 489. 

Heiliger, Kriegözahlmeifter in 
Hannover, 259. 

einfi ius, Johann Georg, 241, 


Georg 1., 


- Hennin, 187. 


Henrikow, die Grafen, 3 


N 


Begifter. 


Bellen, Landgraf Karl v., 344, 


pennis, v., 373. 

Hiller, General v., 13. 06. 
Hirfhftein, Sqloß zu, 226. 
Poffmmann, Dbrifio., 287, 238, 


daffmenn, Hector in Görlis, 


Sobbers, Gräfin v., 

Hohenthal, Grafen &. 979,376. 

Holftein, 3, 19, 48. 

Holfteins Bed, Karl Ludwig, 
Prinz v., 209. 

—— Peter Auguft Friedrich v.,25. 

Holftein-Gottorp, Seorgäm- 
wig, Prinz v., 25, 29, 4 

— Karl Friedrih, 24 d. 
1— 

— Yuguft, Prinz v., 12. 

—— Sophia Amalia, Prinzefs 
fin v., 296. 

Holſtein-Plön, 20. . 

Holgendorf, Ghriftian Gott ' 
lieb, Graf v., 301, 307. 

Hopfgarten, v., 376. 

Hopital,. Marquis d', 
Galluccio, 187. 

Hoym, Adolph Magnus, Graf 
v., ‚29. 

—— Karl Heinrich, Graf v., 
296, 297. 


Paul 


Hund und Altengrotkau, die v., 
350 


Jackabowski, franz. Agent in 
Polen, 181. 
Jarriges, v., 275, 276. 
Jaucourt, Marquis v., 334. 
Jefimowski, die v., 3. 
Illosway, 430. 
Imperiali, Cardinal, 161. 
Infantado, Herzog v., 107. 
Innocenz XIL, 98. 
Innocenz XIII. 131, 160. 
Joſeph IL, Kaifer, 35, 327. 


Regifter. 


Ismael Paſcha, 432. 

Ismailow, 34, 43. 

Karl VI, Kaifer, 169, 171. 

Katſch, Cdrifloph v., 255, 256. 

Katte, Obriſt v., 201, 262. 

Kauderbach, 200 ff. 

Keßler genannt Sprengseiſen, 
die v., 368, 469, 470. 

Kilmarnod, Lord, 447. 

Kippen, v., 359. 

Kleufer, 339, 390. 

Klingenberg, v., 280. 

Klinggräf, preuß. Geheimes 
ratb, 263. 

Knorr, Syndikus in Halle, 253. 

Koh, Hofrath in Merfeburg, 
250, 251, 244. 


Köhin, engliihe des Kaifer 
Paul, 82. 
Königsegg, Lothar Joſeph 


Georg, Straf v., 172 
Kolowrat-Krakowsky, Jo⸗ 
hann 3. Hyacinth, Graf 
v., 
Korf, v., 7, 25, 50. 
Krug v. Nidda, Philipp Frie⸗ 
drich, 253, 273. 
Kurafin, Fürft Alerander, 62. 
Kurland, 3, 19. 
—— Karl Herzog v., 18, 370 ff. 
Kutaizow, Graf, 62, 64, 9. 
Lagnasco, Graf, 287. 
Laharpe, A16 ff. 
Lanti, Herzogin v., 96. 
——h Anton, 
—— Alexander, 130. 
Lapuchin, Zürftin, 74. 
Zara, Don, 120. 
Lascy, Peter Graf v., 8. 
Launay, Marquis, 325. 
Zautenfad, 285. 
Zaval, Graf v., 153, 154, 157. 
Savalette, Pater, All, 412. 
Lavater,385;feine Brüder, 388. 
Le Blanc, 155. 


497 


Ze Gamns, 186. 

Leede, Marquis v., 146. 
Echmann, Obrift v., 274, 279. 
seibhufar des Kaifer Paul, 


f} . 

Leipzig, 27. 

Lescinska, Marie, Königin von 
Frankreich, 170. 

Leſtocq, 7, 23, 26. 

Lihtenhain, Lieutenant v.,223. 

Liebenroth, v., 237. 

Lilienfeld, Witwe, 53. 

Zimburg, Herzogthum, 125. 

Livri, Sanguin de, 170 

Lobkowitz, Ferdinand Auguft 
Leopold, Fürſt v., 238. 

— Georg Chriftian, Zürft v., 
2338 — 240 


ef —5 Adolph Graf von, 

215, 224 

Loſſa, Edler v., 368. 

Louville, Marquis v., 105, 
110, 111, 144, 145. 

Loval, Lord, 438 ff. 

Lubomirski, Georg Dominic, 
Fürſt v., 299. 

—— Georg Ignaz, Fürft v., 302 

—— Jakob Alerander, Fürft v., 
198, 200. 

Lucca, Signoria zu, 287. 

Zudemwig, Kanzler v., 249, 
252-256, 263, 273, 274, 278. 

Luͤbeck, Adolph Friedrich, Bi⸗ 
ſchof von, 

— —* Auguſt, Biſchof 
von 

— Friedrich Auguſt, Biſchof 
von, 10 

Lüd *2 Wundarzt in St. Pe⸗ 
tersburg, 46, 47. 

Lynar, Rochus Graf v., 12. 

— Moris Karl Graf v., 242. 

Macanaz, Don, 126, 489 

Magny, Graf, Gellamarever- 
fhwörer, 156. 


Mahmud I, Sultan, 429. 
Maine, Herzog v., 150, 152, 
156, 157 


fl U} 
— Herzogin v., 1523, 156, 157. 
Maintenon, Zrau v., 97, 09, 
101, 115, 117, 150. 
Malezieur, Gellamareverfhwös 
rer, 153, 156. 
Manfuromw, 77, 82. 
Marat, 376, 377. 
Maroliat, , Graf Gamilo, 217, 
37 


Marin, 73, 80, 83. 
Marſchall, v., preuß. Minifter, 
267. 


— Heinrih Wilhelm v., Groß⸗ 
meifter der Zreimaurer in Ober: 
ſachſen, 351 — 358. 

— v. Biberftein, Johann Au⸗ 
guſt, 274. 

Marfin, Graf v., 104. 

Martinez Pafquali, 360, 414. 

Martius, Rector, 281. 

Marpit, Heinrich Karl v. d., 


Maſchkow, die v., 264, 266. 
Maſſieu, Chevalier de, 161. 
Maſſimi, Marquiſe, 199. 
Maurigi, Marquis, 317. 
Mead, Dr., 13. 
Medlenburg, 28, 29, 89. 
Medina Geli, Herzog v., 107, 
121, 125. 
Meer, Ban der, holländ. Grs 
fandter in Madrid, 177. 
Meierada, Marquis v., 116, 


Melgunow, 25, 92. 

Mentſchikow, Firſt, 4, 15. 

Mercy, Graf, 2 

—— Glaudius orimund Graf 
v., 159. 

Merfay, v., 384. 

Mihaelepalakt, 77 ff. 8. 


Regifter. 


Ruit eirrefo rmen Peters IL, 
4 


Mirowitſch, 50. 

Monnet, General, franz. Agent 
in Polen, 181. 

Montauben, Fräulein v., 157. 

Montejo, Graf v., 107. 

Moniellaus, Herzog v., 116, 


Montefpan, Zrau v., 150. 


‚346. 
Mofezinfkt, "Anton Grafv., 300 
Mofer, 260. 
Mündhaufen, u Adolph, 
Zreiberr v., 259, 

Münnid, —* — Seifert, 
Graf v., 6 fi., 23, 25, 43. 
Murano, Goharheiter in Pa 

. lermo, 2313. 

Mylius, 470. 

Myngen, Joham Hedwig r., 
240. 


Nadir Shah, 433. 

Nariſchkin, Leo, 50. 

—— Alexander, 64. 

Neidhart, Gardinal, 97. 

Keplunef, v., 38, 41. 

Nesle, Marquis de, 408. 

Kicaftro, 315. 

Niederlande, 89. 

Nitſche, 390, 467. 

Nivernais, Herzog v., 188. 

Noailles, die, 99, 101. 

— Adrian Moritz, Herzog v., 
122, 123. 

Nocé, Graf v., 151. 

Nointel, franz. Geſandter in 
Konſtantinopel, 106. 

Noirmoutiers, Ludwig Her⸗ 
zog v., 95. 

— Ludwig Alexander Herzog 
v., 95, 111, 117, 131. 

Noyon, Graf v., 157. 

Nüßler, die v., 238 ff. 


Aegiſter. 


NRummers, Hafencommandant in 
Kronſtadt, 39 

Obereit, 383 ff. 

Odart, 34. 

Odescalchi, Livius, 96, 98. 

Deſterreich, W 

Oldenburg, 28, 89. 

Dranienbaum, Bauten dafelbft, 
15, 165 lutheriſche Kirche zu, 
2653 Feſte in, 42. 

Denen rbindungen, 359, 


3 

' ' 

Orleans, Herzog von; der Re⸗ 
gent, 119, 131, 149, 1503 
feine Gemahlin, 152. 

_—— ig, Poiipp, Herzog 
von, 373, 

— —** Kwarlotte v. d. 
Pfalz, Herzogin v., 98, 101, 

Ormond, Herzog von, 159. 

Orlow, Gebrüder, 34, 45. 


— Alexander, 36, 46— 49, 
217, 344, 488. 

Drri, 108, 110, 113, 125 — 
126, 132. 

Orſini, die, 163. 

Drjini, Prinzeffin, 95 ff., 138 
— 141, 488, 489. 

—— Flavius di, 95 9. 

Orzelska, Gräfin, 299 

DOftermann, Graf, 66 

Osnabrück, 29. 

Dftfriesland, 2». 

Pahlen, Peter Ludwig, Graf 
v., 69— 80, 86. 

Hainter, Kohn, 446 fi. 

Palma, die Grafen v., 97. 

Dalmerfton, Lord, 335. 

Panin, Graf Rikita, 1, 3l— 
87, 41-41, 54 ff., 59, 317. 

Panin, der jüngere Graf, 57, 
65 — 6. 


Darma, 133 — 40, 160, 287, 
. 83; Maria Ifabella von, Ges 
mahlin Joſephs IL, 2385 Phi⸗ 
lipp, Herzog von, W7, 288 
Paſſek, 34, 35, 37. 
Patrizi, Marquiſe, 199. 
Paulmy, Marquis, 181. 
Paulucci, Cardinal, 161. 
Pecquet, 151. 
Pelham, Heinrich, 446. 
Perez, ein Marokkaner, 174. 
een ruffiiher Krieg gegen, 


perfiion, 34. 

Defcatori, Laura, 160. 

Deterborougb, Earl v., 159. 

Hetit, franz. Wundarzt, 308. 

Pezold, Johann Sigmund, 285. 

Hillnig, 298 

Pinto, 314. 

Piombino, Marauife, 141. 

Pius VL, 328. 

Platania, Abt, 150. 

Plotho, Ludwig Dtto v., preuß. 
Minifter, 255, 256, 257 

Podewils, Graf v., 272, 273, 
2 977. 

Polen, 29. 

Paligaat, Sarvinal, 151, 157, 


Poljanski, 45. 

Dompadour, Marquis, Gella- 
moreverfhwörer, 153, 156, 157. 

Pomponne, 10. 

Yoniatomstis, die, 283, 284, 
288. 


—— Stanislaus XAuguft, 17, 18. 

Ponteau, 414. 

Hortocarrero, Cardinal, 96, 
97, 14 —7, 110, 114, 119, 


120. 
Po ärug⸗ ugal, Königtanenvon, 170, 
4 


Potemtin, 35, 43, 47. 


Pott, 385. 

Prätendent,der, 132,440, 441. 
Praslin, Herzog von, 190. 
Praſſe, Legationsrath, 27. 
meh d., Ichwed. Gefandter im 


Has⸗ 
viieeigegee, 3, 


Dreufen, 3; Zriedrich Wil 

helm 1. König von, 280 — 
267, 2685 Sriebrid II, 

König von, 9, 33, 49, 30 — 
382; Berehrung Peters II, 
für ihn, 16, 17, 975 Heinid, 
Prinz von, 295 Anna Amalia, 
Prinzeffin von, 9. 

Prevot d’Erile, 282. 

Dric, Marquis de, 425 — 420. 

Dfeudopeters, die, 49. 

Promnig, dieGrafen v.,244,245. 

Raad, 13. 

Radzivil, MarieGleonore, Für⸗ 
ftin v., 266. 

Raiſer, 4l. 

Rakoczy, 430. 

Rafumomöti, Alexiew Graf, 
14, 49. 

—— Kyrila Graf, 33. 

Rede, Elifan.d, 3”, 326,329. 

Rehbinder, v., 34. 

Renard, die, 300, 

Retif de la Bretonne, 49. 

Rer, Karl Auguft Graf v., 286. 

Riario, Herzogin von, 199. 

Nidcelieu, Herzog v., 156. 

Ringler, genfer Flüchtling, 335. 

NRipperda, 144, 159, 166 fi. 

Niffelmann, v., 257. 

Rivas, ruf. Anmiral, 67, 72. 

NRivas, fpan. Marquis v., 112 





— 118. 
Robinet, Beichtvater Philipps 
V. 126, 127, 136. 
Rogan, Gardinal, 393. 
Rollingen, Zrein v., 216. 


Regifker. 


Roncovieri, Graf, 136. 
Ronguillo, 118, 122. 
Ropfcha, 44. 
Rofenberg, Gräfin, 61. 
Rofopfäin, Graf, 64. 
Roure, Graf v., 106. 
Rouffet, Miffi de, 282. 
Rüdiger, Profeffor, 281, 468. 
Nugenfohn, Dr., 322. 
Rußland, Peter L, Kaifer von, 
2, 20; Katharina 1, 2, 35 
Peter IL, 4, 65 Großfürftin 
Anna, 2, 4, 5; Kaiſerin Am 
na, 63 Iwan IIL, 6, 18, 49; 
feine Geſchwiſter, 51 fi.3_ Re 
gentin Anna, 6, 51; Glifa- 
fabeth, Großfürſtin, 2, 45 Kaie 
ferin, 7, 10, 29 fi, 34, 50, 
1873 Peter IL, If; Kar 
t$arina I, 10, 12 ff., 51,59, 
61, 488; Saul, 16, 31, 37,41, 
49, 53, 50 5 Alerander, 53, 
68, 73, 74, 87, 91, 943 Kon 
ftantin, Großfürft, 87, 8, 91; 
Nikolaus, Großfürft, "9; Kair 
ferin Marie, 88 fs Groffür« 
fin Natalie, 88. 
Nusca, 469. 

Rutowski, Graf v., 198, 298, 
359; Gräfin, 198, 209. 
Saajen, 10, 15, 19, 27, 3, 
196 ff.ʒ*Friedrich Auguft 1, 
Kurfürft von (als König von 
Polen Xuguft.11.,) 297— 308; 
Spriftine Cberhardine, feine 
Gemahlin, 3005 Friedrich Aus 
guft I, König von, 196 fir 
234 — 2365 Xaver Auguſt, 
Prinz von Polen und Sadjen, 

199. Maria Antonia, Kurfüre 
ftin_von, 202 ff. 
Sadfen-Altenburg, Joſeph, 
Herzog zu, 235. 
Saäfen-Gothe, Auguſt Herr 
zog zu, 392. 


Regiſter. 


Sachſen⸗Koburg, 88. 

Sachſen⸗Meiningen, Georg 
Friedrich Karl, Herzog zu, 291. 

Sabfen-Merfeburg, Hof zu, 
249 —251. 

Sahfen -Weißenfel5-Dab- 
me, Xemilie Agnes, verw. Ders 
zogin von, 244 — 249, 251. 


Saden, Graf, nachher Zürft "m 


202, 205, 210, 212 — 217. 

St. Aignan, Herzog von; 144, 
157, 158. 

St. Foix, 1. 

St. Geneß, Marquis, Eellama- 
reverſchwoͤrer, 156. 

St. Germain, Graf, General 
und Minifter, 31, 340 

St. Germain, Graf, Abenteus 
rer, 180, 340 ff. 

St. Martin, 360, 393. 

—z mmerbiener Ripperda's, 
17 


Saldern, v., 45, 93, 56. 

Sandrasky, 156, 489. 

Savoyen, 9. 

Sare, Johann Georg, Chevalier 
de, 213, 370, 376. 

ng Zofeph, Chevalier de, 199, 


Scariatin, 85. 
Scheiter, Hofrath, 258, 259. 
Schenkendorf, v., 274, 279. 
Schepelow, 4l. 
Scheremetow, Anna, Gräfin,55. 
Skhiebell,v., General, 198,201. 
Schkurin, 37 
Schleſien, 28. 
Schleswig, 3, 11, 20, 28. 
Schlieben, die v., zu Strado 
und Vetzſchau, 243, 244. 
Schlieben, Graf v., Gellamares 
verſchwörer, 156, 4809. 
Schomberg, Graf, 395, 396. 
Särepfer, 369 f. 
Schriever, 12. 


501 


Schuwalow, Graf Iwan, 34,42. 

—— Graf Alexander, 20, 40. 

Saubart von Kleefeld, 361,302. 
Schwarz, 26. 

Sameden, 9, 6, 13, 18. 

Schmweinig, David v., 353,354. 

Schwerin, amt Ehriftoph, Graf 
d., 209, . 

Scotti, Marquis, 159, 160. 

Segur, 182. 

Seignelay, Marquis de, 4283. 

Serret, 156. 

Sertſchin, Erzbifhof, 24. 

Seyffert, v., 19. 

Simon, 487. 

emsendorf, gPobilipp Ludwig, 
Graf v., 169. 

— die Surfen, 3 

Sloane, Sir John, 18. 

Solms, Graf, preuß. Gefandter 
in St. Peteröburg, 60. 

age Friedrich Ludwig, Graf zu, 


Soltifom, dic, 340, 467. 
—— Sergius Graf, 16. 
Soubow, fiehe Zoubow. 
Spanien, 19, 99 fi.5 Philipp 
V. Stönig von, 98, 105, 116, 
123, 127, 138, 141 — 143, 
145, 1595 Marie Luife, 3 
erfte Gemahlin, 102 ff., 
feine zweite Gemahlin, 138 — 
130, 139, 141, 142; a oniß, 
König von, 119, 142, 1435 
Zerdinand VI., König von, 142, 
14353 Karl IN, König von, 
143, 164, 1705 Marie Anna 
von Pfalz:Neuburg, verwitwete 
Königin von, 341 
Spinucci, Gräfin, 199. 
Splittgerber, Banquier, 258. 
Springer, 13. 483 ff. 
Ofemenomötongarde, 26, 36, 


Staͤhlin, Profeffor, 8. 

Stanhope, Lord, 144, 173,174. 

Start, DOberhofprediger, 362 

Stoſch, Baron, 241. 

Strogonow, Graf, 42. 

Stübel, Iohann Jakob, 280. 

Stutterhbeim, Heinrich Gotts 
lich v., fähf. Minifter, 215. 

Süßmilch, v., 277. 

Sydow, v., 370. 

Zalbanomw, 73, 79. 

Zalleyrand, Anton Blafius 
de, 97. 

Talmann, 430. 

Zalyzin, Admiral, 39, 72. 

—— General, 67, 79, 86, 91. 

Tamaſp, 433. 

Tatarinow, 73, 82, 86. 

Taubenheim, v., 273. 

Zeller, Dr. 380. 

Zemple, die, 375. 

Teplow, 34, 46, 47. 

Tercier, Zobann Peter, 179,180. 

Teſchen, Fürftin von, 297, 299. 

Zeffe, Straf v., 115. 

Theodor v. Neuboff, König von 
Gorfifa, 176. 

Theodorsky, Erzbifhof, 9 

Zhulemeier, Minifter v., 260. 

Tieman, 396. 

Tiſcher, Oberamtsrath, 254. 

Toloſa, Marquis, 160. 

Topal Osman, 433. 

3 orci,Marquisde,108-110,117. 

Tott, v, 46. 

Souloufe, Graf v., 150, 152. 

Zournamine, 153. 

&rautenberg, DObriftlieutenant 


v., 
Tremouille, Ludwig de la, 95. 
—— Garbinal de la, 95, 115. 
Treyſſac de Vergy, 189. 
Trier, Johann Philipp, Kur⸗ 
fürft von, 4493 Philipp Ghris 
ſtoph, Kurfürft von, 452 ff; 


Regifer. 


Sobenn Hugo, Kurf. v., 451 
1 ie Wenceslaud, Kurf. 


Krübestoy, Zürft, 25, 40, 48. 

zart ‚ Otto Wilhelm, Graf 
v 

Zfhereko wsky, Katharina, 37. 

Aſchernitſchew, 35. 

Aſchitſcherin, 73, 82, 86. 

IAſchudin, Madame, 36. 

Zurenne, 104. 

Uceda, Herzog von, 99. 

Ungern=Sternberg, Baron, 
4, M. 

Umarow, 74, 80, 81. 

Bauloifin, 56. 

Vaucher, Maria Martha, 283. 

Bedello, Don, 126. 

Bendome, Herzog v., 136, 137. 

Beragues, Herzog v., 107. 

Bergennes, Graf v., 193, 323. 

Bielato, Abbe, 163. 

Billareal, 120. 

Billars, 158. 

Bille, de, 485. 

Billebois, 25, 42. 

Bincent, 182. 

Bistbum v. Eckſtädt, Graf 
Friedrich, 198, 301 — 302. 
Walrawe, General v.,270,271. 
W zdorf, Itredrich Berndard 

, 223 — 224 

Weib, Wundarzt, 309. 
Weld, v., 224. 
Wendromnilius, Zelir, 452 ff. 
Weymarn, General v., 19. 
Wiedmann, Michael, 452 fi. 
Wieland, 385, 391, 392. 
a u lelmann, 287. 
Wolf, v., 
Bellonien, 25, 33, 42, 44. 
Wolkow, 18, 95, 28, 50. 
—— Shaufpieler, 46. 
Woronzow, die Grafen und 

Gräfinnen, 1 


Negifter. 503 


Woronzow, Mihael Graf, 18, Ypvernois d’, genfer Fluͤchtling, 
25, 40, 59, 182, 187. 375, 376. 

— Elifabetb, 19, 32, 43— Zacharias, Pater, 176. 
4 


5. Zech, v., Geheimerath, 249. 
Woykow, 4l. Sehmen, Breiherr 23,205 207. 
Württemberg, 883 Ludwig, Ziegler, DObrift, 53. 

>. $Brinz von, 299. 3immermann, 387, 390, 392. 

3 Wurmb, v., 211, 375 ff. Zinnendorf, 361. 

» Wylie, "Chirurg, 94. Binzendorf, Graf, 242. 
Xaver, ſiehe Sadıfen. Zoubow, die Brüder, 70— 73, 
Hefhwel, 73, 82, 85, 86. 82, 85 — 87. 

— — — — 


Druck von F. A. Brockh aus in Leipzig. 


126 


10 v. ©. 


:s 12 v. 


2 
2 
s 


19 v. 
7» 
60 

15 v. 


Berbefjerungen. 


0. 


a “ u “ % 


Benno 


S. 119 3. 17 v. o. lies: 1707 ftatt 1717. 


Macanaz ftatt Mecanaz. 
Roncovieri ftatt Ronconieri. 
Waͤſchkammer ftatt Waſchkammer. 
des Alleurs ſtatt Desalleurs. 
1700 ſtatt 1697. 

Zürft ſtatt Herzog. 


“ % “ nn u % @ 


.119 3.17 v. 
126 » U v. 
136 =» 12 v. 
139 = 19 v. 
178 = Tv. 
240 » 6v 
264 = 15 v. 


Berbefjerungen. 


o. lies: 1707 ftatt 1717. 

0. = Macanaz ftatt Mecanaz. 

0. = Roncovieri ftatt Ronconieri. 

0. =» Wuaͤſchkammer ftatt Waſchkammer. 
u. = des Allenrd ftatt Desalleurs. 

u. = 1700 ftatt 1697. 

u = Zürft ftatt Derzog. 


— — — — — — — — — ——