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Full text of "Genie und Vererbung"

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GENIE   UNO   VEREpeuNG 


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hiLosophisch-SozioLogisckBückrei 


IBAND  •  XIX 


GENIEundVERERBUNG 

VON 

FRÄNas  GäiXon 


LEIPZIG  1910  ::  VERLAG  VON  DR.  WERNER  KLINKHARDT 


Philosophisch-soziologische  Bücherei 

Die  Bücherei  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gcmadit,  einerseits 
dem  deutschen  Publikum  die  Hauptwerke  der  ausländischen 
Philosophie  und  Soziologie  in  guten  Übersetzungen  nahezu- 
bringen, andererseits  auch  wertvolle  deutsche  Originalarbeiten 
in  ihren  Rahmen  aufzunehmen.  Wie  ihr  Erscheinen  von  den 
Fachgenossen  aufgenommen  wurde,  zeigt  eine  Zuschrift  RUDOLF 
EUCKENS,  der  dem  Verleger  folgendermaßen  schreibt: 

„Ich  wünsche  von  Herzen  Glück  zu  den  bedeutenden 
wissenschaftlichen  Unternehmungen,  die  Sie  beginnen.  Ich 
glaube,  daß  hier  in  Wahrheit  eine  Lücke  besteht,  welche 
dringend  der  Ausfüllung  bedarf:  wir  Deutschen  haben  zu 
wenig  Beziehung  zu  den  inneren  geistigen  Bewegungen 
der  anderen  Kulturvölker,  und  wir  könnten  daraus  doch 
manches  gewinnen." 

Es  sollen  außer  deutschen  Philosophen  zunächst  die  be- 
deutendsten Vertreter  der  ausländischen  Philosophie  mit  charak- 
teristischen Werken  zu  Worte  kommen,  daneben  wird  Rück- 
sicht darauf  genommen,  daß  nicht  nur  für  den  Fachmann  inter- 
essante Werke  zur  Verdeutschung  kommen,  sondern  auch  solche, 
die  für  ein  größeres  philosophisch  und  soziologisch  interessiertes 
Publikum  Wert  haben.  Die  beste  Auskunft  über  Plan  und  Ab- 
sichten des  Unternehmens  gibt  ein  Blick  auf  die  Titel  der  schon 
erschienenen  und  vorbereiteten  Bände. 

Ein  ausführlicher  Spezialprospekt  über  die  Gebiete  Philo- 
sophie -  Soziologie  steht  jederzeit  umsonst  zu  Diensten. 

Erschienen  sind  bisher: 
Band  I.    William  James,  Der  Pragmatismus.    Ein  neuer  Name  für 

alte  Denkmethoden.   Deutsdi  von  Prof.  W.  Jerusalem,  Wien.  Preis 

geh.  M.  5.—,  geb.  M.  6.—. 
Band  II.    Gustave  Le  Bon,  Psgdiologie  der  Massen.    Deutsdi  von 

Dr.  Rudolf  Eisler,  Wien.    Preis  geh.  M.  3.—,  geb.  M.  4.—. 
Band  III.    Alfred  Fouill^e,  Der  Evolutionismus  der  Kraft-Ideen. 

Deutsdi  von  Dr.RudolfEisler,  Wien.  Preis  geh.  M.8.50,  geb.  M.  10.-. 

Band  IV.     G.  Tarde,    Die  sozialen  Gesetze.     Deutsdi    von   Hans 
Hammer,  Leipzig.    Preis  geh.  M.  3.—,  geb.  M.  4.—. 

Band  V.    Emile  Durkheim,  Die  Methode  der  Soziologie.    Autori- 
sierte Übersetzung.    Preis  geh.  M.  3.—,  geb.  M.  4.—. 

(Siehe  3.  Umsdilagsselte). 


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Philosophisch-soziologische  Bücherei 

ZZmzIZZZZZZIZZZ    Band  XIX    3IZZI==i:=IZ 


GENIEiindVEIIHRBUNG 

VON 

FRÄNOS  GÄtrON 


Autorisierte  Übersetzung  von 

Dr.  Otto  Neurath  und  Dr.  Anna  Sehapire-Neurath. 


Leipzig  1910   «   Verlag  von 
Dr.  Werner  Klinkhardt, 


Inhaltsverzeichnis. 


Einleitung  der  Übersetzer Seit«  I 

Vorwort „  IV 

Einleitung       . „  1 

Berühmtlieit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen   .    .  „  5 
Natürliche     Begabung    als     Grundlage     einer    Einteilung    der 

Menschen „  13 

Vergleich  der  beiden  Klassifikationen „  36 

Bezeiohnnngssystem „  49 

Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865 „  54 

Politiker „  109 

Die  Verleihung   der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß   auf  die  Rasse  t    „  138 

Feldherren „  149 

Literaten „  179 

Naturwissenschaftler  und  Mathematiker „  208 

Dichter „  246 

Musiker „  259 

Maler „  269 

Theologen       „  280 

Die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge „  323 

Ruderer „  329 

Ringkämpfer  aus  dem  Norden „  337 

Vergleich  der  Resultate „  340 

Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen „  359 

Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen „  3^3 

Allgemeine  Betrachtungen „  384 

Typen „  386 

Naturspiele „  389 

Stabilität „  391 

Varitationen »  393 

Individualität »  397 

Anhang       «  401 


Vorwort. 

Francis   Qaltons   „Hereditary    Genius"    erscheint   hier    zum 
ersten  Male  in  deutscher  Übertragung.     Vor  mehr  als  vierzig 
Jahren  geschrieben,  fand  dieses  Buch  bisher  keinen  deutschen 
Übersetzer,  obzwar  ein  Werk  wie  „Die  Erblichkeit"  von  R  i  b  o  t , 
das  sich  in  Vielem  an  Qalton  anlehnt,  bereits  in  zwei  deutschen 
Ausgaben  vorliegt.    Hereditary  Genius  ist  heute  so  wenig  ver- 
altet, daß  in  den  neunziger  Jahren  eine  zweite  unveränderte  eng- 
lische Auflage  erscheinen  konnte.     Galtons   biographische   Mit- 
teilungen lassen  sich  in  Manchem  heute  ergänzen,  wodurch  aber 
^  seine  Argumentation  im  allgemeinen  nur  gewinnt,  ohne  daß  die 
ll  wesentlichen  Punkte  stark  verschoben  würden.  In  welcher  Weise 
-J  die  Lehre  von  der  sprungweisen  Mutation  zu  verwerten  wäre, 
— ■  ist  in  dem  Vorwort  zur  zweiten  Auflage  angedeutet.    Auf  Wunsch 
^  des  Verfassers  fügen  wir  hier  bei,  daß  Fichte,  den  Galton  unter 
„Schriftstellern"  als  isoliertes  Genie  anführt,  einen  bedeutenden 
Sohn  hatte,  der  Professor  der  Philosophie  war. 

Wir  haben  es  im  allgemeinen  vermieden,  „genius"  mit  Genie 
wiederzugeben.  Im  Titel  mußte  diese  Übersetzung  entsprechend 
Qaltons  Andeutungen  zur  2.  Auflage  beibehalten  werden.  In  dem 
Kapitel  über  die  englischen  Judges  haben  wir  die  englische 
Originalbezeichnung  beibehalten,  da  wir  kein  deutsches  Wort 
besitzen,  das  sich  vollkommen  mit  dem  Ausdruck  „judge"  deckt. 
Wenn  uns  in  diesem  Kapitel  und  vielleicht  auch  an  manch  anderer 
Stelle  hier  und  da  ein  Versehen  unterlaufen  ist,  namentlich  bei 
der  Übersetzung  der  schwierigen,  englischen,  teilweise  bereits 
veralteten  Titulatur,  so  bitten  wir  den  Leser,  nicht  allzusehr  mit 
uns  deswegen  ins  Gericht  zu  gehen.  Wir  glauben,  daß  selbst  das 
eine  oder  andere  derartige  Versehen  das  Verständnis  dieses  über- 
aus nützlichen  und  in  seinen  Grundgedanken  so  durchaus  klaren 
und  eindeutigen  Werkes  nicht  stören  kann  und  zogen  es  daher 
vor,  dem  deutschen  Publikum  endlich  eine  Übersetzung  vorzu- 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vererbung,  1 


II 

legen,  statt  uns  von  diesen  an  sich  doch  geringfügigen  Hinder- 
nissen abschrecken  zu  lassen. 

Wir  möchten  an  dieser  Stelle  auch  noch  Herrn  Arnold  Rons- 
perger und  Fräulein  Grete  Horowitz  unseren  besten  Dank  aus- 
drücken für  ihre  freundliche  Hilfe  beim  Korrekturenlesen  und 
manchen  freundlichen  Rat  beim  Übersetzen  selbst. 

Ebenso  danken  wir  an  dieser  Stelle  dem  Herrn  Verfasser  für 
mancherlei  Auskünfte  und  seinen  Herren  Verlegern  Methuen 
&  Co.  für  die  freundliche  Erlaubnis,  ein  Porträt  Qaltons  zu 
bringen,  das  seinen  „Memories  of  my  Life"  entnommen  ist. 
Unserem  deutschen  Herrn  Verleger  gebührt  unser  Dank  für  die 
Aufnahme  dieses  Bildes  in  die  deutsche  Publikation. 

Wien,  November  1909. 

Dr.  Otto  Neuratb  und  Dr.  Anna  Schapire-Neurath. 


Einleitung. 


Francis  Galton. 

Die  englische  Wissenschaft  kennt  einen  Qelehrtentypus,  der 
uns  Deutschen  im  allgemeinen  fremd  ist.  Es  sind  dies  wohlhabende 
Männer,  die  Sorgen  um  die  Lebensnotdurft  nie  kannten  und  einen 
großen  Teil  ihrer  Jugendzeit  Sports  und  Reisen  widmeten,  um 
erst  im  Mannesalter  sich  ganz  der  Wissenschaft  zuzuwenden.  Die 
günstige  Lebensstellung  übte  auf  viele  von  ihnen  nie  einen  läh- 
menden Einfluß,  befähigte  sie  aber  nach  freier  Wahl  die  Welt  mit 
offenem  Blick  zu  durchforschen,  um  dann  vielfach  in  originellerer 
Weise,  als  dies  bei  systematisch  erzogenen  Gelehrten  der  Fall 
ist,  schwierige  Probleme  kühn  in  Angriff  zu  nehmen.  Zu  diesem 
Gelehrtentypus  gehörten  auch  die  beiden  Enkel  des  berühmten 
Erasmus  Darwin,  der  große  Charles  Darwin  und 
sein  ihm  in  vielem  kongenialer  Vetter  Francis  Galton. 

Francis  Qalton  wurde  am  16.  Februar  1822  geboren 
und  hat  also  heute  bereits  die  Mitte  der  Achtziger  überschritten. 
Sowohl  mütterlicher-  als  väterlicherseits  stammte  das  Kind  aus 
einem  guten  Schlag,  denn  auch  den  Galtons  waren  Gelehrsamkeit 
und  Meditation  nicht  fremd.  So  hatte  Francis  Galtons  Großvater 
einen  besonderen  Sinn  für  Statistik,  der  sich  auf  alle  seine  Kinder 
vererbte,  in  einem  Falle,  bei  einer  Tochter,  trat  er  bezeichnender- 
weise  als  bloße   Schrullenhaftigkeit  auf,   ohne   vernünftige   An- 

I* 


IV 

Wendung'.  Auch  unter  seinen  weiteren  Verwandten  ist  Geistes- 
bildung vertreten,  so  daß  er  selbst  ein  gutes  Beispiel  für  seine 
Theorie  ist:  die  Wahrscheinlichkeit,  unter  den  Verwandten  eines 
hervorragenden  Mannes  bedeutende  Intelligenz  zahlreich  anzu- 
treffen, ist  groß. 

Für  eine  Tochter  von  Erasmus  Darwin  —  Qaltons  Mutter  war 
der  zweiten  Ehe  des  alten  Erasmus  Darwin  entsprossen,  während 
Darwins  Vater  der  ersten  entstammte  —  war  es  naheliegend,  in 
der  Medizin  einen  besonders  ehrenvollen  Beruf  zu  sehen  und  auch 
der  Vater,  ein  Kaufmann,  der  selbst  eine  wissenschaftliche  Arbeit 
über  Geldwesen  veröffentlichte,  stimmte  dieser  Berufswahl  gern 
zu.  Die  Ausbildung  begann  damit,  daß  der  Hausarzt  den  noch 
nicht  Sechzehnjährigen  zu  einer  Totenschau  mitnahm.  Dann  kam 
eine  Art  praktischer  Lehrlingszeit,  wobei  Pillendrehen  und  kleine 
Hilfeleistungen  bei  leichten  Unfällen  keine  geringe  Rolle  spielten; 
die  erste  theoretische  Ausbildung  sollte  der  Achtzehnjährige  in 
Gießen  erhalten,  wo  L  i  e  b  i  g  gerade  Chemie  vortrug. 

Mit  einem  ausgiebigen  väterlichen  Wechsel  machte  der  junge 
Galton  sich  auf  die  Reise.  In  Gießen  jedoch  kam  er  zu  dem  inter- 
essanten Ergebnis,  daß  er  weder  genug  deutsch,  noch  genug 
Chemie  verstehe,  um  Liebig  mit  Nutzen  zu  hören.  Er  zog  seinen 
Wechsel  zu  Rate  und  fand,  daß  dieser  für  eine  kleine  Weltreise 
ebenso  ausreiche  wie  für  das  geplante  Studium.  So  finden  wir 
ihn  denn  bald  darauf  in  Konstantinopel,  von  wo  er  den  Orient  und 
Südeuropa  durchstreifte.  Als  er  glücklich  nach  Hause  zurück- 
kehrte, nahm  der  Vater  den  Streich  humoristisch  auf  und  schickte 
den  Sohn  auf  die  hohe  Schule  nach  Cambridge.  Aber  auch  jetzt 
absolvierte  der  junge  Galton  sein  Studium  nicht  ordnungsgemäß. 
Er  war  bereits  drei  Jahre  in  Cambridge  und  sollte  zu  seiner 
speziellen  medizinischen  Ausbildung  nach  London  gehen,  als  sein 
Vater  starb  und  er  zum  selbständigen  Herrn  über  sein  Schicksal 
wurde. 

Statt  nach  London,  ging  Galton  jetzt  nach  Ägypten,  dem 
Sudan  und  Syrien,  später  unternahm  er  eine  Forschungsreise  nach 
Südwest-Afrika,  die  seine  Stellung  in  der  wissenschaftlichen  Welt 
begründete.  Seine  etwas  angegriffene  Gesundheit  verhinderte 
weitere  Expeditionen. 

Als  Afrikareisender  hatte  er  Gelegenheit,  charakteristische 
Typen  kennen  zu  lernen  und  seinen  Blick  für  Ähnlichkeiten  und 


Unterschiede  aller  Grade  zu  schulen.  Diese  Reisen  waren  für 
ihn  der  eigenthche  Anstoß  zu  seinen  Untersuchungen,  die  dann 
vor  allem  durch  Darwins  Werk:  „Über  die  Entstehung  der  Arten 
durch  natürliche  Zuchtwahl  oder  die  Erhaltung  der  begünstigten 
Rassen  im  Kampf  ums  Dasein",  das  1859  erschien,  gefördert 
wurde.  Qalton  wurde  ein  vielseitiger  und  fruchtbarer  Forscher, 
der  im  Zeitraum  eines  halben  Jahrhunderts  gegen  200  Arbeiten 
veröffentlichte,  darunter  etwa  den  14ten  Teil  in  Buchform. 

Vor  allem  publizierte  er  seine  Reiseergebnisse  und  schrieb 
über  verwandte  Materien,  so  über  Geographie  und  Meteorologie, 
dann  traten  jene  Arbeiten  in  den  Vordergrund,  die  seinen  Ruhm  be- 
gründen sollten,  namentlich  seine  Untersuchungen  zur  Ver- 
erbungslehre. Nachdem  er  1865  in  Macmillan's  Magazine  seine 
Arbeit  „Hereditary,  Talent  and  Charakter"  publiziert  hatte,  folgte 
1869  sein  bekanntes  Werk  „Hereditary  Genius".  Ethnologische, 
geographische,  statistische,  meteorologische  Arbeiten  kamen  jetzt 
in  rascher  Aufeinanderfolge.  1884  eröffnete  er  auf  der  Inter- 
nationalen Ausstellung  ein  anthropometrisches  Laboratorium,  das 
später  im  South  Kensington  Museum  fortgesetzt  wurde.  Die  vor- 
genommenen Messungen  beschäftigten  sich  mit  der  Schärfe  von 
Gehör  und  Gefühl,  stellten  den  Farbensinn,  die  Größe,  das  Ge- 
wicht, den  Atmungsvorgang  usw.  fest.  Die  gewonnenen  Daten 
wurden  statistisch  bearbeitet.  Die  eigentliche  Frucht  des  Labo- 
ratoriums waren  Galtons  Untersuchungen  über  Fingerabdrücke, 
zu  denen  er  durch  Bertillons  damals  Aufsehen  erregende  Methode 
angeregt  worden  war.  Galton  veröffentlichte  diese  Arbeit  erst 
1895,  sein  System  ist  heute  in  England,  Indien  und  Argentinien 
eingeführt. 

Immer  wieder  stoßen  wir  bei  Galton  auf  eine  Tendenz,  Durch- 
schnittstypen aufzustellen,  ein  Gedanke,  der  an  Quetelet  an- 
knüpft. Waren  es  ursprünglich  die  hervorragenden  Merkmale 
gewesen,  denen  er  vor  allem  sein  Augenmerk  zuwandte,  so 
interessierten  ihn  nun  besonders  unbedeutende  Merkzeichen  von 
hoher  charakteristischer  Bedeutung.  Hierher  gehören  seine  be- 
kannten „Composite  Portraits".  Durch  photographische  Auf- 
nahmen mehrerer  Individuen  auf  der  gleichen  Platte  sollten 
typische  Durchschnittsbilder  sowohl  von  Familien,  als  von 
Nationen  hergestellt  werden. 


vr 

Während  seine  sonstigen  Interessen  wechselten,  behielt  er 
die  Frage  der  Vererbung  unverwandt  im  Auge,  und  was  der 
Vierzigjährige  begonnen  hatte,  hat  der  Achtzigjährige  noch  weiter 
geführt  Bei  seinen  Untersuchungen  über  Vererbung  hatte  er 
von  Anfang  an  das  Problem  vor  Augen :  Wie  kann  man 
eine  menschliche  Rasse  züchten,  die  unseren 
Idealen  am  meisten  entspricht?  An  den  Ansichten 
über  den  möglichen  Fortschritt  der  Menschheit,  wie  er  sie  in 
„Hereditary  Genius"  niederlegte,  hält  der  greise  Gelehrte  noch 
heute  unwandelbar  fest.  In  seinen  1908  veröffentlichten  „Me- 
mories  of  My  Life"  schreibt  er:  „Mein  Fehler  lag  .  .  .  in  der 
Tendenz,  die  Geschwindigkeit  zu  überschätzen,  mit  welcher  der 
große  Fortschritt  der  Menschheit  sich  theoretisch  vollziehen 
könnte.  Ich  hatte  damals  das  Gesetz  der  Regression  noch  nicht 
berücksichtigt.  Mit  dieser  Einschränkung  sind  die  dort  nieder- 
gelegten Anschauungen  noch  heute  die  meinigen." 

Das  Ergebnis  eines  reichen  Lebens  war  eine  neue  Disziplin, 
die  Eugenik,  die  Lehre  von  der  guten  Zeugung.  Galtons  Unter- 
suchungen über  Eugenik  sind  in  erster  Reihe  in  den  „Sociological 
Papers",  dem  Organ  der  Sociological  Society  niedergelegt,  es  sind 
dies  die  Arbeiten  „Restrictions  in  Marriage",  „Studies  in  National 
Eugenics"  und  „Eugenic  as  a  Factor  in  Religion".  Wir  hoffen, 
auch  diese  Arbeiten  dem  deutschen  Publikum  bald  vorlegen  zu 
können. 

Qalton  war  die  Genugtuung  beschieden,  daß  sein  Vaterland 
dem  neuen  Forschungsgebiet  im  Rahmen  der  wissenschaftlichen 
Organisation  Heimatrecht  gewährte  und  daß  ein  Kreis  jüngerer 
Forscher  mit  allen  Hilfsmitteln  der  angewandten  Mathematik  aus- 
gerüstet —  unter  ihnen  vor  allem  Pearson  —  dem  neuen  Fragen- 
komplex ihre  Kräfte  zuwandten.  Auch  auf  dem  Kontinent  be- 
schäftigen sich  immer  mehr  Forscher  mit  diesem  Gebiet  und 
untersuchen  seine  Tragweite. 

Wer  mit  offenem  Auge  die  Entwicklung  der  Zukunft  voraus- 
zuschauen versucht,  sieht  als  die  größten  Probleme,  welche  die 
Menschheit  in  immer  stärkerer  Weise  bewegen  werden,  die  Ver- 
besserung der  sozialen  Ordnung  und  die  Verbesserung  unserer 


VII 

Rasse,  zwei  Ziele,  die  eng  miteinander  zusammenhängen.  Der 
Ruhm  aber,  in  entscheidendem  Maße  die  Bewegung  für  die 
systematische  Verbesserung  der  Rasse  in  unserem  Zeitalter  ein- 
geleitet zu  haben,  gebührt  Francis  Qalton  und  seiner 
Eugenik. 


Die    Übersetzer. 


Vorwort. 


Vorwort  zur  ersten  englischen  Ausgabe. 

Der  Gedanke,  mich  mit  dem  Gegenstand  der  Vererbung  von 
Anlagen  zu  beschäftigen,  kam  mir  während  einer  rein  ethno- 
logischen Untersuchung  über  die  geistigen  EigentümHchkeiten 
der  verschiedenen  Rassen,  als  die  Tatsache,  daß  charakteristische 
Merkmale  an  Familien  haften,  mir  so  häufig  vor  Augen  kam.  daß 
sie  mich  veranlaßte,  diesem  Teil  des  Gegenstandes  meine  be- 
sondere Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Ich  begann,  über  die  An- 
lagen und  Tätigkeiten  meiner  Zeitgenossen  in  der  Schule,  im 
Kolleg  und  im  späteren  Leben  nachzudenken  und  war  überrascht, 
wie  häufig  Befähigung  den  Weg  der  Vererbung  zu  gehen  schien. 
Dann  ging  ich  kursorisch  die  Verwandten  von  etwa  vierhundert 
berühmten  Männern  aus  allen  Perioden  der  Geschichte  durch; 
die  Resultate  dieser  Untersuchung  innerhalb  der  Grenzen,  die 
die  Untersuchung  forderte,  genügte  meiner  Ansicht  nach  voll- 
ständig zur  Bestätigung  der  Theorie,  daß  Anlagen  vererbbar 
sind  unter  Beschränkungen,  die  untersucht  werden  sollten. 
Hierauf  machte  ich  mich  daran,  eine  große  Anzahl  sorgsam 
ausgewählter  biographischer  Daten  zu  sammeln  und  schrieb  in 
der  Zwischenzeit  zwei  Artikel  über  diesen  Gegenstand,  die  im 
Juni  und  August  1865  in  Macmillan's  Magazine  er- 
schienen. Ich  ging  auch  von  verschiedenen  Seiten  an  den 
Gegenstand  heran  und  machte  oft  sehr  mühselige  Untersuchungen, 
da  es  lange  währte,  ehe  die  Methode  reifte,  die  ich  endgültig  an- 


IX 

nahm.  Ich  berühre  dies  alles,  um  zu  zeigen,  daß  die  Grundlegung 
meiner  Theorien  umfangreicher  ist,  als  es  vielleicht  bei  der  Lek- 
türe meines  Buches  scheinen  mag  und  ebenso  teilweise  zur 
Rechtfertigung,  da  mir  gelegentlich  vorgeworfen  wurde,  ich 
spräche  mit  etwas  mehr  Zuversicht,  als  der  von  mir  erbrachten 
Evidenz  zukomme. 

Ich  hoffe,  der  Leser  wird  einen  geringen  Prozentsatz  von 
Irrtümern  und  Ungenauigkeiten  verzeihen,  wenn  er  so  gering  ist, 
daß  er  den  allgemeinen  Wert  meiner  Resultate  nicht  affiziert. 
Niemand  kann  Ungenauigkeiten  mehr  hassen,  als  ich  selbst  es 
tue,  niemand  kann  auch  einen  höheren  Begriff  von  dem  haben, 
was  ein  Autor  in  Bezug  auf  Präzision  seinen  Lesern  schuldet; 
aber  bei  einer  Untersuchung,  wie  der  vorliegenden,  ist  es  außer- 
ordentlich schwer,  jedes  Mißverständnis  zu  korrigieren,  und  noch 
schwieriger,  Auslassungen  zu  umgehen.  Ich  habe  oft  meine  Augen 
über  viele  Seiten  großer  biographischer  Lexica  und  Bände  von 
Memoiren  schweifen  lassen  müssen,  ehe  ich  zu  Daten  kam,  die 
ich  dann  in  einem  halben  Dutzend  von  Zeilen  in  dem  Anhang 
eines  meiner  zahlreichen  Kapitel  niederlegte. 

Die  Theorie  von  der  Vererbung  der  Anlagen  wurde,  obgleich 
gewöhnlich  verspottet,  von  einigen  Schriftstellern  sowohl  in  der 
Gegenwart  als  in  der  Vergangenheit  behandelt.  Aber  ich  kann 
den  Anspruch  erheben  der  erste  zu  sein,  der  diesen  Gegenstand 
statistisch  behandelt,  um  zu  ziffernmäßigen  Resultaten  zu 
kommen  und  das  „Gesetz  der  Abweichung  von  einem  Durch- 
schnitt" in  die  Diskussion  über  Vererbung  einzuführen. 

In  den  folgenden  Seiten  wird  noch  von  einer  Menge  von 
Gegenständen  die  Rede  sein,  die  über  den  Ausgangspunkt,  ob 
Anlagen  sich  vererben  oder  nicht,  hinausgehen.  Ich  kann  nicht 
umhin,  sie  zu  betrachten,  da  die  Stützen  der  Theorie,  die  ich  ver- 
fechte, zu  wichtig  sind,  um  mit  Stillschweigen  übergangen  zu 
werden. 


Einleitung  zu   der  zweiten  Ausgabe  von  1892. 

Der  vorliegende  Band  ist  ein  Abdruck  eines  Werkes,  das 
vor   dreiundzwanzig   Jahren   erschienen,   seit   langem   aus   dem 
Handel  verschwunden  ist  und  nur  aus  zweiter  Hand  und  zu  über- 


X 

triebenen  Preisen  zu  bekommen  war.  Es  fragte  sich  nun, 
ob  das  Ganze  revidiert  und  die  Informationen  bis  zum 
gegenwärtigen  Zeitpunkt  ausgedehnt  werden  sollten  oder 
ob  man  sich  nach  Entfernung  einiger  auffallender  Druckfehler 
mit  einem  einfachen  Abdruck  begnügen  sollte.  Wir  entschieden 
uns  für  das  letztere,  da  selbst  nur  geringfügige  Hinzufügungen 
von  Daten  die  Umformung  der  gesamten  Tabellarisierungen  not- 
wendig gemacht  hätte,  während  eine  sorgfältige  Rekonstruktion 
eine  größere  Arbeit  bedeuten  würde,  als  ich  heute  unternehmen 
kann. 

Zur  Zeit,  da  dieses  Buch  geschrieben  wurde,  hielt  man  ge- 
meinhin die  Handlungen  des  menschlichen  Geistes  für  unab- 
hängig von  natürUchen  Gesetzen,  und  dieser  Geist  selbst  galt  als 
fast  jeder  Tat  fähig,  wenn  er  nur  durch  einen  Willen,  der  die 
Kraft  der  Initiative  hatte,  gezwungen  wurde  sich  anzustrengen. 
Selbst  diejenigen,  die  sich  einer  philosophischen  Denkweise  er- 
freuten, waren  weit  entfernt  davon,  die  geistigen  Fähigkeiten 
jedes  Individuums  als  ebenso  streng  begrenzt  anzusehen,  wie  die 
seines  Körpers,  noch  viel  weniger  wurde  der  Gedanke  der  erb- 
lichen Übertragung  von  Anlagen  klar  verstanden.  Der  erste  Teil 
des  Buches  muß  in  dem  Lichte  der  unvollständigen  Kenntnis  der 
Zeit,  wo  es  geschrieben  wurde,  gelesen  werden,  denn  was  in 
dieser  Beziehung  für  das  Jahr  1869  galt,  gilt  nicht  mehr  für  das 
Jahr  1892. 

Ich  habe  seither  selbst  viele  Untersuchungen  in  Richtungen 
angestellt,  die  dieses  Buch  angeregt  oder  schon  verfolgt  hat.  Die 
Resultate  legte  ich  dann  in  verschiedenen  Abhandlungen  nieder, 
zum  größten  Teile  sind  sie  in  den  drei  folgenden  Bänden  zu- 
sammengezogen :  Englische  Männer  der  Wissen- 
schaft (1874),  Menschliche  Fähigkeit  (1883)  und 
Natürliche  Vererbung  (1889)  ebenso  in  einem  geringen 
Ausmaße  in  einem  vierten  Bande,  der  jetzt  zur  Veröffentlichung 
gelangt  über  F  i  n  g  e  r  a  b  d  r  ü  c  k  e. 

Derjenige  Fehler,  den  ich  in  diesem  Buche  am  meisten  be- 
daure,  ist  sein  Titel  (Hereditary  Genius),  der  sich  aber  nicht 
wieder  gutmachen  läßt.  Ich  hatte  nicht  die  geringste  Absicht, 
das  Wort  genius  in  irgend  einem  technischen  Sinne  zu  ge- 
brauchen, sondern  wollte  damit  nur  eine  Anlage  ausdrücken,  die 
außerordentlich  hoch  und  gleichzeitig  angeboren  ist.     Ich  beab- 


XI 

sichtigte  das  Wort  in  dem  gleichen  Sinne  zu  gebrauchen  wie  es 
in  Johnsons  Dictionnaire  beschrieben  ist,  nämHch  „Geistige  Kraft 
oder  Fähigkeit.  Naturanlage,  durch  die  ein  Mensch  zu  einer  be- 
sonderen Verwendung  quaUfiziert  ist.  Natur,  Anlage."  Ein 
Mensch,  der  ein  Genie  ist,  wird  definiert  als  jemand,  der  mit 
höheren  Fähigkeiten  ausgestattet  ist.  Damit  ist  alles  erschöpft, 
was  Johnson  über  diesen  Gegenstand  zu  sagen  hat,  ausgenommen 
die  imaginäre  Schöpfung  von  klassischen  Autoren,  die  Genius  ge- 
nannt werden,  die  uns  aber  hier  nichts  angehen,  und  die  er  als 
die  protegierenden  oder  leitenden  Mächte  von  Menschen,  Ort- 
schaften oder  Dingen  beschreibt.  In  den  Zitaten  aus  muster- 
gültigen Autoren,  mit  denen  Johnson  seine  Definitionen  belegt, 
findet  sich  nichts,  was  einen  gezwungenen  und  technischen  Sinn, 
der  diesem  Wort  gegeben  wird,  rechtfertigt,  noch  findet  sich 
hier  irgend  etwas,  das  an  das  lateinische  Wort  i  n  g  e  n  i  u  m 
gemahnt. 

Das  Genie  und  seine  Vererbung  scheint  daher  als  Titel  rich- 
tiger und  entsprechender  als  Anlagen  und  ihre  Vererbung,  denn 
Anlagen  schließen  nicht  die  Resultate  der  Erziehung  aus,  wie  das 
Genie  es  tut.  Der  Leser  wird  finden,  daß  in  dem  ganzen  Buch 
nicht  von  Genie  als  spezieller  Qualität  die  Rede  ist.  Es  wird 
offen  als  Äquivalent  für  natürhche  Anlage  zu  Beginn  des  Kapitels 
„Vergleich  der  beiden  Klassifikationen"  angewandt.  Nur  an 
einer  Stelle  wird,  soweit  mir  dieses  bei  der  abermaligen  Lektüre 
auffällt,  ein  Unterschied  zwischen  diesen  beiden  Worten  ge- 
macht, während  die  Unsicherheit,  die  der  Bedeutung  des  Wortes 
„Genie"  in  seinem  technischen  Sinne  noch  anhaftet,  ausdrück- 
lich besprochen  wird.  Es  besteht  also  diesbezüglich  in  dem 
Buch  keine  Verwirrung,  aber  der  Titel  scheint  zu  Mißverständ- 
nissen führen  zu  können,  und  wenn  er  neu  gewählt  werden  könnte, 
würde  das  Buch  als  „Anlagen  und  ihre  Vererbung"  erscheinen. 

Die  Relation  zwischen  Genie  in  seinem  technischen  Sinne 
(welches  immer  die  präzise  Definition  sein  mag)  und  Irrsinn 
wurde  von  Lombroso  und  anderen  stark  betont,  deren  Ansichten 
über  den  Zusammenhang  der  beiden  Erscheinungen  so  ausge- 
sprochen ist,  daß  es  uns  kaum  überraschen  würde,  wenn  einer 
ihrer  enthusiastischeren  Anhänger  bemerkte,  der  und  der  könne 
kein  Genie  sein,  da  in  seiner  Famiüe  kein  einziger  Fall  von  Wahn- 
sinn aufgetreten  sei.  Ich  kann  nicht  annähernd  so  weit  gehen  wie 
sie,  auch  nicht  einen  Teil  ihrer  Daten  annehmen,  durch  welche  der 
Zusammenhang  zwischen  Anlagen  sehr  hohen  Grades  und  Irr- 


XII 

sinn  angeblich  festgestellt  ist.  Doch  findet  sich  ein  großes  Resi- 
duum von  Evidenz,  das  auf  eine  schmerzlich  nahe  Beziehung 
dieser  beiden  Erscheinungen  hindeutet,  und  ich  muß  hinzufügen, 
daß  meine  eigenen  späteren  Beobachtungen  nach  der  gleichen 
I^ichtung  tendierten,  denn  ich  war  überrascht,  wie  häufig  Irr- 
sinn oder  Idiotie  unter  den  nahen  Verwandten  außerordentlich 
befähigter  Menschen  auftauchte.  Diejenigen  Menschen,  die  einen 
außerordentlich  tätigen  und  übereifrigen  Qeist  haben,  müssen 
auch  oft  Qehirne  besitzen,  die  reizbarer  und  eigentümlicher  sind, 
als  es  mit  Unversehrtheit  vereinbar  ist.  Sie  scheinen  zuweilen  dazu 
zu  neigen,  hinfällig  zu  werden  und  vielleicht  ganz  zusammenzu- 
brechen. Man  kann  annehmen,  daß  ihre  angeborene  Reizbar- 
keit und  Eigentümlichkeit  auch  in  einigen  ihrer  Verwandten  auf- 
taucht, ohne  von  einem  gleichen  Anteil  beharrender  Eigen- 
schaften begleitet  zu  sein,  welcher  Art  immer  diese  sein  mögen. 
Jene  Verwandten  werden  schrullenhaft,  wenn  nicht  verrückt  sein. 

In  der  Anwendung  des  Wortes  Genie  ist  noch  vieles  Undefi- 
niert. Es  wird  häufig  auf  einen  Jüngling  von  dessen  Zeitgenossen 
angewendet,  aber  seltener  von  den  Biographen,  die  nicht  immer 
untereinander  übereinstimmen.  Wenn  Genie  Inspiration  be- 
deutet oder  ein  Übermaß  von  Ideen  von  augenscheinlich  über- 
natürlichem Ursprung  oder  den  ungewöhnlichen  und  brennenden 
Wunsch,  irgend  etwas  besonderes  zu  tun,  so  nähert  sich  ein 
solcher  Zustand  gefährlich  den  Stimmen,  die  die  Wahnsinnigen 
in  ihren  Delirien  oder  Monomanien  hören.  Es  kann  sich  in  einem 
solchen  Falle  nicht  um  eine  gesunde  Eigenschaft  handeln,  noch 
kann  deren  Weitergabe  durch  Vererbung  wünschenswert  er- 
scheinen. Die  natürlichen  Anlagen,  von  denen  dieses  Buch  han- 
delt, sind  der  Art,  wie  sie  ein  moderner  Europäer  in  einem  weit 
größeren  Durchschnitt  besitzt  als  Menschen  niedrigerer  Rassen. 
Wir  finden  nichts  in  der  Geschichte  der  Domestikation  der  Tiere 
oder  in  der  der  Evolution,  was  uns  bezweifeln  läßt,  daß  eine  Rasse 
gesunder  Menschen  gebildet  werden  kann,  die  den  modernen 
Europäern  geistig  und  moralisch  ebenso  überlegen  wäre,  als  die 
modernen  Europäer  den  niedrigsten  Negerrassen  überlegen  sind. 
Individuelle  Abweichungen  von  diesem  hohen  Durchschnitts- 
niveau in  einer  höheren  Richtung  würden  einen  adäquaten  Zu- 
schuß eines  Grades  von  Anlagen  hervorrufen,  wie  er  jetzt  außer- 
ordentlich selten  ist  und  sehr  gebraucht  wird. 

Es  ist  für  den  Leser  dieses  Buches  vielleicht  von  Nutzen, 
wenn  er  schon  in  diesem  einführenden  Kapitel  einen  kurzen  Über- 


xrii 

blick  über  die  Daten  und  den  Verlauf  der  Argumentation  erhält. 
Der  erste  Gegenstand  der  Untersuchung  war  die  Frage,  ob  und 
in  welchem  Qrade  natürliche  Anlagen  erblich  weitergegeben 
werden,  pies  konnte  nicht  leicht  ohne  eine  einleitende  Klassi- 
fikation der  Anlagen  nach  einem  Normalmaßstab  erfolgen.  Der 
erste  Teil  des  Buches  ist  ein  Versuch,  einen  solchen  herzu- 
stellen. 

Die  angewandte  Methode  basiert  auf  dem  den  Mathematikern 
allgemein  bekannten  Gesetz  der  Fehlerhäufigkeit,  denn  sie 
waren  es,  die  die  Methode  ersannen,  die  Häufigkeit,  mit  der  ver- 
schiedene verhältnismäßige  Größen  von  Irrtümern  in  astro- 
nomischen und  geodätischen  Operationen  erwartet  werden 
können,  zu  entdecken,  und  den  V^ert,  der  der  Wahrheit  wahr- 
scheinlich am  nächsten  ist,  aus  einer  Masse  geringfügig  vonein- 
ander abweichender  Messungen  der  gleichen  Tatsache  zu 
schätzen. 

Die  Anwendung  wurde  von  Quetelet  auf  die  Proportionen 
des  menschlichen  Körpers  ausgedehnt  unter  der  Annahme,  daß 
die  Differenzen,  in  der  Gestalt  zwischen  Männern  der  gleichen 
Rasse,  etwa  theoretisch  als  Irrtümer  behandelt  werden 
können,  als  Irrtümer,  die  die  Natur  in  ihrem  Versuch  machte,  in- 
dividuelle Menschen  der  gleichen  Rasse  nach  dem  gleichen  Modell 
zu  bilden.  Wie  phantastisch  eine  solche  Ansicht,  die  in  diesen 
kahlen  Worten  ausgesprochen  und  ohne  von  einer  ausreichenden 
Erklärung  begleitet  zu  sein,  auch  erscheinen  mag,  so  läßt  sich  doch 
zeigen,  daß  sie  sich  auf  einer  vollkommen  gerechtfertigten  Basis 
aufbaut.  Überdies  fand  er,  daß  die  theoretischen  Voraus- 
setzungen richtig  waren,  und  ebenso  wurde  ihre  Richtigkeit  in 
analogen  Fällen  unter  vernünftigen  Vorbehalten  bestätigt;  von 
diesen  sind  vielleicht  die  von  Professor  Weldon  an  Krabben  an- 
gestellten Versuche  die  bemerkenswertesten.  (Proc.  Royal  So- 
ciety S.  2  Bd.  51,  1892.) 

Eine  Wirkung  dieses  Gesetzes  mag  unter  folgender  Form 
ausgedrückt  werden,  obgleich  Quetelet  sie  nicht  anwendet. 
Stellen  wir  uns  100  Engländer  vor,  die  zufällig  ausgewählt  und 
nach  ihrer  Größe  in  einer  Reihe  aufgestellt  werden.  Die  Größe 
des  SOsten  wird  fast  identisch  sein  mit  der  des  Slsten,  und 
beide  werden  den  Durchschnitt  aller  Körperlängen  repräsen- 
tieren. Denn  nach  dem  Gesetze  der  Häufigkeit  wird  die 
Differenz  zwischen  ihnen  und  dem  63sten  die  gleiche  sein, 
wie     zwischen    dem    63sten     und     dem    75sten.     dem     75sten 


XIV 

und  dem  84sten,  dem  84sten  und  dem  90sten.  Die  Zwischen- 
männer zwischen  diesen  Abteilungen,  deren  Zahl  15,  12,  9  und 
6  beträgt,  bilden  eine  Folge  von  Klassen,  die,  wie  wir  sehen,  an 
Anzahl  abnehmen,  die  aber  von  ihren  Nachbarn  durch  gleiche 
Größengrade  getrennt  sind.  Die  Abnahme  der  folgenden 
Klassen  ist  daher  sehr  gering,  aber  man  würde  finden,  daß  sie  in 
einem  ungeheuer  beschleunigten  Maßstab  aufsteigt,  wenn  eine 
längere  Reihe  als  100  Mann  gebildet  und  wenn  die  Klassifikation 
weitergetrieben  würde,  als  in  diesem  Buch  gezeigt  wird. 

Ich  wende  dieses  Gesetz  nach  einigen  provisorischen  Verifi- 
kationen auf  geistige  Fähigkeiten  an,  indem  ich  von  rückwärts 
arbeite,  um  eine  Skala  von  Anlagen  zu  erhalten  und  um  imstande 
zu  sein,  dabei  die  verwendeten  Eigenschaftsworte  zu  präzisieren. 
So  ist  der  Rang  des  ersten  unter  4000  oder  ähnlich  durch  das 
Wort  „Hervorragend"  ausgedrückt.  Das  Gesetz  der  Häufigkeit 
von  Fehlern  wird  jetzt  von  vielen  auf  geistige  Fähigkeiten  an- 
gewendet, denn  man  hat  gefunden,  daß  es  mit  den  Beobachtungen 
gut  übereinstimmt.  Ich  kenne  Examinatoren,  die  es  anwenden, 
um  die  allgemeine  Richtigkeit  der  Noten  zu  prüfen,  die  vielen 
Kandidaten  bei  der  gleichen  Prüfung  gegeben  werden.  Auch 
weiß  ich  von  einem  Mathematiker,  der  auf  dieses  Gesetz  Rück- 
sicht nimmt,  ehe  er  seine  Prüfungskandidaten  in  Klassen  teilt 
Nichts  ist  in  diesem  Buch  über  das  Gesetz  der  Häufigkeit  gesagt, 
was  nicht  die  folgende  Erfahrung  bestätigt  und  selbst  erweitert 
hat,  ausgenommen,  daß  eine  ausdrückliche  Warnung  gegen  die 
wahllose  Anwendung  nötig  ist. 

Die  nächste  Stufe  war,  eine  allgemeine  Idee  von  der  Weiter- 
gabe von  Anlagen  zu  gewinnen,  die  auf  einer  breiten  Basis  homo- 
gener Tatsachen  begründet,  die  Resultate  bestätigen  sollten,  die 
später  aus  schlagenderen,  aber  weniger  homogenen  Tatsachen 
erhalten  werden  sollten.  Um  dies  zu  erforschen,  mußte  ich  mich 
unverdrossen  gegen  irgend  eine  persönhche  Neigung  meinerseits 
verwahren;  es  war  also  wichtig,  daß  die  Gruppe,  mit  der  operiert 
werden  sollte,  zur  statistischen  Behandlung  genügend  zahlreich 
war  und  andererseits,  daß  die  Familiengeschichten  der  Per- 
sonen, um  die  es  sich  handelte,  zugänglich  und  wenn  möglich  be- 
reits publiziert  war. 

Die  Liste,  die  schheßlich  zu  diesem  einleitenden  Zweck  be- 
nützt wurde,  war  die  der  englischen  Judges  seit  der  Reforma- 
tion. Ihre  Verwandtschaftsbeziehungen  wurden  untersucht,  der 
Prozentsatz   ihrer   „hervorragenden"   Verwandten   in   den   ver- 


XV 

schiedenen  näheren  Graden  wurde  tabellarisch  aufgenommen  und 
die  Resultate  besprochen.  Diese  waren  schlagend  und  schienen 
an  sich  schon  vollauf  genügend,  um  die  Hauptfrage  zu  beweisen. 
Verschiedene  Einwände  tauchten  jedoch  gegen  die  Qiltigkeit  der 
Schlüsse  auf,  die  aus  ihnen  gezogen  wurden.  Sie  wurden,  wie 
ich  glaube,  in  dem  Buch  widerlegt. 

Nachdem  dieses  getan  war,  machte  ich  nacheinander  Serien 
von  Listen  über  die  berühmtesten  Politiker,  Feldherren,  Lite- 
raten, Mathematiker  und  Naturwissenschaftler,  Dichter,  Musiker 
und  Maler,  von  denen  die  Geschichte  weiß.  Zu  jeder  dieser  Listen 
zog  ich  viele  hervorragende  Engländer  heran,  deren  Biographien 
entweder  bekannt  oder  leicht  zugänglich  sind.  Die  Listen  stellte 
ich  jedesmal  so  zusammen,  daß  meine  eigenen  Neigungen  aus- 
geschaltet waren,  indem  ich  mich  jedesmal  auf  das  Urteil  anderer 
Personen  bezog,  das  ohne  irgend  welche  Kenntnis  über  den 
Gegenstand  der  vorliegenden  Untersuchung  ausgesprochen 
wurde,  wie  es  bei  den  Auswahlen  der  Fall  ist,  die  Historiker  oder 
Kritiker  zusammenstellen.  Nachdem  die  Listen  der  berühmten 
Männer  aufgestellt  waren,  stellte  ich  eine  große  Gruppe  hervor- 
ragender protestantischer  Theologen  zusammen,  nämlich  die- 
jenigen, die  in  Middletons  einst  wohlbeanntem  und  hochge- 
schätzten Diktionnaire  genannt  sind.  Darauf  besprach  ich  noch 
die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge,  dann  die  Ru- 
derer und  Ringkämpfer  aus  dem  N  o  r  d  1  a  n  d.  Am  Kopfe  jeder 
Liste  wurden  alle  ausgewählten  Namen  gedruckt  und  zwar 
wurden  diejenigen,  bei  denen  sich  hervorragende  Verwandten 
fanden,  in  K  u  r  s  i  v  schrift  gedruckt,  so  daß  die  Anzahl  der  Nieten 
leicht  mit  denen  der  Erfolge  verglichen  werden  kann.  Wie 
der  Liste  der  Judges,  so  wurde  auch  jeder  folgenden  ein  kurzes 
Verwandtschaftsverzeichnis  beigefügt,  von  denen  jedes  nachher 
tabellarisiert  und  in  der  gleichen  Weise  besprochen  wurde. 
Schließlich  wurden  die  verschiedenen  Resultate  zusammen  ge- 
stellt und  verglichen,  worauf  sich  eine  allgemeine  bemerkens- 
werte Übereinstimmung  und  einige  interessante  Ausnahmen  er- 
gaben. Eine  dieser  Ausnahmen  lag  bei  den  Theologen  in  dem 
überwiegenden  Einfluß  der  Mütter.  Diese  Tatsache  wurde  be- 
sprochen und  klar  in  Rechnung  gezogen. 

Der  Rest  des  Buches  ist  Betrachtungen  gewidmet,  die  durch 
die  Resultate  der  vorhergehenden  Kapitel  angeregt  sind,  wie 
etwa  der  relative  Wert  der  verschiedenen  Rassen,  die  Einflüsse, 


XVI 

die  aus  den  natürlichen  Anlagen  der  Nationen  folgen  und  so 
weiter.  Schließlich  folgt  noch  ein  Kapitel  allgemeiner  Betrach- 
tungen. 

Wenn  ich  das  Buch  nochmals  umarbeiten  würde,  müßte  der 
Teil   des   letzten  Kapitels,   der   sich   auf  Darwins  provisorische 
Pangenesis-Theorie    bezieht,    revidiert    und     mehr    ausgedehnt 
werden,  um  auch  noch  die  Gründe  für  und  gegen  die  erbliche 
Weitergabe  von  Gewohnheiten  in  Betracht  zu  ziehen,  die  nicht 
angeboren  sind,  sondern  durch  Übung    erworben  werden.     Die 
Fähigkeit  der  Pangenesis-Theorie,  große    Klassen  augenschein- 
lich  verschiedener   Phänomene   unter   ein   einzelnes   Gesetz   zu 
bringen,  ist  wunderbar,  doch  wurden  seither  ernsthafte  Einwände 
gegen    ihre   Giltigkeit   gemacht,   die   eine     allgemeine   Annahme 
verhindern.    Diese  Theorie  würde  uns  z.B.  zwingen  zu  glauben, 
daß  die  erbUche  Weitergabe  von  akzidentellen  Verstümmelungen 
und  erworbenen  Fähigkeiten  die  Regel  und  nicht  die  Ausnahme  ist. 
Wenn  wir  aber  alle  theoretischen  Gründe  gegen  diesen  Glauben 
außer  Frage  lassen,  wie  ich  sie  selbst  vor  vielen  Jahren  vor- 
gebracht habe  und  wie  sie  in  letzter  Zeit  noch  zwingender  von 
Weismann  vorgebracht  wurden  und  uns,  auf  die  experimentelle 
Evidenz  stützen,  ist  es  jetzt  klar,  daß  die  Tendenz  der  erworbenen 
Gewohnheiten  erblich  weiter  gegeben  zu  werden,  außerordentlich 
gering  ist.     Es  kann  einige  wenige  Fälle  geben,  wie  jene  der 
Brown-Sequard'schen   Meerschweinchen,   wo   Verletzungen   der 
Nervensubstanz   der  Eltern  ihre  Nachkommenschaft  affizierten; 
doch  hat  man  gefunden,  daß  Verletzungen  oder  Gewohnheiten 
der  Eltern  die  natürliche  Gestalt  oder  Fähigkeit  des  Kindes  nicht 
affizieren,  es  wäre  denn,  daß  sie  anderen  Einflüssen,  wie  schlechter 
Ernährung  oder   übermittelten  Mikroben  zugeschrieben  werden 
können.    Ob  nicht  sehr  geringe  hereditäre  Einflüsse  der  voraus- 
gesetzten Art,  wenn  sie  sich  viele  Generationen  hindurch  in  der 
gleichen  Richtung   akkumulieren,  schließlich   die   Qualitäten   der 
Art  affizieren  können,  scheint  der  einzige  Punkt  zu  sein,  der  ernst- 
haft in  Frage  kommt. 

Viele  Beispiele  wurden  von  jenen  wenigen  Personen  er- 
bracht, die  sich  einer  hohen  Autorität  erfreuen  und  die  noch  be- 
haupten, daß  erworbene  Gewohnheiten,  wie  der  Gebrauch  oder 
Nichtgebrauch  bestimmter  Organe  bei  den  Eltern  in  einem  ge- 
nügenden Grade  erblich  weiter  gegeben  werden  können,  um  die 
gesamte  Nachkommenschaft  nach  vielen  Generationen  beträcht- 
lich zu  affizieren.    Unter  diesen  Beispielen  wurde  viel  Wert  auf 


XVII 

die  abnehmende  Größe  des  menschlichen  Kiefers  bei  hoch- 
zivilisierten Völkern  gelegt.  Es  wurde  geltend  gemacht,  daß  ihr 
Essen  besser  und  schmackhafter  gekocht  ist,  als  das  ihrer  Vor- 
fahren, daß  also  der  Kauapparat  der  Rasse  infolge  Nichtgebrauch 
zurückgegangen  ist.  Die  Evidenz,  auf  welcher  dieses  Argument 
basiert,  ist  fraglich,  da  es  nicht  ganz  gewiß  ist,  daß  die  nicht- 
europäischen Rassen,  die  stärkere  Kiefer  haben,  als  wir,  die- 
selben mehr  gebrauchen,  als  wir  es  tun.  Ein  Chinese  lebt,  und 
zwar  seit  Jahrhunderten,  von  Reis  und  Löffelkost  oder  einer  solch 
überkochten  Nahrung,  als  seine  Eßstäbchen  immer  bewältigen 
können.  Die  Afrikaner  in  der  Gegend  des  Äquators  leben  zum 
großen  Teil  von  Bananen  oder  von  Tapioca,  die  gut  gekocht 
werden  muß,  ehe  man  sie  ißt,  da  sie  gewöhnlich  von  der  giftigen 
Art  ist  und  das  Gift  durch  Kochen  zerstört  wird.  Viele  der 
Inselbewohner  des  Osterarchipels  leben  von  Sago.  Hirtenstämme 
essen  gelegentlich  Fleisch,  aber  ihre  gewöhnliche  Nahrung  ist 
Milch  oder  Käse.  Es  sind  nur  die  Jagdvölker  die  gemeinhin  von 
zähem  Fleisch  leben.  Daraus  folgt,  daß  die  abnehmende  Größe 
des  menschlichen  Kiefers  bei  hochzivilisierten  Völkern  auf  andere 
Gründe  als  jene,  welche  immer  es  auch  sein  mögen,  zurückzu- 
führen sind,  welche  das  Gewicht  des  gesamten  Skeletts  in  zart 
genährten  Tieren  reduzieren. 

Es  scheint  der  Frage  des  Experiments  zugänghch,  ob  gewisse 
erworbene  Eigenschaften,  die  zehn,  zwanzig  oder  mehr  Gene- 
rationen aktiv  sind,  irgend  welche  sichtbare  Folgen  auf  die  Rasse 
haben.  Ich  will  hier  einiges  wiederholen,  was  ich  vor  zwei 
Jahren  erst  auf  einem  Kongreß  in  Paris  und  dann  in  der  British 
Association  von  Newcastle  vorbrachte.  Der  Satz,  den  ich  auf- 
stellte, ging  dahin,  daß  die  Experimente  im  Großen  gemacht 
werden  müßten  und  zwar  an  Geschöpfen,  die  künstlich,  von 
mütterlichen  Belehrungen  völlig  isoliert,  ausgebrütet  werden. 
Hühner,  Schmetterlinge  und  Fische  wären  besonders  geeignet. 
Hühner  werden  an  vielen  Orten,  namentlich  in  Frankreich,  in 
großer  Anzahl  in  Brutapparaten  aufgezogen.  Es  scheint  nicht 
schwierig.  Versuche  zu  ersinnen,  die  mit  bestimmten  Futterrufen 
zu  verbinden  wären,  ebenso  mit  Farben,  die  wieder  mit  dem 
Futter  zusammenhängen  oder  mit  Futter,  das  wirklich  gut  ge- 
funden würde,  wenn  auch  von  abschreckendem  Aussehen  und  die 
Küchlein  auf  bestimmten  Brutplätzen  regelmäßig  diesem  Ver- 
fahren zu  unterwerfen.  Nach  vielen  Generationen  könnte  man 
dann  durch  Vergleiche  mit  Küchlein  anderer  Brutplätze  prüfen, 
ob  die  Küchlein  der  so  und  sovielten  Generation  irgend  welche 

Galton,  Genie  und  Vererbung.  II 


XVIII 

Instinkte   angenommen   haben,   die   verändernd   auf   sie   gewirkt 
haben.    Was  die  Schmetterlinge  anlangt,  so  ist  die  Seidenwurm- 
industrie so  verbreitet  und  befindet  sich   auf   einem  so   hohen 
Niveau,  daß  sowohl  in  Frankreich  als  in  Italien  genügend  Ge- 
legenheit   für    analoge    Experimente    vorhanden    ist.     Die    An- 
stalten für  Fischkultur  gewähren  ein   anderes  Feld.    Es  würde 
nicht  verlohnen,    derartige  Experimente   anzuregen,  wenn  man 
nicht  vorher  über  den  kritischen  Wert  einig  wäre,  den  sie,  einmal 
ausgeführt,  für  uns  hätten.    Meiner  eigenen  Meinung  nach  würden 
sie  als  entscheidende  Experimente  eben  so  weit  zu  betrachten 
sein,  als  sie  kommen  würden,  und  es  würde  wohl  verlohnen,  sie  zu 
unternehmen,  aber  sie  scheinen  anderen  nicht  so  schlagend  vorzu- 
kommen.    Ehe   solche  Experimente   inszeniert  würden,   müßten 
die  Details  von  vielen  kompetenten  Forschern  untersucht  und 
kritisch  analysiert  werden. 

Auch  ein  anderes  Thema  hätte  ich  behandelt,  wenn  ich  das  Buch 
umgearbeitet  hätte,  nämlich  den  Unterschied  zwischen  Variationen 
und  Naturspielen.  Dieses  Thema  würde  eine  Umarbeitung  vieler 
der  schon  existierenden  Erörterungen  verlangen.  Die  Ansichten, 
zu  denen  ich  gekommen  bin,  seit  es  geschrieben  ist,  sind  Ergän- 
zungen jener,  die  bereits  S.  391—392  vorgebracht,  aber  nicht  bis 
zu  ihrem  logischen  Schluß  geführt  wurden.  Es  würde  sich  darum 
handeln,  daß  das  Wort  Variation  unterschiedslos  für  zwei  fun- 
damental verschiedene  Begriffe  verwendet  wird:  für  Sport  und 
die  eigentlich  sogenannte  Variation.  In  der  Natürlichen 
Vererbung  habe  ich  gezeigt,  daß  die  Verteilung  von  Eigen- 
schaften in  einer  Bevölkerung  nicht  konstant  bleiben  kann,  wenn 
durchschnittlich  die  Kinder  ihren  Eltern  ähnlich  sehen. 
Ist  dies  der  Fall,  so  würden  die  Riesen  (in  bezug  auf  irgend  eine 
geistige  oder  physische  Eigentümlichkeit)  in  jeder  folgenden  Ge- 
neration noch  riesiger  und  die  Zwerge  noch  zwerghafter  werden. 
Die  gegenwirkende  Tendenz  ist  die,  welche  ich  „Regression" 
nenne.  Das  kindliche  Zentrum  ist  nicht  das  gleiche  wie  das 
elterliche,  sondern  es  nähert  sich  mehr  der  Mittelmäßigkeit; 
es  kehrt  mehr  zu  dem  Rassen  Zentrum  zurück.  Mit  anderen 
Worten,  das  kindliche  Zentrum  (oder  das  geschwisterliche,  wenn 
wir  den  Gesichtspunkt  ändern)  ist  stets  dem  durchschnittlichen, 
dem  Rassenzentrum  näher,  als  dies  bei  dem  elterlichen  Zentrum 
der  Fall  war.  Es  muß  eine  durchschnittHche  „Regression"  vor- 
handen sein,  wenn  es  sich  um  den  Übergang  von  dem  elterlichen 
zu  dem  kindlichen  Zentrum  handelt. 


XIX 

Es  ist  weder  möglich,  an  dieser  Stelle  einen  völligen  Be- 
griff von  der  Notwendigkeit,  noch  von  den  Beweisen  der  Re- 
gression zu  geben,  in  dem  angegebenen  Werk  habe  ich  sie  sorg- 
sam besprochen.  Es  genügt  hier,  daß  das  Resultat  dem  Gedanken 
eines  typischen  Zentrums  Bestimmtheit  verleiht,  eines  Zentrums, 
von  dem  die  individuellen  Variationen  in  Übereinstimmung  mit 
dem  Gesetz  der  Häufigkeit  oft  in  geringer  Anzahl  vorkommen, 
seltener  in  einer  größeren,  sehr  selten  in  einer,  die  noch  größer 
ist  und  in  Wirklichkeit  nie  in  einer  Anzahl,  die  beständig  größer  ist. 
Das  kindliche  Zentrum  nimmt  eine  Stellung  zur  Mittelmäßigkeit 
ein,  die  eirie  konstante  Proportion  zu  der  Entfernung  hat,  in 
welcher  das  elterliche  Zentrum  sich  von  dieser  Mittelmäßigkeit 
befand,  ob  diese  Entfernung  nun  in  einem  Hinauf  oder  Hinunter 
bestand.  Alle  wahre  Variation  ist  (wie  ich  glaube)  von  dieser  Art, 
und  es  ist  folglich  unmögHch,  die  natürlichen  QuaHtäten  einer 
Rasse  durch  die  Tatsache  der  Selektion  reiner  Variationen 
permanent  zu  ändern.  Die  Selektion  der  zweckdienlichsten 
Variationen  kann  nicht  einmal  einen  großen  Grad  künst- 
lichen und  vorübergehenden  Fortschritts  hervorbringen,  da  bald 
ein  Gleichgewicht  zwischen  Abweichung  und  Regression  erreicht 
wird,  wobei  die  Besten  der  Nachkommenschaft  aufhören  besser 
zu  sein  als  ihre  eigenen  Vorväter  und  Vormütter= 

Etwas  anderes  ist  es  bei  den  Fällen,  die  technisch  als  „Sports" 
bekannt  sind.  Hier  tritt  ein  neuer  Charakter  plötzlich  bei  einem 
besonderen  Individuum  in  Erscheinung  und  wird  die  Veran- 
lassung, daß  das  Individuum  sich  deutlich  von  seinen  Eltern  und 
von  den  anderen  seiner  Rasse  unterscheidet.  Auch  solche  neue 
Charaktere  gehen  auf  die  Nachkommen  über.  Hier  Hegt  eine 
Veränderung  des  typischen  Zentrums  vor,  ein  neuer  Ausgangs- 
punkt ist  auf  irgend  eine  Weise  in  die  Erscheinung  getreten,  gegen 
welchen  die  Regression  von  nun  ab  gemessen  werden  muß,  es 
hat  also  im  Gange  der  Evolution  ein  wirklicher  Schritt  nach  vor- 
wärts stattgefunden.  Wenn  die  natürliche  Selektion  einen  be- 
stimmten Sport  begünstigt,  arbeitet  er  wirklich  auf  die  Bildung 
einer  neuen  Art  hin,  wogegen  der  Vorteil,  der  gleichzeitig  durch 
bloße  Variation  erreicht  wird,  wieder  zu  verschwinden  scheint, 
soweit  es  sich  nur  um  eine  solche  handelt. 

Zwischen  einem  Sport  und  einer  Variation  kann  eine  Ver- 
mischung entstehen,  die  zu  einem  hybriden  und  unbeständigen 
Resultat  führt,  wovon  der  unvollkommene  Mischungscharakter 
der  verschiedenen  menschlichen  Rassen  ein   gutes  Beispiel  gibt. 

II 


XX 

Zahlreiche  reine  Muster  ihrer  verschiedenen  Ahnentypen  sind 
geneigt,  wieder  hervorzubrechen,  ungeachtet  der  Beimischung 
durch  die  Ehe,  die  vor  vielen  Generationen  erfolgt  ist. 

Sowohl  mir  als  anderen,  wie  Wallace  und  Professor  Romanes 
ist  der  Gedanke  gekommen,  daß  die  Zeit  gekommen  sei,  wo  ein 
Institut  für  Experimente  über  Vererbung  mit  Nutzen  eingerichtet 
werden  könnte.  Eine  Farm  und  ein  Garten  von  geringem  Um- 
fange, mit  verschiedenen  klimatischen  Verhältnissen  und  gut  mit 
Wasser  versorgt,  unter  der  Obhut  intelHgenter  Wärter  und  von 
einem  Biologen  beaufsichtigt,  würden  die  nötige  Basis  für  eine 
große  Reihe  mannigfacher  Untersuchungen  an  nichtkostspieligen 
Pflanzen  und  Tieren  ermöglichen.  Die  Schwierigkeit  liegt  in 
der  geringen  Anzahl  kompetenter  Personen,  die  sich  aktiv  mit 
der  Frage  beschäftigen  und  bei  denen  man  sich  darauf  verlassen 
könnte,  daß  sie  ein  derartiges  Unternehmen  auch  wirklich  be- 
nützen würden. 

Das  direkte  Resultat  dieser  Untersuchung  ist,  die  großen  und 
meßbaren  Differenzen  zwischen  den  geistigen  und  körperlichen 
Eigenschaften  von  Individuen  zu  manifestieren  und  zu  beweisen, 
daß  die  Gesetze  der  Vererbung  sich  sowohl  auf  die  ersteren,  als 
auf  die  letzteren,  anwenden  lassen.  Ihr  indirektes  Resultat  ist,  zu 
zeigen,  daß  jeder  Generation  eine  große  aber  unbenutzte  Macht 
über  die  wirkliche  natürliche  Beschaffenheit  ihrer 
Nachfolger,  d.  h.  über  ihre  angeborenen  Eigenschaften  und 
Anlagen  zu  Gebote  steht.  Die  rohe,  noch  ungelenkte  Macht, 
diese  Fähigkeit  durch  entsprechende  Ehen  oder  Enthaltung 
von  der  Ehe  auszuüben,  existiert  ohne  Zweifel,  wenn  viel- 
leicht auch  durch  Umstände  sozialer  Art  gehindert.*)  Das  große 
Problem  der  zukünftigen  Verbesserung  der  menschlichen  Rasse 
ist  anerkanntermaßen  gegenwärtig  kaum  über  das  Stadium  eines 
akademischen  Interesses  hinausgekommen,  aber  Gedanken  und 
Taten  gehen  heutzutage  rasch  vorwärts,  und  es  ist  durchaus 
nicht  unmöglich,  daß  eine  Generation,  die  die  Ausschheßung  der 
chinesischen  Rasse  von  den  gewöhnlichen  Kolonisten-Privilegien 
in  zwei  Erdteilen  und  die  Deportation  einer  hebräischen  Be- 
völkerung aus   dem   großen  Teil   eines   dritten   Erdteils  mitan- 


*)  Diese  Erörterungen  waren  in  meiner  Adresse  an  den  Internationalen 
Kongreß  für  Demographie,  London  1892,  niedergelegt. 


XXI 

gesehen  hat,  auch  noch  Zeuge  anderer  analoger  Tatsachen  wird, 
die  unter  plötzhchem  soziaUstischen'i  Druck  entstehen  würden. 
Die  schlagenden  Resultate  einer  üblen  Vererbung  haben  sich  dem 
populären  Geist  bereits  so  eingeprägt,  daß  freimütig,  ohne  auf 
irgend  einen  Widerstand  seitens  der  anderen  zu  stoßen,  die  Em- 
pörung darüber  geäußert  wird,  daß  jährlich  unfähige  Eltern 
schwacher  Kinder  gefördert  werden,  die  ihrer  Konstitution  nach 
unfähig  sind,  zu  nützlichen  Bürgern  heranzuwachsen  und  die  ein 
ernsthaftes  Hindernis  für  die  Nation  sind.  Die  Fragen,  die  dann 
erörtert  werden  müssen,  können  eine  unerwartete  Wichtigkeit 
erlangen,  indem  sie  in  die  Sphäre  der  praktischen  Politik  fallen, 
und  dann  können  plötzlich  und  schmerzlich  demographische  Daten 
benötigt  werden,  die  lange  und  fürsorglich  gesammelt  und  leiden- 
schaftslos und  ruhig  beurteilt  werden  wollen. 

Ich  meine  hier  die  relative  Fruchtbarkeit  der  verschiedenen 
Klassen  und  Rassen  und  ihre  Tendenz,  sich  einander  unter  ver- 
änderten Umständen  zu  verdrängen. 

Die  ganze  Frage  der  Fruchtbarkeit  unter  den  verschiedenen 
Bedingungen  des  ziviüsierten  Lebens  erheischt  mehr  Detail- 
forschung, als  bisher  gemacht  wurde.  Wir  brauchen  weitere 
Untersuchungen  über  die  Wahrheit  der  Malthus'schen  Hypothese, 
daß  es  wirklich  keine  andere  Begrenzung  für  die  Übervölkerung 
gibt  als  Elend  und  vorsichtige  Hemmungen.  Ist  es  wahr,  daß  das 
Elend  in  jedem  rechtmäßigen  Sinne  dieses  Wortes  die  einzige 
automatisch  wirkende  Hemmung  bedeutet,  oder  existieren  noch 
andere  aktive,  wenn  auch  noch  nicht  bekannte  Ursachen,  die  an 
der  Zurückhaltung  eines  übermäßigen  Wachstums  der  Bevölkerung 
mitwirken?  Es  ist  sicher,  daß  die  Produktivität  verschiedener 
Ehen  infolge  ungeklärter  Bedingungen  stark  differiert.  Die 
Variation  in  der  Fruchtbarkeit  verschiedener  Tierarten,  die,  als 
sie  wild  lebten,  gefangen  und  dann  in  Menagerien  gehalten  wurden, 
ist,  wie  Darwin  schon  vor  langer  Zeit  ausgeführt  hat,  sehr  be- 
merkenswert und  dem  Anschein  nach  launenhaft.  Die  Majorität 
von  ihnen,  die  in  der  Gefangenschaft  gedeihen  und  sich  allem 
Anscheine  nach  einer  ausgezeichneten  Gesundheit  erfreuen,  ist 
nichtsdestoweniger  absolut  unfruchtbar;  andere  wieder  von  oft 
eng  verwandter  Art  haben  unter  den  gleichen  Umständen  eine 
gesteigerte  Fruchtbarkeit.  Eines  der  vielen  Beispiele  unserer 
großen  Ignoranz  der  Gesetze,  welche  die  Fruchtbarkeit  be- 
herrschen, ist  das  Vorgehen  der  Bienen,  die  irgend  etwas  ent- 


XXII 

deckt  haben,  wodurch  es  in  ihrer  Macht  ist,  die  sie  auch  wirk- 
hch  ausüben,  infolge  bloßer  Abänderung  der  Kost  und  des  Uni- 
fanges  der  Wartung  eine  weibliche  Larve  zu  einem  natürlich 
sterilen  Arbeiter  oder  zu  der  potentiellen  Mutter  eines  kolossalen 
Bienenschwarms  zu  machen. 

Die  Demographen  haben  ohne  Zweifel  eine  große  Anzahl 
von  Informationen  über  die  Fruchtbarkeit  der  verschiedenen 
Nationen  gesammelt  und  verglichen,  aber  sie  haben  das  Problem 
meist  im  großen  und  nicht  in  seinen  Details  angepackt,  so  daß 
wir  wenig  mehr  besitzen  als  mittlere  Werte,  die  auf  Bevölke- 
rungen im  ganzen  anwendbar  und  in  ihrer  Art  sehr  wertvoll  sind; 
wir  sind  aber  in  all  jenen  Beziehungen  unwissend,  über  die  uns 
eine  mäßige  Anzahl  verständig  angestellter  Untersuchungen  viel- 
leicht aufklären  könnte. 

Folgendes  Beispiel  soll  zeigen,  was  etwa  mit  Vorteil  durch- 
forscht werden  könnte.  Setzen  wir  den  Fall,  daß  wir  eine  für 
statistische  Untersuchungen  genügende  Anzahl  von  Menschen 
aus  verschiedenen  sozialen  Klassen  nehmen,  jene  die  in  phy- 
sischer, intellektueller  und  moralischer  Hinsicht  am  wenigsten 
ausgebildet  sind,  also  unsere  niedrigste  Klasse  bilden,  bis  zu 
jenen,  die  in  dieser  Hinsicht  am  meisten  ausgebildet  sind,  also 
unsere  höchste  Klasse.  Die  Frage,  die  gelöst  werden  soll,  be- 
zieht sich  auf  die  erbliche  Permanenz  der  verschiedenen  Klassen. 
Welche  Proportion  jeder  Klasse  stammt  von  Eltern  ab,  die  zu 
der  gleichen  Klasse  gehören,  und  welche  Proportion  stammt  von 
Eltern  ab,  die  zu  einer  der  anderen  Klassen  gehören?  Tragen 
jene  Menschen,  die  ehrenhaft  gelebt  haben  und  die  vermutlich 
den  wertvollsten  Teil  unseres  menschlichen  Stammes  bilden, 
ihren  angemessenen  Anteil  zu  der  Masse  der  Nachkommenschaft 
für  die  nächste  Generation  bei?  Wenn  das  nicht  der  Fall  ist, 
tragen  sie  mehr  oder  weniger,  als  ihr  angemessener  Anteil  aus- 
macht, bei,  und  in  welchem  Grade?  Mit  anderen  Worten?  Ist  die 
Evolution  des  Menschen  in  jeder  einzelnen  Gegend  von  den 
speziellen  dort  herrschenden  Formen  der  Zivilisation  günstig 
oder  schädlich  affiziert? 

Wir  wissen  jedoch  schon  jetzt  genug,  um  es  gewiß  erscheinen 
zu  lassen,  daß  die  Produktivität  der  beiden  extremsten  Klassen, 
der  besten  und  schlechtesten,  nahe  dem  Durchschnitt  der 
Nation  als  Ganzes  genommen,  liegt.  Die  fruchtbarste  Klasse 
liegt  also  notwendig  zwischen  den  beiden  Extremen,  aber  an 
welchem  vermittelnden   Punkt  Hegt  sie?     Sind   die   natürlichen 


XXIII 

Gaben  der  fruchtbarsten  Klasse  in  körperlicher,  intellektueller 
und  moralischer  Beziehung  zusammen  genommen  von  irgend 
einem  vernünftigen  Prinzip  aus  über  oder  unter  der  nationalen 
Mittelmäßigkeit?  Liegen  sie  darüber,  so  sind  diese  existierenden 
Bedingungen  dem  Fortschritt  der  Rasse  günstig.  Liegen  sie 
darunter,  so  arbeiten  sie  auf  ihre  Degradation  hin. 

Diese  sehr  kurzen  Bemerkungen  sollen  dazu  dienen,  das 
Problem  zu  skizzieren:  es  würde  weit  mehr  Raum  erfordern, 
als  hier  zur  Verfügung  steht,  um  es  frei  von  Doppelsinnigkeit  zu 
formulieren,  so  daß  seine  Lösung  uns  klar  belehren  würde,  welche 
Lebensbedingungen  die  Tendenz  haben,  in  einer  gegebenen 
Periode  die  natürHchen  QuaHtäten  einer  gegebenen  Rasse  zu  er- 
höhen oder  herabzudrücken. 

Was  immer  andere  Länder  verloren  oder  nicht  verloren 
haben  mögen,  unser  Vaterland  hat  sicherlich  bei  mehr  als  einer 
Gelegenheit  durch  die  Infusion  der  Zucht  von  ausgewählten  Unter- 
rassen  gewonnen,  namentlich  durch  die  der  protestantischen 
Flüchtlinge,  die  vor  den  religiösen  Verfolgungen  auf  dem  Kon- 
tinent flohen.  Es  scheint  vernünftig,  die  Hugenotten  als  Menschen 
zu  betrachten,  die  im  großen  Ganzen  angeborene  Quahtäten  einer 
von  der  Majorität  ihrer  Landsleute  unterschiedlichen  Art  haben 
und  die  daher  als  ein  Untertypus  behandelt  werden  können,  d.  h. 
als  Menschen,  die,  einmal  isoliert,  fähig  sind,  ihre  Rasse  fortzu- 
pflanzen, ohne  daß  diese  eine  starke  Tendenz  aufweist,  zu  der 
Form  des  früheren  Typus  zurückzukehren,  von  dem  diese  Gruppe 
eine  umgrenzte  Abweichung  repräsentiert.  Dieser  Satz  wird 
auch  dadurch  bewiesen,  daß  die  Kreuzung  zwischen  ihnen 
und  unseren  Ahnen  eine  merkwürdig  erfolgreiche  Mischung  ergab. 
Folglich  verdankte  England  der  natürlichen  Verfeinerung  und  dem 
gediegenen  Wert  der  hugenottischen  Zucht  sehr  viel,  genau  so, 
wie  es  viel  der  Kultur  und  dem  technischen  Wissen  verdankte, 
das  die  Hugenotten  mitbrachten. 

Die  Häufigkeit,  mit  welcher  in  der  Geschichte  eine  Rasse 
eine  andere  aus  großen  geographischen  Gebieten  verdrängte, 
ist  eine  der  schlagendsten  Tatsachen  in  der  Evolution  der 
Menschheit.  Die  Bewohner  der  Erde  von  heute  bilden  einen 
Stamm,  der  sehr  verschieden  ist  von  jenem,  der  sie  vor  einem 
halben  Dutzend  von  Generationen  bevölkerte,  und  allem  Anschein 
nach  werden  unsere  Nachfolger  in  einem  weiteren  halben  Dutzend 
von   Generationen   nicht   weniger   verschieden   sein.     Teilweise 


XXIV 

können  neue  menschliche  Varietäten  zu  einer  permanenten  oder 
auch  nur  zeitweisen  Existenz  emporgekommen  sein,  wie  etwa 
vor  vielen  Jahrhunderten  die  sehr  bemerkenswerte  Mischrasse 
der  Normannen,  in  welcher,  um  die  wohlbekannten  Worte  des 
verstorbenen  Professors  Freemann  zu  zitieren,  die  unbezwing- 
liche  Kraft  der  Skandinavier  sich  mit  der  heiteren  Lebhaftigkeit 
der  Gallier  vereinigte  und  die  eine  in  Europa  erobernde  und  füh- 
rende Rasse  hervorbrachten.  In  erster  Reihe  aber  gehören  die 
Veränderungen,  von  denen  ich  spreche,  zu  den  großen  Umände- 
rungen in  den  Proportionen  derer,  die  zu  alten  und  festgestellten 
Typen  gehören.  Der  Neger,  der  heute  in  den  Vereinigten  Staaten 
geboren  wird,  hat  die  gleichen  natürlichen  Eigenschaften  wie  sein 
entfernter  Vetter,  der  in  Afrika  geboren  wird;  die  Tatsache  seiner 
Transplantation  bewirkte  keine  Veränderung  seiner  Natur,  wohl 
aber  bewirkte  sie  eine  Veränderung  seiner  Anzahl,  indem  sie  die 
Gebiete  seiner  Verteilung  vergrößerte  und  die  eingeborenen 
amerikanischen  Rassen  aufrieb.  Es  existieren  heute  8  000  000 
Neger  in  Ländern,  wo  vor  zwölf  Generationen  kein  einziger  war 
und  wo  heute  wahrscheinlich  kein  Repräsentant  jener  Rassen 
mehr  lebt,  die  die  Neger  verdrängt  haben;  andererseits  weist  die 
Heimat  der  Neger  keine  entsprechende  Bevölkerungsabnahme 
auf.  Das  gleiche  gilt  von  den  europäischen  Rassen,  die  während 
der  gleichen  Periode  die  gemäßigten  Regionen  des  Erdballs  über- 
fluteten und  die  Kerne  vieler  zukünftiger  Generationen  gebildet 
haben. 

Es  ist  unmögHch,  auf  einem  beschränkten  Räume  einen  rich- 
tigen Begriff  von  der  Ausdehnung  und  Anzahl  der  Veränderungen 
zu  geben,  die  an  dem  menschUchen  Stamm  während  der  letzten 
Generationen  infolge  politischer  Ereignisse  vorgingen,  und  es 
wäre  schwierig,  es  zu  tun,  ohne  die  patriotische  Empfindlichkeit 
vieler  Leser  ernsthaft  zu  verletzen.  Die  natürlichen  Tempera- 
mente und  moralischen  Begriffe  der  verschiedenen  Rassen 
weichen  voneinander  ab,  und  Lob  und  Tadel  kann  nicht  dem  Ur- 
teil eines  einzelnen  überlassen  werden,  ohne  Kundgebungen 
seitens  anderer  hervorzurufen,  die  andere  Ansichten  mit  viel- 
leicht ebenso  viel  Berechtigung  äußern  würden.  Die  Vögel  und 
die  Vierfüßler  können,  in  geschlossener  Konklave  versammelt, 
wohl  versuchen  eine  einstimmige  Resolution  anzunehmen,  daß 
es  die  natürliche  Pflicht  der  Mutter  sei,  ihre  Kleinen  zu  ernähren 
und  zu  betreuen,  der  Kuckuck  wird  doch  musikalisch  protestieren. 


XXV 

Der  irische  Kelte  mag  die  Ausbreitung  seiner  Rasse  und  die  Zu- 
nahme ihres  Einflusses  in  den  repräsentativen  Regierungen  Eng- 
lands und  Amerikas  wünschen,  aber  die  Wünsche  seiner  anglo- 
sächsischen  oder  teutonischen  Mituntertanen  gehen  vielleicht 
nach  der  entgegengesetzten  Richtung  und  so  weiter  ins  Unendliche. 
Mein  Ziel  ist  hier  nur,  Untersuchungen  über  die  historische  Tat- 
sache anzuregen,  ob  die  Gesetzgebung,  welche  in  starkem  Maße 
zur  Substitution  einer  Rasse  durch  die  andere  geführt  hat,  nicht 
oft  der  Anlaß  zu  strittigen  Ansichten  war,  in  welchen  die  Rassen- 
frage kaum  in  Betracht  gezogen  wurde.  Und  doch  halten  sich 
diese  Ansichten  oft  so  stark  das  Gleichgewicht,  daß  das  Resultat 
wohl  ein  anderes  hätte  sein  können,  wenn  die  Rassenfrage  richtig 
in  die  Diskussion  eingeführt  worden  wäre.  Man  kann  nicht  be- 
zweifeln, daß  dies  möglich  sei.  Es  scheint  also  umso  notwendiger, 
den  Einfluß  der  Rasse  genau  zu  bestimmen,  um  ihn  nach  seinem 
wirklichen  Wert,  ohne  Über-  oder  Unterschätzung,  in  die  Er- 
örterungen einzubeziehen,  durch  welche  politische  Handlungen 
bestimmt  werden  können. 

Die  Wichtigkeit,  die  der  Rasse  beizulegen  ist,  ist  eine  Frage, 
die  ein  weit  größeres  Maß  an  exakter  Untersuchung  erheischt, 
als  ihr  zu  Teil  wird.  Wir  sind  außerordenthch  unwissend  über 
die  respektiven  Rangordnungen  der  natürlichen  und  erworbenen 
Eigenschaften  der  verschiedenen  Rassen.  Unter  den  Schrift- 
stellern, die  sich  mit  dieser  Frage  befassen,  herrscht  eine  zu 
starke  Tendenz,  wilde  Dogmatik  zu  treiben,  indem  die  einen  in 
ihrer  Sphäre  grob  übertreiben,  die  anderen  ebenso  grob  ver- 
kleinern. Es  scheint  jedoch  möglich,  diese  Frage  unzweideutig 
zu  beantworten,  wie  schwer  es  auch  sein  mag. 

Die  neuerlichen  Versuche  vieler  europäischer  Nationen, 
Afrika  für  ihre  eigenen  Zwecke  zu  benützen,  verleiht  den  Unter- 
suchungen über  die  Transplantation  von  Rassen  ein  neues  und 
praktisches  Interesse.  Sie  zwingen  uns,  der  Frage  gegenüber- 
zutreten, wie  weit  Rassen  politisch  unterstützt  werden  sollten, 
zukünftig  die  Hauptbesitzer  dieses  Kontinents  zu  werden.  Die 
Varietäten  von  Negern,  Bantus,  arabischer  Halbzucht  und  an- 
deren, die  jetzt  Afrika  bewohnen,  sind  sehr  zahlreich,  und  sie 
differieren  in  ihren  natürlichen  Eigenschaften  sehr  voneinander. 
Einige  von  ihnen  müssen  tauglicher  als  andere  sein,  unter  jener 
Form  einer  gemäßigten  Kultur  heranzureifen,  die  von  den  Euro- 
päern in  Afrika  wahrscheinlich  eingeführt  werden  wird.     Man 


XXVI 

wird  die  Ordnung  und  Rechtspflege  stärken,  unter  den  Ein- 
geborenen den  Wunsch  nach  Komfort  und  Luxus  wecken  und 
ständigen  Fleiß  fast  zur  ersten  Lebensbedingung  machen.  Solche 
Rassen  werden  sich  ausbreiten  und  die  anderen  allmählich  ver- 
drängen. Es  könnte  sich  nun  erweisen,  daß  die  Neger,  im  ein- 
zelnen wie  als  Ganzes  genommen,  unter  den  neuen  Bedingungen 
ebenso  wenig,  wie  unter  den  alten,  imstande  wären,  den  Bedürf- 
nissen einer  Zivilisation,  die  höher  ist,  als  ihre  eigene,  nachzu- 
kommen. In  diesem  Falle  würden  ihre  Rassen,  obgleich  sie  zahl- 
reich und  fruchtbar  sind,  im  Laufe  der  Zeit  von  besseren  ver- 
drängt und  ersetzt  werden. 

Es  scheint  kaum  möglich,  uns  schon  jetzt  von  der  Möglichkeit 
zu  überzeugen,  daß  irgend  eine  Varietät  weißer  Männer  imstande 
sein  wird,  in  den  Tropen  zu  arbeiten,  zu  gedeihen  und  ihre  Rasse 
fortzupflanzen.  Wir  vermögen  das  nicht  ohne  bessere  Kenntnis, 
als  wir  sie  heute  über  die  verschiedenen  Fähigkeiten  der  Individuen 
besitzen,  den  kUmatischen  Einflüssen  und  der  Malaria  der  Tropen 
zu  widerstehen.  Man  hat  bisher  viel  mehr  Sorge  darauf  ver- 
wendet, für  die  Verpflanzung  in  fremde  Gegenden  geeignete  Varie- 
täten von  Tieren  und  Pflanzen  auszusuchen,  als  geeignete 
Menschen.  Auf  der  einen  Seite  zeigt  man  Einsicht  und  Voraus- 
sicht, auf  der  anderen  Gleichgiltigkeit,  die  aus  Ignoranz  ent- 
standen ist.  Die  Wichtigkeit  einer  exakteren  Untersuchung  und 
sorgsameren  Auswahl  als  heute  in  Bezug  auf  physische  Eigen- 
schaften und  erbliche  Antezedenzien  bei  Kandidaten  zum  Dienst 
in  tropischen  Gegenden  ist  noch  nicht  genügend  erkannt.  Wir 
benötigen  solche  Daten,  um  aus  ihnen  lernen  zu  können,  welche 
Bedingungen  in  der  Jugend  jener  vorherrschen,  die  den  klima- 
tischen Einfluß  in  befriedigender  Weise  aushalten  und  um- 
gekehrt, wie  es  um  die  Gesundheit  der  anderen  bestellt  ist,  die 
diesen  Einflüssen  nicht  gewachsen  erscheinen.  Es  ist  kaum  mög- 
lich, eine  solche  Untersuchung  auch  richtig  retrospektiv  zu 
führen. 

Zum  Schluß  möchte  ich  noch  einmal  die  Tatsache  betonen, 
daß  der  Fortschritt  der  natürlichen  Gaben  künftiger  Generationen 
der  menschUchen  Rasse  in  starkem  Maße,  wenn  auch  indirekt, 
in  unserer  Macht  ist.  Wir  sind  vielleicht  nicht  fähig  zu 
schaffen,  aber  wir  können  leiten.  Die  Prozesse  der  Evolution 
sind  in  ständiger  und  spontaner  Bewegung,  die  einen  drängen 
zum  Guten,  die  anderen  zum  Schlechten.     Unser  Teil  ist,  für 


XXVII 

günstige  Gelegenheiten  zu  sorgen,  indem  wir  den  ersteren  freie 
Bahn  schaffen  und  die  letzteren  hemmen.  Wir  müssen  klar  unter- 
scheiden zwischen  unserer  Kraft,  die  wir  in  dieser  fundamen- 
talen Beziehung  haben  und  jener,  welche  wir  bei  der  Verbesse- 
rung der  Erziehung  und  Hygiene  aufwenden  können.  Man  kann 
crnsthch  hoffen,  daß  Untersuchungen  in  immer  wachsendem  Maße 
künftige  Forscher  auf  historische  Tatsachen  lenken  werden,  um 
die  möglichen  Folgen  eines  vernünftigen  politischen  Vorgehens 
für  die  Zukunft  zu  ermessen  und  daß  die  Menschheit  sich  von 
dem  elenden  Niveau,  auf  dem  sie  heute  steht,  zu  einem  andern 
erheben  wird,  in  dem  die  Utopien  eines  philanthropischen  Traum- 
iandes  verwirklicht  werden  können. 


Einleitung. 

Ich  will  in  diesem  Buche  zeigen,  daß  die  natürHchen  Fähig- 
keiten eines  Menschen  durch  Vererbung  erworben  sind,  unter 
den  völlig  gleichen  Beschränkungen,  die  für  die  Form  und  die 
physischen  Merkmale  der  gesamten  organischen  Welt  gelten. 
Wenn  es  also  ungeachtet  dieser  Beschränkungen  leicht  ist, 
durch  sorgsame  Auslese  eine  beständige  Hunde-  oder  Pferde- 
rasse zu  erhalten,  die  mit  einer  besonderen  Schnelligkeit 
oder  einer  ähnlichen  Fähigkeit  ausgestattet  ist,  müßte  es 
ebenso  möglich  sein,  durch  wohlausgewählte  Ehen  während 
einiger  aufeinanderfolgender  Generationen  eine  hochbegabte 
Menschenrasse  hervorzubringen.  Ich  werde  zeigen,  daß  gegen- 
wärtig soziale  Faktoren  alltäglicher  Art,  denen  man  solchen  Ein- 
fluß nicht  zuschreiben  würde,  wirken,  und  zwar  die  einen  auf  den 
Verfall,  die  andern  auf  den  Fortschritt  der  menschlichen  Natur. 
Ich  behaupte,  daß  jede  Generation  eine  ungeheuere  Macht  über 
die  natürlichen  Gaben  der  ihr  folgenden  hat  und  behaupte 
weiter,  daß  es  unsere  Pflicht  gegen  die  Menschheit  ist,  den  Um- 
fang dieser  Macht  zu  untersuchen  und  sie  in  einer  Weise  auszu- 
üben, daß  sie  für  die  Bewohner  dieser  Erde  am  vorteilhaftesten 
werde,  ohne  daß  wir  gegen  uns  selbst  töricht  handeln. 

Ich  bin  mir  bewußt,  daß  meine  Anschauungen,  welche  ich 
zum  ersten  Mal  vor  vier  Jahren  in  Macmillans  Magazine 
(im  Juni  und  August  1865)  veröffentlicht  habe,  der  allgemeinen 
Meinung  widersprechen;  aber  die  Argumente,  die  ich  vor- 
brachte, wurden  zu  meiner  größten  Genugtuung  von  vielen  der 
ersten  Autoritäten  auf  dem  Gebiete  der  Vererbungslehre  an- 
genommen. Indem  ich  sie  jetzt  in  vollendeterer  Form  und  auf 
Grund  eines  größeren  induktiven  Materials  wiederhole,  bin  ich 
sicher,  daß,  wenn  meine  damalige  Arbeit  die  Billigung  von  Dar- 

Galton,  Genie  und  Vererbung.  1 


2  Einleitung. 

win  fand  (Die  Domestikation  der  Pflanzen  und  Tfiiere  II,  7.),  das 
vermehrte  Beweismaterial,  das  in  diesem  Bande  zusammen- 
getragen ist,  wohl  kaum  widerlegt  werden  kann. 

Der  allgemeine  Plan  meiner  Beweisführung  ist,  zu  zeigen, 
daß  hoher  Ruf  ein  ziemlich  gutes  Zeugnis  für  hohe  Begabung 
ist;  ich  will  weiter  die  Verwandtschaftsverhältnisse  einer 
großen  Gruppe  recht  bedeutender  Männer  untersuchen,  nämlich 
diejenigen  der  Richter  Englands  von  1660  bis  1868,  der  Politiker 
aus  der  Zeit  Georgs  III.  und  der  Premierminister  der  letzten 
hundert  Jahre,  um  auf  diese  Weise  einen  allgemeinen  Überblick 
über  die  Gesetze  der  Vererbung  der  Anlagen  zu  erhalten.  Dann 
werde  ich  der  Reihe  nach  die  Verwandtschaftsbeziehungen  der 
berühmtesten  Feldherren,  Schriftsteller,  Mathematiker  und 
Naturwissenschaftler,  Dichter,  Maler  und  Musiker,  von  denen  die 
Geschichte  spricht,  untersuchen.  Ich  werde  auch  die  Verwandt- 
schaftsbeziehungen einer  gewissen  Auswahl  von  Theologen  und 
Philologen  untersuchen.  Dann  wird  ein  kurzes  vergleichendes 
Kapitel  folgen  über  die  Übertragung  physischer  Anlagen  durch 
Vererbung,  abgeleitet  aus  den  Verwandtschaftsverhältnissen  be- 
stimmter Gruppen  von  Ruderern  und  Ringkämpfern.  Zuletzt 
werde  ich  meine  Resultate  zusammenfassen  und  Schlüsse  ziehn. 

Ich  füge  noch  hinzu,  daß  ich  mit  mehr  als  einer  Fähigkeits- 
stufe rechne.  Diejenigen  Menschen,  mit  denen  sich  der  größere 
Teil  meiner  Arbeit  befaßt  und  auf  deren  Verwandtschafts- 
beziehungen meine  Argumentation  am  sichersten  ruht,  genießen 
im  allgemeinen  den  Ruf,  von  der  Natur  mit  hervorragenden  An- 
lagen ausgestattet  zu  sein.  Aber  obgleich  über  die  ganze  ge- 
schichtliche Zeit  des  Menschen  verstreut,  gibt  es  nur  wenige 
solcher  Individuen;  obwohl  ihre  Zahl  nicht  über  400  hinausgeht, 
steht  überdies  noch  ein  beträchtlicher  Teil  von  ihnen  miteinander 
in  verwandtschafthcher  Beziehung. 

Eine  andere  Fähigkeitsstufe,  mit  der  ich  mich  beschäf- 
tige, umfaßt  zahlreiche,  sehr  bedeutende  und  alle  berühmten 
Namen  aus  der  modernen  englischen  Geschichte,  deren  unmittel- 
bare Abkömmlinge  unter  uns  leben,  deren  Schicksale  allgemein 
bekannt  sind  und  deren  Verwandtschaftsbeziehungen  mit  Hilfe 
von  bibliographischen  Lexika,  Pairskalendern  und  ähnlichen 
Nachschlagebüchern  ohne  Schwierigkeit  gezeichnet  werden 
können. 


Einleitung.  3 

Eine  dritte  und  niedrigere  Stufe  bilden  die  englischen  Richter, 
als  Ganzes  genommen,  zum  Zwecke  jener  einleitenden  statisti- 
schen Untersuchung,  von  der  ich  bereits  gesprochen  habe.  Nie- 
mand zweifelt,  daß  sich  eine  große  Anzahl  der  fähigsten  Intelli- 
genzen unseres  Volkes  unter  den  Richtern  finden;  nichtsdesto- 
weniger kann  man  die  Durchschnitts fähigkeit  eines  Rich- 
ters jener  der  niedrigeren  S'tufe  der  beiden  Gruppen,  die  ich  be- 
schrieben habe,  nicht  gleichsetzen. 

Ich  hoffe  auf  die  Nachsicht  des  Lesers  für  die  zahlreichen 
und  in  gewisser  Hinsicht  bedeutsamen  Lücken,  zu  denen  ich 
mich  bei  der  Behandlung  berühmter  Persönlichkeiten  unserer 
Zeit  entschließen  mußte.  Ich  bin  durch  ein  gewisses  Anstands- 
gefühl gezwungen,  diejenigen  Namen  aus  ihrer  Verwandt- 
schaft der  Gegenwart  auszulassen,  welche  nicht  allgemein  als 
bekannte  Persönlichkeiten  gelten,  obgleich  ihre  Fähigkeiten  in 
ihrem  Privatleben  hoch  bewertet  sein  mögen.  Noch  weniger  mit 
unseren  Anstandsbegriffen  vereinbar  wäre  es  gewesen,  die 
Namen  ihrer  weiblichen  Verwandten  anzuführen,  die  zu  der 
gleichen  Kategorie  gehören.  Meine  Beweise  sind  so  schlagend, 
daß  ich  vollkommen  in  der  Lage  bin,  meinen  Standpunkt  zu  be- 
weisen, auch  ohne  zu  diesem  Beweismaterial  zu  greifen.  Nichts- 
destoweniger soll  sich  der  Leser  bewußt  bleiben,  daß  diese 
Gruppe  existiert,  und  ich  bitte  ihn,  mir  Gerechtigkeit  widerfahren 
zu  lassen,  und  mir  zu  glauben,  daß  das  Beweismaterial,  so  weit 
es  in  diesem  Buch  nicht  erscheint,  mir  nicht  etwa  gänzlich 
entgangen  ist.  Ich  bin  mir  der  Unvollkommenheit  meines 
Werkes  bewußt,  aber  meine  Sünden  sind  Unterlassungs-,  nicht 
Begehungssünden.  Die  Fehler,  die  ich  vielleicht  gemacht  habe, 
die  ich  machen  mußte  und  die  meinen  Argumenten  nur  eine 
trügerische  Stütze  bieten,  sind  sicherlich  unverhältnismäßig  ge- 
ringer an  Zahl  als  jene  Auslassungen  von  Tatsachen,  die  mir  ge- 
holfen hätten,  meine  Ansichten  zu  begründen. 

Ich  habe  in  diesem  Buch  die  bedeutenden  Männer  der  Gegen- 
wart wenig  berücksichtigt,  soweit  sie  nicht  Engländer  oder 
wenigstens  in  England  sehr  bekannt  sind.  Ich  befürchtete,  offen- 
kundige Irrtümer  zu  begehen,  wenn  ich  eine  große  Anzahl  von 
Fremden  einbeziehe.  Es  erfordert  schon  dann  eine  große 
Arbeit,  die  Verwandtschaftsbeziehungen  ausfindig  zu  machen, 
wenn  man  alle  Erleichterungen  genießt,  die  einem  im  eigenen 

1* 


4  Einleitung. 

Lande  durch  den  Zutritt  zu  den  Personen  zuteil  werden,  die  mit 
den  verschiedenen  Familien  bekannt  sind;  umso  schwieriger  wäre 
es  gewesen,  die  Verwandten  von  Nicht-Engländern  ausfindig  zu 
machen.  Ganz  besonders  gern  hätte  ich  die  Biographien  von 
Itahenern  und  Juden  durchforscht,  da  beide  Völker  an  Familien 
mit  äußerst  intelligenten  Nachkommenschaften  reich  zu  sein 
scheinen.  Auch  Deutschland  und  Amerika  sind  in  dieser  Hin- 
sicht sehr  bedeutsam.  Frankreich,  wo  die  Revolution  und  die 
Guillotine  traurige  Verheerungen  unter  den  Nachkommen  der  be- 
fähigten Geschlechter  angerichtet  haben,  steht  etwas  nach. 

Daß  ich  ein  so  weites  Feld  nicht  bearbeitet  habe,  bedeutet  in 
einer  Hinsicht  einen  Vorteil  für  einen  ehrlichen  Kritiker.  Ich 
kann  so  eine  Probe  vorschlagen,  die  jeder  gebildete  Leser,  dem 
Zweifel  über  die  Unparteilichkeit  meiner  Beispiele  kommen,  mit 
Leichtigkeit  machen  kann.  Er  kann  mit  vollem  Recht  den  Ver- 
dacht hegen,  daß  ich  unbewußt  durch  meine  Theorie  dahin  beein- 
flußt wurde,  Männer  auszuwählen,  deren  Verwandtschaftsver- 
hältnisse meine  Anschauungen  am  ehesten  unterstützen  können. 
Wenn  dem  so  ist,  bitte  ich  ihn,  folgendes  zu  tun,  um  meine  Un- 
parteilichkeit auf  die  Probe  zu  stellen.  Er  nehme  ein  Dutzend 
Namen  nach  eigener  Wahl,  die  zu  den  bekanntesten  eines  belie- 
bigen Landes,  das  er  am  besten  kennt,  oder  eines  behebigen  Be- 
rufes, der  ihm  gut  bekannt  ist,  gehören  und  erforsche  selbst  ihre 
Verwandtschaftsverhältnisse.  Es  bedarf  einiger  Mühe,  wie  ich  aus 
Erfahrung  weiß,  bis  man  ganz  sicher  ist,  daß  man  niemand,  selbst 
von  den  unmittelbaren  Verwandten  männlicher-  oder  weiblicher- 
seits,  übersehen  hat.  Tut  er,  was  ich  vorgeschlagen,  so  wird  er 
sicherlich  staunen,  wie  vollständig  seine  Resultate  meine  Theorie 
bestätigen.  Ich  wage  es  mit  solcher  Sicherheit  zu  sprechen,  da 
ich  diesen  Versuch  schon  häufig  ungläubigen  Freunden  vor- 
schlug. So  weit  mein  Gedächtnis  mich  nicht  trügt,  wurde  jedes- 
mal unfehlbar  unter  den  genannten  Männern  eine  so  große  An- 
zahl mit  bedeutenden  Mitgliedern  in  ihrer  Familie  gefunden,  als 
meine  Anschauungen  über  Vererbung  mich  hätten  vermuten 
lassen. 


Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen. 

Die  Argumente,  durch  welche  ich  zu  beweisen  versuche,  daß 
Anlagen  vererblich  sind,  bestehen  darin,  daß  ich  zeige,  wie  groß 
die  Anzahl  der  Fälle  ist,  in  denen  Männer,  die  mehr  oder  weniger 
berühmt  sind,  in  ihrer  Verwandtschaft  hervorragende  Individuen 
aufweisen.  Ehe  meine  Argumentation  richtig  beurteilt  werden 
kann,  müssen  die  beiden  folgenden  Punkte  klargestellt  sein.  Der 
erste  Begriff,  um  den  es  sich  hier  handelt,  ist  der  Grad  der  Aus- 
wahl, der  mit  den  Worten  „hervorragend"  und  „berühmt"  gemeint 
ist.  Bedeutet  „hervorragend"  der  erste  von  hundert,  von  tau- 
send, oder  von  welcher  Anzahl  von  Menschen?  Der  zweite 
Punkt,  der  hier  für  uns  in  Betracht  kommt,  ist  der  Grad,  nach 
welchem  Berühmtheit  als  Kennzeichen  von  Fähigkeiten  gel- 
ten soll. 

Es  ist  wesentlich,  daß  ich  als  Autor  mir  über  ein  bestimmtes 
notwendiges  Minimum  klar  bin,  wenn  ich  den  Ausdruck  „her- 
vorragend" und  ähnliche  anwende  und  daß  der  Leser  ebenso 
klar,  wie  ich  selbst,  versteht,  welchen  Wert  ich  diesen  Bezeich- 
nungen beilege.  Mit  der  Erklärung  dieser  Worte  wollen  wir  uns 
in  diesem  Kapitel  beschäftigen.  Ein  folgendes  Kapitel  soll  der 
Erörterung  gehören,  wie  weit  „hervorragende  Stellung"  als  Kri- 
terium natürlicher  Gaben  gelten  soll.  Es  ist  kaum  nötig,  darauf 
hinzuweisen,  daß  die  in  diesen  beiden  Kapiteln  erörterten  Fragen 
gänzlich  verschieden  sind. 

Ich  betrachte  das  soziale  und  Berufsleben  als  eine  konti- 
nuierliche Prüfung.  Alle  bewerben  sich  als  Kandidaten  um  die 
gute  Meinung  der  anderen  und  um  Erfolg  in  ihren  verschie- 
denen Berufen,  und  sie  erringen  Erfolg  im  Verhältnis  zur  allge- 
meinen Abschätzung  ihrer  Verdienste  als  Ganzes  genommen. 
Bei    den    gewöhnlichen    Schulprüfungen    werden    die    Notenein- 


6  Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen. 

heiten  in  einem  festgesetzten  Verhältnis  den  einzelnen  Gegen- 
ständen zugeteilt:  so  viel  für  Latein,  so  viel  für  Griechisch,  so 
viel  für  englische  Geschichte  und  so  weiter.  In  der  gleichen 
Weise  erteilt  die  Welt,  aber  fast  unbewußt,  den  Menschen  ihre 
Noten.  Sie  gibt  Noten  für  Originalität  der  Auffassung,  für  Unter- 
nehmungsgeist, für  Tätigkeit  und  Energie,  für  administrative  Ge- 
schicklichkeit, für  verschiedene  Fertigkeiten,  für  das  Talent,  sich 
literarisch  auszudrücken,  für  Beredsamkeit,  und  viele  andere 
Eigenschaften  von  allgemeinem  Wert,  ebenso  wie  für  mehr 
spezielle  berufsmäßige  Verdienste.  Sie  erteilt  diese  Noten  nicht 
nach  einer  Skala,  die  leicht  in  Worten  auszudrücken  ist,  doch 
gibt  es  eine  ungefähre  Schätzung  durch  den  gesunden  Menschen- 
verstand, der  die  Anwendung  so  regelt,  daß  sie  sich  der  Konstanz 
genügend  annähert.  Dieienigen,  die  die  meisten  dieser  still- 
schweigenden Noten  erhalten  haben,  werden  durch  das  allge- 
meine Urteil  der  Führer  der  öffentlichen  Meinung  als  die  ersten 
Männer  ihrer  Zeit  anerkannt. 

Der  Vergleich  mit  einer  Prüfung  kann  noch  weitergeführt 
werden.  Wie  es  verschiedene  Gruppen  gibt,  in  denen  der  Kan- 
didat Auszeichnungen  erlangen  kann,  so  ist  es  auch  mit  der  Be- 
rühmtheit. Man  kann  in  der  Rechtskunde,  der  Literatur,  der 
Wissenschaft,  der  Kunst  und  in  einer  ganzen  Anzahl  von  anderen 
Gebieten  berühmt  werden.  Und  ebenso  wie  das  bloße  Er- 
reichen eines  allgemeinen  guten  Niveaus  noch  keine  besondere 
Ehre  bei  einer  Prüfung  bedeutet,  wird  dies  auch  nicht  in  dem 
Kampf  um  Auszeichnungen  der  Fall  sein.  Ein  Mensch  muß  eine 
augenfäUige  Begabung  wenigstens  in  einer  bestimmten  Richtung 
zeigen,  um  wirkUche  Berühmtheit  zu  erlangen. 

Betrachten  wir  einmal,  wie  die  Welt  die  Menschen  einteilt, 
nachdem  sie  jeden  von  ihnen  in  der  Zeit  seines  Mannesalters  in 
ihrer  geduldigen  und  beständigen  Art  geprüft  hat.  Wieviel 
„hervorragende"  Menschen  kennt  sie,  und  in  welchem  Verhält- 
nis stehen  sie  zu  der  Gesamtheit. 

Ich  will  mit  der  Analyse  eines  sehr  sorgfältigen  biographi- 
schen Handbuches  beginnen,  das  kürzlich  unter  dem  Titel  „Män- 
ner unserer  Zeit"  erschienen  ist  Seine  Absicht,  die  sehr  gerecht 
und  ehrlich  durchgeführt  ist,  besteht  darin,  nur  solche  Namen  auf- 
zunehmen, die  von  der  ganzen  Welt  wegen  ihrer  Fähigkeiten  ge- 
ehrt werden.     Das  Namensverzeichnis  weist  2500  Namen  auf, 


Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen.  7 

und  eine  gute  Hälfte  von  ihnen  bilden  amerikanische  und  kon- 
tinentale Berühmtheiten.  Ich  gebe  in  einer  Fußnote^)  eine 
Analyse  des  Inhalts,  um  den  erschöpfenden  Charakter 
dieser  Aufzählung  zu  zeigen.  Die  Zahlen,  die  ich  für  jede  Klasse 
fixiert  habe,  sind  nicht  völlig  genau,  da  ich  sie  mehr  abgeschätzt 
als  gezählt  habe,  aber  sie  sind  noch  genau  genug.  Der  gleiche 
Name  erscheint  oft  in  mehr  als  einer  Rubrik. 

Wenn  ich  das  Buch  durchgehe,  bin  ich  überrascht,  in  wie 
großer  Anzahl  die  „Männer  unserer  Zeit"  das  mittlere  Alter  über- 
schritten haben.  Es  scheint,  daß  in  den  Fällen,  wo  hohes  Ver- 
dienst vorliegt  (aber  durchaus  nicht  in  denen  des  höchsten 
Verdienstes),  ein  Mensch  die  fünfzig  überschritten  haben 
muß,  um  sich  einer  weitverbreiteten  Schätzung  zu  er- 
freuen. Ein  befähigter  Mensch,  der  auf  einer  beschei- 
deneren Lebensstufe  geboren  ist,  braucht  Zeit,  bis  er  sich  über 
sie  erhebt  und  seine  natürliche  Stellung  einnimmt.  Es  wäre  auch 
nicht  gerecht,  die  Zahl  der  Engländer  in  diesem  Buch  mit  der 
gesamten  männlichen  erwachsenen  Bevölkerung  der  britischen 
Inseln  zu  vergleichen;  wir  müssen  unsere  Untersuchung  auf  die 
Berühmtheiten  beschränken,  die  das  fünfzigste  Jahr  überschritten 
haben,  und  ihre  Anzahl  mit  der  gesamten  männlichen  Be- 
völkerung über  50  Jahren  vergleichen.  Nachdem  ich  einen 
großen  Teil  des  Buches  genau  durchsucht  habe,  schätze  ich,  daß 
es  850  solcher  Männer  aufzählt  und  daß  500  von  ihnen  Personen, 
die  in  wissenschaftlichen  und  literarischen  Kreisen  bewandert 
sind,  unzweifelhaft  bekannt  sind.  Wir  haben  zur  Zeit  auf 
den  britischen  Inseln  ungefähr  zwei  Millionen  erwachsene 
Männer  über   50  Jahre;  folglich  verhält  sich  die  Gesamtsumme 


1)  Inhaltsverzeichnis  des  „Lexikon  von  Männern  unserer  Zeit",  erschienen 
1865  bei  Routledge  &  Co.:  71  Altertumsforscher,  Archäologen,  Numismatiker 
etc.;  20  Architekten,  94  Ärzte  verschiedener  Art,  Chirurgen  und  Physiologen; 
29  Bildhauer,  60  Dichter  (auch  unter  Schriftsteller),  64  Herrsciier,  Mitglieder 
kgl.  Familien  usw.;  43  Ingenieure  und  Techniker;  10  Kupferstecher, 
120  Künstler  (Maler  und  Zeichner),  39  Kaufleute  versch.  Kategorien,  Geld- 
leute, Fabrikanten  und  Rheder;  7  Landwirte;  154  Männer  der  exakten  Wissen- 
schaft, Astronomen,  Chemiker,  Geologen,  Mathematiker  etc. ;  7  Moralphilosophen, 
Metaphysiker  und  Logiker;  32  Musiker  und  Komponisten;  36  Marineoffiziere; 
67  Naturforscher,  Botaniker,  Zoologen  etc.;  60  Nationalökonomen  und  Philan- 
tropen;  168  Offiziere  des  Landheeres,  40  Philologen  und  Ethnologen; 
141)  Rechtsgelehrte,  Richter,  Advokaten  und  Gesetzgeber;  76  Reisende  und 
Geographen,  950  Schriftsteller;  376  Staatsmänner,  Diplomaten,  Kolonial- 
gouvemeure  etc.;  62  Schauspieler,  Sänger,  Tänzer  etc.;  400  Theologen. 


8  Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen. 

der  „Männer  unserer  Zeit"  zu  der  übrigen  gleichaltrigen  Bevöl- 
kerung wie  425  zu  einer  Million,  und  die  engere  Auslese  unter 
ihnen  wie  250  zu  einer  MilUon. 

Meiner  Ansicht  nach  muß  ein  Mann  sich  recht  häufig  durch 
ein  wirklich  originelles  Werk  ausgezeichnet  oder  sich  des  öfteren 
als  Führer  der  öffendichen  Meinung  bewährt  haben,  um  zu  der 
engeren  Auslese  zu  gehören.  Bekanntheit,  die  durch  einen 
einzelnen  Akt  erworben  ist,  schließe  ich  völlig  aus.  Wir  erhalten 
so  eine  ziemlich  wohldefinierte  Grenzlinie,  die  nicht  viel  hervor- 
ragende Männer  zuläßt.  Jedes  Interesse  und  jeder  Qedanke  hat 
sein  Sprachrohr,  und  ein  Mensch,  der  die  Position  des  Repräsen- 
tanten einer  Partei  oder  einer  Idee  erlangt  hat  und  sie  aufrecht 
zu  halten  versteht,  lenkt  natürlich  mehr  Aufmerksamkeit  auf 
sich  als  seine  Gehilfen,  deren  Fähigkeit  zwar  nicht  viel,  aber 
doch  etwas  den  seinen  nachstehen.  Das  ist  in  hohem  Grade  bei 
Stellungen  der  Fall,  wo  Auszeichnungen  durch  offizielle  Hand- 
lungen erworben  werden.  Es  mag  oft  von  einem  Haar  abhängen, 
ob  A,  B,  oder  C  einen  vakanten  Posten  erhält.  Der  Mann,  der 
ihn  einmal  innehat,  hat  auch  Gelegenheit,  sich  vor  den  anderen 
hervorzutun,  welche  den  anderen  fehlt.  Doch  lege  ich 
kein  großes  Gewicht  auf  offiziellen  Rang.  Männer,  die  sehr 
große  Namen  hinterlassen  haben,  verdanken  diese  gewöhnlich 
nicht  berufsmäßigen  Leistungen.  Abgesehen  von  den  höchsten 
Stellungen  und  bei  freien  Berufen  werde  ich  sicherlich  nicht  bloße 
Beamte  in  meine  Musterliste  hervorragender  Männer  auf- 
nehmen. 

Eine  andere  Schätzung  des  Verhältnisses  der  hervorragen- 
den Männer  zu  der  Gesamtbevölkerung  stellte  ich  auf  einer  an- 
deren Basis  an,  und  sie  ergab  ungefähr  das  gleiche  Resultat.  Ich 
nahm  die  Totenliste  des  Jahres  1868,  die  in  der  Times  vom 
1.  Januar  1869  veröffentlicht  war,  und  fand  darin  etwa  50 
Namen  von  Leuten,  die  zu  der  engeren  Auslese  gehörten.  Das 
war  in  einem  Sinne  eine  weitere,  in  einem  andern  wieder  eine 
strengere  Auslese,  als  diejenige,  die  ich  eben  beschrieben  habe. 
Sie  war  weiter,  weil  ich  die  Namen  vieler  Individuen  einbezog, 
deren  Fähigkeiten  groß  waren,  die  aber  zu  jung  starben,  um  die 
weitverbreitete  Berühmtheit  zu  erlangen,  die  sie  verdient  hätten; 
und  sie  war  strenger,  weil  ich  alte  Männer  ausschloß,  die  sich 
vor  Jahren  hervorgetan  hatten,  die  sich  aber  späterhin   nicht 


Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen.  9 

fähig  zeigten,  wieder  in  der  Front  zu  erscheinen.  Aus  dem  ersten 
Grunde  mußte  ich  die  Altersgrenze  der  Bevölkerung,  mit  der  sie 
verglichen  werden  sollten,  herabsetzen.  45  Jahre  schienen  mir 
eine  angemessene  Grenze,  die  schon,  wie  beabsichtigt,  ein  oder 
zwei  Jahre  gestörter  Gesundheit  vor  dem  Tode  mit  umfaßte.  Nun 
sterben  jährHch  210  000  Männer  in  England  im  Alter  von  mehr  als 
45  Jahren;  demnach  ist  das  Verhältnis  der  engeren  Auslese  der 
„Männer  unserer  Zeit"  dieses  Alters  das  von  50  zu  210  000,  oder 
das  von  238  zu  einer  MilHon. 

Drittens  untersuchte  ich  auch  die  Totenlisten  einer  Zeit,  die 
um  viele  Jahre  zurückliegt,  wo  die  Bevölkerung  unseres  Insel- 
reichs noch  geringer  war,  und  sie  schienen  zu  ähnlichen 
Schlüssen  zu  führen,  nämlich  daß  250  zu  einer  Mülion  reichlich 
gerechnet  sei. 

Gehen  wir  noch  rigoroser  vor,  so  können  wir  ohne 
Schwierigkeiten  eine  noch  engereAuslese  innerhalb  dieser  Gruppe 
treffen.  Wir  können  ohne  große  Unsicherheit  die  200,  100  oder 
50  besten  aus  diesen  250  aussuchen.  Aber  ich  sehe  keine  Mög- 
lichkeit, den  Kreis  in  der  gleichen  Weise  zu  erweitern.  Würde 
man  von  mir  verlangen,  aus  einer  Million  die  tausend  besten 
Männer  auszuwählen,  so  hätte  ich  das  Gefühl,  daß  wir  zu  einem 
Niveau  hinuntersteigen,  wo  uns  keine  sicheren  Merkmale  mehr 
leiten,  wo  Zufall  und  alle  möglichen  Umstände  einen  unge- 
bührlichen Einfluß  erhalten  und  wo  es  unmöglich  wird,  allgemeine 
hervorragende  Bedeutung  von  lokaler  Berühmtheit  oder  bloßem 
Bekanntsein  zu  unterscheiden.  Diese  Betrachtungen  stellen 
fest,  in  welchem  Sinne  ich  das  Wort  „hervorragend"  anwenden 
werde.  Wenn  ich  von  einem  „hervorragenden"  Menschen 
spreche,  meine  ich  damit  ein  Individuum,  das  eine  Stellung  er- 
reicht hat,  wie  sie  nur  250  Personen  unter  einer  Million  inne- 
haben, oder  je  ein  Mensch  unter  4000.  4000  ist  eine  sehr  große 
Zahl  —  Menschen,  die  nicht  gewohnt  sind  mit  großen  Zahlen 
umzugehen,  können  sich  nur  schwer  ein  Bild  davon  machen.  In 
der  hellsten  Sternennacht  sind  nie  für  das  bloße  Auge  auch  nur 
4000  Sterne  sichtbar,  und  doch  finden  wir,  daß  es  etwas 
besonders  ist,  wenn  wir  einen  Stern  als  den  hellsten  am  Firma- 
ment bezeichnen.  Es  möge  noch  einmal  daran  erinnert  werden, 
daß  dies  mein  engster  Kreis  der  Auslese  ist.  Ich  nehme  keinen 
Namen  in  meine  Familientafeln   auf  (sofern   sie   nicht   von   den 


10        Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen. 

anderen  durch  Klammern  unterschieden  sind),  der  sich  weniger 
abhebt. 

Die  Gruppe  derjenigen  Individuen,  mit  denen  ich  mich 
eigenthch  beschäftige,  ist  noch  viel  strenger  ausgewählt,  viele 
von  ihnen  sind  je  die  besten  unter  einer  Million  Menschen  und 
nicht  wenige  je  die  besten  unter  vielen  Millionen.  Ich  bediene 
mich  des  Wortes  „berühmt",  wenn  ich  von  ihnen  spreche.  Es 
sind  Menschen,  bei  deren  Tod  der  ganze  intelligente  Teil  der  Be- 
völkerung trauert,  die  ein  öffentliches  Begräbnis  erhalten  oder 
doch  verdienen  und  die  in  folgenden  Jahrhunderten  als  histo- 
rische Persönlichkeiten  gelten. 

Man  gestatte  mir  noch  ein  Wort  über  die  Bedeutung  einer 
Mülion,  eine  Ziffer,  die  so  riesenhaft  ist,  daß  man  sie  nur  schwer 
faßt.  Ein  Merkmal,  mit  Hilfe  dessen  man  sie  sich  vergegen- 
wärtigen kann,  ist  erwünscht.  Viele  Bewohner  Londons  wer- 
den aber  das  folgende  Beispiel  verstehen.  Ich  verbrachte  ein- 
mal einen  Sommernachmittag  im  Bushey-Park,  um  den  herr- 
lichen Anblick  der  Roßkastanien-Avenue  darin  zu  genießen,  die 
eine  Meile  lang  ist  und  damals  in  voller  Blüte  stand.  Nach  einer 
geraumen  Zeit  fiel  mir  ein,  den  Versuch  zu  machen,  alle  Blüten- 
stände zu  zählen,  die  die  Fahrbahn  auf  der  einen  Seite  der  langen 
Avenue  einfassen.  Ich  meine  alle  Blütenstände,  die  im  vollen 
Sonnenschein  auf  der  einen  Seite  der  Straße  zu  sehen  waren. 
Ich  faßte  also  einen  Baum  von  durchschnittlicher  Größe  und 
durchschnittlichem  Blütenreichtum  ins  Auge  und  zog  dann  ima- 
ginäre Linien.  Ich  teilte  den  Baum  erst  in  zwei,  dann  in  vier 
Teile,  und  so  weiter,  bis  ich  zu  einer  Unterabteilung  kam,  die  so 
klein  war,  daß  ich  die  Blütenstände,  die  sie  umfaßte,  gerade 
noch  zählen  konnte.  Ich  ging  auf  diese  Weise  drei  verschiedene 
Bäume  durch  und  kam  jedesmal  ungefähr  zu  dem  gleichen  Re- 
sultat; so  weit  ich  mich  erinnere,  verhielten  sich  die  drei 
Schätzungen  zu  einander  wie  neun,  zehn  und  elf.  Dann  zählte 
ich  die  Bäume  der  Avenue,  multiplizierte  die  Zahl,  und  kam  so 
zu  dem  Resultat  von  etwa  100  000  Blütenständen.  Seitdem  ver- 
gegenwärtige ich  mir,  so  oft  eine  Million  erwähnt  wird,  die  lange 
Perspektive  der  Avenue  im  Bushey-Park,  mit  ihren  stattlichen 
Roßkastanienbäumen,  die  von  oben  bis  unten  mit  Blütenständen 
bedeckt  sind  und  in  der  Sonne  leuchten,  und  ich  stelle  mir  so  ein 
fortlaufendes  Blumenband  von  zehn  Meilen  Länge  vor. 


Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen.  !1 

Um  die  ungeheure  Strenge  zu  illustrieren,  die  in  der  Auswahl 
eines  Individuums  aus  einer  Million  ausgedrückt  ist,  will  ich  noch 
folgendes  Beispiel  heranziehen.  Die  Regatten  in  Oxford  und 
Cambridge  erregen  fast  einen  nationalen  Enthusiasmus,  und  die 
Mannschaften,  die  ihre  Universitäten  repräsentieren,  haben  guten 
Grund,  darauf  stolz  zu  sein,  daß  sie  aus  so  großen  Körperschaften 
als  erwählte  Preiskämpfer  hervorgegangen  sind.  Die  Mann- 
schaft jedes  Bootes  besteht  aus  acht  Personen,  die  aus  ungefähr 
800  Studenten  ausgewählt  werden,  d.  h.  aus  den  zu  Gebote  ste- 
henden nichtgraduierten  Studenten  etwa  zweier  einander  folgen- 
der Jahrgänge.  Mit  anderen  Worten,  die  Auswahl,  die  man 
gewöhnlich  als  eine  sehr  strenge  empfindet,  ist  wie  eins  zu 
hundert.  Stellen  wir  uns  nun  eine  so  große  Anzahl  von  Uni- 
versitäten vor,  daß  man  800  Mann  zusammenbringen  könnte,  von 
denen  jeder  schon  einmal  in  einer  Universitätsmannschaft  ge- 
rudert hat,  und  stellen  wir  uns  weiter  vor,  daß  aus  dieser  Gruppe 
wieder  die  acht  besten  ausgewählt  werden,  um  eine  spezielle 
Mannschaft  von  verhältnismäßig  seltener  Güte  zu  bilden;  die 
Auslese  jedes  von  ihnen  verhält  sich  wie  1  zu  10  000  gewöhn- 
licher Individuen.  Wiederholen  wir  diesen  Prozeß,  so  haben 
wir  dann  erst  eine  im  höchsten  Grade  geschickte  Mannschaft 
gewonnen,  die  eine  Auslese  eines  Individuums  aus  einer  Million 
repräsentiert.  Unsere  Deduktion  ist  vollkommen  unanfechtbar, 
denn  unsere  Universitätsjugend  ist,  so  weit  es  sich  um  ihre 
Muskeln  und  Sehnen  handelt,  eine  zufällige  Gruppe  von 
Menschen,  Niemand  wird  wegen  seiner  besonders  kräftigen 
Muskeln  an  die  Universität  geschickt.  Oder  nehmen  wir  die 
gleiche  Tatsache  in  einer  andern  Form:  es  müßte  eine  Periode 
von  nicht  weniger  als  100  Jahren  vergehen,  ehe  jede  Universität 
acht  Mann  stellen  könnte,  von  denen  wieder  jeder  im  Ruder- 
sport hervorragend  genug  wäre,  um  in  die  mittlere  Besatzung 
eingereiht  zu  werden.  Und  zehntausend  Jahre  müßten  ver- 
gehen, ehe  acht  Mann  zusammenkämen,  von  denen  jeder  in  die 
dritte,  im  höchsten  Grade  geschickte  Mannschaft  aufgenommen 
werden  könnte. 

Ein  anderes  ist  es,  wenn  wir  die  geistigen  Fähigkeiten  in 
Betracht  ziehen,  da  die  Universitäten  eine  große  Anzahl  der  her- 
vorragenden wissenschaftlichen  Talente  aus  ganz  England  an  sich 
ziehen,  was  ich  an  geeigneter  Stelle  noch  zeigen  werde.    Fast 


12  Berühmtheit  als  Grundlage  einer  Einteilung  der  Menschen. 

eine  viertel  Million  der  männlichen  Bevölkerung  Groß-Britan- 
niens  erreicht  jedes  Jahr  das  Alter,  wo  der  junge  Mensch  zur 
Universität  geht;  daraus  folgt,  daß,  wenn  z.  B.  Cambridge  nur 
einen  von  fünf  der  fähigsten  wissenschaftlichen  Intellekte  auf- 
nähme, die  Universität  sich  in  einer  Periode  von  20  Jahren  ein- 
mal mit  der  frischen  Ankunft  eines  ungraduierten  Studenten 
brüsten  könnte,  dessen  außerordentlich  scholastische  Begabung 
sich  wie  eins  zu  einer  Million  verhält. 


Natürliche  Begabung  als  Grundlage  einer  Einteilung 
der  Menschen. 

Ich  kann  die  namentlich  in  moralischen  Erzählungen  für 
Kinder  gelegentHch  ausgesprochene  und  oft  stillschweigend  vor- 
ausgesetzte Hypothese  nicht  leiden,  wonach  alle  Kinder  ungefähr 
gleich  geboren  werden  und  die  einzigen  Bedingungen,  die  Ver- 
schiedenheiten von  Knabe  zu  Knabe  und  von  Mann  zu  Mann  her- 
vorbringen, in  gleichförmigem  Fleiß  und  moralischen  Be- 
mühungen bestehen.  Ich  protestiere  auf  der  ganzen  Linie  gegen 
alle  Behauptungen  einer  natürlichen  Gleichheit.  Die  Erfahrungen 
in  der  Kinderstube,  in  der  Schule,  auf  der  Universität  und  in  Be- 
rufen aller  Art  bilden  eine  Kette  von  Gegenbeweisen.  Ich  aner- 
kenne durchaus  die  große  Macht  der  Erziehung  und  der  sozialen 
Einflüsse  auf  die  Entwicklung  der  aktiven  Geisteskräfte,  ebenso, 
wie  ich  die  Ergebnisse  der  Übung  bei  der  Entwicklung  der  Arm- 
muskeln eines  Grobschmieds  anerkenne,  aber  auch  nicht  mehr. 
Der  Grobschmied  mag  arbeiten,  so  viel  er  will,  er  wird  finden, 
daß  es  Kraftproben  gibt,  die  seine  Kräfte  übersteigen, 
die  aber  ein  Mensch  von  herkulischer  Beschaffenheit  verrichten 
kann,  auch  dann,  wenn  der  letztere  eine  sitzende  Lebensweise 
geführt  hat.  Vor  einigen  Jahren  hielten  die  Hochländer  eine 
große  Versammlung  in  Holland-Park  ab  und  forderten  ganz  Eng- 
land auf,  sich  mit  ihnen  in  ihren  Leibesübungen  zu  messen.  Die 
Herausforderung  v/urde  angenommen  und  die  wohltrainierten 
Männer  der  Berge  wurden  im  Wettrennen  von  einem  Jüngling 
geschlagen,  der  sich  als  echtes  Londoner  Vorstadtkind  entpuppte. 
Der  junge  Mann  war  in  einer  Londoner  Bank  angestellt. 

"Wer  sich  im  Sport  trainiert,  lernt  den  Umfang  seiner  Muskel- 
kraft bis  aufs  Haar  kennen.  Jedermann,  der  anfängt  das  Gehen, 
das  Rudern,  das  Turnen  mit  Hanteln  oder  das  Laufen  als  Sport 


14  Natürliche  Begabung  als  Grundlage 

ZU  betreiben,  findet  zu  seinem  großen  Vergnügen,  daß  seine 
Muskeln  sich  kräftigen,  und  daß  seine  Fähigkeit,  der  Müdig- 
keit zu  widerstehen,  von  Tag  zu  Tag  steigt.  So  lange  er  Neu- 
ling ist,  schmeichelt  er  sich  vielleicht  mit  der  Hoffnung,  daß  es 
für  die  Ausbildung  seiner  Muskeln  kaum  eine  bestimmbare 
Grenze  gibt;  bald  aber  entdeckt  er,  daß  der  tägliche  Zuwachs 
abnimmt,  bis  er  schließlich  gleich  Null  wird.  Seine  Maximal- 
leistung wird  eine  genau  bestimmte  Größe.  Hat  er  einmal  den 
höchsten  Grad  des  Trainings  erreicht,  so  weiß  er  bis  auf  den 
Zoll  genau,  wie  weit  oder  wie  hoch  er  springen  kann.  Er  lernt 
die  Kraft,  die  er  beim  Druck  auf  den  Dynamometer  ausüben 
kann,  bis  auf  ein  halbes  Pfund  kennen.  Er  kann  seinen  Schlag 
gegen  die  Maschine,  die  zur  Messung  der  Stoßkraft  dient,  so 
führen,  daß  er  den  Zeiger  bis  zu  einem  bestimmten  Punkt  der 
Gradeinteilung  bringt,  aber  nicht  weiter.  Das  Gleiche  tritt  beim 
Laufen  ein,  beim  Rudern,  beim  Wettgehen  und  bei  allen  mög- 
lichen Leibesübungen.  Die  Muskelkraft  eines  jeden  Menschen 
hat  eine  bestimmte  Grenze,  die  sich  weder  durch  Anstrengung, 
noch  durch  Erziehung  überschreiten  läßt. 

Die  ganz  analoge  Erfahrung  macht  jeder  Student  bei  der  Aus- 
übung seiner  Geisteskräfte.  Der  eifrige  Knabe,  der  anfängt  zur 
Schule  zu  gehen  und  den  Kampf  mit  den  intellektuellen  Schwie- 
rigkeiten aufnimmt,  ist  über  seine  eigenen  Fortschritte  erstaunt. 
Er  ist  stolz  auf  seine  neu  entwickelte  geistige  Fassungskraft  und 
seine  Fähigkeit,  sich  auf  etwas  zu  konzentrieren,  und  vielleicht 
glaubt  er  im  stillen,  daß  es  in  seiner  Macht  steht,  einer  der  Geistes- 
heroen zu  werden,  die  der  Weltgeschichte  ihr  Zeichen  aufdrücken. 
Die  Jahre  vergehen.  Wieder  und  wieder  mißt  er  sich  in  Schule 
und  Kolleg  bei  Prüfungen  mit  seinen  Kameraden,  und  er  findet 
bald  seinen  Platz  unter  ihnen.  Er  weiß,  daß  er  den  und  den  seiner 
Mitbewerber  schlagen  kann;  daß  er  mit  einigen  anderen  gleichen 
Schritt  hält  und  daß  es  wieder  andere  gibt,  deren  geistigen 
Leistungen  er  nicht  einmal  nahe  kommen  kann.  Seine  Eitelkeit  ver- 
lockt ihn  wahrscheinlich  immer  noch  und  wendet  sich  nur  einer  an- 
deren Seite  zu.  Er  sagt  sich,  daß  die  klassische  Philologie,  die 
mathematischen  und  anderen  Disziplinen,  die  an  den  Universi- 
täten gelehrt  werden,  rein  scholastische  Spezialfächer  sind  und 
keinen  Beweis  für  wertvollere  Geisteskräfte  bUden.  Er  erinnert 
sich  verschiedener  Beispiele,  wo  Individuen,  die  in  der  Jugend 


einer  Einteilung  der  Menschen.  15 

hinter  ihren  Mitbewerbern  zurückstanden,  im  späteren  Alter 
Kräfte  entwickelten,  die  sie  zu  den  ersten  Männern  ihrer  Zeit 
stempelten.  Mit  frischen  Hoffnungen  und  mit  dem  ganzen 
Ehrgeiz  seiner  zweiundzwanzig  Jahre  verläßt  er  die  Universität 
und  betritt  ein  weiteres  Feld  des  Wettbewerbs.  Doch  die  gleiche 
Erfahrung  erwartet  ihn  auch  hier.  Allerlei  günstige  Gelegen- 
heiten tauchen  wie  im  Leben  eines  jeden  Menschen  auf,  und 
er  findet,  daß  er  unfähig  ist,  sie  zu  nützen.  Er  prüft  die 
Dinge  und  wird  geprüft.  Wenn  ihn  nicht  Eigendünkel  völlig  blind 
macht,  weiß  er  nach  einigen  Jahren  genau,  welcher  Leistungen 
er  fähig  ist  und  was  für  Unternehmungen  außerhalb  seiner  Linie 
liegen.  Hat  er  einmal  ein  reifes  Alter  erreicht,  so  ist  er  auch 
nur  innerhalb  gewisser  Grenzen  seiner  sicher  und  kennt  sich 
oder  sollte  sich  wenigstens  eben  so  gut  kennen  als  ihn  die  Welt 
kennt,  mit  all  seinen  unverkennbaren  Schwächen  und  all  seinen 
unleugbaren  Kräften.  Hoffnungslose  Versuche  infolge  trüge- 
rischer Antriebe  einer  überreizten  Eitelkeit  quälen  ihn  nicht  mehr, 
er  beschränkt  sich  auf  Dinge,  die  unter  der  Grenze  des  für  ihn 
Erreichbaren  liegen,  und  beruhigt  sein  moralisches  Bewußtsein 
mit  der  ehrlichen  Überzeugung,  daß  er  mit  einer  so  guten  Arbeit 
beschäftigt  ist,  als  die  Natur  ihm  zu  leisten  gestattet. 

Es  kann  schwerlich  einen  Beweis  von  größerer  Sicherheit 
dafür  geben,  wie  ungeheuer  verschieden  die  intellektuellen  Fähig- 
keiten der  Menschen  sind,  als  die  erstaunlichen  Verschiedenheiten 
der  Noteneinheiten,  die  in  Cambridge  für  besonders  gute  mathe- 
matische Prüfungen  erteilt  werden.  Ich  gestatte  mir  daher, 
etwas  länger  bei  diesem  Gegenstand  zu  verweüen,  obgleich  die 
Einzelheiten  trocken  und  von  wenig  allgemeinem  Interesse  sind. 
Der  akademische  Grad  wird  jährlich  von  400  bis  450  Studenten 
erreicht,  von  diesen  wieder  erlangen  etwa  100  Auszeichnungen 
in  Mathematik  und  werden  von  ihren  Examinatoren  ihrem  Ver- 
dienst nach  in  strenger  Reihenfolge  klassifiziert.  Die  ersten  40 
von  denen,  welche  bei  der  mathematischen  Prüfung  Auszeich- 
nungen erlangt  haben,  erhalten  den  Titel  „wrangler",  und  es  ist 
unbedingt  eine  ehrenvolle  Sache,  selbst  einer  der  letzten  „wrang- 
ler" zu  sein;  selbst  einem  solchen  ist  eine  Lehrstelle  an  einem 
kleinen  College  sicher.  Man  muß  sorgfältig  beachten,  daß  die 
Auszeichnung,  als  erster  auf  der  Ehrenliste  zu  stehen  oder  der 
„senior-wrangler"  des  Jahres  zu  sein,  wie  man  es  nennt,  weit 


16  Natürliche  Begabung  als  Grundlage 

mehr  bedeutet,  als  der  erste  Mathematiker  von  400  oder  450  zu- 
fällig zuammengewürfelten  Individuen  zu  sein.  Zweifellos  ist 
die  größere  Mehrzahl  der  Studenten  in  Cambridge  nicht  auf 
Grund  einer  besonderen  Auswahl  hingekommen.  Ein  Knabe 
wird  von  seinen  Eltern  für  irgend  einen  Beruf  bestimmt, 
mag  es  nun  die  Kirche  oder  das  Recht  sein.  In  jedem 
Falle  war  es  früher  fast  unumgänglich  erforderlich  und  ist 
immer  noch  wichtig,  ihn  nach  Cambridge  oder  Oxford  zu  schicken. 
Wir  können  diese  Jünglinge  als  eine  zufällig  zusammengewürfelte 
Schar  bezeichnen.  Aber  neben  ihnen  gibt  es  eine  Menge  anderer, 
die  ihren  Weg  zur  Universität  ehrlich  erkämpft  haben  und  daher 
eine  Auslese  aus  einer  ungeheuren  Anzahl  darstellen.  Reichlich 
die  Hälfte  der  „wrangler"  waren  Vorzugschüler  ihrer  entsprechen- 
den Schulen,  und  umgekehrt  finden  fast  alle  Vorzugsschüler  ihren 
Weg  zur  Universität.  Daher  kommt  es,  daß  die  Universitäten 
mit  ihrer  vergleichsweise  geringen  Anzahl  von  Studenten  die 
höchste  wissenschaftliche  Fähigkeit  des  jugendlichen  Englands  um- 
fassen. Der  „senior-wrangler"  eines  jeden  Jahrgangs  repräsen- 
tiert ihre  oberste  Spitze,  so  weit  es  sich  um  Mathematik  handelt, 
und  diese  höchste  Auszeichnung  wird  oder  wurde  kontinuierlich 
von  Jünglingen  gewonnen,  welche  keine  besonderen  mathema- 
tischen Vorkenntnisse  hatten,  ehe  sie  nach  Cambridge  kamen.  Ihre 
ganze  Ausbildung  erhielten  sie  während  ihres  dreijährigen  Auf- 
enthaltes an  der  Universität.  Ich  will  hier  nicht  die  Vorzüge  oder 
Fehler  des  Cambridger  Systems  besprechen,  die  darin  bestehen, 
daß  die  mathematischen  Studien  nach  einer  zu  engen  Schablone 
geleitet  werden,  noch  über  die  mutmaßlichen  Nachteile,  die  daraus 
entstehen  können,  daß  man  die  Kandidaten  streng  nach  ihrem 
Verdienste  ordnet,  statt  sie,  wie  in  Oxford,  in  Klassen  einzureihen, 
wo  ihre  Namen  alphabetisch  geordnet  erscheinen.  Ich  bin  nur 
daran  interessiert,  wie  hier  die  Resultate  sind,  und  diese  kommen 
meiner  Darlegung  sehr  entgegen. 

Bei  dem  Start  der  Jünglinge  zu  ihrem  dreijährigen  Wettlauf 
geht  es  so  unparteiisch  wie  möglich  zu.  Bei  allen  wirken  die 
mächtigsten  Beweggründe  stimulierend:  Wetteifer,  Ehre  und 
zukünftiger  Wohlstand  (denn  eine  gute  Lehrstelle  ist  Wohl- 
stand), und  am  Ende  des  Jahres  werden  sie  auf  das  strengste  nach 
einem  System  geprüft,  das  sie  alle  verstehen  und  zu  dem  sie  alle 
gleich  gut  vorbereitet  sind.  Die  Prüfung  dauert  achtTage  hindurch 


einer  Einteilung  der  Menschen.  17 

fünfeinhalb  Stunden  täglich.  Alle  Antworten  werden  von  den 
Prüfern  sorgsam  notiert,  am  Schluß  werden  die  Noten  summiert 
und  die  Kandidaten  streng  nach  ihrem  Verdienst  eingeordnet.  Die 
Gerechtigkeit  und  Genauigkeit  der  Prüfungen  zu  Cambridge 
haben  nie  auch  nur  einen  Hauch  von  Argwohn  aufkommen  lassen. 
Ungünstig  für  meine  Zwecke  ist  es,  daß  die  Noten  nicht  ver- 
öffentlicht werden.  Sie  sind  nicht  einmal  nach  einem  gemein- 
samen System  festgesetzt,  da  jeder  Prüfende  seine  eigene  Noten- 
skala anwenden  kann.  Doch  welcher  Skala  immer  er  sich  be- 
dient, das  Verhältnis  der  Zahlen,  die  das  Verdienst  anzeigen, 
bleiben  die  gleichen.  Ich  verdanke  einem  Prüfer  von  Cambridge 
eine  Kopie  seiner  Noten  über  zwei  Examina,  wobei  die  beiden 
Notenskalen  einander  so  gleich  sind,  daß  man  sie  bei  einer  ge- 
ringen verhältnismäßigen  Änderung  leicht  mit  einander  ver- 
gleichen kann.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  handelte  es  sich 
dabei  um  eine  vertrauliche  Mitteilung,  so  daß  es  mir  nicht  zu- 
steht, irgend  etwas  zu  veröffentlichen,  was  darauf  hinweisen 
könnte,  in  welchem  Jahre  diese  Noten  erteilt  wurden.  Ich  bringe 
sie  hier  einfach  als  eine  Illustration,  die  uns  vollauf  die  ungeheure 
Differenzierung  des  Verdienstes  zeigt.  Der  geringste  Mann  in 
der  Liste  der  Auszeichnungen  gewinnt  weniger  als  300  Noten- 
einheiten, der  letzte  „wrangler"  gewinnt  ungefähr  1500,  und  der 
„senior-wrangler"  in  einer  der  Listen,  die  ich  vor  mir  habe,  ge- 
wann mehr  als  7500  Noteneinheiten.  Folglich  hat  der  geringste 
„wrangler"  mehr  als  fünfmal  so  viel  Verdienst  als  der  geringste 
„junior-optime"*)  und  weniger  als  ein  Fünftel  des  Verdienstes 
des  „senior-wrangler". 


*)  Dritter  Grad  beim  Mathematischen  Schlußexamen.     D.  Üb. 
Gaiton,  Genie  und  Vererbung.  2 


18 


Natürliche  Begabung  als  Grundlage 


Skala  der  Auszeichnungen,   die  in  Cambridge  von  Studenten 

bei  matliematischen  Prüfungen  erlangt  wurden. 

Die  Resultate  von  zwei  Jahrgängen  sind  in  eine  Liste 

zusammengezogen. 

Die  Totalsumme  der  Noten,  die  in  jedem   Jahrgang  erreichbar  war,  betrug 

17  000. 


Anzahl  der  Noten,  die  die 
Kanditaten  erhielten. 

Anzahl  der  Kandidaten,  wel- 
che in  diesen  beiden  Jahr- 
gängen jene  Noten  erhielten 

Unter     500 

241) 

500-1000 

74 

1000-1500 

38 

1500—2000 

21 

2000—2500 

94 

2500  -  3000 

8 

3000—3500 

11 

3500—4000 

5 

4000—4500 

2 

4500-5000 

1 

5000-5500 

3 

5500-6000 

1 

6000-6500 

0 

6500-7000 

0 

7000-7500 

0 

7500—8000 

1 

200 

Die  genaue  Zahl  der  Noteneinheiten,  die  der  „senior- 
wrangler"  in  dem  hervorragenderen  dieser  beiden  Jahrgänge  er- 
langte, war  7634,  der  zweite  „wrangler"  erreichte  in  dem 
gleichen  Jahre  4123,  der  letzte  in  der  Liste  der  Auszeichnungen 
bekam  nur  237  Einheiten.  Folglich  erhielt  der  „senior-wrangler" 
fast  doppelt  so  viel  Noteneinheiten  als  der  zweite  „wrangler", 
und  mehr  denn  zweiunddreißig  Mal  so  viel  als  der  letzte. 
Von    einem    andern    Prüfenden    erhielt    ich    die    Noten    eines 


1)  Ich  habe  in  dieser  Liste  nur  die  ersten  100  Mann  eines  jeden  Jahr- 
ganges aufgeführt.  Der  übergangene  Rest  ist  zu  klein,  um  wichtig  zu  sein 
Ich  habe  sie  ausgelassen,  weil  ich  befürchtete,  daß  die  genaue  Angabe  der 
Anzahl  der  gewonnenen  Auszeichnungen  dazu  beitragen  könnte,  die  Identi- 
fizierung der  betreffenden  Jahrgänge  zu  ermöglichen.  Aus  Gründen,  die  ich 
bereits  nannte,  möchte  ich  keinerlei  Daten  geben,  die  dies  ermöglichen. 


einer  Einteilung  der  Menschen.  19 

Jahrganges,  in  welchem  der  „senior-wrangler"  ganz  be- 
sonders bedeutend  war.  Er  erhielt  9422  Noteneinheiten, 
während  der  zweite  des  gleichen  Jahrganges,  dessen  Verdienst 
durchaus  nicht  geringer  war  als  jene  der  zweiten  „wrangler"  im 
allgemeinen,  nur  5642  erhielt.  Der  letzte  in  der  Liste  der  Aus- 
zeichnungen wies  nur  309  Einheiten  auf  oder  ein  Einunddreißigstel 
der  Einheitensumme  des  „senior-wrangler".  Ich  besitze 
einige  Einzelheiten  über  ein  viertes  besonders  bemerkenswertes 
Jahr,  in  welchem  der  „senior-wrangler"  in  der  „Examensarbeit" 
nicht  weniger  als  zehnmal  so  viel  Einheiten  als  der  zweite  „wrang- 
ler" erhielt.  Ich  habe  mit  geübten  Prüfern  die  Frage  besprochen, 
wie  weit  die  Anzahl  der  Punkte  als  ein  Maßstab  für  das  mathe- 
matische Talent  des  Kandidaten  angenommen  werden  kann, 
und  bin  überzeugt,  daß  sie  bezüglich  der  niedrigeren  Plätze  voll- 
kommen entsprechen,  daß  sie  jedoch  dem  höchsten  nicht  gänz- 
lich gerecht  werden.  Mit  anderen  Worten,  die  oben  erwähnten 
„senior-wranglers"  besitzen  mehr  als  dreißig  oder  zweiund- 
dreißigmal  so  viel  Fähigkeiten,  als  der  letzte  Mann  in  der  Liste 
der  Auszeichnungen.  Sie  wären  imstande,  es  mit  Problemen 
aufzunehmen,  die  mehr  als  zweiunddreißigmal  so  schwer  sind, 
oder  vor  Themen  der  gleichen  Schwierigkeit  gestellt,  die  aber 
allen  verständlich  sind,  würden  sie  sie  schneller  verstehen  und 
zwar  vielleicht  in  einem  quadratischen  Verhältnis  dieser  Pro- 
portion. 

Man  muß  auch  bedenken,  daß  die  Noteneinheiten  dem  Aller- 
besten schon  dadurch  nicht  ganz  gerecht  werden,  daß  ein  sehr 
großer  Teil  der  Prüfungszeit  durch  die  mechanische  Schreib- 
arbeit in  Anspruch  genommen  wird.  So  oft  die  Gedanken  des 
Kandidaten  seiner  Feder  vorauseilen,  gewährt  ihm  seine  über- 
große Raschheit  der  Konzeption  keine  Vorteile.  Ich  sollte  jedoch 
erwähnen,  daß  einige  der  fähigsten  Bewerber  ihre  Superiorität  da- 
durch gezeigt  haben,  daß  sie  vergleichsweise  wenig  schreiben. 
Sie  finden  sofort  ihren  Weg  zur  Wurzel  der  Schwierigkeit  der 
gestellten  Probleme  und  beweisen  mit  wenigen  sauberen,  ange- 
messenen, mächtigen  Strichen,  dieselben  bewältigen  können;  dann 
gehen  sie  zu  einer  anderen  Frage  über.  Jedes  Wort,  das  sie 
schreiben,  ist  von  Bedeutung.  So  verblieb  der  verstor- 
bene H.  LesUe  Ellis,  der  1840  ein  glänzender  „senior-wrang- 
ler" war  und  dessen  Name  vielen  Generationen  der  Cambridger 

2* 


20  Natürliche  Begabung  als  Grundlage 

Studentenschaft  als  ein  Wunder  universeller  Anlagen  bekannt 
ist,  nicht  einmal  die  volle  Zeit  im  Prüfungszimmer;  seine  Ge- 
sundheit war  schwächlich,  und  er  mußte  seine  Kräfte  schonen. 

Die  mathematischen  Fähigkeiten  des  letzten  in  der  Liste  der 
Auszeichnungen,  welche,  verglichen  mit  denen  eines  „senior- 
wrangler",  so  niedrig  sind,  sind  mittelmäßig  oder  sogar  über 
Mittelmaß,  wenn  man  sie  mit  der  Begabung  der  Engländer  im 
allgemeinen  vergleicht.  Obgleich  dem  Prüfungsresultat  nach 
noch  100  vor  ihm  sind,  läßt  er  doch  nicht  weniger  als  300  „poll- 
men"*)  hinter  sich.  Selbst  wenn  wir  so  weit  gehen,  zu  glauben,  daß 
von  den  300,  200  nicht  angestrengt  genug  arbeiten  wollen,  um  Aus- 
zeichnung zu  erlangen,  so  bleiben  noch  immer  100,  die  nicht  so 
weit  kämen,  selbst  wenn  sie  hart  arbeiteten.  Jeder  Lehrer  weiß, 
wie  schwer  es  ist,  abstrakte  Begriffe  selbst  der  einfachsten  Art 
in  die  Köpfe  der  meisten  Menschen  hineinzubringen,  wie  schwach 
und  zaghaft  ihre  geistige  Fassungskraft  ist,  wie  leicht  ihr  Gehirn 
verwirrt  wird  und  wie  unfähig  sie  sind,  die  erworbenen  Kennt- 
nisse genau  und  unversehrt  zu  bewahren.  Menschen,  die  mit 
irgend  einem  wissenschaftlichen  Gegenstand  vertraut  sind,  passiert 
es  häufig,  daß  sie  hören,  wie  Männer  und  Frauen  von  mittleren 
Geistesgaben  einander  berichten,  was  sie  in  irgend  einem  Vor- 
trag aufgeschnappt  haben,  den  sie  z.  B.  in  der  Royal  Institution 
über  eine  Stunde  lang  mit  entzückter  Aufmerksamkeit  angehört 
haben.  Die  Darstellung  war  wunderbar  durchsichtig  und  durch 
Experimente  der  vollkommensten  und  schönsten  Art  erläutert; 
sie  erklären  sich  äußerst  erfreut  und  aufs  höchste  unterrichtet. 
Es  ist  direkt  peinlich,  anzuhören,  was  sie  sagen.  Ihre  Erinne- 
rung scheint  ein  nebliges  Chaos  von  Mißverständnissen  zu  sein, 
dem  nur  ihre  eigene  reine  Phantasietätigkeit  eine  gewisse  Art 
von  Gestalt  und  Organisation  gegeben  hat,  die  dem  völlig  fremd 
ist,  was  der  Vortragende  mitteilen  wollte.  Die  durchschnittliche 
geistige  Fassungskraft  selbst  eines  sogenannten  gebildeten  Publi- 
kums erweist  sich  als  lächerlich  gering,  wenn  man  sie  scharf 
prüft. 

Wollen  wir  die  Verschiedenheiten  von  Individuum  zu  Indivi- 
duumfeststellen, so  darf  man  nicht  einen  Augenbhck  lang  der  Voraus- 


*)  Student,  der  sein  Examen  zum  Baccalaureus  nicht  mit  Auszeichnung 
macht.    D.  Üb. 


einer  Einteilung  der  Menschen.  .      21 

Setzung  Raum  geben,  Mathematiker  seien  in  ihrer  natürlichen 
Begabung  notwendig  einseitig.  Zahlreiche  Beispiele  beweisen 
das  Gegenteil;  eine  Reihe  von  denen,  die  uns  jetzt  beschäftigen, 
werden  wir  noch  einmal  in  dem  Anhang  zu  meinem  Kapitel  über 
„Naturwissenschaft"  als  Beispiele  für  vererbte  Begabung  finden. 
Ich  möchte  namentlich  Leibniz  nennen,  der  eine  universale  Be- 
gabung besaß;  aber  auch  Ampere,  Arago,  Condorcet  und  d'Alem- 
bert  waren  weit  mehr  denn  reine  Mathematiker.  Ja,  seitdem 
der  Rahmen  der  Prüfungen  in  Cambridge  so  erweitert  ist,  daß 
er  auch  andere  Gegenstände  neben  Mathematik  umfaßt,  sind 
die  Verschiedenheiten  in  der  Befähigung  zwischen  dem  obersten 
und  dem  letzten  der  erfolgreichen  Kandidaten  noch  offenkundiger, 
als  ich  bisher  beschrieb.  Wir  finden  einerseits  fortwährend 
mittelmäßige  Individuen,  deren  ganze  Energie  aufgebraucht  wird, 
um  ihre  237  Punkte  in  Mathematik  zu  erhalten,  und  andererseits 
einige  „senior-wrangler",  die  gleichzeitig  sich  in  klassischen  Studien 
und  auch  sonst  noch  auszeichnen.  Cambridge  hat  derartige  Bei- 
spiele gegeben.  Seine  Liste  der  Auszeichnungen  in  klassischen 
Studien  ist  vergleichsweise  neueren  Datums,  aber  anderes  Be- 
weismaterial zeigt  das  Vorkommen  solcher  Beispiele  in  früheren 
Zeiten.  So  müßte  Dr,  George  Builer,  der  viele  Jahre  Rektor  von 
Harrow  war  —  auch  Byron  zählte  zu  seinen  ZögUngen  —  (er 
war  auch  Vater  des  gegenwärtigen  Rektors  und  anderer  Söhne, 
von  denen  zwei  ebenfalls  Rektoren  großer  öffentlicher  Schulen 
sind),  in  Anbetracht  seiner  hervorragenden  klassischen  Fähig- 
keiten diesen  Rang  auch  in  den  klassischen  Studien  erhalten 
haben.  Doch  war  Dr.  Butler  1794  auch  „senior-wrangler",  in 
dem  gleichen  Jahr,  als  Lord  Chancellor  Lyndhurst  zweiter  war. 
Sowohl  Dr.  Kaye,  der  verstorbene  Bischof  von  Lincoln,  als  Sir 
E.  Alderson,  der  verstorbene  Richter,  waren  „senior  -  wranglers" 
und  bekamen  gleichzeitig  die  ersten  Preise  für  klassische  Studien 
ihrer  Jahrgänge.  Seit  1824,  also  seit  der  Einführung  der  klassi- 
schen Examina,  war  der  verstorbene  Mr.  Goulburn  (Sohn  des 
Schatzkanzlers  Right  Hon.  H.  Goulburn)  1835  zweiter  „wrangler" 
und  gleichzeitig  „senior"  in  den  klassischen  Studien  des  gleichen 
Jahres.  In  neuerer  Zeit  ist  jedoch  die  notwendige  Vorbereitungs- 
arbeit, die  erforderlich  ist,  um  die  höchsten  mathematischen  Ehren- 
plätze zu  erringen,  so  gewaltig  angeschwollen,  daß  eine  ausge- 
dehntere Differenzierung  der  Studien  erfolgt  ist.    Ein  einzelner 


^  Natürliche  Begabung  als  Grundlage 

hat  keine  Zeit  mehr,  die  notwendigen  Kenntnisse  für  den  ersten 
Ehrenplatz  in  mehr  als  einem  Gegenstand  zu  erlangen.  Es  gibt 
daher  keine  Beispiele  mehr  von  Leuten,  die  als  absolut  erste  aus 
beiden  Prüfungen  hervorgehen,  aber  einige  können  sowohl  in  ihren 
klassischen  als  ihren  mathematischen  Studien  als  besonders  her- 
vorragend bezeichnet  werden,  wie  ein  Blick  in  die  im  „Cam- 
bridge Calendar"  veröffentlichten  Listen  zeigt.  Der  beste  aus 
dieser  späteren  Gruppe  scheint  Dr.  Barry  zu  sein,  erst  Rektor 
von  Cheltenham  und  jetzt  Rektor  des  King's  College  in  London 
(Sohn  des  hervorragenden  Architekten  Sir  Charles  Barry  und 
Bruder  von  Mr.  Edward  Barry,  der  seinem  Vater  als  Architekt 
folgte).  Er  war  vierter  „wrangler"  und  siebenter  in  klassischer 
Philologie  seines  Jahrgangs. 

Die  intellektuellen  Differenzierungen  sind  enorm,  in  wel- 
cher Weise  immer  wir  Fähigkeiten  prüfen.  Lord  Macaulay  (s. 
unter  „Literatur"  über  seine  bemerkenswerte  Verwandtschaft) 
besaß  ein  Gedächtnis,  das  kaum  seinesgleichen  hatte.  Er  war 
imstande,  sich  viele  Seiten  aus  hunderten  von  Bänden  verschie- 
dener Autoren  ins  Gedächtnis  zurückzurufen,  die  er  sich  durch 
bloße  Lektüre  angeeignet  hatte.  Ein  Durchschnittsmensch  kann 
sicherlich  nicht  ein  Zweiunddreißigstel,  ja  nicht  einmal  ein  Hun- 
dertstel von  dem  behalten,  was  Lord  Macaulay  in  seinem  Ge- 
dächtnis aufspeicherte.  Senecas  Vater  gehörte  zu  den  Menschen 
mit  dem  besten  Gedächtnis  im  Altertum  (wegen  seiner  Verwandt- 
schaft s.  unter  „Literatur").  Porson,  der  Kenner  Griechenlands, 
war  wegen  dieser  Gabe  bekannt,  und  ich  kann  hinzufügen,  daß 
das  „Porson-Gedächtnis"  in  dieser  Familie  erblich  war.  Die 
gleichen  ungeheuren  Differenzierungen  von  Individuum  zu  Indi- 
viduum finden  sich  in  der  Staatskunst,  in  der  Kriegskunst,  in  der 
Literatur,  in  der  Wissenschaft,  in  Poesie  und  Kunst,  und  zahl- 
reiche Beispiele,  die  in  diesem  Buch  niedergelegt  sind,  werden 
zeigen,  in  welch  geringem  Maße  hervorragende  Begabung  in  der 
einen  oder  anderen  Gruppe  von  intellektuellen  Kräften  als  das 
Resultat  rein  spezieller  Talente  betrachtet  werden  kann.  Viel- 
mehr müssen  solche  Fälle  eher  als  das  Resultat  konzentrierter 
Anstrengungen  betrachtet  werden,  die  von  umfassend  begabten 
Menschen  gemacht  werden.  Die  Menschen  legen  zu  viel  Nach- 
druck auf  Spezialleistungen,  die  in  die  Augen  fallen,  und  sie  denken 
vorschnell,  daß  ein  Mensch  in  nichts  anderm  hätte  erfolgreich  sein 


einer  Einteilung  der  Menschen.  2« 

können,  weil  er  sich  einer  bestimmten  Beschäftigung  gewidmet 
hat.  Ebenso  könnten  sie  sagen,  daß  ein  JüngHng  sich  in  keine 
Blondine  hätte  verheben  können,  weil  er  sterblich  in  eine  Brü- 
nette verliebt  ist.  Er  kann  eine  größere  natürliche  Vorliebe  für 
den  letzteren  Typus  haben  oder  auch  nicht  haben,  es  ist  aber 
ebenso  wahrscheinlich,  daß  die  Angelegenheit  teilweise  oder 
gänzlich  auf  eine  allgemein  gerichtete  Disposition  des  jungen 
Mannes  zurückzuführen  ist.  Genau  so  verhält  es  sich  mit  spe- 
ziellen Beschäftigungen.  Ein  begabter  Mensch  ist  oft  launenhaft 
und  unbeständig,  bevor  er  sich  zu  einer  Beschäftigung  entschließt; 
hat  er  aber  einmal  gewählt,  so  widmet  er  sich  ihr  mit  einem 
wahrhaft  leidenschaftlichen  Eifer.  Nachdem  ein  mit  bedeutenden 
Anlagen  begabter  Mensch  sein  Steckenpferd  erwählt  und  sich 
ihm  so  angepaßt  hat,  daß  er  zu  jeder  anderen  Beschäftigung  un- 
brauchbar und  einzig  für  diese  seine  spezielle  Tätigkeit  geeignet 
zu  sein  scheint,  habe  ich  oft  mit  Bewunderung  bemerkt,  wie 
gut  er  sich  benimmt,  wenn  die  Umstände  ihn  plötzlich  in  eine 
unbekannte  Lage  drängen.  Er  wird  die  neuen  Verhältnisse  scharf 
erfassen  und  wird  sie  mit  einer  Kraft  zu  benützen  verstehen, 
welche  selbst  seine  intimsten  Freunde  ihm  nicht  ohne  weiteres 
zugetraut  hätten.  Mehr  als  ein  eingebildeter  Narr  hat  schon 
Gleichgültigkeit  und  Nachlässigkeit  für  Unfähigkeit  gehalten  und 
hat  sich  selbst  sehr  hart  und  unvorhergesehen  zu  Fall  gebracht, 
wenn  er  es  versuchte,  einen  begabten  Menschen  in  eine  Lage 
zu  drängen,  wo  dieser  auf  einen  Angriff  nicht  vorbereitet  war. 
Ich  bin  überzeugt,  daß  niemand,  der  den  Vorteil  genießt,  sich  in 
der  Gesellschaft  von  befähigteren  Menschen  irgend  einer  Metro- 
pole zu  bewegen,  oder  der  die  Biographien  der  Helden  der  Ge- 
schichte kennt,  an  der  Existenz  großer  Exemplare  der  Spezies 
„Mensch"  zweifeln  kann;  er  muß  wissen,  daß  es  Naturen  von 
besonders  hervorragendem  Adel  gibt,  Individuen,  die  dazu  ge- 
boren sind,  Könige  der  Menschen  zu  werden.  Ich  war  in  nicht 
geringer  Angst  befangen,  eine  Art  von  Sakrileg  zu  be- 
gehen, so  oft  ich  bei  der  Zusammenstellung  des  Materials  zu 
diesem  Buch  gezwungen  war,  den  Maßstab  an  moderne  In- 
tellekte zu  legen,  die  dem  meinigen  weit  überlegen  sind,  oder  die 
Begabung  der  glänzendsten  historischen  Exemplare  unserer 
Gattung  zu  prüfen.  Es  war  eine  Tätigkeit,  die  mich  fortwährend 
an  ein  verwandtes  Gefühl  erinnerte,  das  ich  in  vergangenen  Tagen 


24  Naturliche  Begabung  als  Grundlage 

während  einer  afrikanischen  Reise  empfand,  als  ich  die  Höhen 
der  kolossalen  Klippen  zu  messen  pflegte,  welche  sich  über  mir 
emporhoben,  wenn  ich  an  ihrem  Fuß  entlang  wanderte,  oder  die 
ragenden  Landmarken  im  Gebiete  noch  unbesuchter  Stämme  auf- 
nahm, welche  hinter  meiner  eigentlichen  Horizontlinie  in  undeut- 
licher Größe  emporwuchsen. 

Ich  habe  nicht  besonders  Sorge  getragen,  mich  mit  Leuten 
zu  befassen,  deren  Begabung  unter  dem  Durchschnitt  liegt,  aber 
sie  wären  ein  interessantes  Studium.  Die  Anzahl  der  Idioten  und 
Schwachsinnigen  unter  den  zwanzig  Millionen  Einwohnern  von 
England  und  Wales  wird  auf  etwa  50  000  geschätzt  oder  gleich 
1  auf  400.  Dr.  Seguin,  eine  große  französische  Autorität  auf 
diesem  Gebiete,  erklärt,  daß  mehr  als  30  %  der  Idioten  und 
Schwachsinnigen  bei  angemessenem  Unterricht  dahin  gebracht 
wurden,  sich  sozialen  und  moralischen  Gesetzen  zu  fügen; 
Sinn  für  Ordnung  und  Wohlverhalten  wurde  ihnen  beigebracht, 
und  sie  waren  imstande,  bei  ihrer  Arbeit  ein  Drittel  der  Leistungen 
eines  Durchschnittsmenschen  zu  erzielen.  Er  sagt,  daß  mehr 
als  40  %  von  ihnen  unter  freundUcher  Kontrolle  zu  den  ge- 
wöhnlichen Verrichtungen  des  Lebens  befähigt  wurden;  sie 
lernten  moralische  und  soziale  Abstraktionen  verstehen  und 
konnten  zwei  Drittel  der  gewöhnlichen  Durchschnittsarbeit 
leisten.  Und  daß  schließlich  25  —  30  %  von  ihnen  sich 
mehr  und  mehr  dem  Niveau  des  Durchschnittsmenschen 
nähern,  bis  einige  von  ihnen  der  Prüfung  selbst  guter  Be- 
obachter Trotz  bieten,  wenn  man  sie  mit  gewöhnlichen  jungen 
Männern  und  Frauen  vergleicht.  Gleich  über  Idioten  und 
Schwachsinnigen  rangiert  eine  große  Anzahl  von  milderen  Fällen, 
die  in  Privatfamilien  verstreut  sind  und  verborgen  gehalten  wer- 
den, deren  Existenz  jedoch  Verwandten  und  Freunden  wohl  be- 
kannt ist;  sie  sind  zu  einfältig,  um  an  der  allgemeinen  Gesell- 
schaft teilzunehmen,  aber  eine  triviale,  harmlose  Beschäftigung 
amüsiert  sie  leicht.  Dann  kommt  eine  Gruppe,  als  deren  Re- 
präsentant Lord  Dundreary*)  in  dem  berühmten  Stück  gelten 
kann;  so  steigen  wir  durch  verschiedene  Grade  bis  zur  Mittel- 
mäßigkeit auf.    Ich  kenne  zwei  gute  Beispiele  von  ererbter  Ein- 


*)  Stutzer    in    einem    Lustspiel    „Our    American    Cousin"    von    Tom 
Taylor.    D.  Üb. 


einer  Einteilung  der  Menschen.  25 

fältigkeit,  die  von  Schwachsinn  wenig  entfernt  ist,  und  habe  Grund 
zu  glauben,  daß  ich  leicht  derartige  Fälle  in  großer  Zahl  bei- 
bringen könnte. 

Ich  fasse  noch  einmal  zusammen :  der  Abstand  in  den  Geistes- 
kräften —  ich  sage  nicht  zwischen  dem  höchststehenden  Kau- 
kasier  und  dem  niedrigsten  Wilden,  sondern  der  zwischen  dem 
größten  und  dem  kleinsten  englischen  Intellekt,  ist  ungeheuer, 
Wir  sehen  eine  Kontinuität  natürlicher  Fähigkeiten,  die,  man  weiß 
nicht  recht  bis  zu  welcher  Höhe,  aufsteigt  und  die  wieder  bis 
zu  einem  Tiefstand  hinabsinkt,  der  sich  ebenfalls  kaum  bezeich- 
nen läßt.  Ich  will  in  diesem  Kapitel  die  Menschen  nach  ihren 
natürlichen  Fähigkeiten  ordnen,  indem  ich  sie  in  Klassen  einteile, 
die  durch  gleiche  Grade  des  Verdienstes  getrennt  sind,  und  will 
dann  die  relative  Anzahl  der  Individuen  zeigen,  die  sich  in  den 
verschiedenen  Klassen  befinden.  Vielleicht  wird  jemand  geneigt 
sein,  aus  dem  Stegreif  die  Vermutung  aufzustellen,  daß  die  An- 
zahl der  Menschen  in  den  verschiedenen  Klassen  ungefähr  gleich 
sein  wird.  Wenn  dem  so  ist,  so  kann  ich  ihn  versichern,  daß  er 
sich  ganz  außerordentlich  irrt. 

Die  Methode,  deren  ich  mich  bediene,  um  all  dies  aufzu- 
decken, ist  eine  Anwendung  des  sehr  merkwürdigen  theoretischen 
Gesetzes  von  „der  Abweichung  von  einem  Durchschnitt".  Ich 
will  erst  das  Gesetz  erklären  und  dann  zeigen,  daß  die  Produk- 
tion natürlicher,  intellektueller  Begabungen  gerade  in  seinen  Spiel- 
raum fällt. 

Das  Gesetz  ist  von  ganz  außerordentlicher  Allgemeinheit. 
Quetelet,  königlicher  Astronom  von  Belgien  und  die  größte  Auto- 
rität in  Lebensdauer-  und  Sozialstatistik,  hat  es  bei  seinen  Unter- 
suchungen in  ausgedehntem  Maße  angewendet.  Er  hat  auch 
Zahlentabellen  konstruiert,  mit  deren  Hilfe  die  notwendigen 
Berechnungen  leicht  gemacht  werden  können,  wenn  es  erwünscht 
erscheint,  das  Gesetz  anzuwenden.  Wer  mehr  davon  lernen  will, 
als  mir  hier  der  Raum  gestattet  zu  bringen,  möge  sein  Werk 
nachschlagen,  das  einen  sehr  lesbaren  Band  bildet  und  das  ver- 
dient, unter  Statistikern  besser  bekannt  zu  sein,  als  es  der  Fall 
zu  sein  scheint.  Es  führt  den  Titel  „Briefe  über  Wahrscheinlich- 
keiten". 

In  den  letzten  Jahren  wurde  so  viel  über  statistische  De- 
duktionen veröffentlicht,  daß  ich  sicher  bin,  der  Leser  sei  vor- 


26  Natürliche  Begabung  als  Grundlage 

bereitet  genug,  um  bereitwillig  dem  folgenden  hypothetischen  Fall 
zuzustimmen.  Man  stelle  sich  eine  große  Insel  vor,  die  von  einem 
einzigen  Volke  bewohnt  ist.  Das  Volk  heiratet  ohne  Beschrän- 
kung untereinander  und  lebt  seit  vielen  Generationen  unter  kon- 
stanten Bedingungen.  Dann  würde  auch  die  durchschnittliche 
Körpergröße  der  erwachsenen  männlichen  Bevölkerung  hier  von 
Jahr  zu  Jahr  die  gleiche  sein.  Ebenso  werden  wir,  wenn  wir 
nach  der  Erfahrung  der  modernen  Statistik  schließen,  wonach  kon- 
stante Resultate  aus  weit  weniger  sorgsam  gesicherten  Beispielen 
folgen,  ohne  Zweifel  Jahr  um  Jahr  die  gleiche  Proportion  zwischen 
den  Zahlen  der  Männer  der  verschiedenen  Größenklassen  finden. 
Ich  meine,  wenn  die  Durchschnittsgröße  eines  Mannes  Sechsund- 
sechzig Zoll  beträgt  und  wenn  gleichfalls  in  einem  beliebigen  Jahr 
von  einer  MilHon  erwachsener  Männer  100  über  achtundsiebzig 
Zoll  groß  sind,  so  wird  die  gleiche  Proportion  von  100  auf  eine 
Million  auch  in  allen  anderen  Jahren  sich  genau  finden.  Die 
gleiche  Konstanz  der  Proportion  wird  sich  auch  zwischen  anderen 
Größen-Grenzen  finden,  die  wir  etwa  festsetzen  wollen,  so 
zwischen  einundsiebzig  und  zweiundsiebzig  Zoll,  zwischen  zwei- 
undsiebzig und  dreiundsiebzig  Zoll  usw.  Statistische  Erschei- 
nungen bestätigen  so  unveränderlich,  was  ich  hier  nur  als  wahr- 
scheinlichen Fall  gesetzt  habe,  daß  die  Beschreibung  analoger  Bei- 
spiele unnötig  ist.  An  diesem  Punkt  nun  tritt  das  Gesetz  der  Ab- 
weichung von  einem  Durchschnitt  ein.  Es  zeigt,  daß  innerhalb 
einer  Million  erwachsener  Männer  die  Anzahl  derjenigen,  die 
zwischen  einundsiebzig  und  zweiundsiebzig  Zoll  groß  sind 
(oder  welche  beiden  Grenzen  wir  immer  festsetzen  wollen)  aus 
dem  vorhergehend  gegebenen  Durchschnitt  und  aus  irgend  einer 
anderen  Tatsache,  so  aus  dem  Prozentsatz  derjenigen,  die  in  einer 
Million  achtundsiebzig  Zoll  übersteigen,  vorausgesagt  werden 
kann. 

Das  folgende  Diagramm  wird  dies  verständlicher  machen. 
Stellen  wir  uns  eine  Million  von  Männern  vor,  die  sich  nachein- 
ander mit  dem  Rücken  gegen  ein  vertikales  Brett  von  genügender 
Höhe  stellen,  auf  dem  ihre  Körperlänge  durch  Punkte  angemerkt 
wird.  Das  Brett  wird  dann  einen  Anblick  darbieten,  wie  ihn  das 
Diagramm  zeigt.  Die  Linie  der  Durchschnittsgröße  ist  die- 
jenige, welche  die  Punkte  in  zwei  gleiche  Hälften  teilt,  und 
bezeichnet    in     dem     Falle,     den     wir     vorausgesetzt     haben, 


einer  Einteilting  der  Menschen. 


27 


eine  Höhe  von  Sechsundsechzig  Zoll.  Wie  man  sieht,  ver- 
teilen sich  die  Punkte  so  symmetrisch  auf  jede  Seite  der 
Durchschnittslinie,  daß  die  untere  Hälfte  des  Diagramms  fast 
das  genaue  Spiegelbild  der  oberen  ist.  Rechnen  wir  jetzt  an 
hundert  Punkte  von  oben  hinunter  und  denken  wir  uns  eine  Linie 
unterhalb  gezogen.  Den  Bedingungen  zufolge  entspricht  diese 
Linie  der  Größe  von  achtundsiebzig  Zoll.  Unter  Benutzung  der 
Daten,  die  diese  beiden  Linien  an  die  Hand  geben,  ist  es  möglich, 
durch  Zuhilfenahme  des  Gesetzes  der  Abweichung  von  einem 
Durchschnitt  das  ganze  System  der  Punkte  auf  dem  Brett  ijiit 
besonderer  Genauigkeit  zu  reproduzieren. 


Skala 

in 

Fl 

ifs 

• 

— 

8 

Aus  &/ier  Million  sind 

'.'.'.':  \ 

— 

7 

WO  über  dieser  Zinie, . 
Zink  da- 

IH 

6 

Dwdisdmätsgröfse 

Upp^ 

5 

Aus  änerMUionsmd 

riW^l^f:- 

700  untsr  dieser Lime. 

— 

^ 

* 

— 

3 
2 
7 

Quetelet  gibt  Tabellen,  in  welchen  die  oberste  Linie  aus 
einer  Million  statt  hundert  nur  eins  abschneidet.  Er  teilt  die 
Intervalle  zwischen  dieser  Linie  und  der  Durchschnittslinie  in  acht 


28  Natürliche  Begabung  als  Grundlage 

gleiche  Abstände  und  gibt  die  Anzahl  der  Punkte  ,welche  in  jede 
der  so  entstandenen  Abteilungen  fallen.  Unter  Zuhilfenahme 
seiner  Tabellen  kann  man  mit  Leichtigkeit  ausrechnen,  was  bei 
einem  beliebigen  andern  Klassifikationssystem  eintreten  würde. 

Dieses  Gesetz  der  Abweichung  von  einem  Durchschnitt  ist  in 
seiner  Anwendung  vollkommen  allgemein.  Wenn  also  die  Zeichen 
durch  Flintenkugeln  gemacht  wären,  die  in  einer  horizontal  durch 
die  Front  der  Schießscheibe  gezogenen  Linie  abgeschossen  wür- 
den, so  würden  sie  sich  nach  dem  gleichen  Gesetz  verteilen.  Wo 
immer  einer  große  Anzahl  gleicher  Ereignisse  vorliegt,  von  denen 
jedes  die  Folge  der  resultierenden  Einflüsse  der  gleichen  variablen 
Bedingungen  ist,  wird  zweierlei  stattfinden.  Erstens  wird  der 
Durchschnittswert  dieser  Ereignisse  konstant  sein,  und  zweitens 
werden  die  Abweichungen  der  einzelnen  Ereignisse  vom  Durch- 
schnitt diesem  Gesetz  unterliegen  (das  im  Prinzip  das  gleiche  ist, 
wie  das,  welches  den  Lauf  des  Glücks  am  Spieltisch  regiert) 

Ich  sage,  die  Natur  der  Bedingungen,  die  die  einzelnen  Ereig- 
nisse verursachen,  muß  die  gleiche  sein.  Es  ist  klar,  daß  man 
nicht  die  Körpergrößen  von  Menschen  zweier  ungleicher 
Rassen  vergleichen  kann,  in  der  Erwartung,  die  in  eins  zusammen- 
gezogenen Resultate  würden  von  den  gleichen  Konstanten  ab- 
hängen. Eine  Verbindung  von  zwei  ungleichartigen  Systemen 
von  Punkten  würde  die  gleiche  Verwirrung  hervorbringen,  als 
wenn  man  die  Hälfte  der  Flintenkugeln,  die  gegen  eine  Scheibe  ab- 
geschossen würden,  nach  einem  Punkt,  und  die  andere  Hälfte 
nach  einem  andern  Punkt  richten  würde.  Eine  Prüfung  der 
Punkte  würde  sogar  einen  Menschen,  der  nicht  wüßte,  was  pas- 
siert sei,  darauf  bringen,  daß  eben  das  passiert  sei,  und  es  wäre 
unter  Zuhilfenahme  des  Gesetzes  sogar  möglich,  zwei  oder  eine 
bescheidene  Anzahl  übereinanderliegender  Serien  von  Punkten  zu 
entwirren.  Das  Gesetz  kann  daher  als  sehr  zuverlässiges  Kriterion 
benützt  werden,  ob  die  Ereignisse,  von  denen  der  Durchschnitt 
gezogen  wird,  auf  die  gleichen  oder  auf  verschiedenartige  Klassen 
von  Bedingungen  zurückzuführen  sind. 

Ich  wählte  den  hypothetischen  Fall  eines  Volkes,  das  auf  einer 
Insel  wohnt  und  frei  unter  einander  heiratet,  um  den  Bedingungen, 
die  wir  für  unser  hypothetisches  Inselvolk  voraussetzen,  einen 
gleichartigen  Charakter  zu  geben.    Es  wird  jetzt  mein  Ziel  sein, 


einer  Einteilung  der  Menschen 


29 


zu  zeigen,  daß  die  Einwohner  Großbritanniens  Gleichartiges  genug 
'laben,  um  sie  gänzlich  unter  dieses  Gesetz  zu  bringen. 

Ich  führe  zu  diesem  Zweck  erst  ein  Beispiel  aus  Quetelets 
Buch  an.  Es  handelt  sich  um  Messungen  des  Brustumfanges  bei 
einer  großen  Anzahl  schottischer  Soldaten.  Die  Schotten  sind 
weder  eine  einheitliche  Rasse,  noch  sind  sie  gleichförmigen  Be- 
dingungen unterworfen.  Sie  sind  eine  Mischung  von  Kelten, 
Dänen,  Angelsachsen  und  anderen  Völkern  in  verschiedenen  Pro- 
portionen; die  Hochländer  z.  B.  sind  fast  reine  Kelten.  Anderer- 
seits sind  diese  Völker,  obgleich  ihrem  Ursprung  nach  so  ver- 
schieden, ihrem  Charakter  nach  nicht  sehr  ungleichartig. 
Es  wird  sich  zeigen,  daß  ihre  Abweichungen  vom  Durchschnitt 
mit  bemerkenswerter  Genauigkeit  den  theoretischen  Berechnungen 
folgen.  Das  Beispiel  ist  folgendes.  Quetelet  entnahm  seine  Tat- 
sachen dem  dreizehnten  Band  des  Edinburgh  Medical  Journal,  wo 
an  5738  Soldaten  gemachte  Messungen  niedergelegt  sind.  Die 
Resultate  sind  nach  den  Umfangen  angeordnet,  nach  den  Diffe- 
renzen von  einem  Zoll  fortschreitend.  Professor  Quetelet  ver- 
gleicht diese  Resultate  mit  jenen,  die  seine  Tabelle  ergeben.  Das 
Resultat  folgt  hier.  Die  wunderbare  Übereinstimmung  zwischen 
Theorie  und  Praxis  muß  selbst  dem  ungeübtesten  Auge  auffallen. 
Ich  muß  noch  hinzufügen,  daß  in  beiden  Fällen  Maße  und  Be- 
rechnungen aus  Bequemlichkeitsgründen  auf  Tausende  reduziert 
sind. 


Messungen 

1000  Leute 

1000  Leute 

Messungen 

1000  Leute 

1000  Leute 

des  Brustum- 

nach Er- 

nach   Be- 

des Brustum- 

nach Er- 

nach   Be- 

fanges in  Zoll 

fahrung  : 

rechnung  : 

fanges  in  Zoll 

fahrung: 

rechnung  : 

33 

5 

7 

41 

1628 

1675 

34 

31 

29 

42 

1148 

1096 

35 

141 

110 

43 

645 

560 

36 

322 

323 

44 

160 

221 

37 

732 

732 

45 

87 

69 

38 

1305 

1333 

46 

38 

16 

39 

1867 

1838 

47 

7 

3 

40 

1882 

1984 

48 

2 

1 

Ich  nehme  jetzt  einen  Fall,  wo  die  Ungleichheit  der  Elemente, 
aus  denen  der  Durchschnitt  gezogen  wurde,  größer  ist.    Es  handelt 


30 


Natürliche  Begabung  als  Grundlage 


sich  um  das  Körpermaß  von  100  000  assentierten  Franzosen.  Unter 
den  Franzosen  finden  sich  genau  so  viel  Verschiedenheiten  als 
unter  den  Engländern,  denn  es  ist  nicht  sehr  viele  Generationen 
her,  daß  Frankreich  in  völlig  unabhängige  Königreiche  zerfiel. 
Unter  seinen  einzelnen  Völkern  sind  die  Bewohner  der  Normandie, 
der  Bretagne,  des  Elsaß,  der  Provence,  der  Auvergne;  jedes 
dieser  Völker  hat  seine  speziellen  Eigentümlichkeiten,  dennoch 
zeigt  die  folgende  Tabelle  eine  ungemein  auffallende  Überein- 
stimmung zwischen  den  Resultaten  der  Erfahrung  und  jenen,  die 
aus  Berechnung  von  einer  rein  theoretischen  Hypothese  abgeleitet 
sind: 


Anzahl  der  Rekruten 

Größen  der  Rekruten 

gemessen 

berechnet 

Zoll 

Unter            61.8 

28  620 

26  345 

von  61.8-62.9 

11580 

13182 

,     62.9—63.9 

13  990 

14  502 

,     63.9—65.0 

14410 

13  982 

.     65.0—66.1 

11410 

11803 

.     66.1-67.1 

8  780 

8  726 

.     67.1—68.2 

5  530 

5  527 

,     68-2—69.3 

3  190 

3  187 

über            693 

2  490 

2  645 

Die  größten  Differenzen  finden  sich  in  den  niedrigsten  Reihen. 
Sie  enthalten  die  Männer,  die  wegen  ihres  kleinen  Wuchses  zurück- 
gestellt wurden.  Quetelet  schreibt  diese  Unterschiede  unbedenk- 
lich betrügerischen  Berichten  zu.  Es  hat  allerdings  den  Anschein, 
daß  Leute  in  ungesetzlicher  Weise  aus  der  zweiten  Reihe  entfernt 
und  in  die  erste  eingestellt  wurden,  um  vom  Militärdienst  befreit 
zu  werden.  Wie  dem  immer  sei,  die  Übereinstimmung  zwischen 
Tatsachen  und  Theorie  ist  auch  in  diesem  Beispiel  eng  genug,  um 
meinen  Zwecken  zu  dienen. 

Ich  folgere  aus  den  Resultaten,  die  an  den  Schotten  und  Fran- 
zosen gewonnen  wurden,  daß,  wenn  uns  die  Qrößenmaße  der  er- 
wachsenen männUchen  Bevölkerung  der  britischen  Inseln  be- 
kannt wären,  wir  auch  hier  eine  genaue  Übereinstimmung  mit 
dem  Gesetz  der  Abweichung  von  einem  Durchschnitt  fänden,  ob- 
gleich unsere  Bevölkerung  ebenso  gemischt  ist,  als  es  die  von 
Schottland  nach  meiner  Beschreibung  ist  und  obgleich  Irland 
hauptsächlich  von  Kelten  bewohnt  wird. 


einer  Einteilung  der  Menschen.  31 

Trifft  es  aber  bei  der  Größe  zu,  so  wird  es  auch  bei  allen 
anderen  physischen  Merkmalen  der  Fall  sein,  wie  Umfang  des 
Kopfes,  Größe  des  Gehirns,  Gewicht  der  grauen  Gehirnsubstanz, 
Anzahl  der  Gehirnfasern  etc.  Gehen  wir  noch  einen  Schritt  weiter, 
den  kein  Physiologe  zögern  wird,  zu  tun,  so  wird  auch  das  Gleiche 
bezüglich  ihrer  geistigen  Kapazität  der  Fall  sein. 

Eben  dahin  tendiere  ich,  denn  diese  Analogie  zeigt  klar,  daß 
innerhalb  der  geistigen  Kapazität  der  Bewohner  der  britischen  In- 
seln ein  ziemlich  konstanter  Durschnitt  bestehen  muß  und  daß  die 
Abweichungen  von  diesem  Durchschnitt  —  hinauf  zum  Genie  und 
hinunter  zum  Blödsinn  —  dem  Gesetze  folgen  müssen,  das  die  Ab- 
weichungen von  jedem  richtigen  Durchschnitt  bestimmt. 

Ich  habe  jedoch  noch  etwas  mehr  getan  als  mich  auf  eine 
Analogie  gestützt,  als  ich  die  Resultate  jener  Prüfungen  heranzog, 
bei  denen  die  Kandidaten  aus  den  gleichen  Klassen  stammten. 
Viele  werden  wohl  die  Listen  der  erfolgreichen  Bewerber  um  ver- 
schiedene öffentliche  Anstellungen  gesehen  haben,  die  von  Zeit  zu 
Zeit  in  den  Zeitungen  veröffentlicht  werden,  mit  den  Notenein- 
heiten, die  jeder  Kandidat  gewann  und  die  seinem  Namen  bei- 
gefügt waren.  Diese  Liste  enthält  viel  zu  wenig  Namen,  um  eine 
so  schöne  Übereinstimmung  mit  dem  Gesetz  aufzuweisen,  wie 
es  bei  den  schottischen  Soldaten  der  Fall  war.  Selten  kommen 
bei  einem  dieser  Examina  mehr  als  hundert  Namen  vor,  wäh- 
rend die  Brustumfänge  von  nicht  weniger  als  5700  Soldaten 
gemessen  wurden.  Ich  kann  nicht  recht  die  Noten  verschiedener 
unabhängiger  Prüfungen  in  einen  Haufen  zusammenwerfen,  denn 
ich  begreife,  daß  verschiedene  Prüfende  auch  zu  verschiedenen 
Einschätzungszahlen  neigen.  So  muß  also  jede  Prüfung  getrennt 
analysiert  werden.  Das  Folgende  ist  eine  Kalkulation,  die  ich  an 
einer  Prüfung  anstellte,  die  vor  mir  abgehalten  wurde;  wir  können 
sie  hier  gebrauchen  wie  jede  andere.  Es  handelte  sich  um  den 
Emtritt  in  das  Royal  Military  College  in  Sändhurst  im  Dezember 
1868.  Die  Notensummen,  die  erreicht  wurden,  häufen  sich  be- 
sonders um  3000  herum,  so  daß  ich  diese  Ziffer  als  die  Durch- 
schnittsfähigkeit der  Kandidaten  repräsentierend  annehme.  Von 
dieser  Zahl  und  weiter  von  der  Tatsache  ausgehend,  daß  kein  Kan- 
didat mehr  als  6500  Noteneinheiten  erhielt,  berechnete  ich  unter  Zu- 
hilfenahme von  Quetelets  Zahlen  die  Kolonne  B  in  der  folgenden 
Tabelle.    Es  wird  sich  zeigen,  daß  die  Kolonne  B  so  weit  mit  der 


32 


Natürliche  Begabxing  als  Grundlage 


Kolonne  A  übereinstimmt,  als  die  geringe  Anzahl  der  geprüften 
Personen  es  erwarten  ließ. 


Anzahl  der  Kandidaten,  die  diese 

Noteneinheiten  erhielten 

Anzahl   der  Noteneinheiten,  die 

die  Kandidaten  erhielten 

A. 

B. 

Den    Tatsachen 

Der  Theorie 

entsprechend 

entsprechend 

6500  und  darüber 

0  > 

0 

5800-6500 

1 

1 

5100-5800 

3 

5 

4400-5100 

6 

>  73 

8 

■  72 

3700-4400 

11 

13 

3000-3700 

22 

16 

2300-3000 

22 

16 

1600—2300 

8  ) 

13) 

1100zul600 

Wagten  es    ent- 

8 

400  „  1100 

weder  nicht  sich 

5 

unter  400 

zu  messen   oder 

1 

fielen 

durch. 

Die  Symmetrie  des  absteigenden  Zweiges  ist  durch  die  am  Fuß 
der  Kolonne  A  angegebenen  Umstände  arg  gestört  worden.  Es 
ist  aber  wenig  Anlaß  zu  bezweifeln,  daß,  wenn  jeder  Mensch  in 
England  sich  irgend  ein  Fach  aneignen  und  sich  dann  vor  Exami- 
natoren präsentieren  müßte,  die  ein  gleichartiges  Notensystem  an- 
wendeten, die  erteilten  Noten  sich  nach  dem  Gesetz  der  Ab- 
weichung von  einem  Durchschnitt  genau  so  streng  in  Reihen 
bringen  ließen,  wie  die  Qrößenmaße  der  französischen  Assent- 
pflichtigen  oder  die  Brustumfänge  der  schottischen  Soldaten. 

Die  Stufenzahl,  auf  welche  wir  die  geistigen  Fähigkeiten  ver- 
teilen wollen,  hängt  von  unserer  Wahl  ab.  Wir  können  ganz  nach 
unserer  Bequemlichkeit  die  Engländer  in  einige  große  Klassen  oder 
in  viele  kleine  einteilen.  Ich  wähle  ein  Klassifikationssystem,  das 
sich  leicht  mit  der  Anzahl  hervorragender  Männer  vergleichen 
läßt,  wie  wir  sie  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  festgesetzt  haben. 
Wir  sahen  dort,  daß  auf  eine  Million  Männer  250  es  zu  hervor- 
ragender Bedeutung  bringen;  dementsprechend  habe  ich  die  Ab- 
teilungen in  der  folgenden  Tabelle  so  entworfen,  daß  die  beiden 
höchsten  F  und  Q,  zusammen  mit  X  (das  alle  Fälle  außer  G  umfaßt, 
die  nicht  eingeteilt  sind)  sich  ungefähr  auf  diese  Zahl  belaufen., 
nämlich  248  auf  eine  Million. 


eioer  Einteilung  der  Menschen.  38 

Einteilung  der  Menschen  nach  ihrer  natürlichen  Begabung 


Grade  der  natür- 

Anzahl  der  Menschen  innerhalb  der  verschiedenen  Grade  natürlicher  Befähi- 

lichenBefähigung 

gung,  entweder  mit  Bezug  auf  allgemeine  Talente  oder  spezielle  Fähigkeiten. 

durch  gleiche  Ab- 

stände getrennt 

I    •  ^      1 

Im 

In  leder 

In  der  gesamten  männlichen  Bevölkerung,  d.  h.  in 

Unter 

Ueber 

Verhält- 

Million 

15  Millionen  der  angegebenen  Altersstufen 

dem 

dem 

niseiner 

des- 
gleichen 

Durch- 

Durch- 

zu 

schnitt 

schnitt 

Alters.     20-30  1  30-40  1  40  -  50 1  50—60 160-70|70-  80 

a 

A 

4 

256791 

651000 

495000 

391000 

268000 

171000 

77000 

b 

B 

6 

161279 

409000 

312000 

246000 

168000 

107000 

48000 

c 

C 

16 

63563 

161000 

123000 

97000 

66000 

42000 

19000 

d 

D 

64 

15696 

39800 

30300 

23900 

16400 

10400 

4700 

e 

E 

413 

2423 

6100 

4700 

3700 

2520 

1600 

729 

f 

F 

4300 

233 

590 

450 

355 

243 

157 

50 

Z 

G 

79000 

14 

35 

27 

21 

15 

9 

4 

X 

X 

alle 

alle 

1000000 

1 

3 

2 

2 

2 

Grade 

Grade 

unter  g 

über  G 

Auf  jeder  Seite  d« 
schnitte 

s  Durch- 

5 

500000 

1268000 

964000 

761000 

521000 

332000 

149000 

Gesatnts 

umme  at 
Seiten 

if  beiden 

lOOOOOö 

2536000 

1928090 

1522000 

1042000 

664000 

298000 

Die  Verhältnisse  der  Männer  der  verschiedenen  Lebensalter  zu  einander 
sind  nach  den  Verhältnissen  gerechnet,  die  für  England  und  Wales  stimmen. 

(Census  von  1861,  Anhang  S.  107.) 

Beispiel.  Die  Abteilung  F  enthält  je  einen  Mann  auf  4300.  Mit 
anderen  Worten  in  jeder  Million  Menschen  befinden  sich  233  dieser  Ab- 
teilung. Das  Gleiche  gilt  für  f.  Im  ganzen  vereinigten  Königreich  gibt  es 
590  Leute  der  Abteilung  F  (und  die  gleiche  Anzahl  der  Abteilung  f)  zwischen 
dem  20.  und  30.  Lebensjahr ;  450  zwischen  dem  30.  und  40.  Lebensjahr  usw. 

Ich  hoffe,  dem  Leser  wird  jetzt  völlig  klar  sein,  daß  die 
Ziffern  der  verschiedenen  Abteilungen  meiner  Tabelle  nicht  auf 
einer  unsichern  Annahme  beruhen.  Sie  sind  nach  dem  sicheren 
Gesetz  der  Abweichungen  von  einem  Durchschnitt  festgelegt.  Es 
ist  absolut  sicher,  daß,  wenn  wir  aus  jeder  Million  den  einen  Mann 
herausheben,  der  der  natürlich  begabteste  in  ihr  ist  und  ebenso 
den  Dümmsten  und  dann  die  übrigen  999,998  in  vierzehn  Klassen 
aufteilen,  wobei  die  Durchschnittsfähigkeit  einer  jeden  Klasse  von 
den   benachbarten  durch  gleiche    Stufen  getrennt  ist,  die 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vereibung.  3 


34  Natürliche  Begabung  als  Grundlage 

Zahlen  jeder  dieser  Klassen  im  Durchschnitt  vieler  Millionen  sich 
so  verhalten  werden,  wie  es  in  der  Tabelle  festgelegt  ist.  Die  Ta- 
belle kann  sowohl  auf  eine  spezielle  wie  auf  allgemeine  Begabung 
angewendet  werden.  Sie  wird  für  jede  Prüfung  stimmen,  die 
natürliche  Begabungen  ausdrücken  soll,  ob  es  sich  nun  um  Ma- 
lerei, um  Musik  oder  Politik  handelt.  Die  Verhähnisse  zwischen 
den  verschiedenen  Klassen  werden  in  all  diesen  Fällen  identisch 
sein,  obgleich  die  Klassen  aus  verschiedenen  Individuen  zusam- 
mengesetzt sein  würden,  je  nachdem  die  Prüfung  ihrem  Inhalt 
nach  verschieden  wäre. 

Es  wird  sich  zeigen,  daß  mehr  als  die  Hälfte  jeder  Million  in 
den  beiden  mittleren  Klassen  a  und  A  enthalten  ist;  die  vier  mittr 
leren  Klassen  a,  b,  A,  B,  enthalten  mehr  als  vier  Fünftel  und  die 
sechs  mittleren  Klassen  mehr  als  neunzehn  Zwanzigstel  der  Qe- 
samtbevölkerung.  Beides,  die  Seltenheit  einer  dominierenden  Be- 
gabung, und  das  starke  Vorwiegen  an  Mittelmäßigkeit,  ist  kein 
Zufall,  sondern  folgt  notwendig  aus  der  eigentlichen  Natur  dieser 
Dinge. 

Die  Bedeutung  des  Wortes  „Mittelmäßigkeit"  läßt  kaum  einen 
Zweifel  aufkommen.  Es  definiert  den  Stand  intellektueller  Kräfte, 
wie  er  sich  in  den  meisten  Provinz-Gesellschaften  findet,  da  die 
Reize  einer  anregenderen  Lebensweise  in  der  Hauptstadt 
und  anderwärts  geeignet  sind,  die  befähigteren  Männer  anzu- 
locken und  die  dummen  und  einfältigen  keinen  Teil  an  der  Ge- 
sellschaft haben.  Das  Residuum  also,  das  die  große  Masse  der 
allgemeinen  Gesellschaft  kleiner  Provinzstädte  bildet,  ist  gewöhn- 
lich in  seiner  Mittelmäßigkeit  sehr  rein. 

Die  Klasse  C  enthält  die  Fähigkeiten,  die  etwas  höher  sind,  als 
sie  im  allgemeinen  der  Obmann  einer  gewöhnlichen  Ge- 
schworenenbank besitzt.  D  umfaßt  die  Massen  der  Männer, 
welche  die  gewöhnlichen  Prämien  des  Lebens  erhalten.  E  ist  um 
eine  Stufe  höher.  Dann  gelangen  wir  zu  F,  die  niedrigste  jener 
noch  höheren  Intelligenzklassen,  mit  denen  diese  Arbeit  sich  haupt- 
sächlich beschäftigt. 

Gehen  wir  die  Skala  hinunter,  so  finden  wir,  wenn  wir  f 
erreicht  haben,  daß  wir  bereits  unter  Idioten  und  Schwachsinnigen 
sind.  Wir  haben  gesehen,  daß  in  unserem  Lande  auf  je 
eine  Million  Menschen  400  Idioten  und  Schwachsinnige  kommen, 
daß   aber   30   Prozent  ihrer   Gesamtzahl   leichte  Fälle   zu   sein 


einer  Einteilung  der  Menschen.  35 

scheinen,  für  die  Idiotie  nicht  die  geeignete  Bezeichnung  ist.  Auf 
jede  Million  unserer  Bevölkerung  entfallen  280  wirkliche  Idioten 
und  Schwachsinnige.  Dieses  Verhältnis  entspricht  sehr  genau 
den  Anforderungen  der  Klasse  f.  Ohne  Zweifel  entsteht  ein 
gewisser  Teil  dieser  Idioten  aus  zufälligen  Verursachungen,  die 
der  Arbeit  eines  von  Natur  guten  Gehirns  Abbruch  tun,  genau  so 
wie  ein  Stückchen  Schmutz  einen  erstklassigen  Chronometer  dazu 
bringen  kann,  die  Zeit  schlechter  anzugeben  als  eine  gewöhnliche 
Uhr.  Ich  vermute  aber  infolge  des  gewöhnlich  kleinen  Kopfes 
dieser  Menschen  und  der  Abwesenheit  von  Krankheiten  unter 
ihnen,  daß  der  Anteil  von  zufälligen  Idioten  nicht  sehr  groß 
sein  kann. 

So  kommen  wir  zu  dem  unleugbaren,  aber  unvermuteten 
Schluß,  daß  außerordentlich  begabte  Männer  ebenso  über  die 
Mittelmäßigkeit  emporragen,  als  die  Idioten  unter  die  Mittelmäßig- 
keit hinuntersinken,  eine  Tatsache,  die  unsere  Ideen  über  die  un- 
geheuren Verschiedenheiten  intellektueller  Gaben  von  Mensch  zu 
Mensch  bedeutend  zu  erweitern  bestimmt  ist. 

Ich  vermute,  daß  Klasse  F  bei  Hunden  und  anderen  der 
inteUigentesten  Tierarten  in  bezug  auf  Gedächtnis  und  Vernunft- 
kräfte mit  f  der  menschlichen  Rasse  ungefähr  kommensurabel  ist. 
Sicherlich  ist  die  Klasse  G  solcher  Tiere  weit  größer  als  Klasse 
G  bei  der  Menschheit 


3* 


Vergleich  der  beiden  Klassifikationen. 

Ist  der  Ruf  ein  genügender  Beweis  für  natürliche  Begabung? 
Es  ist  der  einzige,  den  ich  anwenden  kann;  bin  ich  gerechtfertigt, 
wenn  ich  es  tue?  Wieviel  von  den  Erfolgen  eines  Mannes  hängt 
von  günstigen  Gelegenheiten  ab,  wieviel  von  den  natürlichen 
Kräften  seines  Intellekts? 

Es  ist  eine  sehr  alte  Frage,  die  wir  hier  aufwerfen,  eine 
große  Anzahl  von  Gemeinplätzen  wurden  über  sie  geäußert,  so 
daß  wir  nicht  nötig  haben,  sie  hier  zu  wiederholen.  Ich  will  mich 
auf  einige  Betrachtungen  beschränken,  die  mir  vollkommen  hin- 
reichend zu  beweisen  scheinen,  was  ich  für  meine  Argumentation 
nötig  habe. 

Behalten  wir  wohl  im  Auge,  was  ich  unter  Ruf  und  Fähig- 
keiten verstehe.  Unter  Ruf  verstehe  ich  die  Meinung  der  Zeit- 
genossen, von  der  Nachwelt  revidiert,  das  günstige  Resultat  einer 
von  vielen  Biographen  besorgten  kritischen  Analyse  des  Charak- 
ters eines  jeden  Mannes.  Ich  verstehe  darunter  weder  eine  hohe 
soziale,  noch  eine  amtliche  Stellung,  ebensowenig  das,  was  der 
bloße  Löwe  einer  Londoner  Saison  bedeutet.  Ich  spreche  von 
dem  Ruf  eines  Führers  der  öffentlichen  Meinung,  eines  schöpferi- 
schen Geistes,  eines  Mannes,  dem  die  Welt  wohlüberlegt  ein- 
räumt, daß  sie  ihm  stark  verpflichtet  ist. 

Unter  natüi  liehen  Fähigkeiten  verstehe  ich  jene  Eigenschaften 
des  Intellekts  und  Gemüts,  welche  einen  Menschen  dazu  an- 
spornen und  qualifizieren,  Handlungen  zu  verrichten,  die  seinen  Ruf 
verbreiten.  Ich  verstehe  darunter  weder  Talent  ohne  Eifer,  noch 
Eifer  ohne  Talent,  noch  eine  Kombination  von  beiden  ohne  die 
entsprechende  Kraft,  ein  gut  Stück  einer  sehr  mühseligen  Arbeit 
zu  verrichten.  Ich  verstehe  darunter  eine  Natur,  die,  wenn  sie 
sich  selbst  überlassen  ist  und  von  einem  inneren  Trieb  gedrängt 
wird,  den  Weg  emporklimmt,  der  zur  hervorragenden  Bedeutung 


Vergleich  der  beiden  Klassifikationen.  37 

hinaufführt,  und  die  Kraft  genug  hat,  den  Gipfelpunkt  zu  erreichen; 
eine  Natur,  die,  wenn  sie  gehindert  wird  oder  ihr  etwas  in  die 
Quere  kommt,  sich  aufbäumt  und  kämpft,  bis  das  Hindernis  über- 
wunden ist  und  sie  wieder  frei  ihrer  instinktiven  Arbeitsfreude 
folgen  kann.  Es  ist  fast  eine  contradictio  in  adiecto,  wenn  man 
zweifelt,  daß  solche  Männer  im  allgemeinen  hervorragend  werden. 
Wir  werden  gerade  bei  unserer  Betrachtung  in  Hülle 
und  Fülle  auf  Beispiele  stoßen,  die  zeigen,  daß  nur  wenig 
Menschen  hohen  Ruf  erlangt  haben,  ohne  diese  besonderen  Gaben 
zu  besitzen.  Es  folgt  daraus,  daß  die  Männer,  die  zu  hervorragen- 
der Bedeutung  gelangen,  und  die,  welche  von  Natur  talentiert  sind, 
mit  wenigen  Ausnahmen  identisch  sind. 

Der  spezielle  Sinn,  in  dem  ich  das  Wort  Fähigkeit  gebrauche, 
soll  meine  Argumentation  nicht  von  einer  weiteren  Anwendung 
ausschließen;  denn  wenn  es  mir  gelingen  wird,  zu  zeigen  —  und 
es  wird  mir  ohne  Zweifel  gelingen  —  daß  das  konkrete  dreifache 
Vorkommen  von  Fähigkeit  kombiniert  mit  Eifer  und  Eignung  zu 
schwerer  Arbeit,  vererbbar  ist,  dann  muß  noch  viel  mehr  der 
Glaube  gerechtfertigt  sein,  daß  irgend  eines  dieser  drei  Elemente, 
sei  es  nun  Fähigkeit,  Eifer  oder  die  Eigung  zur  Arbeit  in  gleicher 
Weise  eine  Gabe  der  Vererbung  ist. 

Ich  glaube  und  werde  mein  Bestes  tun,  es  zu  zeigen, 
daß.  wenn  die  „hervorragenden"  Männer  irgend  einer  Periode 
als  kleine  Kinder  vertauscht  worden  wären,  ein  großer  Teil  von 
ihnen,  wenn  sie  am  Leben  geblieben  wären  und  ihre  Gesundheit 
bis  zu  ihrem  fünfzigsten  Lebensjahr  behalten  hätten,  ungeachtet 
ihrer  veränderten  Lebensumstände  ebenfalls  hervorragende  Be- 
deutung erlangt  hätten.  So  ist  es  z.  B.  unglaubhaft  —  um  einen 
starken  Fall  zu  nehmen  —  daß  Lord  Brougham  durch  irgend  eine 
Kombination  von  Umständen  zu  dem  Niveau  einer  unbemerkten 
Mittelmäßigkeit  hätte  hinabgedrückt  werden  können. 

Die  Argumente,  auf  die  ich  mich  stütze,  sind  die  folgenden. 
Ich  will  ihre  Anwendung  zunächst  auf  Männer  der  Feder  und 
Künstler  beschränken.  Erstens  ist  es  eine  Tatsache,  daß  eine 
Anzahl  von  Männern,  noch  ehe  sie  das  mittlere  Lebensalter 
erreichen,  und  die  aus  den  niedrigeren  Klassen  hervorgehen,  eine 
Stellung  in  der  Welt  erlangen,  wo  es  für  die  Zukunft  ihrer 
Karriere  nicht  mehr  wichtig  ist,  wie  sie  ihre  Jugend  verbracht 
haben.    Sie  haben  die  Hindernisse  überwunden  und  starten  jetzt 


38  Vergleich  der  beiden  Klassifikationen. 

im  folgenden  Wettlauf  des  Lebens  mit  anderen,  glücklicher  Auf- 
erzogenen zusammen  mit  gleichen  Chancen.  Ein  Junge,  der  sorg- 
fältig erzogen  werden  soll,  wird  in  eine  gute  Schule  geschickt,  wo 
er,  zugestandenermaßen,  wenig  nützliche  Kenntnisse  erwirbt,  wo 
er  aber  in  der  Kunst  des  Lernens  unterrichtet  wird.  Der  Mann, 
von  dem  ich  spreche,  ist  gezwungen,  dieselbe  Kunst  in  einer  Schule 
der  Widerwärtigkeiten  zu  erwerben.  Beide  stehen  auf  gleicher 
Linie,  wenn  sie  ihre  Reifezeit  erreicht  haben.  Sie  bewerben  sich 
um  die  gleichen  Preise,  sie  messen  ihre  Kräfte  durch  An- 
strengungen in  der  gleichen  Richtung,  und  die  Erfolge  des  einen 
und  des  andern  hängen  fortan  von  ihren  beiderseitigen  natürlichen 
Gaben  ab.  Es  gibt  eine  Menge  solcher  Männer,  unter  den  "her- 
vorragenden" Menschen,  wie  Biographien  genügend  zeigen.  Wären 
nun  die  Hindernisse,  die  dem  Erfolg  im  Wege  stehen,  sehr  groß, 
so  müßten  wir  erwarten,  daß  alle,  die  sie  überwunden  haben, 
Wunder  an  Genies  sind.  Die  Hindernisse  würden  nach  dieser  An- 
sicht ein  System  der  natürlichen  Auslese  bilden,  indem  sie  alle  die- 
jenigen zurückwerfen,  deren  Gaben  unter  einem  gewissen,  sehr 
hohen  Niveau  Hegen.  Doch  was  ist  der  Fall?  Wir  finden  sehr  viele 
Menschen,  die  sich  aus  der  Reihe  emporgehoben  haben  und  die 
durchaus  keine  Wunder  an  Genies  sind;  viele  Menschen,  die 
keinerlei  Anspruch  auf  „hervorragende  Bedeutung"  haben,  sind 
oft,  allen  Hindernissen  zum  Trotz,  leicht  in  die  Höhe  gekommen. 
Die  Hindernisse  bilden  zweifellos  ein  System  der  natürlichen  Aus- 
lese, das  die  Mittelmäßigkeit  und  selbst  noch  Männer  von  ziemlich 
gutenAnlagen  zurückhält,  miteinem Worte,  dieKlassen  unterD.;  je- 
doch viele  aus  der  Klasse  D  haben  Erfolg,  ebenso  sehr  viele  aus  E  und, 
wie  ich  glaube,  eine  sehr  große  Majorität  aus  den  höheren  Gruppen. 
Ist  ein  Mann  mit  großer  intellektueller  Fähigkeit  begabt,  hat 
er  das  heftige  Verlangen  zu  arbeiten  und  die  Kraft  dazu,  so  kann 
ich  nicht  verstehen,  wie  ein  solcher  Mann  zurückgehalten  werden 
könnte.  Die  Welt  wird  immerfort  von  Schwierigkeiten  gequält,  die 
darauf  warten,  daß  man  sie  löse,  sie  kämpft  immerfort  mit  Ideen 
und  Gefühlen,  denen  sie  keinen  entsprechenden  Ausdruck  zu  geben 
vermag.  Ist  dem  so  und  existiert  ein  Mensch,  der  diese  Schwierig- 
keiten lösen  kann,  der  den  unterbundenen,  unklaren  Gefühlen  Aus- 
druck zu  geben  vermag,  so  kann  er  sicher  sein,  daß  ihn  die  Welt 
mit  allgemeinem  Jubel  begrüßen  wird.  Wir  können  fast  sagen, 
daß  er  seine  Feder  bloß  über  das  Papier  führen  muß,  damit  die 


Vergleich  der  beiden  Klassifikationen.  39 

Sache  getan  sei.  Ich  spreche  hier  von  jenen  wirklich  erst- 
klassigen Menschen  —  von  den  Wundern  der  Menschheit  —  von 
denen  einer  auf  eine  Million  oder  auf  zehn  Millionen  kommt,  von 
denen  wir  in  dieser  Arbeit  eine  Anzahl  als  Beispiele  vererbter  An- 
lagen finden  werden. 

Noch  ein  anderes  Argument  beweist,  daß  die  Hindernisse  des 
sozialen  Lebens  in  England  nicht  dahin  wirken,  große  Fähigkeiten 
zurückzuhalten.  Die  Anzahl  der  hervorragenden  Männer  ist  näm- 
lich in  England  ebenso  groß,  wie  in  anderen  Ländern,  wo  die 
Hindernisse  geringer  sind.  In  Amerika  ist  die  Kultur  viel  weiter 
verbreitet  als  bei  uns  und  die  Bildung  der  mittleren  und  unteren 
Klassen  ist  bei  weitem  vorgeschrittener,  aber  trotz  alledem 
schlägt  uns  Amerika  sicherlich  nicht  inbezug  auf  erstklassige  Werke 
in  Literatur,  Philosophie  oder  Kunst.  Die  höhere  Art  von  Büchern, 
die  in  Amerika  gelesen  werden,  sind  selbst  bis  auf  die  allerletzte 
Zeit,  in  erster  Reihe  von  Engländern  geschrieben.  Die  Ameri- 
kaner haben  eine  ungeheure  Zahl  von  Leuten  vom  Schlag  eines 
Kongreßmitgliedes  oder  Zeitungsartikelschreibers,  aber  die  An- 
zahl ihrer  wirklich  hervorragenden  Autoren  ist  noch  beschränkter 
als  selbst  bei  uns.  Ich  schließe  daraus,  daß,  wenn  die  Hindernisse, 
die  sich  in  der  englischen  Gesellschaft  dem  Aufsteigen  des  Talents 
entgegenstellen,  so  völlig  enfernt  würden,  als  sie  in  Amerika  ent- 
fernt wurden,  wir  nicht  eine  Bereicherung  an  besonders  hervor- 
ragenden Menschen  zu  verzeichnen  hätten. 

Die  Menschen  scheinen  im  allgemeinen  der  Ansicht  zu  sein, 
daß  der  Weg  zu  hervorragender  Bedeutung  ein  Weg  von  großer 
Selbstverleugnung  ist,  von  welchem  stündliche  Versuchungen  hin- 
weglocken. Vor  diesen  Versuchungen  kann  ein  Mann  in  seinem 
Knabenalter  nur  durch  die  Strenge  eines  Schulmeisters  oder  die 
unaufhörliche  Wachsamkeit  der  Eltern  behütet  werden,  im 
späteren  Leben  aber  von  der  Anziehungskraft  einer  segensreichen 
Freundschaft  und  anderen  günstigen  Umständen.  Das  ist  wahr 
genug  für  die  große  Majorität  der  Menschen,  aber  es  ist  einfach 
nicht  wahr  für  die  Allgemeinheit  jener,  die  großen  Ruf  erworben 
haben.  Die  Biographien  zeigen,  wie  ein  unaufhörlicher  instinktiver 
Hunger  nach  intellektueller  Arbeit  solche  Menschen  verfolgt  und 
drängt.  Werden  sie  gewaltsam  von  dem  Pfad  hinweggedrängt, 
der  zur  hervorragenden  Bedeutung  führt,  so  finden  sie  wieder  den 
Weg  dahin,  so  sicher  als  ein  Verliebter  den  Weg  zu  seiner  Ge- 


40  Vergleich  der  beiden  Klassifikationen. 

liebten  findet.  Solche  Menschen  arbeiten  nicht  um  des  Ruhmes 
willen,  sondern  um  ihren  Hunger  nach  geistiger  Arbeit  zu  be- 
friedigen, gerade  so  wie  Athleten  infolge  ihrer  reizbareren 
Muskeln,  welche  unbedingt  Arbeit  verlangen,  die  Ruhe  nicht  aus- 
halten. Es  ist  höchst  unwahrscheinlich,  daß  irgend  eine  Kon- 
stellation der  Verhältnisse  der  Gehirnarbeit  einen  Stimulus  hinzu- 
bringt, der  sich  mit  dem  vergleichen  läßt,  den  diese  Menschen 
bereits  in  ihrer  Qeistesbeschaffenheit  haben.  Ihrem  Wesen  ent- 
sprechend müssen  die  äußeren  Stimuli  unbestimmmt  und  inter- 
mittierend sein,  die  Anlage  aber  ist  beständig.  Und  sie  gibt  dem 
Menschen  immer  Beschäftigung,  einmal  ringt  er  mit  Schwierig- 
keiten, die  in  ihm  liegen,  dann  wieder  brütet  er  über  seine  noch  un- 
reifen Ideen.  So  macht  die  Anlage  aus  dem  Menschen  einen  gewandten 
und  begierigen  Lauscher,  der  zahllose  fast  unhörbare  Lehren  auf- 
nimmt, die  andere,  weniger  aufmerksam,  sicherHch  überhören. 

Diese  Betrachtungen  leiten  zu  meinem  dritten  Argument 
hinüber.  Ich  habe  gezeigt,  daß  soziale  Hindernisse  einen  Mann 
von  großen  Fähigkeiten  nicht  verhindern  können,  bedeutend  zu 
werden.  Ich  stelle  jetzt  den  Satz  auf,  daß  soziale  Vorteile  einen 
Menschen  von  mäßigen  Fähigkeiten  nicht  auf  diese  Höhe  bringen 
können.  Es  würde  leicht  sein,  zahlreiche  Männer  mit  ziemlichen 
Anlagen  aufzuzählen,  die  durch  alle  möglichen  Unterstützungen 
vorwärts  gebracht  würden,  die  ehrgeizig  sind  und  sich  bis  aufs 
Äußerste  anstrengen,  die  aber  weit  davon  entfernt  sind,  hervor- 
ragende Bedeutung  zu  erlangen.  Sind  sie  große  Peers,  so  werden 
sie  vielleicht  erste  Friedensrichter  einer  Grafschaft,  gehören  sie 
zu  den  großen  Familien  einer  Grafschaft,  so  werden  sie  vielleicht 
einflußreiche  Mitglieder  des  Parlaments  und  lokale  Notabilitäten. 
Sterben  sie,  so  hinterlassen  sie  für  eine  Weile  eine  Lücke  in 
einem  weiten  Kreis,  aber  sie  werden  weder  in  der  Westminster 
Abtei  begraben,  noch  wird  in  der  breiten  Öffentlichkeit  um  sie 
getrauert.  Vielleicht  erhalten  sie  kaum  eine  biographische  Notiz 
in  den  Spalten  der  Tagesblätter. 

Es  ist  schwer,  zwei  große  Gruppen  von  Männern  zu  bilden, 
die  mit  den  gleichen  sozialen  Vorteilen  ausgerüstet  sind,  von  denen 
die  eine  Gruppe  große  ererbte  Gaben  besitzt,  während  die  andere 
sie  nicht  hat.  Ich  kann  auch  nicht  die  Söhne  hervorragender 
Männer  mit  solchen  nichthervorragender  Männer  vergleichen, 
da  vieles,  was  ich  der  Herkunft  zuschreibe,  andere  als  Folge  des 


Vergleich  der  beiden  Klassifikationen.  41 

väterlichen  Beispiels  und  der  väterlichen  Aufmunterung  ansehen 
würden.  Daher  werde  ich  die  Söhne  hervorragender  Männer  mit 
den  Adoptivsöhnen  von  Päpsten  und  anderen  Würdenträgern  der 
römisch  -  katholischen  Kirche  vergleichen.  Der  Nepotismus  ist 
unter  der  Geistlichkeit  ungeheuer  verbreitet.  Er  besteht  darin, 
daß  sie  ihren  Neffen  oder  anderen  nahen  Verwandten  jene  gesell- 
schaftliche Förderung  angedeihen  lassen,  die  gewöhnliche 
Menschen  ihren  Kindern  zuwenden.  Ich  werde  nun  im  Verlauf 
dieser  Arbeit  noch  häufig  zeigen  können,  daß  der  Neffe  eines  her- 
vorragenden Mannes  viel  weniger  Chancen  hat,  selbst  hervor- 
ragend zu  werden,  als  etwa  der  Sohn  dieses  Mannes,  und  daß  ein 
noch  entfernterer  Verwandter  wieder  weniger  Chancen  hat  als 
der  Neffe.  Wir  können  daher,  zum  Zwecke  meiner  Argumen- 
tation einen  passenden  Vergleich  zwischen  den  Erfolgen  der 
Söhne  hervorragender  Männer  und  den  Erfolgen  der  Neffen  und 
entfernteren  Verwandten  hoher  unverheirateter  Geistlicher  der 
römischen  Kirche  ziehen,  die  von  diesen  letzteren  wie  leibliche 
Kinder  behandelt  werden.  Ist  gesellschaftliche  Förderung  wirk- 
lich von  der  größten  Bedeutung,  dann  müssen  die  Neffen  von 
Päpsten  ebenso  häufig  oder  fast  ebenso  häufig  hervorragende  Be- 
deutung erlangen,  als  die  Söhne  anderer  hervorragender  Männer, 
ist  es  nicht  der  Fall,  so  werden  sie  nicht  die  gleiche  Bedeutung 
erlangen. 

Sind  also  die  Neffen  usw.  von  Päpsten  im  großen  ganzen 
ebenso  hoch  emporragend,  als  die  Söhne  anderer  in  gleicher 
Weise  hervorragender  Männer?  Ich  antworte  mit  einem  bestimm- 
ten Nein.  Es  gab  einige  Päpste,  die  Sprößlinge  berühmter 
Familien  waren,  wie  die  Medici,  aber  in  der  ungeheuren  Majorität 
der  Fälle  ist  der  Papst  das  befähigte  Ghed  seiner  Familie.  Ich 
behaupte  nicht,  daß  ich  die  Verwandtschaftsverhältnisse  der 
Italiener  besonders  sorgfältig  bearbeitet  habe,  aber  ich  habe  doch 
genug  davon  gesehen,  um  mit  Recht  sagen  zu  können,  daß  die- 
jenigen Individuen,  die  ihre  Karriere  dem  Nepotismus  verdanken, 
auffallend  unbedeutend  sind.  Der  sehr  häufigen  Kombination  eines 
befähigten  Sohnes  und  eines  hervoragenden  Vaters  entspricht 
unter  den  hohen  römischen  Geistlichen  kein  hervorragender  Neffe 
eines  hervorragenden  Onkels,  Die  gesellschaftliche  Förderung  ist 
die  gleiche,  aber  die  vererbten  Anlagen  fehlen  in  dem 
letzteren  Falle. 


42  Vergleich  der  beiden  Klassifikationen. 

Ich  fasse  noch  einmal  zusammen :  ich  habe  versucht,  bezügUch 
hterarischer  und  künstlerisch  hervorragender  Bedeutung  zu  zeigen: 

1.  daß  Männer  von  hohen  Fähigkeiten  —  selbst  Männer  der 
Gruppe  E  —  leicht  über  Hindernisse  hinwegkommen,  die  ihren 
Grund  in  geringer  sozialer  Herkunft  haben. 

2.  daß  Länder,  in  denen  der  Unbemittelte  weniger  Hinder- 
nisse überwältigen  muß,  als  in  England,  um  emporzukommen, 
zwar  eine  größere  Anzahl  gebildeter  Menschen  hervorbringen, 
nicht  aber  mehr  von  jenen  Individuen  produzieren,  die  ich  als 
hervorragend  bezeichne. 

3.  daß  Männer,  welchen  soziale  Vorteile  in  großem  Ausmaße  zu- 
gute kommen,  unfähig  sind,  eine  hervorragende  Bedeutung  zu  erlan- 
gen, wenn  sie  nicht  überdies  eine  hohe  natürliche  Begabung  besitzen. 

Es  scheint  nicht  unangebracht,  hier  einige  ergänzende  Be- 
merkungen über  die  geringe  Wirkung  einzuschalten,  die  eine  gute 
Ausbildung  auf  einen  Geist  höchster  Art  zu  haben  pflegt.  Ein 
Jüngling  von  den  Fähigkeiten  G  und  X  ist  von  der  gewöhnlichen 
Schulausbildung  fast  unabhängig.  Er  bedarf  nicht  fortwährend 
eines  Lehrers,  der  ihm  die  Schwierigkeiten  erklärt  und  die  passen- 
den Lektionen  auswählt.  Im  Gegenteil,  er  ist  bei  jeder  Gelegen- 
heit rezeptiv.  Er  lernt  aus  jeder  flüchtigen  Bemerkung  mit  einer 
Raschheit  und  Gründlichkeit,  welche  die  anderen  nicht  verstehen. 
Er  ist  ein  Vielfresser  auf  geistigem  Gebiet,  er  verschlingt  ein  gut 
Teil  mehr,  als  er  verwerten  kann,  aber  indem  er  einen  nur 
geringen  Prozentsatz  seiner  Nahrung  verarbeitet,  verfügt  er 
dennoch  im  ganzen  über  einen  ungeheuren  Vorrat.  Der  beste 
Weg  für  den  Lehrer  eines  solchen  Knaben  ist,  ihn  allein  zu  lassen, 
indem  er  ihn  nur  hier  und  dort  ein  wenig  lenkt  und  die  gar  zu 
sehr  abUegenden  Tendenzen  zügelt. 

Es  ist  der  reine  Zufall,  daß  ein  Mensch  schon  in  seiner  Jugend 
für  den  Beruf  bestimmt  wird,  für  den  er  die  größte  spezielle  Be- 
rufung hat.  Der  Leser  wird  in  der  Folge  an  der  Hand  der  kurzen 
biographischen  Notizen,  die  ich  gebe,  bemerken,  daß  die  berühm- 
testen Männer  sich  oft  von  der  Laufbahn,  die  ihre  Eltern  ihnen 
vorschrieben,  losrissen  und  ohne  Rücksicht  auf  die  Unkosten  dem 
obersten  Befehl  ihrer  eigenen  Natur  folgten.  Kurz  gesagt,  sie 
erziehen  sich  selbst.  D'Alembert  ist  ein  schlagendes  Beispiel  für 
diese  Art  von  Selbstvertrauen.  Er  war  ein  Findling  (wir  werden 
späterhin  sehen,  daß  er  aus  einer  tüchtigen  Rasse  stammte,  was 


Vergleich  der  beiden  Klassifikationen.  43 

die  Fähigkeit  anlangt)  und  wurde  als  Armenkind  zu  der  Frau 
eines  dürftigen  Glasers  in  Kost  gegeben.  Die  unüberwindliche 
Tendenz  des  Kindes  zu  höheren  Studien  konnte  weder  durch  den 
Spott  und  die  Abmachungen  seiner  Pflegemutter  zurückgedrängt 
werden,  noch  durch  die  Sticheleien  seiner  Schulkollegen,  noch 
durch  die  Warnungen  seines  Schullehrers,  der  nicht  imstande  war 
ihn  zu  würdigen;  nicht  einmal  die  wiederholte  gründliche  Ent- 
täuschung wirkte,  als  er  fand,  daß  seine  Ideen,  von  denen  er  wußte, 
daß  sie  originell  waren,  doch  nicht  neu,  sondern  schon  lange 
vorher  von  anderen  entdeckt  worden  waren.  Natürlich  dürfen 
wir  erwarten,  daß  ein  Knabe  dieser  Art  zehn  Jahre  oder  mehr 
in  scheinbar  hoffnungslosem  Kampf  zubringt;  aber  ebenso  können 
wir  erwarten,  daß  er  schließlich  Erfolg  hat,  und  d'Alembert  errang 
Erfolg,  als  er  mit  24  Jahren  zu  den  ersten  Berühmtheiten  gehörte. 
Der  Leser  braucht  nur  in  diesem  Buche  weiter  zu  blättern,  um 
zahlreiche  Beispiele  eines  solchen  Auftauchensaus  der  Dunkelheit  zu 
finden,  den  höchsten  Entmutigungen  in  früher  Jugendzeit  zum  Trotz. 
Eine  reiche  Natur  setzt  gewöhnlich  die  Periode,  in  der  die 
rezeptiven  Eigenschaften  des  Menschen  am  schärfsten  sind,  so 
lange  fort,  daß  eine  mangelhafte  Ausbildung  in  der  Jugend  im 
späteren  Leben  rasch  ersetzt  wird.  Die  Ausbildung,  die  Watt, 
der  große  Erfinder,  erhielt,  war  von  rein  elementarem  Charakter. 
Während  seiner  Jugend-  und  Manneszeit  war  er  von  mecha- 
nischen Spezialfragen  in  Anspruch  genommen.  Erst  im  vor- 
gerückten Alter  hatte  er  die  Muße,  sich  zu  bilden,  und  doch  war 
er  als  alter  Mann  merkwürdig  gut  belesen  und  genau  in  weitem 
Umkreise  informiert.  Julius  Caesar  Scaliger  war  unter  seinen 
Zeitgenossen  und  seinen  unmittelbaren  Nachfolgern  als  Gelehrter 
so  berühmt,  als  ein  Mensch  es  nur  sein  kann.  In  seiner  Jugend 
genoß  er,  glaube  ich,  keinerlei  gelehrte  Bildung.  Bis  zu  neunund- 
zwanzig Jahren  war  er  Soldat,  dann  führte  er  ein  zielloses  Berufs- 
leben, in  dem  er  alles  versuchte  und  bei  nichts  verblieb.  Zuletzt 
warf  er  sich  auf  Griechisch.  Seine  ersten  Publikationen  er- 
schienen, als  er  siebenundvierzig  Jahre  alt  war;  von  diesem 
Lebensalter  ab  bis  zu  seinem  eigentlich  frühzeitigen  Tode  er- 
langte er  seinen  bemerkenswerten  Ruf,  der  nur  von  dem  seines 
Sohnes  überragt  wurde.  Knabenalter  und  Jugendzeit,  also  die  Zeit 
zwischen  fünfzehn  und  zweiundzwanzig,  die  für  die  große  Majori- 


44  Vergleich  der  beiden  Klassifikationen. 

tat  der  Menschen  die  einzige  Periode  ist,  wo  sie  intellektuelle 
Tatsachen  auf-  und  Gewohnheiten  annehmen,  sind  in  dem  Leben 
von  Menschen  der  allerhöchsten  Art  eben  gerade  sieben  Jahre,  die 
nicht  mehr  und  nicht  weniger  wichtig  sind,  als  eine  andere  Zeit 
ihres  Lebens.  Die  Menschen  sind  allzu  geneigt,  sich  über  ihre 
unvollkommene  Ausbildung  zu  beklagen,  indem  sie  zu  verstehen 
geben,  daß  sie  große  Dinge  verrichtet  hätten,  wenn  die  Umstände, 
unter  denen  sie  ihre  Jugend  verbrachten,  günstiger  gewesen 
wären.  Wenn  jedoch  ihre  Lernfähigkeit  in  der  Zeit,  wo  sie  ihr 
Bedürfnis  nach  Wissen  entdeckten,  materiell  abgenommen  hat,  so 
ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  ihre  Fähigkeiten  nicht  besonders 
groß  sind.  Solche  Menschen  hätten  zwar  eine  bessere  Bildung, 
aber  schwerlich  wirklich  mehr  Erfolg  erringen  können. 

Selbst  wenn  ein  Mensch  sich  sehr  lange  seiner  Kräfte  unbe- 
wußt ist,  so  tritt  doch  der  Zufall  immer  und  immer  wieder  an 
jeden  Menschen  heran,  den  sie  ihm  aufdeckt.  Er  wird  das  Ver- 
säumte rasch  nachholen  und  in  der  Rennbahn  des  Lebens  Mit- 
bewerber überholen,  die  viele  Jahre  vor  ihm  begonnen  haben. 
Zwischen  Gehirn-  und  Muskelmenschen  besteht  eine  unver- 
kennbare Analogie  in  der  Art,  wie  sie  ihre  Ansprüche  auf  den 
Vorrang  vor  weniger  begabten  aber  besser  ausgebildeten  Mit- 
bewerbern entdecJiCn  und  behaupten.  Ein  Durchschnittsseemann 
klettert  in  der  Takelage  und  ein  Durchschnitts-Alpenführer  klimmt 
die  Abhänge  entlang  mit  einer  Schnelligkeit,  welche  einem 
Menschen,  der  fern  von  Schiffen  und  Bergen  aufgezogen  wurde, 
wunderbar  dünken.  Besitzt  er  jedoch  eine  außerordentliche  Be- 
gabung für  diese  Hantierungen,  so  wird  ein  leichter  Versuch  sie 
ihm  aufdecken,  und  er  wird  die  Lücken  seiner  Ausbildung  rasch 
nachholen.  Ein  geborener  Gymnastiker  wird  seinerseits  die  See- 
leute bald  durch  seine  Leistungen  überraschen.  Ehe  die  Reise 
halb  um  ist,  wird  er  sie  übertreffen,  wie  ein  entwischter  Affe.  Ein 
Beispiel  für  diesen  Satz  kann  ich  selbst  erbringen.  Jeden  Sommer 
kommt  es  vor,  daß  irgend  ein  junger  Engländer,  der  vorher  nie 
seinen  Fuß  auf  Fels  oder  Gletscher  gesetzt  hat,  in  den  Alpen  einen 
rp.erkwürdig  hohen  Grad  als  Tourist  erreicht. 

Bisher  habe  ich  nur  von  Schriftstellern  und  Künstern 
gesprochen,  welche  jedoch  die  Hauptmasse  jener  250  Individuen 
bilden,  die  aus  einer  Million  der  Bevölkerung  hervorragende  Be- 
deutung erlangen.    Die  Beweisführung,  die   für    sie    stimmt,  er- 


Vergleich  der  beiden  Klassiftkationen.  45 

fordert  große  Modifikationen,  wenn  sie  auf  Politiker  und  Feld- 
herrn angewendet  werden  soll.  Die  berühmtesten  Politiker 
und  Feldherrn  gehören  ohne  Frage,  zum  mindesten  was  ihre 
Fähigkeiten  anlangt,  zu  den  Klassen  F  und  Q,  aber  daraus  folgt 
keineswegs,  daß  ein  englischer  Minister,  wenn  er  ein  Lord  mit 
großem  Grundbesitz  ist,  zu  diesen  Klassen  gehört,  oder  selbst  zu 
den  zwei  oder  drei  nächst  niederen.  Soziale  Vorteile  sind  von 
ungeheurer  Macht,  wenn  es  sich  darum  handelt,  einen  Menschen  in 
eine  so  hervorragende  Stellung  als  Staatsmann  zu  bringen,  daß  es 
unmöglich  ist,  ihm  das  Prädikat  „hervorragend"  zu  versagen,  ob- 
gleich es  mehr  als  wahrscheinlich  ist,  daß,  wenn  er  in  seiner  Wie- 
ge vertauscht  und  in  Niedrigkeit  auferzogen  worden  wäre,  er  nie- 
mals aus  seiner  einfachen  Lebensstellung  hervorgetreten  wäre. 
Andererseits  haben  wir  gesehen,  daß  die  Vereinigung  dreier  ge- 
trennter Eigenschaften  —  Intelligenz,  Fleiß  und  Arbeitskraft  — 
nötig  sind,  um  einen  Menschen  aus  seiner  Umgebung  herauszu- 
ziehen. Nur  zwei  dieser  Eigenschaften,  nämlich  Intelligenz  und 
Arbeitskraft,  werden  von  einem  Menschen  verlangt,  den  man  ins 
öffentliche  Leben  hinausstößt;  denn  ist  er  einmal  drin,  so  wird 
sein  Interesse  so  angeregt  und  die  Konkurrenz  erweist  sich  als 
so  heftig,  daß  selbst  ein  gewöhnhcher  Geist  den  nötigen  Ansporn 
erhält.  Viele  Menschen  also,  die  als  Politiker  Erfolg  gehabt 
haben,  wären  in  keiner  Weise  hervorgetreten,  wenn  sie  auf  einer 
niedrigeren  Lebensstufe  zur  Welt  gekommen  wären:  ihnen  hätte 
der  Fleiß  gefehlt,  um  emporzusteigen.  Talleyrand  hätte  sein 
Leben  wie  andere  grands  seigneurs  verbracht,  wenn  ihm  nicht 
durch  einen  Familienrat  infolge  seiner  Mißgestalt  sein  Erstgeburts- 
recht entzogen  worden  wäre.  So  wurde  er  in  den  Strudel  der 
französischen  Revolution  geschleudert.  Der  ungeheure  Anreiz 
des  öffentlichen  Kampfspiels  überwand  seine  eingefleischte  In- 
indolenz,  und  er  entwickelte  sich  zu  einem  der  ersten  Männer  der 
Epoche;  sein  Platz  ist  gleich  nach  Napoleon  und  Mirabeau.  Die 
Herrscher  gehören  wieder  zu  einer  eigenen  Kategorie.  Die  Eigen- 
schaften, die  dem  Führer  einer  großen  Nation  am  meisten  ent- 
sprechen, sind  nicht  die  gleichen,  wie  die,  welche  im  Privatleben 
zu  hervorragender  Bedeutung  führen.  Hingabe  an  bestimmte 
Studien,  zähe  Ausdauer,  ein  offenes  und  heiteres  Wesen 
im  Gesellschaftsverkehr  sind  wichtige  Eigenschaften,  um  sich  in 
der  Welt  hervorzutun,  aber  sie  entsprechen  nicht  einem  Herrscher, 


46  Vergleich  der  beiden  Klassifikationen. 

Er  muß  vielen  Interessen  und  Meinungen  mit  gerechtem  Auge 
gegenübertreten,  er  muß  es  verstehen,  seine  Liebhngsidee  dem 
populären  Druck  zu  opfern,  er  muß  in  seiner  Freundschaft  re- 
serviert und  muß  auch  fähig  sein,  allein  zu  bleiben.  Anderer- 
seits bedarf  ein  Herrscher  nicht  so  sehr  intellektueller  Kräfte,  die 
für  einen  gewöhnlichen  Menschen  das  Wichtigste  sind,  um  empor- 
zusteigen, da  ihm  als  Herscher  die  besten  Kopfe  des  Landes  zu 
Diensten  stehen.  Infolgedessen  ziehe  ich  in  meiner  Arbeit  nicht 
die  Familien  von  lediglich  befähigten  Herrschern  heran,  sondern 
beschränke  mich  auf  jene,  deren  mihtärische  und  administrative 
Fähigkeiten   als   erstklassig   bekannt  sind. 

Was  die  Feldherren  anlangt,  so  mögen  die  Eigenschaften, 
welche  einen  Menschen  zur  Peerswürde  aufsteigen  lassen, 
spezieller  Art  sein,  die  ihn  in  gewöhnlichen  Zeiten  nicht  zu  her- 
vorragender Bedeutung  bringen  würden.  Die  Strategie  ist  eine 
Spezialität,  wie  das  Schachspiel,  und  es  gehört  viel  Übung  .dazu, 
um  sie  zu  entwickeln.  Man  kann  schwer  absehen,  in  welchem 
Maße  strategische  Begabung  im  Verein  mit  einer  eisernen  Ge- 
sundheit und  einem  Hang  zur  Unruhe  in  Friedenszeiten  Hervor- 
ragendes leisten  kann.  Diese  Eigenschaften  können  einen  Men- 
schen eher  zur  Fuchshatz  treiben,  wenn  er  Geld  genug  hat,  oder 
sie  machen  aus  ihm,  wenn  das  nicht  der  Fall  ist,  einen  unglücklichen 
Spekulanten.  Die  Folge  davon  ist,  daß  Generäle  höherer,  aber 
nicht  der  wirklich  höchsten  Ordnung,  wie  etwa  Napoleons  Mar- 
schälle und  Cromwells  Generäle  selten  hervorragende  Verwandte 
haben.  Ganz  anders  liegt  der  Fall  bei  den  berühmtesten  Feld- 
herren. Sie  sind  viel  mehr  als  Strategen  und  Menschen  mit 
einem  Hang  zur  Unruhe;  sie  hätten  sich  unter  allen  Umständen 
ausgezeichnet.  Ihre  Verwandtschaft  ist  äußerst  bemerkenswert, 
wie  ich  noch  in  meinem  Kapitel  über  die  Feldherren  zeigen  werde, 
welches  Namen  wie  Alexander,  Scipio,  Hannibal,  Caesar,  Marl- 
borough,  Cromwell,  Prinz  von  Nassau,  Wellington  und  Napoleon 
umfaßt. 

Genau  die  gleichen  Bemerkungen  gelten  für  die  Demagogen. 
Wer  über  die  Oberfläche  emporragt  und  eine  hervorstechende 
Rolle  in  einer  bewegten  Zeit  spielt,  muß  Mut  und  Charakterstärke 
besitzen,  aber  er  muß  nicht  immer  hohe  intellektuelle  Talente  haben. 
Es  ist  sogar  seiner  Tätigkeit  angemessener,  wenn  der  Intellekt 
eines  solchen  Menschen  beschränkt  und  einseitig  ist  und  seine  Ge- 


Vergleich  der  beiden  lüassifikationen.  47 

mütsart  verdrießlich  und  verbittert.  Das  sind  nicht  Eigenschaften, 
die  in  gewöhnlichen  Zeiten  zu  hervorragender  Bedeutung  führen. 
Daher  sind  auch  die  Familien  solcher  Leute  völlig  unberühmt. 
Die  Verwandten  aber  von  populären  Führern  der  höchsten  Art, 
wie  die  der  beiden  Gracchen,  der  beiden  Arteveldes  oder  Mira- 
beaus  sind  berühmt. 

Ich  möchte  eine  Gruppe  von  Fällen  erwähnen,  die  mir  ein 
vollkommen  schlagender  Beweis  dafür  sind,  daß  Feldherrn - 
talente,  die  vollkommen  ausreichen,  um  den  Betreffenden  in  un- 
ruhigen Zeiten  zu  hervorragender  Bedeutung  zu  bringen,  viel 
weniger  selten  sind,  als  man  im  allgemeinen  annimmt.  Nur  bleiben 
sie  im  gewöhnlichen  Verlauf  des  Lebens  unbeachtet.  In  belagerten 
Städten,  wie  z.  B.  während  des  großen  Indischen  Aufstands,  taucht 
sehr  häufig  ein  gewisser  Typus  auf.  Menschen  werden  allgemein 
bekannt,  die  sich  bis  dahin  nie  hervorgetan  haben  und  die  in  ihre 
frühere  Lebensweise  zurücksinken,  wenn  die  Gelegenheit  für  ihre 
Energie  vorüber  ist.  So  lange  die  Gefahr  und  das  Elend  dauerten, 
waren  sie  die  Helden  der  Situation  gewesen.  Sie  waren  in  der 
Gefahr  kaltblütig,  im  Rat  verständig,  in  langen  Leiden  heiter, 
gegen  die  Verwundeten  und  Kranken  waren  sie  menschlich,  und 
die  Verzagten  ermutigten  sie.  Solche  Menschen  treten  nur  unter 
Ausnahmebedingungen  hervor.  Sie  haben  den  Vorteil  einer  zu 
zähen  Art,  um  durch  Angst  und  physisches  Elend  zermalmt  zu 
werden,  und  vielleicht  brauchen  sie  gerade  in  Folge  dieser  star- 
ken Zähigkeit  einen  besonders  scharfen  Stimulus,  um  sie  zu  allen 
Tätigkeiten  aufzustacheln,  deren  sie  fähig  sind. 

Das  Resultat  von  dem,  was  ich  gesagt  habe,  ist  der  Nachweis, 
daß  bei  Staatsmännern  und  Feldherrn  bloße  „hervorragende  Be- 
deutung" durchaus  kein  genügendes  Kriterion  für  solche  natürliche 
Gaben  ist,  die  einen  Menschen,  unter  was  für  Umständen  immer 
er  aufgezogen  wurde,  bemerkbar  machen.  Andererseits  müssen 
Staatsmänner  hoher  und  Feldherren  der  allerhöchsten  Art,  die 
alle  Gegner  schlagen,  wunderbar  begabt  sein.  Der  Leser  muß 
selbst  die  Fälle  prüfen,  wo  im  einzelnen  ihre  verschiedene  Ver- 
dienste als  Beweise  ererbter  Gaben  angeführt  sind.  Ich  habe  ver- 
sucht, nur  von  den  allerberühmtesten  Namen  zu  sprechen.  Es 
hätte  zu  falschen  Schlüssen  geführt,  wenn  ich  eine  größere  An- 
zahl genommen  hätte  und  so  zu  einem  niedrigeren  Niveau  hinunter- 
gestiegen wäre. 


48  Vergleich  der  beiden  Klassifikationen. 

Ich  sehe  schhcßlich  keinen  Grund,  der  dagegen  spricht,  hohen 
Ruf  als  ein  sehr  zuverlässiges  Anzeichen  hoher  Fähigkeiten  zu 
nehmen.  Die  Art  des  Beweises  wird  nicht  verändert,  wenn  ein 
Versuch  gemacht  wird,  den  Ruf  eines  jeden  Menschen  mit  seinen 
Verdiensten  in  Übereinstimmung  zu  bringen.  Jeder  Biograph  tut 
das  Gleiche.  Besäße  ich  das  kritische  Talent  eines  St.  Beuve,  ich 
würde  einfach  in  die  Literatur  noch  eine  der  zahlreichen  Meinungs- 
äußerungen werfen,  aus  deren  Gesamtzahl  aller  Ruf  der  Menschen 
sich  aufbaut. 

Ich  fasse  noch  einmal  zusammen:  ich  bin  überzeugt,  daß  kein 
Mensch  einen  sehr  hohen  Ruf  erlangen  kann,  ohne  im  Besitze  sehr 
großer  Fähigkeiten  zu  sein,  und  ich  hoffe  zuverlässig,  daß  ich 
Gründe  genug  dafür  angeführt  habe,  daß  nur  wenig  Menschen, 
welche  sehr  große  Fähigkeiten  besitzen,  es  nicht  zu  hervor- 
ragender Bedeutung  bringen. 


Bezeichnungssystem. 

Ich  bitte  meine  Leser  sich  von  dem  ersten  Einblici^  in  das 
Bezeichnungssystem,  das  ich  anwende,  nicht  abschrecken  zu 
lassen,  denn  es  ist  wirklich  sehr  einfach  zu  verstehen  und  leicht  zu 
behalten.  Es  war  mir  unmöglich,  mich  ohne  etwas  derartiges  zu 
behelfen,  da  ich  unsere  gewöhnliche  Nomenklatur  viel  zu  un- 
bestimmt und  ebenso  zu  schwerfällig  finde,  um  sie  in  diesem 
Buch  zu  verwenden. 

So  haben  z.  B.  die  Bezeichnungen  „Onkel",  „Neffe",  „Groß- 
vater" und  „Enkel"  je  zwei  verschiedene  Bedeutungen.  Ein  Onkel 
kann  der  Bruder  des  Vaters  oder  der  Bruder  der  Mutter  sein;  der 
Neffe  kann  der  Sohn  eines  Bruders  oder  der  Sohn  einer  Schwester 
sein  usw.  Es  gibt  vier  Arten  leiblicher  Vettern,  nämlich  die  Söhne 
der  beiden  möglichen  beschriebenen  Onkel  und  die  der  korres- 
pondierenden Tanten.  Es  gibt  sechzehn  Arten  leiblicher  Vettern 
„in  zweiter  Linie",  denn  A.  kann  entweder  der  Sohn  eines  der 
vorhin  erwähnten  vier  Vettern  oder  eines  der  vorhin  erwähnten 
vier  Basen  von  B.  sein  oder  B.  kann  in  einem  dieser  Verwandt- 
schaftsverhältnisse zu  A.  stehen.  Ich  brauche  wohl  nicht  noch 
mehr  Beispiele  anzuführen,  um  zu  illustrieren,  was  ich  gesagt  habe. 
Eine  grenzenlose  Verv/irrung  würde  eintreten,  wenn  ich  mich  bei 
meiner  Arbeit  auf  unsere  gewöhnliche  Nomenklatur  beschränken 
wollte. 

Das  Bezeichnungssystem,  dessen  ich  mich  bediene,  befreit  uns 
von  dieser  verwirrten  und  schwerfälligen  Sprache.  Es  legt  die 
Familienbeziehungen  in  einer  wunderbar  vollständigen  und  be- 
friedigenden Art  auseinander  und  setzt  uns  in  den  Stand,  metho- 
disch vorzugehen,  zu  vergleichen  und  zu  analysieren,  wie  immer 
wir  wollen. 

G  a  1 1 0  n  ,  Genie  und  Vererbung.  4 


50  Bezeichnungssystem. 

Ganz  allgemein  gesprochen  und  ohne  den  Druck  zu  beachten, 
in  dem  die  Lettern  gesetzt  sind,  steht  V.  für  Vater,  Q.  für  Groß- 
vater, 0.  für  Onkel,  N.  für  Neffe,  B.  für  Bruder,  S.  für  Söhn  und 
E.  für  Enkel. 

Diese  Buchstaben  sind  groß  gedruckt,  wenn  die  verwandt- 
schaftliche Beziehung,  die  ausgedrückt  werden  soll,  durch  die 
männliche  Linie  geht,  und  klein,  wenn  es  sich  um  die  weibliche 
Linie  handelt.  O.  ist  also  der  Onkel  väterlicherseits,  G.  der  Groß- 
vater väterlicherseits,  N.  ist  ein  Neffe,  der  der  Sohn  eines  Bruders 
ist,  E.  ist  ein  Enkel,  der  das  Kind  eines  Sohnes  ist.  So  is  o.  wieder 
der  Onkel  mütterlicherseits,  g.  der  Großvater  mütterlicherseits, 
n.  ist  ein  Neffe,  der  der  Sohn  einer  Schwester  ist,  e.  ist  der  Enkel, 
der  das  Kind  einer  Tochter  ist. 

Genau  die  gleichen  Buchstaben  werden  in  Kursivschrift  ver- 
wendet für  die  weiblichen  Verwandten.  So  bedeutet  z.  B.  0.  ent- 
sprechend O  eine  Tante,  die  die  Schwester  eines  Vaters  ist  und 
ebenso  steht  o.  o.  gegenüber,  um  auszudrücken,  daß  eine  Tante 
die  Schwester  einer  Mutter  ist. 

Aus  diesem  Bezeichnungssystem  folgt,  daß  V.  B.  und  S.  immer 
groß  gedruckt  sind  und  daß  die  ihnen  entsprechenden  Bezeich- 
nungen für  Mutter,  Schwester  und  Tochter  immer  in  kleiner 
Kursivschrift  ausgedrückt  sind  als  v.  h.  und  s. 

Der  Leser  muß  in  Gedanken  das  Wort  sein  vor  den  Buch- 
staben einschieben,  der  das  Verwandtschaftsverhältnis  bezeichnet 
und  ebenso  war  danach  hinzufügen.    Man  muß  also 

Adams,  John:  zweiter  Präsident  der  Vereinigten  Staaten; 

S.  John  Quincey  Adams,  sechster  Präsident; 

E.  C.    F.    Adams,    amerikanischer    Minister    in    England, 

Schriftsteller 
lesen  — 

sein  (d.  h.  des  John  Adams)  Sohn  war  John  Quincey 

Adams, 

s  e  i  n  (d.  h.  des  John  Adams)  Enkel  w  a  r  C.  F.  Adams. 
Die  folgende  Tabelle  faßt  alle  Bezeichnungen  zusammen. 
Die  letzte  Erklärung,  die  ich  noch  zu  geben  habe,  ist  die  Be- 
deutung der  Klamimern  [  ],  die  manchmal  einen  Buchstaben  ein- 
fassen.   Sie  besagen,  daß  die  Person,  zu  deren  Namen  der  ein- 
geklammerte  Buchstabe   gehört,   nicht   genügenden   öffentlichen 


Bezeichnungssystem. 


51 


G 

Großvater 

G 

Großmutter 

er    -Mu 

g 
Großvater 

9 
■  Großmutter 

i          1 

Onkel            Tante 

V 

Vat 

1 

V 

tter 

1 

0 

Onkel 

Ta 
5ter 

1 

0 

nte 

B 

Bruder 

Die  beschriebene 
Person 

1 

b 
Schwes 

N                           N      I 
Neffe                      Nichte  Sohn 

s       n 
Tochter  Neffe 

e 
<elin 

1 

n 
Nichte 

E            E 
Enkel    Enkelin 

e 

Enkel 

Eni 

Ruf  erlangt  hat,  um  in  statistischen  Deduktionen  mit  den  andern 
zusammen  eingereiht  zu  werden. 

Um  das  Nachschlagen  zu  erleichtern,  gebe  ich  noch  eine  Liste 
aller  Buchstaben  und  Doppelbuchstaben,  die  ich  anwende.  So 
schreibe  ich  stets  G.V.  für  Urgroßvater  und  nicht  V.O.,  was  das- 
selbe bedeuten  würde. 


V.  Vater. 
B.  Bruder. 

S.  Sohn. 

Großväter. 
G.  Des  Vaters  Vater, 
g.  Der  Mutter  Vater. 

Enkel. 
E.  Des  Sohnes  Sohn. 
e.  Der  Tochter  Sohn. 

Onkel 
O.  Des  Vaters  Bruder, 
o.  Der  Mutter  Bruder. 

Neffen. 
N.  Des  Bruders  Sohn, 
n.  Der  Schwester  Sohn. 


V.  Mutter. 
b.  Schwester, 
s.  Tochter. 

Großmütter. 
G.  Des  Vaters  Mutter 
g.  Der  Mutter  Mutter. 

Enkelinnen. 
E.  Des  Sohnes  Tochter 
e.  Der  Tochter  Tochter. 

Tanten. 
0.  Des  Vaters  Schwester. 
0.  Der  Mutter  Schwester. 

Nichten. 
N.  Des  Bruders  Tochter. 
n.  Der  Schwester  Tochter. 


52 


Bezeichnungssystem. 


Großonkel. 


Großtanten. 


GB.  Der  Bruder  des  Vaters  des      Gh.  Die  Schwester  des  Vaters 


Vaters. 
gB.  Der  Bruder  der  Mutter  der 

Vaters. 
GB.  Der  Bruder  des  Vaters  der 

Mutter. 


des  Vaters, 
gb.  Die  Schwestern  der  Mutter 

des  Vaters. 
Q6.  Die  Schwester  des  Vaters 

der  Mutter. 


gB.  Der  Bruder  der  Mutter  des      gb.  Die  Schwester  der  Mutter 


Mutter. 

Urgroßväter. 
GV.  Der  Vater  des  Vaters  des 
Vaters. 


der  Mutter. 

Urgroßmütter. 
Gv.  Die  Mutter  des  Vaters  des 
Vaters. 


gV.  Der  Vater  der  Mutter  des      gv.  Die  Mutter  des  Vaters  der 


Vaters. 


Mutter. 


GV.  Der  Vater  des  Vaters  der      Gv.  Die  Mutter  des  Vaters  der 


Mutter. 


Mutter. 


gV.  Der  Vater  der  Mutter  der      gv.  Die  Mutter  der  Mutter  der 
Mutter. 


Großneffen. 


Mutter. 

Großnichten. 


NS.  Der  Sohn  des  Sohnes  des      Ns.    Die   Tochter   des   Sohnes 


Bruders. 
nS.  Der  Sohn  des  Sohnes  dei 
Schwester. 


des  Bruders, 
ns.  Die  Tochter  des  Sohnes  der 
Schwester. 


NS.  Der  Sohn  der  Tochter  des      Ns.  Die  Tochter  der  Tochter 


Bruders. 
mS.  Der  Sohn  der  Tochter  der 
Schwester. 

Urenkel. 


des  Bruders. 
ns.  Die  Tochter   der  Tochter 
der  Schwester. 

Urenkelinnen. 


ES.  Der  Sohn  des  Sohnes  des      Es.  Die  Tochter  des  Sohnes  des 


Sohnes. 


Sohnes. 


eS.  Der  Sohn  der  Tochter  des      es.  Die  Tochter  des  Sohnes  der 


Sohnes. 


Tochter. 


ES.  Der  Sohn  des  Sohnes  der      Es.  Die  Tochter    der  Tochter 


Tochter. 
eS.  Der  Sohn  der  Tochter  der 
Tochter. 


des  Sohnes. 
es.   Die  Tochter    der  Tochter 
der  Tochter. 


Bezeichnungssytem. 


53 


Vettern. 
OS.  Der  Sohn  des  Bruders  des 

Vaters. 
oS.  Der  Sohn  des  Bruders  der 

Mutter. 
OS.  Der  Sohn  der  Schwester 

des  Vaters. 
oS.  Der  Sohn  der  Schwester 

der  Mutter. 

Ur-Urgroßväter. 

(Q.  g,  G  oder  g  gefolgt  von  (G 

oder  g). 

Um  einen   Grad  entfernte 

Vettern. 

Ascendenten. 

(G,  g.  G  oder  g)  gefolgt  von 

(N  oder  n). 

Descendenten. 
(0,  0,  0  oder  o)  gefolgt  von 
(E  oder  e). 

Groß-Großonkel. 
(G,  g,  G  oder  g)  gefolgt  von 
(O  oder  o). 

Ur-Urenkel. 
(E  oder  e)  gefolgt  von  (E  oder 
e). 


Basen. 
Os.  Die  Tochter  des  Bruders 

des  Vaters. 
OS.  Die  Tochter    des    Bruders 

der  Mutter. 
OS.  Die  Tochter  der  Schwester 

des  Vaters. 
OS.  Die  Tochter  der  Schwester 

der  Mutter. 

Ur-Urgroßmütter. 
(G,  g,  G  oder  g  gefolgt  von  (G 

oder  ig). 

Um  einen   Grad  entfernte 

Basen. 

Ascendenten. 

(G,  g,  G  oder  g)  gefolgt  von 

(N  oder  n). 

Descendenten. 
(O,  0,  0  oder  o)  gefolgt  von 
iE  oder  e). 

Groß-Großtanten. 
(G,  g,  G  oder  g)  gefolgt  von 
(0  oder  o). 

Ur-Urenkelinnen. 
(E  oder  e)  gefolgt  von  iE  oder 
e). 


Die  Judges  in  England  zwisclien  1660  und  1865. 

Seit  der  Restauration  der  Monarchie  im  Jahre  1660  bilden 
die  Judges  (Inhaber  hoher  juristischer  Posten)  Englands  eine 
Gruppe,  die  besonders  geeignet  ist,  eine  allgemeine  Orientierung 
über  die  Ausbreitung  und  die  Grenzen  der  Erblichkeit  in  bezug  auf 
geistige  Veranlagung  zu  ermöglichen.  Ein  oberstes  Richteramt  ist 
eine  Garantie,  daß  sein  Träger  mit  außerordentlicher  Fähigkeit 
begabt  ist;  die  obersten  Richter  sind  zahlreich  und  fruchtbar 
genug,  um  eine  entsprechende  Basis  für  statistische  Induktionen 
zu  bieten.  Überdies  existieren  über  eine  Anzahl  von  ihnen  vor- 
zügliche biographische  Abhandlungen.  Wir  werden  also  gut  tun, 
wenn  wir  unsere  Untersuchungen  mit  einer  Erörterung  ihrer  Ver- 
wandtschaftsverhältnisse beginnen.  Wir  kommen  so  rasch  zu 
bestimmten  Resultaten,  die  wir  durch  die  folgenden  Kapitel,  die 
sich  mit  berühmten  Männern  in  anderen  Berufen  beschäftigen, 
noch  kontrollieren  und  vervollständigen  werden. 

Ich  muß  noch  eine  Weile  bei  meiner  Behauptung  ver- 
bleiben, das  Amt  eines  Richters  sei  wirklich  eine  genügende 
Garantie  für  die  außerordentliche  Begabung  des  Betreffenden. 
In  anderen  Ländern  mag  es  anders  sein,  in  England  wissen  wir 
alle,  daß  bei  uns  nie  vom  Obersten  Gerichtshof  die  Rede  ist, 
ohne  daß  man  vor  den  intellektuellen  Talenten  der  Mitglieder 
Ehrfurcht  hat.  Ein  Sitz  im  Obersten  Gerichtshof  ist  ein  hoher 
Preis,  wert,  daß  ihn  der  beste  Mann  erringe.  Ohne  Zweifel 
gibt  es  außer  den  natürlichen  Hindernissen  noch  andere  für 
einen  Mann,  der  aus  der  Gesamtheit  der  Barrister  aufsteigt  und 
zu  einem  obersten  Richteramt  emporklimmt.  Vielleicht  über- 
geben ihm  die  „Attorneys*)  keine  Vertretungen,  solange 
er  ein  junger  „Barrister"**)  ist.    Selbst  wenn  er  ein  erfolgreicher 


*)  Meist  praktische  Geschäftsleute,  die  bei  den  Gerichten  des  Common 

Law  fungierten  und  den  plaidierenden  Barrister  mit  den  nötigen  Instruktiorien 

und  Beweismitteln  versorgten.    Seit  1881  ist  der  Titel  abgeschafft.      D.  Üb. 

♦*)  Rechtsanwalt  an  den  höheren  engl,  und  irisch.  Gerichten,  der  nicht 

wie  die  attorneys  und  solicitors  mit  den  Parteien  verhandeln  darf.     D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  55 

„Barrister"  wird,  so  kann  seine  politische  Partei  vielleicht  wäh- 
rend einer  langen  Periode  nicht  am  Ruder  sein,  wo  er  sonst  für 
das  Avancement  reif  wäre.  Ich  kann  jedoch  nicht  glauben,  daß 
ein  Umstand  dieser  Art  auf  die  Dauer  hindernd  bleiben  kann. 
Wahrhafte  Fähigkeit  macht  sich  unbedingt  fühlbar  und  führt  zur 
Praxis;  was  aber  die  Politik  anlangt,  so  ist  der  Wechsel  der 
Parteien  ausreichend  häufig,  um  fast  jeder  Genration  ge- 
nügende Chancen  zu  bieten.  Auf  jeden  Mann,  der  oberster 
Richter  ist,  kommen  möglicherweise  zwei  andere  Rechtsge- 
lehrte des  gleichen  geistigen  Niveaus,  die  für  diese  Stelle  in 
gleicher  Weise  tauglich  sind,  aber  es  ist  nicht  gut  glaublich,  daß 
es  sich  um  eine  größere  Anzahl  handelt. 

Wenn  nicht  immer  die  ersten,  so  sind  die  Judges  doch 
immer  unter  den  ersten  einer  großen  Gruppe  von  Rechtsge- 
lehrten. Der  Zensus  spricht  von  mehr  als  3000  Barristern,  Ad- 
vokaten und  spezial  pleaders*)  und  man  muß  bedenken,  daß  diese 
Gruppe  nicht  aus  3000  zufälligen  Individuen  besteht;  ein  großer 
Teil  von  ihnen  unterlag  bereits  einer  Auslese,  und  aus  diesen 
hauptsächlich  gehen  durch  eine  abermalige  Auslese  die  Judges 
hervor.  Wenn  ich  sage,  daß  ein  großer  Teil  der  „Barristers" 
bereits  einer  Auslese  unterworfen  war,  so  meine  ich  jene  un- 
ter ihnen,  die  aus  niedrigen  Verhältnissen  stammen,  aber  glän- 
zende natürliche  Gaben  besitzen,  die  sich  schon  als  Knaben  oder 
selbst  als  Kinder  besonders  bemerkbar  machten  und  daher  in 
eine  gute  Schule  geschickt  wurden.  Sie  erlangten  daselbst  Sti- 
pendien und  erwiesen  sich  fürs  College  tauglich,  wo  sie  sich 
wieder  durch  Stipendien  erhielten.  Dann  bezogen  sie  ihre  Pen- 
sion als  Graduierte  einer  Universität,  und  so  fanden  sie  nach  und 
nach  ihren  Weg  zum  Barreau.  Viele  von  ihnen  haben  das  ober- 
ste Richteramt  erreicht.  Die  Abstammung  der  „Lord  Chan- 
cellors"**)  erbringt  den  Beweis  für  meine  Behauptung.  In  der 
Zeit,  über  die  sich  meine  Untersuchungen  erstrecken,  zählt  man 
dreißig.  Davon  war  Lord  Hardwicke  der  Sohn  eines  kleinen 
attorney  aus  Dover,  der  in  kümmerlichen  Verhältnissen  lebte. 
Lord  Eldon  (sein  Bruder  war  Lord  Stowell,  Richter  am  Höch- 
sten Admiralitäts-Gerichtshof)    war    der  Sohn    eines    „Kohlen- 


*)  Juristen,  die  Streitschriften  ausarbeiten.    D.  Üb. 
**)  Großkanzler.    D.  Üb. 


56  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

gruben-Agenten";  Lord  Truro  war  der  Sohn  eines  Gerichtsvoll- 
ziehers, und  Lord  St.  Leonards  (gleich  Lord  Tenterden,  dem 
Chef  des  Gerichtshofs  für  Zivilsachen)  war  der  Sohn  eines 
Barbiers.  Andere  wieder  waren  die  Söhne  von  Geistlichen  in 
beschränkten  Verhältnissen.  Wieder  andere  begannen  mit  ande- 
ren Berufen,  gewannen  jedoch  ungeachtet  des  verfehlten  Anfangs 
ihrer  Laufbahn,  im  späteren  Leben  bald  wieder  den  verlorenen 
Grund  unter  ihren  Füßen  zurück.  Lord  Erskine  war  erst  bei  der 
Marine,  dann  in  der  Armee  und  wurde  dann  erst  barrister.  Lord 
Chelmsford  war  ursprünglich  Seekadett.  Beim  Barreau  findet 
sich  eine  ganze  Anzahl  von  Männern  mit  ebenso  ungünstigen 
Antezedenzien  für  den  Erfolg  als  die  eben  genannten,  die  den- 
noch ebenso  viel  erreichen  wie  sie;  aus  diesem  Grunde  sagte 
ich,  daß  die  barristers  selbst  schon  eine  Gruppe  bilden,  die  einer 
Auslese  unterworfen  war.  Die  Tatsache  also,  daß  jeder  Judge 
aus  den  ersten  Reihen  dieser  3000  gewählt  wurde,  beweist,  daß 
seine  außerordentliche  Befähigung  von  unendlich  höherer  Art 
ist ,  als  wenn  diese  3000  barristers  ausgehobene  Rekruten 
wären,  die  das  Los  aus  der  allgemeinen  Masse  ihrer  Landsleute 
herausgerissen  hätte.  Ich  habe  daher  auch  nicht  nötig,  erst 
Stellen  aus  Biographien  zu  zitieren,  um  zu  beweisen,  daß  jeder 
der  Judges,  dessen  Name  ich  bei  Gelegenheit  heranziehen  werde, 
wirklich  ein  hochbegabter  Mann  ist.  Gerade  um  der  Notwendig- 
keit einer  solch'  weitschweifigen  Arbeit  zu  entgehen,  wählte  ich 
die  Judges  für  mein  erstes  Kapitel. 

Ich  habe  meiner  Besprechung  der  englischen  Judges  das 
wohlbekannte  Buch  von  Foss  „Leben  der  Judges"  zugrunde  ge- 
legt. Es  ist  1865  erschienen,  und  ich  habe  diese  Jahreszahl  als 
Grenze  meiner  Untersuchungen  akzeptiert.  Ich  habe  nur  die- 
jenigen Männer  als  unter  die  Definition  der  „Judges"  fallend  be- 
trachtet, die  auch  er  als  solche  behandelt.  Unter  ihnen  befinden 
sich  die  Judges  der  Courts  of  Chancery  und  Common  Law*) 
und  der  Master  of  the  Rolls**),  aber  nicht  die  Judges  der  Ad- 
miralty***)  oder  der  Court  of  Canterbury.t)  Durch  diese  letz- 
tere Begrenzung  verlor  ich  den  Vorteil.  Lord  Stowel!  aufnehmen 


*)  Kanzleigericht  und  gemeines  Recht. 
**)  Oberkanzleidirektor. 
***)  Admiralitätsamt. 
t)  Höherer  Gerichtshof. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  57 

ZU  können  (Bruder  des  Lords  Chancellor  Eldon),  ebenso  die  be- 
merkenswerte Familie  der  Lushingtons,  diejenige  von  Sir  R. 
Phillimore  und  einige  andere.  Durch  die  zeitliche  Begrenzung 
verlor  ich,  da  ich  mit  dem  Jahr  1865  schloß,  die  kürzlich  er- 
nannten Judges,  so  Judge  Selwyn,  den  Bruder  des  Bischofs  von 
Lichfield  und  auch  Professor  der  Theologie  in  Cambridge. 
Doch  glaube  ich,  auf  Grund  flüchtiger  Untersuchungen,  daß  die 
Verwandten  dieser  letzten  Judges,  allgemein  gesprochen,  keinen 
so  großen  Prozentsatz  an  hervorragenden  Individuen  stellen, 
wie  wir  ihn  bei  den  Judges  meiner  Liste  finden  werden.  Das 
war  auch  zu  erwarten,  da  bekanntermaßen  die  Fähigkeiten  eines 
modernen  Judge  nicht  so  hoch  zu  sein  pflegen,  als  es  früher  der 
Fall  war.  Da  die  Anzahl  der  außerordentlich  begabten  Männer 
die  gleiche  geblieben  ist,  ist  es  unmöglich,  die  neue  Nachfrage 
nach  Rektoren  höherer  Schulen  und  nach  Männern  zahlreicher 
anderer  Berufe,  die  jetzt  befähigten  JüngUngen  offen  stehen,  zu  be- 
friedigen, ohne  ernsthaft  das  Feld  zu  beschränken,  aus  dem  allein 
gute  Judges  ausgesucht  werden  können.  Indem  ich  mit  der  Re- 
staurationen beginne,  die  ich  zum  Ausgangspunkt  gewählt  habe, 
da  vorher  bei  derartigen  Besetzungen  häufig  Mißbrauch  im  In- 
teresse bestimmter  Personen  getrieben  wurde,  verliere  ich  einen 
Lord  Keeper*)  (vom  gleichen  Range  wie  ein  Lord  Chancellor) 
und  seinen  noch  größeren  Sohn,  ebenfalls  Lord  Chancellor,  näm- 
lich die  beiden  Bacon.  Ich  teile  diese  beiden  Tatsachen  mit, 
um  zu  zeigen,  daß  ich  nicht  die  fragliche  Periode  herausge- 
griffen habe,  weil  sie  meiner  Theorie  am  meisten  entspricht,  son- 
dern einfach  deshalb,  weil  sie  mir  am  geeignetsten  scheint,  die 
Wahrheit  aufzudecken,  daß  sich  Anlagen  vererben,  und  weil  sie 
gleichzeitig  für  mich  zur  Untersuchung  am  bequemsten  ist. 

Innerhalb  der  Grenzen,  die  ich  für  meine  Untersuchung 
gezogen  habe,  finde  ich  286  Judges;  109  von  ihnen  haben  einen 
oder  mehrere  hervorragende  Verwandte,  drei  andere  haben  Ver- 
wandte, die  ich  zwar  aufgenommen  habe,  deren  Namen  aber  in 
Klammern  figurieren,  die  daher  nicht  in  den  folgenden  statisti- 
schen Deduktionen  eingeschlossen  sind.  Um  durch  die  rascheste 
Methode  beim  ersten  Anblick  die  Art  und  Weise  zu  zeigen,  wie 
sich  diese  Verwandten  verteilen,  gebe  ich  weiter  unten  eine  Ta- 


*)  Großsiegelbewahrer. 


58 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 


belle,  in  welcher  sie  alle  knapp  aufgeführt  sind.  Diese  Tabelle 
ist  ein  gedrängtes  Verzeichnis  zu  diesem  Kapitel,  das  der  Leser 
nachsehen  muß.  wenn  er  eingehendere  Informationen  wünscht. 

Tabelle  I. 
Verzeichnis  der  Verwandten  von  119  Judges,  in  85  Familien 

gruppiert. 

Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie), 


Abney  O. 

Alibone  G. 

Bedingfield  O. 

Best  (Lord  Wynford)  g. 
Bickersteth  (Lord  Langdale)   o. 

Bramston  V. 

Browne  oS. 

Brougham,  Lord  gB, 

Campbell,  Lord  N. 

Cooper  (Earl  Shaftesbury)  E. 

Copley  (Lord  Lyndhurst)  V. 
De  Grey  (Lord  Walsingham)  S. 

Erle  B. 

2.  Eyre,  Sir  R.  und  Vater  V. 

Forster  V. 

Qurney  S. 

Harcourt,  Lord  G. 

Heath  S. 

Henley  (E.  of  Northington)  V. 

Hotham  B. 


Keating  V. 

King,  Lord  o. 

Lawrence  V. 

Lee  B. 

Mansfield,  Lord  E. 

Milton  B. 

Patteson  S. 

2.  Povis,  Sir  L.  und  Bruder  B. 
2.  Raymond,  Lord  und  Vater  V. 
2.  Reynolds,  Sir  J.  und  Neffe  N. 
Romilly,  Lord*)  S. 

Scott  (Earl  Eldon)  B. 

Sewell  e. 

Thesiger  (Lord  Chelmsford)  S. 
Thurlow,  Lord  B. 

Treby  S. 

(Twisden,  s.  Finch). 
Verney  g. 

Wigram  B. 

Wood  (Lord  Hatherley)         V. 


Zwei  und  drei  Verwandte  (oder  drei  und  vier  in  der  Familie). 


Alderson  V.  0$.  Jervis 

(Bathurst,  Earl,  s.  Buller.)  Lechmere 

Blackburn  B.  g.  Lovell 

Blackstone  S'.  N.  Nares 


V.GN. 
E.o. 

eS.  eE. 
S.B. 


*)  Die  Verwandtschaft  ist  gerechnet  von  Sir  Samuel  Romilly. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 


59 


2.  Buller  und  Bathurst, 


Parker  (E.  of  Macclesfield) 
und  Sir  Thomas  S,  OE. 

Pepys  (E.  of  Cottenham)  Q.g.B. 

Pollock  2  B.  S. 

Rolfe  (Lord  Cranworth)  GN.  gV. 

Scarlett  (Lord  Abinger)       2S. 

Spelman  V.  QV. 

Sutton  (Lord  Manners)      B.  N. 

Talbot,  Lord  V.  N. 

Turner  2  O. 

2.  Wilde,  Lord  Truro  und 
Neffe  B.  N. 

2.  Willes,  Sir  J.  und  Sohn  B.  S. 

Willmot  E.  ES. 

2.  Windham,  Sir  W.  und 

Bruder  B.  E.  (?N. 


Vier  und  mehr  Verwandte  (oder  fünf  und  mehr  in  der  Familie). 

4.  Atkyns,  Sir  R.  und  drei  andere  Q.  V.  B.  e. 

Coleridge*)  S.S.3N.E.NS. 

Denison  4  NS. 

Denman  V.  S.  oS.  oE. 
3.  Viz.  Finch  (Earl  of  Nottingham),  Twisden 

und  Legge  V.2S.  OS.  QN.ES.(?gN). 

2.  Herbert,  Lord  Keeper,  und  Sohn  2  S.2  OS. 

3.  Hyde,  Earl  Clarendon,  und  Vetter  2  0.3  OS.  S. 
Law  (Lord  Ellenborough)  V.  2  S.  2  B. 
(Legge  s.  Finch.) 

Lyttleton**)  B.  V.  o.  g.  eS. 
3.  Näm.  2  Montagu=-'=='0  und  1  North  (Ld. 


Earl 

0. 0.  N. 

Burnet 

Q.V. 

Churchill*) 

OE.n. 

Clarke 

B.o. 

2.  Clive,  Sir  E.  und 

Onkel 

0.  O.E. 

2.  Cx)wper,  Earl  und 

Bruder 

B.NS. 

Dampier 

V.B. 

Dolben 

S.B.gB. 

2.  Erskine,  Lord,  und  Sohn   B.  S". 

2.  Gould,  Sir  H.  und  Enkel  E.  e. 

Hewitt  (Lord  Lifford) 

2S. 

2.  Jeffreys,  Lord  und 

Trevor 

Q.OS. 

Quilford) 


Q.B.2S.2N.2E.NS.5N. 


*)  Die    Verwandtschaft    ist    gerechnet    von    dem    Großherzog    von 
Marlborough. 

**)  Die  Verwandtschaft  ist  gerechnet  von  dem  Dichter  Coleridge. 
***)  Ebenso  von  Lord  Keeper. 
■\)  Ebenso  von  Chief  Justia,  den  ersten  Earl  of  Manchester;  die  beiden 
Neffen  sind  William,  Ch.  B.  E.  und  der  Earl  of  Sandwich;  die  beiden  Enkel, 
der  Earl  of  Helifax  und  James,  Ch.  B.  E.  die  genealogische  Tabelle  am 
Schluß  dieses  Kapitels  erklärt  diese  und  die  anderen  Verwandtschaften  der 
Familie  Montagu. 


60  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865, 

(North,  s.  Montagu.) 

2.  Pratt,  Earl  Camden  und  Sir  J.  V.  S.  n.  nS. 

Somers,  Earl  (s.  aber  Jork)  2iVS.2iVE. 

Trevor,  Lord  g.  V.  S.  O.  OB. 

(Trevor,  Master  of  the  Rolls,  s.  Jeffreys.) 

Vaughan  3  B.  2  N.  e. 

2.  Jorke,  Earl  Hardwicke,  und  Sohn;  in  gewissem 

Sinne  Earl  Somers  2  S.  2  E.  ES. 

Einige  charakteristische  Merkmale  dieser  Tabellen  fallen 
sofort  auf.  Ich  will  sie  hier  nur  kurz  streifen,  um  etwas  später 
auf  die  Details  einzugehen.  In  erster  Reihe  muß  darauf  hin- 
gewiesen werden,  daß  die  Judges  so  stark  untereinander  in  Be- 
ziehung stehen,  daß  109  von  ihnen  sich  auf  nur  85  Familien  ver- 
teilen. Wir  haben  siebzehn  Fälle,  wo  zwei  aus  der  gleichen 
Familie  kommen,  zweimal  drei  und  einmal  vier.  Hierzu  kann 
man  noch  sechs  andere  Fälle  rechnen,  die  sich  aus  Individuen 
zusammensetzen,  deren  Ahnen  schon  vor  dem  Regierungsantritt 
Karls  II.  das  Richteramt  innehatten,  nämlich  Bedingfield,  Forster, 
Hyde,  Finch,  Windham  und  Lyttleton.  Eine  andere  bemerkens- 
werte Tatsache  in  meiner  Tabelle  ist  der  enge  verwandtschaft- 
liche Grad  zwischen  den  einzelnen  Personen.  Die  einfachen 
Buchstaben  kommen  am  häufigsten  vor.  Obgleich  ein  Mensch 
zweimal  so  viel  Großväter  als  Väter  hat  und  wahrscheinlich 
mehr  als  zweimal  so  viel  Enkel  denn  Söhne,  haben  doch  die 
Judges  häufiger  hervorragende  Väter  als  Großväter  und  eben- 
so häufiger  hervorragende  Söhne  als  Enkel.  Im  dritten  Ver- 
wandtschaftsgrad ist  die  Anzahl  hervorragender  Verwandter 
seltener,  obgleich  die  Anzahl  der  Individuen  in  diesen  Graden  in 
doppelter  Proportion  zugenommen  hat.  Hat  ein  Judge  nicht 
mehr  als  einen  hervorragenden  Verwandten,  so  steht  dieser  fast 
immer  im  ersten  oder  zweiten  Verwandtschaftsgrad  zu  ihm. 
So  finden  wir  in  der  ersten  Abteilung  der  Tabelle,  wo  die  Judges 
mit  einem  hervorragenden  Verwandten  aufgezählt  sind,  unter 
39  angeführten  Namen  nur  zwei  Fälle  (s.  Browne  und  Lord 
Brougham),  wo  die  Verwandtschaft  sich  über  den  zweiten  Grad 
hinaus  erstreckt.  Erst  in  der  letzten  Abteilung  der  Tabelle,  wo  ganze, 
reich  mit  Fähigkeiten  begabte  Familien  angeführt  werden,  finden 
sich  hauptsächlich  entfernte  Verwandtschaftsverhältnisse.  Ich 
füge  noch  eine  Tabelle  hinzu,  die  aus  der  vorhergehenden  aus- 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 


61 


gezogen  ist  und  die  diese  Tatsachen  mit  großer  Klarheit  auf- 
deckt. Kolonne  A  enthält  unverändert  die  Tatsachen,  wie  sie 
sich  der  Beobachtung  darbieten,  Kolonne  D  zeigt  den  Prozent- 
satz von  Individuen  in  jedem  Verwandtschaftsgrad  im  Verhält- 
nis zu  je  100  Judges,  die  hervorragende  Bedeutung  erlangt 
haben. 


labelle  II. 


Verwandschaftsgrade. 

A. 

B. 

C. 

D. 

Bezeichnung 

Entsprechender 

E. 

des  Grades 

Buchstabe 

1 

'S  1  Vater 

22  V 







22 

26 

100 

26,0 

9,1 

O  }  Bruder 

30  B 

— 

— 

— 

30 

35 

150 

23,3 

8,2 

-  J  Sohn 

31  S 

— 

— 

— 

31 

36 

100 

36,0 

12,6 

<u 

Großvater 

7  G 

6g 

— 

— 

13 

15 

200 

7,5 

2,6 

2 

Onkel 

9  0 

6  0 

— 

— 

15 

18 

400 

4,5 

1,6 

Ö 

Neffe 

14  N 

2  n 

— 

— 

16 

19 

400 

4,75 

1,7 

<N 

Enkel 

11  E 

5  e 

— 

16 

19 

200 

9,5 

3,7 

Urgroßvater 

1  GV 

1  gV 

0  GV 

OgV 

2 

2 

400 

0,5 

0,2 

<V 

Großonkel 

1GB 

2gB 

0  GB 

OgB 

3 

4 

800 

0,5 

0,2 

•a 
2 

leiblicher 

5 

Vetter 

SOS 

2  oS 

1  OS 

1  oS 

9 

11 

800 

1,4 

0,5 

fO 

Großneffe 

7  NS 

1  nS 

7  NS 

0  ttS 

15 

17 

800 

2,1 

0,7 

Urenkel 

2  ES 

2  eS 

1  ES 

0  eS 

5 

6 

400 

1,5 

0.5 

Alle  weiter   Ent- 

— 

— 

— 

— 

12 

14 

0,0 

0,0 

i 

ernten 

A.  Anzahl  der  hervorragenden  Männer  in  allen  Ver- 
wandtschaftsgraden zu  dem  hervorragendsten  Mann  der  Fa- 
milie (85  Familien). 

B.  Die  vorhergehende  Kolonne  im  Verhältnis  von  100  Fa- 
milien gerechnet. 

C.  Anzahl  der  Individuen  in  jedem  Verwandtschaftsgrad 
im  Verhältnis  von  100  Personen  gerechnet. 

D.  Prozentsatz  der  hervorragenden  Männer  in  jedem  Ver- 
wandtschaftsgrad zu  dem  hervorragendsten  Mitglied  der  aus- 
gezeichneten Familien;  er  wurde  gewonnen,  indem  B  durch  C 
dividiert  und  mit  100  multipliziert  wurde. 


62  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

E,  Prozentsätze  der  vorhergehenden  Kolonnen  reduziert 
auf  das  Verhältnis  von  (286—24,*)  oder)  242  zu  85,  das  nun  auf 
FamiHen  überhaupt  angewandt  wird. 

Die  zweite  Tabelle  gibt  uns  auch  Material  für  eine  ver- 
gleichende Beurteilung  des  Einflusses,  den  männliche  und  weib- 
liche Linien  in  der  Übertragung  der  Fähigkeiten  haben.  Dank 
meinem  Bezeichnungssystem  ist  es  vollkommen  möglich  und 
leicht,  die  beiden  Linien  auf  eine  Weise  zu  trennen,  die  ich  so- 
fort erklären  werde.  Ich  wage  es  nicht,  die  Verwandten  ersten 
Grades  miteinander  zu  vergleichen,  nämlich  die  Väter  mit  den 
Müttern,  die  Söhne  mit  den  Töchtern,  oder  die  Brüder  mit  den 
Schwestern,  da  wir  kein  Kriterion  für  einen  richtigen  Vergleich 
der  natürlichen  Fähigkeit  der  beiden  Geschlechter  haben.  Selbst 
wenn  wir  ein  Mittel  hätten,  sie  zu  prüfen,  wäre  das  Resultat 
doch  irreleitend.  Eine  Mutter  überträgt  männliche  Eigentüm- 
lichkeiten auf  ihr  Kind,  die  sie  selbst  nicht  besitzt,  noch  besitzen 
kann,  und  ebenso  kann  eine  Frau,  die  mit  weniger  Gaben  eines 
männlichen  Typus  ausgestattet  ist,  als  ihr  Gatte,  doch  in  höhe- 
rem Maße  als  er  zu  der  männlichen  intellektuellen  Superiorität 
ihres  Sohnes  beitragen.  Ich  verschob  daher  meine  Unter- 
suchung vom  ersten  auf  den  zweiten  und  dritten  Verwandt- 
schaftsgrad. Was  den  zweiten  Grad  anbelangt,  so  vergleiche 
ich  den  Großvater  väterlicherseits  mit  dem  mütterlicherseits, 
den  Onkel  väterlicherseits  mit  dem  mütterlicherseits,  den  Neffen 
von  der  Bruderseite  mit  dem  von  der  Schwesterseite,  und  den 
Enkel,  der  durch  den  Sohn  gewonnen  wurde,  mit  dem  Enkel, 
den  die  Tochter  geboren  hat.  Nach  dem  gleichen  Prinzip  ver- 
gleiche ich  die  Verwandtschaften  dritten  Grades,  d.  h,  den  Vater 
des  Vaters  des  Vaters  mit  dem  Vater  der  Mutter  der  Mutter 
usw.  Diese  ganze  Betrachtung  läßt  sich  in  der  folgenden  ge- 
drängten Tabelle  deutlich  übersehen: 

Im  zweiten  Grad 


7G-|-90+14N+llE  = 
6gi-6o4-    2n-|-    5e  = 


=  41  Verwandten  unter  denen  männlicherseits. 
19  Verwandten  unter  denen  weiblicherseits. 


*)  D.  h.  286  Judges,   weniger   24   die   als   untergeordnete  Mitglieder 
der  85  Familien  miteinbeschlossen  sind. 


Die  Judges  in  England  zvdschen  1660  und  1865.  63 

Im  dritten  Grad 

1  GV  +  1  GB  4-  5  OS  4-  7  NS  +  2  ES  =  19  Verwandten  unter  denen 

männlicherseits. 

0  ^V  +  0  flrB  -f-  1   oS  -}-  0  nS  +  0  eS  =     1  Verwandter    unter   denen 

weiblicherseits. 

Die  Zahlen  sind  zu  klein,  um  einen  sehr  bestimmten  Schluß 
irgendwelcher  Art  zu  gewährleisten,  aber  sie  reichen  doch  aus, 
um  zu  beweisen,  daß  der  weibliche  Einfluß  in  der  Weitergabe 
von  Fähigkeiten  hinter  dem  männlichen  zurücksteht.  Man  darf 
jedoch  auch  nicht  übersehen,  daß  es  in  erster  Reihe  die  Neffen 
sind,  die  den  Unterschied  zwischen  den  Totalsummen  der  Ver- 
wandten männlicher-  und  weiblicherseits  zweiten  Grades  er- 
zeugen. Aber  gerade  dieser  verwandtschaftlichen  Beziehung 
läßt  sich  weiblicherseits  schwer  nachgehen,  denn  es  ist  eine  be- 
kannte Tatsache,  daß  die  Biographen  von  den  Nachkommen 
der  Schwestern  ihres  Helden  nicht  so  ausführlich  sprechen,  als 
von  denen  ihrer  Brüder,  Was  den  dritten  Grad  anbelangt,  so 
sind  die  Verwandtschaftsbeziehungen  weiblicherseits  viel 
schwerer  aufzudecken,  als  die  nach  der  männlichen  Seite,  und 
ich  zweifle  nicht,  daß  ich  viele  ausgelassen  habe.  Bei  meinen 
früheren  Versuchen  war  die  Bilanz  für  die  weibliche  Seite  noch 
viel  ungünstiger,  sie  reduzierte  sich  nachher  genau  im  Verhält- 
nis zur  Häufigkeit  der  Revision  meiner  Daten.  Obwohl  ich  also 
anfangs  einen  großen  Rest  zu  Ungunsten  der  weiblichen  Linie 
annehmen  zu  müssen  glaubte,  meine  ich,  daß  wir  Grund  haben, 
zu  glauben,  der  Einfluß  der  Frauen  sei  bei  der  Übertragung 
richterlicher  Fähigkeiten  nur  wenig  geringer  als  der  der  Männer. 

Es  ist  mir  natürlich  schmerzlich,  daß  die  Umstände  es  un- 
möglich machen,  den  Einfluß  der  individuellen  Eigentümlichkeiten 
der  Mutter  auf  ihre  Nachkommenschaft  —  handle  es  sich  nun 
um  gute  oder  schlechte  Eigenschaften  —  zu  schätzen.  Aus  den 
angeführten  Gründen  scheinen  mir  die  Eigenschaften  der  Mutter 
ebenso  wichtige  Elemente  für  meine  Untersuchung  zu  bilden  als 
diejenigen  des  Vaters,  und  doch  bin  ich  aus  Mangel  zuverlässiger 
Informationen  in  einer  großen  Majorität  von  Fällen  gezwungen, 
sie  vollständig  zu  ignorieren.  Nichtsdestoweniger  habe  ich  noch 
zahlreiche  Argumente,  die  beweisen,  daß  Anlagen  sich  vererben. 

Bevor  ich  weitergehe,  muß  ich  meine  Leser  dringend  er- 
suchen, einen  Einwand  fallen  zu  lassen,  der  ihnen  höchst  wahr- 


64  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

scheinlich  in  den  Sinn  kommt  und  dessen  Unhaltbarkeit  ich 
leicht  nachweisen  kann.  Leute,  die  sich  die  Natur  meiner  Argu- 
mente nicht  lebhaft  vorstellen,  haben  beständig  in  folgendem 
Sinn  zu  mir  gesprochen:  „Es  hat  gar  keinen  Wert,  Erfolge  an- 
zuführen, wenn  man  nicht  in  gleichem  Maße  die  gegenteiligen 
Fälle  in  Betracht  zieht.  Hervorragende  Männer  mögen  hervor- 
ragende Verwandte  haben,  aber  sie  haben  auch  sehr  viel  ge- 
wöhnliche Menschen  in  ihrer  Verwandtschaft,  selbst  bornierte, 
und  es  gibt  sogar  einige  darunter,  die  entweder  exzentrisch  oder 
völlig  verrückt  sind."  Ich  gebe  das  alles  vollkommen  zu,  doch 
beeinträchtigt  es  nicht  im  geringsten  die  zwingende  Kraft  meiner 
Argumente.  Wenn  ein  Mensch  kräftige,  gutgebildete  Hunde 
züchtet,  die  aber  einen  gemischten  Stammbaum  haben,  so  wer- 
den die  Jungen  manchmal,  aber  selten  die  Eltern  völlig  gleichen. 
In  den  meisten  Fällen  werden  sie  einen  unbestimmten  Misch- 
typus aufweisen,  da  die  Eigentümlichkeiten  der  Vorfahren  bei 
der  Nachkommenschaft  leicht  wieder  auftauchen.  Nichtsdesto- 
weniger ist  es  leicht,  die  wünschenswerten  Eigenschaften  irgend 
welcher  Hunde  zum  beständigen  Erbstück  einer  neuen  Zucht 
zu  machen.  Der  Züchter  wählt  Generation  um  Generation  die 
Jungen  aus,  die  sich  dem  gewünschten  Typus  am  meisten  an- 
nähern, bis  sie  in  einer  ganzen  Reihe  von  Graden  keine  Ahnen 
mehr  aufweisen,  die  mit  nicht  einwandfreien  Eigentümlichkeiten 
behaftet  sind.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  Männern  und  Frauen. 
Sind  Vater  oder  Mutter  oder  beide  Eltern  eines  Kindes  fähige 
Menschen,  so  folgt  daraus  noch  nicht  mit  Notwendigkeit,  daß 
auch  das  Kind  befähigt  sein  wird,  aber  seine  Chancen  stehen  auch 
nicht  gerade  am  ungünstigsten.  Es  erbt  von  seinen  Großeltern, 
seinen  Urgroßeltern  und  noch  weiter  zurück  liegenden  Ahnen  eine 
außerordentliche  Mischung  von  Eigenschaften,  ganz  ebenso  gut 
wie  von  seinem  Vater  und  seiner  Mutter.  Die  berühmtesten  und  so- 
genannten „rassigen"  Familien  der  Menschheit  sind  „Bastarde", 
was  ihre  natürlichen  Gaben  des  Intellekts  und  des  Charakters 
anlangt. 

Was  ich  zu  beweisen  behaupte,  ist  folgendes:  wenn  wir 
zwei  Kinder  nehmen,  von  denen  das  eine  von  einem  Vater  oder 
einer  Mutter  von  außerordentlicher  Begabung  abstammt  —  sei 
es,  daß  dieser  Mensch  der  erste  von  4000  oder  einer  Million  sei 
—  so  hat  das  erste  Kind  unendlich  größere  Chancen,  in  hohem 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865,  65 

Grade  begabt  zu  sein,  als  das  zweite.  In  gleicher  Weise  folgere 
ich,  daß,  ebenso  wie  bei  Tieren  und  Pflanzen  eine  neue  Rasse 
geschaffen  und  zu  einem  solchen  Grad  von  Reinheit  gebracht 
werden  kann,  daß  sie  sich  in  der  einmal  erworbenen  Weise  er- 
hält, wobei  man  nur  mit  geringer  Sorgfalt,  die  mangelhaftesten 
Glieder  der  Herde  von  der  Fortpflanzung  abzuhalten  hat,  auch  eine 
Rasse  fähiger  Menschen  unter  vollkommen  gleichen  Bedingungen 
gezüchtet  werden  könnte. 

Ich  muß  um  Entschuldigung  bitten,  daß  ich  mit  diesen 
wenigen  Bemerkungen  den  Gegenstand  eines  späteren  Kapitels 
so  völlig  skizzenhaft  und  aus  dem  Stegreif  vorwegnehme; 
doch  bin  ich  wirklich  gezwungen,  so  vorzugehen,  da  ich  aus 
Erfahrung  weiß,  wie  sehr  Menschen,  denen  die  Beweisführun- 
gen, durch  welche  die  Gesetze  der  Vererbung  festgestellt  werden, 
fremd  sind,  dazu  neigen,  meine  Schlüsse  halsstarrig  und  unge- 
hört  zu  verurteilen,  indem  sie  blind  darauf  bestehen,  daß  die 
Einwände,  von  denen  ich  oben  erzählte,  von  überwältigender 
Wucht  sind. 

Ich  will  jetzt  zu  dem  übergehen,  was  wir  aus  den  Ver- 
wandtschaftsverhältnissen der  Judges  lernen  können.  Zuerst 
stelle  ich  die  Frage,  ob  die  befähigteren  Judges  reicher  sind  an 
hervorragenden  Verwandten,  als  diejenigen,  welche  weniger  be- 
fähigt sind?  Wir  können  dieser  Frage  auf  zwei  Arten  näher 
treten,  einmal  können  wir  die  Verwandten  der  law  lords*)  mit 
denen  der  puisne  judges**)  oder  die  der  Chancellors  mit  denen 
der  Judges  im  allgemeinen  vergleichen,  und  weiter  können  wir 
bestimmen,  welche  Personen,  deren  Namen  in  der  dritten  Ab- 
teilung der  I.  Tabelle  eingetragen  sind,  in  Bezug  auf  ihre  Fähig- 
keiten über  dem  Durchschnitt  der  Judges  stehen.  Wir  finden 
nur  wenige  Lord  Chancellors  unter  ihnen.  Innerhalb  der  Gren- 
zen meiner  Untersuchung  befinden  sich  nur  30  von  diesen  hohen 
Würdenträgern,  doch  haben  24  von  ihnen  hervorragende  Ver- 
wandte, während  von  den  (286—30  oder)  256  anderen  Judges 
nur  (114  —  24  oder)  90  hervorragende  Verwandte  haben.  Wir 
sehen  also,  daß  80  p.  c.  der  chancellors  hervorragende  Ver- 
wandte haben,  gegen  36  p.  c.  der  übrigen  Judges.     Die  Pro- 


*)  Peers  des  englischen  Parlaments,  die  ein  hohes  richterliches   Amt 
bekleidet  haben.    D.  Üb. 

**)  Ehemaliger  Beisitzer  an  englischen  oberen  Courts  of  Law.    D.  Üb. 
G  a  1 1  o  n ,  Genie  und  Vererbung.  5 


66  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

Portion  wäre  noch  größer,  wenn  ich  die  chancellors  oder  die 
anderen  law  lords  mit  den  puisne  judges  verglichen  hätte. 

Die  andere  Probe,  die  ich  vorschlage,  ist  in  gleicher 
Weise  befriedigend.  Betreffs  der  außerordentlich  hervorragenden 
Befähigung  der  Männer,  deren  Namen  in  der  dritten  Abteilung 
der  I.  Tabelle  aufgeführt  sind,  kann  kein  Zweifel  sein.  Man 
wird  gegen  mein  Verfahren  vielleicht  Einspruch  erheben  und 
geltend  machen,  die  Lord  Chancellors  hätten  mehr  Gelegenheiten 
als  die  anderen  Judges,  durch  Mißbrauch  ihrer  amtlichen  Stellung 
Verwandte  in  hervorragende  Stellungen  zu  drängen.  Ich  kann  mich 
auch  diesen  Einwänden  gegenüber  nur  auf  das  beziehen,  was 
ich  bereits  über  den  Ruf  eines  Menschen  als  Beweis  seiner  Fä- 
higkeiten gesagt  habe  und  eine  kurze  Liste  der  bemerkenswerte- 
ren Fälle  von  Verwandtschaft  mit  Lord  Chancellors  geben,  wel- 
che meines  Erachtens  in  genügender  Weise  jenen  Einwänden 
begegnen.    Es  sind: 

1)  Earl  Bathurst  und  seiner  Tochter  Sohn,  der  berühmte 
Judge,  Sir  F.  Buller.  2)  Earl  Camden  und  sein  Vater,  Chief 
Justice*)  Pratt.  3)  Earl  Clarendon  und  die  bemerkenswerte  Fa- 
milie der  Hyde,  in  welcher  sich  zwei  Onkel  und  ein  Vetter  als 
englische  Judges  finden,  daneben  ein  wallisischer  Judge  und  viele 
andere  bedeutende  Männer.  4)  Earl  Cowper,  sein  Bruder  der 
judge  und  sein  Großneffe  der  Dichter.  5)  Lord  Eldon  und  sein 
Bruder  Lord  Stowell.  6)  Lord  Erskine,  sein  Bruder  der  Lord 
Advocate  von  Schottland,  ein  hervorragender  Rechtsgelehrter, 
und  sein  Sohn,  der  Judge.  7)  Earl  Nottingham  und  die  äußerst 
bemerkenswerte  Familie  Finch.  8)  9)  10)  Earl  Hardwicke  und 
sein  Sohn,  gleichfalls  ein  Lord  Chancellor,  der  plötzlich  starb 
und  der  Großonkel  dieses  Sohnes,  Lord  Somers,  ebenfalls  Lord 
Chancellor.  11)  Lord  Herbert,  sein  Sohn  ein  Judge,  seine  Vettern 
Lord  Herbert  of  Cherbury  und  George,  der  Dichter  und  Theologe. 
12)  Lord  King  und  sein  Onkel,  John  Locke,  der  Philosoph.  13) 
Der  niederträchtige,  aber  äußerst  begabte  Lord  Jeffreys  hatte 
einen  Vetter,  der  ihm  vollkommen  glich,  nämlich  Sir  J.  Trevor, 
Master  of  the  Rolls.  14)  Lord  Guilford  gehört  einer  Familie  an, 
die  Mitglieder  von  einer  so  merkwürdigen  richterlichen  und 
staatsmännischen  Befähigung  verkettet,  daß  ich  fast  daran  ver- 


*)  Ehemaliger  Präsident  des  Court  of  Common  Pleas. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660    und  1865.  67 

zweifle,  ihr  gerecht  zu  werden.  Man  müßte  einen  kleinen  Band 
mit  der  Beschreibung  dieser  Familie  allein  ausfüllen.  Sie  weist 
dreißig  erstklassige  Männer  auf,  die  in  naher  verwandtschaft- 
licher Beziehung  zu  einander  stehen,  die  Montagus,  Sydneys, 
Herberts,  Dudleys  und  andere  mit  einbegriffen.  15)  LordTruro 
hatte  zwei  befähigte  leibliche  Brüder,  von  denen  einer  Chief 
Justice  am  Kap  der  guten  Hoffnung  war;  sein  Neffe  ist  ein  eng- 
lischer Judge,  der  kürzlich  Lord  Penzance  geworden  ist.  Ich 
nenne  hier  noch  Lord  Lyttleton,  den  Lord  Keeper  Karls  I.,  ob- 
gleich viele  Mitglieder  seiner  äußerst  bemerkenswerten  Familie 
nicht  in  den  Rahmen  meiner  Untersuchung  fallen.  Sein  Vater, 
der  Chief  Justice  von  Nord-Wales,  heiratete  eine  Tochter  von 
Sir  J.  Walter,  dem  Chief  Justice  von  Sud-Wales.  Ihr  Bruder 
war  gleichfalls  ein  englischer  Judge.  Sie  gebar  ihm  den  Lord 
Keeper  Lyttleton  und  ebenso  einen  Judge  Sir  Timothy.  Der 
Sohn  von  Lord  Lyttletons  Tochter  (sie  heiratete  einen  Vetter) 
war  Sir  T.  Lyttleton,  der  Speaker  of  the  House  of  Commons.*) 

Wir  haben  also  ausreichend  Grund  anzunehmen,  daß  die 
Verwandten  der  Lord  Chancellors  an  natürlichen  Gaben  bedeu- 
tend reicher  sind,  als  diejenigen  der  anderen  Judges. 

Ich  will  noch  einen  anderen  Beweis  für  die  Vererbung 
von  Fähigkeiten  bringen.  Ich  vergleiche  die  Anzahl  der  Ein- 
tragungen in  den  Abteilungen  der  I.  Tabelle  untereinander.  Wenn 
wir  annehmen,  daß  natürliche  Gaben  vom  bloßen  Zufall  her- 
rühren und  nicht  mit  der  Herkunft  zusammenhängen,  müßten  die 
Eintragungen  sich  in  Übereinstimmung  mit  dem  Gesetz  verteilen, 
das  die  Verteilung  des  Zufalls  überhaupt  beherrscht.  Wenn  die 
Wahrscheinlichkeit  eins  zu  hundert  wäre,  daß  ein  Mitglied  ir- 
gend einer  Familie  innerhalb  gewisser  gegebenen  Verwandt- 
schaftsgrenzen einen  Lotteriepreis  gewinnt,  so  wäre  die  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  drei  Mitgliedern  der  gleichen  Familie  das 
gleiche  widerfährt,  eins  zu  einer  Million  (ungefähr,  aber  nicht 
genau,  da  die  Größe  der  Familie  begrenzt  ist)  und  die  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  sechs  Mitglieder  der  Familie  einen  Lotterie- 
preis gewinnen,  eins  zu  einer  MiUion  MiUionen.  Wenn  also 
natürliche  Begabung  vom  reinen  Zufall  abhinge,  müßte  die  erste 
Abteilung  der  I.  Tabelle  unendlich  länger  sein  als  die  zweite 


*)  Vorsitzender  des  englischen  Unterhauses. 

5* 


68  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

und  die  zweite  unendlich  länger  als  die  dritte;  doch  dem  ist 
nicht  so.  Wir  sehen  fast  ebenso  viel  Fälle  mit  zwei  oder  drei 
hervorragenden  Verwandten,  wie  solche  mit  einem;  den  neun- 
unddreißig Fällen  der  ersten  Abteilung  stehen  nicht  weniger  als 
fünfzehn  in  der  dritten  allein  gegenüber. 

Es  ist  also  klar,  daß  Befähigung  nicht  zufällig  verstreut 
ist,  sondern  an  gewissen  Familien  haftet. 

Wir  gehen  zu  einem  dritten  Beweis  über. 

Wenn  Anlagen  sich  vererben,    wie  ich  behaupte,    dann 
müssen  auch  die  charakteristischen  Merkmale  eines  Judge  häufig 
auf  seine  Nachkommen  übergehen.     Die  Majorität  der  Judges 
gehörten  zu  einem  scharf  ausgeprägten  Typus.    Sie  sind  nicht 
Männer,  die  sich  durch  Gefühle  hinreißen  lassen,  die  Abgeschie- 
denheit und  ein  Traumleben  lieben,  sie  sind  vielmehr  glänzende 
Mitglieder  einer  ganz  anders  gearteten  Gruppe,  einer  Gruppe, 
die  die  Engländer  zu  ehren  besonders  geneigt  sind,  wenigstens 
in  den  sechs  Tagen  der  Woche,  die  dem  bürgerlichen  Leben 
gehören.    Ich  meine,  daß  sie  kräftige,  scharfsinnige,  praktische, 
hilfreiche  Männer  sind;    sie  heben  sich  glänzend  ab    in    dem 
Kampfgetriebe    des   öffentlichen   Lebens,    sie   haben    eine    zähe 
Natur  und  einen  gesunden  Magen,  sie  schätzen,  was  Geld  ein- 
bringt, lieben  Stellung  und  Einfluß  und  gründen  gern  eine  Fa- 
milie.   Die  Körperfrische  der  Judges  ist  durch  die  Tatsache  be- 
wiesen, daß  das  Durchschnittsalter,  in  dem  sie  ernannt  wurden, 
unter  den  drei  letzten  Regierungen  siebenundfünfzig  Jahre  be- 
trug.    Die  Arbeit  und  die  Verantwortung  ihres  Amtes  scheint 
den  Außenstehenden  ungeheuer,  und  doch  setzen  diese  ältlichen 
Männer  ihre  Arbeit  viele  Jahre  mit  Leichtigkeit  fort;  sie  sterben 
durchschnittlich    mit    fünfundsiebzig    Jahren    und    üben    meist 
ihren  Beruf  bis  zuletzt  aus.     Erben  nun  ihre  Söhne  diese  be- 
^  merkenswerten    Gaben    und    Eigentümlichkeiten?     Haben    die 
Judges  oft  Söhne,  die  ihnen  in  dem  gleichen  Beruf  folgen,  wo 
der  Erfolg  ausgeschlossen  wäre,  wenn  sie  nicht  die  spezifischen 
Eigenschaften  ihrer  Väter  besäßen?    Die  beste  Antwort  ist  eine 
Liste  von  Namen.     Sie  wird  für  den  Leser,  der  dem  Rechts- 
leben nahesteht,  von  großem  Interesse  sein;  die  anderen  können 
sie  überblättern  und  gleich  zu  den  Resultaten  übergehen. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  69 

Judges  von  England  und  andere  hohe  Würdenträger  aus  dem 
Richterstande,  zwischen  1660  und  1865,  welche  verwandt  waren 

oder  sind. 

(Jene  Fälle,  wo  beide  Verwandte  Engiish  judges  sind,  bezeichne 

ich  mit  einem  *.) 

(Wegen  der  Abkürzungen  s.  S.  88.) 

Väter.  Söhne. 

*)  Atkyns,  Sir  Edward,  B.  E.  /  Sir  Robert,  Chief  Just.  ü.  P. 

(Karl  IL)  ^  Sir  Edward  B.  E.  (Jak.  IL). 

Atkyns,     Sir    Richard,     Chief  Sir  Edward  B.  E.  (Karl  IL). 

Just.  N.  Wales 

*)  Bramston,  Sir  Francis.  Chief  Sir  Francis,  B.  E.  (Karl  IL). 

K.  B.  (Karl  L)t) 

Coleridge,   Sir   John,  Just.   Q.  Sir  John  Duke,  Solic.-Gen.*) 

B.  (Vict.) 

Dolben,    Sir  Wm.  Just.  K.  B.  Sir  Gilbert,  Just.  C.  P.  Ireland; 

(Will.  III.)  .  ern.  z.  Bart. 

*)  Erskine,  T.,    ern.  zum  Lord  Hon.  Sir  Thomas,  Just.  C.  P. 

Erskine;  Lord  Chan.  (Vict.). 

*)  Eyre,   Sir  Samuel,    Just.  K.  Sir  Robert,    Chief  Just.  C.  P. 

B.  (Will.  III.)  (Georg  IL). 

Finch,  Heneage,  L.  Ch.  ern.  E.  Heneage,    Solic.-Gen.;    ern.    z. 

von  Nottingham  Earl  Aylesford. 

Finch,  Sir  Heneage,  Syndikus  Heneage,  Lord  Chane,  ern.  z. 

von  London  Earl  v.  Nottingham. 

*)  Forster,  Sir  James,  Just.  C.  Sir  Robert,    Chief  Just.   K.  B. 

P.  (Karl  I.)  (Karl  IL). 

Gurney,  Sir  John,  B.  E.  (Vict.)  Rt.  Hon.  Russell  Gurney,  Syn- 
dikus V.  London. 

*)  Herbert,  Sir  Edw.  Lord  Kee-  Sir  Edward,  Chief  Just.  K.  B. 

per  (Karl  IL)  (Jak.  IL). 

Hewitt,    James,    ern.    z.    Lord  Joseph,  Just.  K.  B.  Irland. 

Lifford,  Just.  K.  B. 

Jervis  — ,  Chief  Just.  v.  Chester  Sir    John,    Chief    Just.    C.   P. 

(Vict.). 


t)  Ich  zähle  die  Väter  der  Judges  unter  Karl  II.   mit,   da  die  Judges 
der  jetzigen  Regierung  noch  zu  jung  sind,  um  Judges  als  Söhne  zu  haben. 
*)  Hoher  juristischer  Beamter  der  Krone  ohne  Sitz  im  Kabinett. 


70  Die  Jadges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

Law,  Edw.,  ern.  z.  Lord  Ellen-  Chas.    Ewan,    Parlamentsmit- 

borough,  Ch.  K.  B.  glied,  Syndikus  v.  London. 

*)  Pratt,  Sir  John,  Chief  Just.  Earl     Camden,    Lord    Chane. 

K.  B.  (Georg  IL)  (Georg  III.). 

*)  Raymond,  Sir  Thomas,  Just.  Robert,    ern.  z.  Ld.  Raymond, 

C.  B.  Ch.  K.  B.  (Georg  IL). 

Romilly,    Sir    Samuel,    Solic.  Ern.  z.  Lord  Romilly,  Master 

Gen.  of  Rolls  (Vict.). 

*)  Willes,  Sir  John,  Chief  Just  Sir  Edward,  Just.  K.  B.  (Georg 

C.  P.  (Georg  III.)  III.). 

*)  Yorke,  Philip,  Lord  Chane.  Hon.     Charles,    Lord     Chane. 

ern.  z.  Earl  Hardwicke  (Georg  III.). 


Brüder. 

*)  Atkyns,  Sir  Robert,  Chief  C.  Sir  Edward,  B.  E.  (Jak.  IL). 

P.  (Will.  III.) 

Cowper,    Wm.,    ern.    z.    Earl  Sir  Spencer,  Just.  C.  P.  (Georg 

Cowper,  Ld.  Chane.  IL). 

Erskine,  T.,   ern.  z.  Ld.  Ers-  Henry,    zweimal   Lord   Advo- 

kine,  Ld.  Chane.  cate  v.  Schottland. 

M  ^     e-    r.  u    *   ^u-  <  LT   D  f  Sir  Frederick,  ein  Judge  in  S. 

Hyde,  Sir  Robert,  Chief  K.  B.  I         Wales 

^^^^^  "-^  1  Judge  der  Admiralität. 

Lee,  Sir  William,  Chief  K.  B.  George,   Dean  of  Archest)  usw. 

(Georg  IL) 

*)  Lyttleton,  Lord,  Lord  Kee-  Sir  Timothy,  B.  E.  (Karl  IL). 

per  (Karl  I.) 

North,  F.,  ern.  z.  Earl  v.  Gull-  Roger,  Attorney-Gen.  d.  Köni- 

ford,  Ld.  Chane.  gin. 

Pollock,   Sir   F.,   Chief   B.   E.  Sir  David,  Chief  Just.  Bombay. 

(Vict.) 

*)  Powis,  Sir  Lyttleton,  Just.  Sir     Thomas,     Just.     K.     B. 

K.  B.  (Georg  I.)  (Georg  L). 

Scarlett,  Sir  J.,    ern.  z.  Lord  Sir  Wm.  Ch.  Just.  Jamaica. 

Abinger,  Ch.  B.  E. 


t)  Richter  eines  frühen  unter  dem  Erzbischof  v.  Canterbuiy  stehenden 
geistlichen  Apellationsgerichtshofes.    D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  71 

Scott,  John;  ern.  z.  Earl  v.  El-  William,   ern.   z.   Ld.   Stowell, 
don,  Ld.  Chane.  Judge  Adm. 

Wilde,  T.,  ern.  z.  Ld.  Truro,  Sir  — ,  Ch.  Just  Kap  d.  guten 
Ld.  Chane.  Hoffnung. 

*)  Wynham,   Sir  Hugh,    B.  E.  Sir  Wadham,  B.  E.  (Karl  II.). 
(Karl  II.) 

Großväter.  Enkel. 

*)  Atkyns,  Sir  Robt.  Chief  C.     Sir  J.  Tracy  (nahm  den  Namen 
P.  (Will.  III.)  Atkyns     an)      Kanzleige- 

riehtssekretär  B.  E.  (Qeorg 
III.). 
Burnet  — ,  Schottischer  Judge,     Sir  Thomas  Burnet,  Just.  C.  P. 

Ld.  Cramond 
*)  Gould  Sir  Henry,  Just.  Q.  B.      Sir  Henry  Oould,  Just.  C.  P. 

(Anna)  (Qeorg  III.). 

Jeffreys  — ,  Judge  in  N.  Wales     Jeffreys,    Lord,     Ld.    Chane. 

(Jak.  IL). 
Finch,    H.,    Solic.,    ern.    z.    E.      Hon.  H.  Legge,  B.  E.  (Georg  IL). 

Aylesford 
Walter,  Sir  E.,  Chief  Just.  S.     Lyttleton,  Sir  T.  B.  E.  (Karl  IL). 

Wales 
*)  Heath,  Sir  R.,  Chief  K.  B.     Verney,  Hon.  Sir  J.,  Master  of 
(Karl  I.)  Rolls. 

Von  den  286  Judges  ist  jeder  neunte  entweder  der  Vater, 
der  Sohn  oder  der  Bruder  eines  andern  Judge;  andere  Verwandte 
eines  nahen  Grades,  die  hohe  richterliehe  Würden  bekleiden,  sind 
noch  häufiger.  Man  kann  nicht  länger  zweifeln,  daß  der  spezielle 
Typus  einer  bestimmten  Befähigung,  die  für  einen  Judge  nötig  ist, 
häufig  mit  der  Abstammung  übermittelt  wird. 

Der  Leser  muß  sich  vor  der  Vermutung  hüten,  die  Judges 
hätten  wenig  hervorragende  Verwandte  in  anderen  Lebensbe- 
rufen und  Kreisen,  da  so  viele  ihrer  Angehörigen  richter- 
liehe Befähigung  aufweisen.  Man  könnte  eine  lange  Liste  allein 
von  solchen  aufstellen,  die  Bisehöfe  und  Erzbischöfe  zu  Ver- 
wandten haben.  Nicht  weniger  als  zehn  Judges,  von  denen  Sir 
Robert  Hyde  in  der  vorstehenden  Tabelle  figuriert,  haben  einen 
Bischof  oder  Erzbischof  zum  Bruder.    Von  den  übrigen  hatte  Sir 


72  Die  Judges  in  England  zwischen   1660  und  1865. 

William  Dolben  einen  Erzbischof  von  York  zum  Bruder  und  war 
selbst  der  Sohn  der  Schwester  eines  andern,  nämlich  von  John 
Williams,  der  auch  der  Lord  Keeper  Jakobs  I.  war.  Wir  finden 
auch  Fälle  von  verwandten  Dichtern  unter  den  Judges,  wie 
Cowper,  Coleridge,  Milton,  Sir  Thomas  Overbury  und  Waller, 
ebenso  zahlreiche  Verwandte,  die  Romanciers,  Ärzte,  Admiräle 
und  Generäle  waren.  Mein  Verzeichnis  am  Ende  dieses  Kapitels 
behandelt  die  einzelnen  Individuen  nur  sehr  knapp,  aber  es  ent- 
hält die  Namen  sehr  großer  Männer,  deren  Taten  große  Bände 
füllten.  Bei  der  Abfassung  dieses  Buches  gehört  es  zu  meinen 
größten  Nachteilen,  daß  ich  fühlen  muß,  wie  Namen,  die  vor 
meinem  Auge  jetzt  nie  mehr  auftauchen,  ohne  daß  ich  Respekt 
und  Verehrung  vor  den  großen  Eigenschaften  jener  empfinde, 
die  sie  einst  trugen,  in  den  Augen  meiner  meisten  Leser  viel- 
leicht unwichtig  und  bedeutungslos  sind,  wenigstens  in 
den  Augen  aller  jener,  die  nie  Gelegenheit  hatten,  sich  mit  der 
Geschichte  dieser  Männer  zu  befassen.  Ich  weiß,  wie  groß  meine 
eigene  Unwissenheit  in  Bezug  auf  die  Persönlichkeit  der  großen 
Männer  früherer  Generationen  war,  ehe  ich  mich  mit  ihren  Bio- 
graphien beschäftigte,  und  ich  habe  daher  vollauf  Grund  anzu- 
nehmen, daß  viele  meiner  Leser  in  dieser  Hinsicht  nicht  besser 
orientiert  sind,  als  ich  es  war.  Eine  Schar  von  Männern,  zu 
denen  ich  gelernt  habe  aufzusehen,  wie  zu  den  Helden  einer 
hehren  Walhalla,  wird  von  denen,  die  mit  den  Tatsachen  der 
biographischen  Geschichte  nicht  vertraut  sind,  wie  eine  Ansamm- 
lung bloßer  Honoratioren  betrachtet. 

Die  Namen  der  North  und  Montagu  unter  den  Judges  führen 
uns  in  einen  bemerkenswerten  Schlag  hervorragender  Männer 
ein,  der  endlich  in  den  Stammbaum  der  Montagus  übergeht  und 
ebenso  in  den  der  Sidneys  (s.  das  Kapitel  „Literaten"), 
deren  Naturgeschichte  —  wenn  ich  mir  den  Ausdruck  gestatten 
darf  —  einige  Seiten  gewidmet  sein  sollen.  In  ihren  Stamm- 
bäumen findet  sich  kaum  ein  Name,  der  nicht  von  mehr  als  ge- 
wöhnlicher hervorragender  Bedeutung  ist;  viele  von  ihnen  sind 
berühmt.  Sie  sind  in  ihren  Verwandtschaftsbeziehungen  eng  mit- 
einander verknüpft  und  erstrecken  sich  über  zehn  Generationen. 
Die  wichtigsten  Wurzeln  dieser  verbreiteten  Befähigung  liegen 
in  den  Geschlechtern  der  Sidney  und  Montagu  und  in  einem  ge- 
ringeren Grade  in  dem  der  North. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  73 

Das  Blut  der  Sydneys  —  ich  meine  die  Nachkommen  von 
Sir  William  Sydney  und  seiner  Ehefrau  —  hat  in  zwei  ver- 
schiedenen Kombinationen  einen  außerordentlichen  Einfluß.  Zuerst 
in  Verbindung  mit  den  Dudleys,  woraus  in  der  ersten  Generation 
Sir  Philip  Sydney,  sein  hervorragender  Bruder  und  seine  gleich- 
falls hervorragende  Schwester  entstehen;  in  der  zweiten  Gene- 
ration finden  wir  hier  wenigstens  einen  hervorragenden  Mann; 
in  der  dritten  Algernon  Sidney  mit  seinem  befähigten  Bruder 
und  seiner  vielgerühmten  Schwester.  Die  zweite  Vermischung 
des  Sydney'schen  Blutes  erfolgte  mit  den  Harringtons,  die  in  der 
ersten  Generation  einen  Fürsten  des  Schrifttums  und  Elisabeth, 
die  Mutter  des  großen  und  äußerst  bemerkenswerten  Geschlechts 
hervorbrachte,  welches  in  meiner  genealogischen  Tabelle  den 
Hauptanteil  hat. 

Das  Blut  der  Montagu,  wie  es  Sir  Edward,  der  1644  im 
Tower  starb,  repräsentiert,  ist  von  drei  verschiedenen  Quellen 
abgeleitet.  Sein  Urgroßvater  (qY)  war  Sir  John  Finnieux,  Chief 
Justice  von  des  Königs  Bench;  sein  Großvater  (g)  war  John 
Roper,  Attorney-Qeneral*)  Heinrichs  VIII.  und  sein  Vater  — 
weitaus  der  bedeutendste  von  den  dreien  —  war  Sir  Edward 
Montagu,  Chief  Justice  des  Königs  Bench.  Der  Sohn  des  Chief 
Justice,  Sir  Edward  Montagu  heiratete  Elisabeth  Harrington,  von 
der  ich  eben  sprach,  und  hatte  eine  große  FamiUe,  die  an  sich 
selbst  und  in  ihren  Nachkommen  äußerst  bemerkenswert  wurde. 
Ich  nenne  blos  die  Titel,  die  sie  erlangten:  in  der  ersten  Gene- 
ration erhielten  sie  zwei  Pairswürden,  die  Grafentitel  von  Man- 
chester und  die  Baronie  von  Montagu;  in  der  zweiten  bekamen 
sie  zwei  mehr,  den  Grafentitel  von  Sandwich  und  die  Baronie 
von  Capel;  in  der  dritten  fünf  mehr,  die  Herzogswürde  von  Mon- 
tagu, die  Grafentitel  von  HaUfax  und  Essex,  die  Baronie  von 
Guilford  und  eine  neue  Baronie  von  Capel  (zweite  Ver- 
leihung), in  der  vierten  einen  mehr,  die  Herzogswürde  von  Man- 
chester (der  Ministerpräsident  von  1701),  in  der  fünften  einen  mehr, 
den  Grafentitel  von  Guilford.  Der  zweite  Earl  von  Guilford,  der 
Ministerpräsident  Georgs  III.  (am  bekanntesten  als  Lord  North) 
gehört  zur  sechsten  Generation. 

Es  ist  mir  ganz  unmöglich,  die  Charakteristiken  aller  Indi- 


*)  Korwann   alt.    D.  Üb. 


74  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

viduen  zu  geben,  die  in  meinem  Stammbaum  vermerkt  sind.  Ich 
könnte  es  nicht  tun,  ohne  weit  mehr  Raum  darauf  zu  verwenden, 
als  ich  erübrigen  kann.  Aber  das  eine  kann  und  muß  ich  tun; 
nämlich  die  herausgreifen,  die  enger  mit  den  Judges  verknüpft 
sind  und  zeigen,  daß  sie  vollgiltige  Fähigkeiten  besaßen 
und  ihre  hohen  Stellungen  nicht  bloßer  Protektionswirtschaft, 
noch  ihren  Ruf  dem  Zufall  der  Geburt  oder  Umständen  irgend 
welcher  Art  verdankten.  Ich  wül  es  gern  unternehmen,  dies  zu 
zeigen,  obgleich  gerade  das  gegenwärtige  Beispiel  meine  Sache 
in  ein  besonders  unvorteilhaftes  Licht  rückt.  Francis  North,  Lord 
Keeper  und  erster  Baron  von  Quilford,  ist  der  Mann  vor  allen 
anderen  in  dieser  hohen  Stellung  (die  identisch  oder  ungefähr 
gleich  mit  einem  Lord  Chancellor  ist),  den  neuere  Autoritäten 
um  die  Wette  verunglimpfen  und  verdammen.  Wer  gegen  meine 
Theorien  opponiert,  wird  vielleicht  sagen,  der  Fall  von  Francis 
North,  der  Lord  Keeper  wurde,  beweise,  daß  es  unmöglich  sei, 
offiziellen  Rang  als  Kriterien  der  Befähigung  zu  nehmen.  Er 
erlangte  seine  Stellung  durch  Protektion  und  protegierte  selbst, 
als  er  oben  war;  er  erbte  Familieneinfluß,  nicht  natürliche  intel- 
lektuelle Gaben,  und  das  Gleiche  ließe  sich  von  allen  Gliedern 
dieses  oder  eines  andern  Stammbaums  sagen.  Wie  ich  schon 
vorher  andeutete,  enthält  dieser  Einwand  soviel  Wahrheit,  daß 
man  ihm  unmöglich  mit  einem  einfachen  Widerspruch  begegnen 
kann,  der  sich  auf  klare  einfache  Ursachen  stützt.  Man  muß  die 
Charaktere  analysieren  und  ein  wenig  auf  die  Details  eingehen. 
Ich  will  das  tun,  und  ich  glaube,  daß  viele  meiner  Leser  am 
Schluß  besser  als  vorher  zu  schätzen  vermögen  werden,  in  welch 
hohem  Maße  natürliche  intellektuelle  Gaben  das  Qeburtsrecht 
einiger  Familien  sind. 

Francis  North,  der  Lord  Keeper,  entstammte  einer  Familie 
von  fünf  Brüdern  und  einer  Schwester.  Das  Leben  dreier  dieser 
Brüder  ist  uns  durch  die  entzückenden  Biographien,  die  ein  an- 
derer Bruder,  Roger  North,  verfaßte,  genügend  bekannt.  Ihre 
Stellung  innerhalb  der  Familie  der  Montagu  ist  leicht  durch  Zu- 
hilfenahme des  Stammbaums  zu  erkennen.  Sie  fallen  in  die  dritte 
jener  Generationen,  die  ich  eben  beschrieben  habe,  in  jene  gerade, 
wo  die  Famüie  eine  Herzogswürde,  zwei  Grafschaften  und  zwei 
Baronien  gewann.  Ihr  Vater  stammte  aus  einer  Gelehrten  -  Fa- 
milie, die  sich  nach  rückwärts  in  einer  Linie  von  nicht  weniger 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1866.  75 

als  fünf  Generationen  fortsetzte.  Der  erste  Lord  North  war  zur 
Zeit  der  Königin  Elisabeth  ein  hervorragender  Rechtsgelehrter, 
und  sein  Sohn  —  ein  befähigter  Mensch  und  Gesandter  —  hei- 
ratete die  Tochter  des  Lord  Chancellors  Rieh.    Sein  Sohn  wieder 

—  der  starb,  bevor  er  die  Pairswürde  erlangte  —  heiratete  die 
Tochter  eines  Masters  of  the  Court  of  Requests*),  und  seine  Ur- 
Urenkel —  die  dazwischen  liegenden  Glieder  waren  mehr  oder 
weniger  ausgezeichnet,  aber  ich  weiß  wenig  von  ihren  Heiraten 

—  waren  die  Brüder  North,  von  denen  ich  eben  spreche. 

Der  Vater  dieser  Brüder  war  der  vierte  Baron  North.  Er 
war  ein  gelehrter  Mann  und  beschrieb  unter  anderen  Sachen  das 
Leben  des  Begründers  seiner  Familie.  Er  war  ein  „sparsamer" 
Mann  und  „außergewöhnlich  tugendhaft  und  mäßig  für  seine  Per- 
son". Der  Stil  seiner  Schriften  war  nicht  so  glänzend  wie  der 
seines  Vaters,  des  zweiten  Barons,  der  geist-  und  flammen- 
sprühend gewesen  sein  soll.  Der  Vater  hatte  in  Versen  und 
Prosa  geschrieben,  und  Walpole  hatte  seine  Gedichte  gelobt.  Die 
Mutter  der  Brüder,  Anne  Montagu,  wird  von  ihrem  Sohn  als  ein 
Ausbund  von  Wohltätigkeit  und  Weisheit  geschildert.  Ich  nehme 
an,  daß  es  der  vierte  Baron  North  war,  von  dem  die  unange- 
nehmen Eigenschaften  von  dreien  der  Brüder  North  herstammen, 
und  zwar  die  Geckenhaftigkeit  des  Lord  Keepers  und  der 
merkwürdig  sparsame,  merkantile  Geist,  der  sich  in  ver- 
schiedenen Formen  am  Lord  Keeper,  dem  Finanzmann  und  dem 
Master  of  Trinity  College**)  zeigte.  Ich  kann  nicht  umhin,  diese 
Eigenschaften  zu  erwähnen,  denn  sie  bilden  auffallende  Züge 
ihrer  Charaktere  und  nehmen  einen  breiten  Raum  in  ihren  Bio- 
graphien ein. 

Ich  denke,  daß  ich  besser  tue,  wenn  ich  beim  Lord  Keeper 
mit  der  schlechten  Seite  seines  Charakters  beginne.  Ist  diese 
einmal  eingeräumt  und  abgetan,  so  wird  der  Rest  meiner  Auf- 
gabe angenehm  und  interessant  sein.  Mit  kurzen  Worten:  der 
Lord  Keeper  wurde  in  Bezug  auf  seinen  öffentlichen  Charakter 
grausam  behandelt.  Lord  Campbell  nennt  ihn  den  widerlichsten 
Mann,  der  ie  das  Groß-Siegel  in  Händen  hielt,  und  sagt,  daß  er 


*)  Forderungsgerichtshof,  urteilt  über  kleine  Schulden.    D.  Üb. 
**)  Geistliches  Colleg,   drei  an  der  Zahl:  in  Cambridge,    Oxford  und 
Dublin.    D.  Üb. 


76  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

während  seines  ganzen  Lebens  sich  durch  die  niedrigsten 
Schhche  um  Beförderungen  bewarb  und  sie  auch  auf  diese  Weise 
erhielt.  Bischof  Burnet  nennt  ihn  schlau  und  verschlagen.  Lord 
Macaulay  beschuldigt  ihn  der  Selbstsucht,  Feigheit  —  und  Niedrig- 
keit. Ich  weiß  von  keinem  Schriftsteller,  außer  seinem  Bruder, 
der  zärtlich  an  ihm  hing,  der  seinen  öffentlichen  Charakter  ge- 
rühmt hätte.  Ich  muß  aber  sagen,  daß  selbst  Lord  Campbell  ein- 
räumt, der  Lord  Keeper  sei  in  all  seinen  Privatbeziehungen 
außerordentlich  liebenswürdig  gewesen,  und  es  gibt  kaum  etwas 
Rühmenderes  als  den  Bericht,  den  wir  über  die  warme  und 
stetige  Zuneigung  zwischen  ihm  und  seinem  Bruder  besitzen, 
der  ihn  überlebte  und  sein  Biograph  wurde.  Ich  bin  jedoch  an 
des  Lord  Keepers  öffentlichem  Charakter  nur  so  weit  interessiert, 
daß  ich  zeigen  will,  er  habe  zwar  ein  höchst  unwürdiges  Vor- 
gehen an  den  Tag  gelegt,  wo  es  sich  um  Beförderungen  handelte, 
und  habe  überdies  Verwandte  in  hohen  Ämtern  besessen,  die  ihm 
helfen  konnten,  daß  er  aber  dennoch  ebenso  wie  seine  Brüder  eine 
wahrhaft  bemerkenswerte  Befähigung  besaß. 

Bischof  Burnet  sagt  von  ihm,  er  habe  nicht  die  Tugenden 
seines  Vorgängers  besessen  (Lord  Nottingham),  aber  er  habe 
auch  Eigenschaften  gehabt,  die  weit  über  diesen  hinausgingen. 
Lord  Campbell  weicht  jedoch  wieder  von  dieser  Meinung  ab  und 
bemerkt,  daß  „ein  Nottingham  nicht  häufiger  als  einmal  in  hundert 
Jahren  aufsteht"  (ich  möchte  den  Leser  an  dieser  Stelle  bitten, 
sich  der  wunderbaren  vererbten  Gaben  der  Familien  Notting- 
ham oder  Finch  zu  erinnern.)  Macaulay  sagt,  sein  Intellekt  sei 
klar  gewesen,  sein  Fleiß  groß,  sein  Wissen  in  Literatur  und 
Wissenschaft  respektabel  und  seine  Qesetzeskenntnis  mehr  als 
respektabel.  Sein  Bruder  Roger  schreibt  über  die  Jugend  des 
Lord  Keeper: 

„Es  war  sonderbar  und  bemerkenswert  an  ihm,  daß  er  neben 
dem  Rechtsstudium,  von  dem  man  im  Allgemeinen  annimmt,  daß 
es  die  ganze  Studienzeit  eines  jüngeren  Gentleman  verschlingt, 
noch  seine  Untersuchungen  in  allen  freien  Künsten,  als  Ge- 
schichte, Humaniora  und  Sprachen  fortsetzte,  wodurch  er  nicht 
nur  ein  guter  Jurist,  sondern  auch  ein  guter  Historiker,  PoUtiker, 
Mathematiker,  Naturforscher  und  ich  muß  hinzufügen,  ein  voll- 
endeter Musiker  ward." 

Der  Hon.  Sir  Dudley  North,  sein  jüngerer  Bruder,  war  ein 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  77 

Mann  von  außerordentlich  hoher  Begabung  und  Kraft.  Er  kam 
als  Jüngling  nach  Smyrna,  wo  seine  guten  Werke  noch  nicht  ver- 
gessen sind  und  wo  er  ein  großes  Vermögen  erwarb;  denn,  nach 
seiner  Rückkehr  nach  England,  erlangte  er  mit  einem  Schlage 
im  Parlament  den  höchsten  Ruf  auf  finanziellem  Gebiet.  In  seiner 
Jugend  hatte  er  eine  unangenehme  Charaktereigenschaft,  aber 
er  überwand  sie  und  entwuchs  ihr.  Er  zeigte  nämlich  anfangs, 
als  er  noch  in  der  Schule  war,  einen  sonderbaren  Hang  zum 
Handel;  dann  verwickelte  er  sich  in  peinliche  Betrugsaffären 
und  geriet  in  Schulden;  später  brachte  er  seine  Eltern  durch 
Betrug  dahin,  die  Schulden  zu  bezahlen.  Zuletzt  machte  er  eine 
gewaltige  moralische  Anstrengung  und  änderte  sich  völlig,  so  daß 
sein  Bruder  seine  Biographie  folgendermaßen  schließt: 

„Wenn  ich  so  frei  sein  darf,  meine  Gedanken  über  seinen 
moralischen  Charakter  auszusprechen,  muß  ich  zugestehen:  Ich 
glaube,  in  allen  merkantilen  Kunststücken  und  in  jegUcher 
Handelslist,  die  er  nur  anwenden  konnte,  um  von  denen  Geld  zu 
erlangen,  mit  denen  er  zu  tun  hatte,  geizte  er  nicht;  was  aber 
Falschheiten  und  Lügen  anlangt,  ...  so  war  er  so  rein  als  je 
ein  Mensch." 

Nach  den  Berichten  der  gleichen  Autorität  scheint  er  ein 
sehr  entwickeltes,  lebhaftes  und  schönes  Kind  gewesen  zu  sein. 
In  der  Schule  kam  er  mit  dem  Bücherlernen  nicht  mehr  recht 
weiter,  da  er  einen  außerordentlichen  Tätigkeitsdrang  hatte; 
dennoch  war  seine  Befähigung  derart,  daß  ein  bißchen  Eifer  ihn 
weit  brachte,  so  daß  er  die  Schule  schließlich  als  mittelmäßiger 
Schüler  verließ.  Er  war  ein  großer  Schwimmer  und  konnte  einen 
ganzen  Nachmittag  im  Wasser  verbringen  (ich  bemerke  das,  da 
ich  noch  Gelegenheit  haben  werde  von  physischen  Gaben  zu 
reden,  die  nicht  selten  intellektuelle  begleiten).  Er  ließ  seine 
Kleider  oft  bei  einem  Türhüter  unterhalb  London  Bridge,  lief  dann 
nackt  über  den  schlammigen  Strand  der  Themse  fast  bis  nach 
Chelsea  hinauf,  um  das  Vergnügen  zu  haben,  mit  der  Flut  zu 
seinen  Kleidern  hinunter  zu  schwimmen,  und  liebte  es,  damit 
zu  schließen,  daß  er  den  Wasserfall  unterhalb  der  alten  Londoner 
Brücke  hinabschoß.  Befinde  ich  mich  in  einem  Dampfer  auf  dem 
Flusse,  so  wundere  ich  mich  oft  über  seine  Leistung. 

Ich  zitiere  noch  aus  seinem  späteren  Leben  Macaulays  Be- 
schreibung seines  ersten  Auftretens  unter  den  englischen  Poli- 


78  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

tikern.  In  seiner  „Geschichte  Englands"  sagt  Macaulay  bei  der 
Beschreibung  der  Periode,  die  dem  Regierungsantritt  Jakob  II, 
unmittelbar  folgte: 

„Die  Person,  der  die  Aufgabe  übertragen  war,  Mittel  und 
Wege  ausfindig  zu  machen,  war  Sir  Dudley  North,  der  jüngere 
Bruder  des  Lord  Keeper.  Dudley  North  war  einer  der  befähigsten 
Männer  seiner  Zeit.  Er  war  in  frühen  Jahren  nach  der  Levante 
geschickt  worden,  wo  er  lange  im  Handel  tätig  war.  Die 
meisten  Menschen  hätten  unter  solchen  Umständen  ihre  Fähig- 
keiten rosten  lassen;  denn  in  Smyrna  und  Konstantinopel  gab  es 
wenig  Bücher  und  wenig  intelligente  Gefährten.  Doch  der  junge 
Geschäftsführer  besaß  eine  jener  kräftigen  Intelligenzen,  die  von 
äußeren  Hilfsmitteln  unabhängig  sind.  In  seiner  Einsamkeit 
dachte  er  gründUch  über  die  Philosophie  des  Handels  nach  und 
ersann  eine  vollständige  und  bewundernswürdige  Theorie,  die  im 
Wesentlichen  die  gleiche  war,  die  hundert  Jahre  später  Adam 
Smith  darlegte."  North  kam  als  Vertreter  Banburys  ins  Parla- 
ment, und  obgleich  ein  neues  Mitglied,  war  er  doch  die  Person, 
auf  welche  der  Lord  Treasurer*)  sich  in  erster  Reihe  bei  der 
Durchführung  finanzieller  Angelegenheiten  im  Hause  der  Abge- 
ordneten stützte.  „Norths  Schlagfertigkeit  und  seine  vollkommene 
Kenntnis  des  Handels  gewannen  sowohl  im  Parlament  als  im 
Finanzministerium  über  alle  Opposition  Oberhand.  Die  alten 
Mitglieder  sahen  mit  Erstaunen,  wie  ein  Mann,  der  noch  keine 
vierzehn  Tage  im  Hause  war  und  der  sein  Leben  hauptsächlich 
in  fremden  Ländern  zugebracht  hatte,  voller  Zuversicht  das  Amt 
eines  Chancellor  of  the  Exchequer*)  übernahm,  um  es  mit  Ge- 
schicklichkeit zu  verwalten."  Er  war  damals  vierundvierzig 
Jahre  alt. 

Roger  North  beschreibt  folgendermaßen  die  Finanztheorie 
seines  Bruders:  „Das  Eine  ist,  daß  der  Handel  nicht  wie  die 
Regierung  in  Nationen  und  Königreiche  eingeteilt  ist,  sondern 
überall  in  der  ganzen  Welt  ein  Einheitliches  und  Ungeteiltes  ist, 
ebenso  wie  das  offene  Meer  nicht  in  einem  Teile  geleert  oder  ge- 
füllt werden  kann,  sondern  das  ganze  mehr  oder  weniger  davon 
beeinflußt  wird."    Ein  anderer  Punkt:  „Was  das  Geld  anbelangt. 


*)  Schatzkanzler.    D.  Üb. 
^■■*)  Staatsschatz-Amt.    D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  79 

SO  Steht  es  fest,  daß  kein  Volk  zu  wenig  Geld  (Metallgeld)  oder 
zu  viel  besitzen  könne  .  .  .  Denn  wenn  ein  Volk  Geld  braucht, 
zahlt  es  auch  einen  Preis  dafür;  dann  bringen  es  Kaufleute,  um 
Gewinn  zu  erlangen  und  legen  es  vor  ihm  nieder." 

Roger  North  erzählt  von  Sir  Dudley  und  dem  Lord  Keeper: 
„Diese  Brüder  genossen  mit  ausnehmender  Genugtuung  ihre 
gegenseitige  Gesellschaft;  denn  beide  hatten  sowohl  vollkommene 
Weltkenntnis  als  Kenntnisse  in  allen  Angelegenheiten  ihrer  ver- 
schiedenen Berufe,  und  jeder  war  ein  Indien  für  den  andern,  das 
stets  die  reichsten  Neuheiten  produzierte,  nach  denen  die  besten 
Köpfe  gierig  sind." 

Hon.  Dr.  John  North,  Master  des  Trinity  College  in 
Cambridge  unterschied  sich  in  mancher  Hinsicht  von  seinen 
Brüdern  und  ähnelte  ihnen  wieder  in  anderem: 

„Als  er  jung  war  und  auch  als  er  heranwuchs,  war  er  von 
schwacher  und  zarter  Konstitution,  nicht  so  kräftig  und  athletisch 
als  es  die  meisten  seiner  Brüder  waren."  „Seine  Gemütsart  war 
immer  zurückhaltend  und  fleißig  .  .  .  Wenn  etwas  schon  so  früh 
an  ihm  verfehlt  erschien,  so  war  es  ein  unnatürlicher  Ernst,  der 
bei  Jünglingen  selten  ein  gutes  Zeichen  zu  sein  pflegt,  denn  er 
beweist  Schwäche  des  Körpers  oder  des  Geistes  oder  beides; 
bei  ihm  aber  war  nur  die  erstere  vorhanden,  denn  seine  geistige 
Veranlagung  war  kräftig,  wie  keine  sonst." 

Dann  wurde  er  im  Lernen  eifrig,  und  seine  ganzen  Ausgaben 
gingen  auf  Bücher;  in  anderen  Beziehungen  war  er  geizig  und 
sparsam.  Folglich,  wie  sein  Bruder  sagt,  war  er  über  alle  Maßen 
geneigt,  zu  denken  oder  er  betrieb  es  andernfalls  mit  mehr 
Fleiß  und  Anspannung  als  die  anderen  Menschen  es  ge- 
wöhnlich tun  ....  Er  war  mit  einem  Worte  der  angespannteste 
und  leidenschaftlichste  Denker,  der  je  gelebt  hat,  und  hatte  einen 
klaren  Verstand."  Dies  ruinierte  seine  Gesundheit.  ,Sein 
Fleisch  war  sonderbar  schlaff  und  weich;  sein  Gang  war  schwäch- 
lich und  schlürfend,  er  kreuzte  dabei  oft  seine  Beine,  als  wenn 
er  betrunken  wäre,  er  schlief  selten  oder  nie  gut,  unruhige  und 
sorgenvolle  Träume  unterbrachen  seinen  Schlaf,  die  Ruhepausen, 
die  er  hatte,  waren  kurz  und  hastig,  sein  tätiger  Geist  fand 
selten  Beruhigung  oder  Frieden." 

Es  ist  klar,  daß  er  seinem  Gehirn  zuviel  zumutete,  und  das 
Resultat  war,  daß  er  einen  Schlaganfall  bekam  und  völlig  zu- 


80  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865, 

sammenbrach,  er  verfiel  mehr  und  mehr  an  Körper  und  Geist, 
bis  der  Tod  ihn  im  Alter  von  38  Jahren  erlöste. 

Es  ist  kein  Zweifel,  daß  Dr.  John  North  mehr  Ruf  verdiente, 
als  er  erhielt,  einmal  infolge  seines  frühen  Todes  und  weiter 
infolge  seiner  außerordentlichen  Empfindlichkeit  in  Bezug  auf 
posthume  Kritik.  Er  hinterließ  bestimmte  Befehle,  alle  seine 
Manuskripte  zu  verbrennen.  Er  scheint  besonders  im  Griechi- 
schen und  Hebräischen  große  Kenntnisse  gehabt  zu  haben. 

Der  Lord  Keeper  und  der  Master  of  Trinity  waren  einander 
in  ihrer  peinlich  scheuen  Art  und  ihren  gelehrten  Neigungen  ähn- 
lich. Der  sonderbare  geldsparende  Zug  war  allen  drei  Brüdern 
gemeinsam.  Die  trägen  Gewohnheiten  des  Master  of  Trinity 
wurden  auch  von  Sir  Dudley  nach  seiner  Rückkehr  nach  Eng- 
land geteilt,  der  keinerlei  Bewegung  mehr  machte,  sondern  ent- 
weder Tag  für  Tag  zu  Hause  saß  oder  ein  kleines  Segelschiff  auf 
der  Themse  steuerte.  Der  Lord  Keeper  war  um  seine  Gesund- 
heit stets  grillenhaft  besorgt. 

Die  Hon.  Mary  North,  später  Ladj/^  Spring,  war  die 
Schwester  dieser  Brüder  und  nicht  weniger  begabt  als  sie.  Roger 
North  sagt: 

„Außer  den  Vorzügen  ihrer  Person,  hatte  sie  einen  überaus 
großen  Verstand,  ein  wunderbares  Gedächtnis  und  war  in  der 
Konversation  äußerst  angenehm."  Sie  war  gewöhnt  vorzutragen 
„auswendig  weitschweifige  Romane,  mit  dem  Inhalt  von  Ge- 
sprächen und  Briefen  sowie  ganze  Stellen  und  das  alles  nicht 
nur  mit  wenig  oder  ohne  Schwanken,  sondern  in  ununterbrochener 
Folge,  Die  bloße  Erinnerung  daran  erfüllt  mich  heute  noch  mit 
Staunen." 

Sie  starb  kurze  Zeit  nach  der  Geburt  ihres  ersten  Kindes  und 
das  Kind  bald  nach  ihr. 

Roger  North,  der  Biograph  seiner  Brüder,  den  ich  bereits  so 
viel  zitiert  habe,  war  auch  der  Autor  anderer  Werke;  so  ver- 
faßte er  eine  Abhandlung  über  Musik,  die  zeigte,  daß  er  an  den 
musikalischen  Eigenschaften  Teil  hatte,  die  so  stark  im  Lord 
Keeper  entwickelt  waren.  Sein  Privatleben  ist  wenig  bekannt. 
Er  war  Attorney-General*)  Jakobs  II.  An  seinen  Fähigkeiten 
kann  man  nicht  zweifeln.  Das  „Leben  der  Norths"  ist  nicht  das 


*)  Kronanwalt.     D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  81 

Werk  eines  gewöhnlichen  Skribenten.  Es  zeigt  an  sehr  vielen 
Steilen  die  Spur  von  Genie  und  ein  scharfes  Empfindungsver- 
mögen. Roger  North  scheint  ein  äußerst  liebreicher  und  liebens- 
werter Mann  gewesen  zu  sein. 

Charles,  der  fünfte  Lord  North,  war  der  älteste  der  Familie 
und  erbte  den  Titel;  aber  er  zeigte,  soviel  ich  weiß,  keinerlei  An- 
zeichen von  Genie;  nichtsdestoweniger  hatte  er  eine  Tochter, 
deren  literarischer  Geschmack  eine  sonderbare  Ähnlichkeit  mit 
dem  ihres  Onkels,  Dr.  John,  aufwies.  Sie  war  eine  Dudley 
North,  die  nach  den  Worten  Rogers  „durch  Studien  herunterkam, 
wobei  sie  sich  nicht  nur  Griechisch  und  Latein  aneignete,  son- 
dern auch  die  orientalischen  Sprachen."  Sie  starb  früh,  nach- 
dem sie  eine  kostbare  Bibliothek  orientalischer  Werke  gesammelt 
hatte. 

Ich  will  diese  Familienbeschreibung  mit  einem  Zitat  aus  der 
Vorrede  ihres  Biographen  schließen,  dessen  Seltsamkeit  charak- 
teristisch ist:  „In  Wahrheit,  der  Fall  der  letzten  Dudley  Lord 
North  ist  denkwürdig  wegen  der  glücklichen  Umstände,  die  eine 
so  zahlreiche  und  verbreitete  Herde  begleiteten,  und  es  war  kein 
reudiges  Schaf  unter  ihnen." 

Der  nächste  Seitenverwandte  der  Familie  North  auf  Seiten 
der  Montagu  ist  Charles  Hatton,  ihr  leiblicher  Vetter.  In  Roger 
North'  „Leben"  ist  dreimal  von  ihm  die  Rede,  und  stets  erscheint 
sein  Name  mit  dem  gleichen  Epitheton:  „Der  unvergleichliche 
Charles  Hatton".  Warum  er  so  ausgezeichnet  wurde,  ist  uns 
nicht  bekannt,  aber  es  ist  wohl  gerechtfertigt,  wenn  wir  Roger 
North'  Achtung  vor  seinen  Verdiensten  gelten  lassen  und  ihn 
unter  die  befähigten  Mitglieder  der  Familie  der  Montagu  rechnen. 

Ich  wül  nur  noch  vier  Verwandte  der  North  anführen.  Der 
erste  ist  ihr  Großonkel,  Sir  Henry  Montagu,  Chief  Justice  of  the 
King's  Bench,  der  zum  Earl  von  Manchester  ernannt  wurde.  Er 
war  der  Großvater  von  James  Montagu,  Ch.  B.  E.  (Georg  III.) 
und  Onkel  von  William,  Ch.  B.  E.  (Jak.  II),  welche  beide  in  meiner 
Liste  figurieren.  Lord  Clarendon  sagt  von  Sir  Henry,  daß  er 
„ein  Mann  von  großem  Eifer  und  großer  Weisheit  in  allen  ge- 
■schäftlichen  Angelegenheiten  war,  die  er  außerordentlich  liebte 
und  daß  er  eine  so  große  Kraft  seines  Geistes  selbst  bis  zu  seinem 
Tode  behielt,  daß  die,  welche  ihn  in  seinen  jüngeren  Jahren 
gekannt  hatten,  glaubten,  er  habe  in  seinem  Alter  einen  helleren 
•Geist  gehabt  als  vorher." 

Galton,  Genie  und  Vererbung.  " 


82  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865 

Der  zweite  Earl  von  Manchester,  ein  gN.  der  Norths,  war  der 
Baron  Kimbolton  von  Marston  Moor  und  wie  Lord  Campbell 
sagt  „einer  der  vorzüglichsten  Männer,  der  in  der  interessan- 
testen Periode  unserer  Geschichte  auftauchte;  als  Lord  Kimbol- 
ton verteidigte  er  die  Freiheiten  seines  Vaterlandes  im  Senat,  als 
Earl  von  Manchester  im  Felde,  später  trug  er  durch  die  Re- 
stauration der  königlichen  Familie  viel  zur  Unterdrückung  der 
Anarchie  bei." 

Der  erste  Earl  von  Sandwich,  gleichfalls  ein  gN.  der  Norths, 
war  der  tapfere  High  Admiral  von  England  zur  Zeit  Karls  II. 
Er  begann,  als  er  achtzehn  Jahre  alt  war,  sein  Leben  als  Soldat, 
mit  einem  Regiment,  das  er  selbst  aufgestellt  hatte,  und  er  be- 
schloß es  in  der  Seeschlacht  gegen  die  Niederländer  bei  South- 
wold  Bay*).  Er  übersetzte  auch  ein  spanisches  Werk  über  Me- 
tallurgie. Ich  weiß  nicht,  ob  das  Buch  irgend  welchen  Wert  hat, 
aber  die  Tatsache  ist  bemerkenswert,  da  sie  zeigt,  daß  er  mehr 
war  als  ein  bloßer  Soldat  oder  Seemann. 

Der  letzte  der  hervorragenden  Verwandten  der  Norths,  von 
dem  ich  schließlich  noch  sprechen  will,  ist  der  Urenkel  des 
ältesten  Bruders,  der  berühmte  Premier**) —  der  Lord  North 
in  der  Zeit  des  amerikanischen  Krieges  wurde.  Lord  Brougham 
sagt,  alle  Zeitgenossen  stimmten  darin  überein,  daß  seine  Talente 
während  dieser  besonders  mißhchen  Periode  einen  starken  und 
stetigen  Abglanz  verbreiteten.  Er  spricht  von  einem  Witz,  der 
ihm  nie  fehlte,  und  einer  Sanftmut  des  Temperaments,  die  durch 
nichts  gestört  werden  konnte,  als  von  besonderen  Eigenschaften, 
in  denen  er  und  seine  ganze  Familie  (seine  unmittelbare  Familie) 
die  meisten  anderen  Menschen  übertrafen.  Die  wunderbare  Be- 
schreibung des  Lord  North  von  seiner  Tochter,  Lady  Charlotte 
Lindsaj^  die  seiner  Biographie  von  Lord  Brougham  beigefügt  ist, 
beweist  genügend  die  hohe  Befähigung  dieser  Dame. 

Es  gibt  noch  eine  andere  Familie  von  hohen  Würden- 
trägern des  Rechts,  die  mit  den  Norths  verwandt  ist,  deren  Platz 
im  Stammbaum  mir  nicht  bekannt  ist:  es  sind  die  Hydes,  und 
sie  weisen  unter  ihren  Namen  den  berühmten  ersten  Earl  of 
Clarendon  auf.    Es  scheint,  daß  der  Lord  Chief  Justice  Hyde  sich 


*)  Nordseehafen.     D.  Üb. 
**)  Ministerpräsident.    D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865,  83 

freundlich  um  den  Lord  Keeper,  Francis  North,  bemühte,  als 
er  noch  ein  junger  aufsteigender  Barrister  war,  indem  er  das 
Verwandtschaftsverhältnis  zwischen  ihnen  erwähnte  und  ihn 
„cousin"  nannte. 

Es  ist  Mangel  an  Raum,  nicht  an  Material,  der  mich  zwingt, 
die  Beschreibung  der  befähigten  Verwandten  der  Norths  und 
Montagus  zu  beschließen.  Ich  bin  aber  überzeugt,  daß  ich  genug 
gesagt  habe,  um  die  Behauptung  zu  beweisen,  die  ich  an  ihre 
Spitze  stellte,  daß  nämlich  eine  sehr  große  Anzahl  von  Mit- 
gliedern dieser  Familie  natürliche  Gaben  einer  außerordentlichen 
hohen  Art  geerbt  hatten  und  daß  sie  ihren  Ruf  ihren  Fähigkeiten 
verdankten  und  nicht  ihren  Familienbeziehungen. 

Ein  anderer  Beweis  für  die  Tatsache  des  erblichen  Cha- 
rakters der  Fähigkeiten  ist  der,  daß  man  untersucht,  ob  die  nahen 
Verwandten  der  sehr  hervorragenden  Männer  häufiger  hervor- 
ragend sind,  als  jene,  die  entfernter  mit  ihnen  verwandt  sind. 
Tabelle  II  (S.  60)  beantwortet  diese  Frage  mit  großer  DeutHchkeit 
in  der  Weise,  die  ich  schon  auseinandergesetzt  habe.  Sie  zeigt, 
daß  die  nahen  Verwandten  der  Judges  an  Fähigkeiten  bedeutend 
reicher  sind,  als  die  entfernteren,  und  zwar  geht  dies  so  weit, 
daß  die  Tatsache  einer  verwandtschaftlichen  Beziehung  vierten 
Grades  keinerlei  fühlbaren  Gewinn  mehr  bringt.  Die  Daten,  aus 
welchen  ich  Abteilung  C  dieser  Tabelle  gewann,  sind  die  fol- 
genden. Ich  finde,  daß  von  23  der  Judges  berichtet  wird,  sie 
hätten  „eine  große  Familie"  gehabt,  sagen  wir  bestehend  aus 
vier  erwachsenen  Söhnen;  11  werden  einfach  beschrieben  als 
„Nachkommenschaft"  besitzend,  sagen  wir  auf  jede  dieser  Fa- 
milie kommen  IV2.  Söhne;  von  der  Anzahl  der  Söhne  der  ande- 
ren wird  genau  angegeben,  daß  sie  alles  in  allem  186  betrug;  da- 
mit haben  wir  eine  Totalsumme  von  294.  Dazu  kommen  9  ver- 
heiratete Judges,  bei  denen  alle  Bemerkungen  über  Kinder  fehlen, 
und  endlich  31  Judges,  bei  denen  überhaupt  nichts  über  eine  Ehe 
erwähnt  ist.  Ich  denke,  wir  sind  vollkommen  gerechtfertigt, 
wenn  wir  aus  diesen  Daten  schließen,  daß  im  Durchschnitt  jeder 
Judge  Vater  nicht  weniger  als  eines  Sohnes  ist,  der  ein  Alter  er- 
reichte, wo  er  sich  hätte  hervortun  können,  wenn  er  die  Fähig- 
keit hierzu  gehabt  hätte.  Ich  finde  ebenso,  daß  die  erwachsenen 
Familien  durchschnittlich  aus  nicht  weniger  als  je  2^/2  Söhnen 
und  21/2  Töchtern  bestehen,  so  daß  jeder  Judge  durchschnittlich 

11/2  Brüder  und  21/2  Schwestern  hat. 

6* 


84 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 


Von  diesen  Daten  ausgehend,  ist  es  vollkommen  leicht, 
die  Anzahl  der  Verwandten  nach  jeder  Seite  zu  zählen.  So  be- 
stehen die  Neffen  aus  den  Söhnen  der  Brüder  und  den  Söhnen 
der  Schwestern;  nun  nehmen  wir  an,  daß  100  Judges  150  Brüder 
und  250  Schwestern  haben  und  daß  jeder  Bruder  und  jede 
Schwester  im  Durchschnitt  nur  je  einen  Sohn  hat;  folglich  wer- 
den die  100  Judges  (150+250  oder)  400  Neffen  haben. 

Ich  will  den  Leser  nicht  mit  noch  mehr  Zahlen  belästigen. 
Es  genügt,  wenn  ich  sage,  daß  ich  die  Totalanzahl  der  hervor- 
ragenden Verwandten  von  100  Judges  durch  die  Anzahl  der  Ver- 
wandten in  jedem  Grade  dividiert  habe  und  daß  ich  durch  diese 
Division  die  Kolonne  D  der  Tabelle  II  erhalten  habe,  die  ich  jetzt 
in  Tabelle  III  als  Stammbaum  projiziere. 


Tabelle  III. 
Anzahl  der  hervorragenden  Männer  in  jedem  Verwandtschafts- 
grad bezogen    auf    die    am  höchsten   begabten   Mitglieder  der 
herausgehobenen  Familien. 
i/j  Urgroßvater 


772  Großväter 


Vi  Großonkel 


26  Väter 


Di«  herrorra^endsten  Mitglieder  der  23  Brüder 

100  heransgehobenen  Familien  | 


41/2  Onkel 


IV2  leibliche 
Vettern 


36  Söhne 

I 

9V2  Enkel 


43  ^  Neffen 

I 

2  Großneffen 


ly.  Urenkel 
Es  sei  bemerkt,  daß  Tabelle  III  sich  nur  auf  die  heraus- 
gehobenen Familien  bezieht.  Wenn  wir  sie  dahin  modifi- 
zieren, daß  sie  mit  Abteilung  E  der  Tabelle  II  korrespondiere, 
in  welcher  alle  Judges  aufgenommen  sind,  ob  sie  nun  heraus- 
gehobene Verwandte  haben   oder   nicht,    bleibt   die  Proportion 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  85 

zwischen  den  hervorragenden  Verwandten  in  jedem  verschie- 
denen Grad  unverändert,  obgleich  ihre  absoluten  Zahlen  auf  ein 
Drittel  ihres  Wertes  heruntergedrückt  würden. 

Tabelle  III  zeigt  in  der  unverkennbarsten  Art  die  ungeheure 
Überlegenheit,  die  ein  naher  Verwandter  vor  einem  entfernteren 
in  der  Wahrscheinlichkeit  der  Vererbung  von  Anlagen  hat.  Un- 
gefähr gesprochen,  betragen  die  Prozentsätze  für  jeden  folgenden 
Verwandten,  sei  es  durch  Abstammung  oder  in  den  Seitenlinien, 
den  vierten  Teil. 

Die  Tabelle  beweist  auch  eine  andere  Tatsache,  welche  die 
Menschen  im  allgemeinen  nicht  glauben.  Sie  zeigt,  durch  den 
Durchschnitt  vieler  Beispiele,  daß  es  nicht  in  Wirklichkeit,  son- 
dern nur  scheinbar  häufig  wunderbare  Naturspiele  gibt.  In 
letzter  Reihe  tritt  die  Fähigkeit  nicht  plötzlich  auf,  um  mit  der 
gleichen  Plötzlichkeit  wieder  zu  verschwinden,  sondern  sie  steigt 
eher  in  einer  regelmäßigen  allmählichen  Kurve  aus  dem  gewöhn- 
lichen Niveau  des  Familienlebens  auf.  Die  Statistiken  zeigen  eine 
regelmäßige  durchschnittliche  Zunahme  an  Fähigkeiten  in  den 
Generationen,  die  der  Kulmination  vorausgehen,  und  ebenso  regel- 
mäßig eine  Abnahme  in  jenen,  die  ihr  folgen.  Im  ersteren  Falle 
waren  die  Heiraten  im  Sinne  der  Förderung  einer  solchen  Fähig- 
keitsproduktion, im  letzteren  waren  sie  nicht  imstande,  sie  fest- 
zuhalten. 

Nach  drei  einander  folgenden  Blutsverdünnungen  scheinen 
die  Abkömmlinge  der  Judges  unfähig  zu  sein,  hervorragende 
Bedeutung  zu  erlangen.  Diese  Resultate  sind  nicht  überraschend, 
selbst  wenn  man  sie  mit  der  viel  größeren  Ausdehnung  inner- 
halb des  Verwandtschaftsbereiches  vergleicht,  in  welchem  Ge- 
sichtszüge und  Krankheiten  noch  weitergegeben  werden.  Fähig- 
keit muß  auf  einem  dreifachen  Fundament  ruhen,  von  dem  wieder 
jede  Stütze  fest  eingerammt  sein  muß.  Damit  ein  Mensch  im 
Konkreten  Fähigkeit  erbt,  muß  er  drei  Eigenschaften  erben,  die 
getrennt  und  voneinander  unabhängig  sind.  Er  muß  Talent,  Eifer 
und  Kraft  erben,  denn  ohne  diese  drei  oder  wenigstens  die 
Kombination  zweier  dieser  Eigenschaften  kann  er  nicht  hoffen, 
sich  in  der  Welt  durchzusetzen.  Die  Unwahrscheinlichkeit,  eine 
Kombination  von  drei  Eigenschaften  zu  erben,  die  nicht  mit  ein- 
ander verbunden  sind,  ist  notwendig  dreimal  so  groß,  als  die,  eine 
von  ihnen  zu  erben. 


86  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1866. 

Ein  bemerkenswerter  Unterschied  besteht  zwischen  dem 
Fähjgkeitsprozentsatz  bei  den  Enkeln  der  Judges,  je  nachdem, 
ob  die  Söhne  (die  Väter  jener  Enkel)  hervorragend  oder  nicht 
hervorragend  waren.  Setzen  wir  den  Fall,  der  Sohn  eines  Judge 
wünsche  sich  zu  verheiraten:  welche  Aussichten  hat  er,  daß 
seine  eigenen  Söhne  in  ihrem  späteren  Leben  hervorragende 
Männer,  Stützen  seiner  Familie  und  nicht  eine  Last  für  sie 
werden? 

In  dem  Falle,  wo  der  Sohn  des  Judge  selbst  hervorragend 
ist,  finde  ich  unter  den  226  Judges  bis  zur  jetzigen  Regierung 
22  Fälle,  wo  die  Söhne  ausgezeichnete  Männer  waren.  Ich 
zähle  die  Judges  der  jetzigen  Regierung  nicht  mit,  da  die  Enkel 
dieser  Männer  zum  größten  Teil  noch  zu  jung  sind,  um  sich  aus- 
zuzeichnen. 22  aus  einer  Zahl  von  226  gibt  10  von  hundert,  als 
den  Prozentsatz  der  Judges,  die  ausgezeichnete  Söhne  gehabt 
haben.  (Der  Leser  wird  bemerken,  wie  nahe  dies  Resultat  zu 
den  9^  ist,  welche  Ziffer  in  meiner  Tabelle  figuriert,  woraus 
die  ungefähre  Richtigkeit  der  beiden  Schätzungen  hervorgeht.) 
Unter  diesen  22  zähle  ich  die  folgenden  „Gruppen  zu  drei".  Die 
Familie  Atkyn  kommt  zweimal  vor.  Es  ist  richtig,  daß  der  Groß- 
vater nur  Chief  Justice  von  Nord-Wales  war  und  kein  englischer 
Judge,  aber  die  Kraft  des  Blutes  ist  dadurch  bewiesen,  daß  nicht 
nur  sein  Sohn  und  zwei  Enkel  englische  Judges  waren,  sondern 
daß  auch  ein  Enkel  eines  von  ihnen  durch  die  weibliche  Linie 
englischer  Judge  war.  Eine  andere  Linie  ist  die  der  Pratts, 
nämlich  der  Chief  Justice  und  sein  Sohn,  der  Lord  Chancellor, 
Earl  Camden  und  sein  Enkel,  der  Sohn  des  Earl,  der  zum  Mar- 
quis Camden  ernannt  wurde;  der  letztere  war  Chancellor*)  der 
Universität  in  Cambridge  und  ein  Mann  von  Ansehen  in  man- 
cherlei Beziehung.  Ein  anderer  Fall  findet  sich  in  der  York- 
Linie,  denn  der  Sohn  des  Lord  Chancellor,  des  Earl  von  Hard- 
wicke,  war  Charles  Yorke,  der  selbst  Lord  Chancellor  war. 
Seine  Söhne  waren  befähigte  Männer;  einer  wurde  First  Lord 
der  Admiralität,  ein  anderer  war  Bischof  von  Ely,  ein  dritter  Sohn 
war  ein  ausgezeichneter  Marineoffizier  und  wurde  zum  Baron 
Dover  ernannt,  ein  vierter  war  ein  ausgezeichneter  Admiral. 
Ich  will  all'  diese  nicht  mitrechnen,  sondern  zähle  sie  nur  als 


*)  Kanzler  der  Universität.    D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1866.  87 

drei  günstige  Beispiele  auf.  Die  Totalsumme  ist  auf  diese  Weise 
sechs;  dazu  kämen  noch  von  Rechts  wegen  einige  aus  der  sehr 
bemerkenswerten  Familie  der  Montagu  und  ihren  Verwandten, 
die  sowohl  vor  als  nach  der  Restauration  Karls  I.  verschiedene 
Judges  aufwies.  Nichtsdestoweniger  wünsche  ich  innerhalb  der 
Grenzen  zu  bleiben  und  werde  daher  nur  auf  sechs  Erfolge  von 
den  22  Anspruch  erheben  (ich  setze  wie  vorher  voraus,  daß 
jeder  Judge  einen  Sohn  hat)  oder  1  zu  4.  Selbst  bei  dieser  Be- 
schränkung hat  im  Durchschnitt  das  Kind  eines  hervorragenden 
Sohnes  eines  Judge  die  Wahrscheinlichkeit  1  zu  4  ein  ausge- 
zeichneter Mann  zu  werden. 

Gehen  wir  jetzt  zu  der  zweiten  Kategorie  über,  wo  der  Sohn 
nicht  hervorragend  ist,  wohl  aber  der  Enkel.  Es  finden  sich  nur 
sieben  dieser  Art  bei  den  {22^—22  oder)  204  Judges,  und  ein 
oder  zwei  von  ihnen  stehen  nicht  auf  einer  besonders  hohen 
Stufe.  Es  sind  der  dritte  Earl  Shaftesbury,  der  Autor  der  „Cha- 
rakteristiken"; Cowper,  der  Dichter;  Lord  Lechmere,  der  At- 
torney-General;*)  Sir  Wm.  Mansfield,  Commander-in-Chief**) 
in  Indien;  Sir  Eardley  Willmot,  der  verschiedene  Ämter  mit  An- 
erkennung bekleidete  und  zum  baronet  ernannt  wurde,  und  Lord 
Wyndham  Lord  Chancellor  von  Irland.  Fielding,  der  Romancier, 
war  der  Enkel  des  Judge  Gould  durch  die  weibliche  Linie.  Wir 
haben  also  hier  204  zu  7  oder  30  zu  1  als  die  Wahrscheinlich- 
keit, die  für  den  nicht  hervorragenden  Sohn  eines  Judge  besteht, 
ein  hervorragende^  Kind  zu  haben. 

Die  Anzahl  der  Personen  in  diesen  beiden  Kategorien  ist 
sichtlich  zu  gering,  um  uns  auf  sie  zu  stützen,  ausgenommen  in 
der  Hinsicht,  daß  sie  uns  zeigen,  daß  die  Wahrscheinlichkeit,  einen 
hervorragenden  Enkel  zu  haben,  für  einen  Judge  wächst,  wenn 
auch  seine  Söhne  hervorragend  sind.  Es  folgt  daraus,  daß  die 
Söhne  oder  Töchter  ausgezeichneter  Männer,  die  selbst  mit  aus- 
gesprochen hoher  Befähigung  ausgerüstet  sind,  die  an  der  Uni- 
versität oder  sonstwo  geprüft  wurden,  am  besten  früh  heiraten. 
Wenn  sie  eine  große  Familie  haben,  so  ist  die  Wahrscheinlich- 
keit zu  ihrem  Gunsten,  daß  wenigstens  eines  ihrer  Kinder  her- 
vorragende Erfolge  im  Leben  erringen  wird,  so  daß  es  für  sie 


*)  Kron-Anwalt.   D.  Üb. 
**)  Oberbefehlshaber.     D.  Üb. 


88  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

ein  Gegenstand  des  Stolzes  und  für  die  übrigen  eine  Stütze 
sein  wird. 

Betrachten  wir  einen  Augenblick  die  Tragweite  der  eben 
erhaltenen  Tatsachen  in  Bezug  auf  eine  Aristokratie,  wo  be- 
fähigte Männer  Titel  erhalten,  die  sie  durch  Erbfolge  auf  ihre 
ältesten  männlichen  Nachkommen  übertragen.  Dieser  Gebrauch 
kann  aus  zwei  verschiedenen  Gründen  gerechtfertigt  werden. 
Einerseits  wird  der  zukünftige  Pair  in  einem  Heim  auferzogen, 
das  voller  Familientraditionen  ist,  was  seinen  Charakter  formt. 
Andererseits  wird  von  ihm  vorausgesetzt,  daß  er  die  Befähigung 
des  Gründers  der  Familie  geerbt  hat.  Das  erstere  ist  eine  wirk- 
liche Rechtfertigung  des  Erstgeburtsrechts,  angewandt  auf  Titel 
und  Besitzungen,  bezüglich  des  zweiten  Punktes  ist  es  nicht  der 
Fall,  wie  wir  aus  der  Tabelle  ersehen.  Ein  Mensch,  der  keine 
näheren  befähigten  Vorfahren  hat,  als  einen  Urgroßvater,  hat 
kaum  mehr  Chancen,  selbst  mit  Fähigkeiten  ausgestattet 
zu  sein,  als  wenn  er  aus  der  allgemeinen  Masse  der  Menschen 
herausgehoben  würde.  Eine  alte  Pairswürde  ist  ein  wertloser  Titel, 
was  natürliche  Gaben  anlangt,  ausgenommen,  so  weit  sie  durch 
weise  Wechselheiraten  aufgefrischt  wird.  Wenn  jedoch,  wie  es 
häufig  der  Fall  ist,  die  direkte  Linie  erlischt  und  der  Titel  auf 
einen  entfernten  Verwandten  übergeht,  der  nicht  in  den  Familien- 
traditionen auferzogen  wurde,  so  ist  die  Achtung,  die  an  seinen 
Besitz  geknüpft  ist,  völlig  unvernünftig.  Ich  kann  mir  keinen 
Rechtsanspruch  denken,  der  ein  so  völliger  Betrug  ist.  als  den, 
den  ein  Pair,  der  weder  eine  adhge  Erziehung  genossen  hat,  noch 
innerhalb  dreier  Grade  einen  hervorragenden  Verwandten  auf- 
weisen kann,  auf  Grund  seiner  Abstammung  geltend  macht. 

Ich  schließe  dieses  Kapitel  mit  einigen  wenigen  Tatsachen, 
die  ich  aus  meinen  verschiedenen  Notizen  abgeleitet  habe  und 
die  „die  Naturgeschichte"  der  Judges  betreffen.  Es  scheint,  daß 
die  Eltern  der  Judges  innerhalb  der  letzten  sechs  Regierungen, 
d.  h.  seit  der  Thronbesteigung  Georgs  I.  in  Prozenten  gerechnet, 
sich  folgendermaßen  verhält:  „noble",  „honorable"  oder  „baronet" 
(aber  nicht  Judge) 9;  Landedelleute35;  Judges,  barristers  oder  attor- 
neys  15;  Bischöfe  oder  Geistliche  8;  Mediziner  7;  Großhändler 
und  diverse,  nicht  eingeordnete  10;  Kleinhändler  7;  unbekannt  9. 
Es  scheint  daher  keine  Gruppe  der  Bevölkerung  besonders  an 
der  Herkunft  der  Judges  beteiligt  zu  sein.    Sie  scheinen  sich  un- 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  89 

gefähr  aus  den  gleichen  Kreisen  zu  rekrutieren,  wie  die  Stu- 
denten unserer  Universitäten,  mit  einer  ausgesprochenen,  aber 
nicht  ausschheßiichen  Präponderanz  zugunsten  der  Eltern  aus 
der  Gruppe  derjenigen  Menschen,  die  mit  dem  Recht  in  Berüh- 
rung stehen. 

Ich  fand  es  auch  der  Mühe  wert,  zu  notieren,  in  welcher 
Reihenfolge  die  Judges  in  ihren  verschiedenen  Familien  stehen, 
um  zu  sehen,  ob  die  Fähigkeit  sich  mehr  auf  die  älteren  als  auf 
die  jüngeren  Nachkommen  erstreckt  oder  ob  irgend  eine  wich- 
tige Tatsache  dieser  Art  sich  aufdecken  lasse.  In  meinen  Notizen 
finde  ich  Geburtsdaten  über  12  Judges.  Das  Resultat  in  Prozent- 
sätzen ist:  der  einzige  Sohn  war  der  Judge  in  11  Fällen;  der 
älteste  in  17;  der  zweite  in  38;  der  dritte  in  22;  der  vierte  in  9; 
der  fünfte  in  1;  in  zwei  Fällen  standen  noch  mehr  Söhne  vor 
dem  Betreffenden.  Es  ist  klar,  daß  die  ältesten  Söhne  nicht 
halb  so  stark  als  die  jüngeren  als  Judges  folgen.  Ich  nehme  an, 
daß  soziale  Einflüsse  im  großen  ganzen  gegen  ihren  Eintritt  oder 
gegen  ihre  Nachfolge  in  der  Rechtswissenschaft  sind. 

Anhang  zu  dem  Kapitel  „Richter'\ 

Nach  dem  „Leben  der  Judges"  von  Foss  gab  es  seit  der 
Thronbesteigung  Karls  IL  bis  zum  Jahre  1864  286  Judges.  Nicht 
weniger  als  112  von  ihnen  sind  in  der  folgenden  Liste  aufge- 
führt. Unter  die  Judges  sind  auch  die  Lord  Chancellors,  30  an 
der  Zahl,  eingerechnet,  und  unter  diesen  hervorragenden  Be- 
amten finden  sich  nicht  weniger  als  24  oder  80  p.  c,  die  hervor- 
ragende Verwandte  haben. 

Abkürzungen  in  der  Liste. 
Der  eingeklammerte  Name   des  Herrschers,  wie  (Karl   II.)  be- 
zeichnet die  letzte  Regierung,  unter  welcher  jeder  Judge  sein 

Amt  bekleidete. 
Ch.  K.  B.  (oder  Q.  B.)  =  Chief  Justice   von   des  Königs   (oder 

der  Königin)  Gerichtshof. 
Just  K.  B.  (oder  Q.  B.)  =^-  Justice  von  des  Königs  (oder  der  Kö- 
nigin) Gerichtshof. 
Ch.  B.  E.  =  Chief  Baron  des  Staatsschatzamtes. 

B.  E.  =   Baron  of  the  Exchequer. 

Curs.  B.  E.  =   Cursitor  Baron  of  the  Exchequer. 

Ch.  C.  P.  =   Chief  Justice  of  the  Common  Pleas. 


90  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

Just.  C.  P.  =   Justice  of  the    Common  Pleas. 

M.  R.  =   Master  of  the  Rolls. 

A  b  i  n  g  e  r ,  Lord  s.  Scarlett. 

A b  n  e  y  ,  Sir  Thomas;  Just.  C.  P.  (Georg  II.) 

O.  Sir  Thomas  Abney,  ein  berühmter  Lord  Mayor  von  Lon- 
don; einer  der  Stifter  der  Bank  von  England;  Gönner 
von  Dr.  Isaac  Watts.    S.  Watts  Elegie  an  ihn. 
(V.)  Sir  Edward  Abney,  Doktor  der  Rechte  und  Mitglied  des 
Parlaments,  in  seiner  Zeit  ein  Mann  von  Bedeutung. 
A  1  d  e  r  s  o  n  ,  Sir  Edward  Hall;  B.  E.  (Vict.) 

V.  Syndikus  von  Norwich,  Ipswich  und  Yarmouth. 
Os.  Mrs.  Opie,  die  Novellistin. 
Alibon  e,  Sir  Richard;  Just.  K.  B.  (Jakob  II.) 

G.  Ein  hervorragender  protestantischer  Geistlicher  (V.  ein 
bekehrter  Papist.) 
Atkyns,  Sir  Edward;  B.  E.  (Karl  II.) 

(Q.)  Thomas,  zweimal  Lektor  an  der  Lincoln's  Inn.*) 
V.  Sir  Richard,  Ch.  Just.  Nordwales. 
S.  Sir  Robert,  Ch.  Just.  C.  P.  (Wilh.  III.) 

S.  Sir  Edward  B.  E.  (Jakob  II.) 
ES.  John   Tracy,   der    den   Namen    seiner   Mutter,   Atkyns, 
annahm.    Curs.  B.  E.  (Georg  III,) 
Thomas,  Lektor  an  der  Lincoln's  Inn.*) 

Sir  Richard,  Ch.  Just.  Nord -Wales 


Sir  Edward,  B.  E.  (Karl  IL) 


"1 


Sir  Robert,  Ch.  Just.  C.  P.  Sir  Edward  B.  E. 

I  (Jakob  II.) 

Tochter 

Sir  J.  Tracy  (Atkyns)  Curs.  B.  E. 
Atkyns,  Sir  Robert;  Ch.  C.  P.  (Wilh.  III.) 
G.  Sir  Richard,  Ch.  Just.  Nordwales. 
V.  Sir  Edward,  B.  E.  (Karl  II.) 
B.  Sir  Edward,  B.  E.  (Jakob  II.) 

e.  Sir  John  Tracy.  der  den  Namen  der  Atkyns  annahm.  Curs. 
B.  E. 


*)  Rechtsschule. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  91 

Atkyns,  Sir  Edward;  B.  E.  (Jakob  IL) 
Q.  Sir  Richard;  Ch.  Just.  Nordwaies. 
V.  Sir  Edward,  B.  E.  (Karl  II.) 
B.  Sir  Robert.  Ch.  C.  P. 

Be.  Sir  John  Tracy,  der  den  Namen  der  Atkyns  annahm. 
Ciirs.  B.  E. 
Atkyns,    Sir  John  Tracy  (seine  Mutter  hieß  Atkyns,  und  er 
nahm  ihren  Namen  an);  Curs.  B.  E.  (Georg  III.) 
g.  S'ir  Robert  Atkyns,  Ch.  C.  P. 
gB.  Sir  Edward  Atkyns,  B.  E.  (Jakob  II.) 
gV.  Sir  Edward  Atkyns,  B.  E.  (Karl  II.) 
Bathurst,  Henry;  zweiter  Earl  von  Bathurst;  Lord  Chancellor 
(Georg  III.) 
V,  Der  erste  Earl,  ein  tüchtiger  Verstand, 
n.  Sir  Francis  Buller,  Just.  K.  B.  berühmter  Judge  (Georg  III.) 
B  e  d  i  n  g  f  i  e  1  d ,  Sir  Henry;  Ch.  C.  P.  (Johann  II.) 

O.  Sir  Thomas  Bedingfield,  Just.  C.  P.  (Karl  I.) 
Best,  Wm.  Draper;  zum  Lord  Wynford  ernannt;  Ch.  C.  P. 
(Georg  IV.) 

g.  General  Sir  William  Draper,  der  bekannte  Widersacher 
von  „Junius"*). 
Bickersteth,  Henry,  zum  Lord  Langdale  ernannt;  M.  R. 
(Vict.) 

0.  Dr.  Batty.  der  berühmte  Arzt. 
B  i  r  c  h  ,  Sir  John;  Curs  B.  E.  (Georg  II.) 

(0)  Oberst  Thomas  Birch,  während  der  Republik  (Common- 
wealth) wohlbekannt. 
Blackburn,  Sir  Colin;  Just..  Q.  B.  (Vict.) 
B.  Professor  der  Mathematik  in  Glasgow, 
g.  Rev,    John    Gillies,   Doktor    der   Rechte,   Historiker    und 
Nachfolger  von  Dr.  Robertson  (dem  Groß-Onkel  von  Lord 
Brougham)  als  Historiograph  Schottlands. 
Blackstone,  Sir  William;  Just.  C.  P.  (Georg  III.) 

S.  Sein  zweiter  Sohn  machte  alle  seine  Universitätsprüfungen 
mit  Vorzug. 


*)  Politischer   Schriftsteller,   Pseudonym,   in   der   zweiten  Hälfte   des 
achtzehnten  Jahrhunderts.     D.  Üb. 


92  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

N.  Henry,  schrieb  „Reports",  die  populärer  waren  als  seine 
eigenen.t) 
Bramston.  Sir  Francis;  B.  E.  (Karl  II.) 

V.  Sir  John  Bramston,  Ch.  K.  B.  unter  Karl  I. 
Browne,  Samuel;  Just.  C.  P.  (Karl  IL). 

oS.  Oliver  St.  John,  Ch.  Just.  C.  P.  unter  dem  Protektorat. 
Brougham,  Henry;  zum  Lord  Brougham  ernannt;  Lord  Chan- 
ccllor  (Wilh.  IV.). 
gB.  Robertson,  der  Historiker. 
B  u  1 1  e  r  ,  Sir  Francis;  Just.  C.  P.  (Georg  III.). 
O.  William  Buller,  Bischof  von  Exeter. 
o.  Earl  von  Bathurst,  Lord  Chancellor  (Georg  III.). 
N.  Rt.  Hon.  Charles  Buller,  Staatsmann. 
B  u  r  n  e  t ,  Sir  Thomas;  Just.  C.  P.  (Georg  IL). 

Q.  Hervorragender  schottischer  Rechtsgelehrter,  erhielt  den 

Titel  Lord  Cramond. 
V.  Der  gefeierte  Whiger  Bischof,  Bischof  Burnet. 
C  a  m  d  e  n  ,  Earl  s.  Pratt. 
Campbell,  Lord;  Lord  Chancellor  (Vict.). 

(Q.)  Hervorragend  erfolgreicher  Schüler  in  St.  Andreas. 
(V.)  Hatte  ausgezeichnete  literarische  Kenntnisse;  war  fromm 

und  besaß  eine  gute  Rednergabe. 
N.  George  Campbell,  Mitglied  des  höchsten  Obergerichts  in 
Indien,  schrieb  über  indische  Politik. 
Chelmsford,  Lord,  s.  Thesiger. 
Churchill,  Sir  John;  M.  R.  (Jakob  IL). 

GN.  John  Churchill,  der  große  Herzog  von  Marlborough. 
GiVS.  Herzog  von  Berwick,  ein  großer  General 
Clarendon,  Earl  s.  Hyde. 
C 1  a  r  k  e ,  Sir  Charles;  Ch.  B.  E.  (Georg  IL). 
B.  Dean*)  von  Chester. 

o.  Charles  Trimnell,  Bischof  von  Winchester. 
C 1  i  V  e ,  Sir  Edward;  Just.  C.  P.  (Georg  III.). 

O.  Sir  George  Clive,  Curs.  B.  E.  (Georg  IL). 
OE.  Der  große  Lord  Clive,  General-Gouverneur  von  Indien. 
C li  V  e  ,  Sir  George;  Curs.  B.  E.  (Georg  IL). 

N.  Sir  Edward  CHve,  Just.  C.  P.  (Georg  IIL). 

NS.  Der  Sohn  eines  andern  Neffen  war  der  große  Lord  Clive. 


f)  Nämlich  des  William  B.     D.  Üb. 
*)  Dekan.    D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  93 

Cockburn,  Sir  Alexander  James;  Ch.  Q.  B.  (Vict). 

(V.)  Gesandter  und  bevollmächtigter  Minister  in  Columbia. 
Coleridge.  Sir  John  Taylor;  Just.  Q.  B.  (Vict.). 

O.  Samuel  Taylor  Coleridge,  Dichter  und  Philosoph,  s.  unter 
Dichtern.    (Er  war  der  Vater  von  Hartley,  Derwent  und 
Sara). 
OS.  Hartley  Coleridge,  Dichter. 
OS.  Edward,  Direktor  am  College  in  Eton. 
OS.  Derwent   Coleridge,   Rektor   des   St.   Mark   College   in 

Chelsea. 
OS.  Sara  Coleridge,  Schriftstellerin  (heiratete  ihren  Vetter, 

Henry  Nelson  Coleridge). 
OS.  Henry  Nelson  Coleridge  (Sohn  des  Oberst  Coleridge, 
Bruder  des  Samuel  Taylor  C),  Schriftsteller. 
S.  Sir  John  Duke  Coleridge,  Solicitor-Qeneral.**) 
Cooper,  Sir  Anthony  Ashley;  ernannt  zum  Earl  von  Shaftes- 
bury;  Lord  Chancellor  (Karl  II.). 
E.  Der  dritte  Earl,  Autor  der  „Charakteristiken'". 
Copley,  Sir  John  Singleton;   ernannt  zum  Lord  Lyndhurst; 
Lord  Chancellor  (Vict.). 

V.  Ein  Maler  und  zwar  ein  hervorragender,  nach  den  Preisen 
zu  urteilen,  die  seine  Bilder  jetzt  erzielen. 
Cottenham,  Lord  s.  Pepys. 

Cowper,  Sir  Wm,;  ernannt  zum  Earl  Cowper;  Lord  Chan- 
cellor (Georg  I.). 

B.  Sir  Spencer  Cowper,  Just.  C.  P.  (Georg  IL). 
NS.  Der  Dichter  Cowper  war  Sir  Spencers  Enkel  (s.  Dichter). 
Cowper,  Sir  Spencer;  Just.  C.  P.  (Georg  IL). 

B.  Erster  Earl  Cowper,  Lord  Chancellor  (Georg  L). 
E.  William  Cowper,  der  Dichter. 
Cranworth,  Lord  s.  Rolfe. 
D  a  m  p  i  e  r  ,  Sir  Henry;  Just.  K.  B.  (Georg  IIL). 
V.  Dean  von  Durham. 
B.  Bischof  von  Ely. 
De  Grey,  Sir  Wm.;  ernannt  zum  Lord  Walsingham;  Ch.  C. 
P.  (Georg  IIL). 

S.  Thomas,  2ter  Baron,  zwanzig  Jahre  lang  Präsident  der 
Kommissionen  im  Hause  der  Lords. 


**)  Hoher  juristischer  Beamter  der  Krone.    D.  Üb. 


94  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1885. 

D  e n  i  s  0  n ,  Sir  Thomas;  Jüst.  K.  B.  (Georg  III.). 

4  NS.  und  (2  NS).  Sein  Bruder  war  der  Großvater  einer  be- 
merkenswerten Familie  von  sechs  Brüdern,  nämlich  des 
jetzigen  Speakert)  des  House  of  Commons,  des  Bischofs 
von  Salisbury,  des  Archidiakonus  von  Taunton,  des  Ex- 
Gouverneurs von  Südaustralien  und  zwei  anderen,  die 
beide  Gelehrte  sind. 
D  e  n  m  a  n  ,  Sir  Thomas;  ernannt  zum  Lord  Denman;  Ch.  Q,  B. 
(Vict.). 

V.  Arzt,  ein  gefeierter  Accoucheur. 

S.  Hon.  George  Denman,  königlicher  Rat,  Mitglied  des  Parla- 
ments, war  der  erste  in  klassischen  Studien  seines  Jahr- 
gangs, 1842  in  Cambridge. 
oS.  Sir  Benjamin  Brodle,  erster  Baronet,  der  späterhin  her- 
vorragende Chirurg. 
oE.  Der  jetzige  Sir  Benjamin  Brodie,  2ter  Baronet,  Professor 
der  Chemie  in  Oxford. 
Dolben,  Sir  William;  Just.  K.  B.  (Wilh.  III.). 

S.  Sir  Gilbert  Dolben,  Just.  C.  P.  in  Irland,  zum  Baronet  er- 
nannt. 
B.  John  Dolben,  Erzbischof  von  York. 
gB.  Erzbischof  John  Williams,  der  Lord  Keeper  Jakobs  I. 
E 1  d  0  n  ,  Lord,  s.  Scott. 
Ellenborough,  Lord,  s.  Law. 
E r  1  e ,  Sir  William;  Ch.  C.  P.  (Vict.). 

B.  Peter  Erle,  Commissioner  of  Charities*). 
E  r  s  k  i  n  e ,  Thomas ;  ernannt  zum  Lord  Erskine ;  Lord  Chan- 
cellor  (Georg  III.). 

B.  Henry  Erskine,  zweiter  Lord  Advocate**)  von  Schott- 
land. 
S.  Hon.  Sir  Thomas  Erskine,  Just.  C.  P.  (Vict.). 
Erskine,  Hon.  Sir  Thomas;  Just.  C.  P.  (Vict). 
V.  Lord  Erskine,  Lord  Chane.  (Georg  III.). 
O.  Henry  Erskine,  zweimal  Lord  Advocate  von  Schottland. 
E  y  r  e  ,  Sir  Robert;  Ch.  C.  P.  (Georg  II.). 

V.  Sir  Samuel  Eyre,  Just.  K.  B.  (Wilh.  III.). 


I)  Vorsitzender.     D.  Üb. 

*)  Mitglied  der  Verwaltung  der  milden  Stiftungen.     D.  Üb. 
**)  General-Anwalt.    D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  95 

Eyre,  Sir  Samuel;  Just.  K-  B.  (Wilh.  III.). 
S.  Sir  Robert,  Ch.  C.  B.  (Georg  IL). 

(Sir  Qiles  Eyre,  Just.  K.  B.  (Wilh.  III.)  war  nur  sein  Vetter 
in  zweiter  Linie). 
Finch,  Sir  Heneage ;  ernannt  zum  Earl  von  Nottingham,  Lord 
Chancellor  (Karl  II.). 
V.  Sir  Heneage  Finch,  Recorder*)  von  London,  Speaker 

im  House  of  Commons. 
S.  Daniel,  zweiter  Earl  und  Hauptstaatssekretär  Wilh.  III. 
S.  Heneage  Finch,  Solicitor-general  und  Parlamentsmitglied 
für  die  Universität  Cambridge;  zum  Earl  Aylesford  er- 
nannt. 
OS.  Thomas  Twisden,  Just.  K.  B.  (Karl  IL). 
GN.  Lord  Finch,  Ch.  C.  P.  und  Lord  Keeper  (Karl  L). 
gN.  (?)  Dr.  William  Harvey  (s.  unter  Naturwissenschaften), 
Entdecker  der  Blutzirkulation. 
Harvey  Familie  Finch 

i —  l  I 1 

X  X  X  X**) 


Dr.  William  Harvey  i  =  Sir  Heneage  i  Lord  Finch, 

(Blutzirkulation)  |  Speaker  H.  C        |  Lord  Keeper 

Heneage  T.  Twisden 

Daniel  Heneage 

2.  Earl;  Sol.  Gen.;  1.  E.  Aylesford 

Hauptstaatssekret.  |_    ^.^^.^^  Legge 

I    l.EarlDartmouth 
Heneage  Legge, 
B.  E.  (Georg  II.) 

ES.  Hon  Heneage  Legge,  B.  E. 
Forst  er,  Sir  Robert;  Ch.  K.  B.  (Karl  IL). 

V.  Sir  James  Forster,  Just.  C.  P.  (Karl  L). 
G  o  u  1  d  ,  Sir  Henry;  Just.  Q.  B.  (Anna). 

E.  Sir  Henry,  Gould,  Just.  C.  P.  (Georg  III.). 

e.  Henry  Fielding,  der  Novellist  („Tom  Jones")- 
Q  o  u  I  d  ,  Sir  Henry;  Just  C.  P.  (Georg  III.). 

G.  Sir  Henry  Gould,  Just  Q.  B.  (Anna). 


*)  Syndikus.     D.  Üb. 
**)  °  bedeutet  Tochter,  X  bedeutet  Sohn. 


96  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1866. 

OS.  Henry  Fielding,  der  Romancier. 

G  u  i  1  f  o  r  d  ,  Lord  s.  North. 

Q  u  r  n  e  y  ,  Sir  John;  B.  E.  (Vict.). 

S'.  Rt.  Hon.  Russell  Qurney,  Parlamentsmitglied,  Recorder 
von  London. 

Harcourt,   Sir   Simon;    ernannt   zum   Lord   Harcourt;   Lord 
Chancellor  (Georg  L). 
G.  Waller,  der  erste  Parliamentary  general  (er  selbst  Ver- 
wandter von  Waller,  dem  Dichter). 

Hardwicke,  Earl  von,  s.  Yorke. 

H  e  a  t  h  ,  Sir  John;  Just.  C.  P.  (Georg  IIL). 

S.  Dr.  Benjamin  Heath,  Head  Master*)  in  Eton 

Henley,    Sir    Robert;    ernannt    zum    Earl    von    Northington; 
Lord  Chancellor  (Georg  III.). 

V.  Einer  der  tüchtigsten  Männer  seiner  Zeit.     Parlaments- 
mitglied für  Weymouth. 

Herbert,  Sir  Edward;  Lord  Keeper,  (Karl  IL). 

S.  Arthur,  ein  Admiral,  wurde  zum  Lord  Torrington  ernannt. 
S.  Sir  Edward  Herbert,  Ch.  K.  B.  und  C.  P.  (Jakob  IL). 
OS.  Lord  Herbert  von  Cherbury,  Staatsmann  und  Philosoph. 
OS.  George  Herbert,  Dichter  und  Geistlicher. 

H  e  r  b  e  r  t ,  Sir  Edward;  Ch.  K.  B.  und  Ch.  C.  P.  (Jakob  IL). 
V.  Sir  Edward,  Lord  Keeper.   (Karl  IL). 
B.  Arthur,  ein  Admiral,  ernannt  zum  Lord  Torrington. 

He  Witt,  Sir  James;  ernannt  zum  Lord  Lifford;  Just.  K.  B. 
(Georg  IIL). 

S.  Joseph  Hewitt,  Just.  K-  B.  in  Irland. 
S.  Dean  von  Cloyne. 

H  o  t  h  a  m ,  Sir  Beaumont;  B.  E.  (Georg  IIL). 

B.  Ein  Admiral,  wurde  wegen  seiner  Heldentaten  zur  See 
zum  Lord  Hotham  ernannt. 

Hyde,  Sir  Edward;  ernannt  zum  Lord  Clarendon;  Lord  Chan- 
cellor (Karl  IL).  Die  Hydes  waren  viele  Generationen  hin- 
durch eine  sehr  befähigte  Famüie,  sowohl  im  Staat  als  in  der 
Gesetzgebung;  aber  da  sie  aus  dem  Bereich  des  Wettbewerbs 
in  das  eines  Begünstigungssystems  übergingen,  kann  ich  ihre 
Verdienste  nicht  richtig  einschätzen.     Überdies  erlosch  die 


*)  Erster  Lehrer  in  einem  College.     D.  Üb. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  97 

männliche  Linie.    Die  folgenden  sind  die  nahen  Verwandten 

des  Lord  Chancellor: 

O.  Sir  Nicholas  Hyde,  Ch.  K.  B.   (Karl  I.). 

0.  Sir  Lawrence  Hyde,  ein  großer  Rechtsgelehrter  und  At- 
torney-Qeneral  unter  Jakob  L  Er  hatte  elf  Söhne,  von 
denen  sich  die  meisten  in  ihren  verschiedenen  Berufen 
auszeichneten.    Von  diesen  sind: 

OS.  Sir  Robert  Hyde,  Ch.  K.  B.    (Karl  II.). 

OS.  Sir  Frederik  Hyde,  ein  Judte  in  S.  Wales. 

OS.  Alexander,  Bischof  von  Salisbury. 

(OS.)  Graduiert  im  New  College  und  Judge  der  Admiralität. 

(OS.)  Dean  von  Windsor. 

(OS.)  James,  Rektor  von  Magdalen  Hall. 

S.  Henry,  zweiter  Earl,  Lord  Privy  Seal. 

S.  L  awrence,  ernannt  zum  Earl  von  Rochester,  Lord  Lieute- 
nant von  Irland,  ein  Mensch  von  großen  natürlichen  An- 
lagen und  großer  Rechtschaffenheit. 

Familie  Hyde 

I  ^1                                ^1 

Sir  Lawrence  Sir  Nicholas                        X 

Attorney-General  unter  Ch.  K.  B.                           | 

Johann  I.  1-  Earl  von  Clarendon 

[  Lord  Chane,  u.  Historiker 


I  i  i  I      I      I 

Robert        Frederik      Alexander    3  andere 

Ch.K.B.  Judge,  Wales     Bischof       alle  aus- 


gezeichnet 


i  E  I 

Henry  Lawrence  Anne 

2.  Earl  ernannt  zum      verheiratet  an 

Earl  V.  Rochester      Jakob  IL 

! 

Duchess  of  Queensberry 
Patroness  von  Gray,  die  Dichterin. 

(S.)  Anne,  verheiratet  an  den  Duke  von  York,  später  Jakob  II. 
Eine  Frau  von  starkem  Charakter,  die  Drohungen  zum 
Trotz  darauf  bestand,  daß  ihre  Ehe  öffentlich  bekannt 
werde,    was    immer    für    Konsequenzen    daraus    folgen 
möchten. 
Hyde,  Sir  Robert;  Ch.  K.  B.  (Karl  IL). 
V.  2  B.  (3  B.)  O.  und  OS.  s.  oben. 
Jeffreys,  Geo,  ernannt  zum  Lord  Jeffreys  von  Wem;  Ch.  K- 

Gallon,  Genie  und  Vererbung  • 


98  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

B.  Lord  Chancellor  Jak.  II.). 
Q.  Ein  Judge  in  Nordwales. 
OS.  Sir  John  Trevor,  M.  R.  (Qeo  I.).     . 
Jervis,  Sir  John;  Ch.  C.  P.  (Vict). 
V,  Chief  Justice  von  Chester. 

GN.  J.  Jervis,  Admiral,  erster  Earl  St.  Vincent,  s.  Parker. 

Parker 


X  Earl  Macclesfield 

Jervis  |  Lord  Chane.  (Geo.  I.) 


X  X  =  Schwester     Sir  Thomas  Parker 

I  I  Ch.  B.  E.  (Geo.  III.) 

^  Admiral 

j  1.  Earl  S.  Vincent 
Sir  John  Jervis 
Ch.  C.  P.  (Vict.) 

Keating,  Sir  Henry  Singer;  Just.  C.  P.  (Vict.). 

V.  Sir  Henry  Keating,  K.  C.  B.  zeichnete  sich  in  Indien  usw. 
aus. 
King,  Sir  Peter;  ernannt   zum  Lord  King;   Lord  Chancellor. 
(Qeo  IL). 

o.  John  Locke,  der  Philosoph. 
L  a  n  g  d  a  1  e ,  Lord  s.  Bickersteth. 

Law,  Sir  Edward;  ernannt  zum  Lord  Ellenborough;  Ch.  K.  B. 
(Geo  III.). 

V.  E.  Law,  Bischof  von  Carlisle.  Schriftsteller. 
S.  Edward,   General-Gouverneur   von   Indien,   ernannt   zum 
Lord  Ellenborough. 
S'.  C.  Evan,  Recorder  von  London  und  Parlamentsmitglied 
für  die  Universität  Cambridge. 
B.  G.  H.  Bischof  von  Bath  und  Wells. 
B.  John,  Bischof  von  Elphin  in  Irland. 
Die  Familie  hat  noch  viele  andere  befähigte  Mitglieder. 
Lawrence,  Sir  Soulden,  Just.  C.  P.  (Geo  III.). 

V.  Präsident  des  Ärztekollegiums. 
Lechmere,  Sir  Nicholas;  B.  E.  (Wilh.  III.). 

E.  Nicholas     Lechmere,     Attorney-General,     ernannt     zum 

Baron  Lechmere. 
0.  Sir  Thomas  Overbury,  Dichter  (vergiftet). 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  99 

L  e  e ,  Sir  William,  Ch.  K.  B.  (Qeo  IL). 

B.  George,  Dean  of  the  Arches*)  und  Judge  der  Pregorative 
Court**)  in  Canterbury.  Diese  beiden  Brüder  waren 
gleichzeitig,  der  eine  an  der  Spitze  des  höchsten  Ge- 
richtshofes des  Common  Law,  der  andere  an  der  Spitze 
des  höchsten  Gerichtshofes  des  Zivilrechts;  ein  gleicher 
Fall  wie  der  der  Lords  Eldon  und  Stowell. 
Legge,  Hon  Heneage;  B.  E.  (Geo  IL). 

V.  William,  erster  Earl  von  Dortmouth,  Staatssekretär  etc. 
G.  George,  erster  Baron   Dartmouth,  Master  of  the   Ord- 

nance***)  und  Admiral  of  the  Fleetf). 
g.  erster    Lord    Aylesford,    Attorney-General    und    hervor- 
ragender Rechtsgelehrter. 
gV.  (Vater  des  Lord  Aylesford)  war  der   erste  Earl   von 
Nottingham,  Lord  Chancellor  (s.  Finch). 
L  i  f  f  0  r  d ,  Lord  s.  Hewitt. 
L  0  V  e  1 1 ,  Sir  Salathiel;  B.  E.  (Anne). 

Sir  Thomas  Lyttleton, 

der  hervorragende 

Judge 


Richard,  hervor-         X 


ragender  Rechts-         I  c-    cj        j  ^ir  ix 

apiphrtPr  X  Sir  Edmund  Walter 

^       "  '  Ch.  Just.  S.  Wales 


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^  T  f'^  ^.^"^f/r^.       T  °  Sir  J.  Walter 

Judge,  N.  Wales  ch.  B.  E. 


Edward  Timothy  — 

Lord  Keeper  B.  E.  sergeant  at  law 


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Sir  Thos.  Lyttleton, 
Speaker  H.  Commons 


*)  Richter  eines  alten,  unter  dem  Erzbischof  von  Canterbury  stehenden 
geistlichen  Appellationshofes.     D.  Üb. 

**)  Früheres  geistliches  Gericht  in  Testamentssachen.    D.  Üb. 
***)  Feldzeugmeister.    D.  Üb. 
t)  Flottenadmiral.    D.  Üb. 

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Die  Judges  in  England  zwisciien  1660  und  1865.  101 

eS.  War  Richard  Lovell  Edgeworth,  Schriftsteller. 
eE.  Maria  Edgeworth,  Novellistin. 
Lyndhurst,  Lord  s.  Copley. 
Lyttleton,  Sir  Timothy;  B.  E.  (Karl  IL). 

GG.  Sir  Thomas  Lyttleton,  der  hervorragende  judge  unter  . 

Edward  IV. 
g.  Sir  E.  Walter,  Chief  Just,  von  S. -Wales. 
0.  Sir  John  Walter,  Ch.  B.  E.  (Karl  L). 
V.  Sir  Edward  Lyttleton,  Chief  Justice  von  N.-Wales. 
B.  Edward,  Lord  Lyttleton,  Lord  Keeper  (Karl  I.). 
NS.  Sir  Thomas  Lyttleton,  Speaker  im  House  of  Commons 
1698.    (Seine  Mutter  war  die  Tochter  des  Lord  Keeper ) 
Macclesfield,  Lord,  s.  Parker. 
M  a  n  n  e  r  s ,  Lord,  s.  Sutton. 
Ma  n  s  f  i  e  1  d ,  Sir  James,  Ch.  C.  P.  (Qeo  III.). 

E.  General  Sir  William  Mansfield,  Komtur  des  Bath  Ordens, 
Oberkommandant  in  Indien. 

[Außerdem  drei  begabte  Brüder.] 
Milton,  Sir  Christopher;  C.  P.  (Jakob  IL). 
B.  Milton,  der  Dichter,  s.  unter  Dichter. 

Miltons  Mutter  war  eine  Verwandte  (?  welchen  Grades) 
des  Königsmörders  Lord  President*)  Bradshaw. 
M  o  n  t  a  g  u  ,  Sir  William,  Ch.  B.  E.  (Jacob  IL). 
V.  Ernannt  zum  Baron  Montagu. 
VB.  Sir  Henry  Montagu,  erster  Earl  von  Manchester,  Ch. 

B.  K.  James  I. 
N.  Ernannt  zum  Duke  von  Montagu,  Staatsmann. 
g.  Sir  John  Jeffreys,  C.  B.  K. 

GV.  Sir  Edward  Montagu,  Ch.  B.  K.  (Henry  VIII.). 
M  0  n  t  a  g  u  ,  Sir  J.  Ch.  B.  E.  (Geo  L). 

G.  Henry  Montagu,  erster  Earl  von  Manchester,  Ch.  B.  K. 
O.  Walter,  Abt  von  Pontoise;  Dichter,  Hofmann,  Rat  unter 

Marie  von  Medicis. 
O.  Edward,  zweiter  Earl  von  Manchester,  der  erfolgreiche 
General  Baron  Kimbolton  von  Marston  Moor. 


*)  Vorsitzender  Richter  des  obersten  Zivilgerichtshofes  in  Schottland. 
D.  Üb. 

**)  Vornehmster  Barrister  des  gemeinen  Rechts.      D.  Üb. 


102  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

GB.  Erster  Baron  Montagu. 

OE.  (Enkel   von   Baron   Kimbolton.)     Der   vierte   Earl   von 
Manchester,    erster    Staatssekretär,    1701,    zum    ersten 
Duke  von  Manchester  ernannt. 
Na  res,  Sir  George,  Just,  C.  P.  (Qeo  III.). 

S.  Regius,  Professor  für  moderne  Geschichte  in  Oxford. 
B.  Dr.  James  Nares,  Musiker. 
North,  Francis,  ernannt  zum  Lord  Guilford;  Lord  Chancellor 
(Jakob  II.). 
B.  Dudley  North,  Großhändler  nach  der  Levante,  hervor- 
ragender enghscher  Finanzmann. 
B.  Rev.  John  North,  Dr.  der  Theologie,  Gelehrter,  Master  des 

Trin.  Coli,  in  Cambridge. 
B.  Roger     North,     der     Biograph,     Attorney-General     der 

Königin, 
b.  Mary  hatte  ein  wunderbares  Gedächtnis. 
oS.  Charles  Hatton  „der  Unvergleichliche"  (s.  „Leben  der 

North"). 
gB.  Sir  Henry  Montagu,  erster  Earl  von  Manchester,  s.  Mon- 
tagu Sir  J. 

gN,  Edward,  zweiter  Earl  von  Manchester,  der  Baron  Kim- 
bolton von  Marston  Moor. 
gN.  George  Montagu,  Abt  von  Pontoise,  Hofman  und  Mi- 
nister Katharinas  von  Medicis. 
gN.  Sir  Edward  Montagu,  erster  Earl  von  Sandwich.    (Sein 

Onkel  (o)  war  pepys  „sein  Tagebuch".) 
(N)  Dudleya  North,  Orientalistin. 

ES.  Frederick,  zweiter  Earl  Guilford,  Premierminister.    (Der 
„Lord  North"  unter  Georg  III.  Regierung.) 
Northington,  Lord  s.  Henley. 
Nottingham,  Earl  von,  s.  Finch. 

Parker,  Sir  Thomas;   ernannt  zum  Lord  von   Macclesfield ; 
Lord  Chancellor  (Geo  I.). 
S.  Zweiter  Earl,  Präsident  der  Royal  Society,  Mathematiker 

und  Astronom, 
OE.  Sir  Thomas  Parker,  Ch.  B.  E. 
Parker,  Sir  Thomas,  Ch.  B.  E.  (Geo  IIl). 

n.  John  Jervis,  Admiral  erster  Earl  St.  Vincent,  s.  Jervis. 
GN.  Sir  T.  Parker,  erster  Earl  von  Macclesfield,  Lord  Chan- 
cellor. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  103 

Patteson,  Sir  John,  Just.  K.  B.  (Vict). 

S.  Heidenbischof  der  Inseln  im  Stillen  Ozean. 
Pengelly,  Sir  Thomas;  Ch.  B.  E.   (Qeo  IL). 

(Q)  (Bekannt,    aber    fraglich.)      Oliver    Cromwell    (Foss's 

„Judges"). 
Pepys,  Sir  Chas.  Christopher;  ernannt  Earl  von  Cottenham; 
Lord  Chancellor  (Vict.), 

(V.)  Ein  Vorsteher  in  der  Kanzlei  des  Lordkanzlers. 
Q.  Sir  L.  Pepys,  Leibarzt  Georgs  III. 
g.  Rt.  Hon.  W.  Dowdeswell,  Chancellor  of  the  Exchequer. 
B.  Bischof  von  Worcester. 
Pollock,  Sir  Frederick  Ch.  B.  E.  (Vict.). 
B.  Sir  David,  Ch.  Justice  von  Bombay. 
B.  Sir  George,  General  in  Afhganistan. 
S.  Frederick,   Vorsteher   in   der   Kanzlei   des   Lordkanzlers, 

Danteübersetzer. 
(E)  Frederick  (auch  [e]  des  Right  Hon.  C.  Herries,  Chan- 
cellor of  the  Exchequer)  war   1867  in  Cambridge   der 
zweite  seines  Jahrganges  in  klassischen  Studien. 
Powis,  Sir  Lyttleton,  Just.  K.  B.  (Geo  I.). 

B.  Sir  Thomas  Powis,  Just.  K.  B.  (Geo  I.). 
Powis,  Sir  Thomas;  Just.  K.  B.  (Geo  I.). 
P  r  a  1 1 ,  Sir  John,  Ch.  K.  B.  (Geo  I.). 

S.  Sir  Charles  Pratt,  erster  Earl  Camden,  Lord  Chancellor 

(Geo  III.). 
E.  J.  J.  Pratt,  zweiter  Earl  und  zum  ersten  Marquis  Camden 
ernannt,  Statthalter  von  Irland,  Kanzler  der  Universität 
von  Cambridge. 
e.  George  Hardinge  (s.  nächsten  §). 

es.  Field  Marshai  erster  Viscount  Hardinge,  Generalgouver- 
neur von  Indien, 
(es)  (s.  nächsten  §). 
Pratt,  Sir  Charles;  ernannt  zum  Earl  Camden;  Lord  Chan- 
cellor Geo  III.). 

V.  Sir  John  Pratt,  Ch.  K.  B.  (Geo  I.). 

S.  J.  J.  Pratt,  zweiter  Earl  und  zum  Marquis  von  Camden 
ernannt,   Statthalter   von   Irland   und   Kanzler   der   Uni- 
versität von  Cambridge, 
n.  George   Hardinge,   Attorney-General   der   Königin,   Chief 
Justice  des  Gerichtsbezirks  von  Brecon. 


104  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

nS.  Field  Marshai  erster  Viscount  Hardinge,  General-Gou- 
verneur von  Indien.    (Sein  Vater  war  ein  Literat.) 
(nS.)  Ein  Kapitän  der  Marine,  dem  die  Nation  ein  Monument 
in  der  St.  Paulskirche  stiftete. 
Raymond,  Sir  Edward;  ernannt  zum  Lord  Raymond;  Ch.  K. 
B.  (Geo  II.). 

V.  Sir  Thomas  Raymond,  ein  Judge  in  jedem  der  drei  Courts. 
(Karl.) 
Raymond,  Sir  Thomas ;  Just.  K.  B.  &  c.    (Karl  IL). 

S.  Robert,  Lord  Raymond,  Ch.  K.  B.  (Geo  IL). 
Reynolds,  Sir  James  (2);  B.  E.  (Geo  IL). 

O.  Sir  James  Reynolds  (1)  Ch.  B.  E.  (Geo  IL). 
Rolfe,  Sir  Robt.  Monsey;  ernannt  zum  Lord  Cranworth;  Lord 
Chancellor  (Vict.). 
GN.  Admiral  Lord  Nelson. 

gV.  Dr.  Monsey,  der  gefeierte  und  seltsame  Arzt  am  Chelsea- 
Spital. 
Romilly,  Sir  John;  ernannt  zum  Lord  Romilly;  M.  R.  (Vict.). 
V.  Sir    Samuel    Romilly,    Solicitor-General*)    und    hervor- 
ragender Jurist. 
Scarlett,  Sir  James,  ernannt  zum  Lord  Abinger;  Ch.  B.  E. 
(Vict.). 

(B)  Sir  William  Scarlett,  Chief  Justice  in  Jamaica. 
S.  Gen.  Sir  James  Scarlett,  Oberbefehlshaber  der  Kavallerie 

in  der  Krim;  dann  General-Adjutant. 
S.  Sir  Peter  Campbell  Scarlett,  Diplomat. 
Scott,  Sir  John ;  ernannt  zum  Earl  von  Eldon,  Lord  Chancellor 
(Geo  IV.). 
B.  Sir  William  Scott,  ernannt  zum  Lord  S'towell,  Judge  des 
Hohen  Admiralitäts-Gerichtshofs,    (s.  Bemerkungen  unter 
Ch.  Just.  Sir  W.  Lee.) 
S  e  w  e  1 1 ,  Sir  Thomas  M.  R.  (Geo  III.). 

e.  Matthew  G.  Lewis,  Novellist  gewöhnlich  „Monk"  Lewis 
genannt. 
Shaftesbury,  Earl  von,  s.  Cooper. 

Somers,  Sir  J.  ernannt  zum  Earl  Somers;  Lord  Chancellor 
(Wilh.  III.). 


*)  Hoher  juristischer  Beamter  der  Krone,  ohne  Sitz  im  Kabinet. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  106 

A'S.  Charles  Yorke,  Lord  Chancellor  (Geo  III.). 
iVS.  and  2  NE,  s.  Yorke. 
GNE.  Richard  Gibbon,  der  Historiker. 
S  p  e  1  m  a  n ,  Sir  Clement!  Curs.  B.  E.  (Karl  IL). 
GV.  Just.  K.  B.  (Henry  VIII.). 

V.  Sir  Henry,  berühmter  Schriftsteller  auf  dem  Gebiete  der 
Geschichtsforschung  (antiquarian). 
(B.)  Sir  John  Speimann,  gleichfalls  Historiker  (antiquary). 
„Alfred  der  Große". 
S  u  1 1 0  n ,  Sir  Thomas  Manners ;  B.  E.  später  Lord  Chancellor 
von  Irland  und  ernannt  zum  Lord  Manners  (Geo  III.). 
B.  Charles  Sutton,  Erzbischof  von  Canterbury. 
N.  (Sohn  des  Erzbischofs)  Charles  Manner-Sutton,  Speaker 
of  the  House  of  Commons,  ernannt  zum  Viscount  von 
Canterbury. 
Tal  bot,  Hon.  Chas.,  ernannt  zum  Lord  Talbot;  Lord  Chan- 
cellor (Geo  IL). 

V.  Hintereinander  Bischof  von  drei  Bistümern. 
N.  Rev.  William  Talbot,  ein  früher  und  hervorragender  Ver- 
fechter   des  Protestantismus    (Yenn's    Leben,    Vorwort 
S.  XII). 
T  h  e  s  i  g  e  r ,  Sir  Frederick ;  ernannt  zum  Lord  Chelmsford ;  Lord 
Chancellor  (Vict.). 
S.  General-Adjutant  von  Indien. 

(G.  V.  O.)  Alle  bemerkenswert,  aber  kaum  von  genügend 
hervorragender  Bedeutung  um  in  diesem  knappen  Ver- 
wandtschaftsverzeichnis besonders  aufgeführt  zu  werden. 
T  h  u  r  1 0  w ,  Edward ;  ernannt  zum  Lord  Thurlow ;  Lord  Chan- 
cellor (Geo  III.). 
B.  Bischof  von  Durham. 

(S.)  (Illegitim.)    Starb   im   Cambridge,   wo   er,   wie   gesagt 
wurde,  die  höchsten  Auszeichnungen  erreicht  hätte. 
T  r  e  b  y ,  Sir  George  Ch.  C.  P.  (Wilh.  III.). 

S.  Rt.  Hon.  Robert  Treby,  Intendant  des  Heeres. 
Trevor,  Sir  Thomas;  ernannt  zum  Lord  Trevor;  Ch.  C.  P. 
(Geo.  I.). 

g.   J.  Hampden,  der  Patriot, 
V.  Sir  John  Trevor,  Staatssekretär, 
S.  Bischof  von  Durham, 


/ 


106  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

O.  Sir  John  Trevor,  Ch.  B.  E.  (Karl  I.). 
GB.  Sir  Thomas  Trevor,  B.  E.  (Karl  I.). 
Trevor,  Sir  John,  M.  R.  (Geo.  L.). 

oS.  Lord  Jeffreys,  Lord  Chancellor  (Johann  IL). 
T  r  u  r  0  ,  Lord,  s.  Wilde. 
Turner,  Sir  George  James,  Lord  Justice  (Vict.). 

O.    Dawson  Turner,  Botaniker  und  Altertumsforscher. 

O.    Dean  of  Norwich  und  Direktor  des  Pembroke  College 

in  Cambridge. 
(S.)  Bischof  von  Qrafton  und  Armidale  in  Australien. 

(Die  Familie  hat  auch  andere  Mitglieder,  die  sich 
ausgezeichnet    haben,    so    Dr.  Hooker,    den  Botaniker, 
Qifford   Palgrave,   den   Arabienreisenden,   und    Francis 
Palgrave,  den  Schriftsteller.) 
Twisden,  Sir  Thomas;  Just.  K.  B.  (Karl  II.). 

oS.  Earl    von    Nottingham    (Finch)    und    Lord    Chancellor 

(Karl  IL). 
(B.)  Roger,  Altertumsforscher  und  Historiker. 
Vaughan,  Sir  John;  Just.  C.  P.  (Vict). 

B.    Henry  Vaughan,  nahm  den  Namen  Haiford  an  und  wurde 
der  gefeierte  Arzt,  Sir  Henry  Haiford,  erster  Baronet. 
B.  Rev.  Edward  (of  Leicester),  Calvinistischer  Theologe. 
B.    Sir  Charles  R.,  außerordentlicher  Gesandter  in  den  Ver- 
einigten Staaten. 
(B)  Peter,  Dean  von  Chester. 

N.    Rev.  Charles  Vaughan,  Dr.  der  Theologie,  war  1838  der 
erste  in  klassischen  Studien  in  Cambridge;  erster  Leh- 
rer in  Harrow,  wies  zwei  Bistümer  zurück. 
N.    Professor  Haiford  Vaughan  von  Oxford, 
e.     Vaughan  Hawkins,  war  1854  der  erste  seines  Jahrgangs 
in  klassischen  Studien  in  Cambridge. 
Verney,  Hon.  Sir  John;  M.  R.  (Qeo.  IL) 

g.     Sir  R.  Heath.  Ch.  K.  B.  (Karl  L). 
Walsingham,  Lord,  s.  De  Grey, 
Wigram,  Sir  James;  V.  C.  (Vict.). 

B.    Bischof  von  Rochester. 
Wilde,  Sir  Thomas,  ernannt  zum  LordTruro,  Ld.  Chane.  (Vict.). 
B.  Ch.  Justice,  Kap  der  guten  Hoffnung. 
N.    Sir   James   Wilde,    B.  E.    (Vict.),    seitdem    zum   Lord 
Penzance  ernannt. 


Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865.  107 

Wilde,  Sir  James  Piasted;  B.  E.  (Vict);  seitdem  zum  Lord 
Penzance  ernannt. 
O.    Lord  Truro,  Lord  Chancellor  (Vict.). 
O.    Chief  Justice,  Kap  der  guten  Hoffnung:. 
Willes,  Sir  John;  Ch.  C.  P.  (Qeo.  III.). 
B.    Bischof  von  Bath  und  Wells. 
S.    Sir  Edward  Willes,  Just.  K.  B.  (Geo.  III.). 
W  i  11  e  s ,  Sir  Edward  Willes,  Just.  K.  B.  (Qeo.  III.). 
V.    Sir  John  Willes,  Ch.  C.  P.  (Qeo.  III.). 
O.    Bischof  von  Bath  und  Wells. 
Wilmot,  Sir  John  Eardley;  Ch.  C.  P.  (Geo.  III.). 

E.    Fellow  of  the  Royal  Society  of  Arts  und  Fellow  of  the 
Anthropological  Society,  Gouverneur  von  Van  Diemen's 
Land  und  erster  Baronet. 
ES.  Syndikus  von  Warwackshire  und  Judge  des  Provinzial- 
Qerichtshofs  von  Bristol. 
Wood,  Sir  William  Page;    V.   C.   (Vict.)    (seither   zum  Lord 
Hatherley  ernannt,  Lord  Chancellor  1868). 
V.    Sir  Matthew,  28  Jahre  lang  Parlamentsmitglied  für  Lon- 
don und  zweimal  Lord  mayor. 
(O)  Benjamin  Wood,  Parlamentsmitglied  für  Southwark. 
(B)  Western  Wood,  Parlamentsmitglied  für  London. 
W  y  n  d  h  a  m  ,  Sir  Hugh ;  B.  E.,  C.  P.  (Karl  IL). 

B.    Sir  William  Wyndham,  Just  K.  B.  (Karl  II.) 
GN.    Sir  Francis  Wyndham,  Just  C.  P.  (Clif). 
NS.    Thomas  Wyndham,  Lord  Chancellor  von  Irland  (Geo.  I.) 
ernannt  zum  Baron  Wyndham 
Wyndham,  Sir  Wadham;  Just.  K.  B.  (Karl  IL). 
Familie  Wyndham 

I  f 

X  Francis,  Just.  C.  P. 


X  X        Hugh,  Just.  C.  P.     Wadham,  Just.  C.  P. 

— ,  Sergeant  at-law  X 

Thomas,  Ld.  Chane.  Irland, 
Rt.  Hon.  Wm.  ernannt  zum  Baron  Windham 

Wyndham. 


108  Die  Judges  in  England  zwischen  1660  und  1865. 

B.    Sir  Hugh  Wyndham,  B.  E.  Just  C.  P.  (Karl  IL),  Chan- 
cellor  von  Irland  (Qeo.  I),  ernannt  zum  Baron  Wyndham. 

E.    Thomas  Wyndham. 

QN.  Sir  Francis  Wyndham.  Just.  C.  P.  (Eliz.). 
W  y  n  f  0  r  d  ,  Lord,  s.  Best. 
Yorke,  Philip;  Earl  von  Hardwicke;  Lord  Chancellor  (Geo.  IL). 

S.    Hon.   Charles   (von   einer   Nichte   des   Lord   Chancellor 
Somors,  Lord  Chancellor  (Qeo.  III.). 

S.    Hon.  James,  Bischof  von  Ely. 

E.    Philip,  dritter  Earl,  Statthalter  von  Irland. 

X  J 

I  1 


^  John  Somers,  X 

\.  Earl  Somers,  Ld.  Chane.  „    .       ,,    .  ^    . 

R   Gibbon  =  Philipp  Yorke,  erster  Earl 

der  Historiker  I     Hardwicke.  Ld.  Chane. 


X  Charles  James 

Ld.  Chane.  Bischof  von  Ely 


Philip,  3.  Earl  Chas.  Philip, 

Statthalter  von  Irland  1.  Lord  Adm. 

T.  J.  Robinson, 
1.  Earl  Ripon,  Premierminister. 

E.    Rt.  Hon.  Charles  Philip,  Fellow  of  the  Royal  Society  of 

Arts,  First  Lord  der  Admiralität. 
ES.    Lord  Qoderich  und  Earl  von  Ripon,  Premierminister. 
Yorke,  Hon.  Charles;  Lord  Chancellor  (Qeo.  III.). 

V.    Erster  Earl  von  Hardwicke,  Lord  Chancellor  (Qeo.  IL). 

S.    Philip,  dritter  Earl,  Statthalter  von  Irland. 

S.    Rt  Hon.  Charles  Philip  Fellow  of  the  Royal  Society  of 

the  Arts,  First  Lord  der  Admiralität 
B.    Hon.  James,  Bischof  von  Ely. 
gb.  Erster  Earl  Somers,  Lord  Chancellor  (Wilh.  III.). 
NS.  Lord  Qoderich  und  Earl  von  Ripon,  Premierminister. 


Politiker. 

Ich  will  in  diesem  Kapitel  die  Verwandtschaftsbeziehungen 
der  modernen  englischen  Politiker  besprechen.  Es  ist  mein  ernst- 
licher Wunsch,  bei  der  Abfassung  dieses  Buches  zwischen  zwei 
Gefahren  glücklich  hindurchzusteuern,  einerseits  rein  offizielle 
Stellungen  oder  das  ebenso  offizielle  Bekanntsein  eines  Menschen 
mit  einem  mehr  charakteristischen  Ruf  zu  identifizieren,  und 
andererseits  mich  unbewußt  mehr  den  Tatsachen  zuzuneigen, 
die  für  meine  Theorie  am  günstigsten  sind.  Um  mich  gegen  die 
letztere  Gefahr  zu  schützen,  benütze  ich  Gruppen  von  Namen, 
wo  die  Auslese  von  anderen  getroffen  wurde,  um  mich  gegen 
die  erstere  zu  wahren,  adoptiere  ich  Auslesesysteme,  die  das  all- 
gemeine Vertrauen  genießen.  Namentlich  wenn  man  es  mit  Po- 
litikern zu  tun  hat,  ist  es  besonders  wichtig,  nach  beiden  Rich- 
tungen behutsam  zu  sein,  da  ihre  hervorragende  Bedeutung  als 
solche  von  dem  Zufall  der  sozialen  Stellung  stark  beeinflußt  ist. 
Es  wäre  nicht  ratsam,  wenn  wir  für  unsere  Ausleseliste  die 
Namen  der  geheimen  Staatsräte  oder  selbst  der  Kabinettsminister 
wählen  wollten,  denn  obgleich  einige  von  ihnen  wegen  ihrer  Be- 
gabung berühmt  waren  und  viele  hervorragende  Männer  sich 
unter  ihnen  finden,  so  gehören  doch  wieder  andere  unter  ihnen 
einer  entschieden  niedrigeren  natürlichen  Stufe  an.  Es  scheint 
z.  B.  in  den  letzten  Jahren  in  der  Stellung  eines  großen  land- 
besitzenden duke  eine  reine  Nebensache  geworden  zu  sein, 
einen  Sitz  im  Kabinett  als  Minister  der  Krone  inne  zu  haben. 
Ohne  Zweifel  sind  einige  wenige  der  dukes  hochbegabt,  aber 
man  kann  mit  gleicher  Sicherheit  behaupten,  daß  die  Fähigkeiten 
der  großen  Majorität  sehr  weit  davon  entfernt  sind,  eine  solche 
Annahme  zu  rechtfertigen. 


110  Politiker. 

Außerdem  kann  die  Ausnahmestellung  eines  Kabinetts- 
ministers nicht  das  richtige  Kriterien  einer  entsprechenden  außer- 
ordentlichen Begabung  sein,  da  die  Politik  kein  allgemein  zugäng- 
licher Beruf  ist.  Sie  war  das  viel  eher  in  jenen  Zeiten,  wo  wir 
noch  Wahlflecken  hatten,  in  denen  ein  Grundbesitzer  einen  oder 
mehrere  Abgeordnete  ins  Parlament  wählte;  damals  wurden 
junge  Leute,  die  wirklich  viel  versprachen,  eifrig  von  den  Land- 
magnaten gesucht  und  ins  Parlament  gebracht,  wo  man  sie  dann 
dazu  anhielt,  in  den  Gladiatorenkampf  für  die  eine  oder  die  an- 
dere der  großen  streitenden  Parteien  des  Staates  einzutreten. 
Bis  auf  diese  Ausnahmen  war  das  parlamentarische  Leben  kein 
allgemein  zugänglicher  Beruf,  und  selbst  dann  war  die  freie  Zu- 
gänglichkeit keine  vollständige,  denn  nur  begünstigte  Jünglinge 
waren  zu  dem  Wettbewerb  zugelassen.  Aber  wie  in  jedem  an- 
deren Beruf,  hat  auch  im  Parlament  niemand  Aussichten,  beson- 
ders erfolgreich  zu  sein,  der  nicht  außerordentlich  und  besonders 
begabt  ist,  ob  er  auch  von  der  ersten  Zeit  seines  Mannesalters 
an  sich  daran  beteiligt.  Dudley  North,  von  dem  ich  in  dem  Ka- 
pitel über  die  Judges  sprach,  hatte  sicherlich  großen  Erfolg,  eben- 
so in  späteren  Zeiten  Lord  George  Bentinck  und  in  gleicher  oder 
anderer  Art  der  Duke  von  Wellington.  Auch  andere  Fälle  können 
leicht  zitiert  werden,  wo  Männer  erst  in  vorgerücktem  Alter  ihr 
aktives  parlamentarisches  Leben  begannen  und  nichtsdesto- 
weniger erfolgreich  waren;  doch  kann  man  es  als  eine  Regel 
gelten  lassen,  die  nur  wenige  Ausnahmen  kennt,  daß  Politiker 
Menschen  sind,  die  das  Privilegium  besitzen,  in  frühen  Jahren 
ins  Parlament  einzutreten  und  darin  zu  verbleiben.  Jedes  Mini- 
sterium ist  notwendig  aus  einem  begrenzten  Feld  ausgewählt. 
Ohne  Zweifel  enthält  es  stets  einige  wenige  Personen  von  sehr 
hohen  Gaben,  die  ihren  Weg  in  die  Front  unter  jedwedem  ver- 
nünftigen politischen  regime  gefunden  hätten,  aber  es  besteht 
auch  unfehlbar  aus  Männern,  die  in  dem  Kampf  um  Stellung  und 
Einfluß  gefallen  wären,  wenn  ganz  England  zu  gleichen  Be- 
dingungen an  diesem  Kampf  teilnehmen  könnte. 

Zweierlei  Auslesen  von  Männern  scheinen  mir  im  großen 
ganzen  vertrauenswürdig.  Die  einen  sind  die  Premierminister, 
die  wir  der  Bequemlichkeit  wegen  mit  der  Regierung  Georgs  III. 
beginnen  lassen;  ihre  Anzahl  beträgt  25,  und  die  Anzahl  jener. 


Politiker  111 

die  nicht  den  Anspruch  erheben  können,  mehr  als  „hervorragend" 
begabt  zu  sein,  wie  Addington: 

„Pitt  verhält  sich  zu  Addington,  wie  London  zu  Paddington"*) 
ist  sehr  klein.  Die  andere  Auslese  ist  Lord  Broughams  Werk: 
„Die  Politiker  unter  der  Regierung  Georgs  IIL"  Es  zählt  nicht 
weniger  als  53  Männer  auf,  die  aus  den  ersten  Politikern  dieser 
langen  Regierungszeit  ausgewählt  sind.  Nun  sind  von  diesen 
11  Judges  und,  wie  ich  hinzufügen  möchte,  7  dieser  Judges  sind 
in  dem  Anhang  zu  dem  letzten  Kapitel  beschrieben,  nämlich  die 
Lords  Camden,  Eldon,  Erskine,  EUenborough,  King,  Mansfield 
und  Thurlow.  Die  vier  übrig  bleibenden  sind  Chief  Justices 
Burke  und  Gibbs,  Sir  William  ürant  und  Lord  Loughborough. 
Lord  Broughams'  Verzeichnis  enthält  auch  den  Namen  von  Lord 
Nelson,  der  besser  unter  die  Feldherren  einzureihen  ist,  und 
ebenso  den  des  Earl  St.  Vincent,  der  seinen  Platz  in  diesem  Ka- 
pitel behalten  mag,  da  er  sich  in  Friedenszeiten  als  ein  sehr  be- 
fähigter Administrator  zeigte,  wie  er  im  Kriege  ein  sehr  befähig- 
ter Admiral  war.  Zu  diesen  kommen  noch  die  Namen 
von  9  Premierministern  hinzu,  von  denen  der  eine  der  Duke  von 
Wellington  ist,  den  ich  hier  und  dann  wieder  unter  den  Feld- 
herren aufzähle  und  die  in  Lord  Brughams  Verzeichnis  rund  31 
neue  Namen  ergeben.  Lassen  wir  die  Judges  weg,  so  beträgt  die 
Gesamtsumme  beider  Auslesen  57. 

Die  durchschnittliche  natürliche  Begabung  dieser  Männer 
kann  mit  vollem  Rechte  als  höher  denn  Gruppe  F.  bezeichnet 
werden.  Canning,  Fox,  die  beiden  Pitts,  Romilly,  Sir  Robert 
Walpole,  den  Lord  Brougham  in  seine  Aufzählung  aufnimmt,  der 
Marquess  Wellesly  und  der  Duke  von  Wellington  übertreffen 
wahrscheinlich  G.  Man  wird  sehen,  wie  außerordentlich  die 
Verwandtschaftsbeziehungen  dieser  Familien  sind.  Die  Ver- 
wandtschaft der  beiden  Pitt,  Vater  und  Sohn,  ist  oft  als  ein 
seltenes,  wenn  nicht  einziges  Beispiel  von  großem  Genie,  das 
sich  vererbte,  zitiert;  aber  die  bemerkenswerten  Verwandten 
von  William  Pitt  waren  noch  weiter  verbreitet.  Er  war  nicht 
nur  der  Sohn  eines  Premierministers,  sondern  auch  der  Neffe 
eines  andern,  George  Grenville,  und  Vetter  eines  dritten,  Lord 
Qrenville.    Überdies  hatte  er  das  Blut  der  Familie  Temple  in  sich. 


*)  Bezirk  in  London. 


112  Politiker. 

Sein  Stammbaum,  der  sich  in  dem  Anhang  zu  diesem  Kapitel 
findet,  wird  seiner  Abstammung  nur  ungenügend  gerecht.  Der 
Stammbaum  der  Fox  ist  auch  durch  seine  Verbindung  mit  den 
Lords  Holland  und  der  Familie  Napier  sehr  bemerkenswert. 
Eine  der  bedeutendsten  ist  jedoch  die  mit  dem  Marquess  Welles- 
ly,  eines  sowohl  in  Indien  als  in  der  Heimat  sehr  berühmten 
Staatsmannes  und  seines  jüngeren  Bruders,  des  großen  Duke 
von  Wellington.  Er  ist  auch  durch  die  Tatsache  interessant,  daß 
der  Marquess  sehr  bemerkenswerte  Gaben  als  Kritiker  und  Ge- 
lehrter besitzt.  Er  zeichnete  sich  schon  in  frühen  Jahren  durch 
diese  Talente  aus,  und  sie  gingen  auf  seinen  Sohn  über,  den  spä- 
teren Rektor  von  New  Ton  Hall  in  Oxford,  aber  sein  Bruder 
teilte  sie  nicht  mit  ihm.  Obgleich  aber  der  große  Duke  nichts 
vom  Gelehrten  und  Kunstkritiker  in  sich  hatte,  besaß  er  doch 
Eigenschaften,  die  beiden  Typen  verwandt  sind.  Seine  Schriften 
sind  gefeilt  und  nervig  und  hervorragend  wirkungsvoll.  Sein 
Sattelzeug,  seine  Equipagen  und  dergleichen  waren  durch  eine 
unauffällige  Vollkommenheit  und  Tüchtigkeit  in  einer  gefälligen 
Form  charakterisiert. 

Ich  habe  nicht  die  Absicht,  die  vielen  Namen,  die  in  meinem 
Anhang  aufgezählt  sind,  der  Reihe  nach  durchzugehen.  Der 
Leser  muß  das  selber  tun,  und  er  wird  finden,  daß  seine  Mühe 
belohnt  wird;  ich  aber  begnüge  mich  hier  mit  den  Resultaten, 
die  ich  in  der  gleichen  entsprechenden  statistischen  Form  nieder- 
lege, wie  ich  sie  schon  bei  den  Judges  verwendet  habe,  und  be- 
haupte auf  der  gleichen  Basis,  daß  die  Verwandtschaftsbeziehun- 
gen der  Politiker  den  erblichen  Charakter  ihrer  Anlagen  zeigen. 

Ich  glaube  gut  daran  zu  tun,  wenn  ich  die  knappe  Anzahl 
der  englischen  Politiker,  von  denen  ich  eben  gesprochen  habe, 
durch  eine  kurze  ergänzende  Liste  erweitere,  die  sich  aus  ver- 
schiedenen Perioden  und  anderen  Ländern  zusammensetzt.  Ich 
kann  nicht  genau  sagen,  wie  groß  das  Gebiet  war,  auf  dem  die 
Auslese,  wie  die  Liste  sie  darstellt,  vollzogen  wurde.  Ich  kann 
dem  Leser  nur  versichern,  daß  sie  einen  beträchthchen  Teil  der 
Namen  enthält,  die  mir  die  bedeutendsten  unter  jenen  scheinen, 
die  ich  in  gewöhnlichen  kleinen  biographischen  Lexika  ausführlich 
beschrieben  fand. 


Politiker.  113 

Tabelle  I. 
Übersicht  der  Verwandtschaftsbeziehungen  35  englischer  Poli- 
tiker, in  30  Familien  gruppiert. 
Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie). 
Bolingbroke  (Vict.  St.  John)  g.      Perceval  n. 

Disraeli  V.      Romilly,  Sir  S.  s! 

Francis,  Sir  P.  V.      Scott  (Lord  Stowell)  B. 

Qrattan  g,      Wilberforce  S. 

Horner  B. 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  vier  in  der 
Familie). 
2.  Bedford,    Duke  von  und  Ur-Ur-Urenkel,    Earl 

I^ussell  GV.Qi;.EE. 

Bentinck  (Duke  von  Portland)  S.  E. 

Canning  OS'.  S. 

Jenkinson  (Earl  von  Liverpool)  V.  O.  OS. 

Jervis  (Earl  St.  Vincent)  o.  OE.  OES. 

Lamb  (Viscount  Melbourne)  2  B.  &.  e. 

Petty  (Marquess  von  Lansdowne)  GV.  S. 
Rüssel  (s.  Bedford). 

Stanley  (Earl  von  Derby)  V.  oS.  S. 

Stewart  (Marquess  von  Londonderry)  V.  oS.  B. 

Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der 
Familie). 
Dundas  (Viscount  Melville)  QV.  B.  N.  S.  E. 

2.  Fox  und  Lord  Holland  G.  o.  V.  B.  N.  NS.  2oS. 

3.  Grenville,  Lord;  sein  Vater  George 
Grenville,  auch  sein  Vetter  William 

Pitt  B.  V.  g.  oS.  O. 

Grey,  Earl  V.  B.  2S. 
Holland,  Lord  (s.  Fox). 

Peel  V.  g.  2B.  3S. 
2.  Pitt,  nämlich  Earl  Chatham  und  sein 

Sohn,  Wm.  Pitt  (s.  auch  Grenville)     V.  N.  o.  oS.  n. 

Robinson  (Earl  Ripon)  G.  V.  gB.  gV.  S. 

Sheridan  V.  v.  g.  G.  S.  E.  ES. 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vtrerbung.  8 


114 


Politiker. 


B.  0GB.  QG.  QQW. 
GF.Q.G0.GB.0.B.2S. 
G.  B.  2S.  nG. 


Temple  (Viscount  Palmerston) 

Stuart  (Marquess  von  Bute) 

Walpole  (Earl  von  Orford) 

2.  Wellesley,  nämlich  der  Marquess  und 
sein  Bruder,  der  Duke  von  Welling- 
ton 

Anhang:  13  große  Politiker  verschiedener  Zeiten  und  Länder 
in  9  Familien  gruppiert. 

2.  Arteveldt,  James,   und  sein  Sohn  John      S. 

Mirabeau 

More,  Sir  Thomas 

2.  De  Witt,    John,    und  Bruder  Cornelius 

3.  Cecil,  Robt.;  Vater  Lord  Burleigh  und 
Vetter  Lord  Bacon 

Colbert 
Guise,  Duc  de 
Richelieu 

Tabelle  II.*) 


B.  N.  S.  gGV. 


V. 
V. 
B. 

V.  oS. 

O.  B.  2S.  2N 

B.  2S.  E 


ES. 
V.  B.  BE.  BES.  nS. 


Verwan 

dtschaftsgrade 

A. 

B. 

r 

n 

Bezeichnung 

Korrespondierende 

des  Grades 

Buchstaben 

Vater 

13  V 

— 

— 

13 

33 

100 

33.0 

Bruder 

15  B 

— 

— 

— 

15 

39 

150 

26.0 

Sohn 

19  S 

- 

— 

— 

19 

49 

100 

49.0 

Großvater 

6  G 

5g 

— 

— 

11 

28 

200 

14.0 

Onkel 

3  0 

40 

— 

_ 

7 

18 

400 

4.5 

Neffe 

6  N 

1  n 

— 

— 

7 

18 

400 

4.5 

Enkel 

4  E 

0  e 

— 

— 

4 

10 

200 

5.0 

Urgroßvater 

1  GV 

1  gT 

1  GV 

O^V 

1      3 

8 

400 

2.0 

Großonkel 

1  GB 

1  gB 

0  GB 

O^B 

2 

5 

800 

0.6 

Leiblicher  Vetter 

2  OS 

3  oS 

0  OS 

3  oS 

8 

21 

800 

2.6 

Großneffe 

0  NS 

1  nS 

1  iVS 

0  nS 

2 

5 

800 

0.6 

Urenkel 

0  ES 

0  eS 

0  ES 

0  eS 

0 

0 

400 

0.0 

alle     mehr    ent- 

fernten 

14 

— 

— 

— 

14 

1 

37 

~ 

*)  Zur  Erklärung  s.  die  gleiche  Tafel  S.  61. 


Politiker.  116 

Stellen  wir  zunächst  die  Frage,  ob  die  befähigsten  Politiker 
die  größte  Anzahl  von  befähigten  Verwandten  aufweisen?  Ta- 
belle I  beantwortet  sie  in  bejahendem  Sinne.  Es  kann  kein  Zwei- 
fel darüber  herrschen,  daß  die  dritte  Abteilung  mehr  berühmte 
Namen  enthält  als  die  erste,  und  ich  bin  überzeugt,  daß  je  mehr 
der  Leser  sich  die  Mühe  nehmen  wird,  die  Verwandtschafts- 
beziehungen zu  analysieren  und  zu  „wägen",  je  mehr  ihm  auch 
diese  Wahrheit  augenscheinlich  werden  wird.  Anderseits  sind 
die  Politiker,  als  Ganzes  genommen,  wieder  hervorragender  be- 
gabt als  die  Judges;  ein  Vergleich  der  Tabelle  II  resp.  ihrer  Ab- 
teilung B.  mit  der  entsprechenden  Abteilung  auf  S.  60  wird 
zeigen,  daß  ihre  Verwandten  an  Fähigkeiten  reicher  sind. 

Wir  gehen  zu  dem  nächsten  Beweis  über;  wir  sehen,  daß 
der  dritte  Abschnitt  tatsächlich  länger  ist  als  der  erste  oder 
zweite,  und  er  zeigt  uns,  daß  Befähigung  nicht  zufällig  verteilt 
ist,  sondern  an  gewissen  Familien  haftet. 

Drittens  wird  der  Typus  der  politischen  Begabung  in  star- 
kem Maße  weitergegeben  oder  vererbt.  Es  wäre  zu  weitschwei- 
fig, die  Beispiele  aufzuzählen,  die  dafür  sprechen.  Dagegen  sprechen 
Disraeli,  Sir  P.  Francis  (der  kaum  ein  Politiker,  sondern  eigent- 
lich ein  scharfer  Polemiker  war)  und  Horner.  In  allen  übrigen 
35  oder  36  Fällen  meines  Anhangs  finden  sich  ein  oder  mehrere 
Politiker  unter  den  hervorragenden  Verwandten.  Mit  anderen 
Worten:  die  Kombination  von  hohen  intellektuellen  Gaben,  Takt 
im  Umgang  mit  Menschen,  Kraft  des  Ausdrucks  im  Debattieren 
und  die  Fähigkeit,  außerordentlich  harte  Arbeit  zu  verrichten, 
ist  erblich. 

Tabelle  II  beweist  ebenso  deutlich,  als  es  bei  den  Judges 
der  Fall  war,  daß  die  näheren  Verwandten  hervorragender  Po- 
litiker an  Fähigkeiten  reicher  sind  als  die  entfernteren.  Man 
wird  sehen,  daß  das  Verteilungsgesetz,  das  aus  diesen  Beispielen 
folgt,  sehr  ähnlich  jenem  ist,  das  wir  schon  früher  gefunden 
haben.  Ich  will  die  Darstellung  hier  nicht  mit  einem  Vergleich 
der  Politiker  und  Judges  in  Bezug  auf  dieses  Gesetz  aufhalten, 
denn  ich  beabsichtige  alle  Gruppen  hervorragender  Männer,  von 
denen  ich  in  meinen  verschiedenen  Kapiteln  rede,  in  vollkommen 
gleicher  Weise  zu  behandeln  und  die  Resultate  ein  für  allemal 
am  Schluß  dieses  Buches  zu  kollationieren, 

8* 


116  Politiker. 

Anhang  zu  dem  Kapitel  Politiker. 

Politiker  unter  der  Regierung  Georgs  III.,  wie  sie  Lord  Broug- 
ham  in  seinem  wohlbekannten  Buch  unter  dem  gleichen  Titel 

ausgewählt  hat. 

Sein  Verzeichnis  umfaßt  die  folgenden  53  Personen,  von 
denen  33,  deren  Namen  gesperrt  gedruckt  sind,  einen  Platz  in 
meinem  Verwandtschaftsdiktionäre  haben.  Es  kommt  in  dieser 
Liste  häufig  vor,  daß  die  gleiche  Person  unter  ihrem  Titel  und 
ebenso  unter  ihrem  Zunamen  aufgeführt  ist,  etwa  „Dundas  (Vis- 
count  Melville)"  —  „Melville,  Lord  (Dundas)". 

Allen.  *)  B  e  d  f  o  r  d ,  4  ter  Duke.  Bolingbroke.  Bushe, 
Ld.  Ch.  Just.  C  a  m  d  e  n  ,  Earl  (Pratt).  *)  C  a  n  n  i  n  g  ,  Carroll, 
Castlereagh,  Lord  (Londonderry);  see  Stewart.  *)Chatham, 
Lord  (Pitt).  Curran.  D  u  n  d  a  s  (V  i  s  c.  M  e  1  v  i  1 1  e).  E  1  d  o  n  , 
Lord  (Scott).  Erskine,  Lord.  Ellenborough,  Lord 
(Law).  Fox.  Francis,  Sir  Philip.  Qibbs,  Ld.  Ch.  Just. 
Grant,  Sir  Wm.  Grattan.  *)Grenville,  George. 
*)Grenville,  Lord.  Holland,  Lord.  Hörne  r.  Jef- 
ferson.  *)Jenkinson  (Earl  Liverpool).  Jervis 
(Earl  St.  Vincent).  King,  Lord.  Law  (Lord  Ellen- 
borough). Lawrence,  Dr.  *) Liverpool,  Earl  (Jenkin- 
son).  Loughborough,  Lord  (Wedderburn).  Londonderry,  Lord 
(Castlereagh :  s.  Stewart).  Mansfield,  Lord  (Murray). 
Melville,  Lord  (Dundas).  Murray  (Lord  Mans- 
field). Nelson,  Lord.  *)  N  o  r  t  h ,  L  o  r  d.  *)  Perceval. 
*)Pitt  (Earl  von  Chatham).  *)Pitt,  William.  Pratt 
(Earl  C  a  m  d  e  n).  Ricardo.  Romilly.  St.  Vincent  Earl 
(Jervis).  Scott  (Lord  Eldon).  Scott  (Lord  Stowell). 
Stowell,  Lord  (Scott).  Stewart  (Lord  Castle- 
reagh, Marquess  von  Londonderry).  Thurlow, 
Lord.  Tierney.  Tooke,  Hörne.  W  a  1  p  o  1  e.  V/edderburn  (Lord 
Loughborough).  Wellesley,  Marquess.  Wilberforce. 
Wilkes,  John.    Windham. 


*)  Premierminister. 


PoUtiker.  117 

Premierminister  seit  der  Thronbesteigung  Georgs  III. 

Wie  die  folgende  Liste  zeigt,  hatte  England  seit  dieser  Zeit 
25  Premierminister,  von  denen  17,  deren  Namen  gesperrt  ge- 
druckt sind,  einen  Platz  in  meinem  Verwandtschaftsdiktionäre 
haben. 

Neun  von  ihnen  figurieren  bereits  unter  dem  Titel  „Politiker 
unter  Georg  III."    Sie  sind  mit  einem  t  bezeichnet. 

Es  kommt  gelegentlich  vor,  daß  das  gleiche  Individuum 
unter  seinem  Zunamen  und  ebenso  unter  seinem  Titel  angeführt 
ist,  etwa  „Chatham,  Earl  (Pitt)";  —  „Pitt  (Earl  Chatham)". 

Aberdeen,  Earl.  Addington  (Sidmouth).  t  Bedford, 
4terDuke.  Bute, Marques  s.  tCanning.  tChatham, 
Earl  (Pitt).  Derby,  Earl.  Disraeli.  Gladstone.  Q o- 
d  e  r  i  c  h.  Grafton,  Duke.  Grenville,  George,  tGren- 
ville,  Lord.  Grey,  Earl.  Lansdowne  (Shelburne). 
tLiverpool,  Earl.  Melbourne,  Visct.  Newcastle,  Duke. 
tNorth,Lord.  Palmerston,Lord.  Peel,  Sir  Ro- 
bert. tPerceval.  Pitt  (Earl  Chatham).  tPitt, 
William.  Rockingham,  Marquess.  Russell,  Earl.  Shel- 
burne, Earl  (Lansdowne).  Sidmouth,  Lord  (Addington). 
Wellington. 
Bedford,  John,  4  ter  Duke. 

GV.  William,  Lord  Russell;  Patriot,  1683  hingerichtet. 
Gv.  Lady  Rachel  W.  Russell,  ihres  Gatten  Sekretär  „Briefe". 
EE.  Erster  Earl  Russell;  Führer  der  Reform,  wie  Lord  John 
Russell,  und  dreimal  Premierminister. 
B  e  n  t  i  n  c  k  ,  William  H.  Cavendish;  dritter  Duke  von  Portland; 
1783—84  und  1807—10  Premierminister. 
S.  Lord  Wm.  Henry  Bentinck;   General-Gouverneur  von 
Indien,  schaffte  die  Witwenverbrennung  in  Indien  ab  und 
führte  die  Preßfreiheit  ein. 
E.  Lord  George  Bentinck,  Parlamentsmitglied;  wurde   in 
mittleren  Jahren  ein  hervorragender  Finanzmann   und 
führender  Politiker,  bis  dahin  war  sein  Leben  von  Inte- 
ressen für  den  Rennstall  erfüllt. 
Bolingbroke,  Henry;  ernannt  zum  Viscount  St.  John ;  der 
gefeierte  Staatssekretär  der  Königin  Anna;  (sein  Name 


118  Politiker. 

ist  Brougham's  Verzeichnis  der  Politiker  unter  Georg  III. 
beigefügt), 
g.    Sir  Oliver  St  John,  Ch.  Just.  C.  P.  unter  dem  Protek- 
torat, (war  selbst  Vetter  eines  andern  Judge,  S.  Brown 
(s.)  unter  Karl  IL). 

B  u  t  e  ,  Earl  s.  Stuart. 

C  a  m  d  e  n  ,  Earl ;  Lord  Chancellor.    S.  unter  Judges. 
V.  und  S. 

Canning,  George;  ernannt  zum  Lord  Canning;  1827  Premier- 
minister.   Als  Kind  nicht  früh  entwickelt  aber  als  Schul- 
junge bemerkenswert.    („Microcosm"  mit  15  Jahren  und 
Anti-Jakobiner),    Gelehrter,    Redner    und    äußerst    be- 
fähigter Staatsmann.    In  der  Famüie  Canning  herrschte 
ein  sensitives,  reizbares  Temperament. 
(V.)  Ein  Mann  mit  beträchtlichen  literarischen  Kenntnissen, 
(v.)  War  sehr   schön   und  hatte   eine   vorzügliche   Bildung. 
Nach  dem  Tode  ihres  Mannes  trat  sie  ohne  großen  Er- 
folg auf  der  Bühne  auf.    Beide  waren  von  der  übrigen 
Familie  Canning  getrennt. 
OS'.  Stratford  Canning;  ernannt  zum  Lord  Stratford  de  Red- 
cliffe,    Gesandter   bei    der    Hohen    Pforte;   der    „große 
Elchi". 
(OS.)  George  Canning,  Fellow  of  the  Royal  Society  of  Arts, 
Fellow  of  the  Society  of  Antiquaries,  ernannt  zum  Lord 
Garvagh. 
S.  Karl;   ernannt  zum  Lord   Canning;   war   General-Gou- 
verneur von  Indien  während  des  Verlaufs  und  der  Unter- 
drückung des  englischen  Aufstands. 

Castlereagh,  s.  Stewart. 

D  Israeli,  Rt.  Hon.  Benjamin;  1868  Premierminister.  Frühreif 
begann  sein  Leben  in  der  Kanzlei  eines  attorney;  wurde 
als  junger  Mensch  ein  Novellist  von  Ruf,  später  nach 
einem  Mißerfolg  ein  hervorragender  parlamentarischer 
Disputant  und  Redner. 
V.  Isaac  Disraeli;  Autor  der  „Curiosities  of  Literature". 

Dun  das,  Henry;  ernannt  zum  Viscount  Melville;  Freund  und 
Amtsbeistand  von  Wm.  Pitt  und  ein  führendes  Mitglied 
seiner  Administration  in  verschiedenen  Stellungen. 


Politiker.  119 

V.  Robert  Dundas  of  Arniston ;  Lord  President  des  obersten 

Zivilgerichtshofes  in  Schottland. 
Q.  Robert  Dundas;  Lord  Arniston,  hervorragender  Rechts- 
gelehrter; Judge  des  Zivilgerichtshofes. 
(GV.)  Sir   James    Dundas,   Parlamentsmitglied   für   Edinburg, 
Senator  des  Rechtskollegiums. 
B.  (Ein  Halbbruder.)    Robert  Dundas;  Lord  President  des 

obersten  Zivilgerichtshofs,  wie  sein  Vater  vor  ihm, 
N.  (Ein   Halbneffe.)     Robert   Dundas    (Sohn    des    vorher- 
gehenden) Lord  Chief  Baron  des  S'chatzkammergerichts 
für  Schottland. 
S.  Robert     zweiter    Viscount;    Qeheimsiegelbewahrer    in 

Schottland. 
E.  Richard  Saunders  Dundas;  zweimal  Sekretär  der  Ad- 
miralität; Nachfolger  von  Sir  C.  Napier  als  Chefkom- 
mandant der  Baltischen  Flotte  im  Krieg  mit   Rußland 
1855  und  eroberte   Sweaborg.     (Er  war   nicht   mit  Sir 
James  W.  D.  Dundas  verwandt,  der  im  gleichen  Kriege 
Oberbefehlshaber  der  Flotte  am  Schwarzen  Meer  war). 
Eldon,  Earl  von;  Lord  Chancellor,  s.  in  Judges  unter  Scott. 
Ellenborough,  Lord;  Chief  Justice  King's  Bench.  s.  unter 

Judges. 
E  r  s  k  i  n  e ,  Lord  Chancellor,  s.  unter  Judges. 
Fox,  Rt.  Hon.  Charles  James;  Politiker  und  Redner,  der  große 
Rivale  Pitts.    In  Eton  lebte  er  mehr  für  sich  und  war 
fleißig,  aber  gleichzeitig  ein  verschwenderischer  dandy. 
Man  betrachtete  ihn  dort  als  einen  sehr  vielversprechen- 
den jungen  Mann.     Mit  25  Jahren  war  er  bereits  eine 
markante    Erscheinung    im    House    of    Commons    und 
gleichzeitig  ein  großer  Spieler. 
Q.  Sir  Stephen  Fox;  Politiker,  Zahlmeister  der  Mächte;  das 
Invalidenhaus  in  Chelsea  ist  hauptsächlich  ihm  zu  ver- 
danken, er  schlug  den  Plan  vor  und  steuerte  ^  13  000  bei. 
o.   Charles,  dritter  Duke  von  Richmond;  1766  Hauptstaats- 
sekretär. 
V.  Henry;    ernannt    zum    Lord    Holland;    Intendant    des 

Heeres. 
B.  Stephen;  zweiter  Lord  Holland;  Staatsmann  und  sozialer 
Führer. 


120  Politiker. 

N.  Henry  R,  dritter  Lord  Holland;  Fellow  of  the  Royal 
Society  of  Arts,  Fellow  of  the  Society  of  Antiquaries, 
Syndikus  von  Nottingham  (s.  Lord  Brougham's  Pany- 
girikus   auf  diese   Männer   in   seinen   „Politikern   unter 
Georg  IIL").    Seine  Tante,  Lady  Sarah,  die  Schwester 
des  Duke  von  Richmond,  heiratete  den  Oberst  Napier 
und    war    die    Mutter   der   berühmten    Familie    Napier, 
Oberst  Napier  selbst  war  eine  wahrhafte  Heldengestalt. 
Er  hatte  sowohl  in  geistiger  als  physischer  Beziehung 
ungewöhnliche  Kräfte  und  auch  wissenschaftliche  Nei- 
gungen.    Er  war  Superintendent  des  Woolwich-Labo- 
ratoriums  und  Rechnungskontrolleur  der  Armee. 
oS.  General   Sir   Charles   James  Napier,   Ritter   des  Groß- 
kreuzes des  Bathordens,  Chefkommandant  in  Indien;  Er- 
oberer von  Scinde. 
oS.  General  Sir  William  Napier;   Historiker   des  Feldzugs 
der  Engländer  gegen  Napoleon  in  Spanien. 
(3oS'.)  Außerdem  existierten  drei  Brüder  Napier,  die  als  be- 
merkenswerte   Männer    galten,    nämlich:    General    Sir 
George,    Gouverneur    vom   Kap    der    guten   Hoffnung; 
Richard  Q.  C.  und  Henry,  Kapitän  und  Autor  einer  „Ge- 
schichte von  Florenz". 
iVS.  H.    Bunbury,    Senior  -  classic    seines    Jahres    (1833)    in 
Cambridge. 
Francis,  Sir  Philip;  gilt  allgemein  als  „Junius",  der  Pseudo- 
nyme Verfasser  politischer  „Letters"  im  Public  Adver- 
tiser   1769/72,  ein  heftiger  Gegner   Hastings  in  Indien, 
V.    Rev.  Philip;    Dichter    und    dramatischer  Schriftsteller, 
Übersetzer  des  Horaz  und  anderer  Klassiker.  Hatte  eine 
Schule,  die  Gibbon  besuchte.    War  gleichfalls  ein  poli- 
tischer Polemiker. 
G  o  d  e  r  i  c  h  ,  Viscount,  s.  Robinson. 
G  r  a  1 1  a  n  ,  Henry;  Redner  und  Politiker. 

(GB)  Sir  Richard  Grattan,  Lord  Mayor  von  Dublin. 

g.    Thomas  Marley,  Chief  Justice  von  Irland, 
(V)   James  Grattan,    Syndikus  von    und  Parlamentsmitglied 

für  Dublin. 
(S)    Right  Honourable  James  Grattan. 
Q  r  e  n  V  i  1 1  e  ,  George,  1763  Premierminister. 


Politiker.  121 

Die  sehr  bemerkenswerten  Verwandten  der  Familie 
Qrenville  und  die  Resultate  der  Vermischung  der  Fa- 
milie Temple  einerseits  mit  der  Familie  des  ersten  Earl 
von  Chatham,  anderseits  mit  der  Familie  Wyndham,  er- 
sieht man  am  besten  aus  der  beifolgenden  Tabelle. 

g.  Sir  Richard  Temple;  ein  führendes  Mitglied  im  House 
of  Commons. 

o.  General  Sir  Richard  Temple;  ernannt  zum  Viscount 
Cobham,  diente  unter  Marlborough. 

B.  Richard,  folgte  seiner  Mutter,  der  Gräfin,  als  erster  Earl 
Temple;  Politiker;  Großsiegelbewahrer. 

S.  William  Wyndham  Grenville;  ernannt  zum  Lord  Qren- 
ville; 1806  Premierminister. 

S.  George,  2ter  Earl  Temple;  ernannt  zum  Marquis 
Buckingham;  zweimal  Vizekönig  von  Irland. 

S.    Thomas,  der  seine  Bibliothek  dem  British  Museum  hin- 
terließ. 
Qrenville,  William  Wyndham ;  ernannt  zum  Lord  Grenville ; 
1806  Premierminister;  Kanzler  der  Universität  Oxford. 

B.    Marquess  Buckingham,  zweimal  Vizekönig  von  Irland. 

V.    Georg  Grenville;  1763  Premierminister. 

g.  Sir  William  Wyndham;  Baronet,  Intendant  des  Heeres 
und  Schatzkanzler. 

oS.   William  Pitt,  Premierminister. 

O.    Richard  Grenville;  ernannt  zum  Earl  Temple;  Politiker. 
Grey,  Charles,  2  ter  Earl;  1830—34  Premierminister. 

V.  General  in  Amerika,  nahm  frühzeitig  am  Krieg  gegen 
Frankreich  teil,  wurde  seiner  Verdienste  wegen  zum 
Earl  Grey  ernannt. 

B.    Edward,  Bischof  von  Hertford. 

S.  Henry  G.,  3 ter  Earl,  Politiker;  schrieb  über  Kolonial- 
regierung und  Reformen. 

S.    Sir  Charles  Grey,  Privatsekretär  der  Königin. 
Holland,  Lord,  s.  Fox. 

H  0  r  n  e  r ,  Francis,  Politiker,  Finanzmann.  Einer  der  Gründer 
der  Edinburgh  Review;  später  stieg  er  im  Parlament 
rasch  zu  großem  Ansehen  auf.  Seine  Karriere  wurde 
durch  seinen  frühen  Tod,  im  39.  Lebensjahre,  abge- 
brochen. 


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Politiker.  123 

B.  Leonard    Horner,    Geologe;    viele    Jahre    hindurch    ein 
hochgeachtetes  Mitglied  der  wissenschaftlichen  Welt. 
Jenkinson,  Robert  Banks,  2  ter  Earl  von  Liverpool ;  1812-27. 
V.    Right  Hon.  Charles  Jenkinson,  ernannt  zum  Lord  Liver- 
pool;   Staatssekretär,  ein   vertrauter  Freund   und  Rat- 
geber Georgs  ill. 
(O)   John  Jenkinson,  Oberst;  Joint  Sekretär  für  Irland. 
(OS)  John  Banks  Jenkinson,  Doktor  der  Theol.,  Bischof  von 
St.  David. 
J  er  vis,  John  Admiral;  ernannt  zum  Earl  St.  Vincent;  erster 
Lord  der  Admiralität. 
0.    Right  Hon.  Sir  Thomas  Parker;  Ch.  B.  E. 
OE.   Thomas  Jervis,    Parlamentsmitglied,    Chief  Justice  von 

ehester. 
OES.  Sir  John  Jervis,  Parlamentsmitglied,  Attorney-General; 
Ch.  C.  P.  (Vict.). 
King,  Lord,  s.  Judges. 

L  a  m  b  ,  WilHam,  2  ter  Visc.  Melbourne,  1834  und  1835—41  Pre- 
mierminister. 
B.    Frederick,  Diplomat,  Gesandter  in  Wien,  ernannt  zum 

Lord  Beauvale, 
B.    George,  Parlamentsmitglied,  Unterstaatssekretär  für  das 

Mmisterium  des  Innern. 
h.    Lady  Palmerston. 

e.    Rt.  Hon.  Wm.  F.  Cowper,  Präsident  des  städt.  Bauamts 
usw. 
Lansdowne,  Marquis,  s.  Petty. 
Liverpool,  Lord,  s.  Jenkinson. 
Londonderry,  s.  Stewart. 

Nelson,  Admiral,  ernannt  zum  Earl  Nelson,  s.  Feldherren. 
North,    Lord;    ernannt    zum    Earl    Guilford;    Premierminister 
1770—82. 
(GV.)  Francis,  Ister   Baron  Guilford,  Lord  Keeper  (Jakob  IL). 
Seine  drei  Brüder  und  andere  hervorragende  Verwandte 
s.  unter  Judges  (s.  auch  genealogische  Tabelle). 
Palmerston,  s.  Temple. 

Peel,  Sir  Robert,  1834—35,  1841—45,  1845—46  Premierminister. 
V.    Sir  Robert  Peel,  Parlamentsmitglied,  zum  Baronet  er- 
nannt.   Ein  sehr  wohlhabender  Baumwollfabrikant  und 


124  Politiker. 

von  großer  merkantiler  Geschicklichkeit.  Er  gründete 
den  Reichtum  der  Familie,  Er  war  Vize-Präsident  der 
Literarischen  Gesellschaft. 

g.    Sir  John  Floyd,    General,    zum  Baronet  wegen  seiner 
Verdienste  in  Indien  ernannt. 

B.    Right  Hon.  General  Peel,  Kriegsminister. 

B.  Right  Hon.  Lawrence  Peel,  Chief  Justice  des  obersten 
Gerichtshofs  in  Calcutta. 

Ferner  noch  zwei  Brüder  von  mehr  als  durchschnitt- 
licher Befähigung. 

S.  Rt.  Hon.  Sir  Robert,  2ter  Baronet;  Hauptsekretär  für 
Irland. 

S.  Right  Hon.  Frederick,  Unterstaatssekretär  des  Kriegs- 
departements. 

S.    Kapitän  zur  See  William  Peel,  zeichnete  sich  in  Indien 
und  Sebastopol  aus. 
Perceval,  Spencer;  1810 — 12  Premierminister. 

n.  2ter  Lord  Redesdale,  Comite-Vorsitzender  im  Hause 
der  Lords.  (Er  war  der  Sohn  des  Lord  Chancellor  von 
Irland.) 
n.  Right  Hon.  Spencer  Walpole,  Staatssekretär  für  das  Mi- 
nisterium des  Innern. 
Petty,  William  Petty;  2ter  Earl  Shelburne;  ernannt  zum  Mar- 
quis Lansdowne;  1782 — 83  Premierminister.  Ein  eifriger 
Anhänger  des  Earl  von  Chatham;  vorher  hatte  er  sich 
in  der  Armee  bei  Minden  ausgezeichnet. 

GV.  William  Petty,  Arzt,  Politiker  und  Schriftsteller;  Gene- 
ral-Inspektor der  königl.  Wälder  und  Domänen  in  Ir- 
land; ein  Mensch  von  wunderbarer  Gewandtheit,  der  in 
allem  erfolgreich  war,  incl.  Gelderwerb. 

S.  3  ter  Marquis  Lansdowne,  Politiker  und  Schriftsteller. 
In  seiner  Jugend,  als  Lord  Henry  Petty,  gehörte  er  zu 
der  Gesellschaft,  die  die  Edinburgh  Review  gründete. 
Dann  tat  er  sich  im  Parlament  als  Whig  hervor  und  war 
mehr  als  einmal  Staatssekretär,  mit  26  Jahren  war  er 
englischer  Finanzminister. 
Pitt,  William,  ernannt  zum  Earl  von  Chatham;  1766  Premier- 
minister. Ursprünglich  in  der  Armee,  die  er  mit  28 
Jahren  verließ;  später  ein  heftiger  Gegner  Walpoles  im 


Politiker.  125 

Parlament,  „der  schreckliche  Dragonerfähnrich",  später, 
mit  49  Jahren,  wurde  er  einer  der  fähigsten  Politiker, 
der  glänzendste  Redner  und  die  erste  bewegende  Kraft 
der  Politik    in  England.     Heiratete    eine   Qrenville    (s. 
Qrenville  wegen  des  Stammbaums). 
(G.)   Thomas  Pitt,  Gouverneur  des  Fort  George,  der  auf  die 
eine  oder  andere  Weise  in  Indien  ein  großes  Vermögen 
erwarb. 
S.    William  Pitt,  Premierminister, 
e.    Lady  Hester  Stanhope. 
Pitt,  William,  2  ter  Sohn  des  ersten  Earl  von  Chatham.    Be- 
rühmter  Politiker.      1783—1801    und    1804—6   Premier- 
minister, frühreif  und  von  hervorragendem  Talent;   in 
seiner  Kindheit  oft  kränklich;  mit   14  Jahren  ein  treff- 
licher Schüler,  hatte  nie  ein  kindisches  Wesen  und  wurde 
mit  18  Jahren  ein  gesunder  Jüngling.    War  mit  24  Jah- 
ren Finanzminister    und    mit    25  Premierminister;    das 
letztere  Amt  behielt  er  17  Jahre  hintereinander.    Seine 
Gesundheit  wurde  früh  durch  die  Gicht  gebrochen.  Starb 
mit  47  Jahren. 
V.    Earl  von  Chatham,  Premierminister. 
n.    Lady  Hester  Stanhope. 
o.    George  Grenville,  Premierminister, 
nS.   Lord  Grenville,  Premierminister. 
n.    Lady  Hester  Stanhope,  die  die  Honneurs  seines  Hauses 
machte  und  gelegentlich  als  sein  Sekretär  funktionierte. 
Sie  war  hochgebildet,  aber  sehr  exzentrisch  und  mehr 
als  halb  verrückt.    Nach  Pitts  Tod  lebte  sie  in  Syrien, 
wo  sie  die  Tracht  der  männlichen  Eingeborenen  trug  und 
übernatürliche  Kräfte  lehrte. 
P  o  r  1 1  a  n  d ,  Duke  von,  s.  Bentinck. 
R  i  p  o  n  ,  Earl  von,  s.  Robinson. 

Robinson,  Frederick,  John ;    erster  Viscount  Goderich    und 
Earl  von  Ripon,  1827 — 28  Premierminister. 
G.    Thomas  Robinson,  ernannt  zum  Baron  Grantham,  Di- 
plomat; später  Staatssekretär. 
V.    Thomas  Robinson,  2  ter  Baron,  auch  Diplomat  und  später 

Staatssekretär  des  Äußeren. 
gB.   Charles  Yorke,  Lord  Chancellor,  s.  Judges. 


126  Politiker. 

gV.   Philip  Yorke,  erster  Lord  Hardwicke  Ld,  Chancellor,  s. 

Judges. 
S.    George  F.  (ererbter)  Earl  de  Qrey  und  Ripon,  Intendant 
des  Heeres. 

Romilly,  Sir  Samuel;  hervorragender  Jurist  und  Politiker. 
Seine  Eltern  waren  französische  Flüchtlinge.  Er  war 
in  seiner  Jugend  von  ernsthafter  Gemütsart,  war  ein 
Autodidakt  und  erhielt  sich  selbst.  Wandte  sich  dann 
dem  Barreau  zu  und  zog  durch  ein  Pamphlet  die  Auf- 
merksamkeit auf  sich.  Er  stieg  in  seinem  Beruf  rasch 
auf  und  wurde  SoHcitor  -  General  und  Parlamentsmit- 
glied. Ein  hervorragender  Reformer  von  Strafgesetzen. 
Beging  mit  61  Jahren  Selbstmord. 
S.  Right  Hon.  Sir  John  Romilly,  ernannt  zum  Lord  Romilly; 
Attorney  -  General  und  Oberaufseher  der  Archive  des 
High  Court  of  Chancery,    s.  Judges. 

Russell,  erster  Earl;  Premierminister  s.  Bedford. 

Scott,  William;  ernannt  zum  Lord  Stowell,  Judge  der  Admira- 
lität. 
B.    Lord  Eldon,  Lord  Chancellor,  s.  Judges. 

Lord  Stowell  und  Lord  Eldon  waren  beide  Zwillinge 
und  hatten  jeder  zusammen  mit  einer  Schwester  das 
Licht  der  Welt  erblickt. 

Shelburne,  Earl  von,  s.  Petty. 

Sheridan,  Richard  Brinsley ;  Redner,  hatte  einen  außerordent- 
lichen Witz  und  war  Dramatiker.  Als  siebenjähriges 
Kind  war  er  stumpf.  Mit  11  war  er  faul  und  nachlässig, 
aber  reizend,  und  zeigte  den  Glanz  einer  höheren  In- 
telligenz, wie  Dr.  Parr  bezeugt.  Als  er  die  Schule  ver- 
ließ, schrieb  er,  was  er  später  in  der  „Critic"  entwickelte. 
Schrieb  die  „Rivals"  mit  24  Jahren.  Starb  stumpf  an 
Körper  und  Geist  mit  65  Jahren. 

Er  ging  in  seiner  Jugend  mit  Miss  Linley  durch,  einer 
beliebten  Sängerin  von  großem  persönlichem  Reiz  und 
außerordentlichem  musikalischen  Talent.  Tom  Sheridan 
war  der  Sohn  dieser  Ehe.  Miss  Linleys  Vater  war  ein 
musikalischer  Komponist  und  Direktor  des  Drury  Lane 
Theater.  Die  Familie  Linley  war  „ein  Nest  von  Nachti- 
gallen", alle  hatten  Talent,  Schönheit  und  Stimme.   Mrs. 


Politiker.  127 

Tickel  war  eine  von  ihnen.  Der  Name  Sheridan  ist  be- 
sonders an  eine  Reihe  glänzender  und  gewinnender,  aber 
auch  nichtsnutziger  Eigenschaften  geknüpft.  Richard 
Brinsleys  Talent  war  ein  Strohfeuer  und  hinterUeß 
Resultate,  die  in  keinem  Verhältnis  zu  seiner  be- 
merkenswerten Kraft  standen.  Seine  Rednergabe 
und  seine  gewinnende  Art  machten  ihn  zu  einem 
Star  der  Gesellschaft;  doch  war  er  weder  ein  führender 
Politiker,  noch  ein  wahrer  Freund.  Er  war  ein  ausge- 
zeichneter lustiger  Zechgenosse,  aber  unglücklich  in 
seinen  häuslichen  Verhähnissen.  Rücksichtslose  Ver- 
schwendung, Spiel  und  ein  wildes  Leben  brachten  ihn 
in  Schulden  und  Zahlungsschwierigkeiten  und  ruinierten 
frühzeitig  seine  Gesundheit.  Diese  Eigenschaften  finden 
sich  in  stärkerem  oder  schwächerem  Grad  unter  zahl- 
reichen Mitgliedern  der  FamiUe  Sheridan,  auch  unter 
jenen,  deren  Biographien  veröffentlicht  wurden,  und  es  ist 
außerordentlich  lehrreich,  zu  sehen,  wie  stark  sie  sich 
vererbten. 

V.  Thomas  Sheridan,  Autor  des  Dictionaire.  Unterrichtete 
in  Rednerkunst,  hatte  Verbindungen  mit  Theatern,  war 
mit  25  Jahren  Direktor  von  Drury  Lane.  Er  war  ein 
grillenhafter,  aber  kein  eigensinniger  Mensch. 

/.  Frances  Chamberlain,  sehr  gebildet  und  liebenswürdig. 
Ihr  Vater  wollte  nicht  gestatten,  daß  sie  schreiben  lerne; 
ihre  Brüder  lehrten  es  sie  heimlich;  als  sie  15  Jahre  alt 
war,  zeigte  sich  ihr  Talent  für  literarische  Kompositio- 
nen. Sie  schrieb  einige  Komödien,  von  denen  Garrick 
eine  ebenso  sehr  lobte,  als  Fox  und  Lord  North  ihre  No- 
velle „Sydney  Biddulph"  priesen. 

g.  Rev.  Dr.  Philip  Chamberlain,  ein  bewundernswerter 
Prediger,  aber  humoristisch  und  voller  Launen.  (Ich 
weiß  nichts  über  den  Charakter  seiner  Frau  Miss  Lydia 
Whyte.) 

G.  Rev.  Dr.  Thomas  Sheridan,  Freund  und  Korrespondent 
von  Dean  Swift.  Ein  gesellschaftlicher,  witzelnder,  Zeit 
vertrödelnder  Mensch,  sorglos  und  indolent,  von  leb- 
haftem Temperament.  „Seine  Feder  und  seine  Geige 
waren  in  ständiger  Bewegung." 


128  Politiker. 

S,  Tom  Sheridan,  ein  robuster  Bruder  -  Liederlich  und 
ein  Sheridan  mehr  als  alle  anderen,  (Er  hatte  auch  das 
Linley-Blut  in  sich,  s.  oben),  heiratete  und  starb  jung  und 
hinterließ  eine  große  Familie,  von  denen  eine  ist 

E.  Caroline,  Mrs.  Norton,  Dichterin  und  Schriftstellerin. 
ES.  Lord  Dufferin,  später  Sekretär  für  Irland,  ist  der  Sohn 
einer  anderen  Tochter. 
Stanley,  Edward  Geoffrey;  Hter  Earl  von  Derby,  1852,  1858 
— 59,  1866 — 68  Premierminister,  Gelehrter,  übersetzte 
Homer  in  englische  Verse,  ein  ebenso  guter  Redner  als 
Politiker. 

V.  Naturforscher,  Präsident  der  Linne-  und  der  Zoologischen 
Gesellschaft,  bekannt  durch  seine  Bemühungen,  Tiere 
zu  akklimatisieren. 

oS.  Rev.  J.  J.  Hornbey,  erster  Lehrer  in  Eton,  Gelehrter  und 
Wettkämpfer. 

S.  Edward,  Lord  Stanley,  Staatssekretär  für  Auswärtige 
Angelegenheiten. 
Stewart,  Robert,  der  berühmte  Viscount  Castlereagh  und 
2  ter  Marquess  Londonderry.  Große  Hoffnungen  wur- 
den in  ihn  gesetzt,  als  er  in  jungen  Jahren  ins  Parlament 
eintrat,  doch  enttäuschte  er  sie  anfangs,  da  er  ein  sehr 
ungleichmäßiger  Redner  war.  Nichtsdestoweniger  wurde 
er  mit  29  Jahren  Führer  im  Hause  der  Gemeinen.  Beging 
Selbstmord. 

V.    War  Parlamentsmitglied  für  die  Grafschaft  Down    und 

stieg  durch  Peerswürden  bis  zur  Marquiswürde  auf. 
oS.    Sir  George  Hamilton  Seymour,  hatte  das  Großkreuz  des 
Bathordens,  Diplomat,  namentlich  in  Rußland  und  Öster- 
reich. 
B.  (Halbbruder,  Enkel  des  Lord  Chancellor  Camden.)  Char- 
les William;  ernannt  zum  Earl  Vane;  mit  30  Jahren  Ge- 
neral-Adjutant unter  Wellington  in  Spanien, 
(e.)    (Auch  Enkel  des  Duke  von  Graf  ton,  der  1767  Premiermini- 
ster war.)    Admiral  Fitzroy;   hervorragender  Seereisen- 
der („Voyage  of  the  Beagle"),  Vorsteher  der  Meteorolo- 
gischen Abteilung  des  Handelsministeriums. 
Stuart,  John,  3 ter  Earl  von  Bute;  1762—63  Premierminister. 


Politiker.  129 

o.    2ter  Duke  von  Argyll;  ernannt  zum  Duke  von  Green- 
wich;  Politiker  und  General.     War  im  Kommando  bei 
der  Schlacht  bei  Sheriffmuir. 
„Argyll    des    Staates    ganzen    Donner    geboren    zu 

schwingen, 
Senat  und  Feind  im  Feld  gleich  zu  bezwingen." 

Pope. 
GV.    Sir  George  Mackenzie,  Generalanwalt;  hervorragender 
Jurist. 
G.    Sir  James  Stuart,  erster  Earl  von  Bute ;  geheimer  Staats- 
rat der  Königin  Anna. 
GG.    Robert  Stuart,    erster  Baronet,    Richter  des  Obersten 

Zivilgerichtshofs  in  Schottland,  wie  Lord  Tillicoultry. 
GB.    Dugald  Stuart,  gleichfalls  ein  Richter  des  Obersten  Zi- 
vilgerichtshofs in  Schottland. 
B.    Right  Hon.  James  Stuart,  der  den  Zunamen  Mackenzie 

annahm,  Geheimsiegelbewahrer  von  Schottland. 
S.    General  Sir  Charles  Stuart;  unterjochte  Minorca. 
S.    William.  Dr.  der  Theologie,  Erzbischof  von  Armagh. 
E.    Charles,  Gesandter  in  Frankreich,  ernannt  zum  Baron 
Stuart  von   Rothesay.      Seine   Urgroßmutter   (Gf)   war 
Lady    Wortley    Montagu;     reizvolle    Briefschreiberin ; 
führte  die  Impfung  aus  dem  Osten  ein. 
Temple,  Henry  J.;  Lord  Palmerston,  mit  80  Jahren  Premier- 
minister 1855—58,  1859—65.     War  sonderbar  träge  und 
zeigte  selten  seine  großenTalente,  obgleich  erstetsalsein 
befähigter  Mann  betrachtet  wurde  und  bei  seinen  Unter- 
nehmungen stets  Erfolg  hatte.    Er  hatte  eine  ausgezeich- 
nete Konstitution  und  ein  lebhaftes  Temperament,  aber 
er  war  nicht  ehrgeizig  im  gewöhnlichen   Sinne   dieses 
Wortes  und  bequemte  sich  nicht  gern  zur  Arbeit.    Er  war 
45  Jahre  alt,    ehe  seine    politischen  Talente    klar    ent- 
wickelt waren. 

Sein  Vater  wird  als  Muster  der  Gattenliebe  beschrie- 
ben;  er  setzte  seiner  Frau  eine  sehr  pathetische   und 
doch  sehr  natürliche  Grabschrift.    War  ein  Freund  von 
Literatur  und  Malerei. 
B.    Sir  William  Temple;  Bevollmächtigter  Minister  am  Hof 

Galton.    Genie  und  Vererbung.  ^ 


130  Politiker. 

von  Neapel.    Begründer  der  „Temple-Collection"  italie- 
nischer Antiquitäten  und  Kunstwerke  im  British  Museum. 
QGB.  Sir  William  Temple,  Swifts  Gönner. 
GG.    Sir  John  Temple,    Attorney-General    und  Speaker    des 

Hauses  der  Gemeinen  in  Irland. 
GGV.  Sir  John  Temple,  Oberarchivar  in  Irland;  selbst  er  war 
nicht  der  erste  in  der  Familie,  der  Fähigkeiten  zeigte. 
Thurlow,  Lord;  Lord  Chancellor,  s,  unter  Judges. 
St.  Vincent,  Earl,  s.  Jervis. 

Walpole,  Sir  Robert,  ernannt  zum  Earl  von  Orford;  1721 — 42 
Premierminister  (unter  Georg  I.  und  IL,  aber  in  Brou- 
ghams  Buch  unter  den  Politikern  Georg  III.  angeführt).    In 
seinem    Privatleben    herzlich,    gutgeartet    und    gesellig. 
Hatte  eine  glückliche  Art  sich  Freunde  zu  machen.  Große 
Überzeugungskraft.     Hatte   ein   großes   Talent  für   Ge- 
schäfte  aller  Art  und   betrieb   seine   Arbeiten   mit  der 
größten  Leichtigkeit  und  Ruhe. 
Q.  Sir     Edward      Walpole,     Parlamentsmitglied,     ausge- 
zeichnetes  Mitglied    des   Parlaments,    das   Karl    IL   re- 
staurierte. 
B.  Horatio;  hoher  Diplomat,  wurde  zum  Baron  Walpole  er- 
nannt. 
S.  Sir  Edward;  Chefsekretär  für  Irland, 
S.  Horace;  berühmt  in  Literatur   und  Kunst;   Strawberry 
Hill,  ein  ausgezeichneter  Briefschreiber,     Byron   nennt 
seine  Briefe   unvergleichlich.     Hatte   die   Gicht.     Starb 
mit  80  Jahren, 
ne.  Admiral  Lord  Nelson. 

Ein  Enkel  (G)  von  Horatio  war  ständiger  Gesandter 
in  München,  ein  anderer  in  Portugal,    Einer  der  Söhne 
des    ersteren    ist    Rt,    Hon.    Spencer    Walpole,    Staats- 
sekretär. 
]V.  Mrs.   Damer,   Bildhauerin,   Tochter   des   Feldmarschall 
Conway,  Cousin  von  Horace  Walpole. 
Wellesley,  Richard;  ernannt  zum  Marquess  von  Wellesley; 
Generalgouverneur  von  Indien;  äußerst  hervorragender 
Politiker  und  Gelehrter. 
B.  Arthur,  der  große  Duke  von  Wellington. 
(B.)  Erster  Baron  Cowley,  Diplomat. 


Politiker.  131 

(V.)  Erster  Earl  von  Morriington,  hervorragende  musikalische 
Neigungen.  Er  erbte  die  Besitzungen  und  den  Namen, 
aber  nicht  das  Blut  der  Wesleys,  deren  Nachkommen 
die  berühmten  Dissidenten  waren,  sein  Vater,  Richard 
Colley,  hatte  die  Erbschaft  von  dem  Gatten  seiner  Tante 
übernommen,  der  ein  Wesley  war. 
Der  berüchtigte  Judge,  Sir  John  Trevor,  der  Vetter  und 
und  Rivale  des  fähigeren,  aber  schwerlich  noch  nieder- 
trächtigeren Judge  Jeffreys. 

N.  Henry  Wellesley;  ernannt  zum  Earl  Cowley;  Diplomat, 
Gesandter  in  Frankreich. 

S.  (Illegitim.)  Rev.  Henry  Wellesley,  Dr.  der  Theologie; 
Direktor  von  New  Inn  Hall,  Oxford;  ein  Gelehrter  von 
ausgedehnter  literarischer  Bildung  und  bemerkenswerten 
künstlerischen  Neigungen. 
Wellesley,  Arthur,  ernannt  zum  Duke  von  Wellington,  Pre- 
mierminister s.  Feldherren. 

B.  Marquess  Wellesley. 

V.  Earl  Mornington. 

N.  Earl  Cowley. 

N.  Rev.  Henry  Wellesley. 
Wilberforce,  William;  Philantrop  und  Politiker;  in  seiner 
Kindheit  von  sehr  schwächlicher  Konstitution.  Schon  mit 
7  Jahren  zeigte  er  ein  bemerkenswertes  rednerisches 
Talent;  hatte  eine  sonderbar  melodische  Stimme,  die 
nachweislich  vererbt  war,  sang  gut,  war  sehr  lebhaft, 
im  College  oberflächlich.  Trat  mit  21  Jahren  ins  Parla- 
ment ein  und  erlangte  hohen  Ruf,  ehe  er  noch  25  Jahre 
alt  war. 

S.  Samuel,  Bischof  von  Oxford,  Prälat,  Redner  und  Ad- 
ministrator. 
(S.)  Robert  Archidiakonus,  Fellow  des  Oriel  College  in  Ox- 
ford, wurde  später  römisch-katholisch. 
(S.)  Henry  William;  Gelehrter,  Oxford   1830,  wurde  später 
römisch-katholisch. 

Supplement-Liste 
großer  Politiker  verschiedener  Zeiten  und  Länder. 

Adams,  John  (1735—1826),  zweiter  Präsident  der  Vereinigten 

9* 


ebenso 


132  Politiker. 

Staaten  .  Studierte  Jus,  worin  er  trühzeitig  großen  Ruf 
und  Praxis  hatte;  war  mit  30  Jahren  aktiver  Politiker. 
Nahm  hervorstechenden  Anteil  am  Unabhängigkeits- 
kampf seines  Vaterlandes. 
S.  John  Quincey  Adams,  sechster  Präsident  der  Vereinigten 
Staaten;  vorher  ständiger  Gesandter  in  Berlin,  Rußland 
und  Wien. 
E.  Charles  Francis  Adams,  der  kürzliche  wohlbekannte 
amerikanische  ständige  Gesandte  in  London,  Autor  von 
„Life  of  John  Adams". 

Arteveldt,  Jakob  van  (1345  ?),  Anstifter  von  Gent;  bekannter 
Führer  während  der  Revolution  in  Flandern;  übte  neun 
Jahre  lang  die  souveräne  Macht  aus. 
S.  Philipp  van  Arteveldt.    s.  unten. 

Arteveldt,  PhiHpp  van  (1382?),  Führer  der  Volkspartei  lange 
nach  dem  Tode  seines  Vaters.  Er  war  gut  gebildet  und 
wohlhabend  und  hatte  sich  bis  zu  seinem  42sten  Jahr 
von  der  Politik  ferngehalten,  in  die  er  durch  die  Volks- 
partei hineingezerrt  wurde  und  durch  Akklamation  zu 
ihrem  Anführer  ausgerufen  wurde,  führte  die  Nieder- 
länder tapfer  gegen  die  Franzosen,  wurde  aber  schließ- 
lich besiegt  und  erschlagen. 
V.  Jakob  van  Arteveldt,  s.  oben. 

B  u  r  1  e  i  g  h  ,  Earl  s.  Cecil. 

C  e  c  i  1 ,  William,  ernannt  zum  Lord  Burleigh;  Politiker  (Elisabeth); 
Lord-Schatzkanzler.  „Der  befähigste  Minister  einer  be- 
fähigten Regierung."  War  Sekretär  oder  Minister- 
präsident fast  während  der  ganzen  langen  Regierung 
der  Königin  Elisabeth,  die  45  Jahre  dauerte.  Er  war  in 
Cambridge  wegen  seiner  Arbeitskraft  und  seiner  regel- 
mäßigen Gewohnheiten  ausgezeichnet,  heiratete  zum 
zweiten  Mal  die  Tochter  von  Sir  Anthony  Cooke,  Studien- 
leiter Eduards  VI.  und  Schwester  von  Lady  Bacon,  der 
Mutter  des  großen  Lord  Bacon.  Mit  ihr  hatte  er 
S.  Robert  Cecil,  der  zum  Earl  of  Salisbury  ernannt  wurde 
am  gleichen  Tage,  wo  sein  älterer  Bruder  zum  Earl  von 
Exeter  ernannt  wurde.  Er  war  von  schwächlicher  Ge- 
sundheit und  mißgestaltet.  Folgte  seinem  Vater  als 
Erster  Minister  unter  Elisabeth  und  später  unter  Jakob  I., 


Politiker.  133 

war  unfraglich  der  befähigste  Minister  seiner  Zeit,  aber 
kaltherzig  und  selbstsüchtig.    Lord  Bacon  war  sein  oS. 
(B.)  Erster  Earl  von  Exeter. 
(V.)  Qarderobenmeister  Heinrichs  VIII. 
Colbert,  Jean  Baptiste;  französischer  Politiker  und  Finanz- 
mann  (Ludwig   XIV.),  hervorragend   durch   die   Unter- 
stützungen, die  er  öffentlichen  Werken  und  Institutionen, 
sowie  dem  Handel  und  der  Manufaktur  angedeihen  ließ. 
Er  wurde  schon  früh  von  Mazarin  voll  eingeschätzt,  der 
ihn  als  seinen  Nachfolger  empfahl.     Er  wurde  mit  49 
Jahren   Minister   und   war   gewöhnt,   täglich   sechzehn 
Stunden  zu  arbeiten.    Seine  Familie  gab  Frankreich  viele 
ausgezeichnete  Diener. 

O.  Oudard,  ein  Großkaufmann,  der  ein  hervorragender  Fi- 
nanzmann wurde. 

B.  Charles,  Politiker  und  Diplomat. 

S.  Jean  Baptiste;  Politiker,  intelligent  und  von  festen  Vor- 
sätzen ;  befehligte  noch  als  Jüngling  die  Expedition  gegen 
Genua  1684. 

S.  Jaques  Nicolas,  Erzbischof,  MitgHed  der  Akademie. 

N,  Jean  Baptiste  (Sohn  von  Charles),  Diplomat. 

N.  Charles  Joachim,  Prälat.    Die  Familie  fuhr  auch  in  der 
nächsten  Generation  fort,  Fähigkeiten  zu  zeigen. 
C  r  0  m  w  e  1 1 ,  Oliver,  Lord-Protektor  des  Gemeinwohls. 

OS.  Hampden,  der  Patriot,  von  dem  Lord  Clarendon  sagt: 
„er  habe  einen  Kopf  zum  Erfinden,  eine  Zunge  zum 
Überzeugen  und  ein  Herz  jedes  Unheil  zu  vollführen." 
Das  Wort  „Unheil"  hier  natürlich  als  Gegnerschaft  gegen 
den  König  gemeint. 
Oe.  Edmund  Waller,  der  Dichter,  ein  Mann  von  sehr  be- 
trächtlichen Fähigkeiten,  sowohl  in  Poesie  als  in  parla- 
mentarischer Beredsamkeit,  aber  nicht  völlig  fest  in 
seinen  Prinzipien.    Er  war  ein  n.  von  Hampden. 

S.  benahm  sich  in  der  Armee  mit  Unerschrockenheit  und 
arbeitete  in  Irland  als  Vizekönig  mit  Auszeichnung.  Er 
hatte  noch  einen  Sohn  und  vier  Töchter,  die  befähigte 
Männer  heirateten,  deren  Nachkommen  aber  nicht  be- 
merkenswert waren.  Der  Cromwell-Stamm  war  von 
viel  weniger  Bedeutung  als  man  nach  seinen  eigenen  An- 


134  Poütiker. 

lagen  und  denen  seiner  Seitenverwandten  hätte  erwarten 
können.  Außer  seinem  Sohn  Henry  gibt  es  keinen  be- 
deutenden Namen  unter  den  zahlreichen  Nachkommen 
von  Oliver  Cromwell.  Henrys  Söhne  waren  unbe- 
deutende Menschen,  ebenso  die  von  Richard  und  ebenso 
die  von  Cromwells  Töchtern,  trotz  ihrer  Ehen  mit  so  her- 
vorragenden Männern  wie  Ireton  und  Fleetwood.  Eine 
von  Olivers  Schwestern  heiratete  den  Erzbischof  Tillot- 
son  und  hatte  Kinder  von  ihm,  aber  sie  taten  sich  durch 
nichts  hervor. 
Q  u  i  s  e ,  Frangois  Balafre,  Duc  de.  Der  berühmteste 
unter  den  Generälen  und  politischen  Führern  dieser 
machtvollen  französischen  Familie.  Er  hatte  ein  großes 
militärisches  Talent  und  zeichnete  sich  schon  mit  34  Jah- 
ren besonders  als  General  aus  und  wurde  dann  zu  der 
Würde  eines  General-Leutnant  des  Königreichs  erhoben. 

B.  Charles,  Kardinal  von  Lorraine. 

S.  Henri  (Duc  von  Guise  auch  Balafre  genannt).  Er  war 
weniger  edelmütig  und  aufrührerischer  als  sein  Vater.  Er 
war  der  Anstifter  der  Bartholomäusnacht  und  gab  die  Ver- 
anlassung zu  Colignys  Mord,  wurde  selber  im  Alter  von 
38  Jahren  auf  Heinrichs  IIL  Befehl  ermordet. 

S.  Kardinal,  verhaftet  und  im  Gefängnis  getötet,  am  gleichen 

Tage  wie  sein  Bruder. 
(S.)  Duc  de  Mayenne. 

E.  Charles  war  zusammen  mit  seinem  Onkel,  dem  Duc  de 
Mayenne,  Führer  der  Liga  gegen  Heinrich  IV. 
ES.  Henri,  konspirierte  gegen  den  Kardinal  RicheUeu. 

Die  Familie  Guise  hatte  vier  Generationen  be- 
merkenswerter Männer. 
Mirabeau,  H.  G.  Riqueti,  Comte  de,  französischer  Politiker. 
„Der  Alcibiades  der  französischen  Revolution".  Ein 
Mann  von  starken  Leidenschaften,  gewaltiger  Einbil- 
dungskraft und  großen  Fähigkeiten.  Er  hatte  eine  wun- 
derbar bewegliche  Intelligenz  und  hungerte  nach  jeder 
Art  von  Wissen. 

V.  Marquis  de  Mirabeau,  Autor  von  „L'ami  des  Hommes", 
ein  Führer  der  Physiokraten,  Philantrop  von  Beruf  und 
ein  harter  Despot  in  seiner  eigenen  Familie. 


Politiker.  135 

(B.  und  b.)  Unter  den  Brüdern  und  Schwestern  Mirabeaus  gab 
es  bemerkenswerte  Charaktere,  aber  ich  bin  leider  nicht 
imstande,  Tatsachen  nachzuweisen,  nach  denen  sie  klar 
geschätzt  werden  könnten. 

Unter  den  Mirabeaus  oder  richtiger  Riquattis,  denn 
Mirabeau  war  ein  angenommener  Name,  soll  es  viele 
Generationen  hindurch  Männer  vor  großer  Geisteskraft 
und  starkem  Charakter  gegeben  haben.  So  erzählt  St. 
Beuve,  und  ich  gebe  hier  das  ganze  Zitat,  ohne  mich 
wegen  des  Interesses  zu  entschuldigen,  das  sich  an  die 
Charakteristiken  der  Mirabeaus  knüpft. 

„Les  Correspondances  du  pere  et  de  Toncle  du 
grand  tribun,  la  notice  sur  son  grand-pere  et  en  general 
toutes  les  pieces  qui  fönt  le  tissu  de  ces  huit  volumes, 
ont  revele  une  race  ä  part,  des  caracteres  d'une  ori- 
ginalite  grandiose  et  haute,  d'oü  notre  Mirabeau  n'a  eu 
qu'ä  descendre  pour  se  repandre  ensuite,  pour  se  pre- 
cipiter  comme  il  l'a  fait  et  se  distribuer  ä  tous,  tellement 
qu'on  peut  dire  qu'il  n'a  ete  que  l'enfant  perdu,  l'enfant 
prodigue  et  sublime  de  sa  race." 

Er  vereinigte  Eigenschaften  des  Vaters  mit  denen  der 
Mutter.  „Ce  n'etait  suivant  la  definition  de  son  pere 
qu'un  male  monstreux  au  physique  et  au  moral. 

„II  tenait  de  sa  mere  la  largeur  du  visage,  les  in- 
stincts,  les  appetits  prodigues  et  sensuels,  mais  probable- 
ment  aussi  ce  certain  fond  gaillard  et  gaulois,  cette 
faculte  de  se  familariser  et  de  s'humaniser  que  les  Ri- 
quetti  n'avaient  pas  et  qui  deviendra  un  des  moyens  de 
sa  puissance.  Une  nature  riche,  ample,  copieuse,  gene- 
reuse,  souvent  grossiere  et  vicee,  souvent  fine  aussi, 
noble,  meme  elegante  et  en  somme,  pas  du  tout  mon- 
streuse,  mais  des  plus  humaines." 
More,  Sir  Thomas,  Lord  Chancellor  (Heinrich  VIII.),  hervor- 
ragender Politiker  und  Schriftsteller;  besonders  Uebens- 
würdig,  unaffektiert  fromm  und  beherzt  bis  zum  Tode. 
Als  er  13  Jahre  alt  war,  pflegte  der  Dekan  der  St.  Pauls- 
kirche von  ihm  zu  sagen:  „Es  gibt  nur  ein  Genie  in 
England,  und  das  ist  der  junge  More." 
V.  Sir  John  More,  Just.  K.  B. 


136  Politiker. 

(S.  und  3  s.)  Außer  seinen  drei  sehr  gebildeten  Töchtern  Mar- 
garet Roper,  Elizabeth  Dauncy  und  Cecilia  Heron,  hatte 
Sir  Thomas  More  einen  Sohn  John.  Von  dem  Mangel 
an  Talenten  bei  diesem  Sohn  ist  zuviel  gesprochen 
worden.  Sein  Vater  rühmte  die  Reinheit  seines  Lateins 
mehr  als  das  seiner  Töchter,  und  Grynaeus  (s.  unter 
Geistlichen)  dedizierte  ihm  eine  Plato-Ausgabe,  während 
Erasmus  ihm  die  Werke  des  Aristoteles  widmete.  Er 
war  charakterfest  genug,  um  des  Königs  Obergewalt  zu 
leugnen  und  wurde  deswegen  einige  Zeit  im  Tower 
unter  Androhung  der  Todesstrafe  gefangen  gehalten. 
„Life  of  More"  by  Rev.  Joseph  Hunter,  1828,  Vorwort 
S.  XXXVI. 
Richelieu,  Armand  J.  du  Plessis,  Kardinal,  Duc.  de.  Der 
große  französische  Minister  unter  Ludwig  XIV.  Er 
wurde  für  das  Heerwesen  erzogen,  widmete  sich  aber 
selber  dem  Studium  und  trat  in  einem  sehr  frühen  Alter 
—  früher  als  gesetzlich  —  in  die  Kirche  ein,  wurde  Dok- 
tor. Mit  39  Jahren  war  er  Hauptminister  und  regierte 
seither  18  Jahre  lang  absolut.  Er  war  kein  liebens- 
würdiger Mensch.  Er  verfolgte  nur  ein  Ziel  —  die  Er- 
reichung eines  strengen  Despotismus.  Starb  mit  37 
Jahren. 
V.  FrauQois  du  Plessis,  seigneur  de  Richelieu;  zeichnete 
sich  als  Soldat  und  Diplomat  aus.  Wurde  durch  Pro- 
tektion grand  prevot  de  France  und  wurde  von  Hein- 
rich IV.  hoch  belohnt. 

(B.)  Henri;  Marechal  du  camp  und  wurde  in  einem  Duell 
erschlagen,  als  er  als  Gouverneur  von  Angers  ernannt 
werden  sollte. 
B.  Alphonse  L.,  Kardinal  von  Lyon;  wurde  ein  Kartäuser- 
mönch und  befleißigte  sich  großer  Enthaltsamkeit.  Er 
benahm  sich  edel  in  Lyon  zur  Zeit  der  Pest. 

BE.  (Enkel  von  Henri.)  Louis  F.  Armand,  Duc  de  Richelieu. 
Er  war  Marschall  von  Frankreich  und  personifizierte  das 
achtzehnte  Jahrhundert,  er  war  frivol,  liebte  Intriguen, 
war  unmoralisch,  kannte  keine  Gewissensbisse,  von  un- 
erschütterlichem Humor  und  mutig.    Er  war  ein  Sieben- 


Politiker.  137 

monatskind  und  lebte  bis  zu  seinem  92.  Jahr.     Seine 
Kinder  waren: 
BES.  Der  „trop  ceiebre"  Duc  de  Fronsac. 
BES.  Die  witzige  und  schöne  Comtesse  de  Egmont. 
BEE.  (Sohn  des  Duc  de  Fronsac)  Armand  E.,  Duc  de  Riche- 
lieu;   Erster    Minister    von    Frankreich    unter    Ludwig 
XVIII.    Starb  1822. 
nS.  Comte  de  Gramont,  witzig  und  Höfling,    s.  unter  Lita- 
raten. 
W  i  1 1 ,  D  e ,  Sohn,  John.    Der  jüngere  Bruder  von  zwei  der  fähig- 
sten und  geehrtesten  niederländischen  Politiker.  Sie  waren 
in  ihrer  Karriere  unzertrennlich,  aber  in  ihren  Charakteren 
verschieden,  jedoch  war  jeder  von  ihnen  ein  vollendeter 
Repräsentant   seines   Typus.     John   spielte   die   hervor- 
stechendere   Rolle    infolge   seines    genialen,   gewandten 
und  ehrgeizigen  Charakters.  Er  stieg  durch  verschiedene 
Ämter  auf,  bis  er  mit  27  Jahren  Präsident  der  Qeneral- 
staaten,  der  eigentliche  oberste  Beamte  Hollands,  wurde. 
Wurde  mit  47  Jahren  barbarisch  ermordet. 
B.  Cornelius  de  Witt  s.  unten. 
(V.)  Ein  Parteiführer  von  einiger  Bedeutung, 
Witt,  De,  Cornelius,  hatte  solidere,  wenn  auch  weniger  glän- 
zende Eigenschaften  als  sein  Bruder.     In   Wirklichkeit 
war  er  der  bedeutungsvollere  Träger  jener  Macht,  die 
sein   Bruder   John   ausübte.     Wurde   gleichfalls   mit  49 
Jahren  barbarisch  ermordet. 
B.  John  de  Witt,  s.  oben. 
(V.)  s.  oben. 


Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ilir  Einfluß  auf  die  Rasse. 

Sehr  häufig  wurde  die  richtige  Bemerl^ung  gemacht,  daß  die 
Familien  großer  Menschen  die  Neigung  haben  auszusterben,  aus 
dieser  Tatsache  schließt  man  nun,  daß  geistig  befähigte  Menschen 
unfruchtbar  sind.  Wäre  dies  der  Fall,  so  würde  jeder  Versuch, 
eine  hochbegabte  Rasse  von  Menschen  zu  züchten,  am  Ende  zu 
einem  Mißerfolg  führen.  Begabte  Individuen  könnten  dann  zwar 
auferzogen  werden,  aber  sie  wären  unfähig,  auf  eine  Nach- 
kommenschaft ihre  Eigenschaften  zu  übertragen. 

Ich  habe  vor,  in  einem  späteren  Kapitel,  wenn  ich  die  ver- 
schiedenen Gruppen  hervorragender  Männer  bereits  durchge- 
nommen habe,  zu  untersuchen,  bis  zu  welchem  Grade  über- 
ragendes Genie  mit  Sterilität  verbunden  ist,  doch  scheint  es  mir 
am  Platze,  schon  jetzt  einiges  über  die  Gründe  eines  Ausfalls 
an  Nachkommenschaft  bei  den  Judges  und  Politikern  zu  sagen, 
um  so  zu  irgend  einem  Schluß  zu  kommen,  ob  eine  Zucht  von 
Männern  mit  der  durchschnittlichen  Begabung  jener  hervorragen- 
den Männer  sich  in  einer  unbegrenzten  Zahl  einander  folgender 
Generationen  halten  kann  oder  nicht.  Ich  will  sogar  noch  etwas 
weiter  gehen  und  von  den  ausgestorbenen  Adelsgeschlechtern 
im  allgemeinen  sprechen. 

Zunächst  stoßen  wir  bei  den  Judges  auf  eine  EigentümUchkeit 
ihrer  häuslichen  Beziehungen,  die  auf  einen  breiten  Durchschnitt 
legitimer  Familien  störend  einwirkt.  In  einer  Fußnote  zur  Bio- 
graphie des  Lord  Chancellor  Thurlow  erzählt  Lord  Campbell  in 
seinen  „Biographien  der  Chancellors",  daß  die  Hälfte  der  Judges 
zur  Zeit,  wo  er  (Lord  Campbell)  das  englische  Barreau  kennen 
lernte,  ihre  Maitressen  geheiratet  hatten.  Er  sagt,  es  sei  damals 
selbstverständlich  gewesen,  daß  ein  barrister,  dem  eine  Richter- 
stelle verliehen  worden  war,  entweder  seine  Maitresse  heiratete 
oder  sie  wegschickte. 


Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluss  auf  die  Rasse.         139 

Nach  diesem  merkwürdigen  Bericht  möchte  es  scheinen,  daß 
weit  mehr  als  die  Hälfte  der  Judges,  die  zu  Beginn  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts  Richterstellen  innehatten,  vor  der  vorge- 
rückten Periode  ihres  Lebens,  wo  sie  ernannte  Judges  waren, 
keine  legitime  Nachkommenschaft  hatten.  Die  eine  Hälfte  hatte 
deshalb  keine,  weil  sie  gerade  auf  dieser  Stufe  ihrer  Karriere 
ihre  Maitressen  heirateten,  weiter  gab  es  solche  unter  ihnen,  die 
ihre  Maitressen  eben  fortgeschickt  hatten  und  so  jetzt  erst  hei- 
raten konnten.  Nichtsdestoweniger  habe  ich  gezeigt,  daß  die 
Zahl  der  legitimen  Kinder  bei  den  Judges  beträchtlich  ist  und 
daß  sie  selbst  bei  dieser  Beschränkung  im  großen  Ganzen  durch- 
aus kein  unfruchtbarer  Schlag  sind.  Wenn  wir  uns  vorhalten, 
was  ich  soeben  mitgeteilt  habe,  müßten  wir  sogar  folgern,  daß 
sie  außerordentlich  zeugungsfähig  sind.  Ja,  es  finden  sich  in 
allen  Perioden  ihrer  Geschichte  gelegentlich  Beispiele  von  un- 
geheuer großen  Familien,  Aber  sterben  die  FamiUen  nicht  aus? 
Ich  untersuche  die  Nachkommen  jener  Judges,  die  die  Pairswürde 
erlangt  haben  und  die  einen  Platz  als  Richter  in  der  letzten  Zeit, 
ehe  die  Regierung  Georgs  IV.  zu  Ende  war,  innehatten.  Die 
Namen  finden  sich  im  Anhang  zum  Kapitel  über  die  Judges.  Ich 
zähle  31  solcher  Namen;  neunzehn  dieser  Adelstitel  bestehen 
noch,  zwölf  sind  erloschen.  Unter  was  für  Bedingungen  erloschen 
nun  diese  zwölf?  Bilden  einige  dieser  Bedingungen  ein  Spezi- 
fikum  dieser  zwölf,  das  von  den  übrigen  neunzehn  nicht  geteilt 
wird? 

Um  eine  Antwort  auf  diese  Fragen  zu  finden,  untersuchte 
ich  die  Anzahl  der  Kinder  und  Enkel  aller  einunddreißig  Pairs 
und  im  besonderen  noch  die  Anzahl  der  Eheschließungen  bei 
ihnen.  Ich  tabellarisierte  die  gewonnenen  Resultate,  als  mir 
zu  meinem  Erstaunen  eine  sehr  einfache,  erschöpfende  und  neue 
Erklärung  der  allgemeinen  Ursache  des  Aussterbens  von  Adels- 
geschlechtern vor  die  Augen  trat.  In  erster  Reihe  erwies  sich, 
daß  ein  beträchtlicher  Teil  der  neu  ernannten  Pairs  und  ihrer 
Söhne  Erbinnen  heiraten.  Die  Motive  eines  solchen  Vorgehens 
sind  klar  genug  und  nicht  verdammungswürdig.  Sie  haben  einen 
Titel  und  vielleicht  ein  ausreichendes  Vermögen,  das  sie  ihrem 
ältesten  Sohn  übergeben  können,  aber  sie  benötigen  einen  Güter- 
zuwachs, um  ihre  jüngeren  Söhne  und  ihre  Töchter  auszustatten. 
Andererseits  hat  eine  Erbin  Vermögen  und  braucht  einen  Titel. 
So  werden  der  Pair  und  die  Erbin  durch  verschiedene  Impulse 
zu  dem  gleichen  Ausweg  der  Ehe  gedrängt.     Aber  meine  sta- 


140         Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse. 

tistischen  Listen  zeigen  mit  unfehlbarer  Sicherheit  die  besondere 
Unfruchtbarlieit  dieser  Ehen.  Man  kann  nämHch  in  der  Tat  er- 
warten, daß  eine  Erbin,  die  das  einzige  Kind  aus  einer  Ehe  ist, 
nicht  so  fruchtbar  ist,  wie  eine  Frau,  die  viele  Brüder  und 
Schwestern  hat.  Eine  verhältnismäßige  Unfruchtbarkeit  muß 
ebenso  erblich  sein  wie  andere  physische  Eigenschaften,  und  ich 
bin  überzeugt,  daß  es  bei  den  Haustieren  der  Fall  ist.  Folglich 
fehlt  der  Ehe  eines  Pairs  und  einer  Erbin  häufig  die  Nachkommen- 
schaft, so  daß  der  Titel  eingeht.  Ich  gebe  in  der  folgenden 
Liste  alle  Fälle  an,  wo  die  Nachkommen  von  Law-Lords,  die 
den  englischen  Judges  innerhalb  der  von  mir  gezogenen  Grenzen 
entnommen  sind,  Erbinnen  oder  Miterbinnen  geheiratet  haben 
und  bringe  jedesmal  des  Resultat.  Zum  Schluß  werde  ich  die 
Tatsachen  zusammenfassen. 

Einfluß  der  Ehen  mit  Erbinnen  in  den  Tamilen  Jener  englischen 

Judges,  die  die  Pairswürde  erlangten  und  die  einen  Platz  im 

Bench    (hoher    Gerictrtshof)    hatten,    von    der    Thronbesteigung 

Karls  IL  an  bis  zum  Ende  der  Regierung  Georgs  IV. 

(Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Daten  des  Beginns 
ihrer  Pairswürde.) 

Colpepper,  erster  Lord  (1664).  Heiratete  zweimal  und  hatte 
jedesmal  Nachkommenschaft,  im  ganzen  fünf  Söhne  und  vier 
Töchter.  Der  älteste  Sohn  heiratete  eine  Erbin  und  starb 
kinderlos.  Der  zweite  heiratete  eine  Miterbin  und  hatte  nur 
eine  Tochter.  Der  dritte  heiratete,  blieb  aber  kinderlos,  die 
beiden  letzten  Söhne  heirateten  überhaupt  nicht,  so  daß  der 
Titel  erlosch. 

Cooper,  erster  Earl  von  Shaftesbury  (1672).  Seine  Mutter  war 
eine  einzige  Erbin.  Er  heiratete  dreimal  und  hatte  nur  einen 
Sohn.  Nichtsdestoweniger  war  der  Sohn  zeugungsfähig,  und 
die  direkte  männliche  Linie  setzte  sich  fort. 

Cowper,  erster  Earl  (1718).  Seine  erste  Frau  war  eine  Erbin; 
er  bekam  keine  lebende  Nachkommenschaft  von  ihr.  Von 
seiner  zweiten  Frau  bekam  er  zwei  Söhne  und  zwei  Töchter. 
Sein  ältester  Sohn  heiratete  in  erster  Ehe  eine  Miterbin  und 
hatte  nur  einen  Sohn  und  eine  Tochter.  Die  direkte  männ- 
liche Linie  dauert  fort. 

Finch,  erster  Earl  von  Nottingham  (1681).  Hatte  vierzehn  Kinder. 
Der  älteste  Sohn  heiratete  eine  Miterbin  in  erster  Ehe  und 
hatte  von  ihr  nur  eine  Tochter. 


Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse.         141 

Harcourt,  erster  Lord  (1712).  Hatte  drei  Söhne  und  zwei  Töchter. 
Zwei  von  den  Söhnen  starben  jung.  Der  älteste  Sohn  hei- 
ratete eine  Erbin,  deren  Mutter  schon  Erbin  gewesen  war. 
Er  hatte  vgn  ihr  zwei  Söhne  und  eine  Tochter.  Beide  Söhne 
heirateten,  doch  starben  beide  kinderlos,  so  daß  der  Titel 
erlosch. 

Henley,  erster  Earl  von  Northington  (1764).  Seine  Mutter  war 
eine  Miterbin.  Er  heiratete  und  bekam  einen  Sohn  und  fünf 
Töchter.  Der  Sohn  starb  unverheiratet,  und  so  erlosch  der 
Titel. 

Hyde,  erster  Earl  von  Clarendon  (1661.)  Heiratete  eine  Dame, 
die  vielleicht  eine  einzige  Erbin  war,  und  hatte  von  ihr  vier 
Söhne  und  zwei  Töchter.  Der  dritte  Sohn  starb  unverheiratet 
und  der  vierte  ertrank,  folglich  blieben  nur  zwei  Söhne,  die 
fähig  waren  die  Familie  fortzupflanzen.  Der  ältere  von 
ihnen,  der  zweiter  Earl  wurde,  heiratete  eine  Dame,  die  nach 
ihrem  Tode  nur  einen  Sohn  hinterließ'.  Er  heiratete  darauf 
zum  zweiten  Mal  und  zwar  eine  Erbin,  die  überhaupt  keine 
Kinder  bekam.  Sein  einziger  Sohn  hatte  nur  ein  männliches 
Kind,  das  jung  starb.  Der  Titel  ging  auf  die  Nachkommen 
des  zweiten  Sohnes  des  ersten  Earl  über.  Er  (der  Sohn 
einer  Erbin)  hatte  nur  einen  Sohn  und  vier  Töchter,  und 
dieser  Sohn,  der  vierter  Earl  von  Clarendon  wurde,  hatte 
nur  einen  Sohn  und  zwei  Töchter.  Der  Sohn  starb  jung,  so 
daß  der  Titel  erlosch. 

Jeffreys,  erster  Lord  (von  Wem  —  1685).  Hatte  einen  Sohn  und 
zwei  Töchter.  Der  Sohn  heiratete  eine  Erbin  und  hatte  nur 
eine  Tochter,  so  daß  der  Titel  erlosch. 

Kenyon,  erster  Lord  (1788).  Hatte  drei  Söhne.  Obgleich  einer 
von  ihnen  eine  Miterbin  heiratete,  wies  die  nächste  Gene- 
raton zahlreiche  Nachkommen  auf. 

North,  erster  Lord  Quilford  (1683).  Heiratete  eine  Miterbin.  Er 
hatte  nur  einen  Enkel,  der  jedoch  am  Leben  blieb  und  Kinder 
hatte. 

Parker,  erster  Earl  von  Macclesfield.  (1721.)  Diese  FamiHe 
entging  knapp  dem  Erlöschen,  das  ihr  immerwährend  infolge 
ihrer  schlechten  ehelichen  Verbindungen  drohte.  Der  erste 
Earl  heiratete  eine  Miterbin  und  hatte  nur  einen  Sohn  und 
eine  Tochter.  Der  Sohn  heiratete  eine  Miterbin  und  hatte 
zwei  Söhne;  von  diesen  heiratete  der  zweite  eine  Miterbin 
und  hatte  überhaupt  keine  Nachkommenschaft.    Der  älteste 


142        Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse. 

Sohn  (der  Enkel  des  ersten  Earl)  war  daher  der  einzige  männ- 
liche Nachivomme  der  Familie.  Er  hatte  zwei  Söhne  und  eine 
Tochter.  Von  diesen  beiden  einzigen  männlichen  Erben  in 
der  dritten  Generation  heiratete  einer  eine  Miterbin  und  hatte 
nur  eine  Tochter.  Der  andere  heiratete  glücklicherweise 
zweimal,  denn  er  hatte  aus  der  ersten  Ehe  nur  Töchter.  Ein 
Sohn  aus  der  zweiten  Ehe  ist  der  jetzige  Pair  und  ist  der 
Vater  von  elfSöhnen  und  vier  Töchtern,  die  aus  zweiEhen  her- 
vorgegangen sind,  in  keinem  Falle  war  die  Mutter  eine  Erbin. 

Pratt,  erster  Earl  von  Camden  (1786).  Diese  Familie  gibt  ein 
ähnliches  Beispiel  wie  die  vorige  einer  drohenden  Vernich- 
tung des  Geschlechts.  Der  erste  Earl  heiratete  eine  Erbin 
und  hatte  nur  einen  Sohn  und  vier  Töchter.  Der  Sohn  hei- 
ratete eine  Erbin  und  hatte  einen  Sohn  und  3  Töchter.  Der 
Sohn  heiratete  eine  Miterbin,  doch  hatte  er  glücklicherweise 
drei  Söhne  und  acht  Töchter. 

Raymond,  erster  Lord  (1731).  Er  hatte  einen  S'ohn,  der  eine  Mit- 
erbin heiratete  und  gar  keine  Nachkommenschaft  hinterließ, 
so  daß  der  Titel  erlosch. 

Scott,  Lord  Stowell.  s.  weiter  unten  in  meiner  Liste  der  Politiker. 

Talbot,  erster  Lord  (1733).  Die  Familie  war  nahe  am  Erlöschen. 
Der  erste  Lord  heiratete  eine  Erbin  und  hatte  drei  Söhne. 
Der  älteste  Sohn  heiratete  eine  Erbin  und  hatte  nur  eine 
Tochter.  Der  zweite  Sohn  heiratete  eine  Miterbin  und  hatte 
keine  Nachkommenschaft  von  ihr.  Sie  starb  jedoch,  er  hei- 
ratete zum  zweiten  Mal  und  hinterließ  vier  Söhne.  Der  dritte 
Sohn  hatte  männliche  Nachkommen. 

Trevor,  erster  Lord  (1711).  Heiratete  in  erster  Ehe  eine  Mit- 
erbin und  hatte  von  ihr  zwei  Söhne  und  drei  Töchter.  Beide 
Söhne  heirateten,  doch  hatte  jeder  von  ihnen  nur  je  eine 
Tochter.  Lord  Trevor  heiratete  zum  zweiten  Mal  und  hatte 
drei  Söhne,  von  denen  einer  jung  starb,  die  beiden  anderen 
heirateten  zwar  beide,  hinterließen  aber  keine  Nachkommen- 
schaft. 

Wedderburn,  erster  Lord  Loughborough  und  Earl  von  Rosslyn 
(1801).  Heiratete  in  erster  Ehe  eine  Erbin  und  hatte  keine 
Nachkommenschaft.  In  etwas  vorgerücktem  Alter  heiratete 
er  zum  zweiten  Mal  und  hatte  wieder  keine  Nachkommen- 
schaft.   So  erlosch  die  direkte  männliche  Linie. 

Yorke,  erster  Earl  von  Hardwicke  (1754).  Ist  zahlreich  vertreten, 
trotzdem  in  zwei  Linien  seiner  Nachkommen  ein  Fehler  be- 


Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse.         143 

gangen  wurde,  da  sich  in  jeder  dieser  beiden  Linien  eine  Ehe 
mit  einer  Miterbin  findet. 

Das  Resultat  aller  dieser  Tatsachen  ist  außerordentlich  auf- 
fallend und  zwar: 

1.  Unter  den  31  Familien,  denen  die  Pairswürde  zuteil  wurde, 
sind  nicht  weniger  als  siebzehn  Fälle,  wo  der  erbliche  Einfluß 
einer  Erbin  oder  Miterbin  die  erste  oder  zweite  Generation  affi- 
zierte. 

Dieser  Einfluß  trug  sichtlich  dazu  bei,  in  sechzehn  von  diesen 
siebzehn  Fällen  Sterilität  zu  bewirken,  deren  Einfluß  sich  mitunter 
in  der  Geschichte  eines  Geschlechts  zwei,  drei  oder  mehrere 
Male  zeigte. 

2.  Die  direkte  männliche  Linie  von  nicht  weniger  als  acht 
dieser  Geschlechter,  nämlich  Colpepper,  Harcourt,  Northington, 
Clarendon,  Jeffreys,  Raymond,  Trevor  und  Rosslyn,  ist  gegen- 
wärtig unter  dem  Einfluß  der  Erbinnen  erloschen,  während  sechs 
andere,  nämlich  Shaftesbury,  Cowper,  Guilford,  Parker,  Camden 
und  Talbot,  aus  dem  gleichen  Grunde  nahe  am  Erlöschen  waren. 
Ich  habe  buchstäblich  nur  einen  einzigen  Fall,  Lord  Kenyon,  wo 
der  familienzerstörende  Einfluß  des  Erbinnenbluts  nicht  fühlbar 
wurde. 

3.  Von  den  zwölf  Pairsgeschlechtern,  die  in  der  direkten 
männlichen  Linie  ausgestorben  sind,  haben  nicht  weniger  als 
acht  dieses  Resultat  Ehen  mit  Erbinnen  zu  verdanken. 

Wenden  wir  uns  den  vieren  zurück,  die  übrig  bleiben.  Lord 
Somers  und  Lord  Thurlow  starben  beide  unverheiratet.  Lord 
Alvanley  hatte  nur  zwei  Söhne,  von  denen  einer  unverheiratet 
starb.  Nur  in  diesem  Falle  und  weiter  beim  Earl  von  Mansfield 
kann  von  allen  zehn  geadelten  Judges,  die  heirateten  und  deren 
Titel  erloschen,  dieses  Erlöschen  nicht  auf  Ehen  mit  Erbinnen 
zurückgeführt  werden.  Man  kann  daher  nicht  auch  nur  mit 
einem  Anschein  von  Recht  behaupten,  daß  irgend  welche  Gründe 
für  eine  außerordentliche  Sterilität  der  Judges  vorhanden  sind. 
Untersucht  man  die  Tatsachen  sorgfältig,  so  tendieren  sie  alle 
scharf  nach  der  entgegengesetzten  Seite. 

In  der  gleichen  Weise  wie  die  Judges  untersuche  ich  jetzt 
die  Politiker  unter  Georg  III.  und  die  Premierminister  seit  der 
Thronbesteigung  Georgs  III.  bis  hinunter  auf  die  letzte  Zeit;  doch 
nehme  ich  hier  nur  jene  vor,  deren  Stammbäume  ich  leicht  fest- 
stellen konnte,  nämlich  solche,  die  selbst  Pairs  waren  oder  mit 
Pairs  nahe  verwandt  waren.    Ich  habe  zweiundzwanzig  solcher 


144        Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse. 

Namen.  Ich  finde  vierzehn  unter  ihnen,  die  keine  männlichen 
Nachkommen  hinterlassen  haben,  von  diesen  wieder  heirateten 
sieben  selbst  Erbinnen,  oder  ihre  Söhne  taten  es,  nämlich  Can- 
ning,  Castlereagh,  Lord  Grenville,  George  Qrenville,  Lord  Hol- 
land, Lord  Stowell  und  Walpole  (der  erste  Earl  von  Orford). 
Anderseits  finde  ich  nur  drei  Fälle,  wo  Pairs  Erbinnen  heirateten 
und  die  Nachkommenschaft  nicht  fehlte,  nämlich  Addington  (Lord 
Sidmouth),  der  Marquis  von  Bute  und  der  Duke  von  Qrafton. 

Die  sieben  Fälle,  wo  die  männliche  Linie  aus  anderen  Grün- 
den erlosch,  sind  Bolingbroke,  Earl  Chatham,  Lord  Liverpool, 
Earl  St.  Vincent,  Earl  Nelson,  William  Pitt  (unverheiratet)  und 
der  Marquess  von  Wellesley  (der  illegitime  Nachkommenschaft 
hinterließ).  Die  übrigen  fünf,  die  diese  zweiundzwanzig  Fälle 
vervollständigen,  sind  der  Duke  von  Bedford,  Dundas  (Viscount 
Melville),  Perceval,  Romilly  und  Wilberforce.  Keiner  von  ihnen 
verband  sich  mit  Erbinnenblut  oder  stammte  von  solchem  ab,  und 
sie  hinterließen  alle  Nachkommen. 

Ich  gebe  im  Nachstehenden  noch  die  Geschichte  dieser 
Erbinnenehen,  wie  ich  sie  vorhin  für  die  Judges  gegeben  habe. 
Bute,  Marquess  von.    Heiratete  eine  Miterbin,  hatte  jedoch  eine 

zahlreiche  Familie. 
Canning,  George.  Heiratete  eine  Erbin  und  hatte  drei  Söhne 
und  eine  Tochter.  Der  älteste  starb  jung,  der  zweite  ertrank 
in  seiner  Jugend,  der  dritte,  der  letzte  Earl  Canning,  heira- 
tete eine  Miterbin  und  hatte  keine  Nachkommenschaft.  So 
erlosch  die  Linie. 
Castlereagh,  Viscount.    Heiratete  eine  Miterbin  und  hatte  weder 

einen  Sohn,  noch  eine  Tochter;  so  erlosch  die  Linie. 
Grafton,  Duke  von.    Heiratete  eine  Erbin  und  hatte  zwei  Söhne 
und  eine  Tochter.    In  zweiter  Ehe  hatte  er  eine  größere  Fa- 
milie. 
Grenville,  George.     Hatte  drei  Söhne  und  vier  Töchter.     Der 
älteste  Sohn  heiratete  eine  Erbin  und  hatte  keine  männlichen 
Enkel;  der  zweite  war  allem  Anscheine  nach  unverheiratet; 
der   dritte   war   Lord   Grenville   (Premierminister);   er   hei- 
ratete, blieb  aber  kinderlos;  so  erlosch  die  Linie. 
Holland,  Lord.    Hatte  einen  Sohn  und  eine  Tochter.    Der  Sohn 
heiratete  eine  Erbin    und  hatte  nur  einen  Sohn    und    eine 
Tochter.    Dieser  Sohn  starb  kinderlos;  so  erlosch  der  Titel. 
Sidmouth,  Viscount  (Addington).    War  der  Sohn  einer  Erbin  und 


Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Raese.         145 

hatte  nur  einen  Sohn  und  vier  Töchter.    Der  Sohn  hatte  eine 

zahlreiche  Nachkommenschaft, 
Stowell,  Lord.     Heiratete   eine   Miterbin.     Er   hatte   nur   einen 

Sohn,  der  unverheiratet  starb,  und  eine  Tochter;  so  erlosch 

die  männliche  Linie. 
Walpole,  1  ster  Earl  von  Orford.    Er  hatte  drei  Söhne  und  zwei 

Töchter.     Der  älteste  Sohn  heiratete  eine  Erbin  und  hatte 

nur  einen  Sohn,  der  unverheiratet  starb.     Der  zweite  und 

dritte  Sohn  starben  unverheiratet;  so  erlosch  die  männliche 

Linie. 

Das  wichtige  Resultat,  zu  dem  wir  so  gelangen,  daß  nämlich 
Heiraten  mit  Erbinnen  ein  merkliches  Agens  im  Erlöschen  von 
Familien  bilden,  wird  noch  durch  eingehendere  Untersuchungen 
bestätigt.  Ich  verwandte  einige  Tage  auf  eine  genaue  Durch- 
forschung von  Burkes  Werk  über  die  bestehenden  und  erlosche- 
nen Pairswürden.  Ich  untersuchte  zunächst  die  Ehen,  die  die 
jeweiligen  zweiten  Pairs  der  noch  bestehenden  Titel  schlössen. 
Die  Vermutung  war  naheliegend,  daß  der  älteste  Sohn  des  ersten 
Pairs,  des  Begründers  des  Titels,  ziemlich  häufig  eine  Erbin  hei- 
ratete. Es  war  tatsächlich  der  Fall  und  brachte  über  die  be- 
treffende Familie  furchtbare  Verwüstungen.  Ich  untersuchte  ein 
Siebentel  der  Pairs.  Wenn  ich  die  Miterbinnen  auslasse  —  ich 
würde  den  Leser  durch  zu  viel  Distinktionen  ermüden  —  komme 
ich  zu  folgenden  Resultaten: 
Anzahl  der  Fälle. 

1  Abingdon,  2ter  Earl,  die  Mutter  und  die  Frau 
waren  beide  Erbinnen.  Keine  Nachkommen- 
schaft. 

2  Aldborough,  2 ter  Earl;  heiratete  zwei  Erbinnen 
hintereinander.    Keine  Nachkommenschaft, 

1  Annesley,  2'ter  Earl;  die  Frau  und  die  Mutter 

waren  beide  Erbinnen,  drei  Söhne  und  zwei 
Töchter. 

1  Arran,  2 ter  Earl;  die  Frau  und  die  Mutter  waren 

beide  Erbinnen.    4  Söhne  und  3  Töchter. 

1  (Sein  Sohn,  der  3te  Earl,  heiratete  eine  Erbin 

und  hatte  keine  Nachkommenschaft.) 

1  Ashburnham,    2  ter  Baron;    die    Frau    und    die 

Mutter  waren  beide  Erbinnen.  Keine  Nachkom- 
menschaft. 


Galton,  Genie  und  Vererbung. 


10 


146        Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse. 


Anzahl  der  Fälle. 
1 


(Sein  Bruder  folgte  ihm  als  3ter  Earl  und  hei- 
ratete eine  Erbin;  hatte  keine  Nachkommenschaft 
von  ihr.) 

Aylesford,  2  ter  Earl;    die  Frau  war  Erbin,    die 
Mutter  Miterbin.     1  Sohn  und  3  Töchter. 
Barrington,  2  ter  Viscount;  die  Frau  und  die  Mut- 
ter waren  beide  Erbinnen.    Keine  Nachkommen- 
schaft. 

Beaufort,  2  ter  Duke;  heiratete  zwei  Erbinnen 
hintereinander;  von  der  einen  hatte  er  keine 
Nachkommenschaft,  von  der  andern  bekam  er 
zwei  Söhne. 

Bedford,  2  ter  Duke;  heiratete  eine  Erbin.  2 
Söhne  und  2  Töchter. 

Camden,  2  ter  Earl;  die  Frau  und  die  Mutter 
waren  beide  Erbinnen.     1  Sohn  und  3  Töchter. 


14 
also  eine  Totalsumme  von  vierzehn  Fällen  auf  siebzig  Pairs,  wo- 
bei in  acht  Fällen  eine  absolute  Sterilität   eintrat  und  in  zwei 
Fällen  nur  ein  Sohn  geboren  wurde. 


Je  100  Ehen  von  jeder  der 

Anzahl  der  Söhne 

beschriebenen  Arten 

in  jeder  Ehe 

Anzahl  der  Fälle,  wo  die 

Anzahl  der  Fälle,  wo  die 

Mutter  Erbin  war 

Mutter  keine  Erbin  war 

0 

22 

21) 

1 

16 

10 

2 

22 

14 

3 

22 

34 

4 

10 

20 

5 

6 

8 

6 

2 

8 

7 

0 

4 

mehr 

0 

0 

100 

100 

1)  Ich  fürchte,  ich  muß    ein  oder  zwei  sterile  Ehen  übersehen  haben, 
anders  kann  ich  mir  die  geringe  Anzahl  nicht  erklären. 


Die  Verleihung  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse.         147 

Ich  untersuchte  die  Frage  noch  von  einer  andern  Seite,  in- 
dem ich  die  letzten  Pairs  vornahm  und  die  Anzahl  der  Kinder, 
wo  die  Mutter  eine  Erbin  war,  mit  der  Anzahl  jener  Kinder  ver- 
glich, wo  sie  es  nicht  war.  Ich  traf  noch  die  Vorsichtsmaßregel, 
aus  der  zweiten  Gruppe  alle  Fälle  auszuschließen,  wo  die  Mutter 
Miterbin  oder  der  Vater  ein  einziger  Sohn  war.  Auch  mußte 
ich,  da  Erbinnen  nicht  so  häufig  sind,  oft  zwei  bis  drei  Gene- 
rationen zurückgehen,  um  das  Beispiel  einer  Ehe  mit  einer  Erbin 
zu  finden.  Auf  diese  Weise  erhielt  ich  fünfzig  Fälle  für  jede 
Gruppe.  Ich  bringe  sie  unten,  nachdem  ich  die  tatsächlichen  Re- 
sultate verdoppelt  habe,  um  sie  in  Prozenten  zu  setzen. 

Ich  finde  unter  den  Ehegattinnen  von  Pairs: 
100  die  Erbinnen  sind  und  die  208  Söhne  und  206  Töchter  haben, 
100  die  nicht  Erbinnen  sind  und  336  Söhne  und  284  Töchter  haben. 

Die  Tabelle  zeigt,  wie  außerordentlich  unsicher  die  Nach- 
kommenschaftslinie einer  Erbin  sein  muß,  besonders  wenn  die 
jüngeren  Söhne  nicht  imstande  sind  zu  heiraten.  Ein  Fünftel  der 
Erbinnen  hat  überhaupt  keine  männlichen  Kinder;  ein  volles 
Drittel  hat  nicht  mehr  als  ein  Kind;  drei  Fünftel  haben  nicht 
mehr  als  zwei  Kinder,  Für  viele  Familien  bedeutete  es  die  Ret- 
tung, daß  der  Gatte  die  erste  Frau,  die  Erbin  war,  überlebte  und 
fähig  war,  Nachkommenschaft  durch  eine  zweite  Ehegattin  zu 
gewinnen. 

Jede  Erhebung  zu  einer  höheren  Adelswürde  ist  ein  neuer 
Beweggrund,  wieder  eine  Erbin  in  die  Familie  einzuführen.  Folg- 
lich haben  Herzöge  eine  stärkere  Durchtränkung  an  Erbinnen- 
blut als  Grafen,  man  kann  also  erwarten,  daß  die  Herzogswürde 
häufiger  erlischt  als  der  Grafentitel,  und  dieser  wieder  häufiger 
als  der  Baronstitel.  Die  Erfahrung  zeigt,  daß  dies  ganz  zweifel- 
los der  Fall  ist.  In  seinem  Vorwort  zu  den  „Erloschenen  Pairs- 
würden"  legt  Sir  Bernard  Burke  dar,  daß  alle  englischen  Her- 
zogswürden, die  in  dem  Zeitraum  vom  Beginn  dieser  Würde  an 
bis  zum  Regierungsantritt  Karls  II.  geschaffen  wurden,  mit  Aus- 
nahme von  dreien,  die  mit  dem  Königshause  in  Verbindung  traten, 
untergingen,  und  daß  von  den  zahlreichen  Grafentiteln,  die  die 
Normannen,  die  Plantagenets  und  die  Tudors  verliehen,  nur  elf 
geblieben  sind. 

Meine  Statistik  über  die  Erbinnen  ist  damit  zu  Ende.  Ich 
will  nicht  weitergehen,  da  man  etwas  mehr  über  die  Lebens- 

10* 


148        Die  VerleihuBg  der  Pairswürde  und  ihr  Einfluß  auf  die  Rasse. 

geschichten  der  einzelnen  wissen  müßte,  um  zu  ganz  genauen 
Resultaten  über  ihre  Fruchtbarkeit  zu  kommen.  Eine  Erbin  ist 
nicht  immer  das  einzige  Kind  aus  einer  Ehe,  die  in  einem  frühen 
Lebensalter  geschlossen  wurde  und  viele  Jahre  dauerte.  Sie 
kann  das  einzig  überlebende  Kind  aus  einer  großen  Famihe  sein, 
oder  das  Kind  einer  späten  Ehe,  oder  auch  die  Waise  von  früh 
verstorbenen  Eltern.  Wir  müßten  auch  die  Familie  des  Gatten 
in  Betracht  ziehen,  je  nachdem  ob  er  ein  einziges  Kind  ist  oder 
aus  einer  großen  Familie  stammt.  Diese  Fragen  bieten  dem- 
jenigen, der  sich  damit  beschäftigen  würde,  ein  äußerst  lehr- 
reiches Arbeitsfeld,  aber  sie  liegen  außerhalb  meines  Arbeitsplans. 
Ich  hielt  mich  so  lange  bei  dieser  Materie  auf,  um  zu  zeigen,  daß, 
obgleich  viele  Männer  von  hervorragender  Befähigung  (ich 
spreche  hier  nicht  von  berühmten  oder  wunderbaren  Genies) 
keine  Nachkommenschaft  hinterlassen  haben,  dies  nicht  von  ihrer 
Zeugungsunfähigkeit  herrührt,  sondern  mit  ihrer  Neigung  zu- 
sammenhängt, unfruchtbare  Frauen  zu  heiraten,  um  so  den  Reich- 
tum mit  der  Pairswürde  zu  vereinigen,  die  ihnen  für  ihre  Ver- 
dienste verliehen  wurde.  Ich  betrachte  die  Pairswürde  als  eine 
unheilvolle  Institution,  die  geeignet  ist,  ihre  verheerenden  Wir- 
kungen auf  unsere  wertvollen  Geschlechter  auszubreiten.  Die 
bestbegabten  Männer  werden  geadelt;  ihre  ältesten  Söhne  wer- 
den verlockt,  Erbinnen  zu  heiraten,  und  ihre  jüngeren  Söhne  hei- 
raten überhaupt  nicht,  da  sie  nicht  genug  Vermögen  haben,  um 
eine  Familie  zu  erhalten  und  gleichzeitig  ihre  aristokratische  Po- 
sition zu  wahren.  So  werden  die  Seitenschößlinge  des  Stamm- 
baumes abgehackt,  und  der  Hauptzweig  verdirbt,  die  ganze  Zucht 
aber  geht  für  immer  verloren. 

Ich  habe  die  Ursachen,  warum  Familien  dazu  neigen,  ihren 
adeligen  Würden  proportional  auszusterben,  mit  großer  Befrie- 
digung skizziert  und  hoffe,  sie  gänzlich  bestimmt  zu  haben;  in 
erster  Reihe,  weil  es  mein  Wunsch  war,  zu  zeigen,  daß  befähigte 
Familien  nicht  notwendig  steril  sind,  und  zweitens,  um  den  tollen 
und  lächerlichen  Hypothesen  ein  Ende  zu  machen,  die  häufig  auf- 
gebracht werden,  um  dieses  Aussterben  zu  erklären. 


Feldherren. 

In  Zeiten  eines  langwierigen  Krieges,  wo  allein  der  Ruhm 
eines  großen  Feldherrn  erlangt  werden  kann,  bietet  die  soldati- 
sche Laufbahn  Männern  von  militärischem  Genie  einen  vollen 
Anteil  an  günstigen  Gelegenheiten.  Die  Beförderung  erfolgt  in 
solchen  Zeiten  rasch,  die  Nachfrage  nach  fähigen  Männern  hört 
nicht  auf,  und  sehr  junge  Offiziere  haben  häufig  eine  günstige  Ge- 
legenheit, ihre  Talente  zu  zeigen.  Hieraus  folgt,  daß  die  Liste 
der  großen  Feldherren,  ungeachtet  ihrer  Kürze,  einige  der  be- 
gabtesten Männer  aufweist,  deren  Namen  die  Geschichte  be- 
wahrt. Sie  zeigen  eine  ungeheure  Überlegenheit  über  ihre  Zeit- 
genossen, indem  sie  sich  in  vielen  einzelnen  Richtungen  hervor- 
tun. Sie  sind  unter  Politikern  und  Generälen  die  ersten  ihrer 
Zeit  und  ihre  Energie  ist  wunderbar.  Viele  von  ihnen  zeichneten 
sich  schon  durch  ihre  politischen  Fähigkeiten  aus,  als  sie  noch 
kaum  trocken  hinter  den  Ohren  waren.  In  frühem  Mannesalter 
tragen  sie  die  ganze  Bürde  und  Verantwortung  der  Regierung; 
Armeen  und  Nationen  spornen  sie  mit  ihrem  Genius  an;  sie  wer- 
den die  Helden  großer  Vereinigungen  und  halten  Millionen  von 
anderen  Menschen  durch  die  überragende  Kraft  ihres  eigenen 
Intellekts  und  Willens  in  den  Schranken. 

Ich  will  einen  kurzen  Blick  auf  einige  dieser  Namen  in  der 
gleichen  Reihenfolge,  in  der  sie  im  Anhang  zu  diesem  Kapitel 
erscheinen,  werfen,  um  zu  zeigen,  welche  Riesen  an  Befähigung 
sie  nach  ihren  Taten  sein  mußten  und  wie  groß  und  originell  ihre 
Stellung  in  einem  Alter  war,  wo  die  meisten  Jünglinge  im  Hin- 
tergrund der  allgemeinen  Gesellschaft  festgehalten  werden,  wo 


150  Feldherren. 

man  ihnen  kaum  gestattet,  Meinungen  zu  äußern,  die  den  vor- 
herrschenden Gefühlen  der  Zeit  entgegengesetzt  sind,  noch  viel 
weniger  gegen  diese  Gefühle  zu  handeln. 

Alexander  der  Große  begann  seine  Laufbahn  als  Eroberer 
mit  zwanzig  Jahren,  nachdem  er  schon  vorher  zu  Hause  vier 
Jahre  lang  mehr  oder  minder  königliche  Macht  mit  einem  wirk- 
lichen staatsmännischen  Talent  geübt  hatte.  Mit  32  Jahren  hatte 
er  sein  Lebenswerk  vollendet.  Bonaparte,  der  spätere  Kaiser 
Napoleon  I.,  war  mit  26  Jahren  General  der  italienischen  Armee 
und  eilte  seither  von  Erfolg  zu  Erfolg,  sowohl  auf  dem  Schlacht- 
felde als  im  Staate.  Er  wurde  mit  35  Jahren  Kaiser,  und  mit 
46  Jahren  hatte  er  schon  die  Schlacht  bei  Waterloo  verloren. 
Cäsar  zeigte  schon  in  seiner  Jugend,  ja  selbst  im  Knabenalter, 
große  politische  Talente,  obgleich  politische  Hindernisse  ihn  von 
einer  hohen  Stellung  und  dem  Oberbefehl  im  Kriege  bis  zum 
Alter  von  42  Jahren  zurückhielten.  Karl  der  Große  begann  seine 
Kriege  mit  30  Jahren.  Karl  XII.  von  Schweden  begann  mit 
18  Jahren  Krieg  zu  führen,  und  die  Fähigkeiten,  die  er  in  dieser 
frühen  Zeit  seines  Lebens  zeigte,  waren  von  der  höchsten  Art, 
Prinz  Eugen  hatte  mit  25  Jahren  die  kaiserliche  Armee  von 
Österreich  unter  sich.  Gustav  Adolph  war  in  Krieg  und  Politik 
ebenso  frühreif  als  sein  Nachkomme  Karl  XII.  Hannibal  und 
seine  Familie  waren  wegen  ihrer  Überlegenheit  in  ihrer  Jugend 
bekannt.  Viele  von  ihnen  erhielten  den  Oberbefehl  über  die 
Truppen  Karthagos  und  wurden  der  Schrecken  der  Römer,  ehe 
sie  das  erreichten,  was  wir  „großjährig"  nennen.  Auch  die 
Nassaus  sind  in  gleicher  Weise  bemerkenswert.  Als  Wilhelm 
der  Schweigsame  noch  ein  reiner  Junge  war,  war  er  der  treue 
Vertraute,  selbst  der  Ratgeber  des  Kaisers  Karls  V.  Sein  Sohn, 
der  große  General  Moritz  von  Nassau,  war  erst  achtzehn  Jahre 
alt,  als  er  als  Oberbefehlshaber  der  Niederlande  die  Waffen  gegen 
Spanien  erhob.  Sein  Enkel  Turenne,  der  begabte  französische 
General,  und  sein  Urenkel,  unser  Wilhelm  III.,  waren  beide  in 
frühem  Alter  berühmt.  Marlborough  stand  in  der  Zeit  seines 
größten  Erfolges  zwischen  46  und  50  Jahren,  doch  wurde  er 
schon  viel  früher  als  ein  Mann  von  hohen  Gaben  behandelt. 
Scipio  Africanus  Major  hatte  mit  24  Jahren  das  Oberkommando 
gegen  die  Karthager  in  Spanien.  Wellington  brach  die  Kraft  der 
Mahratten  mit  35  Jahren  und  war  bei  Waterloo  46  Jahre  alt. 


Feldherren.  151 

Wenn  jedoch  die  soldatische  Laufbahn  in  Zeiten  langwieriger 
Kriege  Männern  von  großem  mihtärischen  Qenie  viele  günstige 
Gelegenheiten  eröffnet,  so  ist  es  ein  anderes  in  Friedenszeiten 
oder  während  kurzer  Kriege.  In  jedem  Land  steht  die  Armee 
mehr  als  jede  andere  Institution  unter  dem  direkten  Einfluß  des 
Herrschers.  Das  Patronat  über  die  Armee  ist  das  letzte  Privileg, 
das  die  Herrscher,  geleitet  vom  Instinkt  der  Selbsterhaltung,  be- 
reit sind,  den  Forderungen  der  Demokratie  zu  überlassen.  Die 
Folge  ist,  daß  das  Heer  unbedingt  unter  jenen  Übeln  leidet,  die 
von  jedem  höfischen  Patronat  unzertrennlich  sind.  Würden 
und  politische  Dienste  wiegen  leicht  militärische  Befähigung  auf, 
so  daß  unbegabte  Offiziere  in  Friedenszeiten  hohe  Stellungen  ein- 
nehmen. Bei  kurzen  Kriegen  sind  sie  vielleicht  imstande,  ihren 
Posten  auszufüllen,  ohne  Anlaß  zu  einem  öffentlichen  Skandal  zu 
geben,  ja  sie  tragen  vielleicht  sogar  Ehren  davon,  die  gerechter- 
weise ihren  talentierteren  Untergebenen  zukommen. 

Wollen  wir  daher  den  Ruf  eines  Feldherrn  als  Zeichen  seiner 
Talente  hinnehmen,  so  ist  es  sehr  nötig,  daß  wir  uns  auf  die- 
jenigen beschränken,  was  ich  auch  beabsichtige,  deren  Ruf  ent- 
weder durch  langwährende  Kriege  geschaffen  wurde,  oder  deren 
Überlegenheit  über  andere  Männer  bereitwillig  anerkannt  wurde. 

Noch  eine  sonderbare  und  seltsame  Bedingung  gilt  für  den 
Erfolg  in  Armee  und  Flotte,  die  ganz  unabhängig  von  jeder  Art 
von  Befähigung  ist  und  mit  einigen  Worten  besprochen  werden 
muß.  Damit  ein  junger  Mann  seinen  Weg  bis  zur  höchsten  Spitze 
seines  Berufs  erkämpft,  muß  er  viele  Schlachten  überleben.  Aber 
Männer  von  gleichen  Fähigkeiten  haben  nicht  immer  die  gleiche 
Wahrscheinlichkeit  im  Feuer  unverletzt  zu  bleiben. 

Ehe  ich  das  Warum?  erkläre,  möchte  ich  noch  bemerken, 
daß  die  Gefahr,  in  einer  Schlacht  erschossen  zu  werden,  beträcht- 
lich ist.  Nicht  weniger  als  sieben  von  den  zweiunddreißig  Feld- 
herren, die  ich  in  meinem  Anhang  aufzähle,  sind  auf  diese  Weise 
zugrunde  gegangen,  also  ein  Bruchteil,  der  zwischen  einem 
Viertel  und  einem  Fünftel  der  Gesamtzahl  schwankt.  Es  sind 
dies  Karl  XII.,  Gustav  Adolph,  Sir  Henry  Lawrence,  Sir  John 
Moore,  Nelson,  Tromp  und  Turenne.  Ich  füge  noch  hinzu,  weil 
ich  von  diesen  Dingen  einmal  rede,  daß  vier  andere  ermordet 
wurden,  obgleich  diese  Tatsache  nichts  mit  meinem  Argument 
zu  tun  hat:  diese  vier  sind  Cäsar,  Coligny,  Philipp  II.  von  Ma- 


152  Feldherren. 

zedonien  und  Wilhelm  der  Schweigsame;  zwei  andere  begingen 
Selbstmord,  und  zwar  Lord  Clive  und  Hannibal.  Kurz  gesagt, 
40  p.  c.  der  Gesamtsumme  starb  eines  gewaltsamen  Todes. 

Es  gibt  im  Kriege  ein  Prinzip  der  natürlichen  Auslese,  das 
darin  besteht,  daß  die  großen  Männer  leichter  getroffen  werden 
als  die  kleinen.  Große  Männer  werden  leichter  getroffen.  Ich 
rechne,  daß  die  Gelegenheit  für  einen  Mann,  zufällig  erschossen 
zu  werden,  der  Quadratwurzel  des  Produkts  seiner  Größe  mul- 
tipliziert mit  seinem  Gewicht  gleichkommt,*)  so  daß,  wo  ein 
Mensch  von  16  stone  Gewicht  und  6  Fuß  2%  Zoll  Höhe  der  Mög- 
lichkeit, erschossen  zu  werden,  2  Jahre  lang  entgehen  kann,  ein 
Mensch  von  8  stone  Gewicht  und  5  Fuß  6  Zoll  Höhe  dieser  Mög- 
lichkeit drei  Jahre  lang  entgehen  wird.  Aber  die  Gesamtpropor- 
tion der  Gefahr,  die  der  große  Mensch  läuft,  ist  meines  Dafür- 
haltens beträchtlich  größer.  Er  fällt  durch  seine  Größe  auf,  ist 
leichter  kenntlich  und  kann  das  Objekt  eines  speziellen  Ziels 
werden.  Es  liegt  auch  in  der  menschlichen  Natur,  daß  der 
Schütze  sich  den  größten  Mann  heraussucht,  gerade  so  wie  er 
den  größten  Vogel  in  einem  Schwärm  oder  die  größte  Antilope 
in  einer  Herde  aussucht.  Anderseits  bietet  von  zwei  Männern, 
auf  die  gezielt  wird,  der  stärker  gebaute  eine  größere  Zielscheibe. 
Diese  Wahrscheinlichkeit  ist  ein  wenig  geringer  als  das  Ver- 
hältnis seines  Querschnittzuwachses,  denn  es  unterliegt  dem  Ge- 
setz, das  wir  Seite  28  besprochen  haben,  obgleich  wir  infolge 
unserer  Unkenntnis  über  die  durchschnittliche  Entfernung  des 
Feindes  und  die  Dichtigkeit  seiner  Schüsse  die  Abnahme  nicht 
berechnen  können.  In  großer  Entfernung  und  bei  heftigem  Feuer 
wird  die  Abnahme    unmerklich   sein;    bei  verhältnismäßig  ge- 


*)  Die  Aussicht  für  einen  Menschen  von  zufälligen  Schüssen  getroffen 
zu  werden,  steht  im  Verhältnis  zu  seinem  Querschnitt,  zu  seinem  Schatten 
an  einer  benachbarten  Wand,  bei  klarem  Licht  geworfen  oder  zu  seiner  Höhe 
multipliziert  in  seiner  durchschnittlichen  Breite.  Jedoch  ist  es  ebenso  leicht 
und  bequemer  nach  den  besser  bekannten  Daten  seiner  Höhe  und  seines 
Gewichts  zu  rechnen.  Ein  Mann  differiert  von  anderen,  indem  er  mehr  oder 
weniger  großgewachsen  und  mehr  oder  weniger  untersetzt  ist.  Es  ist  über- 
flüssig, die  Tiefe  (des  Brustl<astens  z.  B.)  ebenso  wie  seine  Breite  zu  messen, 
denn  die  beiden  hängen  von  einander  ab.  Nehmen  wir  h  =  die  Höhe  eines 
Mannes,  g  =  sein  Gewicht,  b  =  seine  durchschnittliche  Breite,  in  welcher 
Richtung  wir  wollen,  doch  so,  daß  sie  stets  die  gleiche  bleibt,  so  haben  wir 
sein  Gewicht  g,  das  sich  ändert  wie  hU^,  während  sein  Querschnitt  sich  ändert 
wie  ä6  oder  wie   Y^'X.hb^  oder  wie    ^^lig. 


Feldherren.  153 

schlossenen  Reihen  wird  sie  unerheblich  sein,  denn  selbst  die 
Summen  von  A.  und  B.  S.  33  betragen  nur  ein  Fünftel  mehr  als  2  A. 
(In  der  letzten  Kolonne  der  Tabelle  77  +  48=125  ist  nur  21, 
oder  um  ein  Fünftel  etwa  mehr  als  2  X  48  ==  96.)  Es  ist  nun  eine 
bekannte  Tatsache,  daß  nach  Feldherren  häufig  besonders  gezielt 
wird.  Ich  erinnere  mich  einer  Anekdote,  die  durch  die  Zeitungen 
ging,  als  Soult  England  besuchte.  Ein  englischer  Veteran,  er- 
zählten die  Blätter  damals,  habe  erklärt,  der  Held  müsse  ein 
verzaubertes  Leben  haben,  denn  er  habe  wohl  dreißigmal  mit 
seiner  Büchse  nach  ihm  gezielt,  ohne  je  das  Glück  zu  haben,  ihn 
zu  treffen.  Nelson  wurde  von  einem  der  vielen  Schüsse  nieder- 
gestreckt, die  ein  Schütze  im  Großmars  des  französischen 
Schiffes,  mit  welchem  sein  eigenes  im  scharfen  Kampf  lag,  direkt 
gegen  ihn  richtete.  Die  relativen  Aussichten  in  einer  Schlacht, 
nicht  erschossen  zu  werden,  sind  im  großen  ganzen  für  zwei 
Männer,  deren  Größen  und  Gewichte  ich  beschrieben  habe,  gleich 
3  zu  2  für  den  kleineren  Mann  in  Bezug  auf  zufällige  Schüsse, 
und  in  einer  sicherlich  noch  günstigeren  Proportion,  wenn  direkt 
gezielt  wird.  Da  die  letztere  Aussicht  sich  aus  den  beiden  fol- 
genden Umständen  zusammensetzt:  erstens  aus  der  begründe- 
teren Hoffnung,  nicht  Gegenstand  eines  direkten  Zieles  zu  wer- 
den, und  zweitens  nicht  erschossen  zu  werden,  selbst  wenn  der 
Feind  direkt  auf  einen  zielt. 

Diese  Betrachtung  ist  tatsächlich  wichtig.  Wäre  Nelson  von 
großem  Wuchs  gewesen  —  in  Wahrheit  hatte  er  ein  Schneider- 
gewicht —  er  wäre  wahrscheinlich  nicht  so  lange  am  Leben  ge- 
blieben. Betrachten  wir  einen  Augenblick  die  außerordentlichen 
Gefahren,  die  er  überlebt  hat.  Wenn  wir  die  erste  Zeit  seines 
aktiven  Dienstes  außer  acht  lassen,  wo  ihn  nur  gelegentlich  Ge- 
fahren bedrohten,  und  ebenso  die  lange  Friedenszeit,  die  dann 
folgte,  finden  wir  ihn  mit  35  Jahren  im  Krieg  mit  Frankreich 
tätig,  wo  sein  Name  infolge  seiner  Energie  bei  Bastia  und  Calvi 
überall  im  Mittelmeergebiet  gefürchtet  wurde.  Als  er  37  Jahre 
alt  war,  brachte  ihm  seine  Teilnahme  an  der  Schlacht  bei  St. 
Vincent  großen  Ruhm.  Später  war  er  bei  Cadiz  unter  scharfem 
Feuer,  und  ebenso  bei  Teneriffa,  wo  er  einen  Arm  durch  eine  Ka- 
nonenkugel verlor.  Darauf  bekam  er  eine  Pension  von  1000  Pfund 
jährlich.  Das  Memorial,  das  er  damals  einreichen  mußte,  besagt, 
daß  er  hundertzwanzigmal  im  Feuer  war,  und  erwähnt  außer 


154  Feldherren. 

dem  verlorenen  Arm  und  dem   verlorenen   Auge   noch   andere 
schwere  Wunden.     Mit  40  Jahren  gewann  er  die  Schlacht  am 
Nil,  wo  der  Kampf  ungeheuer  blutig  war.    Er  wurde  darauf  zum 
Baron  Nelson  mit  einer  Pension  von  3000  Pfund  jährlich  ernannt 
und  empfing  den  Dank  des  Parlaments.    Damals  wurde  er  auch 
vom  König  von  Neapel  zum  Herzog  von  Bronte    ernannt    und 
wurde   in   England  vergöttert.     Mit  43   Jahren   war   er   in   die 
schwierige  Schlacht  bei  Kopenhagen  verwickelt,  und  mit  47  Jah- 
ren wurde  er  bei  Trafalgar  erschossen.     Seine  Kriegskarriere 
erstreckte  sich  also  über  12  Jahre,  wobei  er  in  der  ersten  Zeit 
häufiger  unter  Feuer  war,  als  später.    Hätte  er  nur  zwei  Drittel 
oder  sogar  drei  Viertel  seiner  Schlachten  erlebt,  er  hätte  weder 
am  Nil,  noch  bei  Kopenhagen,  noch  bei  Trafalgar  das  Kommando 
haben  können.    Unter  diesen  Umständen  hätte  sein  Ruf  sich  auf 
den   eines   schneidigen   Kapitäns    oder    eines    jungen,    vielver- 
sprechenden Admirals  beschränkt.     Wellington  war  ein  kleiner 
Mann.     Wäre   er   auf   der   Pyrenäischen   Halbinsel   gefallen,   so 
wäre  sein  Ruhm  unzweifelhaft  sehr  groß  geworden,  aber  er  hätte 
nicht  den  Glanz  von  Waterloo  besessen.    Kurz  und  gut,  am  Leben 
bleiben  ist  ein  äußerst  wichtiger  Umstand,    um  ein    berühmter 
Feldherr  zu  werden.    Doch  Menschen  von  den  gleichen  miHtä- 
rischen    Gaben    —    wie    die    notwendige    Form    einer    hohen 
intellektuellen   und  moralischen   Befähigung   in   Verbindung   mit 
Körperkraft  —  sind  durchaus  nicht  gleich  qualifiziert,  wenn  es 
sich  darum  handelt,  den  feindlichen   Kugeln  zu  entgehen.     Sie 
sind  dem  schmalgebauten  Mann  weniger  gefährlich,  und  so  kann 
der  schmächtige  Mensch  auch  eher  großen  Ruhm  als  Feldherr 
erlangen,  als  seine  gleichbegabten  Zeitgenossen,  deren  physische 
Hülle  breiter  ist. 

Ich  gebe  zum  Schluß  noch  eine  Tabelle,  die  genau  so  ange- 
legt ist,  wie  diejenigen  in  den  vorhergehenden  Kapiteln. 

Tabelle  I. 

Übersicht  über  die  Verwandten  von  32  Feldherren, 

gruppiert  in  21  [oder  24*)]  Familien. 


*)  Coligny,  Moritz,  Turenne  und  Wilhelm  I.  sind  unmöglich  zu  trennen 
und  ebenso  unmöglich  zu  einer  Familie  zu  rechnen.  Betrachtet  man  sie 
als  eine  Familie,  so  ist  die  Gruppe  von  27  auf  24  reduziert. 


Feldherren.  155 

Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie). 

Berwick,    Herzog   (s.    Marlbo-  Pyrrhus  (s.  Alexander). 

rough). 

Doria  N.  &.  c.  Titus  V. 

Hyder  Ali  S.  Tromp  S. 

Lawrence,  Sir  H.  B. 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  yier  in  der  Familie), 
2  Karl  der  Große  und 

Karl  Martell         V.  Q.  QF.  Eugen  gB.  gN. 

Karl  Martell  (s.  Karl  der  Große).  2  Marlborough  und  Herzog  von 


Berwick 

n.  OE. 

Clive 

GB.  GN. 

Moore,  Sir  John 

V.  B. 

Coligny  (aber  s. 

Maurice) 

V.  0.  eE. 

Nelson 

oE.  go. 

Cromwell 

S.  oS.  oE. 

Runjeet  Singh 

G.  V. 

Saxe,  Marschall 

V.  0.  es. 

Wellington 

B.  2N. 

Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der  Familie), 

3  Alexander,  Philipp  und  Pyrrhus  V.  v.  B.  N.  gBE. 
Bonaparte  v.  B.  b.  S.  2N. 
Cäsar  s.  v.  n.  nS. 
Karl  XII.  (s.  Gustav  Adolph). 

2  Gustav  Adolph  und  Karl  XII.  s.  GV.  G&.  NE, 

Hannibal  V.  3B. 

4  Moritz  von  Nassau,   Wilhelm   der  V.  g.  n.  NS. 

Schweigsame,  Coligny  und  Tu- 

renne 

Napier  QQV.  V.  oS.  2B.  n.  OS.  etc. 
Napoleon  (s.  Bonaparte). 
Philipp  und  Pyrrhus  (s.  Alexander). 

Raleigh  3B.  2oS. 

Scipio  V.  G.  2S.  2E.  GN. 

Turenne  (andererseits  s.  Moritz)  V.  etc. 

Wilhelm  I.  (andererseits  s.  Moritz)  2  S.  E.  ES. 


156 


Feldherren. 
Tafel  IP) 


Verwar 

idtsch 

aftsgrade 

A. 

B. 

C. 

1-v 

Bezeichnung 
des  Grades 

Korrespondierende 
Buchstaben 

D. 

Vater 

12  V 

— 

— 

— 

12 

47 

100 

47.0 

Brader 

13  B 

— 

— 

— 

13 

50 

150 

33.3 

Sohn 

8  S 

— 

— 

— 

8 

51 

100 

32.0 

Großvater 

3  G 

1  g 

— 

— 

4 

16 

200 

8.0 

Onkel 

0  0 

2  0 

— 

— 

2 

8 

400 

2.0 

Neffe 

6  N 

3  n 

— 

— 

9 

35 

400 

9.0 

Enkel 

3  E 

0  e 

— 

3 

12 

200 

6.0 

Urgroßvater 
Großonkel 

2  GV 
1  GB 

OgV 
1  gB 

0  GV 
0  GB 

o^v 

O^B 

2 
2 

8 
8 

400 
800 

2.0 
1.0 

Leiblicher  Vetter 

1  OS 

2  oS 

1  OS 

1  oS 

5 

20 

800 

2.5 

Großneffe 

1  NS 

0  nS 

0  NS 

1  nS 

2 

8 

800 

1.0 

Urenkel 

0  ES 

0  eS 

0  ^S 

0  eS 

0 

0 

400 

0.0 

Alle   weiter  ent- 
fernten Verw. 

11 

— 

— 

— 

— 

44 

— 

— 

Aus  diesen  Tabellen  können  genau  die  gleichen  Schlüsse  ge- 
zogen werden,  wie  aus  denen,  die  ich  bereits  gab,  aber  sie 
machen  meine  Sache  noch  überzeugender. 

Ich  stelle  den  Satz  auf:  je  befähigter  ein  Mensch  ist,  desto  größer 
ist  die  Zahl  seiner  befähigten  Verwandten.  Oder  kurz  gesagt, 
die  Namen  in  der  dritten  Abteilung  von  Tabelle  I  müssen  im 
großen  ganzen  diejenigen  von  Männern  von  größerer  Bedeutung 
sein,  als  diejenigen  in  der  ersten  Abteilung.  Auch  nicht  der 
Schatten  eines  Zweifels  kann  aufkommen,  daß  dies  tatsächlich 
der  Fall  ist.  Aber  die  Tabelle  zeigt  noch  mehr.  Ihre  dritte  Ab- 
teilung ist  proportional  länger,  als  die  entsprechende  Abteilung 
in  der  Tabelle  der  Politiker,  während  sie  in  dieser  Tabelle  wieder 
länger  war  als  in  der  Tabelle  der  Judges.  Nun  ist  der  Durch- 
schnitt der  natürlichen  Gaben  bei  den  verschiedenen  Gruppen 
in  genau  der  gleichen  Anordnung  zugemessen.  Die  Feldherren 
sind  befähigter  als  die  Politiker,  und  die  Politiker  befähigter  als 


1)  .  die  gleiche  Tafel  S.  61. 


Feldherren.  157 

die  Judges.  Folglich  finden  wir  bei  einem  Vergleich  der  drei 
Gruppen  miteinander,  daß  die  befähigteren  Männer  durchschnitt- 
lich eine  größere  Anzahl  von  befähigten  Verwandten  haben.  In 
gleicher  Weise  ist  das  Verhältnis  der  Feldherren,  die  überhaupt 
hervorragende  Verwandte  haben,  zu  jenen,  die  keine  haben,  viei 
größer  als  dies  bei  den  Politikern  der  Fall  ist,  und  bei  diesen 
wieder  viel  größer  als  bei  den  Judges. 

Ihr  spezifischer  Fähigkeitstypus  wird  in  starkem  Maße 
weitergegeben.  Meine  begrenzte  Liste  der  Feldherren  enthält 
verschiedene  bemerkenswerte  Familien  von  Generälen.  Die 
Familie  Wilhelms  des  Schweigsamen  ist  sehr  berühmt,  und  ich 
muß  sagen,  daß  er  wenigstens  in  zwei  Fäilen  seiner  vier  Ehen 
—  als  er  die  Tochter  des  Kurfürsten  von  Sachsen  heiratete  und 
ein  zweites  Mal  die  Tochter  des  großen  Coligny  —  gar  nicht 
besonnener  hätte  wählen  können,  Moritz  von  Nassau  zum  Sohn, 
Turenne  als  Enkel  und  unseren  Wilhelm  III.  als  Urenkel  haben 
ist  ein  wunderbares  Beispiel  vererbter  Gaben.  Eine  andere 
äußerst  berühmte  Familie  ist  die  Karls  des  Großen.  Als  erster 
Pipin  von  Heristal,  tatsächlicher  Herr  von  Frankreich,  dann 
sein  Sohn  Karl  Martell,  der  die  sarazenische  Invasion,  die  schon 
halb  Frankreich  überschwemmt  hatte,  zurückdrängte;  dann  sein 
Enkel,  Pipin  der  Kleine,  der  Begründer  der  Karolingischen  Dy- 
nastie, und  schließlich  sein  Urenkel  Karl  der  Große,  der  Be- 
gründer des  germanischen  Kaisertums.  Die  letzten  drei,  wenn 
nicht  alle  vier,  gehören  als  Führer  der  Menschen  auf  die  aller- 
höchste Stufe. 

Eine  andere,  noch  berühmtere  FamÜie  ist  die  Alexanders 
des  Großen,  die  Philipp  von  Mazedonien,  die  Ptolomäer  und 
seinen  Großkousin  Pyrrhus  umfaßt.  Ich  erachte  den  letzteren 
eigentlich  als  einen  weit  entfernteren  Verwandten,  doch  hat 
Pyrrhus  in  seinem  Charakter  so  große  Ähnlichkeit  mit  Alexander, 
daß  ich  berechtigt  bin,  seine  Gaben  als  ererbt  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Wieder  eine  andere  Familie  bilden  Hannibal,  sein  Vater 
und  seine  Brüder;  weiter  dieFamihe  derScipios;  ebenso  die  inter- 
essante nahe  Verwandtschaft  zwischen  Marlborough  und  dem 
Herzog  von  Berwick.  Raleighs  Verwandtschaft  ist  meiner 
Theorie  außerordentlich  angemessen,  denn  sie  gibt  ausgezeichnete 
Beispiele  in  Vererbung  spezieller  Fähigkeiten.     Von  Wellington 


158  Feldherren. 

und  dem  Marquess  von  Wellesley  habe  ich  schon  im  letzten 
Kapitel  gesprochen,  so  daß  ich  mich  nicht  hier  zu  wiederholen 
brauche.  Von  Familien  großer,  aber  nicht  so  berühmter  Feld- 
herren nenne  ich  noch  die  Familie  Napier,  Lawrence  und  die 
merkwürdige  Seemannsfamilie  von  Hyde  Parker.  Es  waren  fünf 
Brüder  Grant,  die  sich  alle  in  Wellingtons  Feldzügen  besonders 
auszeichneten.  Ich  füge  noch  hinzu,  daß,  obgleich  ich  zu  wenig 
über  die  großen  asiatischen  Krieger  Dschengis  —  Khan  und 
Timur  weiß,  um  sie  in  meinen  Anhang  aufzunehmen,  mir  doch  be- 
kannt ist,  daß  sie  doppelt,  wenn  auch  sehr  entfernt  verwandt  sind. 
Die  Verteilung  der  Fähigkeiten  unter  die  verschiedenen  Ver- 
wandtschaftsgrade ist  in  der  gleichen  Weise  angeordnet,  wie  dies 
bei  den  Politikern  und  den  Judges  der  Fall  war. 

Anhang  zu  dem  Kapitel  Feldherren. 

Verzeichnis    der    Feldherren,    die    in    die    nachstehende    Unter- 
suchung einbezogen  sind. 

Die  Namen  in  Sperrschrift  figurieren  in  meinem  nach- 
stehenden Verwandten-Lexikon.  Es  sind  32,  die  übrigbleibenden 
27  sind  durchaus  nicht  völlig  ohne  begabte  Verwandte. 

Alexander.  Baber.  Belisarius.  B  e  r  w  i  c  k  ,  Herzog  von. 
Blake.  Blücher.  Bonaparte.  Qaesar.  Karl  der  Qroße. 
KarlMartell.  Karl  XII.  C 1  i  v  e.  C  o  1  i  g  n  y.  Conde. 
C  r  0  m  w  e  1 1.  Cyrus  der  Ältere.  Dandolo.  D  o  r  i  a.  Dschengis- 
Khan.  Dundonald,  Lord.  Eugen, Prinz.  Friedrich  der  Große. 
Gustav  Adolph.  Hannibal.  Heinrich  IV.  H  y  d  e  r  A  1  i. 
Lawrence,  Sir  H.  Mohamet  Ali.  Marius.  Massena. 
MoritzvonNassau.  Marlborough.  Miltiades.  Moore, 
S i r  J.  Moreau.  Napier,  Sir  Charles.  (Napoleon,  s. 
Bonaparte.)  Nelson.  Peter  der  Große.  Pericles,  Philipp 
vonMazedonien.  Pompejus.  P  y  r  r  h  u  s.  Raleigh.  R  u  n  - 
je  et  Singh.  Saladin.  Sachsen,  Marschall.  Schomberg. 
ScipioAfricanus.  Soult.  Themistocles.  Timurlane.  T 1 1  u  s. 
Traian.  Tromp  Märten.  T  u  r  e  n  n  e.  Wallenstein.  Welling- 
ton.   Wilhelm  I.  von  Oranien.    Wolfe. 


Feldherren.  159 

Alexander  der  Große.  Ist  allgemein  als  der  genialste  Feldherr 
berühmt,  den  die  Welt  je  hervorgebracht  hat.  Mit  16 
Jahren  schon  zeigte  er  einen  außerordentlichen  Scharf- 
sinn in  öffentlichen  Angelegenheiten,  als  er  während 
einer  Abwesenheit  seines  Vaters  Mazedonien  regierte. 
Mit  20  Jahren  bestieg  er  den  Thron  und  begann  seine 
große  Laufbahn  als  Eroberer,  starb  mit  32  Jahren.  Da 
er  in  einer  Zeit  lebte,  in  der  das  Band  der  Ehe  locker 
war,  so  sind  seine  Verwandten  nicht  leicht  festzustellen. 
Nichtsdestoweniger  gehören  diejenigen  Menschen,  die 
nach  allgemeiner  Annahme  als  seine  Verwandten  gelten, 
einer  sehr  hohen  Stufe  an.  Er  hat  viel  von  den  natür- 
lichen Gaben  seiner  beiden  Eltern  geerbt;  die  kühle 
vorbedächtige  Art  und  die  praktische  Weisheit  seines 
Vaters  und  den  feurigen  Enthusiasmus  und  die  unbän- 
digen Leidenschaften  seiner  Mutter. 

Er  hatte  vier  Frauen,  aber  nur  einen  Sohn,  ein  pos- 
thumes  Kind,  das  mit  12  Jahren  ermordet  wurde. 
V.  Philipp  von  Mazedonien,  ein  berühmter  General  und 
Staatsmann.  Er  erschuf  und  organisierte  eine  Armee, 
die  durch  ein  bis  dahin  unbekanntes  System  der  Disziplin 
zusammengehalten  war.  Mit  diesem  Heer  hielt  er  ganz 
Griechenland  in  Schach.  Mit  24  Jahren  schon  zeigte  er 
seine  kühle  vorbedächtige  Art  und  seine  praktische  Fer- 
tigkeit, indem  er  sich  ganz  allein  aus  verwirrenden  po- 
litischen Schwierigkeiten  hinaushalf.  Er  hatte  eine  kräf- 
tige Gestalt,  ein  edles  und  gebietendes  Aussehen, 
eine  geschickte  Beredsamkeit  und  Gewandtheit  im  Um- 
gang mit  Menschen  und  Dingen.  Cicero  rühmt  von  ihm, 
daß  er  „immer  groß"  war.  Die  sinnlichen  Freuden 
des  Lebens  genoß  er  gierig.  Er  wurde  mit  47  Jahren 
ermordet. 
V.  Olympias,  feurig  in  ihrem  Enthusiasmus,  unbändig  in 
ihren  Leidenschaften,  schmiedete  immer  Ränke  und  in- 
trigierte. Den  Tod  erlitt  sie  als  Heldin. 
B.  (Halb-Bruder.)  Ptolomäus  Soter  L  Er  wurde  nach 
Alexanders  Tode  der  erste  König  von  Ägypten  und  war 
ein  Sohn  Philips  IL  von  Arsinoe.    Alexander  schätzte  ihn 


160  Feldherren. 

sehr  hoch  ein.    Er  war  sehr  tapfer  und  hatte  alle  Eigen- 
schaften  eines  befähigten    und   urteilsfähigen   Generals. 
Er  war  auch  der  Literatur  zugetan  und  förderte  gelehrte 
Männer.    Er  hatte  zwölf  Nachkommen,  die  Könige  von 
Ägypten  wurden.     Sie  wurden  alle  Ptolomäer  genannt 
und    waren    in    ihren    Gesichtszügen,    in    ihren    poli- 
tischen Fähigkeiten,  in  ihrer   Vorhebe  für   die  Wissen- 
schaft und  in  ihren  wollüstigen  Neigungen  einander  recht 
ähnlich.     Das  Geschlecht  der  Ptolomäer  ist  im  ersten 
Augenblicke   wegen   der  außerordentlichen   Zahl   seiner 
Ehen  innerhalb  des  engen  Familienkreises  äußerst  inter- 
essant.   Bei  den  Ptolomäern  fand  so  Inzucht  statt,  wie 
unter  preisgekröntem  Vieh  bei  unseren  Züchtern,  aber 
ihre  nahen  Ehen  waren  unfruchtbar  —  die  Vererbung 
ging  meistens  durch  andere  Frauen   weiter.     Wir  be- 
zeichnen die  Ptolomäer  ihrer  Zahl  nach  in  der  Art  ihrer 
Thronfolge,  II  heiratete  seine  Nichte  und  später  seine 
Schwester;    IV   seine    Schwester;    VI    und    VII    waren 
Brüder     und     heirateten     hintereinander     die     gleiche 
Schwester.    VII  heiratete  später  seine  Nichte;  VIII  hei- 
ratete hintereinander  zwei  seiner  eigenen  Schwestern; 
XII  und  XIII  waren  Brüder  und  beide  heirateten  hinter- 
einander ihre  Schwester,  die  berühmte  Cleopatra. 

Genealogie  der  Ptolomäer. 

I 

I 
Nichte  =  II  =  Schwester 

h  * 

III 


.1 


V 
VI  =  Schwester  =  VII  =  mit  seiner  Nichte  (zweimal) 


Tochter  verh.  1  Sohn  VIII  =  gleichfalls  mit  seinen  2  Schwestern 

an  ihren  Onkel  |  j 

und  Mutter  von  VIII  XI  *  IX 

I I 

I 1 1  X 

XII  =       Cleopatra       =  XIII  (ein  reiner  Knabe) 

1  l 


Feldherren.  161 

So  gab  es  unter  den  dreizehn  Ptolomäern  nicht 
weniger  als  neun  enge  Wechselheiraten.  Wenn  wir  sie 
jedoch  in  einem  Stammbaum  anordnen,  wie  wir  dies 
unten  tun,  sehen  wir  klar,  daß  die  Hauptlinie  bis  auf  zwei 
Fälle,  und  zwar  III  und  VIII  von  diesen  Wechselheiraten 
unberührt  blieb.  Die  persönliche  Schönheit  und  Kraft 
Cleopatras,  der  letzten  des  Geschlechts,  kann  nicht 
eigentlich  als  Gegenbeweis  gegen  die  schlechten  Folgen 
naher  Abkunft  angeführt  werden.  Im  Gegenteil,  das 
Beispiel  der  Ptolomäer  zeigt  klar,  daß  Zwischenheiraten 
Sterilität  zur  Folge  haben. 

Vornamen  der  Ptolomäer. 

I.  Soter  VIII.  Soter  II 

IL  Philadelphus  IX.  Alexander 

III. Euergetes  X.Alexander  II 

IV.  Philopator  XI.  Auletes 

V.  Epiphanes  XII.  Dionysus 

VI.  Philometor  XIII.  Wurde    als    Knabe    er- 

VII.  Euergetes  II  (Phison)  mordet. 

N.  (Halbneffe.)  Ptolomäus  Philadelphus,  ein  Mann  von 
schwacher  und  kraftloser  Konstitution,  aber  von  großer 
Befähigung  und  Energie.  Er  säuberte  Ägypten  von 
Räuberbanden.  Er  war  der  erste,  der  afrikanische  Ele- 
fanten zähmte;  die  Elefanten,  die  man  vor  ihm  in  Ägypten 
benützte,  waren  alle  ausnahmslos  aus  Indien  impor- 
tiert worden.  Er  gründete  die  Stadt  Ptolemais  an  der 
Grenze  Äthiopiens  speziell  um  die  gefangenen  afri- 
kanischen Elephanten  in  Empfang  zu  nehmen,  die  dort 
gezähmt  wurden.  Er  nahm  das  alte  ägyptische  Unter- 
nehmen wieder  auf,  die  Landenge  von  Suez  zu  durch- 
fahren, schickte  Reisende  auf  Entdeckungen  das  Rote 
Meer  hinunter,  gründete  die  Bibliothek  von  Alexandria 
und  veranlaßte  die  Septuaginta-Übersetzung  der  Bibel. 
Bei  all  seiner  Intelligenz  und  Energie  hatte  er,  wie  wir 
schon  sagten,  eine  schwache  und  kränkliche  Konstitution, 
und  sein  Leben  war  das  eines  raffinierten  Wollüstlings. 

G  a  1 1  0  n  ,  Genie  und  Vererbung, 


162  Feldherren. 

(NS.)  Ptolomäus  Euergetes.  War  seinem  Vater  an  Tüchtigkeit 
und  Befähigung  durchaus  nicht  ebenbürtig.  Er  wurde 
aber  wegen  seiner  Gönnerschaft,  die  er  Literatur  und 
Wissenschaft  angedeihen  ließ,  kaum  weniger  gefeiert 

gBE.  PjTrhus,  König  von  Epirus,  der  berühmte  Feldherr.  (Ich 
bin  bei  dem  zweiten  Buchstaben  nicht  ganz  sicher,  ob  es 
sich  um  ein  B.  oder  &.  handelt.)  Er  war  einer  der 
größten  Feldherren,  die  je  gelebt  haben,  und  er  hätte 
einer  der  mächtigsten  Monarchen  seiner  Zeit  werden 
können,  wenn  er  mehr  Ausdauer  besessen  hätte.  Die 
Blutsbande  zwischen  ihm  und  Alexander  scheinen  be- 
merkenswert gewesen  zu  sein,  können  hier  aber  schwer 
genau  registriert  werden.  Pyrrhus  Charakter  hatte 
Ähnlichkeit  mit  dem  Alexanders,  den  er  sich  auch  in 
jungen  Jahren  schon  zum  Beispiel  nahm.  Sein  Ehrgeiz 
feuerte  ihn  an,  die  Taten  Alexanders  nachzuahmen. 
Berwick,  James  Fitzjames,  Herzog  von.  Einer  der  ausgezeich- 
netsten Feldherren  während  der  Regierung  Ludwigs  XIV. 
Er  war  der  illegitime  Sohn  Jakobs  II.  von  Arabella  Chur- 
chill und  wurde  Oberkommandant  der  irischen  Armee 
seines  Vaters.  Er  begleitete  Jakob  II.  in  die  Verbannung 
und  trat  in  französische  Dienste,  wo  er  große  Auszeich- 
nungen erhielt,  namentlich  im  spanischen  Erbfolgekrieg. 
Er  war  dann  General-Leutnant  der  französischen  Ar- 
meen und  wurde  zum  spanischen  Granden  ernannt. 
0.  John  Churchill,  der  große  Herzog  von  Marlborough  s. 
Bonaparte,  Napoleon  I.  Seine  außerordentlichen  Talente  zeigten' 
sich  in  seiner  Knabenzeit  noch  nicht.  War  ein  schweig- 
samer junger  Mann.  Der  jährliche  Bericht  an  den  Gene- 
ral-Schulinspektor sagt  von  dem  fünfzehnjährigen  Bona- 
parte, er  sei  „ausgezeichnet  in  mathematischen  Studien, 
in  Geschichte  und  Geographie  leidlich  versiert,  sehr  zurück 
in  Latein,  schöner  Literatur  und  anderen  Gegenständen, 
von  regelmäßigen  Gewohnheiten,  fleißig  und  wohl- 
erzogen und  erfreue  sich  einer  vortrefflichen  Gesundheit 
(Bourienne)."  Er  zeichnete  sich  erst  mit  24  Jahren  bei 
der  Belagerung  von  Toulon  aus.  Mit  26  Jahren  wurde 
er  General  der  italienischen  Armee,  die  sich  damals  in 


Feldherren, 


163 


einem  desorganisierten  Zustand  befand.  Von  da  ab  be- 
gann seine  ununterbrochene  Siegeslaufbahn.  Er  war 
mit  35  Jahren  Kaiser;  wurde  mit  46  Jahren  bei  Waterloo 
besiegt  und  starb  sechs  Jahre  später  auf  St.  Helena.    Zu 

Stammbaum  der  Familie  Bonaparte. 


Carlo  Bonaparte 

ein  korsischer  Advokat 

II 

Lätitia  Ramolini 
bekannt  als  „Madame  la  ^ 
Mere'.  War  von  helden- 
hafter Natur  und  eine 
der  schönsten  jungen 
Frauen  ihrer  Zeit.  Sie 
folgte  ihrem  Gatten  auf 
allen  seinen  Reisen  durch 
die  Insel,  die  damals 
von  gefährlichen  Un- 
ruhen heimgesucht  war. 
Sie  war  stark  und  un- 
erschrocken. Später 
wurde  sie  „eine  blasse, 
aber  ernste  Frau,  die, 
wenn  sie  von  etwas  ge- 
sprochen hatte,  was  sie 
stark    interessierte,    mit 

zusammengepreßten 
Lippen  und  weitge- 
öffneten Augen  dasaß, 
ein  BildderEntschlossen- 
heit  kombiniert  mit  Tiefe 
des  Gefühls"  (Duchesse 
d'Abrantes).  Napoleon 
schätzte   sie    hoch    ein. 


Joseph,    König    von 
Neapel     und    später 
von  Spanien, 
w  Julia  Clary. 


Napoleon  I. 
m  zweimal. 


Lucien,     Prinz     von 

Canino. 

w  zweimal. 

Elisa,  Prinzessin  von 

Piombino  und  Lucca : 

,  die  italienische  Semi- 

ramis" 

m  Baciocchi. 


Töchter. 


1.  König  von  Rom,  aber 
jetzt  Napoleon  II.  be- 
titelt; ein  schwind- 
süchtiger Jüngling, 
starb  mit  20  Jahren. 

2.  Graf  Walewski  (il- 
legitim) hervorragen- 
der Diplomat;  fran- 
zösischer Gesandter 
in  England. 

1.  Charles  Lucien. 

2.  Prinz  Louis,  Philologe. 


•  Napoleon  Eliza. 


5.  Louis,      König     von 
Holland. 

m     Hortense     Beau- 
harnais. 

6.  JVlarie  Pauline; 

m  1.  Genl.  Ledere, 
2.  Prinz     Camillo 
Borghese. 

7.  Jerome,  König  von 
Westphalen ;  Präsi- 
dent des  Staatsrats 
unter  Napoleon  111. 
m  Prinzessin  von 
Württemberg. 


1   1.  Napoleon  Ch, 
jf  2.  Charles  Napoleon, 
j  3.  Louis,  Napoleon  III. 


keine  Kinder. 


1.  Prinzessin  Mathilde; 
m  Prinz  Demidoff. 
>  2.  Prinz  Napoleon; 

m  Clothilde,  Tochter 
des  Königs  v.  Italien. 


8.  Karoline.  | 

m  Murat,  König  von  [ 
Neapel.  j 


Lucien  Napoleon  Murat. 


11* 


164  Feldherren. 

den  bemerkenswerteren  Eigenschaften  dieses  außer- 
ordentlichen Mannes  gehörten  auch  ein  wunderbares 
Gedächtnis  und  intellektuelle  Rastlosigkeit.  Er  besaß 
eine  gewaltige  Körperkraft. 

Die  Familie  Bonaparte  hat  so  viel  beachtenswerte 
Mitglieder,  während  gleichzeitig  einige  von  ihnen  von 
den  politischen  Verhältnissen  so  sehr  unterstützt,  andere 
wieder  gleichfalls  durch  die  politischen  Verhältnisse  so 
zurückgedrängt  wurden,  daß  es  sehr  schwer  ist  zu  sagen, 
welche  von  ihnen  als  Beispiele  vererbter  Anlagen  anzu- 
führen sind  und  welche  nicht.  Ich  bringe  umstehend 
den  Stammbaum  der  Familie  und  erachte  es  als  die  Ur- 
sache des  erblichen  Einflusses: 

V.  B.  b.  S.  und  2N. 

Lucien,  Elisa  und  Louis  waren  sehr  begabte  Men- 
schen, und  andere  Schwestern  und  Brüder  Napoleon  I. 
ragten  sicherlich  über  den  Durchschnitt  hinaus.  Es  sind 
noch  jetzt  Mitglieder  der  Familie  am  Leben,  unter  ihnen 
der  Kardinal  von  Rom,  der  noch  eine  große  politische 
Rolle  vor  sich  haben  mag. 

Cäsar,  Julius,  römischer  Diktator.  War  nicht  nur  ein  Feldherr 
der  höchsten  Art  und  ein  Staatsmann,  sondern  auch  ein 
Redner  und  Schriftsteller.  Schon  als  Knabe  berechtigte 
er  zu  den  größten  Hoffnungen  und  war  in  seiner  Jugend 
durch  sein  Urteil,  seine  literarischen  Fähigkeiten  und 
sein  Rednertalent  bemerkenswert.  Infolge  der  verwirr- 
ten Zustände  in  der  römischen  Politik  wurde  er  erst  mit 
41  Jahren  Konsul  und  begann  seine  militärische  Lauf- 
bahn erst  mit  42  Jahren.  Von  da  ab  hatte  er  vierzehn 
Jahre  lang  ununterbrochen  Erfolg.  Mit  56  Jahren  wurde 
er  ermordet.  Selbst  wenn  man  seinen  Charakter  an 
dem  niedrigen  Stand  der  Zeit,  in  welcher  er  lebte,  mißt, 
muß  er  noch  als  besonders  ruchlos  erscheinen.  Er  hatte 
keine  Brüder,  nur  zwei  Schwestern.  Er  war  viermal 
verheiratet  und  hatte  nur  einen  illegitimen  Sohn  von 
Cleopatra,  namens  Caesarion,  den  Augustus  aus  po- 
litischen Gründen  hinrichten  ließ,  dann  noch  eine  Tochter 


Feldherren.  166 

s.  Julia,  verheiratet  mit  Pompejus  und  von  ihm  (obgleich  die 
Ehe  aus  rein  politischen  Gründen  geschlossen  war),  so- 
wie von  dem  ganzen  Volke  sehr  geliebt.  Sie  war  von 
hervorragender  Befähigung,  Tugend  und  Schönheit  Sie 
starb  frühzeitig,  vier  Jahre  nach  ihrer  Verheiratung,  in 
vorgeschrittener  Schwangerschaft  infolge  eines  großen 
Schreckens. 

V.  Aurelia  scheint  keine  gewöhnliche  Frau  gewesen  zu 
sein.  Sie  bewachte  sorgsam  die  Erziehung  ihrer  Kinder 
und  wurde  von  Cäsar  stets  mit  der  größten  Liebe  und 
dem  größten  Respekt  behandelt. 

71.  Atia,  die  Mutter  des  Augustus,  die  sorgsam  über  seine 
Erziehung  wachte  und  die  in  eine  Reihe  mit  Cor- 
nelia, der  Mutter  der  Qracchen,  und  Aurelia,  der  Mutter 
Cäsars,  gestellt  wird. 
tiS.  Augustus  Cäsar,  der  erste  Kaiser  von  Rom.  Die  öf- 
fentliche Meinung  seiner  eigenen  Zeit  nannte  ihn  einen 
ausgezeichneten  Fürsten  und  Staatsmann.  Er  war  von 
Cäsar  adoptiert  worden,  der  ihn  hoch  schätzte  und 
der  Erziehung  des  Jünglings  viel  Zeit  seines  beschäf- 
tigten Lebens  widmete.  Er  war  von  großer  Vorsicht 
und  Mäßigung.  Nach  dem  Tode  Cäsars  war  er  schon 
in  jungen  Jahren  als  Feldherr  sehr  erfolgreich.  Heiratete 
drei  Frauen,  hinterließ  aber  nur  eine  Tochter. 

0.    Sext.    Julius  Cäsar;  Konsul,    v.  Ch.  9L 
?    Marcus  Antonius.    Seine  Mutter  gehörte  zur  Familie  des 
Julius  Cäsar,  doch  ist  unbekannt,  welchen  Grades  diese 
Verwandtschaft  war. 

(Cajus  Marius,  der  Feldherr  heiratete  die  Tante  (o) 
von  Julius  Cäsar,  hatte  aber  keine  Kinder  von  ihr: 
Marius  der  Jüngere,  der  viel  von  Cajus  Fähigkeiten  und 
Charakter  hatte,  war  nur  ein  adoptierter  Sohn.) 
Karl  der  Große,  Begründer  des  deutschen  Reiches  und  ein  großer 
Feldherr.  Begann  seine  Kriege  mit  30  Jahren,  starb  mit 
72.  Er  war  ein  hervorragender  Gesetzgeber  und  großer 
Gönner  der  Wissenschaften.  Er  hatte  viele  Kinder,  so- 
wohl legitime  als  illegitime,  unter  ihnen  auch  Ludwig 
den  Gütigen. 


166  Feldherren. 

GV.    Pipin    der    Dicke    (von    Heristal),    ein    ausgezeichneter 
Feldherr.    Er  machte  der  Merowingischen  Dynastie  ein 
Ende  und  war  ein  kraftvoller  Herrscher  Frankreichs. 
G.    Karl  Martell.  s.  unten. 

V.    Pipin   der   Kurze,    der   erste   karoHngische  König  von 
Frankreich. 
Karl  Martell.     Ahnherr  der  karoHngischen  Könige  von  Frank- 
reich.   Besieger  der  Sarazenen  in  der  großen  und  ent- 
scheidenden Schlacht  zwischen  Tours  und  Poitiers. 
V.    Pipin  der  Dicke,  s.  oben. 

S.    Pipin,  der  erste  karoHngische  König  von  Frankreich. 
E.    Karl  der  Große,  s.  oben. 
Karl  XII.  von  Schweden,  s.  unter  Gustav  Adolph. 
Clive,  Ister  Lord;  General-Gouverneur  von  Indien.     „Ein  him- 
melentsprossener   Feldherr,    der    ohne    Erfahrung    alle 
Offiziere  seiner  Zeit  überragte"  (Lord  Chatham).  Mit  32 
Jahren   siegreich   bei   Plassy.     Beging   mit   49    Jahren 
Selbstmord. 
GB.    Sir  G.  Chve,  Judge,  Curs.  B  Exch.  (Georg  II). 
GN.    Sir  E.  Clive,  Judge,  Just  C.  P.  (Georg  III). 
CoHgny,  Gaspard  de;  französischer  Admiral,  Feldherr  und  Po- 
litiker.    Berühmter   Hugenottenführer.     Kam    im    Blut- 
bad der  St.  Bartholomäusnacht  um. 
V.    Gaspard  de  Coligny,  Marschall  von  Frankreich,  zeichnete 
sich  in  den  italienischen  Kriegen  unter  Karl  VIII,  Lud- 
wig XI.  und  Franz  I.  aus. 
0.    Duc   de   Montmorency,   Marschall    und    Constable   von 
Frankreich.      Das  berühmteste    Mitglied    einer    großen 
französischen  Familie.    Er  war  unwissend,  wurde  aber 
infolge  seiner  natürlichen  Befähigung  und  seiner  großen 
Erfahrung  einer  der  befähigsten  Ratgeber  und  Politiker. 
eE.    Wilhelm  III.  von  England,  s.  den  Stammbaum  bei  Moritz, 
Cromwell,  Ohver;  Lord  Protector  der  Republik  (Commonwealth). 
OS.    Hampden,  der  Patriot,  von  dem  Lord  Clarendon  sagt,  er 
habe  „einen  Kopf  zum  Entwerfen,  eine  Zunge,  um  zu 
überzeugen  und  ein  Herz,  um  jedes  Unheil  anzurichten." 
Das  Wort  „Unheil"  bedeutet  hier  natürlich  Gegnerschaft 
gegen  den  König. 


Feldherren.  167 

Oe.  Edmund  Waller,  der  Dichter,  ein  Mann  von  sehr  be- 
trächtlichen Fähigkeiten,  sowohl  in  parlamentarischer 
Beredsamkeit  als  in  der  Dichtkunst,  doch  war  er  in  sei- 
nen Prinzipien  nicht  sehr  standhaft.  Er  war  der  n.  von 
Hamden. 
S,  Henry;  benahm  sich  tapfer  in  der  Armee  und  war  mit 
Auszeichnung  als  Lord  Deputy  in  Irland  tätig. 

Er  hat  einen  andern  Sohn  und  vier  Töchter,  die  be- 
fähigte Männer  heirateten,  jedoch  keine  bemerkens- 
werten Nachkommen  hatten. 

Doria,  Andrea;  Admiral  und  berühmter  Politiker.  Er  ver- 
trieb die  Franzosen  aus  Genua  und  erhielt  vom  Se- 
nat den  Titel  „Vater  und  Retter  des  Vaterlandes,"  Be- 
kannt durch  seine  Siege  über  die  Seeräuber  im  Mittel- 
ländischen Meer.  In  der  letzten  Schlacht  war  er  85 
Jahre  alt.  Er  gehörte  einem  jüngeren  Zweig  der  großen 
Familie  Doria  an,  aus  der  sich  viele  Männer  in  der 
italienischen  Geschichte  hoch  ausgezeichnet  haben.  Er 
hatte  keine  Kinder.  Starb  mit  94  Jahren. 
N.  Filippino  Doria,  der  ihm  als  Admiral  folgte  und  einen 
wichtigen  Sieg  über  die  Franzosen  errang. 

Eugen,  Prinz,  österreichischer  Feldherr  und  Politiker.  Kollege 
von  Marlborough,  Sieger  über  die  Türken.  Er  war  für 
die  Kirche  bestimmt  worden,  zeigte  jedoch  eine  ent- 
schiedene Vorliebe  für  die  militärische  Laufbahn,  Er 
war  hervorrragend  tapfer,  besaß  viel  Befähigung  und 
sehr  viel  physische  Kraft.  Seine  Eigenschaften  und 
seine  Geburt  sicherten  ihm  ein  rapides  Avancement,  so 
daß  er  die  kaiserlich  österreichische  Armee  in  Piemont 
mit  25  Jahren  befehligte.  Napoleon  stellte  ihn  als  Feld- 
herr mit  Turenne  und  Friedrich  dem  Großen  in  eine 
Reihe. 
^B.    Kardinal    Mazarin,    der    große    Minister    während    der 

Minderjährigkeit  Ludwig  XIV. 
gN.    Hortense  Mancini,  die  gebildete  und  schöne  Herzogin 
von  Mazarin,  verheiratet  an  den  Herzog  de  la  Meilleraye. 
Sie  wurde  in  England  sehr  bewundert  und  starb  dort 
1699. 


168  Feldherren. 

Qustav  Adolph,  Nicht  nur  ein  sehr  hervorragender  Feldherr  und 
Politiker,  sondern  auch  ein  Gönner  von  Wissenschaft 
und  Literatur.  Er  bestieg  mit  siebzehn  Jahren  den 
Thron  und  zeichnete  sich  gleich  danach  selbst  im  Kriege 
aus.  Er  wurde  das  Haupt  der  deutschen  protestantischen 
Sache.  Er  fiel  mit  38  Jahren  in  der  Schlacht  bei  Lützen. 
s.  Christine,  Königin  von  Schweden,  sein  einziges  Kind. 
Sie  war  eine  Frau  von  hoher  Befähigung,  aber  von 
männlichen  Gewohnheiten  und  sehr  exzentrisch.  Sie  be- 
bewunderte Alexander  den  Großen  sehr.  Sie  zog  an 
ihren  Hof  viele  hervorragende  europäische  Philosophen 
und  Gelehrte  heran,  unter  ihnen  Grotius,  Descartes  und 
Vossius.  Sie  trat  zum  Katholizismus  über,  verzichtete 
in  einem  Ausbruch  von  Laune  auf  den  Thron  und  ver- 
suchte nach  einigen  Jahren  vergebens,  ihn  wieder  zu  er- 
langen. 

Gustav  Wasa 


X  Cecilia 

I 

X 


1 

Gustav  Adolph  X 

^  I  I 

Christine  X 

f 

Karl  XII. 

In  der  schwedischen  Königsfamilie  war  einige  Gene- 
rationen lang  viel  Befähigung  und  Exzentrizität  verstreut. 
So  Gustav  Wasa,  seine  Tochter  Cecilia  und  in  einer  viel 
späteren  Generation  Karl  XII.,  die  alle  sehr  bemerkens- 
werte und  in  vielen  Beziehungen  einander  sehr  ähnliche 
Charaktere  besaßen.  Der  Zusammenhang  zwischen  ihnen 
ist  aus  der  vorstehenden  Tabelle  leicht  ersichtlich,  ich 
will  sie  jetzt  der  Reihe  nach  beschreiben. 


Feldherren.  169 

QV.  Gustav  Wasa;  obgleich  verbannt  und  ausgewiesen,  ge- 
lang es  ihm  doch,  die  Schweden  zu  vereinen  und  mit 
ihnen  die  Dänen  zu  verjagen  und  der  Begründer  der 
schwedischen  Dynastie  zu  werden. 
Gb.  Cecilia,  seine  Tochter,  welche  ein  „echtes  Vorbild  der 
launischen  und  exzentrischen  Christine  war;  sie  hatte 
eine  intensive  Sehnsucht,  zu  reisen  und  das  weitberühmte 
Beispiel  der  Königin  von  Saba  nachzuahmen."  Sie  kam 
mit  ihrem  Gatten  nach  England,  wo  sie  in  entsetzliche 
Schulden  geriet.  Sie  starb  mit  87  Jahren  nach  einem 
planlosen  und  zügellosen  Leben.  (Einleitung  von 
„England,  wie  es  die  Fremden  sehen"  von  W.  B.  Rye, 
1865.) 
NP.  Karl  XII.  Zeigte  von  seiner  frühsten  Jugend  an  großen 
Eigensinn  und  bemerkenswerte  Vorliebe  für  militärische 
Übungen.  Sein  großer  Wunsch  war,  Alexander  nachzu- 
eifern. Er  bestieg  den  Thron  mit  15  Jahren  und  begann 
mit  18  Jahren  seine  Kriege  mit  Rußland,  Dänemark  und 
Polen,  wobei  er  sie  alle  hintereinander  besiegte.  Er  be- 
saß viel  Mut  und  physische  Kraft,  war  eigensinnig,  toll- 
kühn und  grausam,  (Auch  sein  Vater  Karl  XI.  war 
eigensinnig,  hart  und  despotisch.)  Er  wurde  mit  37 
Jahren  während  eines  Feldzuges  getötet. 
Hannibal,  der  große  karthagische  Feldherr;  mit  18  Jahren  wurde 
ihm  das  hohe  Kommando  anvertraut,  mit  26  Jahren  war 
er  berühmt.  Er  führte  die  karthagische  Armee  mit  ihren 
Elefantenscharen  von  Spanien  durch  Frankreich  über  die 
Alpen,  Nach  Italien  hin  absteigend,  erzwang  er  sich 
seinen  Weg  gegen  die  römische  Macht  und  schlug  sie 
bei  dieser  großen  Entfernung  von  seiner  Operationsbasis 
vöUig  bei  Cannä.  Später  wurde  er  von  ihr  unter 
Scipio  Africanus  geschlagen.  Er  vergiftete  sich  selbst 
mit  64  Jahren,  um  der  Rache  der  Römer  zu  entgehen. 

V.  Hamilcar  Barcas,  „der  Große",  hatte  schon  als  Jüngling 
das  Kommando  über  die  Truppen  in  Spanien,  Über 
seine  Abstammung  ist  nichts  bekannt. 

B,  Hasdrubal,  ein  würdiger  Rivale  von  Vater  und  Bruder 
um  die  Palme  des  Ruhms.    Er  überschritt  nach  Hannibal 


170  Feldherren. 

die  Alpen  und  wurde  zuletzt  von  den  Römern  besiegt 
und  getötet. 

B.  Mago,  ein  guter  Feldherr,  der  zusammen  mit  seinen  Brü- 
dern operierte. 

B.  (Halbbruder,  Sohn  von  Hannibals  Mutter)  Hasdrubal, 
Feldherr  in  Spanien. 
Hyder,  Ali.  Der  fähigste  und  schrecklichste  Feind  der  Engländer 
in  Indien.  Er  begann  sein  Leben  als  Qlücksjäger,  stieg 
bis  zum  Minister  und  dann  zum  Sultan  von  Mysore  auf, 
starb  mit  44  Jahren. 

S.  Tippoo  Saib.  Weniger  befähigt  als  sein  Vater,  aber 
raubgieriger  und  ein  ebenso  entschiedener  Feind  der 
Engländer;  wurde  in  der  Schlacht  bei  Seringapatam  ge- 
tötet. 
Lawrence,  Sir  Henry;  Gouverneur  von  Oude.  Ein  Mann  von 
großem  militärischen  und  administrativen  Talent.  Die 
Hauptstütze  der  englischen  Regierung  beim  Ausbruch 
des  indischen  Aufstandes,  er  verteidigte  Lucknow  und 
wurde  dabei  getötet.  Er  war  sehr  behebt  und  wurde 
un,cT:emein  geschätzt. 
(V.)    Ein  Offizier  in  Indien,  der  sich  einigermaßen  hervortat 

B.  John,  ernannt  zum  Lord  Lawrence,  General-Gouverneur 
von  Indien,  ein  ausgezeichneter  Administrator;  war  einer 
der  wichtigsten  Retter  der  Regierung  zur  Zeit  des  in- 
dischen Aufstands. 
Woritz  von  Nassau,  einer  der  größten  Befehlshaber  seiner  Zeit, 
regierte  mit  18  Jahren  nach  dem  Tode  seines  Vaters  die 
Niederlande  mit  großem  Mut  und  Talent;  schlug  und 
vertrieb  1597  mit  30  Jahren  die  Spanier. 

V.  Wilhelm  I.  von  Nassau,  „der  Schweigsame",  „der  Leit- 
stern einer  großen  Nation"  (Motley).  Mit  15  Jahren  war 
er  der  intime  und  vertrauteste  Freund  Karls  V.  Er  wurde 
als  Verteidiger  des  Protestantismus  der  wütendste  Geg- 
ner Philipps  und  schuf  schließlich,  nachdem  er  die  Spa- 
nier besiegt  hatte,  die  Utrechter  Union,  die  Basis  der 
Niederländischen  Republik.  Er  wurde  mit  51  Jahren  er- 
mordet.   Er  heiratete  viermal,  war  der  Vater  von  Moritz 


Feldherren.  171 


Montmorency,  Herzog  von,  o   =      Coligny,  G.  de, 
Marschall  v.  Frankreich  1       Marschall  von 

großer  Soldat  und  Politiker       j  Frankreich 

Moritz  Coligny,  G.  de, 

Kurfürst  von  Sachsen  Admiral,  großer  Soldat 

großer  Feldherr  und  Hugenottenführer 

Wilhelm  I  von  =  2.  Frau     =  3.  Frau  =  4.  Frau 

Nassau  be- 
rühmt. Politik, 
und  Feldherr 

Moritz      Tochter  =  Duc  de  Bouillon  Friedr.  Wilhelm 

fähiger  Feldherr  Statthalter 

und  Hugenottenführer 


größter  Befehlshaber 
seiner  Zeit, 
Statthalter 


Turenne 
befähigster  französ. 
Feldherr  vor 
Napoleon  Wilhelm  III.  von  England 

unser  befähigster  König 

von  Nassau,  der  Großvater  von  Turenne  und  der  Ur- 
großvater unseres  Wilhelm  III. 

g.    Moritz,  Kurfürst  von  Sachsen,  ein  großes  militärisches 
Talent. 

n.  (der  Sohn  eines  Halbbruders)  Turenne,  der  größte  fran- 
zösische Feldherr. 
NS.  Wilhelm  III.,  Statthalter  und  König  von  England.  Er 
war  mit  22  Jahren  ein  befähigter  Feldherr  in  Holland 
und  wurde  später  kraft  seiner  Heirat  König  von  England 
und  war  der  befähigste  Monarch,  den  wir  je  besaßen. 
Er  war  eine  kühle  und  schweigsame  Natur,  aber  seltsam 
klarsehend,  standhaft  und  mutig.  Er  war  ein  Sieben- 
monatkind. Er  starb  mit  52  Jahren  infolge  eines  Unfalls 
beim  Reiten. 
Marlborough,  John  Churchill,  Herzog  von.  Der  befähigste  Feld- 
herr und  vollendetste  Politiker  seiner  Zeit.  In  seinen 
frühen  Feldzügen  zeichnete  er  sich  durchweg  aus. 
Mit  22  Jahren  zog  er  Turennes  Aufmerksamkeit  auf  sich, 
der  prophezeite,  sein  „schöner  Engländer"  werde  sich 
einmal  als  Meister  in  der  Kriegskunst  bewähren.  Er  war 
in  der  Gefahr  besonders  kühl  und  hatte  mehr  Kopf  als 


172  Feldherren. 

Herz,  denn  er  war  selbstsüchtig  und  berechnend.     Er 
hatte  einen  Sohn,  der  sehr  jung  starb,  und  vier  Töchter. 

n.  James  Fitzjames,  Herzog  von  Berwick.  s.  Berwick. 
„Ein  Befehlshaber  von  Ruf,  doch  weniger  berühmt  als 
sein  Onkel  mütterlicherseits." 
OE.  Sir  J.  Churchill,  Judge,  M.  R.  (Jakob  II.) 
Moore,  Sir  John.  Einer  der  ausgezeichnetsten  englischen  Offi- 
ziere der  modernen  Zeit.  Kommandierte  mit  40  Jahren 
die  Reserven  der  britischen  Armee  in  Ägypten.  Fiel  mit 
48  Jahren  in  der  Schlacht  bei  Corunna.  Er  war  ein 
Mann  von  ritterlichem  Mut. 

V.  Dr.  John  Moore,  ein  wohlbekannter  vielseitiger  Schrift- 
steller („Zeluco"  usw.)  Ein  Mann  von  hoher  Morahtät; 
seine  Bemerkungen  waren  scharf,  dazu  hatte  er  einen 
kaustischen  Humor. 

B.    Admiral  Sir  Graham  Moore,  Qroßkreuz  des  Bathordens. 
(S.)    Kapitän  John  Moore,  zur  See,  zeichnete  sich  im  Krim- 
krieg durch  sein  Kommando  des  Highflyer  aus  und  war 
der  Privatsekretär  des  Herzogs  von  Somerset,  als  dieser 
Fürst  Lord  der  Admiralität  war. 
Napier,  Sir  Charles;  Eroberer  von  Scinde.    Das  hervorragendste 
Mitglied  einer  sehr  hervorragenden  militärischen  Familie. 
GGV.  Napier  von  Merchistoun,  Erfinder  der  Logarithmen. 

V.  Oberst  Napier;  war  selbst  aus  dem  Holz  der  wahren 
Helden  geschnitzt.  Er  hatte  ungewöhnliche  Körper-  und 
Geisteskräfte,  besaß  wissenschaftliche  Neigungen  und 
Fähigkeiten.  War  Vorsteher  des  Woolwich.-Laborato- 
riums  und  Rechnungskontrolleur  der  Armee. 
oS.  Right  Hon.  Charles  James  Fox,  Politiker  und  Redner, 
s.  Fox  bezüglich  seiner  zahlreichen  begabten  Verwandten. 

B.  General  Sir  William  Napier,  Historiker  des  pyrenäischen 
Krieges. 

B.  General  Sir  George  Napier,  Gouverneur  von  Kapland, 
1849  wurde  ihm  das  Kommando  über  die  Piemontesische 
Armee  angeboten,  was  er  ablehnte. 
(2B.)  Es  gab  noch  zwei  andere  Brüder,  Richard,  Ratgeber  der 
Königin,  und  Henry,  Marine-Kapitän,  die  gleichfalls  als 
Beispiele  vererbten  Talentes  angeführt  werden  können. 


Feldherren.  -  173 

OS.  Admiral  Sir  Charles  Napier.  Zeichnete  sich  in  seiner 
Jugend  im  französischen  Krieg  durch  Tapferkeit  aus, 
später  in  Portugal,  nachher  bei  der  Belagerung  von 
Acre.  Als  seine  Gesundheit  schon  untergraben  war, 
wurde  er  im  Russischen  Krieg  zum  Oberkommandanten 
der  Baltischen  Flotte  ernannt. 

Lord  Napier,  der  Diplomat,  ist  ein  anderer  befähigter 
Verwandter. 

Bern.    Lord  Napier  von   Magdala  ist  kein  Verwandter 
dieser  Familie. 
Napoleon  I.,  s.  Bonaparte. 

Nelson,  Lord.  Admiral.  Englands  größter  Held  zur  See.  Als 
Knabe  hatte  er  weder  einen  kräftigen  Körper,  noch  eine 
starke  Konstitution.  Er  war  47  Jahre  alt,  als  er  alle 
seine  Siege  erfochten  hatte  und  fiel.  Seine  bemerkens- 
werten Verwandten  sind  nur  weitläufig  mit  ihm  ver- 
bunden, sind  aber  wert,  genannt  zu  werden, 
(g.)    Maurice  S'uckling,  Dr.  der  Theologie,  Domherr  von  West- 

minster. 
oE.    Lord  Cranworth,  Lord  Chancellor. 
go.    (der  Onkel  der  Mutter  der  Mutter)  Sir  Robert  Walpoles. 
Philipp  von  Mazedonien,    s.  unter  Alexander. 
S.    Alexander  der  Große  j 

S.    Ptolomäus  I.  von  Ägypten    s.  unter  Alexander. 
E.    Ptolomäus  Philadelphus       j 
Pyrrhus. 
QBe.    Alexander  der  Große  war  sein  Großkousin  durch  Alexan- 
ders Mutter,  doch  ist  mir  über  die  anderen  Glieder  nichts 
bekannt,    s.  unter  Alexander. 
Raleigh,  Sir  Walter;  ein  verwegener  Forscher  und  Kolonisator, 
auch  Politiker,  Hofmann  und  Schriftsteller  und  ebenso  ein 
hervorragender  Feldherr  zu  Land  und  zur  See. 
B.    (Halbbruder)    Sir    Humphrey    Gilbert,    bekannter    See- 
fahrer.     Schlug    die    Nordwest-Passage    nach    China 
vor.    Er  war  es,  der  von  Neufundland  Besitz  nahm.    Er 
kam  auf  dem  Meere  um. 
2B.    John  und  Adrian  Gilbert.     „Sir  Humphrey's  Ruhm  hat 
den  seiner  Brüder  John  und  Adrian  verdunkelt,  aber  alle 


174  Feldherren. 

drei  halfen  beträchtlich,  England  zu  dem  zu  machen,  was 
es  ist,  und  alle  waren  Mitarbeiter  an  der  Kolonisation 
von  Nordamerika"  (Edwards'  Life  of  Raleigh). 

oS.    Henry   Chanpernoun,    der   eine   englische   Freiwilligen- 
schar der  Armee  der  Hugenotten  zuführte. 

oS.    Qawen  Champernoun,  gleichzeitig  mit  Raleigh  später  im 
Dienst  in  den  französischen  Bürgerkriegen. 
Runjeet  Singh,  Begründer  des  Seikh-Reiches.    Sein  Vater  starb, 
als  er  noch  ein  Knabe  war,  und  seine  Mutter,  die  jung 
und  hübsch  war,  tat  alles,  was  sie  nur  konnte,  um  ihn 
zu  verweichlichen,  damit  er  als  Mann  zur  Regierung  un- 
fähig sei,   und   nichtsdestoweniger   erwachte   sein   Ehr- 
geiz mit  17  Jahren,  mit  29  Jahren  hatte  er  ein  großes  Ge- 
biet erobert.    Dieser  energische  Mann  herrschte  vierzig 
Jahre  lang  in  unbestrittener  Macht  über  zahlreiche  un- 
ruhige Provinzen,  obgleich  seine  Gesundheit  durch  Aus- 
schweifung und  Frönung  niedriger  Leidenschaften  so  ge- 
brochen war,  daß  er  mit  50  Jahren  nicht  mehr  ohne 
fremde  Hilfe  stehen  konnte.    Seine  Autorität  blieb  bis  zu 
seinem  Tode  bestehen,   der   1839   in   seinem  59.   Jahre 
eintrat. 
G.    Churruth     Singh,     von     niedrigem     Stand     und     aus- 
schweifender   Lebensweise,    wurde    Herr    von    Sookur 
Chukea  im  Panjoub. 
V.    Malia  Singh,  breitete  die  Herrschaft  seines  Vaters  aus 
und  führte  vierzehn  Jahre  lang  mit  seinen  Nachbarn  Krieg, 
obgleich  er  mit  30  Jahren  schon  starb.    Er  soll  gleich- 
zeitig 60  000  Reiter  kommandiert  haben. 
Sachsen,  Marschall  von.   Berühmter  Feldherr  unter  Ludwig  XV. 
Er  war  von  großer  Statur  und  hatte  außerordentlich  viel 
physische  Kraft.  Von  Kindheit  auf  an  körperliche  Übungen 
gewöhnt.    Mit  12  Jahren  lief  er  davon,  um  zur  Armee 
zu  gehen.    Im  Charakter  außerordentlich  viel  Don  Juan- 
haftes.   Er  war  ein  erfahrener  Befehlshaber,  der  seinen 
Beruf   liebte,   aber   seine   Fähigkeiten   waren   nicht   der 
allerhöchsten  Art. 
V.    August  IL,  König  von  Polen  (Der  Marschall  war  einer 
seiner   zahlreichen   illegitimen   Nachkommen.).     August 


Feldherren.  175 

wurde  unter  vielen  Mitbewerbern  zum  König  gewählt 
und  war  ein  bemerkenswerter  Mann,  obgleich  Karl  XII. 
ihn  schlug.  Er  war  ausschweifend  und  trieb  viel  Luxus. 
0.  Graf  Königsmarck,  der  Bruder  der  schönen  aber  zarten 
Mutter  des  Marschalls.  Er  hatte  einen  Liebeshandel  mit 
der  Frau  Georgs  I.  von  England  und  wurde  ermordet 
Er  war  ein  schöner,  ungestümer  Mann,  stets  in  galante 
Aventüren  verstrickt. 

es,  Madame  Dudevant  (George  Sand),  die  französische 
Schriftstellerin.  Ihre  Großmutter  war  eine  natürliche 
Tochter  des  Marschall  von  Sachsen. 
Scipio  P.  Cornelius,  Africanus  Major;  Besieger  Hannibals  und 
Gelehrter.  Der  größte  Mann  seines  Zeitalters,  vielleicht 
der  größte  Römer  überhaupt,  mit  Ausnahme  Cäsars.  Er 
war  erst  24  Jahre  alt,  als  er  zum  obersten  Befehlshaber 
über  die  römische  Armee  in  Spanien  ernannt  wurde. 

Die  Familie  Scipio  brachte  viele  große  Männer  her- 
vor, und  Rom  verdankt  ihr  zum  großen  Teile  seine  Welt- 
herrschaft. 

V,  P.  Cornelius  Scipio;  ein  großer  Feldherr,  wurde  jedoch 
von  Hannibal  besiegt  und  dann  wieder  durch  die  Kar- 
thager unter  Hasdrubal  und  Mago  endgiltig  geschlagen 
und  getötet. 

G.  L.  Cornelius  Scipio;  vertrieb  die  Karthager  aus  Corsica 
und  Sardinien. 

S.  P.  Corn.  Sc.  Africanus,  war  durch  seine  schwache  Ge- 
sundheit verhindert,  an  den  öffentlichen  Angelegenheiten 
teil  zu  nehmen,  doch  bemerkt  Cicero,  daß  er  neben  der 
Geistesgröße  seines  Vaters  einen  größeren  Bestand  an 
Wissen  hatte. 

Sein  Bruder  L.  Corn.  S.  Afr.  wird  „ein  degenerierter 
Sohn  seines  berühmten  Vaters"  genannt. 

s.  Cornelia,  die  Tiber.  Sempr.  Gracchus  heiratete,  wurde 
von  dem  Volke  fast  vergöttert.  Sie  erbte  von  ihrem 
Vater  einen  Hang  für  Literatur  und  vereinigte  in  ihrer 
Person  die  strengen  Tugenden  einer  altrömischen  Ma- 
trone mit  dem  höheren  Wissen,  dem  Raffinement  und 
der  Kultur,  die  sich  damals  in  den  höheren  Klassen  Roms 


176  Feldherren. 

auszubreiten  begannen.  Ihre  Briefe  waren  noch  zu 
Ciceros  Zeiten  vorhanden  und  wurden  als  Muster  der 
Komposition  betrachtet. 
2E.  Tiberius  und  Cajus  Gracchus,  kühne  Verteidiger  der 
Rechte  des  Volkes.  Berühmt  durch  ihre  Beredsamkeit 
und  Tugend.  Beide  wurden  ermordet. 
GN.    Scipio  Nasica,  der  Jurist. 

Bem.  P,  Corn.  Sc.  Aemilianus  Africanus  Minor,  war 
nicht  aus  dem  Blute  der  Scipio,  sondern  ein  Vetter 
mütterlicherseits  von  P.  Corn.  Sc.  Africanus  (s.  oben), 
der  ihn  als  Sohn  adoptierte.  Er  war  ein  sehr  gebildeter 
Gelehrter  und  hervorragender  Redner. 

Titus,  Flav.  Vesp.,  Kaiser  von  Rom.  Befähigt  und  tugendhafte?) 
zeichnete  sich  im  Kriege  aus;  außerordentlich  beliebt. 
In  seiner  Jugend  war  er  etwas  Hederlich,  als  er  aber 
Kaiser  wurde,  zeigte  er  sich  hervorragend  gemäßigt 
und  gerecht. 
V.  Vespasian.  Stieg  durch  verschiedene  Würden  bis  zum 
Kaiser  von  Rom  empor,  ausschließlich  infolge  seiner  ei- 
genen großen  Verdienste  als  Feldherr  und  Politiker. 

Tromp,  Märten;  berühmter  dänischer  Admiral,  der  durch  sein 
eigenes  Verdienst  in  einer  wichtigen  Epoche  zum  obersten 
Befehlshaber  wurde.  Obgleich  er  in  seiner  Jugend  ge- 
fangen genommen  wurde,  wodurch  sein  Avancement  im 
Dienste  für  einige  Jahre  lahmgelegt  war,  war  er  mit 
40  Jahren  ein  bekannter  Admiral  und  gefürchteter  Gegner 
der  Engländer.  Fiel  mit  56  Jahren  in  der  Schlacht. 
S.  Cornelius  van  Tromp,  ein  gefeierter  niederländischer 
Admiral,  der  diesen  Rang  im  Kriegsdienst  mit  33  Jahren 
erhielt.  Seine  berufliche  hervorragende  Bedeutung  ist 
außer  aller  Frage,  obgleich  sie  schwerlich  der  des  Vaters 
gleichkommt. 

Turenne  Henry,  Vicomte  de,  der  größte  französiche  Feldherr 
vor  Napoleon.  Alle  seine  Taten  tragen  den  Stempel  ei- 
nes wahrhaft  großen  Geistes.  Er  war  klar  und  umfassend 
in  seinen  Ansichten,  energisch  in  seinen  Handlungen  und 
erhaben  über  die  beschränkten  Gefühle  eines  rein  reli- 
giösen Parteigängers.     In   seinem  Privatleben  war   er 


Feldherren-  177 

hervorragend  rein.  Bis  zu  seinem  elften  Jahre  war  er 
schwächlich.  Als  Knabe  liebte  er  Bücher  und  studierte 
die  Biographien  hervorragender  Krieger.  Er  lernte  lang- 
sam und  mit  Schwierigkeiten,  rebellierte  gegen  Zwang 
und  zeigte  ausdauernde  Standhaftigkeit.  Er  liebte  beson- 
ders athletische  Übungen  und  stärkte  dadurch  seine  Ge- 
sundheit. Die  erste  Gelegenheit,  sich  auszuzeichnen,  fand 
er  mit  23  Jahren,  worauf  er  zum  „Marechal  de  camp" 
und  dann,  als  nächste  Stufe,  zum  Marechal  von  Frankreich 
ernannt  wurde.  Er  wurde  mit  64  Jahren  von  einer  Ka- 
nonenkugel getötet. 

V.  Henri,  Duc  de  Bouillon,  einer  der  befähigsten  Soldaten 
aus  der  Schule  Heinrichs  IV.  Sein  hoher  Rang,  seine 
Liebe  zum  Studium,  seine  Anhänglichkeit  an  den  kal- 
vinistischen  Glauben  und  seine  Fähigkeiten  als  Politiker 
machten  ihn  nach  dem  Tode  dieses  Prinzen  zum  Führer 
der  Hugenottenpartei. 

g.  Wilhelm  I.  von  Oranien,  „Der  Schweigsame",  s.  unter 
Moritz. 

o.  Halbruder  der  Mutter,  Moritz  von  Nassau,  s. 
oE.  Wilhelm  III.  von  England. 
Wellington,  Duke  von.  Der  größte  der  modernen  englischen  Feld- 
herren, ein  entschlossener  Politiker  und  klarer  Schrift- 
steller. Mit  35  Jahren  brach  er  die  Kraft  der  Mahratta 
in  Indien.  Dann  wurde  er  Sekretär  von  Irland.  Mit  39 
Jahren  bekam  er  das  Kommando  über  die  britische  Ar- 
mee in  Spanien,  mit  46  Jahren  hatte  er  Waterloo  hinter 
sich  und  stand  am  Ende  seiner  militärischen  Laufbahn. 

B.  Marquess  Wellesley  (s.  unter  Politiker),  General-Gouver- 
neur von  Indien,  Politiker  und  Gelehrter. 

(B)    Baron  Cowley,  Diplomat. 

(V)    Earl  von  Mornington,  hatte  musikalische  Fähigkeiten. 

N.  Earl  Cowley,  Diplomat,  englischer  Botschafter  in  Frank- 
reich. 

N.  Rev.  Henry  Wellesley,  Dr.  der  Theologie,  Gelehrter  und 
ein  Mann  von  bemerkenswerten  Neigungen.  Vorstand 
von  New  Inn  Hall  in  Oxford. 

12 

Galten,  Genie  and  Vererbung. 


178  Feldherren. 

Wilhelm  I.  von  Oranien,  der  Schweigsame,  s.  unter  Moritz. 
S.    Moritz  von  Nassau,  s. 
S.    Friedrich  Wilhelm.  Statthalter  in  den  blühendsten  Zeiten 

der  Republik. 
e,    Turenne  (s.),  der  große  französische  Feldherr. 
SE.   Wilhelm  III.  von  England. 


Literaten. 

Wer  mit  großen  Bibliotheken  vertraut  ist  und  sich  die  Mühe 
genommen  hat,  die  Anzahl  der  bekannten  Autoren  zu  zählen, 
deren  Werke  sie  enthalten,  kann  nicht  verfehlen,  sich  über  ihre 
Menge  zu  wundern.  Die  Jahre  vergehen,  jedes  Jahr  bringt  jedes 
Volk  literarisch  gehaltvolle  Werke  hervor,  und  die  Haufen  von 
Büchern  vermehren  sich  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert.  Wel- 
che Autoren  sind  nun  die  hervorragendsten?  Ich  fühle  mich 
nicht  kompetent  genug,  diese  Frage  zu  beantworten.  Es  wäre 
nicht  schwierig,  Listen  der  bekanntesten  literarischen  Charaktere 
der  einzelnen  Epochen  zu  erhalten,  aber  ich  habe  nichts  gefunden, 
was  einer  gedrängten  und  wahrheitsgetreuen  Auslese  der  großen 
Schriftsteller  aller  Zeiten  gleichkäme.  Bloße  Popularität  bei  der 
Nachwelt  ist  ein  außerordentlich  unsicherer  Beweis  für  Ver- 
dienst, denn  die  Autoren  veralten.  Was  sie  an  Gedanken  und 
sprachlichem  Ausdruck  beigesteuert  haben,  wird  von  anderen 
wiederholt  und  abermals  wiederholt,  bis  beides  schließlich  so  in 
die  laufende  Literatur  und  die  Sprache  des  Tages  aufgenommen 
ist,  daß  niemand  mehr  ihre  Spur  bis  zu  den  ursprünglichen 
Quellen  verfolgt,  ebenso  wenig  als  die  Menschen  sich  dafür  in- 
teressieren, das  Gold,  das  schon  in  Sovereigns  verwandelt  ist, 
bis  zu  den  Metallklumpen  zu  verfolgen,  von  denen  es  herkommt, 
oder  bis  zu  den  Goldgräbern,  die  es  entdeckt  haben. 

Anderseits  leistet  ein  Mensch  von  guten  Fähigkeiten,  der 
sich  der  Literatur  widmet,  ein  gut  Stück  rechtschaffener  Arbeit 
Es  ist  immer  Aussicht  vorhanden,  daß  einige  solcher  Werke  weit 
über  ihre  wirklichen  Verdienste  berühmt  werden,  weil  der  Autor 

12* 


180  Literaten. 

irgend  etwas  zu  erzählen  hat,  wessen  die  Welt  gerade  bedarf; 
oder  er  kann  auch  spezielle  Erfahrungen  gemacht  haben,  die 
ihn  dazu  qualifizieren,  Dichtungen  zu  schreiben  oder  An- 
sichten auszusprechen,  die  den  Bedürfnissen  der  Zeit  ausgezeich- 
net angepaßt  sind,  in  späteren  Jahren  aber  unwichtig  werden. 
Auch  in  diesem  Falle  führt  der  Ruhm  irre. 

Unter  diesen  Umständen  halte  ich  es  für  das  Beste,  mich 
nicht  allzusehr  mit  älteren  Zeiten  zu  beschäftigen,  da  ich  sonst 
verpflichtet  wäre,  mich  in  weitläufige  Rechtfertigungen  meiner 
Listen  von  literarisch  wertvollen  Persönlichkeiten  einzulassen. 
Ich  ziehe  es  daher  vor,  Autoren  neuerer  Zeit  zu  wählen,  oder 
solche,  deren  Ruf  sich  in  England  frisch  erhalten  hat.  Ich  habe 
daher  einfach  Lexika  durchgesehen,  aus  denen  ich  diejenigen 
Namen  von  Literaten,  die  am  meisten  hervortraten,  auszog.  Die- 
jenigen von  ihnen,  die  entschieden  hervorragende  Verwandte 
haben,  beschreibe  ich  in  meinem  Anhang.  Ich  habe  verschie- 
dene ausgelassen,  von  denen  andere  mit  Recht  meinen,  daß  sie 
wert  sind,  aufgenommen  zu  werden.  Meine  Liste  ist  eine  sehr 
inkongruente  Kollektion,  denn  sie  weist  Romanciers,  Historiker, 
Gelehrte  und  Philosophen  auf.  Nur  zwei  Eigentümlichkeiten  sind 
allen  diesen  Männern  gemeinsam;  die  eine  besteht  in  dem 
Wunsch,  sich  auszudrücken,  die  andere  ist  eine  Liebe  zu  Ideen,  die 
stärker  ist  als  die  Liebe  zu  materiellem  Besitz.  Disraeli,  der 
selbst  ein  gutes  Beispiel  für  ererbtes  literarisches  Talent  ist,  be- 
schreibt in  einer  Rede  am  Jahresfest  des  Königlichen  Literari- 
schen Fonds  vom  6.  Mai  1868  die  Natur  des  Schriftstellers.  Seine 
Worte  ziehen  in  verkürzter  Form  zusammen,  was  in  seinen  eige- 
nen Schriften  bildlich  geschildert  ist,  und  ich  kann  hinzufügen, 
ebenso  in  denen  von  Sir  Edward  Bulwer  Lytton,  jetzt  Lord 
Lytton  (der  zusammen  mit  seinem  Bruder  Sir  Henry  Bulwer  und 
seinem  Sohn  „Owen  Meredith"  ein  noch  bemerkenswerteres  Bei- 
spiel vererbten  literarischen  Talentes  darstellt,  als  Mr.  Disraeli 
es  tut).  Er  sagt:  „Wir  müssen  immer  im  Auge  behalten,  daß  der 
Schriftsteller  eine  eigentümliche  Organisation  hat.  Er  ist  ein 
Wesen  mit  einer  Prädisposition,  die  unüberwindbar  in  ihm  ist 
—  er  hat  eine  Neigung,  der.  er  auf  keiner  Weise  entrinnen  kann, 
sie  stößt  ihn  entweder  in  die  dunklen  Forschungen  der  Gelehr- 
samkeit, oder  sie  führt  ihn  in  die  heiße  und  stürmische  Atmosphäre 


Literaten.  IRl 

der  Phantasie."  Die  Mehrzahl  der  Männer,  die  in  dem  Anhang 
zu  diesem  Kapitel  beschrieben  sind,  rechtfertigen  die  Beschrei- 
bung Disraelis.  Auch  kann  kein  Zweifel  daran  sein,  daß  die  Ta- 
lente von  vielen  aus  dieser  Gruppe  von  der  allerhöchsten  Art 
sind.  Verschiedene  von  ihnen  waren  schon  in  ihrer  Knabenzeit 
Wunder  an  Gelehrsamkeit,  so  Grotius,  Lessing  und  Niebuhr; 
viele  andere  zeichneten  sich  in  ihrer  Jugend  aus;  Charlotte 
Bronte  veröffentlichte  „Jane  Eyre"  mit  22  Jahren;  Chateau- 
,  briand  war  in  einem  gleich  frühen  Alter  bekannt;  Fenelon  machte 
schon  mit  15  Jahren  Eindruck;  Sir  Philip  Sidney  ragte  schon 
besonders  hervor,  ehe  er  noch  21  Jahre  alt  war;  wenige  Jahre 
später,  denn  er  fiel  mit  2>2  Jahren  in  der  Schlacht,  hatte  er  seinen 
großen  Ruhm  erworben  und  das  Herz  des  Volkes  gewonnen.  Ich 
kann  hinzufügen,  daß  sich  gelegentlich  auch  Beispiele  von  großen 
Literaten  finden,  bei  denen  sich  das  Gegenteil  zeigt.  Boileau  ist 
der  einzige  Fall  dieser  Art  in  meinem  Anhang.  In  der  Schule 
war  er  ein  Dummkopf  und  blieb  bis  zu  seinem  dreißigsten  Jahre 
träge.  Aber  unter  anderen  Literaten,  über  die  ich  Notizen  ge- 
sammelt habe,  wurde  Goldsmith  als  ein  träges  Kind  angesehen. 
An  der  Universität  zu  Dublin  hat  er  sich  durchaus  nicht  ausge- 
zeichnet. Er  begann  erst  mit  32  Jahren  gut  zu  schreiben.  Rous- 
seau galt  in  der  Schule,  der  er  mit  16  Jahren  entlief,  als 
Dummkopf. 

Die  unregelmäßige  Erziehung,  die  vielen  Männern  und 
Frauen  zuteil  wurde,  deren  Namen  in  meinem  Anhang  auftauchen, 
bestätigt  auffallend,  was  ich  mich  in  einem  früheren  Kapitel  be- 
müht habe  zu  beweisen:  daß  nämlich  die  höchste  Stufe  von  Ruf 
von  äußeren  Hilfsmitteln  unabhängig  ist.  Als  solche  Namen 
führe  ich  Boileau  an,  die  Familie  Bronte,  Chateaubriand,  Fielding, 
die  beiden  Gramonts,  Jrving,  Carsten  Niebuhr,  Porson  (in  einem 
gewissen  Sinne),  Roscoe,  Le  Sage,  J.  C.  Scaliger,  Sevigne  und 
Swift. 

Ich  bringe  jetzt  meine  gewöhnliche  Tafel,  aber  ich  setze  die 
Zahlen  der  hervorragenden  Literaten,  die  die  einunddreißig  auf- 
gezählten Familien  enthalten,  nicht  mit  dem  rechten  Vertrauen 
hin.  Sie  haben  viele  Verwandte,  die  sich  mit  Literatur  beschäf- 
tigten und  beträchtliche  Verdienste  hatten,  aber  ich  fühle  mich 
aus  den  zu  Beginn  des  Kapitels  angegebenen  Gründen  unfähig. 


182 


Literaten. 


jene  aus  ihnen  auszuwählen,  die  „hervorragend"  sind.  Die  Fa- 
milien Taylor  sowohl  als  die  von  Norwich  und  die  von  Ongar 
wurden  eingeschaltet,  da  sie  von  großem  Interesse  in  Bezug  auf 
Vererbung  sind,  doch  nur  wenige  ihrer  Mitglieder  (s.  Austen) 
werden  in  der  folgenden  Tafel  aufgezählt. 

Tafel  I. 

Übersicht  über  die  Verwandten  von  52  Literaten, 

gruppiert  in  33  Familien. 

(Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie). 

Addison  V.  Edgeworth  V. 

Aikin  6.  Lamb  6. 

2.  Arnold  S.  2.  Mill  S. 

2.  Bossuet  N.  2.  Niebuhr  V. 

2.  ChampoUion  B.  Roscoe  S. 

Chateaubriand  6.  2.  S'caliger  V. 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  vier  in  der  Familie). 


Austen,  Mrs. 

Bentham 

Boileau 

Bronte 

3.  Fenelon 

2.  Gramont 

Helvetius 


s.N. 
B.N. 
2  S. 
B.2b. 
N.  2NS. 
gB.  B.  E. 
V.O. 


Lessing 

2.  Palgrave 
Sage,  Le. 

3.  Seneca 
Sevigne 
2.  Swift 
Trollope 


2B.  N. 
2S. 

2S. 
V  B.  N. 
S.  2  OS. 
GN.  OE.  OES. 
2.S. 


Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der  Familie). 


Alison 

Fielding 

2.  Grotius 

Hallam 

Maucaulay 

Porson 

2.  Schlegel 

2.  Stael 

2.  Stephen 

4.  Stephens 

S'idney 

(Taylors  von  Norwich) 

(Taylors  von  Ongar) 


B.  V.  o.  g.  gB.  gV.  gG. 

g.  oS.  B.  b. 

Q.  V.  O.  B.  S. 

V.  V.  2  S.  s. 

Q.  V.  2.0.  OS.  m. 

V.  V.  B.  b. 

V.  2  O.  B. 

Q.  V.  O.  /.  OS.  OE. 

V.  B.  2  S. 

V.  g.  V,  B.  Os.  e. 

V.  g.  o.  oS.  h.   n.  E.  ES.  & 


Literaten. 
Tafel  III) 


188 


Verwan 

dtschaftsgrade 

A. 

B. 

C. 

D. 

Bezeichnung  des 
Grades 

Korrespondierende 
Buchstaben 

Vater 

16  V 







14 

48 

100 

48 

Bruder 

14  B 

— 

— 

16 

42 

150 

28 

Sohn 

17  S 

— 

- 

— 

17 

51 

100 

21 

Großvater 

4  G 

4g 

— 

— 

8 

24 

200 

12 

Onkel 

6  O 

2  0 

— 

— 

8 

24 

400 

6 

Neffe 

6  N 

2  n 

— 

— 

8 

24 

400 

6 

Enkel 

2  E 

1  e 

— 

— 

3 

9 

200 

4.5 

Urgroßvater 
Großonkel 

0  GP 
0  GB 

1  gV 

2  gB 

0  ÖV 
0  GB 

0.<7B 

1 
2 

3 
6 

400 
800 

1 
1 

Cousins  I.  Grades 

4  OS 

2  oS 

0  OS 

0  oS 

6 

18 

800 

2.5 

Großneffen 

2  NS 

0  nS 

0  i^S 

0  nS 

2 

6 

800 

1 

Urenkel 

1   ES 

0  eS 

0  ES 

0  eS 

1 

3 

400 

1 

Alle   weiter  ent- 
fernten Verw. 

5 

~ 

— 

— 

5 

15 

— 

Es  wäre  eine  ebenso  weitschweifige  als  unnütze  Sache,  wenn 
ich  diese  Tafel  in  gleicher  Weise  und  ebenso  eingehend  unter- 
suchen wollte,  wie  ich  es  bei  den  Tafeln  in  den  vorhergehenden 
Kapiteln  tat.  Der  allgemeine  Charakter  dieser  Tafeln  ist  ein 
sehr  ähnlicher,  und  was  aus  der  Analyse  der  anderen  abgeleitet 
werden  kann,  läßt  sich  auch  aus  dieser  ableiten.  Der  Anteil  an 
hervorragenden  Enkeln  ist  gering,  doch  ist  die  Gesamtzahl  zu 
klein,  als  daß  wir  aus  dieser  Tatsache  Schlüsse  ziehen  könnten, 
namentlich  da  die  Anzahl  der  hervorragenden  Söhne  nicht  in 
gleichem  Verhältnis  gering  ist.  Andere  geringfügige  Eigentüm- 
lichkeiten werden  deutlicher  zum  Ausdruck  kommen,  wenn  am 
Schluß  dieser  Arbeit  alle  entsprechenden  Tafeln  verglichen  und 
besprochen  werden.  Inzwischen  wollen  wir  uns  damit  zufrieden 
geben,  daß  eine  Analyse  der  Verwandtschaftsbeziehungen  das 
literarische  Talent  ebenso  als  erblich  hinstellt,  wie  alle  anderen 
Arten  von  Fähigkeiten,  die  wir  bisher  besprochen  haben. 


1)  s.  S.  61. 


IW  Literaten. 

Anhang 

zu  dem  Kapitel  Literaten. 

Die  Verdienste  der  Literaten  werden  von  ihren  Zeitge- 
nossen und  der  Nachwelt  so  verschieden  bewertet,  daß  ich  den 
Plan  einer  kleinen  Auslese  erstklassiger  Autoren  verzweifelt  auf- 
geben mußte.  Ich  habe  mich  daher  mit  den  Namen  befähigter 
Schriftsteller  begnügt,  die  mir  besonders  in  die  Augen  fielen,  und 
habe  gelegentlich  Männer  herangezogen,  die  nicht  völlig  zur 
ersten  Klasse  gehören,  die  aber  in  anderer  Hinsicht  interessant 
sind.  Es  ist  bemerkenswert,  wie  wenig  über  die  nahen  Ver- 
wandten von  vielen  der  größten  Literaten  bekannt  ist,  nament- 
lich wenn  es  sich  um  vergangene  Zeiten  handelt,  und  ich  habe 
Grund  anzunehmen,  daß  unsere  Unwissenheit  in  vielen  Fällen 
eher  eine  bloße  historische  Nachlässigkeit  ist,  als  ein  Beweis  da- 
für, daß  ihre  Fähigkeiten  oder  ihre  Werke  einer  Aufzeichnung 
nicht  wert  waren.  Das  allgemeine  Resultat  meiner  Unter- 
suchungen hat  mich  zu  der  Überzeugung  gebracht,  daß  mehr  als 
die  Hälfte  der  großen  Literaten  Verwandte  von  hoher  Befähi- 
gung gehabt  haben. 

Die  Gesamtzahl  der  Namen,  die  in  meiner  Liste  figurieren, 
ist  siebenunddreißig.  Ich  will  hier  noch  die  Namen  jener  auf- 
zählen, deren  Biographien  ich  untersucht  habe,  die  aber  keine 
„hervorragenden"  Verwandten  gehabt  zu  haben  scheinen;  es 
sind  neunzehn  und  zwar: 

Cervantes;  De  Foe  (sein  Sohn  schrieb,  wurde  aber  von 
Pope  verspottet);  Fichte;  La  Fontaine;  Mme.  QenHs;  Gibbon  (s. 
jedoch  Lord  Chancellor  Hardwicke  als  entfernten  Verwandten); 
Goldsmith;  Jeffrey;  Samuel  Johnson  (doch  war  sein  Vater  kein 
gewöhnlicher  Mann);  Montaigne;  Montesquieu;  Rabelais;  Ri- 
chardson,  der  Romancier;  Rousseau;  Scott,  Sir  W.;  Sidney  Smith; 
Smollet;  Sterne;  und  Voltaire. 

Addison,  Joseph,  Autor  des  „Spectator"  &..  Er  war  mit  25  Jahren 
schon  den  großen  Gönnern  der  Literatur  wohlbekannt. 
War  ein  sehr  geschickter  Schriftsteller.  Staatssekre- 
tär unter  Georg  I. 

V.  Launcelot  Addison,  ein  Geistlicher  von  beträchtlichem 
Wissen  und  ebensolcher  Beobachtungsgabe.  Dekan 
von  Lichfield.     Schriftsteller. 


Literaten.  186 

Aikin,  John,  Dr.  med.,  hervorragender  Arzt  und  populärer  Autor 
im  achtzehnten  Jahrhundert  („Abende  zu  Hause"), 
b.    Mrs.  Barbauld,  entzückende  Kinderschriftstellerin. 
(S.)   Arthur  Aikin,   erbte  viel  von  dem  literarischen   Talent 
seines  Vaters,  interessierte  sich  aber  mehr  für  Wissen- 
schaft.    Herausgeber  der  „Annual  Review". 
is.)  Lucy  Aikin,  gleichfalls  Schriftstellerin. 
Alison,  Sir  Archibald;  Autor  einer  „Geschichte  Europas",  wurde 
infolge  seiner  literarischen  Verdienste  zum  Baronet  er- 
hoben. 
B.    Dr.  William  Pulteney  Alison,  Professor  der  Medizin  in 
Edinburg  und  erster  Leibarzt  der  Königin  in  Schottland. 
V.    Rev.  Archibald,  Autor  der  „Essays  über  die  Natur  und 

Prinzipien  des  Geschmacks". 
o.    Dr.  James  Gregory,  Professor  der  Medizin  in  Edinburg. 
g.    Dr.  John  Gregory,  Professor  der  Philosophie  und  Me- 
dizin in  Aberdeen,    später    Professor    der    Medizin    in 
Edinburg, 
gB.  und  gV.  gleichfalls  Professoren  der  Medizin. 
gG.    James  Gregory,  Erfinder  des  Reflexions-Teleskops.    S. 
Gregory  unter  Naturwissenschaften. 
Arnold,  Thomas,  Dr.  der  Theologie.     Rektor  von  Rugby;   Ge- 
lehrter, Historiker,   Geistlicher  und  Administrator;  Be- 
gründer des  modernen  öffentlichen  Schulsystems.    War 
als  Kind  steif  und   pedantisch,   haßte   frühes  Aufstehen. 
Zeichnete  sich  in  Oxford  ganz  besonders  aus  und  wurde 
von  allen,  die  ihn  kannten,  ganz  besonders  geUebt. 
S.    Matthew  Arnold,  Dichter   und  Professor   der  Poetik  in 
Oxford.     (Auch    andere  Söhne    von    mehr    als    durch- 
schnittlicher Befähigung.) 
Bentham,  Jeremy,  politischer  und  juridischer  Schriftsteller;  Be- 
gründer einer  philosophischen  Schule. 
B.    General  Sir  Samuel  Bentham;  ein  ausgezeichneter  Offi- 
zier in  russischen  Diensten,  der   ein   bemerkenswertes 
mechanisches  Talent  hatte. 
N.    Hervorragender    moderner    Botaniker.      Präsident    der 
Linne-Gesellschaft. 
Boileau,  Nicolas  (genannt  Despreaux),    Dichter,    Satiriker    und 


186  Literaten. 

Kritiker.  Sollte  Jus  studieren,  das  er  haßte,  zeigte  keine 
frühzeitigen  Anzeichen  von  Befähigung,  sondern  war  bis 
zu  seinem  dreißigsten  Jahre  träge.  Als  Knaben  hielt 
man  ihn  für  einen  völligen  Dummkopf. 

S.  Gilles,  eine  hervorragender  Literat,  schrieb  ausgezeich- 
nete Satiren;  hatte  einen  lebhaften  Geist.  Seine 
Gesundheit  war  schlecht,  er  starb  jung,  mit  38  Jahren. 

S.  Jaques,  ein  Doktor  an  der  Sorbonne,  von  großer  Gelehr- 
samkeit und  Befähigung.  Autor  verschiedener  Publi- 
kationen, alle  über  seltsame  Gegenstände, 
Bossuet,  Jaques  Benigne,  einer  der  berühmtesten  katholischen 
Autoren  von  antiprotestantischen  Kontroversschriften, 
war  ein  fleißiger  Student.  Er  war  Priester  und  hatte  da- 
her keine  Familie. 

N.  Bischof  von  Troyes;  Herausgeber  der  Werke  seines 
Onkels. 
Bronte,  Charlotte  (ihr  Pseudonym  war  Currer  Bell),  Roman- 
schreiberin.  Sie  war  das  bedeutendste  Glied  einer  Fa- 
milie, die  wegen  ihrer  intellektuellen  Talente,  ihrer  rast- 
losen geistigen  Tätigkeit  und  ihrer  elenden  Konstitution 
bemerkenswert  ist.  Charlotte  Bronte  und  ihre  fünf  Brü- 
der und  Schwestern  waren  alle  schwindsüchtig  und  star- 
ben jung.  „Jane  Eyre"  wurde  veröffentlicht,  als  Char- 
lotte 22  Jahre  alt  war. 

(V.)  Rev.  Patrick  Bronte,  war  früh  reif  gewesen  und  war 
ehrgeizig,  obgleich  er  ein  Geistlicher  in  knappen  Ver- 
hältnissen in  einem  rauhen,  abgelegenen  Dorf  war. 
(O.  und  0.  verschiedene)  Rev,  Patrick  Bronte  hatte  neun 
Brüder  und  Schwestern,  alle  von  bemerkenswerter 
Kraft  und  Schönheit. 

(i7.)    Gebildet,  fromm,  rein  und  bescheiden. 

(o.)  war  genau,  von  altertümlichem  Wesen  und  kleidete  sich 
nach  einer  längstvergangenen  Mode. 

B.    Patrick,  der  völlig  auf  Irrwege  geriet  und  ein  Sorgen- 
kind der  Familie  wurde,  war  vielleicht  das  größte  natür- 
liche Talent  unter  ihnen  allen, 
b.    Emily  Jane  (Ellis  Bell),  „Auf  heulenden  Höhen",  („Wuth- 
ering Heights")  und  „Agnes  Grey". 


Literaten.  187 

b.    Anne  (Acton  Bell),  „Der  Lehnsmann  von  Wildfield  Hall". 
(2  h.)  Maria  und  Jane,  waren  fast  ebenso  reich  mit  intellek- 
tuellen Gaben  ausgestattet  wie  ihre  Schwestern. 
ChampoUion,    Jean  FranQois,  Entzifferer    der  Hieroglyphen    und 
ägyptischer  Altertumsforscher.    Er  gehörte  zu  der  Grup- 
pe der  Gelehrten,  die  Napoleons  Expedition  begleiteten. 

B.  Jean  Jaques,  Historiker  und  Altertumsforscher.  Autor 
verschiedener  Werke.  Bibliothekar  des  gegenwärtigen 
Kaisers  von  Frankreich. 
Chateaubriand,  Fr.  Aug.  Vicomte  de;  ein  ausgezeichneter  franzö- 
sischer Schriftsteller  und  Politiker,  aber  halb  verrückt. 
Seine  Erziehung  war  unzusammenhängend,  denn  er 
wurde  erst  für  die  Flotte,  dann  für  die  Kirche  und  später 
für  die  Armee  bestimmt.  Mit  20  Jahren  gab  er  sich 
•  völlig  dem  Studium  und  der  Einsamkeit  hin,  nachher  ging 
er  in  die  unkultivierten  Teile  Amerikas  auf  Abenteuer 
aus.  Unter  Ludwig  XVIII.  diente  er  in  verschiedenen 
Ministerialposten.  In  vorgeschrittenem  Alter  geriet 
er  in  Verzweiflung.  Viele  von  seinen  zehn  Brüdern 
und  Schwestern  starben  jung.  Verschiedene  unter  ihnen 
hatten  Ähnlichkeit  mit  ihm,  sowohl  was  Talent  als  An- 
lagen betrifft;  eine  von  ihnen  nämlich 

b.  hatte  das  Talent,  die  Gemütsart  und  die  Überspanntheit 
von  J.  J.  Rousseau. 
Edgeworth,  Maria,  eine  beliebte  Schriftstellerin  und  Moralistin, 
deren  Schriften  „eine  sonderbare  Mischung  von  nüch- 
ternem Sinn  und  unerschöpflicher  Erfindung"  zeigen. 
Sie  fing  mit  31  Jahren  an  zu  schreiben.    Starb  mit  83. 

V.  Richard  Lovell  Edgeworth  (s.  Lowell  den  Judge)  schrieb 
über  verschiedene  Materien,  wobei  ihm  seine  Tochter 
viel  half;  ein  sowohl  geistig  als  körperlich  wunderbar 
aktiver  Mensch,  für  alles  interessiert  und  unbezähmbar. 
Heiratete  viermal.  Zwischen  den  ältesten  und  dem 
jüngsten  seiner  zahlreichen  Kinder  war  ein  Altersunter- 
schied von  vierzig  Jahren.  Maria  stammte  von  der 
ersten  Frau. 
Etienne,  s.  Stephens. 


188  Literaten. 

Fenelon,  Frangois,  Erzbischof  von  Cambrais  in  Frankreich.  Autor 
des  „Telemaque",  bemerkenswert  wegen  seines  gra- 
ziösen, einfachen  und  entzückenden  Stils.  Ein  Mann  von 
auffallender  Klarheit  des  Gemütes  und  christlicher  Mo- 
ral. Er  war  auf  der  Kanzel  sehr  beredt.  Er  hielt  seine 
erste  Predigt  mit  15  Jahren  und  hatten  großen  Erfolg. 
(Als  Priester  hatte  er  keine  Familie.) 
?  Bertrand  de  Salignac,  Marquis  de  La  Mothe,  Diplomat, 
Gesandter  in  England  zur  Zeit  der  Königin  Elisabeth 
und  ein  ausgezeichneter  Offizier  war  sein  Ahne  (doch 
fraglich  in  welchem  Grad,  er  starb  siebzig  Jahre,  ehe 
Frangois  geboren  wurde). 
N.  Gabriel  Jaques  Fenelon,  Marquis  de  la  Mothe,  franzö- 
sischer Gesandter  in  Holland,  schrieb  „Memoiren  eines 
Diplomaten". 
NS.   Frangois  Louis,  Literat. 

NS.   Abbe  de  Fenelon,  Vorsteher  einer  Wohltätigkeitsanstalt 
für  Savoyarden  in  Paris;  sehr  beliebt.     Wurde  in  der 
französischen  Revolution  guillotiniert. 
Fielding,  Henry,  Romancier,  Autor  von  „Tom  Jones".     Byron 
nannte  ihn  „den  Homer  der  menschlichen  Natur  in  Pro- 
sa".    Seine  Erziehung   war   unzusammenhängend,   ent- 
sprechend den  beschränkten  Mitteln  seines  Vaters,  da- 
mals Leutnant,  aber  späterhin  General.    Begann  mit  21 
Jahren  Dramen  zu  schreiben,  war  sehr  zerstreut  und  un- 
achtsam in  Geldsachen.  Trat  in  den  „Temple"  ein  und 
studierte   mit   Eifer   Jus,   schrieb   zwei   wertvolle    Bro- 
schüren über  Verbrechen  und  Pauperismus  und  wurde 
zum  Judge  in  Middlesex  ernannt. 
g.    Sir  Henry  Gould,  Justice  Queen's  Bench  (Kon.  Anna). 
oS.    Sir  Henry  Gould,  Justice  Common  Pleas  (Georg  III.). 
(G.)    John  Fielding,  Kaplan  Wilhelms  III. 
B.    (Halbbruder)  Sir  John  Fielden,  ausgezeichneter  Beamter, 
wenn  auch  blind.    Er  schrieb  über  Polizeiadministration. 
b.    Sarah,  eine  Frau  von  beträchtlichem  Wissen  und  Schrift- 
stellerin. 
Gramont,   Antoine,    Herzog    von.     Marschall    von    Frankreich, 
Soldat  und  Diplomat    Autor  der  berühmten  „Memoiren", 


Literaten.  189 

die  aber  nicht  so  entzückend  geschrieben  sind,  wie  die 
seines  Bruders. 
gB.    Kardinal  Richelieu  s. 

B.  Gramont,  Philibert,  Graf  von.  Hitzkopf  und  Hofmann, 
starb  mit  86  Jahren.  Seine  Memoiren,  die  ein  Freund 
schrieb  und  die  alle  seine  Jugendstreiche  enthalten, 
wurden  zu  seiner  Unterhaltung  begonnen,  als  er  80  Jahre 
war. 
(S.)    Armand,  französischer  General. 

E.  Herzog  von  Gramont  und  Herzog  von  Guiche,  Marschall 
von  Frankreich. 
Grotius,  Hugo  (de  Groot),  ein  berühmter  und  profunder  hollän- 
discher Schriftsteller,  Politiker  und  völkerrechtliche  Au- 
torität; zeigte  schon  als  Kind  außerordenthche  Fähig- 
keiten, wurde  sorgfältig  erzogen  und  war  schon  mit  14 
Jahren  wegen  seines  großen  Wissens  bekannt.  Er  war 
ein  Mann  von  großer  Bedeutung  und  hatte  ein  ereignis- 
reiches Leben,  war  wegen  seiner  arminianischen  reli- 
giösen Meinung  zum  ewigen  Kerker  verurteilt,  floh  aber 
erst  nach  Frankreich,  dann  nach  Schweden.  Er  wurde 
schwedischer  Gesandter  in  Frankreich,  in  welcher  Eigen- 
schaft er  seine  Obliegenheiten  in  einer  mißlichen  Zeit  mit 
großer  Zuverlässigkeit  erfüllte.  Schließlich  wurde  er  mit 
großen  Ehren  in  Holland  empfangen.  Er  gehörte  zu  einer 
hervorragend  talentierten  und  gelehrten  FamiUe.  Hei- 
ratete eine  Frau  von  seltenem  Wert. 

G.    Hugo  de  Groot,  großer  Gelehrter. 

V.    John,  Kurator  der  Universität  zu  Leyden,  ein  gelehrter 
Mann. 

O.    Corneille,  Professor  der  Philosophie  und  Jurisprudenz. 

B.    Wilhelm,  der  Hugos  Dichtungen  sammelte  und  heraus- 
gab;   war  selbst  ein  gelehrter  Mann  und  Schriftsteller. 

S.  Peter,  ein  befähigter  Diplomat  und  Gelehrter. 
Hallam,  Henry,  einer  der  ausgezeichnetsten  modernen  Schrift- 
steller und  gerechtesten  Kritiker.  Autor  der  „Konsti- 
tutionellen Geschichte  Englands"  und  der  „Literatur 
Europas",  war  einer  der  frühesten  Mitarbeiter  der  Edin- 
burgh Review.    Die  Grabschrift  auf  seinem  eignen  Grab- 


190  Literaten. 

Stein  ist  so  gedrängt  und  treffend  und  ebenso  jene,  die 
er  selbst  seinen  Kindern  setzte,  die  vor  ihm  starben,  so 
entsprechend,  als  wohlklingend  und  rühmend,  daß  ich  sie 
hierher  setzte.  Seine  Qrabschrift  in  der  Kirche  von  St 
Paul  lautet: 

„Henry  Hallam,  Historiker  des  Mittelalters,  der  Ver- 
fassung seines  Landes  und  der  Literatur  Europas.  Das 
Monument  ist  von  vielen  Freunden  errichtet,  die  in  An- 
betracht der  Gründlichkeit  seines  Wissens,  der  ein- 
fachen Beredsamkeit  seines  Stils,  seines  männlichen  und 
umfassenden  Intellekts,  der  furchtlosen  Ehrlichkeit 
seines  Urteils  und  der  moralischen  Würde  seines  Lebens 
wünschen  sein  Andenken  in  diesen  geheiligten  Mauern 
zu  verewigen,  als  das  eines  Mannes,  der  die  englische 
Sprache,  den  englischen  Charakter  und  den  englischen 
Namen  auf  das  Beste  geschildert  hat."  Er  hatte  eine 
kräftige  Gesundheit;  sein  massiger  Kopf  war  von  einem 
starken  Körper  getragen.  Als  Kind  war  er  frühreif. 
Konnte  mit  4  Jahren  lesen  und  schrieb  mit  9  oder  10 
Jahren  Sonette,  starb  mit  82.  Heiratete  eine  Schwester 
von  Sir  Charles  Elton,  Bart.  Schrieb  Gedichte  und 
machte  Übersetzungen. 

V.  John  Hallam,  Dr.  der  Theologie,  Dekan  von  Bristol, 
Domherr  von  Windsor,  lehnte  das  Bistum  von  Chester 
ab,  wurde  in  Eton  erzogen,  der  Sohn  und  das  einzige 
Kind  von  John  Hallam,  das  über  die  Kindheit  hinaus- 
kam, Chirurg  und  zweimal  Bürgermeister  von  Boston. 

V.  Tochter  von  Richard  Roberts,  Dr.  med.,  war  eine  sehr 
vortreffliche  Person,  ein  wenig  übertrieben  ängstlich, 
hatte  in  ihren  Zügen  viel  Ähnlichkeit  mit  ihrem  Sohn. 
Hatte  nur  zwei  Kinder,  die  am  Leben  blieben. 

o.    Dr.  Roberts,  Rektor  von  Eton. 
(6.)    Elisabeth,  hatte  große  intellektuelle  Neigungen. 

S.  Arthur  Henry,  starb  mit  23  Jahren.  Tennysons  „In  Me- 
moriam"  ist  an  ihn  gerichtet.  Seine  Grabschrift  in  Cle- 
vedon  lautet:  „Und  nun  ruhen  in  dieser  dunklen  und 
einsamen  Kirche  die  sterblichen  Überreste  eines,  der 
für  den  Ruhm  zu  früh  starb,  der  sich  aber  unter  seinen 


Literaten.  191 

Zeitgenossen  durch  den  Glanz  seines  Talentes,  die  Tiefe 
seines  Verstandes,  den  Edelmut  seines  Charakters,  die 
Innigkeit  seines  Glaubens  und  die  Reinheit  seines  Lebens 
auszeichnete.  Vale  dulcissime,  desideratissime.  Re- 
quiescas  in  pace  usque  ad  tubam." 

s.  Eleanor  Hallam,  starb  mit  21  Jahren.  „Ihre  betrübten 
Eltern  beugen  sich  unter  diesem  zweiten  Verlust  und 
bezeugen  hier,  daß  die  Lieblichkeit  des  Gemütes  und  die 
himmlisch  gesinnte  Frömmigkeit  zwar  für  sie  verloren 
gegangen  ist,  nun  aber  dahin  gegangen  ist,  wo  der  Lohn 
ihrer  wartet."    Sie  hatte  große  Fähigkeiten. 

S.  Henry  Fitzmaurice  Hallam,  starb  mit  26  Jahren.  „Mit 
seinem  klaren  und  lebhaften  Verstand,  der  Sanftmut 
und  der  Reinheit  eines  Lebens  war  er  vor  den  Augen 
derer,  die  ihn  am  meisten  liebten,  ein  Bild  seines  älte- 
ren Bruders.  Wie  jener,  war  er  früh  bekannt  und  genoß 
die  Liebe  vieler  Freunde,  und  wie  jener  auch,  wurde  er 
von  einer  kurzen  Krankheit  in  einem  fremden  Lande  da- 
hingerafft." 
Helvetius,  Claude  Adrien  (Schweitzer)  (1715 — 1771),  der  gefeierte 
und  verfolgte  Autor  einer  materialistischen  Philosophie. 
Er  besaß  eine  universale  Bildung,  war  schön,  graziös, 
kräftig  und  voller  Talent.  Mit  23  Jahren  war  er  Gene- 
ral-Steuerpächter in  Frankreich.  Kam  als  Flüchtling 
nach  England  und  anderen  Ländern.  Er  heiratete  eine 
reizende  Frau,  Mlle.  de  Ligueville.  Es  wird  erzählt, 
daß  sowohl  Franklin  als  Turgot  sie  heiraten  wollte,  nach- 
dem sie  Witwe  geworden  war.    Er  hatte  zwei  Töchter. 

V.  John  Claude  Adrien,  ein  besonders  hervorragender  Arzt 
in  Paris,  Generalinspektor  der  Spitäler;  war  liberal  und 
wohlwollend. 

Q.  Jean  Adrien,  dänischer  Arzt,  der  in  Paris  starb;  war 
Generalinspektor  der  Spitäler.  Er  war  der  erste,  der 
auf  die  Wichtigkeit  der  Ipecacuanha  als  Medizin  hin- 
wies. 
Irving,  Washington,  amerikanischer  Schriftsteller,  Romancier  und 
Historiker,    war    Gesandter    in    Spanien,    hatte    eine 


192  Literaten. 

schwächliche  Gesundheit;  war  von  seinen  älteren  Brü- 
dern erzogen  worden;  hatte  ein  sprunghaftes  Wesen; 
war  vermögend. 
2  B.)  Seine  Brüder  hatten  beträchtliche  literarische  Kennt- 
nisse, einer  von  ihnen  leitete  die  New  York  Chronicle. 
Lamb,  Charles  („Essays  von  Elia"),  ein  kluger  und  talentierter 
Humorist;  sehr  beliebt. 

b.  Eine  Schwester,  die  in  einem  Anfall  von  Irrsinn  ihre 
Mutter  tötete  und  die  Charles  Lamb  mit  der  äußersten 
Sorge  behütete.  Sie  erlangte  später  wieder  ihren  Ver- 
stand und  hatte  nach  der  Beschreibung  von  Menschen, 
die  sie  kannten,  einen  scharfen  Intellekt  und  ein  Herz, 
dessen  Humanität  das  Gegenstück  zu  dem  ihres  Bruders 
bildete.  Sie  schrieb  viele  Theaterstücke,  die  in  den 
"Werken  ihres  Bruders  veröffentlicht  sind. 
Lessing,  Qotthold  Ephraim,  ein  universeller  Schriftsteller,  der 
ungeheuer  viel  zu  dem  Schatz  der  deutschen  Literatur 
beitrug.  Er  war  von  seiner  frühesten  Kindheit  an  ein 
Bücherfresser.  Seine  Gesundheit  ging  von  seinem  50. 
Jahre  an  rasch  bergab. 

B.    Karl  Gotthelf       | 

B.    Johann  Gottlieb       zeichneten  sich  alle  als  Literaten  aus. 

N.    Karl  Friedrich     f 
Macaulay,  Thomas,  Babington;    ernannt    zum    Lord    Macaulay; 
Historiker,  Dichter,  Essayist  und  gewandter  Erzähler; 
ein  Mann  von  überragender  Gedächtniskraft. 

Q.  Rev.  Joh.  Macaulay,  schottischer  Geistlicher  in  Inve- 
rary;  äußerst  beredsamer  Prediger;  genannt  in  Dr. 
Johnsons  Umschau. 

V.  Zachary,  beteiligte  sich  an  der  Bewegung  für  die  Skla- 
venbefreiung; sehr  befähigt;  war  ein  klarer  und  ge- 
wandter Stilist,  doch  fehlte  ihm  beim  Sprechen  die 
Leichtigkeit  des  Ausdrucks. 

O.  Colin  Macaulay,  General.  War  die  rechte  Hand  des 
Herzogs  von  Wellington  in  seinen  indischen  Feldzügen. 
Er  regierte  viele  Jahre  als  Präsident  über  einen  großen 
TeU  von  Madras  und  war  trotz  seiner  anstrengenden 


Literaten.  ]93 

Beschäftigung  ein  erstklassiger  Gelehrter,  sowohl  in  der 
alten,  als  in  der  modernen  Literatur.    In  der  zeitgenössi- 
schen Literatur  wird  er  fortwährend  als  ein  Wunder  an 
Erudition  und  Talenten  bezeichnet. 
O.    Aujay  Macaulay,  brillanter  Erzähler,  schrieb  viel  Wert- 
volles, was  unvollendet  und  ungedruckt  blieb;  Vormund 
von  Karoline  von  Braunschweig,  starb  in  jugendlichem 
Alter. 
(OS.)    (Sohn  von  Aulay.)    John  Heyrick,  Rektor  von  Repton,  eiij 
guter  Gelehrter. 
OS.    Kenneth  Macaulay,  Parlamentsmitglied  für   Cambridge, 
war  der  Sohn  des  obigen.    Noch  zwei  andere  talentierte 
Brüder, 
n.    George  Trevelyan,  Parlamentsmitglied,  Junior  Lord  of 
the  Treasury*)  (Sohn  des  Politikers  Sir  Charles  Treve- 
lyan), war  der  zweite  seines  Jahrgangs  in  klassischen 
Studien  (1861,  Cambridge),  Autor  von  „Cawnpore"  etc. 

Mill,  James,  Historiker  von  Britisch-Indien. 

S.    John  Stuart  Mill,  der  hervorragende  moderne  Philosoph 
und  staatswissenschaftlicher  Schriftsteller. 

Niebuhr,  Barthold  Georg;  kritischer  Historiker  („Römische  Ge- 
schichte"); Finanzpolitiker.  Seine  ganze  Zeit  widmete 
er  dem  Studium.  Besaß  eine  gute  Erziehung.  Mit  7 
Jahren  wurde  er  als  ein  Wunder  an  Fleiß  betrachtet, 
aber  seine  Konstitution  war  schwach  und  nervös  und 
verschlimmerte  sich  noch  durch  ein  Sumpffieber.  Macau- 
lay (Vorwort  „Balladen  des  alten  Roms")  sagt,  Niebuhr 
wäre  der  erste  Schriftsteller  seiner  Zeit  geworden,  wenn 
sein  Talent,  die  Wahrheit  mitzuteilen,  mehr  im  Verhält- 
nis zu  seinem  Talent  gestanden  hätte,  die  Wahrheit  zu 
entdecken.  Er  war  preußischer  Botschafter  in  Rom. 
V.  Carsten  Niebuhr,  bereiste  Arabien  und  schrieb  darüber. 
Sein  Vater  war  ein  Pächter  gewesen.  Beide  Eltern  star- 
ben, als  er  noch  ein  Kind  war,  so  daß  er  als  gewöhn- 
licher Arbeiter  arbeiten  mußte  und   bis   zu    seinem   21. 


*)  Funktionär  in  der  englischen  Verwaltungskommission  des  Schatzamtes 


Galton,  Genie  und  Vererbung. 


13 


194  Literaten. 

Jahre  ungebildet  blieb.  Von  da  an  arbeitete  er  selbst 
fleißig  an  seiner  Bildung. 
(S.)  Marcus,  ein  hoher  Beamter  im  preußischen  Zivildienst. 
Palgrave,  Sir  Francis;  Historiker  und  Altertumsforscher,  be- 
schäftigte sich  speziell  mit  der  anglo-sächsischen  Pe- 
riode. Heiratete  eine  Dawson-Turner  (s.  Hooker  in 
„Naturwissenschafter  und  Mathematiker"). 

S.    Francis;  Literatur  und  Kunst  („Goldener  Schatz"). 

S.  Qiffard;  OrientaHst  und  Arabien-Reisender. 
Porson,  Richard,  hervorragender  griechischer  Philologe  und 
Kritiker.  Von  seiner  Kindheit  an  pflegte  seine  Mutter 
von  ihm  zu  sagen:  was  immer  Richard  tut,  ist  auf  eine 
höhere  Art  getan.  Er  spann  besser  Garn  als  seine 
Brüder  und  Schwestern  und  hatte  dazu  noch  immer  beim 
Spinnen  ein  offenes  Buch  neben  sich  liegen.  Ehe  er 
es  schreiben  konnte,  hatte  er  sich  schon  selbst  aus  einem 
alten  Buch  in  Arithmetik  bis  zur  Kubikwurzel  gebracht. 
Als  er  heranwuchs,  war  sein  Gedächtnis  erstaunlich. 
Er  besaß  einen  unwandelbaren  Fleiß,  großen  Scharfsinn, 
einen  gesunden,  strengen  Verstand,  ein  lebhaftes  Emp- 
finden für  das  Schöne  und  auch  für  das  Komische,  und 
einen  sehr  reinen  und  unbeugsamen  Wahrheitssinn.  Er 
hatte  viel  Körperkraft.  Man  erzählt  von  ihm,  daß  er 
von  Cambridge  bis  London  zu  Fuß  ging,  also  eine  Ent- 
fernung von  zweiundfünfzig  Meilen,  um  seinen  Klub 
abends  zu  erreichen,  da  er  nicht  imstande  war,  das 
Fahrgeld  zu  zahlen.  Betrank  sich  gelegentlich,  was  zu 
seiner  Zeit  ein  ziemlich  verbreiteter  Brauch  war,  doch 
tat  er  es  zuletzt  gewohnheitsmäßig. 

V.  Ein  Weber  und  Küster.  Ein  Mann  von  ausgezeichnetem 
Verstand  und  großem  natürlichen  Talent  für  Arithmetik. 

V.  Die  Magd  eines  Geistlichen,  die  im  geheimen  seine 
Bücher  las.  Er  fand  sie  eines  Tages  über  Shakespeare 
und  entdeckte  zu  seiner  Überraschung,  daß  sie  ein  ge- 
sundes Verständnis  für  dieses  Buch  und  auch  für  andere 
besaß,  so  daß  er  ihr  half,  so  weit  er  es  vermochte.  Sie 
hatte   ein  bemerkenswertes   Gedächtnis. 

B.    Thomas.     Nach   der   Ansicht  von   Dr.   Davy,   dem   da- 


Literaten.  195 

maligen  Rektor  des  Caius  College  in  Cambridge,  der 
beide  Brüder  genau  kannte,  war  er  Richard  in  gelehrter 
Befähigung  ebenbürtig.  Er  leitete  eine  klassische  Schule, 
starb  aber  schon  mit  24  Jahren. 
h.    Hatte    das    wunderbare   Gedächtnis   der  Porson.     Sie 
heiratete  und  bekam  Kinder,  die  sich  aber  durch  nichts 
auszeichneten. 
(B.)    Henry,  ein  guter  Arithmetiker,  der  keine  Neigungen  zur 
Literatur  hatte;  starb  mit  33  Jahren. 
Roscoe,  William,  Historiker  und  Dichter  („Leben  Lorenzos  von 
Medici").  Sohn  eines  Handelsgärtners,  wurde    in    einer 
gewöhnlichen  Schule  erzogen;  kam  erst  zu  einem  Buch- 
händler, dann  in  die  Kanzlei  eines  attorney,  wo  er  sich 
selbst  weiterbildete.    Begann  mit  30  Jahren  bekannt  zu 
werden.    Wurde  Bankier,  gründete  die  Royal  Institution 
in  Liverpool,  war  Parlamentsmitglied  für  diese  Stadt. 
Starb  mit  78  Jahren. 
S.    Henry,    schrieb    die    Biographie    seines    Vaters    „Bio- 
graphien hervorragender  Rechtsgelehrter". 
(S.)    Robert;  war  ein  Rechtsgelehrter,  schrieb  das  Epos  „Al- 
fred". 
(S.)    Thomas  gab  verschiedene  Gedichte,    Erzählungen    und 
illustrierte  Reisebeschreibungen  heraus. 
Le  Sage,  Romancier  („Gil  Blas");  war  ein  einziger  Sohn  und  früh 
verwaist.     Er  wurde   ein   schmucker   und   anziehender 
Jüngling.     Heiratete  mit  26  Jahren  und  arbeitete  hart. 
Seinen  ersten  Erfolg  erreichte  er  mit  dem  „Hinkenden 
Teufel";  er  war  damals  34  Jahre  alt.    Er  war  67,  als 
der  letzte  Band  von  Gil  Blas  erschien.    Mit  40  Jahren 
begann  er  schwerhörig  zu  werden,  zuletzt  war  er  ganz 
taub.    Er  hatte  drei  Söhne: 
S.    Rene-Andre  (Montnienil),  war  ein  Abbe,  wurde  aber  der 
Kirche  untreu  und  ging  zum  großen  Schmerz  seines  Va- 
ters zur  Bühne.    Er  war  ein  vorzüglicher  Komiker.    Der 
Vater  sah  ihn  auf  der  Bühne  und  verzieh  ihm.    Er  starb 
jung  und  plötzlich. 
S,    Ein  Kanoniker.  Er  war  ein  hübscher  Bursche,  mit  dem 
Le  Sage  seine  letzten  Tage  verbrachte.    Er  freute  sich 

la* 


\96  Literaten. 

am  Leben  und  liebte  das  Theater.    f.r  wäre  ein  ausge- 
zeichneter Komiker  geworden. 
(S.)    Wurde  ein  schlechter  Schauspieler  und  starb  unbekannt. 

Scaliger,  Julius  Caesar;  Philologe  und  Naturforscher  (1484— 
1558),  starb  mit  74  Jahren.  War  von  zweifelhafter  Her- 
kunft. Er  diente  bis  zu  seinem  29.  Jahre  in  der  Armee, 
studierte  dann  Theologie,  die  er  verließ,  um  sich  der 
Medizin  zu  widmen,  und  begann  dann  Griechisch  zu 
lernen.  Er  begann  seine  Studien  in  so  vorgerücktem 
Alter,  daß  er  keines  seiner  Bücher  vor  seinem  47.  Jahre 
veröffentlichte.  Er  war  einer  der  außerordentlichsten 
Männer  seiner  Zeit.  Er  hatte  ein  äußerst  zähes  Ge- 
dächtnis und  einen  scharfen  Verstand,  aber  er  v/ar 
außerordentlich  reizbar  und  eitel  und  hatte  Feinde.  Die 
Gelehrten  späterer  Zeiten  überboten  einander  in  Lobes- 
hymnen auf  Scaliger,  aber  sein  Ruhm  als  Gelehrter  und 
Kritiker,  wenn  auch  in  seiner  Zeit  sehr  groß,  wurde  von 
seinem  Sohn  Joseph  verdunkelt. 
S.    Joseph  Justus  Scaliger,  s.  unten. 

Scaliger,  Joseph  Justus;  Gelehrter,  hervorragend  auf  dem  Gebiet 
der  philologischen  Kritik  (1540—1609,  starb  mit  69  Jah- 
ren). War  gut  erzogen  und  las  nach  seinem  eigenen 
Bericht  intensiv.  Er  gehörte  zu  jener  Gruppe  großer 
Gelehrten,  die  gegen  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
die  Universität  Leyden  zierten.  Er  war  ganz  von  seinen 
Studien  absorbiert.  Er  heiratete  nie.  Er  war  reizbar 
und  eitel,  wie  sein  Vater.  Als  kritischer  Philologe  wird 
er  besonders  gerühmt,  und  es  gibt  wenig  Gelehrte,  die 
sich  mit  ihm  vergleichen  lassen. 
V.    Julius  Caesar  Scaliger,  s.  oben. 

Schlegel,  August  Wilhelm  von;  gefeierter  deutscher  Gelehrter, 
Kritiker  und  Dichter,  übersetzte  Shakespeare  und  ver- 
schiedenes aus  der  Indischen  Literatur.  In  einem  frühen 
Alter  schon  zeigte  er  ein  bemerkenswertes  Sprachen- 
talent. Sein  Fehler,  wenn  es  einer  ist,  bestand  darin, 
daß  er  zu  sehr  nach  Universalität  strebte.  Er  schloß 
sich  an  Madame  de  Stael  an  und  überließ  sich  völlig 
ihrem  intellektuellen  Einfluß.     Starb  mit  48  Jahren.    Er 


Literaten.  i^ 

und  sein  Bruder  wurden  „die  literarischen  Dioskuren" 
ihrer  Zeit  genannt.  Sein  Großvater  war  Ratsherr  beim 
Apellationsgericht  in  Meißen.  Er  erzog  seine  Kinder  — 
Schlegels  Vater  und  dessen  Onkel  —  sorgfältig. 

V.  Johann  Adolph,  Prediger  von  Ruf,  schrieb  auch  Ge- 
dichte. 

O.  Johann  Elias,  Dichter,  Dramatiker  und  Kritiker.  „Er  ist 
zweifellos  der  beste  dramatische  Dichter,  den  Deutsch- 
land in  der  ersten  Hälfte  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
hervorbrachte."    Starb  mit  31  Jahren,  war  überarbeitet. 

O.  Johann  Heinrich;  dänischer  Königlicher  Historiograph. 
Lebte  in  Kopenhagen, 

B.  Friedrich  Karl  Wilhelm  v.  Schlegel,  s.  unten. 
Schlegel,  Friedrich  Karl  Wilhelm  von;  Historiker,  Philosoph  und 
Philologe.  War  als  Kind  nicht  frühreif,  wurde  aber  als 
Jüngling  stark  von  der  Literatur  angezogen.  Er  hielt 
Vorlesungen  über  Philosophie  der  Geschichte  und 
Sprache,  schrieb  Gedichte,  war  Herausgeber  und  wurde 
schließlich  unter  Metternich,  seinem  beständigen  Gönner, 
diplomatischer  Beamter.    Starb  mit  57  Jahren. 

V.    O.  O.  wie  oben. 

B.  August  Wilhelm  v.  Schlegel,  s.  oben. 
Seneca,  Lucius  Annaeus,  römischer  Philosoph;  wurde  zur  Rhe- 
torik erzogen,  doch  sträubten  sich  seine  Neigungen  gegen 
diesen  Beruf,  und  er  widmete  sich  der  Philosophie.  Seine 
edlen  Gefühle  und  sein  erhabener  Stoizismus  haben  selbst 
auf  die  christliche  Welt  großen  Einfluß  gehabt,  denn 
Senecä  wurde  früher  viel  gelesen  und  bewundert.  Er 
erwarb  ein  ungeheures  Vermögen  auf  unbekannte 
Weise,  doch  vermutet  man,  daß  er  sich  dabei  zwei- 
deutiger Mittel  bediente.  Er  war  der  Erzieher  Neros 
und  hatte  natürlich  bei  seinem  Zögling  nicht  sehr  viel 
Autorität.  Er  beging  mit  63  Jahren  Selbstmord,  von 
Nero  in  den  Tod  getrieben. 

V.  Marcus  Annaeus  Seneca;  Rhetor  und  Schriftsteller. 
Er  hatte  ein  wunderbares  Gedächtnis  und  war  imstande, 
zweitausend  Worte  in  der  gleichen  Anordnung  zu  wie- 


198  Literaten. 

derholen,   in   der   er   sie   gehört  hatte.    Heiratete   eine 
Spanierin. 
B.    Marcus  Novatus,  der  den  Namen  Junius  QalHo  annahm 
und  Prokonsul  von  Achaja  wurde.     Vor  sein  Tribunal 
wurde  der  heilige  Paulus  gebracht,  als  man  ihn  anklagte, 
Neuerungen  in  religiösen  Dingen  einzuführen.    Eusebius 
beschreibt   ihn    als    einen    ausgezeichneten   Rhetoriker, 
und  sein  Bruder  nennt  ihn  den  tolerantesten  Menschen. 
N.    Lucanus  Marcus  Annaeus  (Lucan),  der  Dichter.     Seine 
„Pharsalia"  ist  das  einzige  seiner  Werke,  das  auf  uns 
gekommen  ist.     Sein  Vater,  der  Bruder  Senecas,  hei- 
ratete die  Tochter  des  Lucanus,  eines  hervorragenden 
Redners,  von  dem  der  Sohn  den  Namen  erhielt. 
Sevigne,  Marquise  de  (geb.  Marie  de  Rabutin-Chantal),  Autorin 
reizender  Briefe.     Als  Briefschreiberin  wurde  sie  nicht 
übertroften,  vielleicht  nicht  einmal  erreicht.     Ihr  Vater 
fiel  in  der  Schlacht,  als  sie  noch  ein  ganz  kleines  Kind 
war,  die  Mutter  starb,  als  sie  6  Jahre  alt  war.    Sie  war 
ein  einziges  Kind.     Sie  war  in  unglücklicher  Ehe  mit 
einem  liederlichen  Mann  verheiratet,  der  im  Duell  wegen 
einer  anderen  Dame  fiel.    Sie  schrieb  gut  vor  ihrer  Wit- 
wenschaft, aber  nicht  viel;  dann  zog  sie  sich  von  der 
Welt  zurück,  um  ihre  Kinder  zu  erziehen,  erschien  mit 
21  Jahren  wieder  in  der  Gesellschaft  und  glänzte  dort. 
Die  Gesellschaft  verfeinerte  sie,  ohne  sie  zu  verderben. 
Ihre  Tochter    heiratete    den   Vize-Statthalter   der  Pro- 
vence, und  an  sie  eben  sie  die  berühmten  Briefe  ge- 
richtet.   Sie  war  von  fröhlicher  Gemütsart,  war  schön, 
anmutig  und  witzig,  nichts  an  ihr  war  heimlich  und  ver- 
steckt.   Solange  sie  lebte,  wurden  ihre  Briefe  bei  Hofe 
und  in  der  Gesellschaft  gefeiert;  sie  gingen  von  Hand 
zu  Hand  und  wurden  mit  unendlichem  Vergnügen  ge- 
lesen. 
S.    Marquis  de  Sevigne,  ein  Mann  von  viel  Befähigung  und 
Mut,  der  ein  rastloses  und  etwas  ausschweifendes  Leben 
in  religiösen  Übungen  beschloß,  denen  er  sich  unter  der 
Führung  von  Geistlichen  widmete.     Er  hatte  nicht  ge- 


Literaten.  199 

nügend  Ausdauer,  um  in  irgend  etwas  einen  Erfolg  zu 
erringen. 

OS.  Bussy-Rabutin,  ein  ganz  ausgezeichneter  Soldat,  aben- 
teuerlustig, tollkühn  und  etwas  ausschweifend.  Wäre 
sicherlich  Marschall  von  Frankreich  geworden,  war  aber 
von  unfreundlicher,  kaustischer  Gemütsart,  was  zu  seiner 
Verbannung  führte,  so  daß  er  alle  Hoffnung  auf  Avance- 
ment verlor.  Er  war  ein  ausgezeichneter  Briefschreiber. 
Er  war  wirklich  ein  Mann  von  großem  literarischen  Ta- 
lent, der  die  französische  Sprache  verfeinerte. 

Es  gab  in  der  Familie  der  Madame  de  Sevigne  noch 
eine  ganze  Reihe  sporadischer  Talente,  aber  keines  von 
ihnen  erreicht  je  einen  vollen  Erfolg. 
Sidney,  Sir  Philip;  Gelehrter,  Soldat  und  Hofmann.  Ein  voll- 
endeter und  vollkommener  gentleman,  in  dem  sich  Milde 
mit  Mut  paarte,  gelehrte  Bildung  durch  höfische  Kultur 
modifiziert  erschien  und  höfisches  Wesen  durch  Wahr- 
heitsliebe veredelt  war."  Als  Knabe  war  er  ernst.  Er 
verließ  Cambridge  mit  18  Jahren  und  war  damals  be- 
reits sehr  bekannt;  er  wurde  sogleich  Hofmann  und 
zwar  ein  sehr  erfolgreicher,  dank  seiner  Bildung  und 
seinem  Charakter.  Seine  „Arcadia"  ist  das  Werk  eines 
seltenen  Talents,  wenn  auch  in  eine  unglückliche  Form 
gebracht.  Er  war  in  seiner  Zeit  ungeheuer  berühmt 
Er  fiel  mit  32  Jahren  in  der  Schlacht.  Nach  seinem 
Tode  fand  in  England  eine  allgemeine  offizielle  Trauer 
statt,  wie  es  scheint,  die  erste  dieser  Art  in  unserem 
Lande  (s.  auch  den  Stammbaum  unter  Montagu  im  Ka- 
pitel „Judges"  S.  99). 
V.  Sir  Henry  Sidney,  ein  Mann  von  großen  Anlagen.  So- 
wohl die  Königin  Mary  als  die  Königin  Elisabeth  schätz- 
ten ihn  sehr;  er  war  dreimal  Lord-Deputierter  von  Ir- 
land und  regierte  weise. 

(G.)    Sir  William  Sidney,  ein  Soldat  und  Ritter  von  einigem 
Ruf  zur  Zeit  Heinrichs  VIIL 
g.    John  Dudley,  Earl  von  Warwick  und  Duke  von  Nort- 
humberland,  „der  Liebling  seiner  Zeit",  Graf-Marschall 


2W)  Litetaten. 

von  England  und  der  mächtigste  der  Untertanen.  Zum 
Tode  verurteilt  und  hingerichtet  1553. 
o.  S'&  Robert  Dudley,  der  große  EaH  von  Leicester, 
Günstling  der  Königin  Elisabeth. 
oS.  Sir  Robert  (Sohn  des  großen  Earl  von  Leicester,  aber 
nicht  im  Besitze  seines  Titels),  „ein  vollendeter  Gentle- 
man in  allen  standesmäßigen  Tätigkeiten,  ein  exakter  See- 
mann, ein  ausgezeichneter  Architekt,  Mathematiker, 
Arzt,  Chemiker  und  alles  mögliche  außerdem  ....  ein 
schmucker  Mann,  bekannt  im  Turnier  und  als  erster 
von  allen,  die  Hunde  zur  Rebhühnerjagd  abrichten" 
(Anthony  Wood,  zitiert  in  Burke's  „Erloschene  Pairs- 
würden"). 
b.  Mary,  Gräfin  von  Pembroke.  Hatte  die  gleichen  Nei- 
gungen und  Eigenschaften  wie  ihr  Bruder,  der  ihr  seine 
„Arcadia"  widmete.  Ben  Jonsons  wohlbekannte  Grab- 
schrift war  für  sie: 

„Sie,  die  alle  Liedern  feiern, 
Liegt  nun  unter  schwarzen  Schleiern. 
Sidney  hat  die  Schwester  verloren, 
Pembroke,  die  Mutter,  die  ihn  geböreh. 
Sie  war  schön  und  tugendreich; 
Eh'  du  eine  dieser  gleich 
Tod,  erschlägst  ein  zweites  Mal, 
Traf  Dich  selbst  der  Zeiten  Strahl." 
n.    3.  Earl  von  Pembroke,  Kanzler  von  Oxford;  ein  Ge- 
lehrter, Dichter  und  Gönner  gelehrter  Männer. 
(B.)    Sir  Robert  Sidney,   ernannt   zum   Earl   von   Leicester. 
(Man  könnte  glauben,  daß  dieser  Titel  unheilvoll  ist,  so 
oft  wurde  er  von  neuem  verliehen.    Nicht  weniger  als 
sechs  Familien  haben  ihn  erhalten    und    starben    aus.) 
Er  war  ein  ziemlich  bekannter  Militär. 
N.    Sir  Robert  Sidney,  2.  Earl  von  Leicester;  ein  Mann  von 
großem  Wissen,  Beobachtung  und  Wahrhaftigkeit. 
NS.    Algernon  Sidney,  der  Patriot,  geköpft   1683.     Er  hatte 
eine  große  natürliche  Befähigung,  war  aber  zu  rauh  und 
ungestüm,  um  Widerspruch  zu  vertragen.    Er  studierte 
die  Geschichte  der  Verwaltung  in  allen  ihren  Zweigen 


Literaten.  201 

urld  besaß  eine  genaue  Menschenkenntnis.    War  außer- 
ordentlich mutig  und  eigensinnig. 
(Ns.)    Dorothy,  Wallers  „Saccharissa". 
Oe.    Sir  Henry  Montagu,  1.  Earl  von  Manchester,  Ch.  Just. 
K.  Bench.    (S.  Montagu  im  Kapitel  „Judges".)   Die  hohen 
Eigenschaften    dieser    sehr    bemerkenswerten    Familie 
scheinen  in  erster  Reihe    einer  Vermischung  mit  dem 
Sidney-Blut    zu  entstammen,    da  aus  der    zahlreichen 
Schar  der  anderen  Nachkommen  des  ersten  Ch.  Just. 
Montagu   unter   Heinrichs   VIII.   Regierung   keine   Linie 
sich  außer  der  auszeichnete,  wo  eine  Blutsmischung  mit 
den  Sidneys  stattfand. 
3  0eS.  Baron  Kimbolton,    Walter  Montagu,   Abt  von  Pontoise, 
und  der  erste  Earl  Sandwich,  der  größte  Admiral. 
8  OeE.     1.  Duke   von  Montagu;   William   Montagu,   Ch.   Baron 
Exchequer;  Charles  Montagu,  1.  Earl  von  Halifax;  Fran- 
cis North,  1.  Lord  Quilford,  Lord  Chancellor;  und  seine 
drei  Brüder;  Charles  Hatton,  „der  unvergleichliche". 

Man  könnte  noch  mehr  sagen,  aber  ich  verweise  den 
Leser  auf  den  Stammbaum  der  Montagu. 

Sir  William  Sidney  John  Dudley,  Earl  von  Warwick 

Soldat  und  bekannter  und  Duke  von  Northumberiand; 
Ritter  Grafmarschall;  .der  Liebling 

I  seiner  Zeit" 


Lucy,  heiratete  Sir  Henry  Sidney  =  Mary  Dudley  Sir  Rob.  Dudley  William  Herbert 
Sir  James     dreimal  Lord  De-  j  der  große  Earl    1.  Earl  Pem- 

Harrington      puty  von  Irland    1  von  Leicester    broke,  Staats- 

I  mann  u.  Soldat 

I \ 1  I 

Sir  Philip  Sidney          Sir  Robert                 Mary         =  2.  Earl 

Gelehrter,  Soldat,     1.  Earl  Leicester    Grabschrift  von  j  Pembroke 
Hofmann          Soldat  u.  Hofraann     Ben  Jonson     j 

Sir  Robert,  2.  Earl  3.  Earl  Pembroke 

»Gelehrtheit,  Beobachtung  Förderer  der  schönen  Künste 
und  Wahrheitsliebe' 


Philip  Sidney  Algemon  Sidney  Dorothy. 

3.  Earl                         Patriot  Waller's 

einer  von  Cromwells  Enthauptet  1683  .Saccharissa* 
Räten 


202  Literaten. 

Stael,  Anne  Germaine  de,  gehörte  zu  den  besten  Autoren  ihrer 
Zeit.  Sie  war  ein  einziges  Kind.  Noch  ganz  jung,  inter- 
essierte sie  sich  lebhaft  für  die  philosophischen  und  poli- 
tischen Gespräche  am  Tische  ihres  Vaters.  Dann  über- 
arbeitete sie  sich  mit  15  Jahren,  teilweise  von  ihrer 
Mutter  zum  Studium  angetrieben.  Nach  einer  ernst- 
haften Krankheit  war  sie  völlig  verwandelt,  kein  pedan- 
tisches Kind  mehr,  sondern  voller  „abandon"  und  Reiz. 
Sie  heiratete  zweimal  und  hatte  drei  Kinder. 

Q.  Charles  Frederick  Necker,  ein  deutscher  Rechts-  und 
politischer  Schriftsteller.  Ließ  sich  in  Genf  nieder,  wo 
ein  juristischer  Lehrstuhl  für  ihn  errichtet  wurde. 

V.  Jacques  Necker,  der  gefeierte  französische  Staatsmann 
und  Finanzminister  unter  Ludwig  XVI.  Hatte  einen 
starken  natürlichen  Hang  zur  Literatur;  zeigte  mit  18 
Jahren  eine  bemerkenswerte  Tauglichkeit  für  das  Ge- 
schäftsleben; hebte  seine  Tochter  außerordenthch  und 
ebenso  sie  ihn. 

O.  Louis  Necker,  Professor  der  Mathematik  in  Genua.  Er 
fing  mit  einem  Bankgeschäft  in  Paris  an  und  hatte  in 
dieser  Stadt  sowie  später  in  Marseille  viel  Erfolg  in 
seinen  Spekulationen;  doch  der  unsichere  Zustand 
Frankreichs  veranlaßte  ihn,  nach  Genf  zurückzukehren. 

V.    Susanna   Curchod;    Gibbon  hatte   sie    heiraten   wollen. 
Sie  war  ein   frühreifes  Kind,  merkwürdig  gut  belesen, 
ein  ausgezeichneter  Verstand,  aber  pedantisch.    Sie  war 
eine  strenge  Kalvinistin.    Es  ist  ein  Wunder,  daß  sie  die 
Anlagen  ihrer  Tochter  nicht  erstickte. 
OS.    Jacques  Necker,  Sohn  von  Louis,  Professor  der  Botanik 
in    Genf,     heiratete    eine    Tochter    des    Geologen    de 
Saussure. 
EG.    Louis   Albert,   Sohn    von   Jaques    und   Enkel   von    de 
Saussure,   Professor   der   Geologie   und   Mineralogie   in 
Genf.    (S.  eine  lange  Denkschrift  über  ihn  von  Dr.  James 
David  Forkes  in  einer  Adresse  an  die  Royal  Society  in 
Edinburg  1863.) 
Stephen,    Right   Hon.    Sir    James,    Historiker;    („Biographische 


Literaten.  203 

Essays  zur  Kirchengeschichte"),  Unterstaatssekretär  für 
die  Kolonien. 

V.  James  Stephen,  Vorsteher  in  der  Kanzlei  des  Lord- 
kanzlers; ein  Führer  in  der  Sklavenbefreiungsbewegung. 

B.    Henry  John  Stephen,  hervorragender  juristischer  Schrift- 
steller („Stephen:  Über  das  Plaidieren".) 
(B.)    Sir   George,  Barrister,   erfolgreicher   Novellist   („Aben- 
teuer eines  attorney  auf  der  Suche  nach  Praxis"). 

S.  Fitz-James  Stephen,  Q.  C,  Autor  der  „Criminal.  Gesetze", 
schrieb  viel  in  Zeitschriften. 

S.  Leslie  Stephen,  ebenfalls  ein  bekannter  Zeitschriftenmit- 
arbeiter; Bergsteiger,  Präsident  des  Alpinen  Klubs. 
Stephens,  Robert  (oder  Estienne)  war  das  erste  hervorragende 
Mitglied  einer  Familie  der  berühmtesten  Gelehrten  und 
Drucker,  die  je  aufgetaucht  sind.  Es  muß  daran  erinnert 
werden,  daß  in  der  ersten  Zeit  der  Buchdruckerkunst 
alle  Buchdrucker  Gelehrte  waren.  Robert  war  ein 
außergewöhnlicher  Gelehrter,  außerordentlich  frühreif, 
seine  Zeitgenossen  schätzten  ihn  höher  als  irgend  einen 
anderen  Gelehrten,  Er  druckte  die  Bibel  in  vielerlei 
Typen,  wurde  verfolgt  und  nach  Genf  vertrieben.  Hei- 
ratete Petronella  s.  unten. 

B.  Charles,  besaß  gründliche  Kenntnisse  in  klassischen  Stu- 
dien, fühlte  sich  aber  mehr  zu  Physik,  Medizin  und  Natur- 
wissenschaften hingezogen. 

S.  Robert  (2)  war,  was  seine  Tätigkeit  und  die  Exaktheit 
seiner  Ausgaben  anlangt,  seines  Vaters  würdig. 

N.  Nicole  nicht  weniger  wegen  ihrer  Schönheit  als  wegen 
ihrer  Talente  und  Bildung  gefeiert. 
Stephens,  Henri  (oder  Estienne)  der  größte  in  der  ganzen  FamiUe. 
War  außerordentlich  frühreif.  Er  legte  einen  großen 
Teil  seines  Vermögens  in  kostspieligen  Vorbereitungen 
für  sein  griechisches  Lexikon  fest,  das  ihm  einer  seiner 
Angestellten  Scapula  in  Form  einer  kürzeren  Zusammen- 
fassung stahl.  Durch  diesen  Schurkenstreich  kam 
Stephens  in  große  Verlegenheit  und  starb  in  Armut, 
während  Scapula  ein  Vermögen  machte. 

V,    Robert,  s,  oben. 


204 


Literateti. 


g.    Jodocus  Badius,  ein  gefeierter  Gelehrter  und  Drucker. 

V.  Petronella,  eine  Frau  von  großem  Talent  und  literarischer 
Bildung. 

B.    Robert  (2)  s.  oben. 
Os.    Nicole,  s.  oben. 

Isaac  Casaübon,  dessen  Namen  in  dem  nebenstehenden 
Stammbaurn  auftaucht,  war  ein  gelehrter  Schweizer 
Geistlicher  und  Kritiker;  mit  23  Jahren  Professor  für 
griechische  Philologie  in  Genf  und  später  in  Paris.  Seine 
letzten  Lebensjahre  verbrachte  er  in  England,  wo  er  sehr 
geschätzt  wurde  und  Stiftsherr  von  Westminster  wurde. 
Er  bekam  eine  hohe  Pension  von  Jakob  I. 

e.  Meric  Casaübon  war  in  gleicher  Weise  hervorragend, 
scheint  aber  vor  dem  Staatsdienst  zurückgeschreckt  zu 
haben.  Er  war  vergebens  von  Cromwell  aufgefordert 
worden,  die  Geschichte  des  Krieges  zu  schreiben,  und 
ebenso  sträubte  er  sich  gegen  die  Aufforderung  der 
Königin  Christine  von  Schweden,  die  Oberaufsicht  über 
die  Universitäten  ihres  Königreichs  zu  übernehmen. 

Henri,  geb.  um  1470,  ein  Drucker  in  Paris 


Fran^ois        Robert 


Petronella,  Tochter  von  Jodocus  Badius, 
dem  Gelehrten  und  Drucker 


Charles 


Fran^ois 


Henri,  ruiniert  durch  Scapula, 
starb  arm 


Paul 
druckte  mit  Fleiß 
und  Energie,  hatte 
aber  keinen  Erfolg 

Antoine 

Kgl.  Drucker,  starb 

im  Hotel  Dieu 


Florence  =  Isaac 

Casaübon 

(s.  Be- 
schreibung) 

Meric  Casaübon 

und  zahlreiche  andere 

Kinder 


Robert 
Drucker 


Robert  Nicole 


Henri 

Schatzmeister 

des  Palais 

Royal 

1 

Henri 
einigen  Ruf 
als  Dichter 


Henri 

starb  zu  Lebzeiten 

des  Vaters 


Literaten.  205 

Swift,  Jonathan,  Dr.  der  Theologie;  Dekan  von  St.  Patrick,  Sati- 
riker, Politiker.  War  groß,  muskulös  und  gut  gebaut, 
litt  sein  Leben  lang  an  Schwindelanfällen.  Wurde  mit 
Hilfe  seiner  Onkel  im  Trinity  College  in  Dublin  erzogen, 
wo  er  träge  war.  Dann  wurde  er  Sekretär  bei  Sir  Wm. 
Temple,  der  eine  Verwandte  seiner  Mutter  geheiratet 
}}2itte,  und  begann  mit  21  Jahren  ernsthaft  zu  arbeiten. 
Verlor  mit  69  Jahren  seinen  Verstand  und  starb  mit  78 
Jahren  an  Gehirnwassersucht. 

Verschiedene  Mitglieder  der  Familie  Swift  haben  Be- 
fähigung in  verschiedenen  Graden  besessen.    So 
(?N.    Dryden,  der  Dichter. 
OE.    Deane  Swift,  Biograph  des  Dekans  Swift 
OES.    Theophilus  Swift,  Sohn  des  obigen,  politischer  Schrift- 
steller. 

Taylors  von  Norwich.  Diese  Familie  umfaßt  eine  große  Anzahl 
wohlbekannter  Namen;  unter  den  verstorbenen  Mit- 
gliedern war  Mrs.  Austen  am  hervorragendsten.  Auch 
die  Martineau-Gruppe  enthält  einen  großen  Anteil  ver- 
streuter Fähigkeiten,  und  zwar  weit  mehr  als  sich  aus 
den  dürftigen  Angaben  des  nachfolgenden  Diagramms 
schließen  läßt.  Viele  Mitglieder  dieser  Familien  haben 
sich  in  der  Jurisprudenz,  in  der  Kunst  und  bei  Militär 
ausgezeichnet.  Das  nonkonformistische  Element  war 
in  dem  Blut  der  Martineaus  und  Taylors  mächtig. 

(1)  (s.  nachfolgenden  Stammbaum.)  Die  fünf  Söhne  waren 
John  und  Philip  Taylor,  beides  Männer  der  Wissen- 
schaft. Richard,  Herausgeber  der  „Unterhaitungen  in 
Purley"  und  des  „Philosophischen  Magazins". 

Edward,  Professor  für  Musik  am  Gresham-College. 
Arthur,  Mitglied   der   Gesellschaft  für   Altertümlich- 
keiten, Autor  von  „Die  Glorie  der  Königswürde". 

(2)  Die  drei  Enkel  sind: 

Edgar  Taylor,  ein  gebildeter  Schriftsteller  über  Gesetzes- 
materien und  Übersetzer  von  Grimms  „Volksmärchen". 

Emilye,  eine  HebHche  Dichterin. 

Richard,  Geologe,  Autor  der  „Kohlenstatistiken". 


206 


Literaten. 


(3)    Colonel  Meadows  Taylor,  schrieb  über  indische  Ange- 
legenheiten. 


Dr.  John  Taylor,  Verfasser  der 
.Hebrew  Concordance",  u.  s.  w. 


Tochter 


X  XX 

I      i 

Enkel  Enkel 
(3)         (2) 


Sir  Philip  Meadows 

einer  der  Latin 

Secretaries  in  der  Zeit 

Cromwells 


Tochter  =  David  Martineau 


I 

Philip  M. 

ausgezeichneter 

Chirurg 


5  Söhne     Tochter 


Dr. 
Reeve 


Henry  Reeve 

Herausgeber   der 

Edinb.  Review 


Sarah 
Autorin 

Über- 
setzerin 
heiratete 

I 

Lady  Duff  Gordon 

„Briefe  aus 

Ägypten  etc." 


Harriet  M.         Rev.  James  M. 
Theologie  und  Unitarischer    Schrift- 
Philosophie    steller  und  Prediger 


Taylors  von  Ongar.  Diese  Familie  ist  wegen  der  Allgemeinheit 
bemerkenswert,  mit  der  ihre  Mitglieder  von  einem  rast- 
losen literarischen  Talent,  einer  evangelischen  Gemüts- 
art und  künstlerischem  Qeschmack  durchdrungen  waren. 
Der  Typus  scheint  ein  sehr  ausgesprochener  zu  sein  und 
scheint  auch  von  Körperkraft  begleitet;  so  starb  Mrs. 
Gilbert  kurze  Zeit  nach  ihrem  vollendeten  84sten  Jahr. 
Kein  Mitglied  der  Famiüe  ist  in  die  höchste  Reihe  der 
Schriftsteller  hinaufgekommen,  doch  viele  von  ihnen 
stehen  beträchtlich  über  dem  Durchschnitt.  Der  bei- 
folgende Stammbaum,  der  „Familienfeder"  von  Rev. 
J.  Taylor  entnommen,  erklärt  die  Verwandtschafts- 
schaftsbeziehungen. 

Ich  füge  noch  hinzu,  daß  Mr.  Tom  Taylor  drama- 
tischer Autor  usw.  mit  keiner  der  Familien  verwandt  ist 


Literaten. 


20T 


Isaac  Taylor 
kam    mit    künstlerischem    Ehrgeiz    nach    London    und    wurde    ein    bekannter 

Kupferstecher 


Charles  Taylor 
ein  gelehrter,  ein- 
sam lebender 
Herausgeber  der 
Calraetschen 
Bibel 


Reverend  Isaac 
Taylor,  Verfasser 
der  „Szenen  in 
Europa"  etc., 
lernte  das  Kupfer- 
stechen und  über- 
traf seinen  Vater 
weit  an  Geschick- 
lichkeit 


I — r 

und  Jane  Ta 


Ann  Martyn 
Verfasserin  des 

„Familien- 
Wohnhauses" 


Ann  und  Jane  Taylor 

schrieben  zusammen 

„Original-Poems" 

Ann  heiratete  Rev.  Joseph 

Gilbert 


Isaac  Taylor 
Vei  fasser  einer 
„Naturgeschichte 
des  Enthusias- 
mus' 


Josiah  G'lbert 

Verfasser  von 

„Die 

Dolomiten" 


Rev  Isaac  Taylor 

Verfasser  von 

„Worte  und 

Plätze"  und  „Die 

Familien  -Feder" 


Martyn  Taylor 


Helen  Taylor 

Verfasser  von 

„Sabbath    Beils« 


Josiah  Taylor 

hervorragender 

Herausgeber  von 

Architektur- 
werken,   machte 
ein  großes 
Vermögen 


Jeffreys  Taylor 

Verfasser  von 

.Ralph  Richard", 

.Junge  Isländer" 

etc. 


Troilope,  Mrs.  Frances;  Romanschriftstellerin  von  beträchtlichen 
Gaben. 
(V.)    Rev.  -  Milton,  ein  befähigter  Mann. 
S,    Anton  TroUope,  ein  hervorragender  Novellist. 
S.    Thomas  Adolphe  TroUope,  Miszellenschreiber. 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

Meine  Auswahl  von  Naturwissenschaftlern  und  Mathematikern 
kann  ebenso  wie  meine  Auswahl  von  Literaten  launenhaft  er- 
scheinen. Sie  sind  beide  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aus  den 
gleichen  Betrachtungen  entstanden,  und  so  ist  auch  die  Vorrede 
zu  dem  vorhergehende  Kapitel  zum  großen  Teil  auch  auf  dieses 
anwendbar.  Doch  besteht  bei  der  Auswahl  einer  befriedigenden 
erstklassigen  Gruppe  von  Männern  der  Wissenschaft  noch  eine 
andere  spezielle  Schwierigkeit. 

Die  Tatsache,  daß  der  Name  eines  Menschen  mit  irgend 
einer  auffallenden  wissenschaftUchen  Entdeckung  verknüpft  ist, 
hilft  ungeheuer,  aber  oft  unbilUgerweise,  seinen  Ruf  künftigen 
Jahrhunderten  zu  erhalten.  Es  ist  bekannt,  daß  die  gleiche  Ent- 
deckung oft  gleichzeitig  und  völlig  unabhängig  von  verschiedenen 
Personen  gemacht  wird.  So  gibt  es,  um  nur  einige  Fälle  aus  den 
letzten  Jahren  hervorzuheben,  verschiedene  rivalisierende  Prä- 
tendenten, was  die  Entdeckung  der  Photographie,  der  elek- 
trischen Telegraphie  und  des  Planeten  Neptun  durch  die  theo- 
retischen Berechnungen  anbelangt.  Es  scheint  fast,  daß  Ent- 
deckungen gemacht  werden,  wenn  die  Zeit  für  sie  reif  ist,  mit 
anderen  Worten,  wenn  die  Gedanken,  aus  denen  sie  natürlicher- 
weise entspringen,  in  den  Köpfen  vieler  Menschen  gären.  Wenn 
die  Äpfel  reif  sind,  genügt  ein  unbedeutender  Anlaß,  um  zu  ent- 
scheiden, welcher  von  ihnen  als  erster  von  seinem  Stiel  fällt;  so 
bestimmt  auch  oft  ein  geringfügiges  Ereignis,  daß  ein  Wissen- 
schaftler als  erster  eine  neue  Entdeckung  macht  und  publiziert. 
Es  gibt  viele  Personen,  die  eine  große  Anzahl  origineller  Ab- 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  209 

Handlungen  geliefert  haben,  die  alle  von  einer  gewissen,  viele 
sogar  von  großer  Bedeutung  sind,  ohne  daß  eine  von  ihnen  von 
außerordentlicher  Wichtigkeit  sei.  Diese  Menschen  haben  das 
Talent,  auffallende  Entdeckungen  zu  machen,  aber  sie  hatten  nicht 
das  Glück  dazu.  Ihr  Werk  ist  wertvoll  und  bleibt,  aber  der  es 
geschaffen  hat,  wird  vergessen.  Einige  hervorragende  Natur- 
wissenschaftler und  Mathematiker  haben  sogar  ihre  originellen 
Talente  in  wenig  mehr  als  einem  kontinuierlichen  Strom  von 
nützlichen  Anregungen  und  Kritiken  gezeigt,  die  jede  für 
sich  genommen  zu  wenig  bedeutend  ist,  um  in  die  Geschichte 
der  Wissenschaft  aufgenommen  zu  werden,  die  aber  alle  zu- 
sammen genommen  eine  ansehnliche  Unterstützung  des  Fort- 
schritts der  Wissenschaft  bilden.  In  der  knappen  Geschichte 
der  einst  wohlbekannten  „Lunar  Society"  der  Mittelenglischen 
Grafschaften,  zu  deren  wichtigsten  Mitgliedern  Watt,  Boulton 
und  Darwin  zählen,  wird  häufig  auf  einen  Mann  angespielt,  von 
dem  heute  nichts  mehr  übrig  ist  als  der  Name,  der  aber  offenbar 
einen  sehr  großen  Einfluß  auf  das  Denken  seiner  Zeitgenossen 
hatte,  ich  meine  Dr.  Small.  Oder,  um  an  einen  jüngeren  Fall  an- 
zuknüpfen, ich  nehme  an,  daß  Dr.  Whewell  im  allgemeinen  in  die 
Klasse  G.  der  natürlichen  Befähigung  eingereiht  werden  wird. 
Seine  intellektuelle  Energie  war  wunderbar,  er  schrieb  unauf- 
hörlich, und  sein  Diskutiertalent  war  außerordentlich.  Auch 
wird  niemand  bezweifeln,  daß,  obgleich  der  Umkreis  seiner  Ar- 
beiten überaus  weit  und  verstreut  war,  Wissenschaft  in  der 
einen  oder  anderen  Weise  sein  Hauptberuf  war.  Sein  Ein- 
fluß auf  den  Fortschritt  der  Wissenschaft  war,  glaube  ich,  in 
der  ersten  Zeit  seines  Lebens  beträchtlich,  doch  ist  es 
unmöglich,  die  Einzelheiten  dieses  Einflusses  zu  charakteri- 
sieren oder  unsere  Meinung  zu  begründen,  daß  die  Nachwelt 
diesen  Einfluß  wahrscheinlich  anerkennen  wird.  Biographen 
werden  vergebens  nach  wichtigen  Entdeckungen  forschen,  mit 
denen  der  Name  Dr.  Whewells  künftig  identifiziert  werden 
könnte. 

Diesen  Betrachtungen  zufolge  ist  das  Gebiet  für  meine  Aus- 
wahl stark  beschränkt.  Ich  kann  nur  jene  Männer  der  Wissen- 
schaft aufnehmen,  die  einen  andauernden  Ruf  erlangt  haben 
oder  die  dem  gegenwärtigen  Geschlecht  in  anderer  Weise  be- 

Galton,  Genie  und  Vererbung.  14 


210 


Naturwissenschaftler  und  Tklathematiker. 


kannt  sind.    Ich  ging  bei  meiner  Auswahl  genau  so  wie  bei  den 
Literaten  vor,  indem  ich  aus  den  gewöhnlichen  biographischen 
Lexika  die  bedeutendsten  Namen  auswählte. 
Ich  bringe  jetzt  meine  gewöhnlichen  Tafeln. 

Tafel  I. 

Übersicht  über  die  Verwandten   von  65  Naturwissenschaftlern 
und  Mathematikern  in  43  Familien. 

Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie). 


Ampere 

Buckland 

Cavendish 

2.  Cuvier 

Davy 

Galilei 

Harvey 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  vier  in  der  Familie). 


s. 

2.  Hooker 

S. 

s. 

Humboldt 

B, 

gB. 

Linnaeus 

S. 

B. 

Plinius 

n 

B. 

Porta 

B 

V. 

2.   Stephenson 

S. 

Oe. 

Watt 

S. 

Aristoteles 

Buffon 

2.  Celsius 

Condorcet 

2.  Darwin 

2.  De  Candolle 

Euler 

Forbes 

Franklin 

Geoffroy 


V.  E.  OE. 

/.  s. 

S.  E. 

O.  2? 

2S.  E. 

V.  S. 

3S. 

/.  B. 

2  ES. 

B.  S, 


Haller 

2.  Herschel 

2.  Hunter 

Huyghens 

Leibniz 

Napier 


g.  S. 

h.  S 

B.  n.  '}i. 

V.  ß. 

g   V.  c. 

V.  s. 


3.  Newton  und  Huttons   2  o.  Ee. 
Oersted  B.  N. 

2.  Saussure  V.  S. 


Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der  Familie). 


Arago 

Bacon 

4.  Bernoulli 

Boyle 


3  B.  2  S. 

V.  V.  g.  oS.  2  B.  N. 

B.  3N.  3NS.  2  ? 

V.  V.  g.  2  OS.  OE.  4  B.  2  NS.  2  NE. 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 


211 


2.  Brodie 

3.  Cassini 
D'Alembert 

4.  Gmelin 
Gregory 
3.  Jussieu 


oS'.  oE.  S. 
G.  V.  S.  E. 
V.  o.  2  0,  S. 
V.  O.  OS.  s. 
g,  V.  gB.  B. 
3  0.  S. 


3N.  NS.  NS.  S.  2E.  ES.  2Ee. 


Tafel 

11') 

Verwan 

dtschaftsgrade 

A. 

B. 

C. 

D. 

Bezeichnung 
des  Grades 

Korrespondierende 
Buchstaben 

1   Vater 
Ö  1  Bruder 
S   Sohn 

4)   V 

11  V 

— 

— 

— 

11 

26 

100 

26 

20  B 

— 

— 

— 

20 

47 

150 

31 

26  S 

— 

— 

— 

26 

60 

100 

60 

.g  ^Großvater 
g   Onkel 
•j   Neffe 
^  lEnkel 

1  G 

5g 

— 

— 

6 

14 

200 

7 

5  0 

2  0 

— 

— 

7 

16 

400 

4 

8  N 

2  n 

— 

— 

10 

23 

400 

6 

6  E 

0  e 

— 

— 

6 

14 

200 

7 

^   Urgroßvater 

0  GV 

0  gv 

0  GV 

o^v 

0 

0 

400 

0 

TO   Großonkel 

0  GB 

2  gB 

0  GB 

O^B 

2 

5 

800 

06 

O  <  Cousin 

3  OS 

0  oS 

0  OS 

4  oS 

7 

16 

800 

2.0 

■«    Großneffe 

6  NS 

0  nS 

1  iVS 

ü  wS 

7 

16 

800 

20 

■°  lurenkel 

3  ES 

0  eS 

0  ES 

0  eS 

3 

7 

400 

2.7 

alle  entfernteren 
Verwandten 

— 

— 

— 

— 

10 

23 

— 

0.0 

Tafel  I  bestätigt  alles,  was  schon  aus  den  entsprechenden 
Tafeln  anderer  Gruppen  deduziert  wurde,  aber  die  Ziffern  in 
Tafel  II  bilden  eine  Ausnahme.  Wir  finden  eine  bemerkens- 
werte Abnahme  bei  V.  und  Q.,  während  S.  und  E.  sich  gleich  ge- 
blieben sind.  Wir  finden  auch,  obgleich  der  weibliche  Einfluß 
im  großen  Ganzen  wenig  von  den  vorhergehenden  Gruppen  ab- 
weicht, so  weit  es  sich  um  Verwandtschaft  ersten  Grades 
handelt. 

1  G  +  5O-|-8N-|-6E  =  20  Verwandte  durch  die  männliche  Linie 
5g-f-2o-j-2n-f0e=    9  Verwandte  durch  die  weibliche  Linie 


1)  s.  Tabelle  S.  61. 


14* 


212  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

und  bei  Verwandtschaft  zweiten  Grades 

0  GV  +  0  GB  +  3  OS  +  6  NS  +  3  ES  =  12  Verwandte  durch  die  männliche 

Linie 
0  pV  +  0  ^B  -f  4  oS  -f  0  nS  +  0  cS  =    4  Verwandte  durch  die  weibliche 
Linie. 

Im  Ganzen  32  Individuen  durch  die  männUche  und  13  durch 
die  weibHche  Linie. 

Untersuchen  wir  jedoch  die  Liste  der  engeren  Verwandten, 
so  kommen  wir  zu  anderen  Schlüssen  und  werden  finden,  daß  der 
mütterliche  Einfluß  ungewöhnlich  stark  ist.  So  finden  wir  5  g. 
gegen  1  G.,  und  in  acht  Fällen  von  den  dreiundvierzig  war  von 
beiden  Eltern  die  Mutter  befähigter.  So  war  es  bei  der  Mutter 
Bacons  (man  erinnere  sich  auch  seiner  vier  Tanten  väterlicher- 
seits), so  bei  der  Mutter  Buffons,  Condorcets,  Cuviers,  d'Alem- 
berts,  Forbes,  Gregorys  und  Watts.  Sowohl  Brodie  als  Jussieu 
hatten  bemerkenswerte  Großmütter.  Die  hervorragenden  Ver- 
wandten Newtons  hingen  durch  die  weibHche  Linie  mit  ihm  zu- 
sammen. 

Es  scheint  daher  in  den  exakten  Wissenschaften  für  einen  Men- 
schen sehr  wichtig  zu  sein,  eine  befähigte  Mutter  zu  haben.  Ich 
glaube,  der  Grund  ist  der,  daß  ein  Kind  unter  diesen  Umständen 
das  Glück  hat,  von  den  gewöhnlich  verengenden  parteiischen  Ein- 
flüssen der  häuslichen  Erziehung  befreit  zu  sein.  Unsere  Rasse  ist 
außerordentlich  sklavisch;  es  liegt  in  unserer  aller  Natur,  eher  blind 
an  das  zu  glauben,  was  wir  lieben,  als  an  das,  was  uns  weiser 
dünkt.  Wir  sind  geneigt,  eine  ehrliche,  unverzagte  Erstrebung 
der  Wahrheit  als  etwas  Unehrerbietiges  zu  betrachten.  Wir  sind 
empört,  wenn  andere  unsere  Ideale  unter  die  Lupe  nehmen  und 
sie  straflos  kritisieren,  genau  so  wie  ein  Wilder  zu  den  Waffen 
stürzt,  wenn  ein  Missionär  seinen  Fetisch  in  Stücke  schlägt.  Die 
Frauen  sind  durch  diese  Gefühle  noch  mehr  beeinflußt  als  die 
Männer,  sie  sind  noch  bhndere  Anhänger,  sie  sind  auch  noch  skla- 
vischere Diener  der  Gewohnheit.  Glücklich  die  Menschen,  deren 
sklavische  Neigungen  nicht  in  der  Kindheit  von  der  Mutter  durch 
die  gewöhnlichen  Phrasen  verstärkt  werden:  „Frage  nicht  nach 
diesem  oder  jenem,  denn  es  ist  Unrecht,  zu  zweifeln."  Glücklich 
die  Menschen,  denen  die  Mutter  durch  Beispiel  und  Belehrung  zeigt, 
daß  die  Untersuchung  vollkommen  frei  sein  kann,  ohne  unehr- 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  213 

erbietig  zu  sein,  daß  Ehrfurcht  vor  der  Wahrheit  die  Mutter  der 
freien  Untersuchung  ist  und  daß  Gleichgültigkeit  oder  Unaufrich- 
tigkeit  im  Streben  nach  der  Wahrheit  eine  der  niedrigsten  Sünden 
ist.  Es  ist  klar,  daß  ein  Kind,  das  unter  den  letztbeschriebenen 
Umständen  erzogen  wird,  viel  geeigneter  ist,  in  der  Wissenschaft 
Erfolg  zu  haben,  als  eines,  das  unter  der  Last  dogmatischer  Autori- 
täten heranwächst.  Von  zwei  gleichbefähigten  Männern  wird 
derjenige,  der  eine  wahrheitshebende  Mutter,  hat,  geeigneter  sein, 
den  Weg  der  Wissenschaft  zu  gehen,  während  der  andere,  wenn 
er  unter  außerordentUch  verengenden  Umständen  erzogen  wird, 
wie  die  begabten  Kinder  in  China,  nichts  Besseres  werden  wird 
als  ein  Student  oder  ein  Professor  irgend  einer  toten  Literatur. 
Es  ist,  glaube  ich,  eine  Folge  der  günstigen  Bedingungen, 
ihrer  frühen  Erziehung,  daß  ein  so  ungewöhnlich  großer  Teil 
der  Söhne  der  begabtesten  Männer  der  Wissenschaft,  sich  in 
dem  gleichen  Zweige  der  Wissenschaft  auszeichnen.  Sie  sind 
auferzogen  in  einer  Atmosphäre  der  freien  Untersuchung.  Und 
da  sie,  einmal  größer  geworden,  merken,  daß  Myriaden  von 
Problemen  vor  ihnen  liegen,  die  nur  darauf  warten,  daß  ein 
mäßig  begabter  Mensch  die  Mühe  auf  sich  nimmt,  an  ihre  Lösung 
zu  gehen,  so  werfen  sie  sich  mit  Eifer  auf  ein  Arbeitsfeld,  das  so 
besonders  lockend  ist.  Tatsächlich  ist  und  war  es  merkwürdig 
vernachlässigt.  Auf  hundert,  die  Bücher  befragen,  kommt  einer, 
der  sich  direkt  an  die  Natur  wendet,  auf  hundert  Kommentatoren 
ein  origineller  Kopf,  der  selbständig  untersucht.  Das  Feld  der 
wahren  Wissenschaft  leidet  unter  einem  schmerzlichen  Mangel 
an  Arbeitern.  Die  Masse  der  Menschheit  schleppt  sich  müh- 
selig dahin,  die  Augen  auf  die  Fußspuren  der  Generationen  ge- 
heftet, die  ihnen  vorangingen,  zu  gleichgültig  oder  zu  furchtsam, 
ihren  Blick  zu  erheben,  um  selbst  zu  beurteilen,  ob  der  Weg, 
auf  dem  sie  ziehen,  der  beste  ist,  oder  um  die  Bedingungen  zu 
studieren,  von  denen  sie  umringt  und  beeinflußt  sind.  Wenn 
wir  unter  diesem  Gesichtspunkt  die  hervorragenden  Söhne  von 
Naturwissenschaftlern  und  Mathematikern  betrachten,  so  finden 
wir  unter  sechsundzwanzig  nur  vier,  deren  hervorragende  Be- 
deutung auf  einem  anderen  Gebiete  als  dem  der  Naturwissen- 
schaft lag.  Es  sind  dies  die  beiden  Politik  treibenden  Söhne 
Aragos  (er  selbst  war  Politiker),  der  Sohn  von  Haller  und  der 
Sohn  von  Napier. 


214  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

Wie  ich  schon  vorher  sagte,  waren  die  Väter  der  befähigsten 
Männer  der  exakten  Wissenschaften  selbst  nicht  in  ihnen  tätig.  Die 
Väter  von  Cassini  und  Qmehn  trieben  selbst  exakte  Wissen- 
schaften, in  einem  geringeren  Grade  taten  es  auch  die  von  Huyg- 
hens,  Napier  und  de  Saussure,  aber  die  übrigen,  nämlich  die 
Väter  von  Bacon,  Boyle,  de  Candolle,  Galilei  und  Leibniz  waren 
entweder  Politiker  oder  Literaten. 

Was  die  Mathematiker  anlangt,  so  hätte  man  eine  noch 
größere  Zahl  von  hervorragenden  Verwandten  bei  ihnen  er- 
warten können,  da  unter  ihnen  selbst  eine  Reihe  von  Individuen 
vorhanden  ist,  die  außerordentliche  natürliche  Gaben  aufweisen. 
In  meinem  Anhang  finden  sich  verschiedene  Mathematiker,  beson- 
ders die  Famihe  Bernoulli,  aber  die  Namen  von  Pascal,  Laplace, 
Gauss  und  anderer  aus  der  Klasse  G  oder  selbst  X  fehlen.  Wir 
hätten  in  gleicher  Weise  erwarten  können,  daß  die  „Senior 
wranglers"  von  Cambridge  viele  beachtenswerte  Beispiele  ver- 
erbter Fähigkeiten  in  verschiedenen  Berufen  darbieten  würden, 
aber  allgemein  gesprochen,  scheint  es  nicht  der  Fall  zu  sein. 
Ich  kenne  verschiedene  Beispiele,  wo  der  senior  wrangler  selbst 
ein  hervorragender  Mann  von  mathematischer  Begabung  ist,  wie 
Sir  William  Thomson  und  Mr.  Archibald  Smith,  die  mit  anderen 
Mathematikern  oder  Naturwissenschaftlern  verwandt  sind, 
aber  ich  kenne  nur  wenig  „senior  wranglers",  deren  Verwandte 
hervorragende  Bedeutung  auf  anderen  Gebieten  hatten.  Unter 
diesen  Ausnahmen  ist  Sir  John  Lefevre,  dessen  Brüder  der  Ex- 
Vorsitzende, Viscount  Eversley  und  dessen  Sohn  der  gegen- 
wärtige Vize  -  Präsident  des  Handelsministeriums  ist  und  Sir 
F.  Pollock,  den  ex  -  Chief  Baron,  dessen  Verwandte  unter  den 
„Judges"  beschrieben  sind.  Die  Seltenheit  solcher  Verwandt- 
schaftsbeziehungen erkläre  ich  mir  folgendermaßen.  Ein  Mensch, 
der  abstrakten  Ideen  nachhängt,  wird  wahrscheinlich  keinen  Er- 
folg in  der  Welt  erringen,  es  sei  denn,  er  sei  ganz  besonders 
hervorragend  auf  seinem  speziellen  Gebiet  intellektueller  An- 
strengung. Können  die  mehr  mäßig  begabten  Verwandten  eines 
großen  Mathematikers  Gesetze  entdecken,  dann  ist  es  gut  und 
recht;  verbringt  er  aber  seine  Tage  damit,  sich  den  Kopf  über 
Problemen  zu  zerbrechen,  die  zu  unbedeutend  sind,  um  prak- 
tische oder  theoretische  Wichtigkeit  zu  erlangen,  oder  geht  er 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  215 

an  Probleme,  deren  Lösung  ihm  zu  schwer  ist,  oder  liest  er  ein- 
fach nur,  was  andere  Leute  geschrieben  haben,  so  macht  er  seinen 
Weg  überhaupt  nicht  und  hinterläßt  keinen  Namen.  Für  die 
Menschen,  die  sich  mit  der  reinen  Abstraktion  befassen,  gibt  es 
weniger  jener  zahlreichen  Zwischenstadien  zwischen  hervor- 
ragender Bedeutung  und  mäßiger  Begabung  als  für  jene,  deren 
Interessen  sozialer  Art  sind. 

Anhang 

zu  dem  Kapitel  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

Wie  in  dem  vorhergehenden  Kapitel,  so  habe  ich  mich  auch 
hier  auf  die  Namen  beschränkt,  die  in  biographischen  Kollekta- 
neen  am  meisten  hervorstechen  oder  die  mir  auf  irgend  eine  an- 
dere Weise  von  selber  über  den  Weg  kamen.  Ich  füge  noch  die 
Namen  jener  hinzu,  deren  Biographien  ich  gleichfalls  untersucht 
habe,  die  aber  keine  Verwandten  von  auffallenden  Fähigkeiten 
gehabt  zu  haben  scheinen.  Es  sind  ihrer  achtzehn,  und  zwar  die 
folgenden:  Bacon,  Roger;  BerzeHus;  Blumenbach,  Brahe,  Tycho; 
Bramah;  Brewster;  Brown,  Robert;  Copernicus;  Qalen;  Qalvani; 
Quericke;  Hooke;  Kepler;  Priestley;  Reaumur;  Graf  Rumford; 
Whewell;  Dr.  Young. 

Ampere,  Andre  Marie  (1775—1836,  starb  mit  61  Jahren),  ein  her- 
vorragender Forscher  in  den  exakten  Wissenschaften;  war 
tätig  auf  dem  Gebiete  der  Mathematik,  der  Elektrizitäts- 
lehre und  der  Philologie.  Er  war  ein  völliger  Autodidakt, 
denn  seine  Eltern  waren  in  dürftigen  Verhältnissen. 
Schon  in  früher  Knabenzeit  las  er  gierig  und  zeigte  ein 
treues  Gedächtnis.  Er  war  mit  großer  Geisteskraft  aus- 
gestattet, die  von  einem  sehr  scheuen  und  sensitiven  Cha- 
rakter begleitet  war.  So  wurde  er,  obgleich  sein  Talent 
ein  universales  war,  in  seinem  späteren  Leben  äußerst 
sonderbar,  und  seine  Schüler  trieben  ihren  Spaß  mit  ihm. 
Es  mangelte  ihm  nach  jeder  Richtung  an  Beharrlichkeit, 
er  ging  immer  wieder  auf  Neues  los.  Arago  meinte,  die 
Disziplin  einer  öffentlichen  Schule  würde  einen  sehr  heil- 
samen Einfluß  auf  seinen  Charakter  gehabt  haben. 
S.  Jean  Jacques,  Historiker  und  Literat  von  beträchtlich  her- 
vorragender  Bedeutung  und   Originalität.     Wurde   von 


216  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

seinem  Vater  erzogen,  der  ihm  völlige  Freiheit  Heß,  dem 
Zug  seines  Talents  zu  folgen.  Er  reiste  viel  und  stets  mit 
literarischen  und  wissenschaftlichen  Resultaten.  War 
Professor  der  modernen  französischen  Geschichte  am 
College  de  France. 
Arago,  Dominique  Frangois;  Mathematiker  und  Astronom.  Schrieb 
über  viele  wissenschaftliche  Materien;  war  auch 
Politiker,  und  zwar  strenger  Republikaner.  Als  Knabe 
machte  er  große  Fortschritte  in  der  Mathematik,  wobei 
ihn  fast  niemand  unterwies.  Mit  23  Jahren  war  er  Mit- 
glied der  Akademie.  Er  hatte  ein  gut  Teil  von  Schroff- 
heit in  seinem  Wesen  und  viel  Anmaßung.  Seine  drei 
Brüder  zeichneten  sich  in  ihren  verschiedenen  Berufen 
folgendermaßen  aus: 

B.  Jean,  wegen  einer  ungerechten  Anklage  aus  Frankreich 
vertrieben,  wurde  ein  bekannter  General  in  mexikani- 
schen Diensten,  und  leistete  diesem  Lande  große  Dienste 
während  seines  Befreiungskrieges. 

B.  Jacques,  Reisender,  Künstler  und  Schriftsteller.  Er  führte 
ein  rastloses  Wanderleben  und  war  ein  Mensch  von 
großer  Energie,  literarischem  Talent  und  Produktivität. 

B.  Etienne,  dramatischer  Autor  von  beträchtlichem  Ruf  und 
ein  äußerst  fruchtbarer  Schriftsteller,  war  ein  lustiger  Re- 
pubhkaner.  Er  bekleidete  ein  Amt  unter  der  pro- 
visorischen Regierung  von  1848,  wurde  unter  Napoleon  III. 
verbannt. 

S.  Emanuel,  Advokat,  wurde  in  dem  frühen  Alter  von 
34  Jahren  zum  „membre  du  conseil  de  l'ordre"  gewählt; 
Politiker  und  heftiger  Republikaner.  Er  nahm  an  der  Re- 
volution von  1848  hervorragenden  Anteil,  wurde  aber 
nach  dem  Staatsstreich  zum  Schweigen  gezwungen. 

S.  Alfred,  ein  Maler,  General-Inspektor  der  schönen  Künste. 
Aristoteles,  Begründer  der  peripatetischen  Schule,  von  den  hervor- 
ragendsten Fähigkeiten  in  den  Naturwissenschaften  und 
der  Philosophie,  Lehrer  Alexanders  des  Großen.  Er  schloß 
sich  Piatos  Akademie  an,  der  ihn  mit  17  Jahren  „den  Intel- 
lekt der  Schule"  nannte.  Er  hatte  eine  schwache  Gesund- 
heit, aber  einen  wunderbaren  Fleiß.     Er  war  rastlos,  er 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  217 

lehrte  im  Qehen,  daher  der  Name  Peripatetische  Schule. 
War  in  seiner  Kleidung  wählerisch.  War  begütert,  verlor 
seine  Eltern  in  frühem  Alter. 

V.  Nicomachus,  Freund  und  Arzt  des  Königs  Amyntas  II. 
von  Mazedonien;  schrieb  seither  verlorene  Werke  über 
Medizin  und  Naturwissenschaften. 

E.  Nicomachus.  Nach  Cicero  wurde  er  von  einigen  Per- 
sonen für  den  Autor  der  „Nicomachischen  Ethik"  gehal- 
ten, die  im  allgemeinen  Aristoteles  zugeschrieben  wird. 
Oe.  (?  über  das  O  herrschen  Zweifel.)  Callisthenes,  der 
Philosoph,  der  Alexander  den  Großen  nach  dem  Osten 
begleitete,  ein  unbedachtsamer  Mann,  dem  es  an  Takt 
fehlte,  aber  im  übrigen  befähigt.  Seine  Mutter,  Hero, 
war  Aristoteles  Kousine. 
Bacon,  Francis,  ernannt  zum  Lord  Bacon,  Lord  Chancellor.  „Der 
weiseste,  glänzendste,  niederträchtigste  unter  den  Men- 
schen" lautet  eine  zu  harte  Sentenz  über  diesen  überaus 
berühmten  Philosophen  und  Staatsmann.  Seine  natür- 
lichen Gaben  ergeben  sich  durch  eine  einfache  Addition 
derjenigen  seiner  Mutter  und  derjenigen  seines  Vaters. 
Es  ist  zweifelhaft,  ob  er  sehr  frühreif  war  oder  nicht, 
doch  ist  es  Tatsache,  da  die  Königin  Elisabeth  sich  an  sei- 
nem knabenhaften  Witz,  seinem  Ernst  und  seinem  Urteil 
ergötzte. 

V.  Sir  Nicholas  Bacon,  Lord  Siegelbev/ahrer.  Er  war  der 
erste  Siegelbewahrer,  der  im  Rang  einem  Lord  Chan- 
cellor gleichstand.  Er  war  ein  ernster,  stattlicher  Mann, 
liebte  die  Wissenschaft,  die  Gärtnerei  und  den  Hausbau. 
In  all  diesen  Dingen  glich  sein  Sohn  ihm  vollkommen, 
er  heiratete  zweimal. 

V.  Anne  Cooke,  Mitglied  einer  ungemein  begabten  Familie 
und  sie  selbst  eine  Gelehrte  von  nicht  gewöhnlichem 
Ruf.  Hervorragend  durch  Frömmigkeit,  Tugend  und 
Gelahrtheit.  In  Griechisch  und  Latein  außerordentlich  be- 
wandert. 
(^0.)  Die  vier  Schwestern  seiner  Mutter,  von  denen  stets  in 
den  Ausdrücken  des  höchsten  Lobes  gesprochen  wird. 

g.    Sir  Anthony  Cooke  wird  von  Camden  beschrieben  als 


218  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

„vir  antiqua  serenitate".  Lloyd  (State  Worthies)  sagt: 
„Die  Contemplation  war  seine  Seele,  Abgeschiedenheit 
sein  Leben  und  gelehrte  Unterredung  sein  Element." 
Lord  Seymour,  der  dabei  war,  als  er  seinen  Sohn  tadelte, 
bemerkte:  „Manche  Männer  beherrschen  ihre  Familie 
mit  mehr  Kunst,  als  andere  Königreiche"  und  empfahl  ihn 
hierauf  Eduard  VI.  zur  Erziehung  seines  jungen  Neffen. 
„So  eindrucksvoll  war  die  Majestät  seines  Blicks  und 
seines  Ganges,  daß  sie  seiner  Familie  Scheu  einflößten, 
derart  sein  Verstand  und  seine  Liebenswürdigkeit,  daß 
seine  ganze  Familie  zur  Liebe  gezwungen  war;  eine 
Familie,  die  gleich  ängstlich  war,  einem  so  guten  Verstand 
zu  mißfallen,  und  einen  so  großen  zu  beleidigen."  Er 
lehrte  seine  Töchter  alles  Wissen  seiner  Zeit.  Es  tut 
mir  sehr  leid,  daß  es  mir  nicht  gelungen  ist,  irgend  etwas 
über  Sir  Anthonys  Ahnen  oder  seiner  Seitenverwandten  z« 
erfahren. 

oS.  Cecil,  erster  Earl  von  SaHsbury,  hervorragender  Minister 
unter  Elisabeth  und  Jakob  I.  Sein  Vater  war  der  große 
Lord  Burleigh. 

B.  Anthony,  hatte  eine  schwächliche  Gesundheit,  doch  eine« 
beträchtlichen  Teil  des  intellektuellen  Talents,  das  diese 
bemerkenswerte  Familie  auszeichnete. 

B.  (aber  von  einer  andern  Mutter.)  Sir  Nathaniel,  Baronet, 
ein  Mann  von  seltenen  Anlagen  und  einem  edlen  Cha- 
rakter. Er  war  ein  sehr  guter  Maler.  Walpole  sagt  von 
ihm,  er  habe  „wirklich  die  Vollkommenheit  eines  Mei- 
sters erlangt."  Peacham  in  seiner  „Graphicae"  sagt: 
„Niemand  gebührt  meiner  Ansicht  nach  mehr  Respekt 
und  Bewunderung  wegen  seiner  Geschicklichkeit  und 
seiner  Erfahrung  im  Malen,  als  Meister  Nathaniel  Bacon 
von  Brome  in  Suffolk,  der  meinem  Urteil  nach  nicht 
hinter  unseren  geschicktesten  Meistern  zurücksteht." 

B.  (Von  den  gleichen  Eltern  wie  oben.)  Sir  Nathaniel  von 
Stivekey.  Als  er  22  Jahre  alt  war  (Lord  Bacon  zählte 
damals  7),  sagte  sein  Vater  von  ihm:  „In  der  Tat,  von 
all'  meinen  Kindern,  gibt  er  beim  Studium  die  besten 
Hoffnungen." 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  219 

N.  (Sohn  eines  andern  Bruders.)  Nathaniel,  Altertums- 
forscher, Archivar  von  Bury  und  Admiralty  Judge.  War 
Parlamentsmitglied  für  Cambridge  und  ein  standhafter 
Repubhkaner. 
Bernoulli,  Jakob.  Der  erste,  der  den  Ruhm  in  eine  Schweizer 
Familie  brachte,  die  später  eine  außerordentUche  Anzahl 
hervorragender  Mathematiker  und  Naturwissenschaftler 
umschloß.  Sie  waren  meist  zänkisch  und  unHebens- 
würdig.  Viele  von  ihnen  waren  langlebig.  Drei  von 
ihnen  überschritten  ihr  achtzigstes  Lebensjahr.  Jakob 
war  für  die  Kirche  bestimmt,  widmete  sich  aber  früh 
der  Mathematik,  in  welche  er  zufällig  eingeführt  worden 
war.  Er  hatte  ein  gaUiges  melancholisches  Tempera- 
ment. War  sicher,  aber  langsam.  Er  unterrichtete  sei- 
nen Bruder  Johann,  behielt  ihm  gegenüber  aber  zu  lange 
einen  Ton  der  Überlegenheit,  woraus  Streit  und  RivaUtät 
erfolgte.  Jakob  war,  was  seine  Originalität  und  sein 
Talent  anlangt,  ein  Mathematiker  der  höchsten  Art.  Mit- 
glied der  Französischen  Akademie. 

B.  Johann,  für  den  Handel  bestimmt,  wandte  sich  aber  der 
Physik  und  Chemie  zu.  Mitglieder  der  Französischen 
Akademie.  („Eloge  von  d'Alembert")  Er  war  der  Ahn- 
herr der  fünf  folgenden: 

N.  Nikolaus,  starb  mit  31  Jahren,  war  gleichfalls  ein  großes 
mathematisches  Genie.  Starb  in  Petersburg,  wo  er  eine 
der  Hauptzierden  der  damals  noch  jungen  Akademie  war. 

N.  Daniel,  Physiker,  Botaniker  und  Anatom,  schrieb  über 
Hydrodynamik;  sehr  frühreif.  Erhielt  zehn  Preise,  um 
einen  hatte  sich  auch  sein  Vater  beworben.  Dieser  vergab 
ihm  nie  diesen  Erfolg.  Mitglied  der  Französischen 
Akademie.  (Condorcet's  „Eloge".). 
N.  Johann,  Rechtsgelehrter,  Mathematiker  und  Physiker.  Er- 
hielt drei  Preise  der  Akademie,  deren  Mitglied  er  war. 
Professor  der  Rhetorik  und  Redner.  Wäre  ein  großer 
Mathematiker  geworden,  wenn  er  die  Redekunst  nicht 
mehr  geliebt  hätte.  Er  war  für  den  Handel  bestimmt, 
haßte  ihn  aber.    (D'Alembert  „Eloge".) 


320  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

NS.    Johann,  Astronom,  Mathematiker  und  Philosoph,    Schrieb 
viele  Werke  und  reiste  ein  wenig. 

NS.    Jakob,    Physiker    und    Mathematiker,    ertrank    mit    30 
Jahren  beim  Baden. 

NS.    Nikolaus    (Sohn    eines    dritten    Bruders),    Mathematiker, 
Mitglied  der  Französischen  Akademie. 

Es  gibt  noch  zwei  andere  Nachkommen  dieser  Fa- 
milie, doch  ist  mir  der  genaue  Grad  der  Verwandtschafts- 
beziehung unbekannt. 
(?)  Christoph  (1782—1863),  Professor  der  Naturgeschichte  an 
der  Universität  Basel,  Autor  vieler  Werke  aus  dem  Ge- 
biete der  Naturwissenschaften  und  der  Statistik. 
(?)  Jerome  (1745—1829),  trieb  einen  Apothekerhandel,  hatte 
aber  eine  Leidenschaft  für  die  Naturgeschichte  und  hatte 
schon  mit  20  Jahren  eine  beträchtliche  mineralogische 
Sammlung  zusammengestellt,  die  er  immer  mehr  ver- 
größerte, bis  sie  eine  der  vollständigsten  der  Schweiz 
wurde. 


Jakob  Johann 


Nikolaus  Daniel  Johann  Nikolaus 


Johann  Jakob 


Boyle,  Hon.  Robert,  „Der  christliche  Philosoph".  Hervorragend 
in  Naturwissenschaften,  namentlich  in  Chemie;  ein  Qe- 
lehrter  und  Theologe.  Er  hat  auch  als  religiöser  Staats- 
mann Bedeutung,  infolge  seiner  Bemühungen  das  Christen- 
tum unter  den  Eingeborenen  Indiens  und  Nordamerikas 
zu  verbreiten.  Er  war  der  siebente  Sohn  und  das  vier- 
zehnte Kind  seiner  Eltern.  War  scheu  und  zerstreut  und 
wies  standhaft  die  zahlreichen  Anerbietungen  auf  Beför- 
derung zurück,  die  ihm  aufgedrängt  wurden.  Er  ge- 
hörte einer  sehr  ehrenwerten  Familie  an,  deren  Stamm- 
baum ich  gebe  (s.  Seite  221). 


222  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

V.  Richard,  erster  Earl  von  Cork,  gewöhnlich  der  große 
Earl  genannt,  Lord-Schatzkanzler  von  Irland.  Zeichnete 
sich  während  der  großen  Revolution  durch  seine  Energie 
und  militärischen  Eifer  aus.  Er  machte  ein  großes  Ver- 
mögen, indem  er  seine  irischen  Besitzungen  mehorierte. 
V.  Catherine.  „Die  Krone  all  meines  (des  Earls)  Glücks  .  . 
Rehgiös,  tugendhaft,  liebreich,  die  glückHche  Mutter  all 
meiner  hoffnungsvollen  Kinder." 
g.    Sir  Qeoffrey  Fenton,  Erster  Staatssekretär  für  Irland. 

OS.    Michael  Boyle,  Bischof  von  Waterford. 

OS.    Richard  Boyle,  Erzbischof  von  Tuam. 

OE.  Michael  Boyle,  Erzbischof  von  Armagh  und  Lord  Chan- 
cellor  von  Irland. 

4B.  machten  alle  ihre  Sache  gut,  heirateten  alle  günstig. 
Einer  erbte  den  Titel,  die  andern  wurden  zuPairs  ernannt. 
Der  hervorragendste  unter  ihnen  ist  Roger,  erster  Earl 
von  Orrery,  militärischer  Kommandant  unter  Cromwell 
in  Irland,  später  im  Dienst  der  Restauration  unter  Karl  IL, 
der  ihn  adelte.  Die  Chancellorwürde  wurde  ihm  ange- 
boten, doch  lehnte  er  sie  ab. 
(?  b.)  Auch  sieben  Schwestern  heirateten  Pairs,  und  nach  den 
allgemeinen  Berichten  über  die  Familie  nehme  ich  an, 
daß  einige  von  ihnen  beträchtliche  Verdienste  gehabt 
haben  müssen.    Die  Details  fehlen. 

NS.  Chas.  Boyle,  vierter  Earl  Orrery;  Gelehrter  („Episteln 
von  Phalaris",  Relig.  Streitschr.),  Diplomat.  Das  astrono- 
mische Instrument  „Orrery"  wurde  von  seinem  dank- 
baren Entdecker  nach  ihm  genannt. 

NS.  Henry  Boyle,  erster  Earl  von  Shannon,  Vorsitzender 
des  Hauses  der  Gemeinen  in  Irland  und  Schatzkanzler 
daselbst. 

NE.  Richard  Boyle,  vierter  Earl  von  Cork,  förderte  die  schö- 
nen Künste,  ein  Freund  Popes. 

NE.  (aber  von  einem  andern  Bruder  des  Philosophen  ab- 
stammend.) John  Boyle,  fünfter  Earl  von  Cork,  der 
Freund  Swifts. 
Brodie,  Sir  Benjamin,  Baronet;  hervorragender  Chirurg,  Prä- 
sident der  Royal  Society.  Die  folgenden  Verwandten 
sind  seiner  Autobiographie  entnommen. 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  22H 

(G)  „Hatte  den  Ruf,  eine  Person  von  sehr  beträchtlichen  Fä- 
higkeiten zu  sein  und  habe  ich  früher  einige  ihrer  Manu- 
skripte gesehen,  die  zu  beweisen  schienen,  daß  dies  tat- 
sächhch  der  Fall  war." 
(F)  „War  durchaus  bemerkenswert  wegen  seiner  Talente 
und  Kenntnisse.  Kannte  die  allgemeine  Literatur  gut  und 
war  ein  ausgezeichneter  Kenner  des  Griechischen  und 
Lateinischen  ...  Er  besaß  sehr  viel  Energie  und  Emsig- 
keit aber  ...  Ich  kann  nicht  daran  zweifeln,  daß  er 
ein  enttäuschter  Mensch  war."  (Auf  dem  Gebiet  der 
Politik.)  Er  widmete  sich  Qemeindeangelegenheiten  und 
gewann  einen  beträchtlichen  lokalen  Einfluß. 
(B.)  „Mein  ältester  Bruder  wurde  Jurist  und  hat  in  seinem 
Beruf  den  höchsten  Platz  als  ,Conveyancing-Barrister' 
erreicht." 
oS.    Lord  Denman,  der  Lord  Chief  Justice  (s.  unter  Judges.). 

(Sein  Vater  war  ein  hervorragender  Arzt.) 
oE.    George  Denman,  Q.  C.  Parlamentsmitglied,  war  1842  der 
erste  in  klassischen  Studien  in  Cambridge, 
s.    Sir   Benjamin  Brodie,   zweiter   Baronet,   Professor   der 
Chemie  in  Oxford. 
Buckland,  William,  Dr.  der  Theologie,  Dekan  von  Westminster, 
hervorragender  Geologe. 
S.    Frank  Buckland,  Naturforscher.     Wohlbekannter  popu- 
lärer Schriftsteller  der  Naturgeschichte,  namentlich  auf 
dem  Gebiet  der  Fischzucht. 
Buffon,  G.  L.  Graf  von,  Naturforscher.    „Majestate  naturae  par 
Ingenium".   Die  Natur  gab  ihm  jeden  Vorteil  an  Gestalt, 
Haltung,  Gesichtszügen,  Kraft  und  allgemeiner  Energie. 
Voltaire  sagte  von  ihm  „le  corps  d'un    athlete  et  l  äme 
d'un  sage."    Er  sollte  zuerst  Jurist  werden,  hatte  aber 
einen    unwiderstehlichen    Hang    zu    den    Naturwissen- 
schaften, erst  zur  Physik  und  Mathematik  und  schließ- 
Hch  zur  Zoologie. 
f.    Er  sagte,  daß  er  seine  Eigenschaften  von  ihr  habe.   Er 

sprach  stets  mit  großer  Liebe  von  seiner  Mutter, 
s.    Seine  Fähigkeiten  waren  beträchtUch   und  seine  Liebe 
zum  Vater  außerordentlich.     Er   wurde   als  Aristokrat 
guillotiniert. 


224  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

Cassini,  Jean  Dominique.  (1625—1712,  starb  mit  87  Jahren.)  Ge- 
feierter italienischer  Astronom,  dessen  Name  hauptsäch- 
lich mit  der  Entdeckung  der  SatelHten  des  Saturn,  den 
Rotationen  der  Planeten  um  ihre  Achsen  und  dem  Zodia- 
kallicht  verknüpft  ist.  Er  hatte  zu  seiner  Zeit  einen  un- 
geheuren Ruf.  Durch  das  Anerbieten  einer  Pension  ver- 
anlaßte  ihn  Colbert,  sich  in  Frankreich  niederzulassen 
und  sich  als  Franzose  zu  naturahsieren.  Er  gründete 
das  Observatorium  von  Paris.  Er  war  von  starker  Kon- 
stitution, hatte  ein  ruhiges  Temperament  und  war  reli- 
giös. War  der  erste  einer  Familie  von  einer  bemerkens- 
werten Reihe  langlebiger  Astronomen. 
S.  Jacques  Cassini  (1677—1756,  starb  mit  79  Jahren).  Ver- 
fasser der  „Theorien  über  die  Qestalt  der  Erde",  folgte 
seinem  Vater  in  der  Französischen  Akademie. 
E.  Cesar  F.  Cassini  de  Thury 
ES.  I     „ }       s.  unten. 


PP   I     Seine  Nachkommen 

Cassini  de  Thury,  Cesar  Frangois  (1714—1784),  starb  mit  70 
Jahren),  zeigte  frühe  Fähigkeiten  für  die  Astronomie. 
Wurde  mit  22  Jahren  in  die  Akademie  aufgenommen.  War 
der  Urheber  der  Regierungsvermessungen  in  Frank- 
reich, veröffentlichte  viele  wissenschaftliche  Schriften. 

Q.    Jean  Dominique  Cassini     \   ^  ^^^^ 

V.    Jacques    Cassini  I 

S.  Jacques  Dominique  (1747—1845,  starb  mit  98  Jahren)  folgte 
seinem  Vater  als  Direktor  des  Observatoriums  und  voll- 
endete die  „Carte  Topographique  de  la  France". 

E.  Alex.  Henri  Gabriel  (1781—1832,  starb  mit  51  Jahren) 
liebte  leidenschaftlich  Naturgeschichte,  hatte  keinen  Ge- 
schmack für  Astronomie;  schrieb  „Opuscules  Philolo- 
giques",  war  Mitghed  der  Akademie.  Er  war  Jurist, 
Präsident  des  Cour  Royale  in  Paris  und  Pair  von  Frank- 
reich; starb  frühzeitig  an  der  Cholera. 
Cavendish,  Hon.  Henry  (1731—1810,  starb  mit  79  Jahren),  ge- 
feierter Chemiker.  Begründer  der  Chemie  der  Luft. 
gB.    William  Lord  Russell;  Patriot  wurde  1683  hingerichtet. 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  225 

Celsius,  Olaus,  ein  schwedischer  Botaniker,  Theologe  und 
OrientaHst.  Er  wird  als  der  Begründer  des  Studiums 
der  Naturgeschichte  in  Schweden  betrachtet,  war  der 
Lehrer  und  Gönner  von  Linne.  Er  schrieb  über  die 
Pflanzen,  die  in  der  Schrift  erwähnt  werden,  war  Pro- 
fessor der  Theologie  und  der  orientalischen  Sprachen 
in  Upsala,  starb  mit  86  Jahren, 

S.  Magnus  Nikolaus  Celsius,  Mathematiker  und  Botaniker, 
Professor  in  Upsala. 

E.  Anders  Celsius,  Astronom.  Er  war  der  erste,  der  die 
hundertteilige  Skala  des  Thermometers  einführte.  Pro- 
fessor in  Upsala,  starb  mit  43  Jahren. 
Condorcet,  Jean  Caritat,  Marquis  de;  Sekretär  der  Französischen 
Akademie.  Schrieb  über  Moral  und  Politik.  In  mathe- 
matischen Studien  war  er  frühzeitig  entwickelt  und  hatte 
eine  unersättliche  und  universelle  Wißbegierde.  Er  war 
Ideen  gegenüber  sehr  rezeptiv,  aber  nicht  in  gleichem 
Maße  originell.  Machte  äußerlich  nicht  den  Eindruck 
eines  stolzen  Menschen,  einfach  weil  er  ein  großartiges 
Vertrauen  in  seine  eigene  Meinung  hatte.  BriUieren  war 
nicht  seine  Sache.  Seine  hauptsächliche  Fähigkeit  be- 
stand in  Kombinieren  und  Organisieren.  Verschiedene 
Leute  beurteilten  seinen  Charakter  sehr  verschieden. 
St.  Beuve  fand  ihn  bösartig  und  verbittert  mit  einem 
provozierenden  äußeren  Wohlwollen.  Er  vergiftete  sich 
mit  51  Jahren,  um  der  Guillotine  zu  entgehen. 

(/.)  Seine  Mutter  war  sehr  fromm.  Als  er  noch  ein  Kind 
war,  gelobte  sie  der  heiligen  Jungfrau,  ihn  acht  Jahre 
lang  weiß  zu  kleiden  wie  ein  junges  Mädchen. 

O.  Ein  ausgezeichneter  Bischof  (Aragos  „Eloge"). 
(?2.)  Er  war  auch  eng  mit  dem  Erzbischof  von  Vienne  und 
dem  Kardinal  von  Bernis  verwandt,  doch  weiß  ich  nicht 
in  welchem  Grade. 
Cuvier  Georges,  Baron  von.  Einer  der  berühmtesten  Natur- 
forscher. Er  war  schon  mit  26  Jahren  wohlbekannt,  starb 
mit  63.    War  als  Knabe  von  zarter  Gesundheit. 

(/.)  Seine  Mutter  war  eine  gebildete  Frau,  die  seine  erste 
Erziehung  sorgsam  überwachte. 

Galton,  Genie  und  Vererbung.  -^^ 


226  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

B.    Frederic,  der  sich  frühzeitig  selbst  der  Naturgeschichte 
widmete   und   in   Untersuchungen   wenig   hinter   seinem 
Bruder  Georges  zurückstand,  obgleich  er  nie  etwas  voll- 
brachte, was  sich  an  wissenschaftlichem  Wert  mit  den 
Werken    seines    Bruders    messen    kann,    ausgenommen 
sein  Werk  „Die  Zähne  der  Tiere." 
D'Alembert,    Jean  le  Rond.     Mathematiker  und  Philosoph  der 
höchsten  Art.    War  ein  illegitimes  Kind.     Seine  Mutter 
Heß  ihn  im  Stiche  und  heß  ihn  auf  einem  öffentlichen 
Platze  in  der  Nähe  der  Kirche  Jean  le  Rond  legen,  woher 
sein  Taufname  stammt;  der  Ursprung  seines  Familien- 
namens ist  unbekannt.    Er  zeigte  als  Kind  eine  außer- 
ordentliche Lernbegier,  wurde   aber  bei  jedem  Schritt 
entmutigt.    Die  Frau  eines  Glasers,  zu  der  er  von  der 
Behörde  als  Findling  in  Pflege  gegeben  wurde,  machte 
sich  über  seine  Bestrebungen  lustig,  in  der  Schule  wurde 
ihm   von   seiner   geliebten   Mathematik   abgeraten.     So 
oft  er  selbst  überzeugt  war,  daß  er  etwas  Originelles  ge- 
macht habe,  fand  er  unbedingt,  daß  andere  die  gleiche 
Sache  vor  ihm  gefunden  hatten,  aber  seine  Neigung  zur 
Wissenschaft  trieb  ihn  vorwärts.    Er  wurde  mit  24  Jahren 
MitgHed  der  Akademie,  und  vonda  abwurdeseineKarriere 
eine  ehrenvolle.    Er  war  völlig  frei  von  Neid  und  sehr 
mildtätig.     Heiratete  nie,  hatte  aber  sehr  merkwürdige 
platonische  Beziehungen  zu  Mile.  de  Espinasse. 

Sein  Vater  soll  M.  Destouches  gewesen  sein,  ein 
Artilleriekommissionär. 
( /,)  Mlle.  de  Tencin,  Mcvelhstin  von  hohen  Fähigkeiten,  ur- 
sprüngHch  eine  Nonne,  trat  aber  aus  dem  Kloster  aus. 
Sie  und  ihre  beiden  Schwestern  waren  bekannte  Aben- 
teuerinnen. Sie  schloß  sich  eng  an  ihren  Bruder,  den 
Kardinal  de  Tencin  an,  liebte  ihn  leidenschaftlich  und 
widmete  sich  seinem  Avancement.  Sie  führte  sein  Haus, 
das  ein  bekanntes  Zentrum  hervorragender  Männer 
wurde.  Sie  war  nichts  weniger  als  tugendhaft.  Fon- 
tenelle,  der  Sekretär  der  Französischen  Akademie  (s. 
unter  „Dichtern"  unter  Corneille),  war  einer  ihrer  Be- 
wunderer vor  der  Geburt  d'Alcmberts,     Mit  34  Jahren 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  227 

warf  sie  sich  auf  politische  Intriguen.  Erst  als  d'Alembert 
berühmt  geworden  war,  soll  sie  sich  ihm  zum  ersten 
Male  als  seine  Mutter  genähert  haben,  worauf  er  ihr  er- 
widert haben  soll:  „Sie  sind  nur  meine  Stiefmutter,  die 
Frau  des  Qlasers  ist  meine  wirkliche  Mutter." 

Die  Verwandten  d'Alemberts  mütterlicherseits  bilden 
eine  seltsame  Gruppe.    Es  sind 

(o).  Madame  Feriol,  die  Mutter  von  Pont  de  Veyle  und  d'Ar- 
gental  und 

(o.)    Comtesse  de  Qrolee  und  die  folgenden  Brüder 
o.    Cardinal  de  Tencin,  Staatsminister   und  fast   Premier- 
minister. 

oS.  Pont  de  Veyle,  Liederdichter  und  Dramatiker,  voller 
Geist,  aber  ein  selbstsüchtiger  Mensch.  Er  wurde  von 
einem  Pedanten  erzogen,  der  in  ihm  Haß  gegen  das 
Studium  erweckte. 

oS.  Argental,  Charles  Aug.  Feriol,  Comte  de.  Der  Vertraute 
und  große  Bewunderer  Voltaires,  der  ihn  zum  Verwahrer 
seiner  Schriften  machte.  Er  war  ein  eleganter  litera- 
rischer Kritiker. 
Darwin,  Dr.  Erasmus,  Arzt,  Physiologe  und  Dichter.  Sein  „Bota- 
nischer Garten"  hatte  in  der  Zeit,  wo  er  geschrieben 
wurde,  einen  ungeheuren  Ruf,  denn  neben  seinen  eigent- 
lichen Verdiensten  war  er  im  Einklang  mit  den  Gefühlen 
und  der  Ausdrucksweise  jener  Zeit.  Der  Scharfsinn  in 
Dr.  Darwins  zahlreichen  Schriften  und  Theorien  ist  wirk- 
Hch  bemerkenswert.  Er  war  ein  Mensch  von  großer 
Körperkraft,  Humor  und  Frohsinn. 

(F.)  Es  wird  erzählt,  daß  Dr.  Darwin  „aus  einer  gebildeten 
und  intellektuellen  Familie  hervorging,  sein  Vater  soll 
einer  der  ersten  Mitglieder  des  Spalding  Klub  gewesen 
sein." 
S.  Charles,  Student  der  Medizin,  starb  jung  an  einer  Wunde, 
die  er  sich  beim  Sezieren  gemacht  hatte.  Er  hatte  zu 
der  besten  Hoffnung  Anlaß  gegeben.  Er  hatte  die  gol- 
dene Medaille  der  Edinburger  Universität  für  eine  medi- 
zinische Arbeit  erhalten. 

S.    Dr.  Robert  Darwin  von  Shrewsbury,  war  ein  Arzt  mit 

15* 


228  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

sehr  großer  Praxis  und  auch  in  anderer  Hinsicht  noch 
von  Bedeutung. 
E.  Charles  Darwin,  der  berühmte  moderne  Naturforscher, 
Verfasser  der  „Theorie  der  natürlichen  Auslese". 
(2  ES.)  Einer  der  Söhne  des  Obigen  war  1868  zweiter  wrangler 
in  Cambridge  und  ein  anderer  zweiter  bei  der  Woolwich- 
prüfung  (Kriegsschule)  des  gleichen  Jahres. 

Die  Anzahl  der  Individuen  in  der  FamiHe  Darwin,  die 
irgend  einen  Zv/eig  der  Naturwissenschaften  erwählt 
haben,  ist  sehr  bemerkenswert,  namentlich  weil  die  Nei- 
gung dazu  mehr  dem  persönlichen  Qeschmack  des  Je- 
weiligen als  der  Familientradition  entsprach  (ich  berichte 
nach  privaten  Quellen).  Die  verschiedenen  Mitglieder 
der  Familie  haben  ein  scharfes  individualistisches  Ele- 
ment, das  dem  traditionellen  Einfluß  entgegenarbeitet. 

(S.)  Sir  Francis  Darwin,  ein  Arzt,  hatte  eine  besondere  Liebe 
zu  den  Tieren.  Sein  Wohnsitz  in  Derbyshire  war  voll 
seltsamen  Getiers,  halbwilde  Schweine  rannten  im  Ge- 
hölz umher  und  ähnliches. 

(E.)  Einer  seiner  Söhne  ist  ein  wohlbekannter  Schriftsteller 
—  wenn  auch  unter  Pseudonym  —  über  naturgeschicht- 
liche Materien  und  Sport. 

Ich  könnte  noch  mehr  Namen  von  Familienmitgliedern 
aufzählen,  die  zwar  in  geringerer,  aber  doch  ausge- 
sprochener Weise  Sinn  für  Gegenstände  der  Natur- 
geschichte gezeigt  haben. 
Davy,  Sir  Humphry;  Chemiker  und  Philosoph.  War  als  Kind 
nicht  frühreif,  zeichnete  sich  aber  als  Jüngling  aus.  Seine 
ersten  Essays  veröffentlichte  er  mit  21  Jahren,  war  Pro- 
fessor der  Chemie  am  Royal  Institution  mit  23  Jahren. 
B.  Dr.  John  Davy,  Verfasser  vieler  Arbeiten  über  Physio- 
logie. General-Inspektor  der  Armeespitäler, 
de  Candolle,  Augustin  Pyrame,  hervorragender  schweizer  Bota- 
niker. Seine  Kindheit  glich  der  von  Cuvier;  beide  hatten 
Mütter,  die  intelligent  und  liebevoll  waren;  beide  hatten 
eine  zarte  Gesundheit  und  ein  sehr  glückliches  Naturell. 
Er  hatte  einen  Wasserkopf  und  starb  fast  daran  mit  7 
Jahren.    Da  er  nicht  imstande  war,  den  Spielen  der  an- 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker,  229 

deren  Knaben  zu  folgen,  wurde  er  fleißig,  liebte  es,  Verse 
zu  machen  und  hatte  eine  große  Vorliebe  für  Literatur, 
aber  keinerlei  Interesse  für  Naturwissenschaften.  Er 
sammelte  Pflanzen,  rein  als  Gegenstände,  die  man  zu- 
sammenschleppt, doch  interessierte  er  sich  allmähüch  in 
hohem  Maße  für  sie.  Als  er  15  Jahre  alt  war,  hörte  seine 
Schwächlichkeit  auf.  Er  ist  fast  das  einzige  Beispiel 
einer  vollständigen  Wiederherstellung  bei  Wasserkopf. 
Nachher  wurde  er  sehr  kräftig.  Er  schrieb  mit  20  Jahren 
eine  Abhandlung,  die  ihn  einigermaßen  bekannt  machte. 
Ein  Essay,  das  er  mit  26  Jahren  verfaßte,  um  Doktor  der 
Medizin  zu  werden,  war  meisterhaft.  Er  starb  mit  63 
Jahren. 

V.    Zweimal  erster  Syndikus  von  Genf. 

S.  Aiphonse,  gleichfalls  ein  Schweizer  Botaniker,  Professor 
und  Direktor  des  Botanischen  Gartens  in  Genf. 
Euler,  Leonhard,  schweizer  Mathematiker.  Sein  Vater  lehrte 
ihn  Mathematik,  bestimmte  ihn  aber  für  die  Kirche;  je- 
doch entdeckte  der  jüngere  BernouIU  sein  Talent,  worauf 
der  Vater  ihn  seinen  Neigungen  folgen  ließ.  Er  schrieb 
mit  20  Jahren  eine  wichtige  Abhandlung.  Verlor  mit  23 
Jahren  ein  Auge  und  wurde  mit  63  Jahren  ganz  blind. 
Starb  mit  76  Jahren.  War  von  frommer  und  glücklicher 
Gemütsart.  Hatte  drei  Söhne.  Sechsundzwanzig  Enkel- 
kinder überlebten  ihn. 
(V.)  Paul;  ein  kalvinistischer  Geistlicher  von  guten  mathe- 
matischen Fähigkeiten. 

S.    Johann  Albert,  war  mit  20  Jahren  Direktor  des  Obser- 
vatoriums in  Berlin. 

S.    Karl,  Arzt  und  Mathematiker. 

S.  Christoph,  Astronom.  Er  diente  in  Rußland. 
Forbes,  Edward.  Naturforscher  von  hoher  Vollendung,  der  noch 
mehr  erhoffen  ließ;  Professor  der  Naturgeschichte  in 
Edinburg,  starb  aber  jung  mit  39  Jahren  an  einer  Nieren- 
krankheit. Er  war  ein  wirkliches  Genie  und  ein  Mann 
von  seltenen  gesellschaftUchen  Talenten.  In  früher  Kind- 
heit schon  zeigte  er  bemerkenswerte  moralische  und  in- 
tellektuelle Gaben.    Noch  als  junger  Student  in  Edinburg 


230  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

reiste  er  und  schrieb  über  die  Naturgeschichte  von  Nor- 
wegen. Er  war  beständig  in  Bewegung,  Seefischer  und 
ähnUches.  Verheiratet,  hatte  aber  keine  Kinder.  Das 
folgende  ist  Qeikies  Biographie  über  ihn  entnommen: 
„Die  meisten  seiner  unmittelbaren  väterlichen  Ahnen  be- 
saßen sehr  viel  Energie  und  Tätigkeitsdrang.  Diese 
Männer  liebten  es  zu  reisen,  waren  gern  in  Gesellschaft 
und  liebten  gesellschaftliche  Vergnügungen;  sie  waren 
freigebig  und  verstanden  es  besser  Geld  auszugeben  als 
es  zu  sparen." 
/.  Sanft  und  fromm,  eine  leidenschaftliche  Blumen- 
freundin, eine  Neigung,  die  sie  auf  ihren  Sohn,  den  künf- 
tigen Professor  der  Botanik,  übertrug. 
(3  0.)    Einer  starb  in  Demerara,  ein  anderer  in  Surinam,  ein 

dritter  ging  nach  Afrika  und  blieb  verschollen. 
(2B.)    Einer  ertrank  in  Australien,  ein  anderer  wurde  zufällig 
in  Amerika  getötet. 
B.    Der  andere  Bruder,  ein  ausgezeichneter  Mineraloge,  war 
zuerst  in  den  südamerikanischen  Minen  angestellt. 

In  dem  Blut  der  Forbes  war  sicherlich  eine  beträcht- 
liche Lust  am  Umherschweifen,  und  sie  war  bei  keinem 
wohl  stärker  als  bei  dem  großen  Naturforscher. 
Franklin,   Benjamin,   schrieb   über  Philosophie   und   Politik   und 
daneben   Miscellen.     Ein  Mann   von   großer   Kraft  und 
Originalität    des    Charakters.      Amerikanischer    Patriot 
und  Staatsmann. 
eS.    Alexander  Dallas  Bache,  Oberaufseher  der  Küstenver- 
messung  der  Vereinigten   Staaten,   war   Professor   der 
Philosophie,  ebenso  der  Chemie  und  Mathematik. 
eS.    Franklin   Bache,   Dr.   med.,   Autor   vieler   medizinischer 

Werke,  Professor  der  Chemie. 
(E.)  W.  T.  Franklin,  Herausgeber  der  Werke  seines  Groß- 
vaters. 
Galilei,  Galileo,  berühmter  Physiker.  Als  Kind  hatte  er  die  Ge- 
wohnheit, mechanisches  Spielzeug  zu  konstruieren.  Als 
Knabe,  ehe  er  noch  etwas  von  Mathematik  wußte,  machte 
er  die  Entdeckung,  daß  die  Schläge  der  Pendeluhr  iso- 
chron sind.    Er  war  für  die  Medizin  bestimmt,  machte 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  231 

sich  aber  frei  und  ging  zur  Mathematik  über.     Wurde 
blind.    Starb  mit  82  Jahren. 
V.    Vincenzo  war  ein  Mann  von  beträchtHchem  Talent  und 
Wissen.    Er  schrieb  über  die  Theorie  der  Musik. 
(B.)    Ein  Bruder  scheint  sich  der  Naturgeschichte  hingegeben 

zu  haben. 
(S.)    Sein  Sohn,  Vincenzo  QaHlei,  war  der  erste,  der  an  einem 
Uhrwerk  seines  Vaters  Erfindung  des  Pendels  anbrachte. 
Geoffroy    St.-Hilaire    (Etienne),    gefeierter    französischer    Natur- 
forscher.   Er  war  einer  der  Gelehrten,  die  Napoleon  nach 
Ägypten  begleiteten. 
B.    Chiiteau,    ein    ausgezeichneter    Genieoffizier,    Napoleon 
schätzte  ihn  sehr.     Starb  nach  Austerlitz  an  den  An- 
strengungen  des   Feldzugs.     Napoleon   adoptierte  seine 
beiden    Söhne,    die    beide    Schriftsteller    wurden,    aber 
keine  besondere  Bedeutung  hatten. 
S.    Auguste,  Zoologe. 
Gmelin,  Johann  Friedrich,  hervorragender  deutscher  Chemiker, 
Naturforscher  und  Physiker.    Das  hervorragendste  Mit- 
glied  einer   Familie,   die   der   Wissenschaft   wenigstens 
fünf  Namen  schenkte: 

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Johann  Konrad  Johann  Georg  Philipp  Friedrich 

Samuel  Gottlieb  Johann  Friedrich 

Leopold. 

V.  Philipp  Friedrich,  Botaniker  und  Arzt,  machte  wissen- 
schaftliche Reisen  durch  Europa  und  schrieb  zahlreiche 
Monographien. 
O.  Johann  Georg,  Botaniker  und  Arzt,  Mitglied  der  St. 
Petersburger  Akademie,  sibirischer  Reisender,  Verfasser 
der  „Flora  Sibirica'". 

(O.)    Johann  Konrad;  ein  bekannter  Arzt. 

OS.  Samuel  Gottlieb,  wissenschaftlicher  Reisender,  war  in 
Astrachan  und  am  Kaspischen  Meer,  wo  er  von  den 
Tartaren  festgenommen  wurde  und  mit  29  Jahren  in  der 
Gefangenschaft  starb. 


232  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

S,    Leopold,  Chemiker. 

Gregory,  James,  Mathematiker,  Erfinder  des  Spiegel-Teloskops ; 
ein  Mann  von  sehr  scharfsinnigem  und  eindringlichem 
Geist.  Er  war  das  bedeutendste  Mitglied  einer  sehr  be- 
deutenden Familie,  aus  der  hervorragende  Mathematiker 
und  sehr  viele  hervorragende  Ärzte  hervorgingen.  Der 
beiliegende  Stammbaum  ist  nötig,  um  ihre  Familienbe- 
ziehungen zu  erklären,  doch  weiß  ich,  daß  er  der  Familie 
nicht  völlig  gerecht  wird.  Das  Talent  kam  von  den 
Andersons  her,  von  denen  ich  wünschen  würde,  mehr 
zu  wissen.  Wir  können  wenigstens  die  folgenden  Buch- 
staben für  diese  Notiz  in  Anspruch  nehmen:  f.,  g.,  gB., 
B.,  3N.,  NS.,  NS.,  S.,  2  E.,  ES.  und  2  Ee. 

Haller,   Albrecht   von   (1708—1777),   starb   mit   69   Jahren.     Ein 
Schweizer  Arzt,  wird  als  Vater  der  modernen  Physio- 
logie betrachtet.     Er  war  außerordentlich  frühreif;  die 
Berichte  über  sein  frühes  Talent  sind  ebenso  erstaunlich, 
als  nur  irgend  ein  Bericht  über  frühreifes  Talent  sein 
kann.    Als  Kind  war  er  gebrechlich,  schwach  und  zart. 
War  außerordentlich  fleißig  und  schrieb  über  200  Ab- 
handlungen, darunter  einige  gute  Gedichte.     Er  litt  an 
der  Gicht  und  nahm  maßlos  Opium. 
(V.)    Sein  Vater  gehörte  einer  Familie  an,  deren  MitgUeder 
seit  jeher  fromm  waren  und  hatte  den  Ruf  eines  fähigen 
Rechtsgelehrten, 
g.    Eines  der  Mitglieder  des  Obersten  Rats  der  Schweiz. 
S.    Gottlieb  Emanuel,  schrieb  verschiedene  Werke  über  die 
Geschichte  und  Literatur  der  Schweiz. 

Harvey,  William,  Dr.  med.  hervorragender  Arzt;  Entdecker  der 
Blutzirkulation,  ein  guter  Kenner  der  Antike.  Er  v/ar 
ein  kleiner  Mann  mit  einem  runden  Gesicht,  oliven- 
farbenem  Teint,  und  kleinen  schwarzen,  sehr  lebendigen 
Augen.  Er  wurde  gichtisch  und  bekam  schrullenhafte 
Gewohnheiten.  Er  dachte  nachts  im  Bett  zu  viel  nach 
und  schlief  deswegen  schlecht.  Er  und  alle  seine 
Brüder  waren  jähzornig.  War  verheiratet,  hatte  aber 
keine  Kinder.  Seine  Verwandten  zeigten  vollgiltige 
Fähigkeiten. 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  233 

(5B.)  Fünf  seiner  Brüder  waren  Kaufleute  von  Ansehen  und 
Vermögen,  die  hauptsächlich  Geschäfte  nach  der  Levante 
machten  und  von  denen  die  meisten  ein  großes  Ver- 
mögen erwarben.  „The  Merchants'  Map  of  Commerce" 
ist  allen  Brüdern  gemeinsam  gewidmet,  die  ihr  Lebenlang 
sehr  aneinander  hingen.  Ebenso  liebten  sie  alle  zärtlich 
ihre  Mutter,  was  aus  der  sehr  rührenden  Qrabschritt 
auf  ihrem  Leichensteine  hervorgeht. 
(N?  wie  viele.)  Seine  Neffen  waren  wohlhabende  Kaufleute; 
einige  von  ihnen  errangen  Vermögen  und  erhielten 
Titel. 

(So  der  Bericht  in  der  biographischen  Einleitung  zu 
seinen  Werken,  die  von  der  Sydenham-Qesellschaft 
herausgegeben  wurden.) 
Oe.  (ich  glaube)  Heneage  Finch,  ernannt  zum  ersten  Earl  von 
Nottingham,  Lord  Chancellor.  Auch  sein  Vater  war 
hervorragend  (s.  Finch  unter  „Judges").  William  Harvey 
nannte  Heneage  Finch  in  seinem  Testament  seinen 
„  heben  Kousin"  und  hinterließ  ihm  ein  Legat  dafür,  daß 
er  ihm  bei  der  Abfassung  seines  letzten  Wülens  behilf- 
lich war.  Das  genaue  Verwandtschaftsverhältnis  kenne 
ich  nicht.  Earl  Nottinghams  Mutter  war  die  Tochter 
eines  William  Harvey  und  sie  war  nicht  die  Schwester 
des  Mediziners.  Zwischen  dem  Arzt  und  dem  Earl  ist 
ein  Altersunterschied  von  43  Jahren.  Es  ist  wahrschein- 
Uch,  daß  der  Earl  Harvey's  Qroßkousin  war,  nämhch 
der  Sohn  einer  Tochter  des  Bruders  seines  Vaters. 
Herschel,  Sir  William,  hervorragender  Astronom;  Präsident  der 
Royal  Society.  Wurde  zum  Musiker  ausgebildet, 
kam  nach  England  mit  der  Musikkapelle  der  Hannover- 
schen Garde,  wurde  später  Organist  in  Bath.  Mit  41 
Jahren  erwarb  er  einige  mathematische  Kenntnisse. 
Baute  sich  selber  Teleskope  und  war  mit  43  Jahren 
ein  berühmter  Astronom.  Starb  mit  83  Jahren. 
(V.)  Isaac;  Sohn  eines  Gütermaklers,  liebte  aber  die  Musik 
so,  daß  er  sich  der  Musikkapelle  der  Hannoverschen 
Fuß  -  Garden  anschloß;    die  Kapelle  bestand  aus  ausge- 


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Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  253 

wählten  Künstlern.  Er  wurde  ein  einigermaßen  be- 
kannter Musiker,  namentlich  auf  der  Violine  und  Oboe. 
(B.)  Alexander;  guter  Violoncellist;  hatte  auch  einen  starken 
Hang  zur  Mechanik. 
h.  Miss  Caroline  Herschel,  arbeitete  mit  ihrem  Bruder  zu- 
sammen in  der  nützlichsten  Weise  an  all'  seinen  astro- 
nomischen Werken.  Sie  erhielt  die  goldene  Medaille  der 
Royal  Society.  Starb  mit  98  Jahren. 
S.  Sir  John  Herschel,  ebenfalls  als  Astronom  berühmt  und 
einer  der  ersten  Philosophen  seiner  Zeit. 
(3E.)  Zwei  seiner  Enkel  haben  sich  bereits  einen  Namen  in 
der  wissenschaftlichen  Welt  gemacht,  Professor  Alexan- 
der Herschel,  der  über  Meteoriten  schreibt  und  Leutn. 
John  Herschel,  der  erste  seines  Jahrgangs  in  Addis- 
combe,  der  1868  die  Führung  der  Expedition  übernahm, 
die  die  Royal  Society  nach  Indien  zur  Beobachtung  der 
totalen  Sonnenfinsternis  sandte.  Der  andere  Sohn  Wil- 
liam, ein  höherer  Verwaltungsbeamter  in  Bengalen  war 
der  erste  seines  Jahrgangs  in  Haileybury.  Musikalische 
Gaben  sind  in  der  Familie  Herschel  stark  erblich. 

Hooker,  Sir  William,  Botaniker,  zuletzt  Direktor  und  Gönner  des 
Kgl.  Gartens  in  Kew.  Verfasser  zahlreicher  Werke  über 
systematische  Botanik. 
S.  Dr.  Joseph  Dalton  Hooker,  Botaniker  und  Physiker, 
Direktor  des  Kgl.  Gartens  in  Kew;  zuerst  Naturforscher, 
nahm  als  solcher  teil  an  der  antarktischen  Expedition 
von  Sir  J.  Ross  und  bereiste  später  die  Himalaya- 
Gegend  von  Sikkim.  Der  Vater  seiner  Mutter,  g,  war 
Dawson  Turner,  der  Botaniker  und  seine  Kousins  sind 
2oS.,  Giffard  Palgrave,  ein  Arabien  -  Forscher  und 
Autor  eines  Buches  über  Arabien,  und  Francis  Pal- 
grave, ein  wohlbekannter  Schriftsteller.  Schrieb  über 
Literatur,  Poesie  und  Kunst. 

Humboldt,  Alexander,  Freiherr  von;  wissenschaftlicher  Reisen- 
der und  Philosoph  und  ein  Mensch  von  ungeheuren 
wissenschaftlichen  Kenntnissen.  Er  hatte  eine  außer- 
ordentlich kräftige  Konstitution  und  brauchte  sehr  wenig 
Schlaf.      Sein    erstes    naturgeschichtliches    Werk    ver- 


236  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

öffentlichte  er  mit  21  Jahren,  starb  mit  90  und  arbeitete 
bis  zuletzt.    Er  beschloß  seinen  „Kosmos"  mit  82  Jahren. 

B.  Wilhelm  von  Humboldt,  Philologe  von  höchstem  Range, 
beschäftigte  sich  kritisch  mit  der  klassischen  Literatur  und 
war  Diplomat.  Die  verschiedenen  Neigungen  der  beiden 
Brüder  waren  schon  an  der  Universität  sichtbar,  wo  sie 
zusammen  studierten,  Alexander  Naturwissenschaften, 
Wilhelm  Philologie. 
Hunter,  John;  der  hervorragendste  unter  den  englischen  Ana- 
tomen; General  -  Stabsarzt  der  Armee,  außerordent- 
licher Chirurg  des  Königs.  In  seiner  Jugend  wurde 
seine  Bildung  fast  ganz  vernachlässigt.  Zwischen  17 
und  20  Jahren  war  er  Kunsttischler.  Dann  bot  er  sich 
selbst  als  Qehilfe  für  den  Sezier-Saal  seines  älteren 
Bruders  William  an  (s.  unten).  Er  zeichnete  sich  sehr 
bald  aus  und  gründete  zuletzt  das  Hunterian  Museum. 

B.  William  Hunter,  Präsident  des  Ärzte-Kollegiums  und 
außerordentUcher  Arzt  der  Königin.  Sein  Ruf  als  Ana- 
tom und  Chirurg,  namentlich  als  Geburtshelfer  war  über- 
aus groß.  Er  war  seit  seiner  Jugend  von  gelassener  und 
fleißiger  Gemütsart;  war  zuerst  für  die  Kirche  bestimmt, 
aber  er  ging  statt  dessen  zur  Medizin  über.  Er  grün- 
dete ein  großartiges  anatomisches  Museum.  Er  heiratete 
nie. 

n.  Matthaw  Baillie,  Dr.  med.,  ein  hervorragender  Arzt, 
Anatom  und  Patholog. 

n.  Johanna  Baillie,  dramatische  Schriftstellerin,  starb  mit 
89  Jahren. 
Huygens,  Christian;  dänischer  Astronom  und  Physiker;  einer  der 
hervorragenden  Fremden,  die  Colbert  nach  Paris  ein- 
lud und  denen  er  Pension  zahlte.  Er  war  sehr  frühreif, 
machte  schon  als  Knabe  starke  Fortschritte  in  der  Ma- 
thematik; veröffentlichte  mit  22  Jahren  eine  mathe- 
matische Arbeit;  starb  mit  68  Jahren  an  Überan- 
strengung.   Heiratete  nie. 

V.  Constantyn,  ein  Mathematiker  und  Gelehrter;  Verfasser 
der  „Monumenta  Desultoria".     Hintereinander  Sekretär 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  237 

dreier  Prinzen  von  Oranien  und  bekannte  sich,  obgleich 
er  ein  Politiker  war,  tapfer  als  Freund  Descartes. 

B.  Constantyn  folgte  seinem  Vater  als  königlicher  Sekretär 
und  begleitete  Wilhelm  III.  nach  England, 
Jussieu,  Antoine  Laurent  de,  einer  der  größten  Botaniker.  Ver- 
fasser des  „Systeme  naturel"  und  das  hervorragendste 
Mitglied  einer  sehr  hervorragenden  Botanikerfamilie. 
Wurde  mit  22  Jahren  Professor  im  Königlichen  Garten 
und  dort  Vorgesetzer  seines  Onkels  Bernard  (s.  unten), 
der  damals  71  Jahre  alt  war  und  der  den  Posten  zurück- 
gewiesen hatte,  da  er  sich  als  das,  was  er  war,  glück- 
licher und  freier  dünkte.  Es  herrschen  einige  Zweifel 
darüber,  wie  weit  er  der  Interpret  von  Ideen  Bernards 
und  wie  weit  er  selbst  originell  war.  Mit  25  Jahren 
wurde  er  in  die  Akademie  aufgenommen.  Hatte  eine 
kräftige  Konstituion,  war  groß;  er  sah  aus  wie  ein 
nachdenklicher  Mensch,  der  immer  seiner  selbst  Herr 
ist.  Wurde  blind,  alle  Botaniker  in  seiner  Familie  waren 
sehr  kurzsichtig.  Er  war  einfach  in  seinem  Geschmack 
und  hatte  ein  langes  und  glückliches  Alter;  er  starb  mit 
88  Jahren.  Er  stammte  von  einer  Familie  ab,  die  Gene- 
ration um  Generation  Notare  waren.  Sein  Großvater 
durchbrach  die  Tradition  und  wurde  Chemiker  in  Lyon. 
(G.)  Seine  Großmutter  hatte  einen  starken  Einfluß  auf  ihre 
zahlreichen  Kinder,  zu  deren  Wohl,  indem  sie  sie  zu- 
sammenhielt und  sie  gewöhnte,  einander  zu  unterstützen. 
Sein  Vater  stammte  aus  einer  Familie  von  sechzehn 
Kindern  und  war  das  einzige  von  ihnen,  das  sich  ver- 
heiratete. 

O.  Antoine  Jussieu.  Hatte  schon  als  Kind  eine  Vorliebe, 
Pflanzen  zu  beobachten;  in  seiner  Jünglingszeit  wurde 
sie  zur  Leidenschaft  und  trieb  ihn  in  die  entgegen- 
gesetzte Richtung  von  jenem  Lebensweg,  den  sein  Vater 
für  ihn  erwählt  hatte.  Er  wurde  Student  in  Montpellier, 
hatte  rasch  Erfolg  und  wurde  mit  23  Jahren  als  Nach- 
folger von  Tournefort  Professor  der  Botanik  in  Paris. 

O.  Bernard  Jussieu,  ein  großes  botanisches  Talent,  manche 
behaupten,  das  größte  in  der  Familie.    Er  hatte  anfangs 


238  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

keine  Neigung  zur  Botanik,  selbst  dann  noch  nicht,  als 
er  als  Jüngling  an  einer  botanischen  Exkursion  teilnahm. 
Dann  übernahm  er  die  Pflichten  eines  Gehilfen  und  De- 
monstrators  der  Botanik  bei  seinem  Bruder  Antoine,  der 
ihn  überredete,  diese  Wissenschaft  als  seinen  Beruf  zu 
ergreifen.  Er  blieb  sein  Leben  lang  auf  diesem  unter- 
geordneten Posten,  den  er  selbst  vorzog.  Er  hing 
außerordentlich  an  seinem  Bruder.  Er  wurde  ein  äußerst 
geduldiger  Beobachter.  Er  war  ein  ruhiger,  gelassener 
Mensch,  sehr  ordnungsliebend,  sehr  gemäßigt  und  einfach 
in  seinen  Gewohnheiten.  Er  war  tugendhaft,  befähigt 
und  gütig.  Er  hatte  eine  gute  Gesundheit,  erblindete 
aber,  genau  wie  sein  Neffe  später.  Er  starb  mit  78 
Jahren. 

0.  Joseph  Jussieu.  Ihm  mangelte  die  Beständigkeit  seiner 
hervorragenden  Brüder,  doch  war  er  voller  Befähigung. 
Er  war  hintereinander  oder  besser  nebeneinander  Bo- 
taniker, Ingenieur,  Arzt  und  Reisender.  Als  Botaniker 
machte  er  die  Expedition  unter  Condamine  nach  Peru 
mit,  von  welcher  er  mit  zerrütteter  Gesundheit  nach 
Europa  zurückkehrte;  nichtsdestoweniger  lebte  er  bis 
zu  seinem  75  Jahre. 

S.  Adrien  Jussieu,  der  einzige  männliche  Erbe  der  Familie, 
folgte  seinem  Vater  als  Professor  der  Botanik.  Hei- 
ratete; hatte  nur  zwei  Töchter,  starb  mit  56  Jahren  1853. 


I  I  I 

Bernard  Antoine  Joseph 


Antoine  Laurent 

I 

Adrien. 


Jussieu,  Bernard,  s.  oben. 
2  B.,  N.,  NS. 

Leibniz,  Gottfried  Wilhelm;  genialer  Mathematiker  und  Phi- 
losoph. Er  war  sehr  frühreif  und  las  alles,  was  er  er- 
langen konnte.    War  ein  ausgezeichneter  Gelehrter  und 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  239 

wurde  hervorragend  fruchtbar  in  Rechtswissenschaft, 
Philosophie,  Geschichte,  Politik  und  Mathematik,  ehe  er 
22  Jahre  zählte.  Hatte  einen  großen  Hang  zur  Poesie 
und  konnte  sehr  viel  auswendig;  noch  im  hohen  Alter 
konnte  er  den  ganzen  Virgil  wiederholen.  Er  war  kräf- 
tig und  selten  verdrießlich,  außer  im  späteren  Leben; 
hatte  starken  Appetit,  trank  aber  wenig;  war  von  einem 
wunderbaren  Tätigkeitsdrang,  alles  interessierte  ihn  in 
gleicher  Weise,  Utt  ein  wenig  an  Schwindel  und  Gicht. 
Starb  mit  68  Jahren  an  der  Gicht.  Man  sagt  von  ihm, 
er  sei  eitel  und  geizig  gewesen.  War  nie  verheiratet. 
(g.)  Wilhelm  Schmuck,  Professor  der  Jurisprudenz  in  Leip- 
zig. 

V.    Professor  der  Moralwissenschaft  (?  Kasuistik)  in  Leip- 
zig und  berühmter  Rechtsgelehrter. 

0.  ein  Rechtsgelehrter  von  Ruf. 
Linnaeus  (von  Linne),  Karl,  der  große  schwedische  Botaniker,  der 
Begründer  des  Linneschen  Klassifikationssystems  der 
Pflanzen.  Erhielt  eine  ungenügende  Ausbildung.  Er  hatte 
die  ausgesprochenste  Vorliebe  für  Botanik,  aber  seine 
intellektuelle  Entwicklung  in  seiner  Knabenzeit  war  lang- 
sam. Mit  24  Jahren  begann  er  einen  großen  Ruf  zu  be- 
kommen. Es  fehlte  ihm  merkwürdigerweise  jedes  Talent 
zur  Erlernung  fremder  Sprachen,  er  konnte  nicht  franzö- 
sisch sprechen  und  mußte  daher  mit  Fremden  immer  La- 
teinisch korrespondieren.  Er  war  ein  Mensch  von  hit- 
zigem Charakter,  hatte  eine  sehr  kräftige  Gesundheit,  bis 
auf  etwas  Gicht,  schlief  aber  wenig.  War  von  Natur  ein 
Dichter,  obgleich  er  nie  Verse  machte.  Er  heiratete, 
„doch  sein  häusliches  Leben  erträgt  keine  Prüfung,  denn 
es  ist  wohlbekannt,  daß  er  gemeinsam  mit  seiner  Frau, 
einem  verworfenen  Weibe,  den  ältesten  Sohn,  einen 
liebenswürdigen  jungen  Mann,  grausam  verfolgte.  Der 
Sohn  folgte  ihm  später  auf  seinem  botanischen  Lehr- 
stuhl."    (Engl.  Cycl.) 

S.    Karl,  ein  ausgezeichneter  Botaniker,  wenn  auch  weit  ent- 
fernt von  der  Bedeutung  seines  Vaters. 
Napier,  John,  Baron  von  Merchiston,  Erfinder  der  Logarithmen. 


240  Naturwissensshaftler  und  Mathematiker. 

V.    Obermünzmeister  in  Schottland.    War  erst  16  Jahre  alt, 

als  sein  Sohn  geboren  wurde. 
S.    Archibald,  Geheimer  Staatsrat  unter  Jakob  VI.,  ernannt 
zum  Lord  Napier. 

Die  Napier  sind  eine  außerordentlich  befähigte  Fa- 
milie. Sie  umfaßt  die  Generäle  und  Admiräle  der  letzten 
Generation  (s.  Feldherren)  und  in  der  jetzigen  Kapt  Mon- 
crieff (Moncrieffs  Batterie)  und  Mr.  Clerk  Maxwell, 
zweiten  wrangler  1854  und  hervorragend  in  Natur- 
philosophie. 
Newton  Sir  Isaac,  der  berühmteste  englische  Mathematiker  und 
Philosoph.  War  als  Kind  außerordentlich  schwächlich; 
man  verzweifelte  damals  an  seinem  Leben,  aber  er 
wurde  mit  der  Zeit  kräftig  und  gesund.  „Die  drei 
großen  Entdeckungen,  die  den  Ruhm  seines  Lebens 
bilden,  waren  in  seinem  Geist  konzipiert,  ehe  er  24  Jahre 
zählte."  (Libr.  Univ.  Knowl.)  Womit  gemeint  sind: 
Die  Theorien  der  Gravitation,  der  Differentialrechnung 
und  des  Lichts.    Starb  mit  84  Jahren. 

Newtons  Ahnen  scheinen  in  keiner  Weise  wegen 
ihrer  intellektuellen  Fähigkeiten  bemerkenswert  ge- 
wesen zu  sein,  und  ebenso  finde  ich  unter  seinen 
Nachkommen  nichts,  was  der  Beachtung  wert  wäre,  aus- 
genommen die  Tatsache,  die  hier  angeführt  werden  soll, 
daß  die  beiden  Huttons  in  einer  unbekannten  Weise  durch 
die  weibliche  Linie  mit  ihm  verwandt  gewesen  sind. 
Der  folgende  Absatz  ist  dem  Porträtkatalog,  im  Be- 
sitze der  Royal  Society  entnommen,  er  wurde  gefunden 
unter  der  Beschreibung  eines  Bildes  von  Sir  Isaac  New- 
ton, das  von  Mr.  Charles  Vignolles,  dem  hervorragenden 
Ingenieur,  geschenkt  wurde.  „Die  Mutter  von  James 
Hutton  und  die  Mutter  von  Dr.  Charles  Hutton  waren 
Schwestern,  und  seine  Großmutter  und  die  Mutter  von 
Sir  Isaac  Newton  waren  ebenfalls  Schwestern."  Mr. 
Vignolles,  der  ein  Enkel  von  Dr.  Charles  Hutton  ist.  hat 
mir  gütigst  die  Geschichte  dieser  Stelle  ausein- 
andergesetzt. Er  scheint  auf  einen  jener  kleinen  Papier- 
fetzen geschrieben  zu  sein,  die  er  von  Dr.  C.  Hutton 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  241 

erbte.  Er  war  in  der  Handschrift  seiner  Tante  Miss 
Isabella  Hutton  geschrieben  und  schien  von  ihrem  Vater 
diktiert,  Dr.  C.  Hutton.  Eine  andere  Auskunft  ist  nicht 
zu  erhalten.  Nun  ist  das  Wort  „seine"  in  dem  Ab- 
schnitt ungrammatikalisch,  seine  Interpretation  ist 
daher  schwierig.  Man  könnte  annehmen,  daß  es  sich 
auf  Dr.  C.  Hutton  bezieht,  aber  ein  Vergleich  der  Daten 
läßt  mich  dies  bezweifeln.  Sir  Isaac  war  1642  geboren 
und  Dr.  C.  Hutton  1737,  wodurch  eine  Differenz  von 
95  Jahren  entsteht,  die  durch  eine  einzige  Gene- 
ration ausgefüllt  werden  soll.  Das  ist  nicht  absolut 
unmöglich,  aber  es  ist  außerordenthch  unglaublich,  es 
wäre  nur  bei  einer  so  extravaganten  Hypothese  wie  die 
folgende  möglich,  daß  nämlich  Newtons  Mutter  nur  20 
Jahre  alt  war,  als  ihr  Sohn  geboren  wurde;  auch,  was 
noch  gerade  möglich  ist,  daß  ihre  Schwester  um  35 
Jahre  jünger  war  als  sie.  Ebenso,  daß  diese  Schwester 
40  Jahre  alt  war,  als  ihre  Tochter  geboren  wurde,  und 
daß  auch  diese  Tochter  40  Jahre  alt  war,  als  sie  Dr. 
C.  Hutton  gebar.  Also  40  +  40  +  35  —  20  =  95,  diese 
Hypothese  würde  den  Daten  gerecht  werden.  Doch 
argwöhne  ich  sehr,  daß  Miss  Hutton,  als  sie  unter  dem 
in  seinem  hohen  Alter  (er  starb  mit  83  Jahren)  nicht 
mehr  sehr  klaren  Diktat  ihres  Vaters  schrieb,  einen 
Satz  ausließ,  den  ich  unter  Anführungszeichen  bringe, 
wodurch  sie  ein  oder  selbst  zwei  verbindende  Gene- 
rationen ausgelassen  hat,  so  daß  der  Satz  dann  lauten 
würde:  „Die  Mutter  von  Dr.  James  Hutton  und  die 
Mutter  von  Dr.  Charles  Hutton  waren  Schwestern  (sie 
waren  Kinder  [oder  Enkel?]  von  Mr.  Hutton),  und  ihre 
Großmutter  und  die  Mutter  von  Dr.  Isaac  Newton  waren 
auch  Schwestern."  Diese  Lesart  würde  das  besitz- 
anzeigende Fürwort  „sein"  erklären,  ebenso  die  Daten, 
und  sie  würde  auch  die  exakte  Natur  der  Verwandt- 
schaftsbeziehung erklären,  die  nicht  der  Gegenstand 
deuthcher  Familientradition  geworden  ist.  Wenn  nach 
der  anderen  Hypothese  die  Mütter  der  Huttons  die  leib- 
lichen Cousinen  von  Sir  Isaac  gewesen  wären,  so  hätten 

Galton,  Genie  und  Vererbung.  1" 


242  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

die  Huttons  diese  Tatsache  siclierlich  oft  erwähnt,  es 
wäre  eine  einfache  Verwandtschaftsform,  die  leicht  zu 
behalten  ist,  und  die  den  Zeitgenossen  wohlbekannt 
geworden  wäre,  namentlich  den  MitgUedern  der  Royal 
Society,  deren  Sekretär  Dr.  Charles  Hutton  war,  und 
sie  wäre  von  den  Biographen  Sir  Isaacs  oder  der 
Huttons  nicht  übersehen  worden.  In  den  Biographien 
der  Huttons  wird  Newton  einfach  als  ihr  Vorfahre 
mütterlicherseits  erwähnt. 

oEe.  Charles  Hutton,  Dr.  der  Rechte,  war  der  wohlbekannte 
Mathematiker,  Sekretär  der  Royal  Society  und  Professor 
in  Woolwich. 

oEe.  James  Hutton  war  der  Geologe  und  Chemiker  und  Be- 
gründer der  modernen  Geologie.  Ein  Mensch,  dessen 
Ruf  in  seiner  Zeit  sehr  groß  war  und  dessen  Schriften 
einige  unserer  modernen  führenden  Geologen  als  außer- 
ordentlich gut  und  weit  entfernt  davon  veraltet  zu  sein, 
erachten, 
(n)    John  Conduit,  folgte  Sir  Isaac  als  Münzmeister. 

Oersted,  Hans  Christian.      Dänischer  Physiker  und  Chemiker. 

Entdecker  des  Elektro-Magnetismus,  starb  mit  74  Jahren. 
B.    Anders  Sandoe  Oersted,  Premierminister  von  Dänemark 

und  Schriftsteller,  starb  mit  82  Jahren. 
N.    Anders  Sandoe  (ebenso)  S.,  amerikanischer  Reisender  und 

Naturforscher. 

Plinius  der  Ältere,  Naturforscher.  Ein  sehr  fleißiger  Kompilator, 
studierte  mit  außerordentlicher  Hingabe,  doch  fehlte  es 
ihm  ganz  sonderbar  an  kritischer  Befähigung.  Er  war 
knauserig  mit  seiner  Zeit,  schlief  wenig,  war  ernst  und 
edel.  Kam  um,  als  er  den  Vesuv  während  eines  Aus- 
bruchs besuchte, 
n.  Plinius  der  Jüngere  (er  trug  den  Namen  der  FamiUe 
seiner  Mutter).  Verfasser  der  „Episteln",  sehr  frühreif, 
ein  Mann  von  großer  Bildung,  ein  großer  Redner,  ein 
Gönner  gelehrter  Männer  und  ein  befähigter  Staatsmann. 

Porta,  Giovanni  Battista;  ein  italienischer  Philosoph  seiner  Zeit 
von  höchstem  Ruf,  1550—1615,  Erfinder  der  Camera  obscu- 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  243 

ra.  Er  war  ein  Wunderkind  und  machte  sich  eine  univer- 
selle Bildung  zu  eigen.  Außer  über  naturwissenschaft- 
liche, schrieb  er  auch  über  andere  Gegenstände  gut.  Er 
gründete  Gesellschaften  und  gab  einen  bemerkenswerten 
Anstoß  zum  Studium  der  Naturwissenschaften.  Unver- 
heiratet. 
B.    Ein  jüngerer  Bruder,  teilte  seinen  Studieneifer. 

Saussure,  H.  B.  de,  Schweizer  Geologe  und  Physiker.  Sorgfältig 
erzogen,  wurde  mit  22  Jahren  zum  Professor  in  Genf  er- 
nannt. Seine  Konstitution  Utt  unter  den  Folgen  von 
alpinen  Expeditionen,  auch  durch  Sorgen  in  Geldsachen. 
Starb  mit  59  Jahren. 
V.  wissenschaftlich  gebildeter  Landwirt  und  Verfasser  ver- 
schiedener Werke  über  Agrikultur  und  Statistik. 
S.  Nicolas  Theodore,  Naturforscher  und  Chemiker.  Starb  mit 
78  Jahren.  Er  arbeitete  zuerst  mit  dem  Vater  zusammen 
an  dessen  Untersuchungen,  ging  aber  dann  einen  unab- 
hängigen Forschungsweg. 

Stephenson,  George,  hervorragender  Ingenieur.  Der  Vater  der 
Eisenbahnen.  Ein  großer  derbknochiger  Junge,  der  sich 
selbst  erzog.  Durch  fortschreitendes  aber  langsames 
Avancement  wurde  er  mit  41  Jahren  Ingenieur  in  einem 
Kohlenbergwerk,  mit  100  Pfund  jährUch.  Seine  erste 
Dampfmaschine  baute  er  mit  A3  Jahren.  Er  gewann 
den  Preis  für  den  besten  Entwurf  einer  Lokomotive  mit 
49  Jahren,  und  seither  war  sein  Weg  zum  Glück  ein 
kurzer.  Er  erfand  das  ganze  System  des  Eisenbahn- 
betriebs, die  Signale,  Erd-Ausgrabungsmaschinen,  Schie- 
nen, Stationen  und  Lokomotiven  und  errang  seinen  Er- 
folg im  Kampf  mit  jeder  Art  von  Opposition  und  ab- 
surden Einwürfen. 
S.  Robert,  frühreif  und  fleißig.  Wurde  der  erste  Ingenieur 
seiner  Zeit 

Volta,  Alessandro,  ein  italienischer  Physiker  der  höchsten  Art, 
bestbekannt  durch  seine  elektrischen  (Voltaischen)  Unter- 
suchungen. Napoleon  wollte  ihn  zum  Repräsentanten 
der  italienischen  Naturwissenschaft  machen  und  stieß 
ihn  auf  mannigfache  Weise  vorwärts,  doch  hatte  Volta 

16* 


244  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker. 

keinerlei  Ehrgeiz  dieser  Art.  Er  war  ein  Mann  von  edlem 
Äußern,  von  scharfer  und  rascher  Intelligenz,  weiten  und 
gerechten  Ideen,  ein  liebevoller  und  aufrichtiger  Charak- 
ter. Seine  Schüler  vergötterten  ihn.  Er  zeichnete  sich 
früh  im  College  aus.  Begann  mit  24  Jahren  über  Elektri- 
zität zu  schreiben.  Die  letzten  sechs  Jahre  seines  Lebens 
lebte  er  nur  für  seine  Familie.    Starb  mit  82  Jahren. 

(S)  Einer  seiner  beiden  Söhne,  voller  Verheißungen,  starb 
mit  18  Jahren. 
Watt,  James.  Erfinder  der  Dampfmaschine  und  vieler  anderer 
Dinge.  Er  hat  Anteil  an  der  Entdeckung  der  Zusam- 
mensetzung des  Wassers.  War  als  Kind  sehr  zart,  war 
frühreif,  liebte  Experimente,  las  gierig  und  unterschieds- 
los. Mit  21  Jahren  zog  er  die  Aufmerksamkeit  der  Au- 
toritäten an  der  Universität  Glasgow  auf  sich,  als  ein 
erfinderischer  und  philosophischer  Arbeiter.  Sein  Weg 
zum  Reichtum  war  langsam,  er  verdankte  ihn  haupt- 
sächlich seiner  glücklichen  Vereinigung  mit  Foulton,  der 
Energie,  Konzentration  auf  den  Zweck,  Mut,  admini- 
strative Geschicklichkeit  und  Kapital  hinzubrachte.  Watt 
war  beständig  kränklich  und  unschlüssig  bis  an  sein 
nahendes  Alter,  als  seine  Kraft  mehr  und  mehr  hervor- 
trat. Wenige  Männer  haben  so  viel  gelesen  als  Watt, 
oder  haben  das  Gelesene  mit  einer  solchen  Genauigkeit 
behalten.  Er  hatte  ein  wunderbares  und  wohlgeordnetes 
Gedächtnis  und  eine  merkwürdige  Klarheit  im  Er- 
klären. Als  erfinderisches  Genie  ist  er  nicht  übertroffen 
worden. 

(Q)  ein  einfacher  Lehrer  der  Mathematik  und  etwas  seltsam. 
Mr.  Muirhead  erzählt  von  ihm  in  seiner  Biographie 
Watts:  „Es  ist  sonderbar  zu  sehen,  welch  ein  ent- 
schiedener Hang  für  wissenschaftliche  Untersuchungen 
wenigstens  bis  zu  einem  gewissen  Grade  jedem  männ- 
lichen Mitglied  dieser  Familie  eigen  war,  so  daß  er  fast 
schon  das  Geburtsrecht  bei  den  Enkeln  von  Thomas 
Watt  ,dem  alten  Matematiker'  wurde.  Und  man  kann 
hinzufügen,  daß  die  gleiche  Neigung  fortfuhr  ,in  ihren 
Adern  zu  rollen'  bis  die  direkte  männliche  Linie  beider 


Naturwissenschaftler  und  Mathematiker.  245 

Söhne    des    berühmten  Erfinders    der   Dampftnaschine 
ohne  Nachkommenschaft  erlosch."  (S.  17.) 

(V.)    Ein  Mann  von  Fleiß  und  IntelUgenz,  war  zwanzig  Jahre, 
Stadtrat,  Schatzmeister  und  baiüie  von  Glasgow. 

(/.)  Agnes  Muirhead  war  eine  vortreffHche  Frau  von  gutem 
Verstand,  feinem  weibHchen  Aussehen,  ordnungsÜebend 
und  ladyiike.  Eine  alte  Frau  beschrieb  sie  aus  der  Er- 
innerung: „als  eine  brave,  brave  Frau,  die  ihresgleichen 
nicht  mehr  findet." 
(o)  John  Muirhead  scheint  Watts  Vater  sehr  gern  gehabt 
zu  haben,  die  beiden  waren  in  vielen  Abenteuern  eng 
verknüpft. 

(B)  starb  mit  21  Jahren  auf  der  See.  (s.  oben  die  Anspielung 
auf  die  beiden  Enkel.) 
S.  Gregory,  starb  mit  21  Jahren.  War  ein  Mensch  von 
großen  Verheißungen  in  der  Naturwissenschaft  und  eng 
befreundet  mit  Sir  Humphry  Davy.  Er  ist  den  Geologen 
wohlbekannt  durch  seine  Experimente  Steine  zu 
schmelzen  und  künstlichen  Basalt  zu  erzeugen. 

(S)  James,  starb  unverheiratet  mit  79  Jahren.  Hatte  große 
natürliche  Fähigkeiten,  war  aber  verschlossen  und  etwas 
eigentümlich  in  seinen  Gewohnheiten. 
Wollaston  William  Hyde,  Dr.  der  Medizin,  Naturwissenschaftler 
und  Experimentator,  hauptsächlich  bekannt  durch  seine  Er- 
findung des  Goniometers,  die  der  Wissenschaft  der  Kri- 
stallographie und  so  der  der  Camera  lucida  eine  sichere 
Basis  gab.  Ebenso  durch  seine  Endeckung  des  Metalls 
Palladium. 

„Ein  besonderer  Sinn  für  intellektuelle  Unter- 
suchungen der  allerexaktesten  Art  scheint  in  der  Familie 
erbüch  gewesen  zu  sein." 


246  Dichter. 


Dichter. 

Dichter  und  Künstfer  sind  im  allgemeinen  Menschen  von 
hohen  Bestrebungen,  nichtsdestoweniger  aber  sind  sie  genuß- 
süchtig, sinnlich  und  führen  einen  außerordentlich  unregel- 
mäßigen Lebenswandel.  Selbst  über  den  finsteren  und  tugend- 
predigenden Dante  spricht  sich  Boccaccio^)  in  äußerst  strengen 
Worten  aus.  Ihre  Talente  sind  gewöhnlich  schon  in  früher 
Jugend  entwickelt,  wenn  sie  zum  erstenmal  von  den  stürmischen 
Leidenschaften  der  Liebe  erschüttert  werden.  Von  allen,  die  in 
dem  Anhang  zu  diesem  Kapitel  aufgezählt  werden,  ist  Cowper 
der  einzige,  der  erst  in  reifen  Jahren  zu  schreiben  begann;  und 
keiner  von  den  anderen,  die  in  der  Überschrift  des  Anhangs  auf- 
gezählt sind,  mit  Ausnahme  vielleicht  von  Camoens  und  Spenser, 
verschoben  ihre  Laufbahn  als  Schriftsteller  über  die  dreißig 
hinaus.  Es  ist  lehrreich  und  vielleicht  von  Interesse,  einige  Tat- 
sachen bezüglich  ihrer  frühreifen  Talente  zu  erwähnen. 

Beranger,  ein  Schriftsetzer,  war  Autodidakt  und  begann  mit 
16  Jahren  zu  pubHzieren.  Burns  war  mit  16  Jahren  in  seinem 
Dorf  berühmt  und  begann  bald  darauf  zu  schreiben.  Calderon 
tat  es  bereits  mit  14  Jahren.  Campbeils  „Vergnügungen  der  Hoff- 
nung" wurden  veröffentHcht,  als  der  Autor  20  Jahre  alt  war. 
Goldoni  schuf  mit  8  Jahren  eine  im  Manuskript  gebhebene  Ko- 
mödie, die  alle  amüsierte,  die  sie  sahen.  Ben  Jonson,  ein  Ziegel- 
baueriunge,  fuhr  ruhig  seines  Weges  durch  Westminster  und 
Cambridge  hindurch  und  wurde  mit  24  Jahren  durch  sein  „Jeder- 
mann hat  seinen  Humor"  berühmt.  Keats,  der  Gehilfe  eines 
Chirurgen,  pubHzierte  seine  ersten  Sachen  mit  21  Jahren  und 
starb  mit  25.     Metastasio  improvisierte  öffentlich  als  Kind  und 


1)  Vorwort  zu  Rossettis  Übersetzung  von  »Inferas". 


Dichter.  247 

schrieb  mit  15  Jahren.  Tom  Moore  pubHzierte  unter  dem  Pseudo- 
nym Thomas  Little  und  war  mit  23  Jahren  berühmt.  Ovid  schrieb 
von  seiner  Knabenzeit  an  Verse.  Pope  veröffentHchte  seine 
„Schäfergedichte"  mit  16  Jahren  und  übersetzte  die  IHas  zwischen 
25  und  30.  Shakespeare  muß  sehr  früh  begonnen  haben,  denn 
er  hatte  mit  34  Jahren  schon  fast  alle  seine  historischen  Schau- 
spiele geschrieben.  Schiller,  ein  verheißungsvoller  Knabe,  war 
mit  23  Jahren  durch  seine  Räuber  berühmt.  Sophokles  schlug 
mit  27  Jahren  Äschylos  in  dem  Wettkampf  um  den  Theater- 
preis. 

Ich  füge  jetzt  meine  gewöhnliche  Tafel  bei: 

Tafel  I. 

Übersicht    über    die    Verwandtschaftsbeziehungen    von    24 
Dichtern,  gruppiert  in  20  Familien. 

Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie). 


Byron 

s. 

Milman 

V. 

Chaucer 

S. 

Racine 

s. 

2.  Chenier 

B. 

2.  Tasso 

V. 

Goethe 
Heine 

V. 

O. 

Vega 

s. 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  vier 

in  der  Familie). 

Äschylos 

2B 

Dibdin 

S.  N. 

2,  Ariosto 

B.  N. 

Dryden 

SOE. 

Aristophanes 

3S. 

Hook 

V.  B.  N. 

2.  Corneille 

B.  n. 

Milton 

V.  B. 

Cowper 

Q.  GB. 

Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der  Familie). 
Coleridge  S.  s.  3  N.  E.  2  NS. 

Wordsworth  B.  3N. 

Die  Resultate  von  Tafel  11  sind  überraschend.  Es  scheint, 
daß  mit  Ausnahme  der  Angehörigen  von  Coleridge  und  Words- 
worth, die  verschiedene  Arten  von  Befähigung  gezeigt  haben, 
fast  alle  Verwandte  ersten  Grades  sind.  Dichter  sind  offenbar 
keine  Familienbegründer.  Der  Grund  ist,  denke  ich,  einfach  und 
läßt  sich  auf  Künstler  im  allgemeinen  anwenden.    Um  ein  großer 


248 


Dichter. 

Tafel  IP) 


Verwan 

dtscha 

ftsgrade. 

A. 

B. 

C. 

D. 

Bezeichnung 

Korrespondierende         | 

des  Grades 

Buchstaben 

•o  /Vater 

4  V 

— 

— 



4 

20 

100 

20 

Q /Bruder 

8  B 

— 

— 

— 

8 

40 

150 

26 

^   Sohn 

9  S 

— 

— 

9 

45 

100 

45 

"O 

Großvater 

1  G 

Og 

— 

— 

1 

5 

200 

2.5 

« 

Onkel 

1  O 

0  o 

— 

— 

1 

5 

400 

1.25 

O 

Neffe 

9  N 

1  n 

— 

— 

10 

50 

400 

12.5 

CN 

Enkel 

1  E 

0  e 

— 

— 

1 

5 

200 

2.5 

Urgroßvater 

0  GV 

OgV 

0  GV 

O^V 

0 

0 

400 

0 

"ö   Großonkel 

1  GB 

OgB 

0  GB 

OgB 

1 

5 

800 

6 

O  <  Cousin 

0  OS 

0  oS 

0  OS 

0  oS 

0 

0 

800 

0 

c6 

Großneffe 

2  NS 

0  nS 

0  i\^S 

0  nS 

2 

10 

800 

1 

Urenkel 

0  ES 

0  eS 

0  ES 

0  eS 

0 

0 

400 

0 

alle  entfernter 

V 

erwandten 

1 

— 

— 

— 

1 

5 

— 

— 

Künstler  zu  sein,  bedarf  es  einer  seltenen  und  sozusagen  unnatür- 
lichen Wechselbeziehung  von  Eigenschaften.  Ein  Dichter  muß 
neben  seinem  Qenius  die  Strenge  und  den  standhaften  Eifer  jener 
haben,  deren  Neigungen  den  Versuchungen  von  Vergnügen  wider- 
stehen, und  doch  muß  er  gleichzeitig  den  höchsten  Genuß  an  der 
Übung  seiner  Sinne  und  Leidenschaften  haben.  Ein  solcher 
Charakter  ist  selten,  und  er  kann  nur  durch  einen  glück- 
lichen Zufall  gebildet  werden,  er  ist  daher  in  der  Vererbung 
unbeständig.  Gewöhnlich  begehen  die  Menschen,  die  aus- 
gesprochen genußsüchtige  Neigungen  haben,  einen  Fehltritt 
im  Leben  und  verirren  sich.  Diese  Tendenz  geht  klar  aus 
zahlreichen  Beispielen  des  folgenden  Anhangs  hervor,  wo 
sich  der  gefährHche  Teil  eines  poetischen  Charakters,  ohne  die 
anderen  Eigenschaften,  die  ihn  mildern  und  kontrollieren,  ver- 
erbt hatte. 


1)  S.  61. 


Dichter.  2  49 

Anhang  zu  dem  Kapitel  „Dichte  r". 
Ich  habe  die  Verwandtschaftsbeziehungen  der  folgenden  56 
Dichter  untersucht.  Über  einige  von  ihnen,  so  über  Ferdusi, 
Terenz  und  Sappho,  scheinen  überhaupt  keine  Aufzeichnungen  zu 
existieren,  und  bei  vielen  von  den  übrigen  ist  meine  Kenntnis 
sehr  beschränkt.  Nichtsdestoweniger  finde  ich,  daß  20  Dichter, 
deren  Namen  nachstehend  durch  Sperrdruck  deutlich  gemacht 
sind,  hervorragende  Verwandte  besaßen,  und  daß  einige  der 
übrigen  geringe  Beweise  vererbter  Befähigung  darbringen,  so 
waren  der  Vater  von  Burns  und  die  Mutter  Schillers  nichts 
weniger  als  mittelmäßig;  Southey's  Tante,  Miss  Tyler,  hebte 
das  Theater  leidenschaftlich.  Wir  können  ruhig  den  Schluß 
ziehen,  daß  mindestens  40%  der  Dichter  hervorragend  begabte 
Verwandte  haben. 

Liste  der  Dichter : 
Ä  s  c  h  y  1  o  s ,     Alfieri,     Anakreon,     Ariosto,     Aristo- 
p  h  a  n  e  s  ,  Beranger,  Burns,  B  j  r  o  n  ,  Calderon,  Campbell,  Ca- 
moens,  Chaucer,  Chenier,  Coleridge,  Corneille, 
C  o  w  p  e  r  ,   Dante,   Dibdin,    Dryden,   Euripides,   Ferdusi, 
La  Fontaine,  Goethe,  Qoldoni,  Gray,  Heine,  Hook,  Horaz, 
Ben  Jonson,  Juvenalis,  Keats,  Lukrez,  Metastasio,   M  i  1  m  a  n , 
M  i  1 1  o  n ,    MoHere,    Moore,     öhlenschläger,     Ovid,     Petrarca, 
Plautus,  Pope,  Praed  (s.  a.   den  Anhang),  Racine,  Sappho, 
Schiller,   Shakespeare,    Shelley,    Sophokles,   Southey,     Spenser, 
T  a  s  s  o  ,  Terenz,  V  e  g  a ,  Virgil,  Wieland,  Wordswort  h, 
Ä  s  c  h  y  1  o  s ,  großer  griechischer  Tragiker,  auch  als  Krieger 
hochberühmt,  seine  ganze  Famihe  zeichnete  sich  durch 
Tapferkeit  aus.    Er  begann  früh  zu  schreiben,  war  aber 
41  Jahre  alt,  ehe  er  seinen  ersten  Preis  für  ein  Drama 
gewann.     Nachher  errang  er   sechzehn.     Starb  mit  69 
Jahren. 
B.    Cynaegeirus  zeichnete  sich  zusammen  mit    Äschyios,  so 
hoch  bei  Marathon  aus,  daß  ihre  Taten  durch  ein  be- 
schreibendes Gemälde  gefeiert  wurden. 
B.    Ameinas  ist  bekannt  als  Erster,  der  den  Angriff  auf  die 

persischen  Schiffe  bei  Salamis  begann, 
(n)    Philocles  siegte  über  den  „König  Oedipus"  des  Sophokles, 
wahrscheinHch     mit     einer     posthumen    Tragödie     des 
Äschyios. 
t(2  S.)    Euphorion  und  Bion   sollen  vier  Siege  mit  posthumen 


260  Dichter. 

Werken  des  Äschylos  errungen  haben.  Was  vielleicht 
ihr  Anteil  und  ebenso  der  des  Philocles  an  der  Voll- 
endung dieser  Stücke  war,  ist  unbekannt,  aber  auf  jeden 
Fall  entstand  aus  diesen  Menschen  und  durch  ihre  Hilfe 
das,  was  wir  die  tragische  Schule  des  Äschylos  nennen, 
die  noch  125  Jahre  fortdauerte. 

Ariosto,  Ludovico,  Autor  des  Epos  „Der  rasende  Roland" 
und  vieler  ausgezeichneter  Satiren.  Er  schrieb  als 
Knabe  Dramen  und  zeigte  frühe  Neigungen  für  die  Dicht- 
kunst, wurde  aber  zum  Jus  angehalten,  das  er  unter 
einem  überwältigenden  Drang  zur  Literatur  verließ.  Hei- 
ratete nie,  hatte  zwei  illegitime  Söhne. 
B.  Gabriele,  ein  Dichter  von  einiger  Bedeutung.  Er  voll- 
endete die  Komödie  „La  Scolastica",  die  nach  dem  Tode 
seines  Bruders  unvollendet  gebUeben  war.  Er  schrieb 
verschiedene  Gedichte  und  hinterließ  einen  Manuskript- 
band lateinischer  Verse,  die  nach  seinem  Tode  ver- 
öffentlicht wurden. 
N.  Orazio,  war  ein  intimer  Freund  von  Tasso.  Er  schrieb 
die  „Argomenti"  und  andere  Werke. 

Aristophanes,  griechischer  Komödiendichter  der  höchsten 
Art.  Verfasser  der  54  Komödien,  von  denen  nur  11  auf 
uns  gekommen  sind.  Sein  Genius  zeigte  sich  so  früh- 
zeitig, daß  sein  erstes  Stück  —  und  er  gewann  den  zweiten 
Preis  damit  —  zu  einer  Zeit  geschrieben  war,  als  er  die 
gesetzlich  festgelegte  Altersgrenze  für  die  Wettbeteili- 
gung noch  nicht  erreicht  hatte.  Es  wurde  daher  unter 
einem  angenommenen  Namen  vorgelegt. 
3  S  Seine  drei  Söhne  —  Philippus,  Araros  und  Nicostratus  — 
waren  alle  Dichter  mittelmäßiger  Komödien. 

Byron,  Lord.    Wurde  zu  Hause  sehr  schlecht  erzogen.    Zeigte 
noch  in  Harrow  kein  Talent.   Seine  „Stunden  der  Muße** 
wurden  veröffentlicht,  als  er  19  Jahre  alt  war,  „Englische 
Barden  und  Schottische  Rezensenten",  die  ihn  berühmt 
machten,  erschienen,  als  er  21  Jahre  alt  war,  starb  mit 
36  Jahren. 
(G)    Hon.  Admiral  Byron,  Weltumsegler,  Verfasser  von  „Er- 
zählungen". 
(V)    Kapitän  Byron,  unbedachtsam  und  lasterhaft. 
(f)    war     seltsam,     hochmütig,     leidenschaftlich     und  halb- 
verrückt.    „Wenn   es   je   einen   Fall   gab,  wo   vererbte 


Dichter.  251 

Einflüsse,  die  aus  impulsiven  Leidenschaften  und  Lebens- 
gewohnheiten aufsteigen,  Exzentrizitäten  des  Charakters 
und  das  Äußerste  an  Benehmen  entschuldigen,  so  muß 
er  für  Byron  in  Anspruch  genommen  werden,  da  er 
mütterlicherseits,  wie  väterUcherseits  von  einer  Reihe 
von  Ahnen  abstammt,  bei  denen  alles  darauf  abgesehen 
schien,  jede  Harmonie  des  Charakters,  jede  soziale 
Übereinstimmung  und  jedes  individuelle  Glück  zu  zer- 
stören." (Mrs.  Ellis.) 
s.  Ada,  Gräfin  von  Lovelace,  hatte  eine  bemerkenswerte 
mathematische  Begabung. 

C  h  a  u  c  e  r ,  Qeoffrey,  schrieb  mit  18  Jahren  den  „Hof  der 
Liebe'*.  Berühmter  Dichter,  Vater  der  englischen  Dich- 
tung und  in  einem  gewissen  Sinne  auch  der  englischen 
Sprache. 
S.  Sir  Thomas.  War  Vorsitzender  des  Hauses  der  Ge- 
meinen und  Gesandter  in  Frankreich. 

C  h  e  n  i  e  r  ,  Andre  Marie,  hervorragender  französischer 
Dichter.  Seine  Mutter  war  Griechin  und  weckte  in  ihm 
eine  leidenschaftliche  Liebe  für  griechische  Literatur. 
Er  starb  mit  32  Jahren  auf  der  Guillotine.  Er  war  es, 
der  vor  der  Hinrichtung  auf  dem  Schafott  seine  Stirn 
berührte  und  bedauernd  sagte:  „Pourtant  j'avais  quelque 
chose  lä." 
B.  Marie  Joseph,  gleichfalls  ein  Dichter.  Er  schrieb 
Dramen  und  Gedichte,  unter  den  letzteren  war  das 
„Abschiedslied",  das  fast  mit  der  „Marseillaise"  rivali- 
sierte. Unter  der  Republik  und  dem  ersten  Königreich 
war  er  ein  führender  Politiker.  Sein  erstes  Stück  wurde 
gespielt,  als  er  20  Jahre  alt  war,  und  wurde  ausgezischt. 

C  o  1  e  r }  d  g  e ,  Samuel  Taylor,  Dichter  und  Philosoph.  War 
schon  mit  15  Jahren  ganz  von  Poesie  und  Philosophie 
erfüllt,  immer  unbedachtsam  und  träge.  War  in  der 
Freundschaft  warm,  aber  seltsam  pflichtvergessen  in 
bezug  auf  Schulden  und  etwas  zänkisch;  von  einer  spezi- 
fisch zögernden  Gemütsart,  Opiumesser.  Volle  acht  Mit- 
glieder seiner  Familie  —  in  der  Tat,  fast  alle  männlichen 
Repräsentanten  —  waren  mit  seltener  Befähigung  aus- 
gestattet. 
S.    Hartley,  Dichter,   ein  frühreifes  Kind,   hatte   als  Knabe 


252  Dichter. 

Visionen.    Seine  Phantasie  und  seine  Unterhaltungsgabe 
waren  außerordentUch.  Er  war  krankhaft  ausschweifend. 

s.  Sara;  besaß  in  bemerkenswertem  Grade  den  intellek- 
tuellen Charakter  ihres  Vaters.  Sie  war  Schriftstellerin 
und  hauptsächlichster  Herausgeber  der  Werke  ihres 
Vaters.  Sie  heiratete  ihren  Cousin  H.  Nelson  Coleridge 
und  war  die  Mutter  Herberts,  (s.  unten.) 

S.  Rev.  Derwent,  Coleridge,  Schriftsteller.  Leiter  des  St 
Mark's  College,  Chelsea,  das  letzte  Kind  des  Dichters. 

S.  Sir  John  Taylor  Coleridge,  judge,  in  frühem  Alter  schon 
hervorragend  als  gebildeter  Kenner  des  Altertums  und 
Schriftsteller. 

N.    Edward  Coleridge,  Leiter  von  Eton, 

N.  Henry  Nelson  Coleridge,  guter  Kenner  des  Altertums, 
ein  wohlbekannter  Autor  vieler  Artikel  in  Zeitschriften, 
heiratete  seine  Cousine  Sara.    (s.  oben.) 

E.    auch  B.  E.    Herbert  Coleridge,  Philologe. 
(NS.)    Henry,  vorher  fellow  des  Oriel  College,  jetzt  Katholik. 
NS.    Sir  John  Duke  Coleridge,  Solicitor-Qeneral. 
Corneille,    Pierre,    französischer    Dramatiker.      Begründer 
der  dramatischen  Kunst  in  Frankreich;  wurde  für  das 
Barreau  bestimmt,  vertauschte  es  aber  infolge  eines  über- 
mächtigen   Impulses    mit    der    Poesie.      Seine     erste 
Publikation  war   eine  Komödie   mit  23   Jahren.     Starb 
mit  78. 

B.  Thomas,  auch  ein  Dichter,  der  mit  Pierre,  seinem  älteren 
und  einzigen  Bruder,  zusammen  arbeitete.  Ihre  Charak- 
tere und  ihre  Lebensweise  waren  von  einem  merkwürdig 
engen  Einklang.  So  betrug  der  Altersunterschied 
zwischen  ihnen  neunzehn  Jahre,  und  sie  heirateten 
Schwestern,  zwischen  denen  der  gleiche  Unterschied  be- 
stand. Die  beiden  FamiUen  lebten  in  dem  gleichen 
Hause.  Sie  schrieben  beide  die  gleiche  Anzahl  von 
Stücken,  und  ihre  Werke  waren  von  gleicher  Art. 
Thomas  hatte  eine  größere  Leichtigkeit  im  Schreiben, 
aber  sein  Stil  stand  an  Energie  dem  seines  Bruders 
nach.  Er  war  Pierres  Nachfolger  in  der  Akademie,  starb 
mit  84  Jahren. 

r.  Fontenelle,  Sohn  der  einzigen  Schwester  der  Obigen. 
Fast  vierzig  Jahre  lang  der  gefeierte  Sekretär  der  fran- 


Dichter.  253 

zösischen  Akademie.  Sein  wirklicher  Name  war  Bovier, 
Er  pflegte  zu  sagen:  „Mon  pere  etait  une  bete,  mais  ma 
mere  avait  de  l'esprit;  eile  etait  quietiste."  Sein  Cha- 
rakter zeigte  eine  seltsame  Mischung,  er  war  teilweise 
ein  Mann  der  Gesellschaft  des  damaligen  frivolen  und 
konventionellen  Typus  und  teilweise  ein  origineller  Mann 
der  Wissenschaft  und  Freidenker.  Fontenelle  in  der 
Oper  und  Fontenelle  in  der  Academie  des  Sciences 
schienen  zwei  verschiedene  Menschen  zu  sein.  Einige 
Biographen  sagen,  er  habe  mehr  Kopf  als  Herz  gehabt; 
andere  bewundern  sein  Gemüt.  Er  starb  kurz  vor 
seinem  hundertsten  Geburtstage  an  Altersschwäche.  Er 
war  ein  frühreifes  Kind.  Im  College  hieß  es  bei  seinem 
Namen  „Adolescens  omnibus  partibus  absolutus",  ein 
nach  jeder  Hinsicht  vollendeter  Jüngling.  Er  trat  mit 
Schauspielen  ins  öffentliche  Leben,  um  es  seinen  Onkeln 
gleichzutun,  doch  wurden  seine  Werke  ausgezischt.  Dann 
wandte  er  sich  den  Naturwissenschaften  zu  und  wurde 
mit  34  Jahren  Mitghed  der  Akademie.  Er  erreichte  ein 
außerordentlich  hohes  Alter,  wurde  taub  und  verlor  sein 
Gedächtnis  stark,  doch  war  er  bis  zuletzt  „aussi  spirituel 
que  Jamals".  Starb  einen  Monat,  ehe  er  volle  100  Jahre 
alt  wurde,  s.  d'Alembert  unter  „Naturwissenschaftler 
und  Mathematiker". 

(BEE.)  (?)  Charlotte  Corday,  die  heldenhafte  Mörderin  Marats. 
Wurde  150  Jahre  oder  wahrscheinHch  fünf  Generationen 
später  als  die  Familie  Corneille  geboren:  sie  stammte 
direkt  von  der  Mutter  FonteneUes  ab. 

C  o  w  p  e  r  ,  William.  Ein  Dichter,  dessen  Schriften  von  einem 
seltsam  stillen  Reiz  sind  und  voller  gütiger  und  zarter 
Gefühle.  Er  hatte  das  mittlere  Alter  überschritten,  als 
er  zu  pubhzieren  begann,  seinen  ersten  Erfolg  erreichte 
er  mit  54  Jahren.  In  seiner  Jugend  war  er  von  einer 
krankhaften  Schüchternheit,  und  Wahnsinn  verbunden 
mit  religiösem  Grausen  bedrohten  sein  späteres  Leben. 
Er  kämpfte  tapfer  dagegen  an,  aber  sie  überwältigten 
ihn  schließlich. 
Q.  Judge,  Sir  Spencer  Cowper. 
GB.    Lord  Chancellor,  Earl  Cowper. 

Dibdin,  Charles.  Verfasser  von  mehr  als  900  Seeballaden. 
Er  war  für   die  Kirche  bestimmt,   aber   die  Liebe  zur 


254  Dichter. 

Musik  war  so  stark  in  ihm,  daß  er  sich  mit  der  Bühne 
verband.  Seine  erste  Oper  wurde  im  Covent  Garden 
gegeben,  als  er  erst  16  Jahre  alt  war.  Er  wurde  später 
Theaterleiter,  war  aber  unvorsichtig  und  infolgedessen 
in  seinem  späteren  Leben  oft  in  Verlegenheit 
iV.)    war  ein  ansehnUcher  Kaufmann. 

(v.)    war   fünfzig   Jahre,  als   ihr   achtzehntes   Kind   geboren 
wurde. 

S.  Thomas;  war  Gehilfe  bei  einem  Tapezierer,  doch  schloß 
er  sich  einer  Gruppe  umherziehender  Schauspieler  an 
und  ging  zur  Bühne.  Er  schrieb  eine  ganze  Reihe  von 
Stücken  und  änderte  auch  viele  Stücke  um;  doch  hatte 
keines  seiner  Stücke  viel  originellen  Wert. 

N.  Rev.  Thomas  F.  Dibdin,  berühmter  BibUograph;  grün- 
dete den  Roxburghe  Club,  der  den  Zweck  hat,  seltene 
Bücher  neu  herauszugeben. 
Dryden,  John;  Dramatiker,  Satiriker  und  Kritiker.  Er  ge- 
hörte zu  den  ersten  Geistern  seiner  Zeit.  Mit  17  Jahren 
schrieb  er  gute  Verse;  „Astraea  Redux"  veröffentUchte 
er  mit  29  Jahren,  als  erstklassiger  Schriftsteller  wurde 
er  aber  erst  mit  50  Jahren  anerkannt 

S.    John,  schrieb  eine  Komödie. 

f/E.  Jonathan  Swift.  Dr.  der  Theologie,  Dekan  von  St. 
Patrick;  Satiriker  und  Politiker,  s.  unter  „Literaten". 
Goethe,  Johann  Wolfgang;  Dichter  und  Philosoph.  Eines  der 
größten  Genies,  die  die  Welt  hervorgebracht  hat  Seine 
Anlagen  scheinen  ähnlich  wie  die  von  Lord  Bacon  aus 
einer  einfachen  Addition  derjenigen  seiner  Vorfahren 
entstanden  zu  sein.  Er  war  ein  außerordentlich  früh- 
reifes Kind,  denn  er  schrieb  als  Kind  von  6—8  Jahren 
Dialoge  und  andere  Stücke,  die  sowohl  originell  als  gut 
waren.  Er  war  in  seiner  Knabenzeit  und  Jugend  ein 
eifriger  Schüler,  obgleich  planlos  in  seiner  Lektüre.  Sein 
Charakter  war  damals  stolz  und  phantastisch.  Goethe 
beschrieb  selbst  seine  vererbten  Eigentümlichkeiten  in 
einem  hübschen   Gedicht*)     Um  mehr   Einzelheiten  zu 


*)  Vom  Vater  hab'  ich  die  Natur 
Des  Lebens  ernstes  Führen 
Von  Mütterchen  die  Frohnatur, 
Und  Lust  zu  fabulieren. 


Dichter.  256 

geben,  bringe  ich  das  Wesentliche  der  beiden  folgenden 
Absätze  aus  Lewes  Qoethebiographie. 
V.  Eine  der  erfreulichsten  Gestalten  aus  der  deutschen  Lite- 
ratur, bei  größerer  Lebhaftigkeit  hielt  sie  mehr  aus  als 
irgend  eine  andere.  Sie  war  das  Entzücken  der  Kinder, 
der  Liebling  von  Dichter  und  Fürsten.  Nach  einem 
langen  Gespräch  rief  ein  enthusiastischer  Reisender  aus: 
„Jetzt  verstehe  ich,  wie  Goethe  der  Mann  wurde,  der 
er  ist."  Die  Herzogin  Amalie  korrespondierte  mit  ihr 
wie  mit  einer  intimen  Freundin;  ein  Brief  von  ihr  war 
ein  kleines  Fest  am  Hofe  von  Weimar.  Sie  wurde  mit 
17  Jahren  an  einen  Mann  verheiratet,  den  sie  nicht  liebte, 
und  war  erst  18  Jahre  alt,  als  der  Dichter  geboren 
wurde. 
iV.)  war  ein  kalter,  finsterer,  förmlicher,  etwas  pedantischer, 
aber  wahrheitsliebender,  rechtschaffen  gesinnter  Mann. 
Von  ihm  erbte  der  Dichter  die  wohlgebaute  Gestalt,  die 
aufrechte  Körperhaltung  und  die  gemessenen  Be- 
wegungen, die  in  vorgerücktem  Alter  etwas  Steifes  be- 
kamen, was  als  diplomatisch  oder  hochmütig  ausgelegt 
wurde;  von  ihm  rührte  auch  die  OrdnungsUebe  und  der 
Stoizismus  her,  Eigenschaften,  die  jene  peinigten,  die  sich 
das  Genie  nicht  anders  als  mit  landstreicherischen  Ge- 
wohnheiten vorstellen  können.  Die  Lust  am  Wissen, 
das  Vergnügen,  es  mitzuteilen,  die  fast  pedantische  Auf- 
merksamkeit für  Einzelheiten,  lauter  Eigenschaften,  die 
an  dem  Dichter  bemerkbar  sind,  lassen  sich  schon  beim 
Vater  nachweisen. 

Goethe  heiratete  unangemessen  und  hatte  einen  Sohn 

ohne  jegliche  Bedeutung,  der  vor  ihm  starb. 

Heine,  Heinrich;  deutscher  Dichter,  Essayist  und  Satiriker  der 

höchsten  Art.    War  für  den  Handel  bestimmt,  hatte  aber 

Ekel  davor  und  ging  zur  Literatur  über,  als  Schüler  und 


Urahnherr  war  der  Schönsten  hold, 
Das  spukt  so  hin  und  wieder; 
Urahnfrau  liebte  Schmuck  und  Gold 
Das  zuckt  wohl  durch  die  Glieder. 

Sind  nun  die  Elemente  nicht 
Aus  dem  Komplex  zu  trennen, 
Was  ist  denn  an  dem  ganzen  Wicht 
Original  zu  nennen. 


256  Dichter. 

Freund  von  A.  W.  Schlegel.    Er  publizierte  zum  ersten- 
mal mit  25  Jahren,  doch  das  Publikum  anerkannte  seine 
Schriften  erst,  als  er  28  Jahre  alt  war.    Mit  47  Jahren 
begann  er  an  partiellen  Lähmungen  zu  leiden  und  starb 
mit  56  Jahren.    War  jüdischer  Abkunft. 
O.    Salomon  Heine,  ein  deutscher  Philantrop;  ursprünglich 
arm,  erwarb  er  ein  Vermögen  von  nahezu  zwei  Millionen 
Sterling  und  gab  riesige  Summen  für  öffentliche  Institute 
aus. 
(OS.)    Der  Sohn  Salomons;  folgte  seinem  Vater  in  der  Füh- 
rung seiner  Geschäfte. 
Hook,    Theodore.      War    ein    bemerkenswerter    geschickter 
Junge,  der  gut  sang  und  Lieder  komponierte.    Er  hatte 
mit  17  Jahren  große  Erfolge.    Seine  Konstitution  war  von 
Natur  ausgezeichnet,  aber  er  ruinierte  sie  durch  ein  aus- 
schweifendes Leben;  starb  mit  53  Jahren  an  zerrütteter 
Gesundheit.    War  unverheiratet,  hatte  aber  sechs  illegi- 
time Kinder. 
V.    James    Hook,    ein    Komponist    von    außerordentlicher 

Fruchtbarkeit  und  seinerzeit  von  beträchtlichem  Ruf. 
B.    Dr.    James    Hook,    Dekan    von    Worcester,    gebüdeter 
Kenner    des    Altertums,    hervorragend    als    politischer 
Pamphletist. 
N.    Dr.  Walter  Farquhar  Hook,  Dekan  von  Chichester,  Theo- 
loge, Schriftsteller  und  Prediger. 
Milman,  Henry  Hart;  Dekan  von  St.  Paul;  guter  Kenner  des 
Altertums,  Kritiker,  Dichter,  Historiker  und  QeistUcher, 
„Der   Fall   Jerusalems",    „Geschichte   der   Juden"   usw. 
Sehr   erfolgreich   in   Oxford.     Auffallend   schön.     Starb 
mit  77  Jahren. 
V.    Hervorragender  Physiker.     Präsident  des   College   der 
Physiker. 
Mi!  ton,  John;  berühmtester  engHscher  Dichter,  guter  Kenner 
des  Altertums  und  republikanischer  Schriftsteller.    War 
schmuck  und  als  Jüngling  von  mädchenhafter  Schönheit. 
Schrieb  „Arcades",  „Comus",  „L'Allegro"  und  „II  Pense- 
roso", ehe  er  31  Jahre  alt  war.    Erblindete  mit  40  Jahren. 
Zwanzig  Jahre  lang  kümmerte  er  sich  nicht  um  die  Dich- 
tung, da  er  in  das  politische  Leben  verwickelt  war.  „Das 
verlorene  Paradies"  und  das  „Wiedergewonnene"  ent- 
standen erst  nach  dieser  Periode.    „Das  verlorene  Para- 


Dichter.  257 

dies"  wurde  erst  lange  nach  dem  Tode  seines  Verfassers 
berühmt. 
V.    Ein  Mann   von   hervorragendem   musikaUschen   Talent, 

dessen  Melodien  noch  nicht  vergessen  sind. 
B.    Ein  Judge,  dessen  Glaube,  politische  Überzeugung  und 
Charakter  den  Gegensatz  des  Dichters  bildeten.    Seine 
Befähigung  war  bei  weitem  geringer. 

Praed,  Mackworth;  ein  Mann  von  durchdringender  poetischer 
Begabung,  doch  von  mehr  Eleganz  als  Kraft. 
(3  n.)    Sir  George  Joung,  Baronet  und  seine  Brüder,  eine  be- 
fähigte Famihe  von  guten  Altertumskennern. 

Racine,  Jean,  französischer  Dramatiker  und  Verfasser  anderer 
Schriften.  Seit  seinem  4.  Jahre  verwaist;  wurde  mit 
16  Jahren  in  eine  Schule  aufgenommen,  die  zu  Port  Royal 
gehörte,  machte  staunenerregende  Fortschritte,  doch 
brach  er  bald  vöUig  mit  den  Ideen  und  Studien,  die  dort 
gepflegt  wurden  und  widmete  sich  Werken  der  Phan- 
tasie und  schrieb  Verse,  wofür  er  streng  gestraft  wurde. 
S.  Louis,  war  ein  Dichter  seiner  Natur  nach,  betrieb  iedoch 
infolge  von  Erm.ahnungen  nie  die  Dichtung  nach  seinem 
vollen  Wunsch.    Er  war  hochbegabt;  starb  mit  70  Jahren. 

Tasso,  Torquato;  itaHenischer  Dichter;  war  außerordentlich 
frühreif.  Als  er  16  Jahre  alt  war,  sagte  sein  Vater  von 
ihm,  er  sei  seiner  Mutter  wert.  Mit  17  Jahren  schrieb 
er  „Rinaldo",  starb  mit  51  Jahren,  als  er  gerade  aus  einer 
grausamen  siebenjährigen  Gefangenschaft  entlassen  war 
am  Vorabend  seiner  geplanten  Krönung  auf  dem 
Kapitol  zum  Dichterfürsten. 
(V.)  Porzia  di  Rossi,  war  eine  nach  jeder  Hinsicht  begabte 
Frau. 
V,  Bernardo  Tasso,  Dichter,  Verfasser  von  „L'Amadigi"  usw. 
i<edner.  Er  war  in  seiner  Jugend  in  schlechten  Ver- 
hältnissen und  führte  lange  ein  dürftiges  Wanderleben. 

Vega.  Lope  de;  spanischer  Dichter  von  außerordentlicher 
Fruchtbarkeit.  Er  schrieb  497  Schauspiele  und  außer- 
dem noch  viele  andere  Sachen.  War  sehr  frühreif.  Er 
Hef  von  zu  Hause  fort  und  trat  in  die  Armee  ein.  Er  er- 
warb sich  durch  seine  Feder  ein  beträchtliches  Ver- 
mögen. Starb  mit  73  Jahren. 
S.  Ein  natürücher  Sohn,  den  er  von  Marcela  hatte.  Spielte 
mit  14  Jahren  eine  gewisse  Rolle  als  Dichter,  trat  aber 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vererbung.  17 


268  Dichter. 

in  die  Marine  ein  und  verlor  noch  ganz  jung  sein  Leben 
in  einer  Schlacht. 
Wordsworth,  William,  Dichter.  Seine  Qrabschrift  von 
Keble  ist  so  groß  und  zutreffend,  daß  ich  einen  Teil  hier 
abdrucke:  „Ein  wahrer  Philosoph  und  Dichter,  der  durch 
die  spezielle  Gabe  und  Berufung  des  Allmächtigen 
Gottes,  nicht  verfehlte  das  Herz  zu  heiligen  Dingen  zu 
erheben,  ob  er  nun  über  den  Menschen  oder  die  Natur 
sprach;  er  ermüdete  nicht,  die  Sache  der  Armen  und  Ein- 
fältigen zu  verfechten  und  war  so  in  gefährlichen  Zeiten 
auserkoren,  der  erste  Meister  nicht  nur  der  edelsten 
Poesie,  sondern  der  höchsten  und  heiligsten  Wahrheit 
zu  sein." 

Er  scheint  als  Knabe  nicht  frühreif  gewesen  zu  sein. 
In  seiner  Jugend  war  er  ein  heißer  RepubHkaner;  einen 
Rang  als  Dichter  erreichte  er  erst  in  seiner  Mannes- 
zeit, mit  40  Jahren.  Er  war  eines  der  wichtigsten  Mit- 
glieder der  „Lake"  Dichterschule.    Starb  mit  82  Jahren. 

B.  Rev.  Dr.  Christopher  Wordsworth,  Vorsteher  des  Tri- 
nity  College  in  Cambridge;  Verfasser  der  „Eccle- 
iastischen  Biographie"  etc.  Er  hatte  die  drei  folgenden 
Söhne,  Neffen  des  Dichters. 

N.  John.  Ausgezeichneter  Kenner  des  Altertums.  Cam- 
bridge, 1827,  starb  jung. 

N.  Rev.  Christopher,  Bischof  von  Lincoln,  1830  erster  in 
klassischen  Studien  in  Cambridge;  vorher  öffentlicher 
Redner  in  Cambridge  und  Erster  Direktor  von  Harrow. 
Verfasser  umfangreicher  Werke. 

N.  Charles,  Bischof  von  Dunkeid;  gleichfalls  ein  ausgezeich- 
neter Kenner  des  Altertums. 


Musiker.  259 


Musiker. 

Die  allgemeinen  Bemerkungen,  die  ich  in  den  letzten  Ka- 
piteln über  die  Künstler  gemacht  habe,  lassen  sich  ganz  besonders 
auf  die  Musiker  anwenden.  Die  Unregelmäßigkeit  ihrer  Lebens- 
führung ist  im  allgemeinen  außerordentüch  groß;  die  Vereinigung 
einer  arbeitsamen  Veranlagung  mit  dem  Temperament,  das  zu 
einem  guten  Musiker  nötig  ist,  ist  ebenso  selten,  als  bei  den  Dich- 
tern, und  die  Zerstreuungen,  die  mit  dem  öffentlichen  Leben  eines 
großen  Tonkünstlers  zusammenhängen,  sind  bei  weitem  größer. 
Obgleich  also  die  Vererbung  des  musikahschen  Sinns  notorisch 
und  unleugbar  ist,  stoße  ich  auf  außerordentliche  Schwierigkeiten, 
wenn  ich  über  seine  Verteilung  in  Familien  sprechen  soll.  Es  ist 
mir  ebenso  unmöglich,  eine  Liste  erstklassiger  allgemein  aner- 
kannter Musiker  zu  finden,  die  lang  genug  wäre,  meinen 
Zwecken  zu  dienen.  In  der  Welt  der  Musiker  herrscht  ein 
ungewöhnhcher  Neid,  der  zweifellos  von  der  Abhängigkeit 
der  Musiker  von  der  öffentlichen  Laune  in  Bezug  auf  ihr 
Vorwärtskommen  genährt  wird.  Die  Folge  ist,  daß  jede; 
Schule  die  andere  herabsetzt,  die  Individuen  tun  das  gleiche.  Die 
meisten  Biographen  sind  ihren  Helden  gegenüber  ungewöhnlich 
schmeichlerisch  und  ungerecht  gegenüber  denjenigen,  mit  welchen 
sie  sie  vergleichen.  Es  gibt  keine  festbegründete  öffentliche 
Meinung  über  die  Verdienste  von  Musikern,  wie  sie  in  gleicher 
Weise  für  Dichter  und  Maler  existiert,  und  es  ist  sogar  schwer, 
Privatpersonen  von  gutem  musikalischem  Qeschmack  zu  finden, 
die  imstande  sind,  eine  wohlüberlegte,  leidenschaftslose  Auslese 
der  bedeutendsten  Musiker  aufzustellen.  Wie  ich  zu  Beginn  des 
Anhangs  zu  diesem  Kapitel  bemerke,  verdanke  ich  einem 
literarischen  und  künstlerischen  Freund,  zu  dessen  Urteil  ich  Ver- 
trauen hege,  die  Auswahl,  die  ich  bearbeitet  habe. 

17* 


260  Musiker. 

Die  Frühreife  großer  Musiker  ist  außerordentlich.  Es  gibt 
keinen  Beruf,  wo  hervorragene  Bedeutung  so  früh  im  Leben  er- 
reicht wird,  als  bei  den  Musikern. 

Ich  gebe  jetzt  meine  gewöhnUchen  Tafeln. 

Tafel  I. 

Übersicht  der  Verwandten  von  26  Musikern  gruppiert  in 
14  Familien. 

Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie). 


2.  QabrielU 

N. 

Hiller 

S. 

2.  Haydn 

B. 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  vier 

in  der  Familie). 

Bononcini 

BS. 

Keiser 

V.  s. 

Dussek 

V. 

B.  .s. 

Mendelssohn 

Q. 

V.  b. 

Eichhorn 

2S. 

Meyerbeer 

2B. 

Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der  Familie). 

2.  Amati,  Andrea  2S.  B.  E. 

9.  Bach  Q.  V.  0.  QN.  2  GB.  3  S. 

2.  Benda  Georg  3  B.  4  N.  S. 

Mozart  V.  b.  2  S. 

Palestrina  4  S. 

Tafel  II. 

14  Familien 
Im  ersten  Grade  5  V.  9  B.  16  S. 

Im  zweiten  Grade  2Q.  10.  5  N.  IE. 

Im  dritten  Grade  2  GB. 

Alle  weiter  entfernten  Grade  1. 

Die  Nähe  des  Verwandtschaftsgrades  hervorragender  Ver- 
wandten ist  genau  so  bemerkenswert,  wie  es  bei  den  Dichtern 
der  Fall  war,  und  ebenso  wie  bei  diesen  ist  das  Fehlen  hervor- 
ragender Verwandter  durch  die  weibliche  Linie  bemerkenswert. 
Mendelssohn  und  Meyerbeer  sind  die  einzigen  Musiker  in  meiner 
Liste,  deren  hervorragende  Verwandte  ihre  Erfolge  in  anderen 
Berufen  als  in  der  Musik  erreicht  haben. 


Musiker.  261 

Anhang  zu  dem  Kapitel  Musiker. 
Ich  verdanke  einem  Freund  eine  Liste  von   120  Musikern, 
die  ihm  die  originellsten  und  hervorragendsten  in  der  Geschichte 
der  Musik  scheinen.     Sie  wurden  für  einen  andern  Zweck  als 
meine  Arbeit  zusammengestellt,  und  ich  bin  daher  um  so  eher 
geneigt,  mich  auf  die  Gerechtigkeit  der  Auswahl  meines  Freundes 
zu  verlassen.  26  von  ihnen,  oder  etwa  einer  zu  5,  haben  hervor- 
ragende Verwandte  gehabt,  wie  aus  der  folgenden  Aufstellung 
hervorgeht.    Von  berühmten  Musikern  zähle   ich  nur  7,   nämlich 
Sebastian  Bach,  Beethoven,  Händel,  Haydn,  Mendels- 
sohn, Mozart  und  Spohr.    Die  viere,  deren  Namen  in  Sperr- 
druck gedruckt  sind,  sind  Beispiele  vererbten  Talentes. 
A  1 1  e  g  r  i ,  Gregorio.    (1580—1652,  starb  mit  72  Jahren.)    Kom- 
ponist des  Miserere,    das    zur  Fastenzeit    in    der  Six- 
tinischen  Kapelle  in  Rom  gesungen  wird;  ein  Mann  von 
gütiger  und  mildtätiger  Gemütsart,  der  die  Gewohnheit 
hatte,  täglich  die  Gefängnisse  zu  besuchen  und  den  Ge- 
fangenen gab,  was  er  konnte. 
?    Genaue  Verwandtschaft.  Correggio  AUegri  und  seine  Fa- 
milie,   (s.  Maler.) 
A  m  a  t  i ,  eine  Familie  von  hervorragenden  Violinbauern,  die  in 
Cremona  lebten  und  dieses  Instrument  zuerst  in  ItaHen 
einführten.    Sie  waren  sechs  an  der  Zahl;  in  Wahrheit 
ist  noch  ein  siebenter  da  —  Joseph  von  Bologna,  der 
1786  lebte,  dessen  verwandtschaftliche  Beziehungen  zu 
den  andern  jedoch  unbekannt  sind. 


Andrea  Nicola 


Antonio         Girolamo 

I 

Nicola 

Am  meisten  originelles  Talent  wiesen  in  dieser  Fa- 
mihe  Andrea  (B.  2S.  E)  und  Antonio  (V.  O.  B.  N.)  auf. 
Bach,  Sebastian,  ein  überlegenes  musikalisches  Talent  (1685— 
1750,  starb  mit  65  Jahren).  Er  war  sehr  frühreif  und  er- 
reichte mit  22  Jahren  die  volle  Reife  seiner  Fähigkeiten. 
Sein  häusliches  Leben  war  einfach  und  ruhig.  Er  war 
ein  guter  Gatte,  Vater,  Freund  und  Bürger.  Er  war 
sehr  arbeitsam  und  wurde  infolge  Überarbeitung  blind. 


262  Musiker. 

Die  Bachs  waren  eine  musikalische  Familie,  die  eine 
große  Anzahl  von  Individuen  umfaßte  und  sich  auf  acht 
Generationen  erstreckte.  Sie  begann  1550,  hatte  ihren 
Höhepunkt  in  Sebastian  (Nr.  6  in  der  Stammtafel,  das 
letzte  bekannte  MitgUed  war  Regina  Susanna,  die  1800 
noch  lebte,  aber  in  schlechten  Verhältnissen  war.) 
Unter  den  Bachs  sind  weit  über  zwanzig  hervor- 
ragende Musiker ;  Sammlungen  von  Musiker-Bio- 
graphien enthalten  Notizen  über  nicht  weniger  als  57 
von  ihnen.  (S.  Fetis  „Musiker-Diktionnaire.")  Es  war 
Sitte  in  der  Familie  jährlich  Zusammenkünfte  abzuhalten, 
wobei  die  Unterhaltungen  rein  musikalisch  waren.  Im 
Jahre  1750  oder  um  dieses  Jahr  herum  kamen  nicht 
weniger  als  120  Bachs  bei  einer  solchen  Familien- 
zusammenkunft zusammen.  Ein  vollständiger  Stamm- 
baum der  Familie  findet  sich  in  Korabinskys  „Beschrei- 
bung der  Königlichen  Ungarischen  Haupt-,  Frey-  und 
Krönungsstadt  Preßburg"  S.  3,  ebenso  ein  Zweig  des 
Stammbaums  in  Nr.  12  der  Leipziger  Musiker-Zeitung 
von  1823.  Ich  gebe  eine  modifizierte  Abschrift  dieses 
letzteren,  da  es  sonst  nicht  möglich  ist,  die  Abstammungs- 
linien in  genügender  klarer  Weise  auseinanderzulegen. 
Jede  Person,  die  in  der  Liste  genannt  ist,  rangiert  unter 
die  bewährten  Musiker,  ausgenommen,  wo  das  Gegen- 
teil klar  hervorgehoben  ist. 
V.    J.  Ambrosius,  ein  ausgezeichneter  Organist. 

O.  J.  Christoph,  ein  Zwillingsbruder  des  Ambrosius.  Die 
beiden  waren  einander  in  Gesichtszügen,  in  ihrem 
Benehmen  und  ihrer  Ausdrucksweise  so  gleich,  daß  es 
allen,  die  sie  sahen  und  hörten,  wie  ein  Wunder  schien. 
Es  wird  erzählt,  daß  ihre  Frauen  sie  nur  an  ihren  Kleidern 
unterscheiden  konnten. 
Q.    Christoph  (3). 

2  OB.    Heinrich  (2)  und  Johann  (4). 

(QG)  Veit  Bach  (1),  der  Begründer  der  FamiUe,  war  ein 
Bäcker  in  Preßburg,  der  zur  Guitarre  sang.  War  als 
Protestant  gezwungen,  seine  Vaterstadt  zu  verlassen. 
Er  zog  nach  Sachsen-Gotha. 
QN.  J.  Christoph  (5),  einer  der  größten  Musiker  Deutsch- 
lands, ein  fleißiger  Student. 
S.    Wilhelm  Friedemann  (7),  genannt  „Bach  von  Halle",  ein 


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264  Musiker. 

Mann  von  großem  Talent  und  sehr  gelehrt,  starb  in  küm- 
merlichen Verhältnissen. 
.  S.  C.  P.  Emanuel  (8),  genannt  „Bach  von  Berlin",  der  Be- 
gründer unserer  Pianofortemusik,  den  Haydn  und  in 
gleicher  Weise  Mozart  als  ihren  direkten  Vorgänger  und 
Lehrer  betrachten.  (Lady  Wallace  „Briefe  von 
Musikern.") 
S.  J.  Christoph  (9),  genannt  „Bach  von  England",  ein  ent- 
zückender Komponist. 

Mir  ist  keinerlei  Notiz  begegnet,  daß  das  Bach'sche 
musikahsche  Talent  durch  eine  weibliche  Linie  über- 
mittelt wurde. 

Be.ethoven,  Ludwig  van.  Ich  füge  den  Namen  dieses  großen 
Komponisten  ein,  in  Anbetracht  dessen,  daß  er  früher 
oft  als  der  illegitime  Sohn  Friedrichs  des  Großen  be- 
zeichnet wurde,  obgleich  ich,  da  neuerüche  Biographien 
diese  Angaben  als  absolut  unbegründet  erachten,  die 
Nachricht  nur  erwähne,  ohne  sie  als  wahr  anzunehmen. 
Der  Gatte  seiner  Mutter  war  ein  Tenorsänger  in  der 
Kurfürstlichen  Kapelle  zu  Köln.  Seine  beiden  Brüder 
zeichneten  sich  nicht  aus.  Er  hatte  einen  Neffen  von 
einigem  Talent,  der  aber  zu  Beethovens  großem  Schmerz 
nicht  gut  endete.  Beethoven  begann  mit  13  Jahren  seine 
eigenen  musikalischen  Kompositionen  zu  veröffentlichen. 

Benda,  Franz  (1709—1786,  starb  mit  77  Jahren),  war 
das  ältere  Mitglied  einer  sehr  bemerkenswerten  Familie 
von  Geigern.  Sein  Vater  war  ein  armer  Weber,  aber 
musikalisch  und  lehrte  seinen  Sohn  Geige  spielen.  Die 
folgende  Tafel  zeigt  wir  die  acht  wichtigsten  Mitglieder 
untereinander  verwandt  waren. 

ein  armer  Weber  von  musikalischen  Neigungen 

I ' 1 \ 1 

Franz  Johann  Joseph  Georg 


Friedrich        Karl        Zwei  musikalische  Ernst  Friedrich 

Wilhelm    Hermann  Töchter  Ludwig 

Franz  war  der  Begründer  einer  Schule  von 
Geigern  und  war  selbst  der  befähigste  Tonkünstler  auf 
diesem  Instrument  zu  seiner  Zeit. 


Musiker.  265 

B.    Johann,  Schüler  von  Franz,  starb  mit  38  Jahren. 

B.  Joseph,  folgte  Franz  als  Konzertmeister  des  Königs  von 
Preußen,  starb  mit  80  Jahren. 

B.  Georg,  das  hervorragendste  Mitglied  dieser  interessanten 
Familie.  Er  hatte  bedeutende  musikalische  Fähigkeiten, 
war  aber  phantastisch  und  vergeudete  seine  Zeit  in 
Träumereien.  Es  wird  von  ihm  erzählt,  daß  er  ans 
Klavier  eilte,  um  seinen  Schmerz  auszudrücken,  nachdem 
seine  Frau  in  seinen  Armen  gestorben  war;  bald  aber 
interessierten  ihn  die  Weisen,  die  er  bildete,  so,  daß  er 
seinen  Schmerz  und  dessen  Veranlassung  völlig  vergaß. 
Als  sein  Diener  ihn  unterbrach,  um  ihn  zu  fragen,  ob 
er  das  Ereignis  den  Nachbarn  mitteilen  solle,  sprang 
Georg  in  Verwirrung  auf  und  ging  in  das  Zimmer  seiner 
Frau,  um  sich  mit  ihr  zu  beraten. 

N.  Friedrich  Ludwig  (Sohn  von  Georg).  Musiker,  Gatte  von 
Madame  Benda,  Konzertdirigentin. 

S.  Friedrich  Wilhelm,  ein  würdiger  Schüler  seines  Vaters 
und  Komponist. 

S.    Karl  Hermann,  der  seinem  Vater  als  Violinspieler  nahe 
kam. 
(2  s.)    zwei  musikalische  Töchter. 

N.  Ernst  Friedr.,  Sohn  von  Joseph.  Schien  ein  erst- 
klassiger Künstler  zu  werden,  starb  aber  mit  31  Jahren 
am  Fieber. 
Bononcini,  Giovanni  Maria  (1640 — ?).  Komponist  und 
Musikschriftsteller. 
(B)  Doch  ist  die  Verwandtschaft  nicht  festgestellt.  Dome- 
nichino,  ein  Musiker  am  portugiesischen  Hofe,  der  bis  zu 
ungefähr  85  Jahren  lebte. 

B.    Antonio,  Komponist  für  Kirchenmusik. 

S.  Giovanni,  komponierte  mit  18  Jahren  eine  sehr  erfolg- 
reiche Oper  „Camilla",  die  großen  Erfolg  hatte.  War  in 
England  ein  Rivale  Handels,  unterlag  aber. 
D  u  s  s  e  k  ,  Ladislaus  (1761—1812,  starb  mit  51  Jahren),  spielte 
mit  5  Jahren  Klavier,  ein  sehr  liebenswürdiger  und  edler 
Charakter,  außerordentlich  sorglos  mit  seinem  eignen 
Gelde.  Als  Tonkünstler  ebenso  gefeiert  denn  als  Kom- 
ponist.   Heiratete  Miss  Corri  (?  Currie),  eine  Musikerin. 

V.    Giovanni,  ein  ausgezeichneter  Organist. 

B.    Francesco,  ein  sehr  guter  Violinspieler. 


266  Musiker. 

s.    Olivia,  erbte  das  Talent  ihrer  Eltern,  spielte  Klavier  und 
Harfe. 

Eichhorn,  Johann  Paul  (1787)  und  seine  beiden  Söhne.  Jo- 
hann Paul  war  von  einfacher  Herkunft.  Er  zeigte  eine 
bemerkenswerte  musikalische  Befähigung  und  wurde 
ohne  jede  regelmäßige  Unterweisung  ein  guter  Musiker. 
Er  heiratete  zweimal.  Sein  Sohn  aus  erster  Ehe  war 
Ernst,  der  andere  von  seiner  zweiten  Frau,  die  er  sehr 
bald  heiratete,  nachdem  die  erste  im  Wochenbett  ge- 
storben war,  war  Eduard. 
2S.  Diese  Kinder  waren  bekannt  als  „die  Brüder  Eichhorn". 
Sie  hatten  beide  von  ihrer  frühesten  Jugend  an  ein 
wunderbares  musikalisches  Talent  und  spielten  instinktiv. 
Von  der  Zeit  ab  nützte  ihr  Vater  sie  grausam  aus,  um  so- 
viel Geld  als  möglich  aus  ihnen  zu  schlagen,  und  zwang 
sie  fortwährend,  öffentUch  aufzutreten.  So  verloren  sie 
jede  Gelegenheit  zum  Studium  und  die  Muße,  die  zur 
Entwicklung  der  höchsten  künstlerischen  Fähigkeiten 
nötig  sind. 

Eduard    hatte    nicht    die    gleiche  musikalische   Be- 
fähigung wie  sein  Bruder. 

Q  a  b  r  i  e  1  i ,  Andrea.  (Um  1520  herum  bis  1586,  starb  mit  etwa 
66  Jahren.)  Ein  geachteter  Komponist. 
N.  Giovanni  Gabrieli,  ein  großer  und  origineller  Künstler, 
der  sich  ganz  musikalischen  Arbeiten  widmete,  wurde 
von  seinen  Zeitgenossen  und  Schülern  in  den  höchsten 
Ausdrücken  gepriesen. 

Haydn,  Franz  Joseph.  Seine  musikalische  Veranlagung  war 
von  seiner  frühesten  Kindheit  an  kenntüch.  Er  wurde 
in  niedrigen  Verhältnissen  geboren  und  kämpfte  sich 
allmählich  hinauf.  Sein  Vater  war  ein  Dorforganist  und 
Wagner.  Er  heiratete,  war  aber  in  seiner  Ehe  nicht 
glücklich  und  trennte  sich  bald  von  seiner  Frau,  die  keine 
Kinder  von  ihm  hatte. 
B.  Johann  Michel.  Joseph  Haydn  betrachtete  ihn  als  den 
besten  Komponisten  seiner  Zeit  für  Kirchenmusik.  Er 
war  ein  ausgezeichneter  Organist. 

Hiller,  Johann  Adam  (Hüller)  (1728—?),  ein  äußerst  eifriger 
Musikgelehrter,  lebte  in  seiner  ersten  Manneszeit  in 
einem  erbärmlichen  hypochondrischen  ungesunden  Zu- 
stand, der  sich  in  seinem  späteren  Leben  etwas  besserte. 


Musiker.  267 

Er  hatte  einen  guten  Ruf  ebenso  als  Komponist,  wie  als 
Musikschriftsteller. 
S.    Friedrich  Adam  Hiller  (1768—1812,  starb  mit  44  Jahren), 
ein  Geiger  erster  Güte.     Er  starb,  als  er  zu  großem 
Ruhm  gekommen  war. 
K  e  i  s  e  r ,  Reinhard  (1673—1739,  starb  mit  66  Jahren),  einer  der 
berühmtesten  deutschen  Komponisten.    Schon  in  seinen 
frühesten  musikalischen  Versuchen  war  er  originell.    Er 
war  ein  sehr  fruchtbarer  Schriftsteller.    Im  Verlauf  von 
40  Jahren  schrieb  er  116  Opern  und  vieles  andere  neben- 
her, doch  wurden  von  seinen  Werken  selten  Kopien  ge- 
macht, so  daß  sie  außerordenthch  selten  sind. 
V.    Ein  ausgezeichneter  Musiker  und  Komponist  für  Kirchen- 
musik. 
s.    Seine  Tochter  war  eine  ausgezeichnete  Sängerin. 
Mendelssohn-Bartholdy,    Felix,    hatte  eine  frühe  und 
starke  Begabung  für  Musik,  publizierte  zum  erstenmal 
mit  15  Jahren. 
Q.    Moses  Mendelssohn,  ein  gefeierter  jüdischer  Philosoph, 
der  unter  anderen  Dingen  auch  über  die  Ästhetik  der 
Musik  schrieb.    Er  war  frühreif. 
V.    Abraham  Mendelssohn,  ein  reicher   Bankier  in  Berlin. 
Sein  Sohn  sagte  zu  ihm,  „ich  kann  oft  nicht  begreifen, 
wie  es  möglich  ist,  ein  so  feines  Urteil  in  Musik  zu  haben, 
ohne  selbst  technisch  informiert  zu  sein."   (Briefe  S.  80.) 
(2  O.)  Seine  Onkel  waren  wohlunterrichtete  Männer,  einer  von 
ihnen  war  der  Compagnon  Abrahams.    Er  schrieb  über 
Dante  und  auch  über  Geld.    Der  andere  war  ein  gründ- 
licher Gelehrter, 
b.    sehr  musikaUsch,   als   Pianistin   kam   sie   Mendelssohn 
gleich.    Hatte  viel  Talent    Sie  war  auch  sehr  gütig. 
Meyerbeer,  Giacomo  (sein  wirklicher  Name  war  Beer),  war 
außerordentlich  frühreif.    Er  spielte  mit  6  Jahren  glän- 
zend und  gehörte  mit  9  Jahren  zu  den  besten  Klavier- 
spielern Berlins.    Er  begann  mit  19  Jahren  seine  Kom- 
positionen zu  veröffentlichen  und  starb  mit  70  Jahren. 
B.    Wilhelm  Meyerbeer,  der  Astronom.    Mondkarte. 
B.    Michael  Beer,  ein  vielversprechender  Dichter,  der  jung 
starb, 
Mozart,  J.  C.  Wolfgang.    War  als  Kind  außerordentlich  früh- 
reif, ein  richtiges  musikalisches  Wunderkind.    Er  spielte 


268  Musiker. 

mit  4  Jahren  schön  und  komponierte  zwischen  4  und 
6  Jahren  viel  und  wirkHch  gut.  Er  überarbeitete  sich 
und  starb  mit  35  Jahren. 

V.  Leopold  Mozart;  ein  berühmter  Geiger.  Seine  Methode, 
die  er  publizierte,  wurde  fünfzig  Jahre  lang  als  die  beste 
Arbeit  dieser  Art  betrachtet.  Er  komponierte  viel. 
h.  war  als  Kind  eine  hoffnungsvolle  Musikerin,  eine  aus- 
gezeichnete Pianistin,  doch  hatte  sie  im  späteren  Leben 
keinen  Erfolg. 

S.  Karl  Mozart,  pflegte  Musik  als  Dilettant  und  spielte  mit 
vorzügUchem  Talent,  doch  ist  nichts  mehr  über  ihn  er- 
halten. 

S.  Wolfgang  Amadee.  Wurde  vier  Monate  nach  dem  Tode 
seines  Vaters  geboren,  war  ein  vorzüglicher  Tonkünstler 
und  hat  viel  komponiert,  erreichte  aber  als  Komponist 
keine  besondere  Bedeutung. 
Palestrina,  Giovanni  Pierluigi  de  (geb.  ?,  starb  1594),  Kom- 
ponist für  Kirchenmusik.  Einer  der  berühmtesten  Namen 
in  der  Geschichte  der  Musik,  doch  ist  nichts  über  seine 
Eltern  oder  über  seine  Famihe  bekannt,  und  selbst  die 
Daten  über  seine  Geburt  und  seinen  Tod  sind  zweifel- 
haft. Er  heiratete  jung. 
4  S.  Seine  drei  ältesten  Söhne,  Ange,  Rodolpho  und  Sylla, 
starben  in  ihrer  Jugend.  Sie  scheinen,  nach  ihren  Kom- 
positionen zu  urteilen,  die  unter  Palestrinas  Werken  er- 
halten sind,  die  Befähigung  ihres  Vaters  gehabt  zu  haben. 
Der  vierte  Sohn,  Hygin,  gab  die  musikalischen  Kom- 
positionen seines  Vaters  heraus. 


Maler.  269 


Maler. 

Ich  glaube,  niemand  kann  bezweifeln,  daß  das  künstlerische 
Talent  bei  Malern  ebenso  wie  bei  Musikern  in  einem  gewissen 
Grade  erblich  ist.  Die  Frage  lautet  eher,  ob  seine  Verteilung  auf 
Familien,  gleichzeitig  mit  den  nötigen  Eigenschaften,  um  einen 
hervorragenden  Maler  entstehen  zu  lassen,  das  gleiche  Gesetz 
befolgen,  welches  für  andere  Arten  von  Befähigung  besteht.  Es 
wäre  ein  Leichtes,  eine  große  Anzahl  moderner  Namen  aufzuzäh- 
len, um  zu  zeigen,  wie  häufig  künstlerische  hervorragende  Be- 
deutung von  Verwandten  geteilt  wird.  So  besteht  die  gegenwär- 
tige Generation  der  Landseers  aus  zwei  Mitgliedern  der  Akade- 
mie und  einem  korrespondierenden  Mitglied  der  Königlichen  Aka- 
demie, die  alle  Söhne  eines  korrespondierenden  MitgHeds  der 
Akademie  snd.  Die  Famihe  Bonheur  besteht  aus  vier  Malern: 
Rosa,  Juliette,  Jules  und  Auguste,  und  sie  sind  Kinder  eines 
Künstlers  von  einigem  Verdienst.  Viele  andere  Beispiele  können 
leicht  gebracht  werden.  Aber  ich  wünsche  den  Beweis  für  Ver- 
wandtschaftsbeziehungen unter  Künstlern  weit  höherer  Art  zu  er- 
bringen, und  ich  begrenzte  daher  meine  Untersuchung  auf  die  be- 
rühmten alten  Maler,  namentlich  die  italienischen  und  die  nieder- 
ländischen. Diese  sind  nicht  zahlreich;  soweit  ich  übersehen 
kann,  gibt  es  nur  etwa  zweiundvierzig,  deren  natürliche  Bega- 
bung unfraglich  mehr  als  „hervorragend"  ist,  und  die  Tatsache, 
daß  ungefähr  die  Hälfte  von  ihnen  hervorragende  Verwandte  ha- 
ben und  daß  einige  von  ihnen,  wie  die  Carocci  und  die  van 
Eycks  in  der  Tat  miteinander  verwandt  sind,  ist  für  meine  Theo- 
rie wichtiger  als  seitenlange  Aufzählungen  über  die  Verwandten 
von  Menschen  aus  der  Klasse  F  oder  e  in  Bezug  auf  künstlerische 
Begabung.  Es  wäre  interessant,  die  Anzahl  der  Kunstübenden  in 
Europa  während  der  letzten  drei  oder  mehr  Jahrhunderte  zu  ken- 
nen, aus  denen  die   zweiundvierzig  Namen,   die  ich   ausgewählt 


270  Maler. 

habe,  die  berühmtesten  sind.  Diese  Anzahl  ist  sicheriich  sehr 
groß,  aber  es  würde  kaum  der  Mühe  verlohnen,  die  Untersuchung 
anzustellen,  denn  das  Resultat  wäre  ein  Minimum  und  nicht  eine 
genaue  Angabe  der  künstlerischen  Superiorität  jener  zweiundvier- 
zig über  alle  Übrigen,  da  die  Kunstbeflissenen  selber  schon  eine 
ausgewählte  Klasse  bilden.  Jünglinge  ergreifen  die  Malerei  als 
Beruf,  weil  sie  sich  instinktiv  zu  ihr  hingezogen  fühlen,  nicht  weil 
sie  durch  zufällige  Umstände  zu  diesem  Beruf  gebracht  werden. 
Ich  schätze  den  Durchschnitt  der  zweiundvierzig  Maler,  was  die 
natürliche  für  einen  großen  Erfolg  in  der  Kunst  notwendige  Be- 
gabung anlangt,  weit  höher  als  den  Durchschnitt  der  Klasse  F. 
Ich  habe  in  den  Anhang  zehn  Individuen  aufgenommen,  die 
keinen  Platz  in  der  Liste  der  zweiundvierzig  haben,  nämlich 
Isack  Ostade,  Jacopo  und  Qentile  Bollini,  Badille,  Agostino 
Caracci,  Willem  Mieris,  David  Teniers,  W.  van  der  Velde,  den 
älteren  und  Francesco  da  Ponte,  sowohl  den  älteren  als  den 
jüngeren.  Der  Durchschnittsrang  dieser  Männer  ist  weit  über 
dem  eines  modernen  Akademikers,  obgleich  ich  nicht  gewagt 
habe,  sie  in  die  berühmteste  Klasse  einzustellen.  Ich  habe  Claude 
in  diese  letztere  eingestellt,  ungeachtet  neuerHcher  Kritiken,  und 
zwar  in  Anbetracht  seines  früheren  langjährigen  Rufes. 


Tafel    I. 

Übersicht  über  die  Verwandten  von  26  großen  Malern, 
gruppiert  in  14  Familien. 

Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  FamiUe). 

Allegri  S.     2.  Ostade  B. 

(Correggio  s.  Allegri)  Potter  V. 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  vier  in  der  Familie). 

3.  Bellini  V.  B.         Robusti  S.  s. 

2.  Cagliari  (und  Badille)       o.  S.     2.  Teniers  V.  B. 

3.  Caracci  2  OS.  OE.  (Tintoretto  s.  Robusti.) 

2.  Eyck  B.  b.     2.  Velde  (van  der)  V.  S. 

2.  Mieris  2S.         (Veronese  s.  Cagliari.) 

Murillo  2o.  oS. 


Maler.  271 

Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der  Familie). 

(Bassano  s.  Ponte.) 
3.  Ponte  S.  4  E. 

(Tizian  s.  Vecellio.) 

Vecellio  B.  2S.  OE.  2  0ES. 

Tafel   IL 

14  Familien. 
Im  ersten  Grade  4V.  5B.  9S. 

im  zweiten  Qrade  3o.  4E. 

im  dritten  Qrade  2  OS.  1  oS. 

alle  weiter  entfernten  4. 

Die  Seltenheit,  mit  welcher  künstlerische  hervorragende  Be- 
deutung sich  selten  über  mehr  als  zwei  Verwandtschaftsgrade 
erstreckt,  ist  hier  ebenso  auffallend  als  bei  den  Musikern  und 
Dichtern. 

Anhang 
zu  dem  Kapitel  Maler. 

Ich  habe  eine  Liste  von  42  alten  Malern  der  italienischen, 
spanischen,  niederländischen  und  deutschen  Schule  zusammen- 
gesetzt, die,  glaube  ich,  alle  enthält,  die  in  der  allgemeinen  Mei- 
nung als  berühmt  gelten.  18  von  ihnen  haben  hervorragende  Ver- 
wandte, und  drei  von  den  übrigen,  nämUch  Claude,  Parmegiano 
und  Raphael  haben  Verwandte,  die  einer  Notiz  wert  sind.  Die 
Namen  dieser  sind  im  Folgenden  in  Sperrdruck  aufgeführt,  die 
übrigen  Namen  in  gewöhnlichem  Druck. 

Itahenische  Schulen :  A 1 1  e  g  r  i ,  „C  o  r  r  e  g  g  i  o" ;  (Andrea 
del  Sarto  s.  Vannucchi) ;  (Bassano  s.  Ponte);  Bellini; 
Buonarroti,  Michelangelo ;  Cagliari,  „Paolo  Veronese"; 
C  a  r  a  c  c  i,  Annibale ;  C  a  r  a  c  c  i ,  Ludovico ;  Cimabue ;  (Claude 
s.  Q  e  1  e  e) ;  (C  o  r  r  e  g  g  i  o  ,  s.  A 1 1  e  g  r  i) ;  (Domenichino,  s. 
Zampieri) ;  (Francia  s.  Raibollini) ;  Gelee,  Claude  „Lor- 
rain"; Giorgione;  Giotto;  (Guido  s.  Reni);  Maratti,  Carlo; 
Mazzuoli,  „Parmegiano";  (Michelangelo  s.  Buonarroti) ; 
(Parmegiano  s.  Mazzuoli);  (Perugino  s.  Vanucci) ; 
Piombo,  Sebastiano  del;  Ponte,  „Bassano";  Poussin ; 
(Raffael  s.  Sanzio);  Raibollini,  Francia;  Reni,  Guido; 
Robusti,     „Tintoretto";     Rosa,     Salvator;     Sanzio, 


272  Maler. 

Raffael;  (Tizian  s.  V  e  c  e  1 1  i  o ;  Vannucchi,  Andrea  „del 
Sarto" ;  Vanucci,  Perugino ;Vecellio  Tizian;  (Veronese 
s.  C  a  g  1  i  a  r  i);  Vinci,  Leonardo  da. 

Spanische  Schulen:  M  u  r  i  11  o  ;  Ribera,  Spagnoletto; 
Velasquez. 

Deutsche  und  niederländische  Schulen:  Dow,  Qerard;  Dürer, 
Albrecht;  Eyck,  H.  v.;  Eyck,J.  v.;  Holbein;  Mieris; 
Ostade;  Potter,  Paul;  Rembrandt;  Rubens;  Ruysdael; 
Teniers;  Van  Dyck;  Velde,  van  de. 

Allegri,  Antonio  da  Correggio  (1494—1534,  starb  mit  vierzig 
Jahren),  eines  jener  seltenen  Beispiele  eines  Menschen 
von  angeborenem  und  unerschrockenem  Genie,  der  ohne 
Vorläufer   und   ohne   technische   Ausbildung   ein   großer 
Maler  wurde.    Über  seine  Verwandtschaft  ist  sehr  wenig 
bekannt. 
S.    Pomponeo  Allegri,  einziger  Sohn.    Sein  Vater  starb,  als 
er  erst  12  Jahre  alt  war,  doch  malte  er  in  der  Art  seines 
Vaters.     Sein  Fresco  -  Gemälde  in  der  Kathedrale  von 
Parma  ist  voller  Correggioschen  Ausdrucks, 
(e.)    Antonio  Pelegrino,  genannt  „II  Pittore". 
?    (Das  verwandtschaftliche  Verhältnis    kenne    ich    nicht.) 
Gregorio  Allegri,  der  Musiker,  s. 

Bassano,  s.  Ponte. 

Bellini,  Giovanni  (1422 — 1512,  starb  mit  90  Jahren)  war  der 
erste  venezianische  Maler,  der  in  öl  malte  und  der  Lehrer 
der  beiden  größten  Maler  Venedigs  —  Giorgiones  und 
Tizians.  In  seiner  Blütezeit  war  er  selbst  der  erste  Maler 
Venedigs. 
V.  Jacopo  BelHni,  einer  der  bekanntesten  Maler  in  der 
frühen  Zeit,  in  welcher  er  lebte.  In  Porträts  war  er 
hervorragend. 
B.  Gentile  Cav.  Bellini,  Maler  von  sehr  hohem  Ruf.  Die 
großen  Bilder  im  Saale  des  großen  Rats  von  Venedig 
sind  von  ihm.  Der  Senat  erwies  ihm  Ehren  und  gab  ihm 
eine  lebenslängliche  Pension. 

Cagliari,  Paolo,  genannt  „Paolo  Veronese"  (1532—1588,  starb 
mit  56  Jahren).  Sein  Genie  zeigte  sich  frühzeitig.  Es 
wird  von  ihm  gesagt,  daß  er  die  besten  Früchte  im  Früh- 
ling seines  Lebens  trug.    Er  war  der  erfolgreichste  unter 


Maler.  273 

den  Malern,  was  Prunk  und    kostbare    und    prächtige 
Schaustellungen  anlangt. 
(V)    Gabriele  Cagliari,  Bildhauer, 
o.    Antonio  Badile,  der  erste  venezianische  Maler,  der  sich 

vöIHg  vom  gotischen  Stil  emanzipierte. 
S.    Carletto  Cagliari,  erbte  das  erfinderische  Talent  seines 
Vaters  und  gab  die  glänzendsten  Hoffnungen  zukünftiger 
Größe,  starb  jedoch  mit  26  Jahren, 
(S)    Gabriele   Cagliari,   ein  Maler,   aber   kein   erfolgreicher, 
verließ  später  den  Beruf  und  wurde  Kaufmann. 
Caracci,   Lodovico    (1550 — 1619),    starb   mit   64   Jahren,   der 
hauptsächlichste  Begründer  der  Schule,  die  den  Namen 
seiner  Familie  trägt.    Sein  Genie  entwickelte  sich  lang- 
sam.   Sein    erster  Lehrer    empfahl    ihm,    sich  von  der 
Kunst  abzuwenden,  und  seine  Mitschüler  gaben  ihm  den 
Spitznamen  „der  Ochse".    Doch  war  seine  Langsamkeit 
mehr  scheinbar  als  wirkHch,  sie  entsprang  einer  tiefen 
Nachdenklichkeit,  zum  Unterschied  von  der  Lebhaftigkeit 
der  andern.    Sein  Talent  war  außerordentlich. 
OS.    Agostino  Caracci  (1558 — 1601,  starb  mit  43  Jahren),  ein 
vortrefflicher  Maler,  aber  am  bedeutendsten  als  Kupfer- 
stecher.    Seine  Talente    zeigten    sich    schon  in  seiner 
Knabenzeit.    Er  war  ein  gebildeter  Schriftsteller  und  Ge- 
lehrter und  hatte  auch  dichterische  Begabung. 
OS.    Annibale   Caracci  (1560—1609,     starb    mit    49    Jahren). 
Dieser  große  Künstler  war  der  jüngere  Bruder  Agostinos. 
Er  hatte  von  der  Natur  die  Gaben  eines  großen  Künst- 
lers erhalten  und  sie  wurden  von  Lodovico  sorgsam  ge- 
pflegt. Annibale  hatte  mehr  Energie  als  Agostino,  aber 
er  war  viel  weniger  gebildet.    Er  war  der  Literatur  so- 
gar direkt  abgeneigt. 
(OS)    Francesco   Caracci,  ein  dritter  Bruder,  der  als  Maler 
von  großem  Dünkel    aber    nicht    entsprechenden  Ver- 
diensten war. 
OE.    Antonio  Caracci,  ein  natürlicher  Sohn  von  Annibale.  Hatte 
viel  von  seines  Vaters  Talent  und  wurde  ein  befähigter 
Zeichner  und  Maler.  Seine  Gesundheit  war  schwach,  und 
er  starb  mit  36  Jahren. 
(B)    Paolo  Caracci,  ein  Maler,  doch  ohne  originelles  Talent 
Claude  s.  Gelee. 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vererbung.  18 


274  Maler. 

Correggio,  s.  Allegri. 

Eyck,  Jan  van  (1370—1441),  der  Erfinder  der  Ölmalerei.    Seine 
Bilder  wurden  in  der  Zeit,  wo  er  lebte,  sehr  geschätzt. 
B.    Hubert  van  Eyck,    als  Maler  von  der  gleichen  hervor- 
ragenden Bedeutung.    Tatsächlich  arbeiteten  die  beiden 
Brüder   so  viel   gemeinsam,   daß   ihre  Werke  nicht  zu 
trennen  sind. 
(V)    ein  unbedeutender  Maler. 
b.    Margarethe.    Sie  liebte  Malerei  leidenschaftlich. 

Qelee,  Claude  (genannt  Lorrain),  1600—1682,  starb  mit  82 
Jahren).  Dieser  hervorragende  Landschaftsmaler  be- 
gann sein  Leben  als  Gehilfe  eines  Pastetenbäckers,  reiste 
dann  mit  einem  Herrn  als  Kammerdiener  und  wurde 
nachher  der  Koch  eines  Künstlers.  Seine  Fortschritte 
beim  Malen  waren  langsam,  aber  er  hatte  eine  unbe- 
zwingbare Beharrlichkeit.  Er  stand  mit  30  Jahren  auf 
der  Höhe  seines  Ruhmes.  Er  heiratete  nie,  weil  er  zu 
sehr  an  seinem  Beruf  hing. 
(B)    ein  Holzschnitzer. 

M  a  z  z  u  o  1  i ,  Francesco,  genannt  „II  Parmegiano"  (1504—1541, 
starb  mit  37  Jahren).  Dieser  große  Kolorist  und  graziöse 
Maler  machte  in  seiner  Studienzeit  so  große  Fortschritte, 
daß  seine  Bilder,  als  er  16  Jahre  alt  war,  das  Erstaunen 
der  zeitgenössischen  Künstler  erregten,  obgleich  er 
schlechten  Unterricht  genossen  hatte.  Nach  Vasari 
hieß  es  in  Rom:  „Die  Seele  Raffaels  sei  in  die  Person 
Parmegianos  übergegangen."  Es  steht  fest,  daß  ihn  auf 
dem  Höhepunkt  seines  Ruhms  die  Manie  packte,  Al- 
chemie  zu  treiben,  und  daß  er  seine  Gesundheit  und  sein 
Vermögen  bei  dem  Suchen  nach  dem  Stein  der  Weisen 
verlor. 
V  und  2  0.  Filippo  Mazzuoli  und  Michele  und  Pier  Ilario, 
waren  alle  drei  Künstler,  wenn  auch  unbedeutend. 

(?  OS)  Girolamo,  Sohn  des  Michele  und  Schüler  von  Parme- 
giano. Er  heiratete  eine  Cousine,  die  Tochter  des  Pier 
Ilario.  Er  war  ein  Maler  von  einigem  Erfolg.  Das  Fra- 
gezeichen vor  seinem  Namen  besagt,  daß  er  nach  einer 
Version  mit  den  vorher  genannten  überhaupt  nicht  ver- 
wandt gewesen  sein  soll.  Es  ist  merkwürdig,  auf  wie- 
viel Widersprüche  man  bezüglich  der  Familiengeschichte 


Maler.  275 

der  Maler  stößt.  Mit  Ausnahme  der  Musiker  sind  wir 
bei  keiner  Gruppe  hervorragender  Menschen  weniger 
über  die  häusHchen  Verhältnisse  orientiert. 

(oE,  und  auch  ?  OE)  Alessandro,  Sohn  des  Qirolamo  und 
sein  Schüler.  Er  war  aber  ein  unbedeutender  Künstler. 
M  i  e  r  i  s  ,  Frans  van  (der  Ältere),  (1635 — 1681,  starb  mit  46  Jahren). 
„Bei  all  seinen  Verdiensten  wäre  es  zu  viel  zu  behaupten, 
daß  er  Gerard  Dow  überlegen  oder  auch  nur  gleichwertig 
gewesen  ist;  seine  Bewunderer  werden  sich  begnügen, 
ihn  an  die  Spitze  der  nachfolgenden  Gruppe  zu  stellen." 

S.  Jan  van  Mieris,  verzweifelte  daran,  seinem  Vater  an  Ge- 
nauigkeit und  Zartheit  gleichzukommen,  und  ging  so  zu 
historischen  Gemälden  und  Porträts  über.  Starb  mit 
30  Jahren. 

S.  Willem  van  Mieris.  War  mit  18  Jahren  ein  befähigter 
Künstler  und  stand  in  der  außerordentlich  feinen  Aus- 
führung seiner  Bilder  kaum  seinem  Vater  nach. 
(E)  Frans  van  Mieris  (der  Jüngere),  Sohn  von  Willem.  Ein 
Maler  in  der  gleichen  Art  wie  sein  Vater,  stand  aber 
entschieden  hinter  diesem  zurück. 
Murillo,  Bartholome  Esteban  (1613—1685.  starb  mit  12 
Jahren).  Wenige  haben  einen  gerechteren  Anspruch  auf 
Originalität,  als  dieser  bewunderungswürdige  spanische 
Maler.  Er  zeigte  frühzeitig  Neigungen  zur  Kunst.  Er 
war  von  Natur  aus  demütig  und  zurückgezogen  und  so 
auffallend  gut  und  hilfreich,  daß  er  vor  der  eigenen  Ver- 
armung nicht  zurückscheute. 

o,  Juan  del  Castillo,  ein  Maler  von  beträchtlichen  Ver- 
diensten und  der  Lehrer  von  einigen  der  größten  spa- 
nischen Maler,  nämHch  Murillo,  Alonzo  Cano  und  Pedro 
de  Moya. 

o.    Augustin  Castillo,  ein  guter  Maler. 

oS.  Antonio  del  Castillo  y  Salvedra,  hervorragend,  was  Kom- 
position und  Zeichnung  anlangt,  aber  in  Farbe  unbe- 
deutend. Nach  einem  Versuch  in  Sevilla,  wo  er  zum 
erstenmal  eine  Sammlung  von  Murillos  Bildern  sah,  die 
den  seinigen  so  weit  überlegen  waren,  versank  er  in 
Verzweiflung  und  starb  daran. 
O  s  t  a  d  e  ,  Adriaen  van  (1610—1685),  starb  mit  75  Jahren.  Her- 
vorragender Maler  niederländischer  häuslicher  Szenen 
und  grotesker  Motive. 

18* 


276  Maler. 

B.    Isack  van  Ostade.  Begann  damit  den  Stil  seines  Bruders 
nachzuahmen,  womit  er  wenig  Erfolg  erlangte,  fand  aber 
dann    seine  eigne  Art    und    wurde    ein  wohlbekannter 
Maler.    Er  starb  in  der  Blütezeit  seines  Lebens. 
Parmegiano    s.  Mazzuoli. 

Ponte,  Francesco  da  (der  Ältere),  (1475—1530,  starb  mit  55 
Jahren).  Das  Haupt  der  Familie  Bassano  und  Begründer 
der  Schule,  die  ihren  Namen  trägt. 

S.  Qiacomo  da  Ponte  (gen.  II  Bassano,  1510—1592),  starb 
mit  82  Jahren,  ein  hervorragender  Künstler,  hatte  eine 
außerordenthche  Erfindungskraft  und  Leichtigkeit  der 
Ausführung.  Er  hatte  vier  Söhne,  lauter  wohlbekannte 
Maler. 

E.  Francesco  da  Ponte  (der  Jüngere),  hatte  ein  hervor- 
ragendes Talent.  Er  litt  an  melancholischen  Anfällen  und 
beging  mit  49  Jahren  Selbstmord. 

E.  Giovanni  Battista  da  Ponte,  bemerkenswert  als  sehr  ge- 
nauer Kopist  der  Werke  seines  Vaters  Qiacomo. 

E.    Leandro   da   Ponta,   gefeierter   Porträtmaler. 

E.    Girolamo  da,  ausgezeichneter  Kopist  der  Werke  seines 
Vaters. 
P  o  1 1  e  r  ,   Paul,   bewunderungswürdiger   niederländischer   Tier- 
maler, seine  Werke  erfreuten  sich  der  höchsten  Schät- 
zung, ehe  er  15  Jahre  alt  war. 

V.    Peter   Potter,    Landschaftsmaler,    dessen   Werke    jetzt 
selten  sind,  die  aber  nach  den  Stichen,  die  P.  Nolpe  nach 
ihnen  machte,  von  beträchtlichem  Wert  sein  mußten. 
R  a  f  f  a  e  1  s.  Sanzio. 

R  0  b  u  s  t  i ,  Qiacomo  (genannt  II  Tintoretto).  Dieser  vortreff- 
Hche  venetianische  Maler  zeigte  von  Kindheit  an  einen 
künstlerischen  Hang  und  überflügelte  seine  Studien- 
genossen weit.  Er  war  ein  Mensch  von  ungestümem 
Talent  und  rascher  Ausführung. 

s.  Marietta  Robusti  (Tintoretto),  erwarb  als  Porträtmalerin 
beträchtlichen  Ruf.  Ihr  Ruhm  beschränkte  sich  nicht 
auf  ihr  Vaterland  allein. 

S.    Domenico  Robusti  (Tintoretto),  folgte  den  Bahnen  seines 

Vaters,    hatte    aber    nicht    die  gleiche  Kraft,     Er  war 

gleichfalls  ein  guter  Porträtist  und  malte  viele  historische 

Persönlichkeiten  seiner  Zeit. 

Ruysdael,  Jakob  van  (geb.  um  1636).  Niederländischer  Land- 


Maler.  277 

Schaftsmaler.  Er  zeigte  mit  14  Jahren  eine  außerordent- 
liche künstlerische  Befähigung,  ergriff  aber  die  Malerei 
nicht  gleich  als  ersten  Beruf.  Er  begann  als  Chirurg. 
(B)  Salomon  van  Ruysdael,  der  ältere  Bruder,  um  zwanzig 
Jahre  älter  als  Jakob,  war  ein  Landschaftsmaler  von 
geringem  Talent. 

S  a  n  z  i  o ,  Raffael  di  Urbino.   Dieser  berühmte  Künstler  wurde 
von   dem   allgemeinen   Urteil   der   Menschheit   als    der 
Fürst  aller  Maler  anerkannt. 
(V)    Giovanni  Sanzio,  ein  Maler,  dessen  Talent  mäßig  war, 
der  aber  sicherhch  über  dem  Durchschnitt  stand. 

T  e  n  i  e  r  s  ,  David  (der  Jüngere),  1610—1694,  starb  mit  84  Jahren). 
Dieser  gefeierte  niederländische  Maler  folgte  der  Art 
seines  Vaters  und  nahm  auch  die  gleichen  Motive  auf, 
so  DorffestHchkeiten  und  dergleichen,  doch  zeigen  seine 
Kompositionen  weit  mehr  Varianten  und  sind  erfin- 
derischer, sodaß  er  in  jeder  Hinsicht  überlegen  ist. 
V.  David  Teniers  (der  Ältere),  (1582—1649,  starb  mit  67 
Jahren).  Seine  Bilder  waren  in  ihrer  Art  sehr  originell 
und  wurden  allgemein  bewundert.  Sie  würden  als  die 
erfolgreichsten  Versuche  dieser  Art  betrachtet  werden, 
wenn  sie  nicht  durch  die  unnachahmhchen  Werke  seines 
Sohnes  übertroffen  worden  wären. 
B.  Abraham  Teniers.  Er  malte  in  der  Art  von  Bruder  und 
Vater,  aber  wenn  auch  ein  tüchtiger  Künstler,  reichte  er 
doch  an  diese  beiden  nicht  heran. 

Tizian  s.  VeceUio. 

Van    Dyck,    Antonis    (1599—1641).      Bewunderungswürdiger 
Porträtmaler,  steht  nur  hinter  Tizian  zurück. 
(V)    Ein  Glasmaler,  ein  Mann  von  einiger  Eigenheit. 
(f)    Seine  Mutter  war  in  Stickereien  gewandt,  die  sie  mit 
beträchthchem   Geschmack    nach    landschaftHchen    und 
Figurenzeichnungen  arbeitete. 

Vecellio,  Tiziano  da  Cadore  (Tizian),  (1477—1576).  Der  große 
Begründer  der  wahren  Prinzipien  der  Farbe.  Zeigte  im 
Alter  von  18  Jahren  beträchtUche  Fähigkeiten,  er  malte 
bis  zu  seinem  Tode.    Starb  mit  99  Jahren  an  der  Pest. 

Diese  bemerkenswerte  Familie  enthält  acht  oder  neun 
gute  Maler.  Bryan  nennt  sechs  von  ihnen  in  seinem 
Diktionnaire,  aber  er  scheint  über  ihre  verwandtschaft- 
Hchen  Beziehungen  nicht  genau  informiert  zu  sein.    Der 


2t8  Maler. 

nachfolgende  Stammbaum  ist  den  Beschreibungen  von 
Northcote  entnommen.  Alle,  deren  Namen  nachstehend 
verzeichnet  sind,  waren  Maler.  Die  Bindeglieder,  die 
durch  Kreuzchen  angedeutet  sind,  bedeuten  seltsamer- 
weise je  einen  Rechtsgelehrten. 
B.  und  2S.  Tizians  Bruder,  Francesco  und  zwei  Söhne, 
Pomponio  und  Horatio,  hatten  alle  große  Fähigkeiten. 
Der  Bruder  gab  sich  in  erster  Reihe  miütärischen 
Pflichten  hin  und  konnte  aus  der  Malerei  nicht  seinen 
Beruf  machen.  Den  Söhnen  fehlte  der  Stimulus  der 
Armut,  doch  besaßen  sie  ohne  Zweifel  große  natürliche 
Anlagen  für  Malerei. 


X  X 

I i 


Francesco        Tiziano  Fabricio  Cesare 


Marco  X  Pomponio         Horatio 

Tizianello       Thomaso 

(v)    war  eine  sehr  befähigte  Frau. 

OE.  2  OES.  Die  anderen,  wenn  auch  entfernten  Verwandten, 
sind  insofern  interessant,  als  sie  die  beharrliche  künst- 
lerische Eigenart  der  Familie  Vecellio  zeigen. 
Velde,  Willem  van  de  (der  Jüngere),  (1633—1707).  Wird  als 
der  beste  Maler  von  Seestücken  betrachtet,  der  je  gelebt 
hat.  Walpole  sagt  von  ihm  „er  sei  der  größte  Mann,  der 
in  dieser  Art  der  Malerei  je  auftauchte,  die  Palme  wird 
Raphael  für  historische  Gemälde  ebensowenig  bestritten, 
als  van  de  Velde  für  Seestücke."  Er  war  in  Amsterdam 
geboren. 
V.  Willem  van  de  Velde  (der  Ältere),  (1610—1693,  starb 
mit  83  Jahren).  Bewunderungswürdiger  Maler  von  See- 
stücken, geboren  in  Leyden.  Er  unterrichtete  seinen 
Sohn,  der  ihn  überflügelte. 


Maler.  279 

S.  gleichfalls  mit  Namen  Willem  und  gleichfalls  ein  Maler. 
Behandelt  dieselben  Motive  wie  sein  Vater  und  Groß- 
vater. Es  gibt  noch  drei  andere  hervorragende  Maler 
des  gleichen  Namens,  aus  den  gleichen  Städten  und  aus 
der  gleichen  Zeit,  aber  ich  finde  nichts  über  ihre  Ver- 
wandtschaft. Es  sind  dies  die  beiden  Brüder  Esaias  und 
Jan  van  der  Velde,  die  zwischen  1592  und  1595  in 
Leiden  geboren  wurden,  und  Adriaen  van  der  Velde,  der 
1639  in  Amsterdam  geboren  wurde. 
Veronese,  Paolo,  (s.  Cagliari.) 


280  Theologen. 


Theologen. 

Ich  bin  jetzt  auf  dem  Sprunge,  mit  meiner  statistischen  Über- 
sicht in  Regionen  einzutreten,  wohin  genaue  Untersuchungen 
selten  dringen  und  wo  sie  nicht  sehr  allgemein  willkommen  ge- 
heißen werden.  Die  Sprache  der  theologischen  Schriftsteller 
ist  gewöhnUch  so  unbestimmt,  daß  ich  nicht  imstande  bin  zu 
bestimmen,  was  sie  wirklich  meinen,  wenn  sie  auf  Gegenstände 
zu  sprechen  kommen,  die  direkt  meine  gegenwärtige  Unter- 
suchung berühren.  Ich  kann  nicht  erraten,  wie  weit  ihre  Aus- 
drucksweise metaphorisch  verstanden  sein  will  oder  in  welch 
anderer  Weise  als  die  durch  die  grammatikalischen  Regeln  und 
den  allgemeinen  Sprachgebrauch  gebotenen,  sich  hier  die  Ge- 
danken in  Worte  kleiden.  Ich  meine  die  Redewendungen,  welche 
die  Fruchtbarkeit  der  Ehen  und  die  Gründung  von  Familien  in 
starke  Abhängigkeit  von  der  Frömmigkeit  der  betreffenden  Per- 
sonen folgen.*)  Ich  kann  meinen  Kreis  noch  weiter  ziehen  und 
auch  jene  anderen  Redewendungen  einbeziehen,  die  behaupten, 
das  materielle  Wohlergehen  sei  im  allgemeinen  von  den  gleichen 
Gründen  beeinflußt.**) 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  mich  mit  der  Kritik  der  Inter- 
pretation dieser  oder  ähnlicher  Stellen  zu  beschäftigen  oder  den 
Versuch  zu  machen  zu  zeigen,  wie  und  ob  sie  mit  den  Tatsachen 
übereinstimmen.  Diese  Dinge  sind  die  Angelegenheit  der  Theo- 
logen. Was  ich  unternehme,  ist  einfach  eine  Untersuchung,  ob 
die  Behauptungen,  die  sie,  ihrer  prima  facie  Interpretation  ent- 
sprechend, enthalten,  mit  den  statistischen  Deduktionen  überein- 


*)  Z.  B.    was  Fruchtbarkeit   anlangt  Ps.  XXVIII  1,  3.  5,  CXHI  8  und 
was  die  Gründung  von  Familien  anlangt  XXIV  11,  12. 

**)  Z.  B.  was  das  allgemeine  Wohlergehen  anlangt  Ps.  I,  4.    Was  Lang- 
lebigkeit betrifft  XXXIV  12—14,  und  in  Bezug  auf  Gesundheit  XCI  3.  6,  10. 


Theologen.  281 

stimmen  oder  nicht.  Wenn  eine  außerordentliche  Vorsehung  die 
Familien  frommer  Männer  beschirmt,  so  müssen  wir  mit  dieser 
Tatsache  rechnen.  NatürHche  Qaben  müssen  dann  als  in  einem 
hohen  und  wahrscheinUch  meßbaren  Grade  von  der  Frömmig- 
keit der  Ahnen  herrührend  betrachtet  werden,  ebenso  müßten 
diese  Qaben  in  einem  weit  geringeren  Grade,  als  ich  anderer- 
seits geneigt  war  anzunehmen,  auf  natürliche  Eigentümlichkeiten 
der  Vorfahren  zurückgeführt  werden. 

Wir  alle  sind  mit  einer  andern  und  gerade  entgegengesetzten 
Ansicht  vertraut.  Die  volkstümHche  Meinung  geht  dahin,  daß 
die  Kinder  frommer  Eltern  oft  schlecht  geraten,  und  zahlreiche 
Beispiele  werden  angeführt,  um  diese  Behauptung  zu  belegen. 
Wenn  eine  weitere  Induktion  und  eine  sorgfältige  Analyse  die 
Richtigkeit  dieser  Anschauung  bewiese,  würde  sie  der  Ver- 
erbungstheorie stark  entgegenwirken. 

Aus  diesen  beiden  Erwägungen  ist  es  für  eine  gerechte  Be- 
handlung meines  Gegenstandes  absolut  nötig,  die  Geschichte 
religiöser  Menschen  zu  untersuchen  und  die  Ausdehnung  ihrer 
erbhchen  Eigentümlichkeiten  kennen  zu  lernen,  um  weiter  zu 
sehen,  ob  ihr  Leben  von  außerordentüchem  Glück  begleitet  ist 
oder  ob  dies  nicht  der  Fall  war. 

Ich  habe  mir  beträchtliche  Mühe  genommen,  mir  eine  ent- 
sprechende Auswahl  von  Geistlichen  für  meine  Untersuchungen 
zu  verschaffen.  Die  römisch  -  katholische  Kirche  ist  an  geist- 
lichen Biographien  reich,  aber  sie  enthalten  keine  Daten  für  meine 
Statistiken.  Der  Grund  ist  einleuchtend  genug.  Die  heiligen  Per- 
sonen beider  Geschlechter  leben  im  Zölibat  und  sind  daher  un- 
fähig, Famihen  zu  gründen.  Eine  Sammlung  von  Bischöfen 
unserer  Kirche  wäre  gleichfalls  nicht  entsprechend,  da  sie  viele 
Generationen  hindurch  in  erster  Reihe  als  Administratoren,  ge- 
lehrte Philologen,  polemische  Schriftsteller  oder  Höflinge  be- 
merkenswert waren,  es  wäre  also  nicht  richtig,  aus  der  Tat- 
sache, daß  sie  zur  Bischofswürde  erhoben  wurden,  zu  schließen, 
daß  sie  Männer  von  außerordentlicher  Frömmigkeit  gewesen 
seien.  Ich  dachte  an  viele  andere  Gruppen  von  Theologen,  die 
ich  aber  auf  Grund  der  obigen  Betrachtungen  wieder  verwarf. 
Endlich  wurde  ich  glücklich  auf  eine  Sammlung  gelenkt,  die  voll- 
kommen meinen  Bedürfnissen  entspricht. 

Middletons  „Biographia  Evangelica",  4  Bände  1786,  ist  durch- 
aus das  Werk,  das  meinen  Untersuchungen  angemessen  ist.  Die 
Biographien,  die  es  enthält,  sind  nicht  allzu  zahlreich,  denn  es  sind 


282  Theologen. 

im  ganzen  nur  196,  von  der  Reformation  bis  zur  Zeit  der  Publika- 
tion. Deutlicher  gesprochen,  die  Sammlung  enthält  die  Biographien 
von  196  protestantischen  verdienstvollen  Männern,  die  mit  Aus- 
nahme der  vier  ersten,  nämlich  Wyckliffe,  Huß,  Hieronymus  von 
Prag  und  Johann  von  WesaUa  zwischen  1527  und  1785  starben. 
Diese  übrigbleibenden  192  Männer  in  einer  Periode  von  258  Jahren 
oder  drei  Männer  in  je  4  Jahren  sind  eine  Auswahl,  die  für  meine 
Zwecke  streng  genug,  aber  nicht  zu  streng  ist.  Die  Biographen 
sind  in  einem  ausgezeichneten  Englisch  geschrieben  und  mit  wohl- 
abgewogenen Beiworten  versehen,  und  obgleich  die  Sammlung 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  eine  Kompilation  aus  den  Schriften 
anderer  ist,  kann  sie  doch  gerechterweise  als  ein  einheitliches 
Werk  und  nicht  als  eine  Kombination  einzelner  Abhandlungen, 
die  ohne  Zusammenhang  miteinander  geschrieben  sind,  be- 
trachtet werden,  indem  die  Biographien  der  Männer  von  größerer 
Bedeutung  einen  entsprechend  wichtigeren  Platz  einnehmen. 
Middleton  versichert  in  seiner  Vorrede  den  Leser,  daß  sich  in 
seiner  Sammlung  keinerlei  bigotte  ParteiUchkeit  für  Sekten  findet, 
sondern  daß  seine  ganze  Aufmerksamkeit  sich  wirklich  großen 
und  gottseligen  Charaktern  aller  jener  Qlaubensrichtungen  zu- 
wandte, welche  die  entscheidenden  Prinzipien  der  Evangelien 
anerkennen.  Er  definiert  nicht,  welches  seiner  Meinung  nach 
diese  Prinzipien  sind,  aber  es  ist  leicht  ersichtlich,  daß  seine 
Neigungen  sich  scharf  den  Kalvinisten  zuwenden,  und  daß  er  die 
Baptisten  durchaus  verwirft. 

Ich  muß  noch  weiter  sagen,  daß  ich  nach  der  Lektüre  seines 
Werkes  vor  der  Gesamtheit  der  Theologen  einen  weit  größeren 
Respekt  bekam,  als  ich  vorher  hatte.  Man  ist  so  häufig  über  die 
Kleinlichkeit,  die  Gehässigkeit  und  den  Fanatismus,  die  in 
theologischen  Streitigkeiten  zutage  treten,  empört,  daß  man  mit 
gutem  Grund  eine  Neigung  zu  diesen  Fehlern  bei  Menschen  von 
stark  religiösem  Bekenntnis  voraussetzen  kann.  Aber  ich  kann 
meine  Leser  versichern,  daß  Middletons  Biographien  sich  nach 
meinem  besten  Wissen  und  Gewissen  zum  weitaus  größten  Teil 
auf  außerordentlich  edle  Charaktere  beziehen.  Wir  stoßen  hier 
sicherlich  auch  auf  einige  Persönlichkeiten  von  sehr  zweifel- 
haftem Ruf,  namentlich  in  dem  ersten  Teil  des  Werkes,  welches 
die  stürmische  Zeit  der  Reformation  behandelt,  so  etwa  Cranmer 
„heiUg  in  seinem  Bekenntnis,  skrupellos  in  seinen  Handlungs- 
weisen, setzte  sich  für  nichts  wahrhaft  ein;  kühn  in  seinen  theo- 
logischen Spekulationen,  ein  Feigling  und  Heuchler  im  Handeln, 


Theologen.  283 

ein  versöhnlicher  Feind  und  ein  lauer  Freund"  (Macaulay).  Nichts- 
destoweniger bin  ich  sicher,  daß  Middletons  Sammlung  im  all- 
gemeinen außerordentlich  gerecht  und  zuverlässig  ist. 

Die  196  Personen,  von  denen  Middletons  Biographien  han- 
deln, können  folgendermaßen  klassifiziert  werden.  22  von  ihnen 
waren  Märtyrer,  die  meistens  durch  Feuer  umkamen.  Der  Letzte 
von  ihnen,  Homel,  ein  Pastor  in  den  Cevennen  zur  Zeit  Lud- 
wigs XIV.,  wurde  1683  unter  Umständen  so  merkwürdiger  Grau- 
samkeit hingerichtet,  daß  ich  nicht  unterlassen  kann  zu  zitieren, 
was  Middleton  hierüber  sagt,  obgleich  diese  Sache  nicht  zu 
meinem  Thema  gehört.  Homel  wurde  zum  Rad  verurteilt,  wo 
„jedes  QUed  und  jeder  Knochen  seines  Körpers  von  dem  eisernen 
Ansatz  gebrochen  wurden,  vierzig  Stunden,  ehe  dem  Henker  ge- 
stattet war,  ihm  die  Brust  mit  einem  Schlag  zu  durchstoßen,  den 
sie  „le  coup  de  gräce",  den  Gnadenstoß  heißen,  einem  Todeshieb, 
der  all  seinen  Qualen  ein  Ende  bereitete."  Andere  von  diesen 
196  Männern,  die  Märtyrer  inklusive,  waren  aktive  Führer  der 
Reformation,  so  Wyckliffe,  Zwingli,  Luther,  Ridley,  Calvin,  Beza; 
andere  waren  äußerst  hervorragende  Administratoren,  wie  die 
Erzbischöfe  Parker,  Grindal  und  Usher,  einige  waren  vollendete 
Puritaner,  wie  die  Bischöfe  Potter,  Knox,  Welch,  die  beiden  Ers- 
kines  und  Dr.  J.  Edwards;  eine  große  Anzahl  waren  Männer  von 
außerordentlicher,  aber  angenehmer  Form  von  Frömmigkeit,  so 
Bunyan,  Baxter,  Watts  und  George  Herbert.  Der  Rest  und  zwar 
die  Majorität  der  Gruppe  können  als  fromme  und  gelehrte  Män- 
ner bezeichnet  werden. 

Als  allgemeine  Regel  gilt  von  den  Männern,  die  in  Middletons 
Sammlung  angeführt  sind,  daß  sie  eine  beträchtüche  intellektuelle 
Befähigung  und  eine  natürliche  Lernbegier  hatten,  zwei  Eigen- 
schaften, die  sich  gewöhnlich  in  der  Knabenzeit  zeigen.  Die 
meisten  von  ihnen  schrieben  dickleibige  Bücher  und  waren  fort- 
während mit  Predigen  und  anderen  religiösen  Diensten  beschäf- 
tigt. Sie  hatten  sichtlich  ein  starkes  Bedürfnis  sich  auszuspre* 
chen.  Sie  waren  gewöhnlich  aber  durchaus  nicht  alle  von  from- 
men Eltern,  wenn  wir  nach  den  letzten  100  Biographien  aus  Mid- 
dletons Sammlung  schließen,  da  der  erste  Teil  des  Werkes 
zu  unvollkommene  Angaben  enthält  über  die  Ahnen,  als  daß  wir 
ihre  Analyse  benützen  könnten.  Es  scheint,  daß  von  diesen  100 
Männern  nur  41  Eltern  haben,  wo  Vater  oder  Mutter  oder  beide 
hervorragend  fromm  waren,  ohne  zu  berücksichtigen,  was  über 


284  Theologen. 

die  Herkunft  der  anderen  59  gesagt  werden  kann.  Diese  41  Fälle 
verteilen  sich  folgendermaßen:  *)  in  17  Fällen  war  der  Vater  ein 
Geistlicher,^)  in  16  Fällen  war  der  Vater  nicht  QeistHcher,  doch 
beide  Eltern  reHgiös,^)  in  5  Fällen  wird  die  Mutter  allein  als  fromm 
bezeichnet,"')  in  2  Fällen  sind  die  nahen  Verwandten  der  Mutter 
als  religiös  bekannt*),  und  in  einem  Falle  wird  nur  der  Vater  allein 
fromm  genannt.^) 

Es  gibt  keinen  Fall,  in  welchem  beide  Eltern  oder  Vater  oder 
Mutter  allein  als  sündhaft  beschrieben  werden,  obgleich  2  Fälle 
von  Knauserigkeit*^)  und  1  von  Verschwendung^)  vorkommen. 

Die  Lebensbedingungen  der  Eltern  sind  in  66  Fällen,  also  bei 
mehr  als  einem  Drittel  der  Fälle,  angeführt.  Sie  zerfallen  in  fol- 
gende Gruppen: 

4  mit  hohen  verwandtschaftlichen  Beziehungen:  Hamilton, 
Georg  Prinz  von  Anhalt,  John  a  Lasco,  Herbert. 

8  aus  alter  Familie  (nicht  notwendig  reich):  Jewell,  Deering, 
Gilpin,  Hildersham,  Ames,  Bedell,  Lewis  de  Dieu,  Palmer. 

15  mit  guten  verwandtschaftlichen  Beziehungen:  Oecolam- 
padius,  Zwingli,  Capito,  Farel,  Jones  Bugenhagius,  BuUinger, 
Sandys,  Featley,  Dod,  Fulke,  Pool,  Baxter,  Griffith  Jones,  Davies. 

23  in  liberalen  Berufen:  Melanchthon  und  Toplady,  Offiziere 
in  der  Armee;  Gataker,  Usher  und  Saurin,  Rechtsgelehrte;  sieb- 
zehn waren  Kirchenmänner  (s.  die  folgende  Liste).  Davenant 
war  Kaufmann. 

6  waren  Gewerbsleute.  Die  beiden  Abbot  waren  Weber, 
Twiss  Tuchwalker;  Bunyan  ein  Kesselflicker,  Watts  hatte  eine 
Erziehungsanstalt;  Doddridge  war  ein  Ölhändler. 

4  waren  arm:  Huß,  Ball,  Grynaeus,  Fagius,  Latimer. 

6  waren  sehr  arm:  Luther,  PelHcan,  Musculus,  Cox,  Andreas 
Prideaux. 

In  der  Verwandtschaft  der  Geistlichen  findet  sich  also  nichts 


*i)  Lewis  de  Dieu,  Alting,  Manton,  T.  Gouge,  Owen,  Leighton,  Qaude 
Hopkins,  Fleming,  Burkitt,  Halyburton,  M.  Henry,  Clarke,  Mather,  Evans, 
Edwards,  Hcrvey. 

2j  Donne,  Downe,  Taylor,  Whately,  W.  Gouge,  Janeway,  Winter,  Flavel, 
Spener,  Witsius,  Shower,  Doddrige,  G.  Jones,  Davies,  Guyse,  Giil. 

3)  G.  Herbert,  Hall,  P.  Henry,  Baily,  Whitefield. 

^)  Wilkins  (Vater  der  Mutter  J.  Dod),  Toplady  (zwei  mütterliche  Onkel 
waren  Geistliche. 

5)  Haie. 

^  V.  Bullinger,  Fulke. 

7)  Baxter. 


Theologen.  286 

Abnormes,  es  sind  Lebensbedingungen,  wie  wir  sie  auch  bei  den 
weltlichen  gelehrten  Philologen  in  der  gleichen  Periode  unserer 
Geschichte  gefunden  haben. 

Die  Theologen  sind  nicht  Begründer  von  einflußreichen 
Familien.  Armut  war  nicht  immer  der  Grund  hierfür,  da  wir 
auch  von  solchen  lesen,  die  beträchtUche  Mittel  besaßen. 
W.  Gouge  hinterließ  seinem  Sohn  T.  Gouge  ein  ansehnliches  Ver- 
mögen, mit  welchem  er  Liebeswerke  in  Wales  und  anderwärts 
unterstützte.  Evans  hatte  ein  beträchtliches  Vermögen,  das  er  völlig 
durch  Spekulationen  im  Südseeschwindel  verlor,  und  andere  wer- 
den genannt,  die  hohe  verwandtschaftliche  Beziehungen  haben 
und  daher  mehr  oder  weniger  gut  daran  sind.  Die  einzigen  Fami- 
lien, die  Männer  von  Bedeutung  hervorgebracht  haben,  sind  die 
Saurin.  deren  Nachkomme  der  berühmte  Kron-Anwalt  von  Ir- 
land v/ar,  die  Familie  des  Erzbischofs  Sandys,  dessen  Nachkomme 
nach  einigen  Generationen  der  erste  Lord  Sandys  wurde  und  die 
Familie  Hookers,  der  der  Vorfahr  der  hervorragenden  Botaniker, 
des  verstorbenen  und  gegenwärtigen  Direktors  des  Botanischen 
Gartens  in  Kew  war.  Als  Ganzes  genommen  haben  die  Theo- 
logen kaum  einen  merklichen  Einfluß  auf  die  Bildung  der  herr- 
schenden Familien  in  England  oder  in  der  Hervorbringung  unserer 
Judges,  Politiker,  Feldherren,  Männer  der  Literatur  und  Natur- 
wissenschaften oder  Mathematik,  Dichter  oder  Künstler. 

Die  Theologen  sind  von  mäßiger  Fruchtbarkeit.  Nach  den 
späteren  Biographien  zu  urteilen,  ist  ungefähr  die  Hälfte  von 
ihnen  unverheiratet,  und  es  kommen  gegen  5,  vielleicht  auch  6 
Kinder  auf  eine  Ehe.  Das  heißt,  die  wirklich  angegebene  Anzahl 
ergibt  eine  Rate  von  4^2,  hierzu  kommt  noch,  daß  je  einmal  in 
6  oder  7  Fällen  die  Phrase  gebraucht  wird,  „viele  Kinder".  Die 
Einreihung  dieser  zufällig  unbekannten,  aber  gewiß  großen  Zahlen 
würde  den  Durchschnitt  noch  um  ein  Kleines  erhöhen.  Anderer- 
seits ist  es  mitunter  nicht  klar,  ob  die  Anzahl  der  Kinder,  die  die 
erste  Kindheit  überlebt  haben,  nicht  irrtümlicherweise  als  die 
Anzahl  der  Geburten  angegeben  wurde,  so  daß  wir  diesem 
Zweifel  Rechnung  tragend  den  geschätzten  Durchschnitt  wieder 
erhöhen  müssen.  Damit  die  Bevölkerung  nicht  zurückgehe, 
müssen  je  4  Erwachsene,  2  Frauen  und  2  Männer,  schheßhch  4 
Kinder  hinterlassen,  die  gleichfalls  ein  reifes  Alter  erreichen.  Wir 
haben  gesehen,  daß  vcn  den  Theologen  nur  die  Hälfte  verheiratet 
ist,  daher  muß  jeder  Theologe  4  Erwachsene  hinterlassen,  damit 
seine  Familie  nicht  abnimmt.     Dieser  Umstand    erfordert    eine 


286  Theologen. 

Durchschnittsfamilie  von  mehr  als  6  Kindern  oder  eine  tatsäch- 
lich größere  Familie,  als  die  Theologen  gehabt  zu  haben  scheinen. 

Diejenigen  unter  ihnen,  die  heiraten,  tun  dies  oft  mehr  als 
einmal.  Wir  wissen  im  ganzen  von  81  verheirateten  Männern; 
3  von  ihnen,  nämlich  Junius,  Qataker  und  Flavel  hatten  jeder  4 
Frauen  hintereinander;  Bucer  und  Mather  3,  und  12  andere  waren 
je  zweimal  verheiratet.  Die  Häufigkeit,  mit  welcher  Theologen 
Witwer  wurden,  ist  bemerkenswert,  umsomehr,  als  sie  gewöhn- 
lich nicht  in  jungen  Jahren  heirateten.  Ich  führe  den  frühzeitigen 
Tod  ihrer  Ehefrauen  auf  die  Hypothese  zurück,  daß  ihre  Konsti- 
tution schwächlich  war,  und  ich  habe  dafür  zwei  Anhaltspunkte. 
Einmal  starb  eine  große  Anzahl  von  ihnen  im  Wochenbett,  denn 
sieben  solcher  Fälle  werden  angeführt,  und  es  ist  kein  Grund  an- 
zunehmen, daß  Middleton  alle  oder  fast  alle  derartigen  Fälle  ver- 
zeichnet. Zweitens  scheinen  die  Frauen  der  Theologen  sehr 
fromm  gewesen  zu  sein,  und  es  wird  sich  etwas  weiter  unten 
zeigen,  daß  eine  häufige  Verbindung  zwischen  einer  ungewöhn- 
lich frommen  Gemütsart  und  einer  schwachen  Konstitution  be- 
steht. 

Die  Theologen  scheinen  in  ihrem  häuslichen  Leben  sehr  glück- 
lich gewesen  zu  sein.  Ich  weiß  nur  von  wenig  Ausnahmen  von 
dieser  Regel.  Die  Frau  von  P.  Cooper  war  treulos,  und  die  des 
armen  Hooker  war  ein  Zankteufel.  Doch  hatten  in  vielen  Fällen 
diese  naiven  verdienstvollen  Männer  ihre  Ehen  aus  Überlegung 
und  nicht  aus  Liebe  geschlossen.  Calvin  heiratete  auf  Bucers 
Ratschlag,  und  der  Bischof  Hall  mag  hier  seine  eigene  Geschichte 
erzählen,  da  sie  typisch  genug  ist.  Nachdem  er  sein  Haus  gebaut 
hatte,  erzählt  er  in  seiner  Autobiographie:  „Die  unheimliche  Ein- 
samkeit meines  Lebens  und  die  außerordentliche  UnbequemHch- 
keit  meines  ledigen  Haushalts  führten  nach  zwei  Jahren  meine 
Gedanken  dazu,  die  Notwendigkeit  des  Ehestandes  einzusehen, 
die  Gott  nicht  weniger  wunderbar  für  mich  vorgesehen  hatte, 
denn  als  ich  am  Pfingstmontag  die  Kirche  mit  einem  ernsthaften 
und  verehrungswürdigen  Geistlichen  Mr.  Grandidge  verließ,  sah 
ich  in  der  Tür  des  Hauses,  wo  wir  zu  einem  Hochzeitsmahl  ein- 
geladen waren,  eine  anmutige  und  bescheidene  Dame  stehen  und 
fragte  den  würdigen  Freund,  ob  er  sie  kenne.  „Jawohl,"  sagte 
er,  „ich  kenne  sie  und  habe  sie  zu  Ihrer  Frau  bestimmt."  Als  ich 
weiter  eine  Erklärung  dieser  Antwort  verlangte,  sagte  er  mir, 
sie  sei  die  Tochter  eines  gentleman,  den  er  sehr  achte,  Mr. 
George  Winniffe  von  Bretenham;  und  daß  er  in  der  Meinung,  dieser 


Theologen.  287 

Ehebund  würde  mir  wohl  anstehen,  bereits  mit  ihrem  Vater 
darüber  gesprochen  habe,  der  der  Sache  sehr  geneigt  sei.  Er 
riet  mir,  die  Gelegenheit  nicht  vorübergehen  zu  lassen  und  ver- 
hehlte mir  nicht  die  gerechten  Lobsprüche  über  die  Bescheiden- 
heit, Frömmigkeit,  gute  Gemütsart  und  andere  Tugenden,  die  in 
dieser  schicklichen  Gestalt  vereinigt  waren.  Ich  hörte  seinen 
Vorschlag  als  von  Gott  gesandt  an  und  erfreute  mich  nach  der 
gehörigen  Verfolgung  des  Planes,  der  glückhch  verhef,  in  einer 
Zeit  von  neunundvierzig  Jahren  der  Gesellschaft  dieser  passenden 
Gefährtin." 

Die  Sterblichkeit  der  Theologen  richtet  sich  nach  genau  der 
gleichen  Regel,  ob  es  sich  nun  um  die  in  den  ersten  oder  die  in 
den  letzten  Bänden  von  Middletons  Sammlung  genannten  Per- 
sönlichkeiten handelt,  obgleich  die  Lebensbedingungen  in  den  ver- 
schiedenen Perioden,  denen  sie  angehören,  sich  verändert  haben 
müssen.  Von  den  196  herangezogenen  Menschen  stirbt  etwa 
die  Hälfte  zwischen  55  und  75  Jahren;  ein  Viertel  stirbt  vor  dem 
55sten  Jahr  und  ein  zweites  Viertel  nach  dem  75sten  Jahr.  62 
oder  63  ist  das  durchschnittliche  Todesalter,  in  dem  Sinne,  daß 
ebenso  viel  sterben,  ehe  sie  dieses  Alter  erreicht  haben,  als 
später.  Das  ist  eher  eine  geringere  Lebensdauer,  als  ich  aus  den 
anderen  Gruppen  hervorragender  Männer  deduziert  habe.  Dod, 
der  älteste  der  hier  zitierten  Theologen,  lebte  bis  zu  einem  98sten 
Jahr.  Nowell  und  du  Mouhn  starben  zwischen  90  und  95  und 
Zanchius,  Beza  und  Conant  zwischen  85  und  90.  Die  Krankhei- 
ten, die  sie  hinrafften,  sind  hauptsächlich  die  einer  sitzenden  Le- 
bensweise der  zitierten  Männer  an  Steinkrankheit  oder  Harn- 
zwang, zwischen  welchen  beiden  Krankheiten  die  Ärzte  damals 
noch  keinen  genügenden  Unterschied  machten.  In  der  Tat  töte- 
ten sie  Bischof  Wilkins,  indem  sie  die  eine  Krankheit  mit  der  an- 
deren verwechselten.  Wir  finden  weiter  fünf  Fälle  von  Pest,  der 
Rest  besteht  aus  folgenden  Gruppen,  die  ziemlich  gleiche  Propor- 
tionen aufweisen,  nämHch:  Fieber  und  Wechselfieber,  Lungener- 
krankungen, Gehirnschlag  und  nicht  klassifizierte  Krankheiten. 

Was  die  Gesundheit  anbelangt,  so  ist  die  Konstitution  der 
meisten  Theologen  bemerkenswert  schlecht.  Ich  habe  gefunden, 
daß  gelehrte  Philologen  in  der  Jugendzeit  sehr  häufig  krank 
sind,  teilweise  weil  die  Unfähigkeit  sich  an  den  Unterhaltungen 
anderer  Knaben  zu  beteiligen  sie  zum  Studium  drängt,  teilweise 
weil    eine    ungesunde   Gehirntätigkeit    sie    frühzeitig   nach   den 


288  Theologen. 

Büchern  greifen  läßt.  Allgemein  gesprochen,  gibt  es  drei  Mög- 
lichkeiten für  diese  jungen  Gelehrten.  Sie  sterben  entweder  jung, 
oder  sie  werden  kräftiger,  wenn  sie  heranwachsen,  behalten 
ihre  Neigungen  und  sind  fähig,  sich  ihnen  mit  gut  erhaltener 
Energie  zu  widmen  oder  sie  leben  kränklich  weiter.  Die  Theo- 
logen rekrutieren  sich  stark  aus  der  kränklichen  Gruppe  dieser 
Jünglinge.  In  den  meisten  religiösen  Biographien  findet  man  eine 
Art  von  Invalidität,  die  mir  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
in  den  Lebensbeschreibungen  in  Middletons  Sammlung  häufig  auf- 
zutauchen scheint. 

Er  notiert  speziell  die  folgenden  vierzehn  oder  fünfzehn  Fälle 
schwächlicher  Konstitution. 

1.  Melanchthon,  er  starb  mit  63  Jahren,  seine  Gesundheit  er- 
forderte fortwährende  Aufmerksamkeit.  2.  Calvin,  starb  mit  55 
Jahren.  Er  war  schwach,  schmächtig  und  schwindsüchtig,  leistete 
aber  nichtsdestoweniger  eine  ungeheure  Arbeit.  Vielleicht  können 
wir  als  3.  Junius  nennen,  der  als  Kind  sehr  krank  und  schwächlich 
war.  Man  erwartete  nicht,  daß  er  das  Mannesalter  erreichen 
würde,  aber  er  wurde  kräftig,  als  er  heranwuchs,  und  wenn  er 
auch  jung  starb,  so  war  es  doch  eine  Seuche,  die  ihn  dahingerafft 
hatte,  er  überlebte  vier  Frauen.  4.  Downe,  ein  Vikar  in  Somerset- 
shire,  starb  mit  61  Jahren,  der  sein  Lebenlang  „an  Gesundheit  und 
Kraft  ein  wahrer  Pilger  und  Fremdling"  in  der  Welt  war.  5.  Georg 
Herbert,  starb  mit  42  Jahren,  er  war  schwindsüchtig  und  häufig 
Fiebern  und  anderen  Krankheiten  unterworfen,  er  scheint  seine 
Geistesrichtung  sehr  stark  seiner  schlechten  Konstitution  zu  ver- 
danken, denn  er  wurde  frömmer,  je  mehr  körperliche  Übel  ihn 
trafen,  und  wir  können  noch  einen  tapferen  ritterlichen  Typus  in 
ihm  finden,  der  sich  bei  seinen  Vorfahren  und  Brüdern,  die  meist 
stattliche  Soldaten  waren,  in  einer  robusten  Weise  entwickelte. 
Ein  Bruder  war  ein  bekannter  Seemann,  ein  anderer  hatte  24 
Wunden  an  seinem  Leibe  bekommen.  6.  Bischof  Potter,  starb  mit 
64  Jahren,  war  von  schwächlicher  Konstitution,  melancholisch, 
mager  und  puritanisch.  7.  Janeway,  starb  mit  24  Jahren,  „hartes 
Studium  und  Arbeit  überwältigten  ihn".  8.  Baxter,  starb  mit  76 
Jahren,  war  stets  von  elender  Gesundheit,  ihn  quälte  ein  Stein  in 
der  Niere  (von  dem  es  nebenbei  bemerkt  heißt,  er  sei  im  College 
der  Chirurgen  aufbewahrt).  9.  Philipp  Henry,  starb  mit  65  Jahren, 
als  junger  Geistlicher,  der  „götthche  Heinrich"  genannt.  Er  war 
ein  schwächliches  Kind,  er  wurde  als  JüngUng  kräftiger,  doch 


Theologen.  289 

ruinierte  er  seine  verbesserte  Gesundheit  durch  die  sitzende 
Lebensweise  eines  Qelehrtenlebens,  die  mit  den  Übungen  auf  der 
Kanzel  abwechselte,  wo  er  „stark  schwitzte,  da  er  inbrünstig 
predigte,"  Er  starb  am  Schlagfluß.  10.  Harvey,  starb  mit  30 
Jahren,  war  so  schwächlich  und  klein,  daß  sein  Vater  ihn  nicht 
Geistlicher  werden  lassen  woiice,  „aus  Furcht,  seine  Gestalt 
würde  ihn  verächtlich  machen."  11.  Moth,  starb  mit  ?  Jahren, 
scheint  ein  anderes  Beispiel  zu  sein.  Es  existiert  kaum  eine 
persönliche  Anekdote  über  ihn  als  „Gott  gefiel  es,  ihn  auf 
mancherlei  Weise  zu  prüfen",  eine  Phrase,  die  ich  mit  ungesunder 
Konstitution  interpretiere.  12.  Brainerd,  starb  mit  29  Jahren,  war 
von  Natur  gebrechlich  und  starb  an  einer  Komplikation  von  hart- 
näckigen Übeln.  13.  Hervey,  starb  mit  55  Jahren,  obgleich  ein 
Frühaufsteher,  war  er  von  Natur  schwach,  er  war  vor  seinem 
Tode  furchtbar  abgemagert.  14.  Guise,  starb  mit  81  Jahren,  ein 
hohes  Alter  für  jene  Zeit.  Nichtsdestoweniger  war  er  kränklich, 
in  frühen  Jahren  war  er  hektisch  und  überarbeitet,  später  krank 
und  lahm  und  zuletzt  bUnd.  15.  Toplady,  starb  mit  38  Jahren, 
kämpfte  umsonst  um  Gesundheit  und  ein  längeres  Leben.  Er 
wechselte  sogar  seinen  Aufenthaltsort  und  mußte  damit  seine 
Hoffnungen,  zu  Vermögen  zu  gelangen,  aufgeben. 

Zu  diesen  fünfzehn  Fällen,  wo  es  feststeht,  daß  es  sich  um 
eine  von  Natur  aus  schwache  Konstitution  handelt,  können  wir 
schließlich  noch  zwölf  Fälle  nehmen,  wo  die  Gesundheit  der  Be- 
treffenden unter  dem  Druck  der  Arbeit  zusammenbrach.  Selbst 
wenn  die  Arbeit,  die  ihre  Gesundheit  ruinierte,  unvernünftig  groß 
war,  so  kann  doch  der  Eifer,  der  sie  anspornte  über  ihre  Kräfte 
zu  arbeiten,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  als  ein  Sympton  einer 
mangelhaften  Konstitution  betrachtet  werden.  Jeder  Fall  möge 
nach  seinen  eigenen  Umständen  betrachtet  werden.  Es  sind  die 
folgenden: 

1.  Whitaker  starb  mit  48  Jahren,  holte  sich  den  Todeskeim 
durch  seinen  unglaublichen  Fleiß.  2.  Rollock,  starb  mit 
43  Jahren,  als  der  erste  Rektor  der  Universität  Edinburg;  er  starb 
infolge  Überarbeitung,  obgleich  der  wirkliche  Grund  seines  Todes 
die  Steinkrankheit  war.  3.  Dr.  Rainolds,  starb  mit  48  Jahren, 
genannt  „der  Schatz  alles  Wissens,  des  menschlichen  und  gött- 
lichen", der  ganz  bewußt  seinen  Instinkt  zur  Übertreibung  folgte, 
indem  er  sagte,  er  wolle  nicht  „propter  vitam  vivendi  perdere 
causas",  er  wolle  nicht  um  des  Leben  willen  den  Zweck  des 
Lebens  verlieren.     4.  Stock,  starb  mit   ?  Jahren,  „verbrauchte 

G  a  1 1 0  n  ,  Genii  und  Vererbung.  19 


290  Theologen. 

sich  selbst  wie  eine  Wachskerze,  indem  er  sich  selbst  für  das 
Wohl  der  anderen  aufrieb."  5.  Preston  starb  mit  41  Jahren, 
opferte  sein  Leben  einem  außerordentUchen  Fleiß;  er  wird  als 
Beispiel  dafür  zitiert,  „daß  Männer  von  großen  Eigenschaften  kei- 
ne Mäßigung  kennen."  Er  starb  als  „alter"  Mann  mit  41  Jahren. 
6.  Herbert  Palmer  starb  mit  46  Jahren  nach  einer  kurzen  Krank- 
heit, „denn,  da  er  viel  von  seiner  natürlichen  Kraft  im  Dienste 
Gottes  verbraucht  hatte,  hatte  die  Krankheit  wenig  mehr  an  ihm 
zu  tun."  7.  Baily,  starb  mit  54  Jahren,  er  war  so  heilig  und  ge- 
wissenhaft, „daß,  wenn  er  einige  Zeit  in  der  Gesellschaft  seiner 
Freunde  unschuldig  vergnügt  war,  es  ihn  später  einige  trübselige 
Gedanken  kostete"  (hüte  mich  vor  dem  Vorrecht  solcher  Ge- 
fährten); er  verlor  seine  Gesundheit  in  frühen  Jahren.  8.  Clarke,. 
starb  mit  62  Jahren,  war  zu  fleißig  und  bekam  infolgedessen  mit 
43  Jahren  ein  Fieber,  das  seine  Konstitution  außerordentüch 
schwächte.  9.  Ulrich  starb  mit  48  Jahren,  hatte  eine  „üble  Körper- 
beschaffenheit, die  verschlimmert  wurde  durch  eine  sitzende 
Lebensweise  und  die  Überanstrengung  seiner  Stimme  beim  Pre- 
digen." 10.  Isaac  Watts,  starb  mit  74  Jahren,  als  Kind  gewandt, 
aber  nicht  kräftig,  erkrankte  schwer  mit  24  Jahren,  dann  wieder 
mit  38  und  erholte  sich  dann  nicht  mehr;  er  verbrachte  den  Rest 
des  Lebens  in  einer  ihm  zusagenden  Zurückgezogenheit,  als  Haus- 
genosse von  Sir  T.  Abney  und  später  von  dessen  Witwe.  11.  Davies 
starb  mit  37  Jahren;  als  Knabe  geistreich  und  ein  kühner  Reiter, 
entwickelte  er  sich  zu  einem  religiösen  Menschen  mit  so  sitzender 
Lebensweise,  daß  er,  nachdem  er  Präsident  des  Yale  College 
in  Amerika  geworden  war,  kaum  noch  irgend  eine  Leibesübung 
vornahm.  Er  starb  an  einer  einfachen  Erkältung,  die  ihn  als  Folge 
einer  Unvorsichtigkeit  beim  Abfassen  einer  Predigt  befiel,  da  seine 
Körperkräfte  zu  schwach  waren,  um  irgend  eine  physische 
Anstrengung  auszuhalten.  12.  T.  Jones,  starb  mit  32  Jahren; 
„ehe  es  dem  Herrn  gefiel,  ihn  zu  rufen,  wandelte  er  auf  Irrwe- 
gen", dann  ward  er  betroffen  „von  seiner  Krankheit,  die  ihm 
stark  darniederdrückte  und  ihn  der  Pforte  des  Todes  nahe 
brachte,  während  welcher  Zeit  er  aber  bedeutsam  an  Gnade  zu- 
nahm." 

Hiermit  schheße  ich  meine  Liste  jener  26  Theologen,  die  bei 
Middleton  speziell  als  kränklich  bezeichnet  wurden.  Es  scheint, 
daß  etwa  die  Hälfte  von  ihnen  von  Haus  aus  schwächhch  waren, 
während  die  andere  Hälfte  frühzeitig  im  Leben  ihre  Gesundheit 
verloren.     Wir  müssen  nicht  annehmen,  daß  der  Rest  der   196 


Theologen.  291 

Männer  ausnahmslos  gesund  war.  Diese  Biographien  verweilen 
wenig  bei  persönlichen  Charakteristiken,  und  das  Stillschweigen 
über  die  Qesundheitsverhältnisse  muß  nicht  notwendig  dahin  er- 
klärt werden,  daß  die  Gesundheit  eben  gut  war.  Wie  ich  schon 
vorher  erwähnte,  weht  in  der  ganzen  Sammlung  eine  Art  von 
Krankenzimmerluft,  wenn  auch  in  einem  geringeren  Grade  als 
sonst  in  religiösen  Biographien,  die  ich  anderswo  gelesen  habe. 
Evangelische  Theologen  sind  sehr  geneigt,  ihr  Leben  in  sanfter 
Unpäßlichkeit  und  ermüdeter  Geistesverfassung  zu  verbringen. 

Es  ist  merkwürdig,  ein  wie  großer  Abschnitt  der  rehgiösen 
Biographien  sich  gewöhnlich  mit  den  Ereignissen  eines  Kranken- 
zimmers beschäftigt.  Wir  können  leicht  begreifen,  daß  diesen 
Dingen  viel  Platz  eingeräumt  wird,  da  die  Aufrichtigkeit  des 
Gläubigen  sich  auf  dem  Totenbett  am  sichersten  manifestiert; 
aber  dies  allein  genügt  nicht,  um  alles  zu  erklären,  was  wir  hier- 
über bei  Middleton  und  anderweitig  finden.  Ich  glaube,  evan- 
gelische Schriftsteller  empfinden  ein  wahres  Vergnügen  daran, 
bei  Umständen  zu  verweilen,  die  die  meisten  Menschen  anekeln. 
Rivet,  ein  französischer  Theologe,  hatte  eine  Einschnürung  der 
Eingeweide,  die  nach  zwölftägigem  Leiden  seinen  Tod  herbei- 
führte. Jedes  versuchte  Heilmittel,  jede  neue  Qual  und  jedes 
korrespondierende  rehgiöse  Stoßgebet  wird  verzeichnet  und  so 
füllt  die  Geschichte  der  Erkrankung  seiner  Eingeweide  45  Seiten, 
das  heißt  gerade  so  viel  Raum,  als  den  ganzen  Biographien  von 
vier  durchschnittüchen  Theologen  in  der  Sammlung  gewidmet 
ist.  Mede's  Tod  und  seine  Veranlassung  wird  mit  der  gleichen 
Genauigkeit  und  mit  noch  widrigeren  Details  beschrieben,  aber 
in  einer  weniger  weitschweifigen  Form. 

Ich  habe  gezeigt,  daß  von  den  196  Theologen  26  oder  ein 
Neuntel  bestimmt  schwächUch  waren,  und  ich  lege  der  Hypothese, 
daß  das  Stillschweigen  des  Biographen  über  den  Gesundheits- 
zustand nicht  kräftige  Gesundheit  bedeutet,  viel  Wert  bei;  jedoch 
kann  ich  auch  noch  andere  Gründe  anführen,  die  meinen  sehr 
lebhaften  Eindruck,  daß  Theologen  im  allgemeinen  kränk-^ 
liehe  Menschen  sind,  bestätigen.  Ich  kann  nachweisen,  daß  die 
Anzahl  der  Personen,  die  kräftig  genannt  werden,  unverhältnis- 
mäßig gering  ist,  und  ich  würde  eher  einen  Vergleich  zwischen  der 
Anzahl  der  bekannt  schwächlichen  und  den  bekannt  kräftigen  unter 
ihnen  vorschlagen,  als  einen  zwischen  den  bekannt  schwächlichen 
und  dem  Rest  der  196.  In  Berufen,  wo  die  Menschen  viel  öffent- 
lich sprechen  müssen,  ist  gewöhnlich  die  Körperkraft  derjenigen, 

19* 


292  Theologen. 

die  ihn  ergreifen,  außerordentlich  groß.  Es  wäre  unmöglich  eine, 
Sammlung  von  Biographien  hervorragender  Redner,  Juristen  und 
dergleichen  zu  lesen,  ohne  daß  einem  die  große  Anzahl  derer 
auffiele,  die  im  Besitze  einer  eisernen  Gesundheit  sind.  Bei  den 
Theologen  dagegen  ist  dies  nicht  der  Fall,  denn  Middleton  spricht 
nur  von  12  oder  vielleicht  13  Männern,  deren  Körperbeschaffenheit 
bemerkenswert  ist. 

Bei  diesen  kräftigen  Theologen  stoßen  wir  auf  zwei  sehr 
lehrreiche  Tatsachen.  Wir  finden  einerseits,  daß  von  diesen  12 
oder  13,  die  entschieden  kräftig  waren,  5  wenn  nicht  6  in  ihrer 
Jugend  anstößig  und  zügellos  lebten,  und  andererseits  finden  wir, 
bei  den  übrigen  Theologen  nur  bei  3  oder  4  die  Bemerkung,  sie 
hätten  in  ihrer  Jugend  anstößig  gelebt,  ohne  gleichzeitig  Männer 
von  bekannt  kräftiger  Konstitution  zu  sein.  Wir  sind  daher  zu 
dem  Schluß  genötigt,  daß  eine  kräftige  Konstitution  in  einem  sehr 
deutlichen  Grade  einer  außerordentlich  frommen  Gemütsart  ent- 
gegengesetzt ist. 

Wenden  wir  uns  erst  jenen  zu,  die  sowohl  in  ihrer  Jugend 
wild  gelebt  haben,  als  im  Besitze  einer  kräftigen  Konstitution 
sind.  Es  sind  5  oder  6  an  Zahl.  1.  Beza,  starb  mit  86  Jahren, 
„war  ein  kräftiger  Mann  von  sehr  gesunder  Konstitution,  der  nie 
an  Kopfschmerzen  litt,  was  bei  geistig  hart  arbeitenden  Menschen 
ungewöhnlich  ist."  Als  Jüngling  gab  er  sich  den  Lockungen  der 
Weltsünden  hin  und  schrieb  Gedichte  von  sehr  ausschweifender 
Art.  2.  Welch,  starb  mit  53  Jahren;  hatte  eine  sehr  kräftige  Kon- 
stitution und  ertrug  große  Strapazen,  in  seiner  Jugend  war  er 
ein  Schmuggler.  3.  Rothwell,  starb  mit  64  Jahren,  war  schön, 
gut  gewachsen  von  großer  Körperkraft  und  Lebhaftigkeit,  er  spielte 
Kegel,  jagte  zu  Pferd  und  mit  der  FHnte,  er  wilderte  sogar  ein 
wenig.  Obgleich  er  Geistlicher  war,  änderte  er  sich  erst  spät, 
und  auch  dann  noch  „setzte  ihm  der  Teufel  zu,  oft  und  lange." 
Er  kam  mit  seinen  Pfarrkindern  in  einem  wilden  Teil  Nord- 
englands besonders  gut  aus.  4.  Grimshaw,  starb  mit  55  Jahren, 
war  im  Verlaufe  von  sechzehn  Jahren  nur  einmal  krank,  ob- 
gleich er  „seinen  Körper  mit  weniger  Aufmerksamkeit  behandelte, 
als  ein  mitleidiger  Mensch  sein  Vieh."  Er  wurde  religiös  er- 
zogen, Uef  aber  mit  18  Jahren  aus  Cambridge  davon.  Mit  26 
Jahren  wurde  er  als  fluchender  trunkener  Pfaff  teilweise  be- 
kehrt, mit  34  Jahren  „begann  seine  Predigt  nutzreich  zu  werden," 
worauf  21  Jahre  einer  hervorragend  nützlichen  Tätigkeit  folgten. 
5.  Whitcfield,  starb  mit  56  Jahren,  war  außerordentlich  lebhaft. 


Theologen.  293 

predigte  beständig  und  war  beständig  auf  Reisen.  Er  hatte  große 
Körperkraft,  obgleich  er  nach  40  Jahren  „infolge  Krankheit"  dick 
wurde.  Er  war  in  seiner  Jugend  äußerst  unbändig,  trank  und 
verübte  kleine  Diebereien  (Stephen  „Qeistl.  Biographien."). 
(6.)  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  auch  Trosse  zu  dieser  Gruppe  ge- 
hört. Es  soll  aber  erst  in  der  übernächsten  Abteilung  von  ihm  die 
Rede  sein. 

Wir  haben  weitere  sieben,  die  große  Körperkraft  besaßen, 
ohne  in  ihrer  Jugend  anstößig  gelebt  zu  haben: 

1.  Peter  Martyr,  starb  mit  62  Jahren,  ein  großer  ge- 
sunder Mann  mit  ernsten,  ruhigen  und  gutgebildeten  Gesichts- 
zügen. Seine  Anlagen  und  ebenso  seine  Gelehrsamkeit  waren 
ungewöhnHch.  2.  Mede,  starb  mit  52  Jahren,  war  ein  schöner, 
feiner,  würdiger  Mann.  Middleton  bemerkt,  daß  seine 
Lebenskraft  groß  war,  daß  er  die  Kälte  nicht  spürte  und  daß 
er  eine  gesunde  Seele  in  einem  gesunden  Körper  hatte.  Er 
war  als  Student  im  College  skeptisch,  aber  nicht  wild.  3.  Bedell, 
starb  mit  72  Jahren,  ein  großer,  hübscher,  würdiger  Mann,  war 
selbst  bei  den  Katholiken  beliebt;  erlitt  bis  zu  seinem  Tode  keine 
Abnahme  seiner  natürlichen  Kräfte.  4.  Leighton,  starb  mit  70  Jah- 
ren an  einem  plötzlichen  Anfall  von  Brustfellentzündung.  Er  sah 
bis  dahin  so  frisch  aus,  daß  das  Alter  bei  ihm  stille  zu  stehen 
schien.  5.  Burkitt,  starb  mit  53  Jahren  an  einem  bösartigen  Fie- 
ber, „doch  war  seine  Körperkraft  so  groß,  daß  man  von  ihm  hätte 
erwarten  können,  er  würde  80  Jahre  alt  werden."  Er  wandte 
sich  als  Knabe  bei  einem  Anfall  von  Pocken  der  Religion  zu.  6. 
Alix,  starb  mit  76  Jahren,  hatte  eine  ungewöhnliche  Gesundheit 
und  war  ungewöhnlich  geistvoll.  Er  war  ein  besonders  liebens- 
würdiger, talentvoller  und  populärer  Mann.  7.  Harrison,  starb 
mit  ?  Jahren,  ein  starker  robuster  Mann,  strotzend  von  Fleisch 
und  Blut;  demütig,  fromm  und  von  großen  natürlichen  Talenten. 
Damit  ist  die  Liste  geschlossen.  Ich  war  überrascht,  unter  ihnen 
keinen  Typus  von  Cromwells  „Eisenmännern"  zu  finden. 

Wenden  wir  uns  schheßlich  noch  jenen  zu,  die  in  ihrer  Jugend 
unbändig  gelebt  haben,  ohne  daß  etwas  über  ihre  besondere 
Körperkraft  bekannt  sei.  Es  sind  drei  oder  vier  an  Zahl,  je  nach- 
dem ob  man  Trosse  einschließt  oder  ausschUeßt: 

LWilliam  Perkyns,  starb  mit  43  Jahren,  ein  „munterer  vergnüg- 
ter Mann",  war  in  Cambridge  wild  und  verschwenderisch  und  bes- 
serte sich  erst  mit  24  Jahren.  2.  Bunyan,  war  in  semer  Jugend 
lasterhaft.     Wurde  auf  eine  ganz  seltsame  Weise  bekehrt  und 


294  Theologen. 

hatte  viele  Rückfälle  während  seiner  Karriere,  3.  Trosse,  starb 
mit  82  Jahren.  Seine  Biographie  ist  in  bezug  auf  Einzelheiten, 
über  die  man  orientiert  sein  möchte,  mangelhaft,  aber  sein 
langes  Leben,  das  auf  einen  schlechten  Anfang  folgte,  scheint 
ein  Zeichen  einer  ungewöhnlich  kräiti^cn  Konstitution  zu  sein, 
die  ihn  eher  für  die  erste  Kategorie  qualifizieren  würde.  Er 
wurde  nach  Frankreich  geschickt,  um  die  Sprache  zu  erlernen 
und  lernte  auch  mancherlei  französische  Schurkenstreiche.  Der 
gleiche  Prozeß  wiederholte  sich  in  Portugal.  Die  Reihenfolge  der 
bemerkenswerten  Veränderungen  seines  Charakters  sind  nicht 
genannt,  ebensowenig  seine  persönlichen  Charakterzüge.  (4.)  T. 
Jones,  starb  mit  32  Jahren,  ist  schon  einmal  unter  den  kränk- 
lichen Theologen  angeführt,  da  er  nach  einer  wilden  Jugend 
durch  eine  ernste  und  lange  Krankheit  fromm  wurde. 

Ich  gehe  jetzt  zu  den  Verwandten  der  Theologen  über.  Wenn 
wir  in  Betracht  ziehen,  daß  es  im  Ganzen  nur  196  Männer  sind, 
daß  sie  aus  dem  ganzen  protestantischen  Europa  ausgewählt  sind 
und  daß  die  Durchschnittsrate  2  Menschen  in  3  Jahren  beträgt, 
so  sind  die  folgenden  Resultate  ebenso  bemerkenswert,  wie  die- 
jenigen, die  wir  in  den  anderen  Gruppen  antrafen. 

17  von  den  196  sind  untereinander  verwandt.  So  ist  Simon 
Qrynaeus  der  Onkel  von  Thomas,  der  der  Vater  von  Johann  Jakob 
ist,  und  ebenso  gibt  es  noch  andere  bekannte  Männer  in  dieser 
bemerkenswerten  FamiUe,  die  bäuerlichen  Ursprungs  ist.  With- 
akers  mütterlicher  Onkel  ist  Dr.  Nowell.  Robert  Abbot,  Bischof 
von  Salisbury,  ist  der  Bruder  des  Erzbischofs  Abbot.  Downes 
mütterhcher  Onkel  war  der  Bischof  Jewell.  Dods  Enkel  (der 
Sohn  seiner  Tochter)  war  der  Bischof  Wilkins.  William  Gouge 
war  der  Vater  von  Thomas  Gouge.  PhiUpp  Henry  war  der  Va- 
ter von  Matthew  Henry.  Ebenezer  Erskine  war  der  Bruder  von 
Ralph  Erskine. 

8  andere  hatten  bemerkenswerte  Verwandte,  meist  unter 
religiösen  Menschen,  nämHch:  Knoxs  Enkel  (der  Sohn  einer  Toch- 
ter, die  John  Welch  heiratete)  war  Josiah  Welch,  „der  Wächter 
des  Gewissens".  F.  Junius  hatte  einen  Sohn,  gleichfalls  mit 
Namen  Francis,  ein  gelehrtes  Mitglied  der  Oxforder  Universität; 
von  seiner  Tochter,  die  J.  Q.  Vossius  heiratete,  hatte  er  Diony- 
sius  und  Isaac  Vossius  als  Enkel,  die  wegen  ihres  Wissens  berühmt 
waren.  Donne  stammte  durch  seine  Mutter  vom  Lord  Chancellor 
Sir  John  More  und  von  Judge  Rastall  ab.  Herbert  war  der 
Bruder  des  Lord  Herbert  von  Cherbury  und  hatte  andere  und 


Theologen.  296 

hervorragende  und  interessante  Verwandte.  Ushers  Verwandte 
sind  äußerst  bemerkenswert,  denn  der  Vater,  der  Bruder  seines 
Vaters,  der  Vater  der  Mutter,  der  Bruder  der  Mutter  und  sein 
eigner  Bruder  waren  in  ihrer  Zeit  lauter  hervorragende  Männer. 
Der  Bruder  der  Mutter  von  Lewis  de  Dieu  war  Professor  in 
Leyden.  Der  Vater  und  der  Großvater  von  Mather  waren  her- 
vorragende QeistHche.  Der  Vater  und  drei  Brüder  von 
Saurin  waren  von  hervorragender  Beredsamkeit. 

Man  kann  nach  all  dem  nicht  daran  zweifeln,  daß  reHgiöse 
Gaben  im  großen  ganzen  erblich  sind;  aber  es  gibt  auch  merk- 
würdige Abweichungen  von  dieser  Regel.  Middletons  Werk 
muß,  was  diese  Ausnahmefälle  anbelangt,  nicht  als  frei  von  Irr- 
tümern betrachtet  werden,  denn  weder  er,  noch  irgend  ein  an- 
derer Biograph  betrachtete  es  als  Pflicht,  über  die  Gruppe  jener 
Tatsachen  zu  berichten,  die  uns  interessieren;  nämlich  über  jene 
Fälle,  wo  die  Söhne  rehgiöser  Eltern  schlecht  geraten.  Ich  habe 
nur  ein  einziges  Beispiel  dieser  sichtlichen  Umkehrung  des  Ver- 
erbungsgesetzes bei  Middleton  gefunden,  aber  es  wird  oft  be- 
hauptet, daß  solche  Fälle  nicht  ungewöhnlich  sind.  Mein  Glaube 
an  diese  Tatsachen  stützt  sich  in  erster  Reihe  auf  soziale  Er- 
fahrungen neuesten  Datums,  die  nicht  veröffentlicht  werden 
können,  ohne  unschuldige  Personen  zu  kränken.  Die  mir  be- 
kannten Fälle  sind  nicht  zahlreich,  aber  sie  genügen  doch,  um 
mich  zu  überzeugen,  daß  die  populäre  Anschauung  eine  reale 
Grundlage  hat.  Die  unleugbare  Gewißheit  einiger  neuerlicher 
Fälle  wird  dem  Leser  hoffentlich  genügen,  so  daß  ich  mir  ge- 
statten kann,  nicht  auf  die  Details  einzugehen. 

Die  Zusammenfassung  der  Resultate,  zu  denen  ich  bezüglich 
der  Theologen  gekommen  bin,  sind  die  folgenden:  daß  sie  nicht 
Begründer  von  Familien  sind,  die  einen  beträchtUchen  Einfluß  auf 
unsere  Geschichte  gehabt  haben,  ob  dieser  Einfluß  nun  von  den 
Fähigkeiten,  dem  Wohlstand  oder  der  sozialen  Position  eines 
ihrer  Mitglieder  abgeleitet  wird.  Daß  sie  eine  mäßig  fruchtbare 
Gruppe  bilden,  die  eher  unter,  als  über  dem  Durchschnitt  steht. 
Daß  ihre  durchschnittUche  Lebensdauer  ein  wenig  unter  dem  an- 
derer hervorragender  Männer  in  meinen  anderen  Gruppen  ist.  Daß 
sie  gemeinhin  unter  Überanstrengung  leiden.  Daß  sie  gewöhnlich 
schwächliche  Menschen  sind.  Daß  diejenigen,  die  eine  kräftige 
Konstitution  haben,  meist  in  ihrer  Jugend  wild  waren,  und  daß 
umgekehrt  die  meisten  derjenigen,  die  in  ihrer  Jugend  wild  waren 
und  erst  später  fromm  wurden,  Männer  von  kräftiger  Konstitution 


296  Theologen, 

waren.      Daß    eine    fromme     Gemütsart    entschieden     erblich 
ist.    Daß  aber  auch  die  Fälle  häufig  sind,  wo  die  Söhne  frommer 
Eltern   sehr   mißrieten;    aber  ich  werde  noch  einiges  über  den 
Grund  zu  sagen  haben,  der  mir  hierfür  maßgebend  scheint. 

Ich  habe  daher  keinen  Grund  zu  glauben,  die  Theologen  seien 
in  irgend  einer  Hinsicht  eine  außerordentUch  begünstigte  Gruppe; 
es  scheint  eher,  daß  sie  weniger  glücklich  sind,  als  andere 
Menschen. 

Ich  gehe  jetzt  zu  meinen  gewöhnlichen  Tabellen  über. 

Tafel  I. 

Übersicht  über  die  Verwandten  von  33  Theologen  aus  Middletons 
„Biographia  Evangelica",  gruppiert  in  25  FamiHen. 

Ein  Verwandter  (oder  zwei  in  der  Familie). 


Clarke 

V. 

Knox 

e. 

2.  Dod  (und  Wilkins) 

e. 

Leighton 

V. 

(Downe  s.  Jewell.) 

(Nowell,  s.  Whitaker) 

2.  Erskine 

B. 

Welch 

S. 

Guise 

S. 

Whitaker  (und  Nowell) 

0. 

Hildersham 

S. 

(Wilkins,  s.  Dod.) 

Hospinian 

0. 

Witsius 

0. 

2.  Jewell  (und  Downe) 

n. 

Zwei  oder  drei  Verwandte  (oder  drei  oder  vier  in  der  Familie). 

2.  Abbot  2B.  2.  Henry,  H.  (und  M.)      S.  v. 

Dieu  de  V.  o.  Lasco,  A.  B.  O. 

Donne  g.  g.  V.  Mather  V.  G.  g. 

Gilpin  gB.,  NE.,  NEES.  Saurin  3  B. 

Vier  oder  mehr  Verwandte  (oder  fünf  oder  mehr  in  der  Familie). 

2.  Qouge,  W.  (und  T.)  v.  2  o.  S. 

3.  Qrynaeus,  T.  (auch  S.  u.  J.)  O.  OS.  4  S. 

Herbert  V.  v.  g.  B.  OS.  2  0E. 

Junius  V.  S.  2e. 

Usher  V.  O.  g.  o.  B. 


Theologen. 
Tabelle  II*) 


297 


Verwandtschaftsgrade 

A. 

B. 

Bescheinigung  des 
Grades 

Korrespondierende  Buchstaben 

§    f  Vater 
^,   <  Bruder 
1    ISohn 

7  V 

9  B 

10  S 

— 

— 

— 

7 

9 

10 

28 
36 
40 

T3 

,S    f  Großvater 
^    1  Onkel 

S   1  Neffe 
«      Enkel 

1  G 
3  0 

0  N 
0  E 

4g 
7  V 

1  r 

4  e 

— 

5 
10 

1 
4 

20 

40 

4 

16 

2      Urgroßvater 

0  Großonkel 
V.  l  Cousin 

1  Großneffe 
i§      Urenkel 

0  GV 
0  GB 
2  OS 

0  NS 
0  ES 

1  gV 
1  gB 
0  vS 
0  nS 
0  eS 

OGV 
0  GB 
0  OS 
0  JV^S 
OES 

O^V 
O^B 
0  vS 
0  nS 
0  eS 

1 
1 
2 
0 
0 

4 
4 
8 
0 
0 

alle  weiter  entfernt 
Verwandten 

— 

— 

— 

4 

16 

Einen  Vergleich  des  verwandtschaftlichen  Einflusses  durch 
die  männliche  und  weibliche  Linie  gibt  die  folgende  Tafel: 

Im  zweiten  Grade: 
lQ-i-3O  +  0N  +  0E  =  4 Verwandte  durch  die  männliche  Linie. 
4 g-f  7o +1  n  + 4 e  =  16 Verwandte  durch  die  weibliche  Linie. 

Im  dritten  Grade: 
0  GV.  -f-  0  G.  B.  +  2  OS.  +  0  NS.  +  0  ES  =  2  Verwandte  durch  die 

männliche  Linie 
IfirV  4- l^B  +  OoS  +  OwS  +0eS  =  2  Verwandte  durch  die  weib- 

Hche  Linie. 


*)  Zur  Erklärung  siehe  S.  61. 


298  Theologen. 

Diese  Tabelle  zeigt,  daß  der  Einfluß  der  weiblichen  Linie 
ein  ungewöhnlich  starkes  Ergebnis  in  der  Richtung  hat,  einen 
Menschen  in  der  religiösen  Welt  zu  hervorragender  Bedeutung 
gelangen  zu  lassen.  Die  einzige  andere  Gruppe,  wo  der  Einfluß 
der  weiblichen  Linie  sich  mit  dem  weiblichen  Einfluß  bei  den  Theo- 
logen vergleichen  läßt,  ist  die  Gruppe  der  Mathematiker  und  Natur- 
wissenschaftler. Ich  glaube,  daß  die  Gründe,  die  ich  dort  dar- 
gelegt habe,  sich  mutatis  mutandis  auch  auf  die  Theologen  anwen- 
den lassen.  Es  bedarf  ungewöhnlicher  Eigenschaften  von  teil- 
weise weiblicher  Art,  um  ein  führender  Theologe  zu  werden.  Ein 
Mann  muß  nicht  nur  angemessene  Fähigkeiten,  Eifer  und  Arbeits- 
kraft haben,  sondern  die  Postulate  des  Glaubens,  dem  er  anhängt, 
müssen  auch  so  fest  in  seinem  Geist  wurzeln,  daß  sie  Axiomen 
gleichkommen.  Die  Verschiedenheiten  des  Glaubens,  wie  wir  sie 
bei  ernsten,  guten  und  gewissenhaften  Männern  finden,  zeigen  einem 
unparteiischen  Beobachter,  daß  es  über  einen  Punkt,  über  den  so 
viele  Männer  differieren,  keine  Gewißheit  geben  kann.  Aber  ein 
Theologe  darf  diese  Ansicht  nicht  teilen,  er  muß  von  der  absoluten 
Sicherheit  des  Fundaments  seines  speziellen  Glaubensbekenntnisses 
überzeugt  sein,  er  muß  jene  blinde  Überzeugung  besitzen,  die  man 
am  besten  in  der  Kindheit  durch  mütterliche  Lehren  erhält. 

Ich  will  jetzt  versuchen,  die  Tatsache  zu  erklären,  die  ich  ge- 
zwungen bin,  einzuräumen,  daß  nämlich  die  Kinder  sehr  religiöser 
Eltern  gelegentlich  sehr  schlecht  geraten.  Diese  Tatsache  hat 
allen  Anschein  einer  ernsten  Verletzung  des  Gesetzes  über  Ver- 
erbung, und  als  solche  hat  sie  mir  mehr  Schwierigkeiten  bereitet 
und  mich  mehr  Zweifel  gekostet,  als  ich  bei  irgend  einem  Teil 
meiner  Untersuchungen  durchgemacht  habe.  Jedoch  bin  ich  völlig 
dadurch  zufriedengestellt,  daß  diese  scheinbare  Anomalie  sich 
vollkommen  durch  die  Erklärung  aufhebt,  die  ich  dem  Leser  gleich 
vorlegen  werde,  wobei  ich  aber  vorausschicke,  daß  ich  gezwungen 
bin,  in  eine  freiere  und  gründlichere  Analyse  des  reUgiösen  Cha- 
rakters einzugehen,  als  sie  sonst  an  dieser  Stelle  am  Platze  wäre. 

Die  Gemütsart,  die  einen  Menschen  qualifiziert,  einen  Platz 
in  einer  Sammlung  in  der  Art  der  „Biographia  Evangelica"  zu  er- 
halten, kann  am  besten  durch  einen  Vergleich  mit  einem  Naturell 
studiert  werden,  das  in  wichtigen  Punkten  den  Gegensatz  zu  der 
ersteren  Art  bildet,  ihr  aber  in  allen  unwichtigen  Beziehungen 
ähnelt.  Wir  können  von  unserem  Vergleich  alle  außer  jenen  aus- 
schließen, deren  durchschnittUche  moralische  Anlagen  um  einige 
Grade  höher  sind  als  die  der  Menschen  im  allgemeinen,  und  wir 


Theologen.  299 

können  ebenso  alle  ausschließen,  mit  Ausnahme  derer,  die  sehr  ernst, 
gewissenhaft  und  mit  Verehrung  über  religiöse  Dinge  denken.  Die 
übrigen  lassen  sich,  was  ihre  Ansichten  und  zum  größten  Teil  auch 
was  ihre  natürliche  Veranlagung  betrifft,  die  sie  dazu  bringt,  jene 
Ansichten  anzunehmen,  in  einer  Reihe  anordnen,  die  von  der 
äußersten  Frömmigkeit  zum  äußersten  Skeptizismus  führt.  Die 
„Biographia  Evangelica"  bietet  viele  Beispiele,  die  sich  dem 
ersteren  Ideal  nähern,  und  wir  können  leicht  in  der  Geschichte 
Männer  finden,  die  sich  dem  letzteren  nähern.  Um  den  Kon- 
trast und  so  die  Natur  der  Verschiedenheit  zwischen  den 
beiden  idealen  Extremen  zu  verstehen,  müssen  wir  unsere 
eigenen  religiösen  Sympathien  —  welcher  Art  immer  sie  sein 
mögen  —  für  eine  Weile  beiseite  lassen  und  uns  resolut  auf 
einen  Standpunkt  stellen,  der  von  beiden  Gegensätzen 
gleich  entfernt  ist,  damit  wir  sie  abwechselnd  mit  dem  gleichen 
Maßstab  messen  können.  Machen  wir  uns  vor  allem  klar,  daß 
wir  sowohl  den  skeptischen  als  den  religiösen  Menschen  als  gleich 
ernsthaft,  tugendhaft,  gelassen  und  liebevoll  annehmen.  Wir  setzen 
voraus,  daß  beide  völlig  von  der  Wahrheit  ihrer  respektiven  Lehr- 
sätze überzeugt  sind  und  daß  beide  moraüsche  Befriedigung  in 
den  Schlüssen  finden,  die  jene  Lehrsätze  umfassen. 

Der  religiöse  Mensch  versichert,  daß  er  sich  eines  innerlichen 
Geistes  der  Gnade  bewußt  ist,  der  ihn  tröstet,  leitet  und  ihm  Be- 
fehle erteilt.  Er  könne  nicht  bestehen,  sagt  er,  wenn  jener  Geist 
ihn  verließe.  Er  macht  ihm  die  Prüfungen,  denen  sein  Leben 
unterworfen  ist,  leicht  und  lindert  das  Grauen,  das  ihn  sonst  bei 
der  Erwartung  des  Todes  überfallen  würde.  Dieser  Geist  gibt  ihm 
die  Richtung  im  Leben  und  inspiriert  ihm  Motive.  Er  spricht  zu 
ihm  als  Orakel  durch  die  Stimme  des  Gewissens  und  sagt  ihm,  was 
gut  und  was  böse  ist.  Der  reUgiöse  Mensch  wird  hinzufügen,  daß 
die  Gegenwart  dieses  Geistes  der  Gnade  eine  Sache  ist,  die  kein 
Argument  und  keine  Theorie  wegerklären  kann,  da  die  Über- 
zeugung von  der  Gegenwart  dieses  Geistes  in  seiner  Natur  be- 
gründet sei.  Die  Zeichen  der  Tätigkeit  dieses  Geistes  sind  für 
ihn  ebenso  unverkennbar  als  jene  irgend  welcher  anderer  Tätig- 
keiten, die  wir  durch  das  Medium  der  Sinne  wahrnehmen.  Der 
religiöse  Mensch  wird  ferner  in  der  moralischen  Doktrin  des 
Glaubens  beharren,  dem  er  Gewicht  beilegt;  doch  müssen  wir 
diesen  Punkt  aus  der  Betrachtung  ausschalten,  da  die  moralischen 
Doktrinen  der  verschiedenen  Glaubensbekenntnisse  außerordent- 
lich verschieden  sind,    indem  einige  zur  Vervollkommnung  des 


300  Theologen. 

eigenen  Selbst  und  zur  Asketik  neigen,  andere  dagegen  zu 
einem  tätigen  Wohlwollen;  während  wir  bestrebt  sind,  die  Natur 
einer  religiösen  Gemütsverfassung  zu  finden,  wie  sie  allen 
Glaubensbekenntnissen  gemeinsam  ist. 

Der  Skeptiker  nimmt  eine  Stellung  ein,  die  jener,  die  ich  als 
dem  religiösen  Menschen  zugehörig  beschrieben  habe,  entgegen- 
gesetzt ist.  Er  anerkennt  das  Gefühl  eines  innewohnenden  Geistes, 
er  versichert  vielleicht  selbst,  dieses  Gefühl  in  voller  Inten- 
sität ererbt  zu  haben,  aber  er  leugnet  die  Objektivität  dieses 
Geistes.  Er  argumentiert  folgendermaßen:  Da  man  es  überall  als 
eine  angemessene  Aufgabe  des  Intellekts  anerkennt,  darüber  zu 
entscheiden,  ob  andere,  noch  so  fundamentale  Überzeugungen  wirk- 
lich wahr  sind,  oder  ob  man  sich  auf  die  Evidenz  der  Sinne  in 
einem  gegebenen  Falle  verlassen  soll,  so  ist  es  vollkommen  be- 
rechtigt, die  rehgiösen  Überzeugungen  einer  gleichen  Analyse  zu 
unterwerfen.  Er  wird  sagen,  daß  ein  treibender  Fleck  im  Gesichts- 
feld und  ein  Ohrensausen  durch  den  Intellekt  von  den  Resultaten 
der  äußeren  Einflüsse  unterschieden  werden  können;  daßinLändern, 
wo  Luftspiegelungen  häufig  sind,  der  erfahrene  Reisende  über 
die  Wahrheit  der  Wassererscheinung  nach  den  Umständen  eines 
jeden  besonderen  Falles  zu  entscheiden  hat.  Was  aber  die  funda- 
mentalen Überzeugungen  anlangt,  wird  er  hinzufügen,  so  ist  es 
wohlbekannt,  daß  der  Intellekt  erfolgreich  mit  ihnen  ringen  kann, 
denn  Kant  und  seine  Nachfolger  haben  Gründe  erbracht  —  denen 
alle  Philosophen  Gewicht  beilegen  — ,  daß  Zeit  und  Raum  durchaus 
nicht  objektive  Realitäten  sind,  sondern  nur  Formen,  unter  welchen 
unser  Verstand,  infolge  seiner  eigenen  Beschaffenheit,  gezwungen 
ist  zu  funktionieren.  Der  Skeptiker  hat  daher  durch  die  Forde- 
rung, die  Frage  nach  der  objektiven  Existenz  des  Geistes  der 
Gnade  vom  Intellekt  prüfen  zu  lassen,  entschieden,  daß  dieser 
Geist  subjektiv  und  nicht  objektiv  ist.  Ob  diese  Entscheidung 
richtig  oder  falsch  ist,  hat  mit  unserer  Untersuchung  nichts  zu 
tun.  Er  argumentiert,  daß  dieser  Geist  in  seinen  Handlungen 
nicht  konsequent  ist,  da  er  sich  bei  verschiedenen  Menschen  ver- 
schieden äußert  und  bei  der  gleichen  Person  zu  verschiedenen 
Zeiten  verschieden;  daß  es  keine  bestimmte  Grenze  gibt  zwischen 
den  Antrieben,  die  eingestandenermaßen  natürlich  sind  und  jenen, 
die  als  übernatürlich  erachtet  werden,  endlich  daß  Überzeugungen 
über  gut  und  schlecht  irreführend  sind,  da  ein  Mensch,  der  ihnen 
anhängt,  ohne  sie  durch  den  Verstand  zu  kontrollieren,  ein  blinder 
Parteigänger   wird,   und    daß    die   Anhänger   zweier    feindlicher 


Theologen.  301 

Parteien  in  gleichem  Maße  starker  Gefühle  fähig  sind.  Was  den 
Trost  anbelangt,  den  eine  so  liebevolle  Vorstellung  dem  Menschen 
bieten  kann,  so  wird  er  auf  die  Erscheinungen  der  Kinderstube 
hinweisen,  wo  das  kleine  Mädchen  der  Puppe  all  seinen  Kummer 
erzählt,  sich  mit  ihr  unterhält  und  beratet  und  dadurch  getröstet 
wird,  indem  es  unbewußt  der  Puppe  seine  eigenen  Worte  in  den 
Mund  legt.  Aus  diesen  und  ähnlichen  Gründen,  die  ich  hier  nur 
anzuführen  und  nicht  zu  prüfen  habe,  zerschmettert  der  gründ- 
liche ideale  Skeptiker  bedachtsam  jene  Gefühle  und  Über- 
zeugungen, die  der  religiöse  Mensch  über  alle  Maßen  preist.  Er 
erklärt  sie  als  Götzen,  die  die  Einbildung  erschaffen  hat  und  die 
ebenso  verabscheut  werden  müssen,  wie  jene  Götzen,  die  aus 
gröberem  Material  mit  den  Händen  gemacht  werden. 

Bisher  haben  wir  nur  eine  intellektuelle  Verschiedenheit  im 
Auge  gehabt,  womit  uns  bei  unserer  Fragestellung  nicht  direkt  ge- 
dient ist,  doch  hat  dieser  Umstand  sofort  die  größte  Wichtigkeit, 
wenn  wir  uns  den  religiösen  Menschen  und  den  Skeptiker  als 
mit  ihren  verschiedenen  Schlußfolgerungen  befriedigt  vorstellen. 
Damit  ein  Mensch  ein  zufriedener  Skeptiker  der  extremsten  Art 
sei,  muß  er  das  Selbstvertrauen  haben,  daß  er  imstande  ist,  den 
strengsten  Prüfungen  des  Lebens  und  ebenso  den  Schrecknissen 
des  bevorstehenden  Todes  absolut  allein  Stand  zu  halten.  Seine 
Natur  muß  genügend  Selbstbehauptung  und  Stoizismus  haben,  um 
ihn  glauben  zu  machen,  daß  er  sein  ganzes  Erdendasein  ohne  Hilfe 
bestehen  kann.  Dieses  Ideal  eines  extremsten  Skeptizismus  mag 
nur  von  Wenigen  erreicht  werden,  es  ist  selbst  fraglich,  ob 
es  je  ganz  erreicht  wurde.  Andererseits  sind  die  Stütze  eines 
starken  Arms  und  einer  tröstenden  Stimme  für  einen 
Menschen  von  religiöser  Gemütsart  absolute  Notwendigkeiten. 
Er  ist  sich  einer  Inkongruenz  seiner  Natur  und  einer  Unbeständig- 
keit seines  Gemütes  bewußt,  und  er  weiß,  daß  er  unfähig  ist,  sich 
selbst  zu  helfen.  Doch  sind  alle  Menschen  diesen  Gefühlen  mehr 
oder  weniger  unterworfen,  namentlich  während  Krankheiten,  in 
der  Jugend  und  in  hohem  Alter,  und  Frauen  unterliegen  ihnen  eher 
als  Männer.  Die  stärksten  Menschen  sind  sich  geheimer 
Schwächen  und  Mängel  bewußt,  die  bei  ihnen  oft,  in  direkter  Pro- 
portion zu  ihrem  intellektuellen  Stoizismus,  zu  einem  quälenden 
Mißtrauen  gegen  sich  selbst  werden.  In  der  idealen  und  extremen 
Form  jedoch,  die  wir  einnehmen,  würden  auch  die  Inkongruenz 
und  Unbeständigkeit  extrem  sein,  ein  solcher  Mensch  könnte  gar 
kein  Freidenker  sein,  denn  er  könnte  nicht  ohne  Beichtvater  und 


302  Theologen. 

Herrn  existieren.  Hier  ist  also  ein  gewaltiger  Unterschied 
zwischen  der  natürlichen  Veranlagung  dieser  beiden  Gruppen 
von  Menschen.  Der  Mensch  von  reügiöser  Gemütsart  betrachtet 
den  zufriedenen  Skeptiker  als  einen  tollkühnen  Kerl,  der  elend 
umkommen  wird;  der  Skeptiker  betrachtet  den  Menschen  von 
extrem  frommer  Gemütsart  als  eine  sklavische  Natur,  die  zu  Aber- 
glauben neigt. 

Man  sagt  mitunter,  die  Überzeugung  von  der  Sündhaftigkeit 
sei  ein  Charakteristikum  einer  religiösen  Gemütsart.  Ich  denke 
jedoch,  daß  das  starke  Bewußtsein  der  eigenen  Sündhaftigkeit  bei 
einem  Christen  teilweise  mit  den  Doktrinen  seines  intellektuellen 
Glaubens  zusammenhängt.  Der  Skeptiker  wird  ebenso  wie  der 
religiöse  Mensch  Ekel  und  Scham  über  seine  elende  Schwäche 
empfinden,  wenn  er  gestern  in  der  Hitze  irgend  eines  Impulses 
Dinge  getan  hat,  die  er  heute  in  einem  ruhigen  Augenblick  miß- 
billigt. Er  ist  sich  bewußt,  daß  er  einen  andern  Menschen,  der  so 
gehandelt  hätte,  verabscheuen  würde,  und  so  verabscheut  er  jetzt 
die  Betrachtung  seines  eigenen  Selbst.  Er  fühlt,  daß  er  etwas 
getan  hat,  was  ihn  der  Gesellschaft  reingesinnter  Menschen  un- 
würdig macht,  daß  er  ein  verkleideter  Paria  ist,  der  es  verdienen 
würde,  mit  Verachtung  verstoßen  zu  werden,  wenn  seine  letzten 
Handlungen  und  sein  wahrer  Charakter  plötzlich  entdeckt  würden. 
Der  Christ  fühlt  das  alles  auch  und  noch  etwas  mehr.  Er  fühlt, 
daß  er  seine  Fehler  im  Angesicht  eines  reinen  Gottes  begangen 
hat,  daß  er  undankbar  und  grausam  gegen  ein  Wesen  voller  Liebe 
und  Erbarmen  gehandelt  hat,  das  als  Opfer  für  die  Sünden  gleich 
denen,  die  er  gerade  begangen  hat,  gestorben  ist.  Diese  Betrach- 
tungen müssen  das  Gewissen  außerordentlich  verschärfen,  aber 
man  muß  im  Auge  behalten,  daß  sie  nicht  von  einer  Verschieden- 
heit der  Charaktere  herrühren.  Wenn  der  Skeptiker  den  gleichen 
intellektuellen  Glauben  hätte,  würde  er  diese  Betrachtungen  genau 
so  anstellen,  wie  der  reHgiös  veranlagte  Mensch.  Es  ist  nicht  un- 
bedingt Stumpfheit  des  Herzens,  die  ihn  abhält. 

Es  wird  auch  manchmal  geglaubt,  puritanische  Eigentümlich- 
keiten seien  mit  streng  religiösem  Bekenntnis  verknüpft:  aber 
eine  puritanische  Tendenz  ist  durchaus  kein  wichtiger  Bestand- 
teil einer  religiösen  Gemütsanlage.  Der  puritanische  Charakter 
ist  freudlos  und  mürrisch:  er  ist  am  glückUchsten,  oder  um 
weniger  paradox  zu  sprechen,  am  zufriedensten  mit  sich,  wenn 
er  niedergeschlagen  ist.  Es  ist  eine  geistige  Bedingung,  die  mit 
den    wohlbekannten    puritanischen    Gesichtszügen    in    Wechsel- 


Theologen.  303 

beziehung  steht,  mit  den  schwarzen  glatten  Haaren,  den  hohlen 
Wangen  und  der  bleichen  Gesichtsfarbe.  Ein  strahlender,  blau- 
äugiger, lockiger  Jüngling  wäre  in  einer  puritanischen  Gesell- 
schaft fast  eine  AnomaHe.  Aber  bei  Middleton  werden  auch  viele 
Theologen  aufgezählt,  deren  Charakter  sonnig  und  fröhlich  war 
und  deren  Gesellschaft  hoch  geschätzt  wurde,  woraus  klar  hervor- 
geht, daß  der  puritanische  Charakter  eine  besondere  Eigentümlich- 
keit, durchaus  kein  unveränderliches  Ingredienz  in  der  Gemütsart 
der  Menschen  ist,  die  von  Natur  aus  zur  Frömmigkeit  neigen. 

Das  Resultat  aller  dieser  Betrachtungen  ist,  zu  zeigen,  daß 
die  Haupteigentümlichkeit  in  der  moralischen  Natur  des  frommen 
Menschen  seine  bewußte  Unbeständigkeit  ist.  Er  ist  Extremen 
unterworfen,  jetzt  schwingt  er  sich  in  die  Regionen  des  Enthusias- 
mus, der  Bewunderung  und  Selbstaufopferung  auf,  dann  taucht 
er  wieder  unter  in  jenen  der  SinnHchkeit  und  Selbstsucht.  Sehr 
fromme  Menschen  neigen  dazu,  sich  die  elendesten  Sünder  zu 
nennen,  und  ich  denke,  sie  können  in  einem  beträchtlichen  Um- 
fange beim  Worte  genommen  werden.  Es  scheint,  daß  ihre  Natur 
dahin  neigt,  häufiger  zu  sündigen  und  inbrünstiger  zu  bereuen  als 
jene,  die  von  Natur  aus  stoisch  sind  und  daher  einen  gleich- 
mäßigeren und  ruhigeren  Charakter  haben.  Die  Amplitude  der 
moralischen  Oszillationen  ist  bei  rehgiösen  Menschen  größer  als 
bei  jenen,  deren  durchschnittUche  morahsche  Stellung  die 
gleiche  ist. 

Die  Tafel  (S.  33)  über  die  Verteilung  natürlicher  Gaben  ist 
notwendig  ebenso  wahr  in  Beziehung  auf  Moral  als  in  Beziehung 
auf  Intellekt  oder  Muskelkraft.  Wenn  wir  eine  große  Anzahl  von 
Menschen  in  vierzehn  Klassen  einteilen,  die  in  Bezug  auf  ihre 
natürliche  Veranlagung  durch  gleiche  Grade  der  Moralität  ge- 
trennt sind,  so  wird  sich  die  Anzahl  der  Menschen  per  MilHon  in 
den  verschiedenen  Klassen  verhalten,  wie  in  der  Tafel  gezeigt. 
Ich  zweifle  nicht,  daß  viele  von  Middletons  Theologen,  was  ihre 
tätige  Güte,  ihre  Selbstlosigkeit  und  andere  liebenswerte  Eigen- 
schaften anlangt,  zur  Klasse  G.  gehören.  Aber  Menschen  des 
niedrigsten  moralischen  Grades  können  gleichfalls  fromme 
Neigungen  haben;  so  kommt  es  unter  Gefangenen  vor,  daß  die 
schlimmsten  Verbrecher  die  eifrigsten  in  religiöser  Verehrung 
sind.  Ich  glaube  nicht,  daß  es  stets  ein  Akt  bewußter  Heuchelei 
ist,  wenn  schlechte  Menschen  fromm  sind;  sie  sind  sich  eher  der 
Unbeständigkeit  ihrer  Charakter  tief  bewußt  und  fliehen  zu  An- 
dachtsübungen als  einer  Quelle  von  Tröstungen. 


304  Theologen. 

Diese  Erörterungen  erklären,  denke  ich,  die  scheinbare  Ano- 
malie, daß  Kinder  außerordentlich  frommer  Eltern  gelegentlich 
sehr  mißraten.  Die  Eltern  besitzen  als  natürliche  Gaben  eine  hohe 
Moralität,  die  mit  einer  unbeständigen  Anlage  kombiniert  ist,  doch 
müssen  diese  Eigentümlichkeiten  nicht  immer  verknüpft  sein.  Es 
muß  daher  häufig  vorkommen,  daß  das  Kind  die  eine,  nicht  aber 
die  andere  Eigenschaft  erbt.  Wenn  seine  Erbschaft  in  den 
moraüschen  Gaben  ohne  große  Unbeständigkeit  besteht,  wird  es 
nicht  das  Bedürfnis  nach  einer  außerordentlichen  Frömmigkeit 
haben;  wenn  es  große  Unbeständigkeit  ohne  Moral  erbt,  wird  es 
leicht  seinem  Namen  Schande  machen. 

Anhang 
zu  dem  Kapitel  Theologen  (Biographia  Evangelica). 

Ausgewählt  aus  den  196  Namen,  enthalten  in  Middletons  Bio- 
graphia Evangelica.     Ein  *  bezeichnet,  daß   der  entsprechende 
Name  auch  in  der  alphabetischen  Liste  enthalten  ist,  daß  er,  kurz 
gesagt,  gleichfalls  zu  den  196  von  Middletons  Auswahl  gehört. 
Abbot,  George,  Erzbischof  von  Canterbury  (1562—1633,  starb 
mit  71  Jahren),  wurde  erzogen  in  der  Guilforder  Latein- 
Schule,  später  im  Balliol  College,  wurde  ein  gefeierter 
Prediger.    Mit  35  Jahren  wurde  er  zum  Rektor  des  Uni- 
versity   College   gewählt,    als   die   ersten   Streitigkeiten 
zwischen  ihm  und  Land  einsetzten.    Diese  währten,  so- 
lange beide  lebten,  da  Abbot  Calvinist  war  und  Land  zur 
Hochkirche'')  gehörte.      Mit  45  Jahren  wurde   er  zum 
Bischof  von  Lichfield  ernannt,    dann  zum  Bischof  von 
London,  mit  49  Jahren  war  er  Erzbischof  von  Canterbury. 
Er  hatte  großen  Einfluß  auf  die  Angelegenheiten  seiner 
Zeit,  war  aber  zu  unbeugsam  und  zu  liberal,  um  als  Hof- 
mann  Erfolg  zu   haben;   außerdem  war   Lands   Einfluß 
immer  gegen  ihn.    Er  hatte  große  natürliche  Talente,  be- 
trächtliches   Wissen,    Güte    und    sozialen    Sinn.      Seine 
Eltern  waren  fromm;  sein  Vater  war  ein  Weber. 
B.    Robert  Abbot,*)  Bischof  von  Salisbury,  s.  unten. 
B.    Maurice,    Lord    Mayor    von    London    und    Parlaments- 
mitglied. 
(N.)    George,  Sohn  von  Maurice,  schrieb  über  das  Buch  Hiob. 


Orthodoxe  Richtung  der  Anglikanischen  Kirche.     D.  Üb. 


Theologen.  305 

Abbot,  Robert,  Bischof  von  Salisbury  (1560—1617,  starb  mit 
57  Jahren).  Seine  Beförderung  entsprach  in  bemerkens- 
werter Weise  seinen  Verdiensten,  namentUch  im  Pre- 
digen. König  Jakob  I.  schätzte  ihn  sehr  wegen  seiner 
Schriften.  Mit  49  Jahren  wurde  er  zum  Rektor  des 
Balliol  College  ernannt,  das  unter  seiner  Leitung  einen 
großen  Aufschwung  bekam.  Drei  Jahre  später  wurde  er 
zum  Professor  der  Theologie  gemacht,  und  mit  55  Jahren 
war  er  Bischof  von  Salisbury.  Zwei  Jahre  später  starb 
er  infolge  von  Gicht  und  Steinkrankheit,  die  er  sich  durch 
seine  sitzende  Lebensweise  zugezogen  hatte.  Bei  einem 
Vergleich  seines  Charakters  mit  dem  seines  jüngeren 
Bruders,  des  Erzbischofs,  wurde  gesagt:  „George  war 
der  einnehmendere  Prediger,  Robert  der  größere  Ge- 
lehrte; Georges'  Ernst  war  finster,  der  von  Robert 
lächelnd." 

B.    George  Abbot*,  Erzbischof  von  Canterbury,  s.  oben. 

B.  Maurice,  Lord  Mayor  von  London  und  Parlaments- 
mitglied. 
(N.)  George,  Sohn  von  Maurice,  schrieb  über  das  Buch  Hiob. 
Cl  a  r  k  e ,  Matthew  (1664—1726,  starb  mit  62  Jahren),  ein  her- 
vorragender Geistlicher  der  Dissidenters.  Ein  außer- 
ordentlich arbeitsamer  Mensch,  der  seine  Kräfte  über- 
bürdete. 

V.  gleichfalls  Matthew  Clarke,  ein  gelehrter  Mann.  Er 
sprach  italienisch  und  französisch  mit  seltener  Voll- 
kommenheit. Wurde  durch  die  Uniformity  Act*)  aus  der 
Priesterschaft  ausgestoßen.  Dr.  Watts  verfaßte  die 
Grabinschrift  von  Matthew  Clarke  jr.,  die  folgendermaßen 
beginnt:  „Ein  Sohn,  der  den  Namen  eines  verehrungs- 
würdigen Vaters  trug  und  selbst  nicht  weniger  ver- 
ehrungswürdig war." 
Dieu,  Lewis  de  (1590—?).  „In  Liebeswerken,  im  theologischen 
Wissen,  in  Wissenschaften  aller  Art  und  in  Sprachen 
war  er  ein  Stern  erster  Größe".  War  verheiratet  und 
hatte  elf  Kinder. 
V.  Daniel  de  Dieu,  Geistlicher  von  Flushing,  ein  Mann  von 
großen  Verdiensten,  in  den  orientalischen  Sprachen  war 
er    ungewöhnlich    bewandert    „und    konnte    mit  Erfolg 


*)  Gesetz  von  1662.    D.  Üb. 

90 
Gal  ton,  Genie  und  Vererbung.  ^^ 


306  Theologen. 

deutsch,  italienisch,  französisch  und  englisch  predigen." 
o.    David  Colonius,  Professor  in  Leyden. 

D  0  d ,  John  (1547—1645,  starb  mit  98  Jahren).  Dieser  mit  Recht 
berühmte  und  verehrte  Mann  war  das  jüngste  von  sieb- 
zehn Kindern.  Wurde  in  Cambridge  ausgebildet.  Er 
war  ein  großer  und  ausdauernder  Prediger,  bedeutend 
durch  die  Häufigkeit,  Begabung,  den  Freimut  und  die 
Liberalität  seiner  guten  Reden;  war  sehr  weitabgewandt 
und  gastfreundschaftlich.  Er  war  zweimal  verheiratet, 
jedesmal  mit  einer  frommen  Frau, 
e.  John  Wilkins,*  Dr.  der  Theologie,  Bischof  von  Chester 
(1614—1672,  starb  mit  58  Jahren),  ein  gelehrter  und 
geistvoller  Prälat.  Wurde  in  Oxford  ausgebildet,  wo 
er  sich  sehr  bewährte  und  wo  er  mit  34  Jahren  vom 
Parlamentskomitee  zur  Reformierung  der  Universitäten 
zum  Vorsteher  des  Wadham  College  gemacht  wurde. 
Heiratete  Robina,  die  Witwe  von  P.  French  und 
Schwester  von  Oliver  Cromwell,  durch  sie  wurde  er 
Rektor  des  Trinity  College  in  Cambridge,  von  wo  er 
durch  Karl  II.  verjagt  wurde.  Mit  54  Jahren  wurde  er 
Bischof  von  Chester.  Er  war  unermüdlich  im  Studium 
und  tolerant  gegen  die  Meinungen  anderer.  Er  war  ein 
Astronom  und  Experimentator  von  beträchtlichem  Ver- 
dienst und  hatte  tätigen  Anteil  an  der  Gründung  der 
Royal  Society. 

Ich  weiß  nichts  über  seine  Nachkommen,  nicht  ein- 
mal, ob  er  welche  hatte.  Das  Cromwell  -  Blut  hatte 
weniger  Einfluß,  als  man  hätte  erwarten  können  (s.  Crom- 
well). Eine  Tochter  von  Robina  Cromwell,  aus  erster 
Ehe,  heiratete  den  Erzbischof  Tillotson  und  hinterließ 
Nachkommen,  die  aber  unbedeutend  waren. 

P  o  n  n  e  ,  John,  Dr.  der  Theologie,  Dekan  an  der  St.  Paulskirche 
(1573—1631,  starb  mit  58  Jahren).  „Er  war  eher  weise 
geboren,  als  durch  Studium  so  geworden."  Eine  von 
Isaac  Waitons  Biographien  beschäftigt  sich  mit  ihm.  Die 
Erholung  seiner  JüngUngszeit  bildete  die  Poesie;  der 
spätere  Teil  seines  Lebens  war  ein  beständiges  Studium. 
Er  hatte  sich  frühzeitig  seine  eigene  Religim  gebildet,  da 
er  sich  mit  20  Jahren  durch  seine  eigenen  Untersuchungen 
vom  Papsttum  bekehrte.    Sein  Geist  war  liberal  und  un- 


Theologen.  307 

ermüdlich  im  Suchen  nach  Wissen.     Sein  Leben  war 
heilig  und  sein  Tod  nachahmungswürdig. 

(gO)  ?  Sir  Thomas  More,  der  Lord  Chancellor,  von  dessen 
FamiHe  er  durch  seine  Mutter  abstammte.  Da  Sir 
Thomas  93  Jahre  vor  ihm  geboren  wurde,  nehme  ich  an, 
daß  er  sein  Urgroßvater  oder  sein  Qroß-Qroßonkei  war. 
g  ?  William  Rastali,  der  verdienstvolle  und  fleißige  Judge. 
Rastall  war  um  eine  Generation  jünger  als  Sir  Thomas 
More  und  war  daher  wahrscheinlich  der  Großvater  oder 
der  Großonkel  von  Dr.  Donne. 
gh.  ?  John  Rastall,  Vater  des  Judge,  Buchdrucker  und  Schrift- 
steller. 

D  o  w  n  e  ,  John,  Baccalaureus  der  Theologie,    (s.  unter  Jewell.). 
o.    John  Jewell,*  Bischof  von  Sahsbury. 

E  r  s  k  i  n  e ,  Ebenezer  (um  1680—1754,  starb  mit  74  Jahren).  Be- 
gründer der  schottischen  Kirchenspaltung.  Dieser  fromme 
Geistüche  predigte  frei  gegen  das  Vorgehen  der  Synode 
von  Perth,  wofür  er  getadelt  wurde.  Da  er  in  seiner 
Widerspenstigkeit  fortfuhr,  wurde  er  aus  der  schot- 
tischen Kirche  verstoßen.  Hieraus  entstand  die  berühmte 
Kirchenspaltung. 
B.    Ralph  Erskine*  (s.  unten.) 

E  r  s  k  i  n  e ,  Ralph  (1685—1752,  starb  mit  67  Jahren),  wurde 
gleichfalls  Anhänger  der  vereinigten  presbyterianischen 
Kirche.  Er  folgte  nicht  einfach  seinem  Bruder,  sondern 
war  selbst  wieder  Veranlassung  eines  gesonderten  reli- 
giösen Ansturms.  Er  schrieb  Streitschriften,  war  ein 
strenger  Calvinist  und  veröffentlichte  Sonette,  „die  von 
einem  warmen  Geist  der  Frömmigkeit  durchdrungen 
sind,  obgleich  sie  nicht  vollendete  poetische  Werke  ge- 
nannt werden  können."  Er  arbeitete,  fortwährend 
schreibend  und  predigend,  fast  bis  zu  seinem  Tode.  Er 
Heß  eine  große  Familie  zurück  (sein  Vater  hatte  32  Ge- 
schwister), von  denen  drei  Söhne  Geistliche  der  Ver- 
einigten presbyterianischen  Kirche  waren,  aber  in  der 
Blüte  ihres  Lebens  starben. 
B.    Ebenezer  Erskine.*     (s.  oben.) 

Evans,  John,  Doktor  der  Theologie  (1680—1730,  starb  mit  50 
Jahren).  Seine  Lebhaftigkeit,  war  mit  großem  Scharf- 
sinn gepaart,  was  eine  sehr  ungewöhnliche  Mischung  er- 
gab.   Sein  Fleiß  war  unermüdlich.    Er  entstammte  einer 

20* 


308  Theologen. 

Familie  von  Geistlichen  und  zwar  seit  vier  Generationen, 
die  mit  einer  Unterbrechung  bis  zur  Reformation  noch 
hinaufgingen,  sechs  Generationen  im  Ganzen. 

Qilpin,  Bernard  (1517—1583,  starb  mit  66  Jahren).  „Der 
Apostel  des  Nordens."  Hatte  zahlreiche  Geschwister. 
Er  zeigte  als  Kind  außerordentliches  Talent  und  eine 
frühzeitige  Neigung  zu  einem  ernsten,  kontemplativen 
Leben;  doch  wurde  er  allmählich  praktisch  und  ener- 
gisch und  blieb  deswegen  nicht  weniger  fromm.  Er  war 
sehr  beliebt.  Zu  Beginn  seiner  Laufbahn  litt  er  unter 
religiösen  Verfolgungen  und  wenn  die  Königin  Maria 
etwas  länger  gelebt  hätte,  hätte  er  wohl  das  Martyrium 
erlitten.  Er  blieb  während  seines  ganzen  späteren 
Lebens  Rektor  von  Houghton  und  wies  einen  Bischofs- 
sitz zurück.  Er  gründete  eine  Schule,  sammelte  intel- 
ligente Knaben  um  sich,  unterrichtete  sie  und  wurde 
ihr  Freund  und  Beschützer  im  späteren  Leben.  Er  hatte 
einen  außerordentlichen  Einfluß  auf  das  wilde  Grenz- 
volk in  seiner  Nachbarschaft,  in  dessen  Mitte  er  sich 
furchtlos  begab.  Er  war  wohlhabend  und  freigebig. 
Er  haßte  Klatsch  und  legte  Streitigkeiten  bei.  Er  war 
groß  und  mager,  kümmerte  sich  nicht  um  Unterhaltungen 
und  war  eher  enthaltsam.  Er  war  unverheiratet.  Seine 
Verwandtschaftsbeziehungen  sind  gut,  aber  weitläufig. 
gB.  Bischof  Tonstall,  einer  der  aufgeklärtesten  Kirchen- 
männer seiner  Zeit 
NE.  Richard  Gilpin,  Dr.  der  Theologie  von  Greystock  wurde 
durch  die  Uniformity  Act  vertrieben. 

NEES.  William  Gilpin  („Waldszenen"),  ein  ausgezeichneter 
Pfarrer  und  guter  Schulmeister,  war  ein  (ES)  von 
Richard  und  der  Biograph  von  Bernard  Gilpin.  Ich  weiß 
nichts  über  die  Zwischenglieder  in  der  Familie;  ich 
würde  gern  etwas  darüber  wissen,  denn  ich  nehme  an, 
daß  das  Gilpin-BIut  noch  andere  bemerkenswerte  Re- 
sultate gezeitigt  hat. 

G  o  u  g  e  ,  Thomas  (1605 — 1681,  starb  mit  76  Jahren),  lernte  in  Eton 
und  in  King's  College  in  Cambridge;  22  Jahre  lang  Geist- 
licher an  der  St.  Sepulchre-Kirche  in  London.  Er  entwarf 
den  Plan,  den  er  eine  Zeitlang  mit  seinen  eigenen  Mitteln 
durchführte,  den  Armen  Beschäftigung  durch  Spinnen  zu 
verschaffen,  statt  ihnen  Almosen  als  Bettlern  zu  geben.  An- 


Theologen.  809 

dere  entwickelten  dann  diesen  Gedanken.  Er  hatte  selbst 
ein  beträchtliches  Vermögen,  das  er  schließlich  ganz  für 
Wohltätigkeit  in  Wales  ausgab,  da  seiner  Ansicht  nach 
dort  mehr  Gelegenheit  zu  Hilfeleistungen  vorhanden 
war,  als  sonstwo.  Er  brachte  es  zustande,  mit  der 
weiteren  Hilfe  von  Subskriptionen  jährlich  800  bis  1000 
arme  wallisische  Kinder  zu  erziehen  und  eine  Über- 
setzung der  Bibel  ins  Wallisische  zu  veranlassen  und  sie 
zu  drucken.  Auch  mit  dem  Christ  Spital  in  London  gab 
er  sich  viel  Mühe.  Er  war  demütig  und  sanft,  frei  von 
affektiertem  Ernst  und  Grämlichkeit.  Im  Gespräch  war 
er  umgänglich  und  munter;  er  hatte  eine  wundervolle 
Klarheit  des  Geistes  und  Ausgeglichenheit  des  Tempera- 
ments, was  schon  in  seinen  Zügen  sichtbar  war;  er  war 
fast  immer  munter,  aber  nie  melancholisch  oder  traurig. 
Er  schien  immer  der  gleiche  zu  sein,  immer  zuvor- 
kommend und  stets  tolerant  gegen  andere  Meinungen. 
V.    William  Gouge.*     (s.  unten.) 

(e)  Mrs.  Meliora  Prestley  von  Wild  Hall,  Hertford,  ein  Name, 
der  die  Fortdauer  einer  frommen  Gemütsart  in  dieser 
Familie  zeigt.  Sie  errichtete  den  Gouges  ein  Denkmal  in 
der  Blackfriars  Kirche,  nach  dem  Brande. 

Es  gibt  noch  einen  andern  hervorragenden  Geist- 
lichen namens  Gouge  unter  den  Dissidenten  der  1700 
starb  und  dem  zu  Ehren  Dr.  Watts  ein  Gedicht  verfaßte. 
Ich  weiß  nicht,  ob  er  verwandt  war. 
Gouge,  William,  Dr.  der  Theologie  (1575—1653,  starb  mit  78 
Jahren),  war  von  seiner  Knabenzeit  an  sehr  reUgiös  und 
ein  fleißiger  Student  in  Eton  und  Cambridge,  der  bis  spät 
in  die  Nacht  aufblieb  und  früh  aufstand.  Er  war  in 
seinen  Gewohnheiten  merkwürdig  methodisch;  wurde 
Geistlicher  in  Blackfriars,  einem  Stadtteil  von  London. 
Er  predigte  und  lehrte  beständig,  sehr  gewissenhaft  in 
seiner  Zeiteinteilung,  mäßig,  von  freundUcher  und 
frischer  Gemütsart  und  ein  großer  Friedensstifter.  An- 
dächtige Menschen  aller  Stände  bemühten  sich  um  seine 
Bekanntschaft.  Nach  seinem  Porträt  zu  urteilen,  war 
sein  Kopf  massiv  und  quadratisch,  der  Gesichtsausdruck 
wohlwollend  und  entschlossen.  War  verheiratet,  hatte 
sieben  Söhne  und  sechs  Töchter;  sechs  Söhne  waren 
verheiratet. 


310  Theologen. 

S.    Thomas  Qouge*  s.  oben. 
(V.)    Thomas,  ein  frommer  Edelmann,  der  in  London  lebte. 

/.  Seine  Mutter  war  „die  religiöse  Tochter"  eines  Mr. 
Nicholas  Culverel,  Kaufmann  in  London;  ihre  Brüder 
waren : 
2o.  Die  Reverends  Samuel  und  Ezekiel  Culverel,  beide 
berühmte  Prediger, 
{2o.)  Ihre  beiden  Schwestern  waren  an  zwei  berühmte  Theo- 
logen verheiratet,  Dr.  Chadderton,  Rektor  des  Emma- 
nuel College  und  Dr.  Whitaker*,  den  gelehrten  und  an- 
dächtigen Professor  der  Theologie  in  Chambridge. 
Qrynaeus,  Simon  (1493—1541,  starb  mit  48  Jahren),  ein  sehr 
befähigter  und  gelehrter  Mann;  war  der  Sohn  eines 
schwäbischen  Bauern,  dessen  Name  mir  unbekannt  ist. 
Der  Name  Qrynaeus  ist  selbstverständlich  ein  ange- 
nommener. Er  war  ein  Freund  und  Studienkollege 
Melanchthons  von  der  Knabenzeit  an.  Er  wurde  Pro- 
fessor für  Griechisch  in  Wien  und  ging  dann  zum 
Protestantismus  über.  Sein  Qlaubenswechsel  ver- 
wickelte ihn  in  Sorgen  und  zwang  ihn,  Wien  zu  ver- 
lassen; wurde  eingeladen,  den  Lehrstuhl  für  Griechisch 
in  Heidelberg  zu  übernehmen  und  ging  hin,  später  kam 
er  nach  Basel.  Mit  38  Jahren  kam  er  nach  England  in 
erster  Reihe,  um  die  Bibhotheken  zu  besichtigen,  von 
Erasmus  aufs  Wärmste  empfohlen.  Er  wurde  hier  vom 
Lord  Chancellor  Sir  Thomas  More  sehr  gut  aufge- 
nommen. Starb  in  Basel  an  der  Pest.  Sein  Anspruch 
auf  einen  Platz  in  der  „Biographica  Evangelica"  war 
seine  Güte,  seine  Liebe  zur  Reformation  und  das  Ver- 
trauen, das  die  Reformatoren  zu  ihm  hatten. 

S.  Samuel  (1539—1599,  starb  mit  60  Jahren),  erbte  die 
Fähigkeiten  seines  Vaters  und  seine  Neigungen  zum 
Studium,  denn  er  war  mit  25  Jahren  Professor  der  Be- 
redsamkeit in  Basel  und  später  Professor  des  Zivil- 
rechts. 

N.    Thomas  Grynaeus*  s.  unten. 
4N.  S.    Theophilus,  Simon,  Johann  Jakob*  und  Tobias.    Wegen 

all  dieser  s.  unter  Qrynaeus. 
Qrynaeus,  Thomas  (1512—1564,  starb  mit  52  Jahren).    Dieser 
außerordentliche  Mann  besaß  in  hervoragendem  Maße 
die  Zierde  eines  sanften  und  ruhigen  Geistes.    Er  wurde 


Theologen.  311 

von  seinem  Onkel  Simon  erzogen  und  machte  solche 
Fortschritte,  daß  er  als  Jüngling  noch  öffentlicher  Lehrer 
in  Bern  wurde;  von  hier  ging  er,  ermattet  von  den  theo- 
logischen Streitigkeiten  des  Tages  und  einen  ruhigen 
zurückgezogenen  Ort  zum  Studieren  suchend,  nach  Ron- 
tela  bei  Basel  als  Geistlicher,  wo  er  „seine  Pflicht  mit 
so  viel  Pflichttreue,  so  viel  feierlichem  Ernst  und  Güte 
erfüllte,  daß  er  seiner  Herde  außerordentlich  teuer 
wurde  und  alle  ihn  liebten,  die  für  die  Wahrheit  und  die 
Wissenschaft  etwas  übrig  haben."  Er  starb  an  der  Pest. 
Es  scheint  nicht,  daß  er  irgend  welche  Schriften  ver- 
öffentUcht  hat,  aber  er  hinterließ  der  Kirche  einen  edlen 
Schatz  in  seinen  vier  Söhnen: 

4S.  Theophilus,  Simon,  Johann  Jakob*  und  Tobias;  alle  her- 
vorragend durch  Wissen  und  Frömmigkeit;  doch  war 
Johann  Jakob  (s.  unten)  der  bedeutendste  von  ihnen. 
„Er  war  in  der  Tat  ein  brennendes  und  leuchtendes 
Licht.  Solch  ein  Vater  und  solche  Söhne  werden  nicht 
häufig  in  der  Geschichte  der  Welt  angetroffen.  Ge- 
priesen sei  Gott  für  sie." 
O.    Simon  Grynaeus*  s.  oben. 

OS.  Thomas  s.  oben. 
Grynaeus,  Johannes  Jakob  (1540—1617,  starb  mit  77  Jahren), 
folgte  seinem  Vater  als  Pfarrer  von  Rontela,  wo  er  von 
den  Lutheranern  zu  den  Zwinglianern  überging.  Wurde 
als  Professor  der  Theologie  nach  Basel  berufen,  wo  er 
in  der  Beilegung  der  Differenzen  zwischen  den  beiden 
Sekten  eine  glückliche  Rolle  spielte.  Viele  Edelleute 
und  Herren  kamen  aus  anderen  Ländern  und  hausten 
mit  ihm,  um  seine  angenehme  und  nutzreiche  Konver- 
sation zu  genießen.  Er  war  dann  Professor  in  Heidel- 
berg und  zog  sich  zuletzt  als  Pfarrer  nach  Basel  zurück. 
Er  hatte  die  Gewohnheit,  seine  Studien  Winter  und 
Sommer  vor  Sonnenaufgang  zu  beginnen  und  den  Tag 
mit  Beten,  Schreiben,  Lesen  und  Krankenbesuchen  zu 
verbringen.  Er  war  bei  Unbill  von  bemerkenswerter 
Geduld,  war  ein  äußerst  liebender  Freund  und  Ver- 
wandter für  seine  Familie  und  alle  guten  Menschen  und 
von  der  strengsten  Mäßigkeit  gegen  seine  eigene  Per- 
son. Er  hatte  viel  Witz,  der  von  Ernst  gemäßigt  war. 
Sein  bemerkenswertes  Wissen  und  sein  Wert  wurden 


812  Theologen. 

von  seinen  Zeitgenossen  geschätzt,  und  Reisende  aus 
allen  Gegenden,  die  sich  für  Religion  und  Wissen- 
schaft interessierten,  besuchten  ihn  beständig.  Er 
wurde  fast  blind.  Er  heiratete  und  hatte  sieben 
Kinder,  die  bis  auf  eine  Tochter  alle  vor  ihm  starben. 
Ich  weiß  nichts  weiteres  über  diese  interessante 
Familie. 

OB.    Simon  Qrynaeus.* 
V.    Thomas  Qrynaeus,*  auch  /.,  war  eine  fromme  Frau. 

3B.    s.  unter  Thomas  Qrynaeus. 

So  finden  wir  drei  Männer,  die  in  ebenso  viel  Gene- 
rationen von  einem  einfachen  Landmann  abstammen 
und  die  durch  ihr  eigenes  Verdienst  einen  Platz  unter 
den  196  wertvollen  Männern  gefunden  haben,  die  Midd- 
leton  aus  zweieinhalb  Jahrhunderten  als  die  Besten  aus- 
gewählt hat;  und  schließlich  noch  drei  andere  aus  der 
gleichen  Familie,  die  von  demselben  Schriftsteller  mit 
Ausdrücken  sehr  hohen  Lobes  genannt  werden. 

Schwäbischer  Bauer 

i ^ 1 

Simon*  ? 

Samuel  Thomas* 

Professor  in  Basel  | 

I \ \ 1 

Theophilus        Simon     Johann  Jakob*        Tobias 

Quyse,  John  (1680—1761,  starb  mit  81  Jahren),  ein  hervor- 
ragender und  vortrefflicher  Theologe;  Pfarrer  von 
liertford.  Seine  Gesundheit  war  schwach,  und  er  war 
überarbeitet  und  hektisch,  aber  seine  Lebenskraft  war 
bis  kurz  vor  seinem  Tode  wenig  niedergedrückt.  Es 
war  seine  dauernde  Beschäftigung,  alle  um  sich  herum 
glücklich  zu  machen.  Er  war  durchaus  liebenswürdig 
und  hatte  viele  vorzügliche  Eigenschaften  eines 
Pfarrers. 

(V  u.  V.)  Die  Eltern  waren  fromme  und  edle  Menschen. 

S.  Rev.  William;  hatte  vortreffliche  Fähigkeiten  und 
Talente  als  Pfarrer,  war  einige  Zeit  der  Gehilfe  seines 
Vaters,  starb  jedoch  zwei  Jahre  vor  diesem. 

Henry.  Philip    (1631—1696,    starb    mit   65    Jahren),   wurde   in 


Theologen.  SlS 

Westminster  und  Oxford  ausgebildet.  Als  junger  Geist- 
licher war  er  unter  dem  Namen  des  „himmlischen  Hein- 
rich" bekannt.  Er  weihte  seinem  Kirchenamt  seine 
ganze  Kraft.  Seine  Konstitution  war  aber  schwach,  ob- 
gleich er  durch  große  Sorgfalt  in  der  Ernährung  und 
Bewegung  einen  ziemlichen  Zuschuß  an  Gesundheit  er- 
langte. Er  heiratete  eine  wallisische  Dame  von  einigem 
Vermögen  und  hatte  einen  Sohn  und  vier  Töchter. 

Sein  Vater  hieß  John  Henry,  der  selbst  wieder  der 

Sohn  Henry  Williams  war,  indem  der  Taufname  des 

Vaters  nach  alter  wallisischer  Sitte  der  Familienname 

des  Sohnes  wurde. 

/.    Seine  Mutter  war  eine  sehr  fromme  Frau,  die  sich  mit 

ihm  und  ihren  anderen  Kindern  sehr  viel  Mühe  gab. 
S.    Matthew  Henry*  s.  unten. 

Henry,  Matthew  (1662 — 1714,  sarb  mit  52  Jahren),  war  ein 
Kind  von  außerordentlichem  Scharfsinn  und  Frühreife. 
Sein  Vater  sagte  von  ihm  „Praeterque  aetatem  nil  puerile 
fuit,"  nichts  war  kindUch  an  ihm,  als  seine  Jahre;  war 
als  Jüngling  schwach,  aber  seine  Konstitution  kräftigte 
sich,  als  er  heranwuchs.  Er  konnte  mit  drei  Jahren  ein 
Kapitel  aus  der  Bibel  sehr  deutUch  lesen  und  einige  Be- 
merkungen über  das,  was  er  gelesen  hatte,  machen.  Er 
war  sehr  andächtig  veranlagt.  Sein  Vater  scheute  keine 
Mühe  bei  seiner  Erziehung.  Seine  kirchlichen 
Arbeiten  waren  mannigfaltig  und  groß,  erst  in  Chester, 
dann  in  Hackney.  Er  schädigte  eine  von  Natur  aus  kräf- 
tige Konstitution  durch  häufiges  und  inbrünstiges  Pre- 
digen und  durch  übermäßiges  Sitzen  über  seinem 
Studium.  Er  heiratete  zweimal  und  hinterließ  viele 
Kinder.  Solange  er  lebte,  war  die  Ordnung  in  seiner 
Familie  nachahmenswert.  Ich  weiß  nichts  weiteres 
über  sie. 
V.    Philip  Henry*  s.  oben. 

Herbert,  Hon.  George  (1593—1635,  starb  mit  42  Jahren), 
wurde  bis  zu  seinem  zwölften  Jahre  von  seiner  Mutter 
erzogen,  kam  dann  nach  Westminster  und  erwarb  sich 
hier  die  Zuneigung  aller.  Ging  später  nach  Cambridge, 
wo  er  sich  sehr  auszeichnete  und  ein  Redner  an  der 
Universität  wurde.  Er  war  als  religiöser  Dichter  her- 
vorragend; er  war  auch  ein  vortrefflicher  Musiker  und 


314  Theologen. 

komponierte  viele  Hymnen  und  Wechselgesänge 
zwischen  Priester  und  Gemeinde.  Er  erwählte  eine 
kleine  kirchliche  Stelle,  wo  er  die  letzten  Jahre  seines 
Lebens  in  äußerster  Frömmigkeit  zubrachte.  Seine  Ge- 
stalt war  lang  und  sehr  schlank,  aber  seine  Haltung  gut. 
Er  hatte  die  Manieren  und  das  Aussehen  eines  voll- 
kommenen Gentleman.  Er  war  schwindsüchtig  und 
häufigen  Fiebern  und  Krankheiten  unterworfen.  War 
verheiratet,  hatte  aber  keine  Kinder,  seine  Nichten  lebten 
bei  ihm. 

V.  Ein  Mann  von  großem  Mut  und  großer  Kraft,  entstammte 
einer  sehr  hohen  und  sehr  ritterlichen  Familie.  Er  war 
eine  gewichtige  Persönlichkeit  in  Nordwales  und  war 
ein  Freund  von  weitausgebreiteter  Gastfreundschaft. 

V.  Seine  Mutter  war  eine  Dame  von  außerordent- 
licher Frömmigkeit  und  von  mehr  als  weibhchem  Ver- 
stand. 

g.    Sir  T.  Bromley,  geheimer  Staatsrat  unter  Heinrich  VIII. 

B.    Der  erste  Lord  Herbert  von  Cherbury;  PoHtiker,  Redner, 
KavaUer  und  skeptischer  Philosoph. 
(2B.)    Seine  beiden   Brüder   waren  bemerkenswerte  Männer, 
beide  besaßen  viel  Mut.     Der  eine  war  wegen  seiner 
zahlreichen  Duelle  renommiert,  der  andere  war  ein  See- 
offizier, der  einigen  Ruf  erlangte  und  von  dem  gesagt 
wird,  daß  er  noch  mehr  verdient  hätte. 
OS.    Sir   Edward   Herbert,    Siegelbewahrer    unter    Karl   II. 
(s.  unter  Judges.) 
2  0E.    Die  beiden  Söhne  der  beiden  obigen  zeichneten  sich  aus, 
der  eine  wurde  ein  Präsident  des  Hauptzivilgerichtshofs, 
der  andere  war  Admiral  und  wurde  zum  Lord  Torrington 
ernannt. 
Hiddersham,   Arthur    (1563  — 1632,    starb    mit   69    Jahren). 
Wurde  als  Baptist  erzogen,  verließ  aber  diesen  Glauben. 
Wurde  wegen  des  Schisma  mit  2000  1.  Strafe  belegt. 
Er  hielt  sich  bei  vielen  FamiUen  auf  und  gewann  überall 
Achtung  und  Liebe.     Er   schwächte   seine  Konstitution 
stark  durch  die  Anstrengungen  beim  Predigen. 

S.  Samuel,  ein  vortrefflicher  Mann,  den  Mr.  Matthew  Henry 
in  der  Biographie  seines  Vaters  Mr.  Philip  Henry  ehren- 
voll erwähnt.  Samuel  schrieb  die  Lebensgeschichte  von 
Arthur  Hildersham.    Er  starb  mit  80  Jahren. 


Theologen.  315 

H  o  0  p  e  r  ,  John,  Bischof  von  Qloucester  (1495 — 1554,  erlitt  das 
Martyrium  mit  59  Jahren),  ursprünglich  ein  Mönch;  be- 
kehrte sich  während  eines  Aufenthaltes  in  Deutschland 
zur  Reformation.  Er  bedeutete  eine  große  Errungen- 
schaft für  sie,  denn  sein  Wissen,  seine  Frömmigkeit 
und  sein  Charakter  hätten  jedem  Beruf  Ehre  und  Kraft 
verliehen.  Wurde  in  Qloucester  verbrannt. 
(O.)    J.  Hooper,  Vorsteher  von  St.  Alban  Hall. 

Hospinian,  Ralph  (1547—1626,  starb  mit  79  Jahren),  ein  ge- 
lehrter schweizer  Schriftsteller, 
o.    Johann  Wolphius,  Professor  in  Zürich. 

Je  well,  John,  Bischof  von  SaHsbury  (1522—1571,  starb  mit  49 
Jahren).  Dieser  große  Mann,  „der  Liebhng  und  das 
Wunder  seiner  Zeit,  das  Muster  an  Heihgkeit,  Frömmig- 
keit und  Theologie"  eines  der  jüngeren  von  zehn  Ge- 
schwistern. Er  war  ein  Junge  von  vielversprechenden 
Anlagen,  von  sanfter  und  fleißiger  Natur  und  ebensolchem 
Temperament.  Er  wurde  in  Oxford  ausgebildet,  wo  seine 
Erfolge  groß  waren.  Beim  Regierungsantritt  der  Königin 
Marie  mußte  er  mit  31  Jahren  auf  den  Kontinent  fliehen 
und  entging  nur  knapp  der  Verfolgung.  Er  kehrte  erst 
nach  ihrem  Tode  wieder,  worauf  er  von  der  Königin 
EUsabeth  zum  Bischof  ernannt  wurde.  Er  war  ein  aus- 
gezeichneter Gelehrter  und  hatte  sein  Wissen  wäh- 
rend seiner  Verbannung  noch  vergrößert;  er  war  ein 
sehr  fleißiger  Prediger.  Als  Bischof  war  er  außerordent- 
lich liberal  und  gastfreundlich.  Er  hatte  die  Gewohn- 
heit, ein  halbes  Dutzend  oder  mehr  intelligenter  armer 
Jungen  in  seinem  Hause  zu  haben,  die  er  ausbildete,  und 
er  unterhielt  noch  andere  auf  seine  Kosten  an  der  Uni- 
.versität.  Unter  diesen  war  Richard  Hooker.  Er  war 
ein  fröhücher  und  unterhaltender  Gastgeber;  er  hatte 
von  Natur  aus  ein  sehr  gutes  Gedächtnis,  Sein  Körper 
war  mager  und  schwach,  und  er  überlastete  ihn  durch 
Lesen,  Schreiben,  Predigen  und  Reisen.  Seine  Schriften 
sind  berühmt;  seine  „Apologia"  wurde  von  der  Mutter 
des  Lord  Bacon  ins  Englische  übersetzt.  Seine  Eltern 
waren  aus  alter  Familie,  aber  nicht  reich. 
n.  John  Downe*  (1576—1633,  starb  mit  57  Jahren),  ausge- 
bildet im  Emmanuel  College  in  Cambridge.  Er 
nahm    eine    kleine    College  -  Pfarre    in    Devonshire    an. 


316  Theologen 

„Wären  seine  Mittel  seinem  Wert  entsprechend  gewesen, 
er  wäre  nicht  in  der  Dunkelheit  geblieben,  in  der  er 
lebte,  sondern  hätte  sich  ohne  Zweifel  in  einer  viel 
höheren  und  extensiveren  Sphäre  bewegt  und  dort  ge- 
leuchtet. .  .  Die  Schärfe  seines  Geistes,  die  Sicher- 
heit seines  Gedächtnisses"  (diese  Gabe  scheint  erblich 
gewesen  zu  sein,  wie  das  „Porson"  Gedächtnis,  das  sich 
gleichfalls  durch  die  weibliche  Linie  vererbte),  „und  die 
Richtigkeit  seines  Urteils  verbanden  sich  in  ihm  zu  einer 
seltenen  Mischung.  Wenige  Menschen  weisen  eine  von 
diesen  drei  Eigenschaften  im  einzelnen  in  einem  so 
starken  Grade  auf,  als  er  sie  alle  hatte.  Seine  Sprachen- 
kenntnisse waren  außerordentüch."  Er  war  sehr  ge- 
lassen und  ruhig,  aber  cesellig  und  höflich  und  ein  voll- 
kommen guter  Mensch  und  Theologe.  Seine  Konstitution 
war  aber  gebrechlich.  Er  war  glücklich  verheiratet  und 
hatte  mehrere  Kinder,  die  gut  gediehen,  nach  den 
Worten  zu  urteilen:  „Sein  weltlicher  Verstand  zeigte 
sich  ...  in  der  Erziehung  seiner  FamiUe  ...  in  seiner 
Heirat  und  den  Heiraten  seiner  Töchter." 

J  u  n  i  u  s  ,  Francis  (1545—1602,  starb  mit  57  Jahren).  Dieser 
außerordentliche  Mann  war  als  Kind  sehr  schwach  und 
kränklich,  wurde  aber  kräftiger,  als  er  heranwuchs.  Er 
war  merkwürdig  schüchtern.  Er  las  gierig,  kam  als 
Student  nach  der  Schweiz,  wo  er  sich  zur  Reformation 
bekehrte  und  darauf  verfolgt  wurde.  Er  war  ein  ausge- 
zeichneter und  sehr  befähigter  Mensch.  Viele  Lob- 
schriften wurden  über  ihn  verfaßt;  er  starb  an  der  Pest. 
Heiratete  viermal  und  überlebte  alle  seine  Frauen,  hatte 
von  allen  zusammen  nur  zwei  Söhne  und  eine  Tochter. 
V.    ein  gelehrter  und  gütiger  Mann. 

S.  Francis,  ein  sehr  liebenswürdiger  und  gelehrter  Mann, 
der  den  größten  Teil  seines  Lebens  in  England,  nament- 
lich in  Oxford  zubrachte. 
2  e.  Dionysius  Vossius,  der  Orientalist  und  Isaac  Vossius,  der 
gelehrte  Stiftsherr  von  Windsor.  Sie  waren  die  Söhne 
einer  Tochter  von  Junius,  die  den  gelehrten  Johann 
Gerard  Vossius  heiratete. 

K  n  0  X ,  John  (1505—1572,  starb  mit  67  Jahren),  ein  populärer 
Typus  puritanischer  Bigotterie.  In  seiner  Jugend  stu- 
dierte  er   mit  Erfolg   scholastische   Theologie.     Wurde 


Theologen.  317 

als  Mann  verfolgt  und  verbannt;  heiratete  zweimal,  hatte 
zwei  Söhne  und  drei  Töchter. 
(2S)  Seine  beiden  Söhne  waren  Graduierte  des  St.  John 
College  in  Oxford,  der  Jüngere  war  Universitätsprediger, 
e.  Josiah  Welch,  „der  Hüter  des  Gewissens."  Über  ihn 
und  seine  Brüder  s.  unter  dem  Namen  seines  Vaters, 
John  Welch. 

Lasco,  Jan  a  (? — 1684),  der  polnische  Reformator.  Als  die 
religiösen  Verfolgungen  auf  dem  Kontinent  380  Ver- 
bannte nach  England  brachten,  hatten  sie  ihre  eignen  Ge- 
setze, ihren  eignen  Kultus  und  ihren  Superintendenten. 
Diese  Funktion  übte  a  Lasco  aus. 
B.  Ein  Diplomat  und  ein  Mensch  von  beträchtlichen  Fähig- 
keiten. 
O.  Jan  a  Lasco,  Erzbischof  von  Gnesen.  Er  war  es,  dem 
Erasmus  seine  Ausgabe  der  Werke  des  heil.  Ambrosius 
widmete. 

L  e  i  g  h  t  o  n  ,  Robert,  Dr.  der  Theologie.  Erzbischof  von  Glas- 
gow (1614 — 1684,  starb  mit  70  Jahren),  wurde  in  der 
größten  Aversion  gegen  die  englische  Kirche  auf- 
erzogen; wurde  Rektor  des  College  in  Edinburg,  dann 
Erzbischof.  Mit  70  Jahren  sah  er  so  frisch  und  wohl  aus, 
daß  das  Alter  bei  ihm  stehen  gebheben  zu  sein  schien. 
Sein  Haar  war  schwarz  und  a]l  seine  Bewegungen  leb- 
haft, aber  er  wurde  von  einer  Rippenfellentzündung  be- 
fallen und  starb  plötzlich. 
V.  Alexander  Leighton,  ein  schottischer  Arzt,  der  reUgiöse 
und  poHtische  Traktate  schrieb,  weswegen  er  vor  die 
„Star  Chamber"*)  gebracht  wurde.  Seine  Nase  wurde 
aufgeschlitzt,  seine  Augen  ausgerissen,  er  wurde  öffent- 
lich ausgepeitscht  und  11  Jahre  gefangen  gehalten.  Starb 
im  Wahnsinn. 

Math  er,  Cotton,  Dr.  der  Theologie  (1663—1727,  starb  mit  64 
Jahren),  wurde  in  Boston,  in  Amerika,  geboren.  War 
ein  lebhaftes  Kind  und  stets  von  andächtigen  Neigungen; 
begann  mit  18  Jahren  zu  predigen.  Sein  Fleiß  und  die 
Arbeiten,  die  er  ausführte,  sind  fast  unglaubHch;  so  schrieb 
er  allein  382  verschiedene  Abhandlungen. 

*>  Ehemaliges  Gericht  zu  Westminster,  das  nach  eigenem    Ermessen 
itatt  nach  dem  common  law  urteilte.  D.  Üb. 


318  Theologen. 

V    und  G.    Dr.  Increase  Mather,  sein  Vater  und  Mr.  Richard 
Mather,  sein  Großvater,  waren  hervorragende  Geistliche, 
g.    John  Cotton  war  ein  frommer  und  gelehrter  Mann. 
(S)    Samuel;  schrieb  seine  Biographie. 

Matthew,  Tobie,  Dr.  der  Theologie,  Erzbischof  von  York 
(1546—1628,  starb  mit  82  Jahren).  Dieser  wirklich  große 
Mann  war  eine  Zierde  seines  Zeitalters.  In  Oxford  „er- 
langte er  seine  Grade  mit  so  reifem  Wissen  und  so  jung 
an  Jahren,  daß  es  halb  ein  Wunder  schien."  Er  war  „ein 
ganz  ausgezeichneter  Theologe,  in  dem  Frömmigkeit  und 
Gelehrsamkeit,  Kunst  und  Natur  miteinander  wett- 
eiferten." 
(S)  Sir  Tobie  Matthew  „hatte  seines  Vaters  Namen  und  viele 
von  dessen  natürlichen  Talenten,  aber  wenig  von  seinen 
moralischen  Tugenden  und  noch  weniger  von  der  Gnade 
seines  Geistes,  denn  er  war  ein  eingefleischter  Gegner 
der  protestantischen  ReUgion."  Da  Middleton  sich  so 
sehr  um  ihn  kümmert,  nehme  ich  an,  daß  er  eine  PersÖn- 
Hchkeit  von  Gewicht  und  Charakter  war. 

N  0  w  e  1 1 ,  Alexander,  Dr.  der  Theologie.  Dekan  der  St.  Pauls- 
kirche (1511  —  1601,  starb  mit  90  Jahren).  Wurde  im 
Brasenose  College  in  Oxford  ausgebildet,  dessen  Gra- 
duierter er  war  und  „wo  er  sehr  berühmt  wurde  infolge 
seiner  Frömmigkeit  und  Gelehrsamkeit  und  wegen  seines 
Eifers,  mit  dem  er  die  Reformation  förderte."  Beim  Re- 
gierungsantritt der  Königin  Marie,  wurde  er  von  der 
papistischen  Gegenreformation  bedroht,  so  daß  er  nach 
Frankfurt  floh,  von  wo  er  nach  ihrem  Tode  als  der  erste 
der  englischen  Verbannten  zurückkehrte.  In  der  Folge 
wurden  ihm  viele  und  beträchtliche  Beförderungen  zuteil, 
und  mit  49  Jahren  wurde  er  Dekan  der  St.  Paulskirche; 
dann  Rektor  von  Hadham  in  Yorkshlre,  wo  er  ein 
eifriger,  unverdrossener  Prediger  und  ein  fleißiger  Schrift- 
steller wurde.  Mit  84  Jahren  wurde  er  zum  Vorstand 
des  Brasenose  College  gewählt,  starb  sechs  Jahre  darauf, 
nachdem  er  sich  bis  zuletzt  des  völligen  Gebrauchs  seiner 
Sinne  und  Fähigkeiten  erfreute.  Er  wird  als  sehr  ge- 
lehrter Mann  und  als  vortrefflicher  Theologe  betrachtet. 
Seine  Barmherzigkeit  gegen  die  Armen  war  groß,  nament- 
lich, wenn  sie  etwas  von  einem  Gelehrten  an  sich  hatten, 
und  ebenso  groß  war  sein  Trost  für  jene,  die  körperlich 


Theologen.  319 

oder  psychisch  Htten.  Er  schrieb  viele  reUgiöse  Werke, 
in  erster  Reihe  seinen  Katechismus,  der  sehr  ge- 
schätzt wurde  und  den  Cecil  und  andere  große  Männer 
der  Nation  ihn  überredet  hatten-  zu  schreiben,  um  den 
Vorwurf  der  römischen  KathoUken,  die  Protestanten 
hätten  keine  Prinzipien,  zunichte  zu  machen.  Seine 
Streitschriften  richteten  sich  alle  gegen  die  Papisten.  Er 
liebte  den  Fischfang  so,  daß  er  auf  seinem  Bildnis  in 
Brasenose  von  Fischereigeräten  umgeben,  dargestellt  ist 
William  Whitaker,  *  Dr.  der  Theologie  (1547—1595,  starb 
mit  48  Jahren).  Wurde  von  Dr.  Nowell  erzogen,  bis  er 
an  das  Trinity  College  in  Cambridge  kam,  wo  er  sich 
sehr  auszeichnete.  Er  wurde,  als  er  noch  ganz  jung  war, 
zum  Professor  der  Philosophie  erwählt  und  übte  sein 
Lehramt  mit  der  größten  Anerkennung  aus.  Dann  be- 
gann er,  die  religiösen  Schriftsteller  mit  Eifer  zu  studieren 
und  ging  alle  Kirchenväter  in  wenigen  Jahren  durch.  Er 
arbeitete  mit  unglaubHchem  Fleiß,  überanstrengte  aber 
seine  Kräfte  und  verlangte  zu  viel  von  seiner  Konstitution. 
Mit  31  Jahren  war  er  wegen  seiner  theologischen  Kennt- 
nisse sehr  berühmt  und  wurde  bald  darauf  zum  Pro- 
fessor der  Theologie  und  Leiter  des  Queen's  College  er- 
wählt. Mit  38  Jahren  trat  er  in  eine  Polemik  mit  den 
Papisten,  namentUch  mit  Ballarmine  ein.  „Er  verfuhr 
friedfertig,  bescheiden  und  sanft,  ohne  Hohn,  Hänselei, 
Grimm,  Hinterlist  oder  heimtückische  Sprache,  sodaß  man 
leicht  sehen  konnte,  daß  er  kein  verschmitzter  und  eigen- 
sinniger Parteigänger,  sondern  ein  äußerst  eifriger  Sucher 
nach  der  göttlichen  Wahrheit  war."  Er  war  mit  einem 
sehr  scharfsinnigen  Geist,  einem  glückhchen  Gedächtnis, 
einer  großen  Beredsamkeit,  wie  sie  nur  je  ein  Theologe 
gehabt  hat  und  einem  sehr  gelehrten  und  feinem  Urteil 
ausgestattet.  Er  war  ein  frommer,  heiliger  Mann,  von 
gleichmäßiger  und  ernster  Haltung  und  besonders  be- 
merkenswert wegen  seines  geduldigen  Ertragens  von 
Unbill.  Er  war  außerordentlich  gütig  und  freigebig,  nament- 
lich gegen  junge  arme  Studenten.  Er  war  außerordent- 
Hch  demütig,  trotzdem  er  so  hochbegabt  und  geschätzt 
war.  Bischof  Hall  sagte  von  ihm:  „Nie  sah  ihn  ein  Mensch, 
ohne  Ehrerbietung  zu  empfinden,  nie  hörte  ihn  einer, 
ohne  das  Wunderbare  seiner  Rede  zu  fühlen."    Er  war 


320  Theologen. 

es,  der  bei  einer  Bischofszusammenkunft  die  berühmten 
ultra  Prädestinations-Qiaubensartikel  aufstellte,  die  so- 
genannten „Lambeth-Artikel".  Er  heiratete  in  erster 
Ehe  die  mütterliche  Tante  (o)  von  William  Qouge  (s.)  und 
zum  zweitenmal  die  Witwe  des  Gelehrten  Dr.  Fenner 
und  hatte  von  diesen  beiden  Frauen  acht  Kinder.  Es 
wäre  äußerst  interessant,  mehr  über  diese  Kinder  zu 
wissen,  namenthch  über  die  von  der  ersten  Frau,  deren 
Erbhchkeits-Chancen  so  hoch  waren.  Sie  scheinen,  nach 
Middletons  Satz,  „daß  sie  sorgfältig  erzogen  wurden  in 
den  Prinzipien  der  wahren  Religion  und  Tugend",  gut 
geraten  zu  sein,*  doch  weiß  ich  unglücklicherweise  nichts 
weiter  über  sie. 

S  a  u  r  i  n  ,  Jean  (1677—1730,  starb  mit  53  Jahren).  Diente  in  der 
Armee  als  Kadett,  doch  der  Beruf  wurde  ihm  wider- 
wärtig, und  er  verließ  ihn,  um  Philosophie  und  Theologie 
zu  studieren.  Er  lebte  fünf  Jahre  in  England.  Er  war 
ein  bewunderungswürdiger  Altertumskenner  und  Pre- 
diger und  lebte  heilig  und  untadelig.  Er  heiratete  und 
hatte  nur  einen  Sohn,  der  ihn  überlebte. 
(V.)  ein  hervorragender  Rechtsgelehrter  in  Nimes,  der  nach 
der  Widerrufung  des  Edikts  von  Nantes  Frankreich  ver- 
lassen mußte. 
3B.  Sie  erhielten  ebenso  wie  Jean  von  ihrem  Vater  eine  ge- 
lehrte Erziehung  und  waren  von  einer  so  bemerkens- 
werten Beredsamkeit,  „daß  Beredsamkeit  als  erblich 
in  der  Familie  galt." 

Der  Kronanwalt  Irlands,  der  wegen  seiner  Beredsam- 
keit bekannt  war,  war  ein  Nachkomme  dieser  Familie. 

U  s  h  e  r  ,  James,  Dr.  der  Theologie.  Erzbischof  von  Armagh 
(1580 — 1656,  starb  mit  76  Jahren).  Zeigte  schon  als  Kind 
eine  bemerkenswerte  AnhängHchkeit  für  Bücher  und 
wurde,  als  er  heranwuchs,  ein  großer  Gelehrter.  Er 
wurde  wegen  seiner  großen  Erudition  und  wegen  seines 
weisen  und  edlen  Charakters  allgemein  bewundert.  Er 
war  ein  erstklassiger  Mann  und  spielte  in  vielen  Ange- 
legenheiten eine  wichtige  Rolle.  Seine  Konstitution  war 
guterhalten  und  gesund. 
V.  Arnold  Usher;  war  einer  der  sechs  Kirchenbeamten  in 
der  Kanzlei  des  Lordkanzlers  in  Irland  und  ein  Mann  von 
Talent  und  Wissen. 


Theologen.  321 

O.  Henry  Usher,  gleichfalls  Erzbischof  vor  Armagh,  war 
wegen  seines  Wissens  und  seiner  Klugheit  hoch  ge- 
feiert. 

g.  James  Stanihurst;  war  dreimal  Vorsitzender  des  Unter- 
hauses in  Irland,  Archivar  von  Dublin  und  Referent  in 
der  Kanzlei  des  Lordkanzlers.  Wurde  wegen  seiner 
Klugheit  und  seines  Wissens  hoch  geschätzt. 

o.    James  Stanihurst;  war  Philosoph,  Historiker  und  Dichter. 

B.  Ambrose  Usher,  der  in  der  Blüte  seines  Lebens  starb, 
war  ein  Mann  von  außerordentlichen  Talenten.  Er  hatte 
eine  große  Fertigkeit  in  orientalischen  Sprachen  erlangt. 
(2  0.)  Der  Erzbischof  wurde  in  seiner  Kindheit  von  zwei  blinden 
Tanten  unterrichtet,  die  die  Bibel  auswendig  wußten  und 
es  so  zustande  brachten,  ihm  daraus  das  Lesen  zu  lehren. 
Geistreiche,  standhafte  Frauen! 

James  Usher  v/ar  daher  ein  bemerkenswertes  Bei- 
spiel von  vererbter  Fähigkeit,  die  sich  mit  körperlicher 
Kraft  vereinte,  offenbar  ein  dauerhafter  Typus.  Unglück- 
Hcherweise  heiratete  er  eine  Erbin  —  eine  einzige 
Tochter  —  die  gleich  vielen  anderen  Erbinnen  eine  Un- 
zulänglichkeit der  Fruchtbarkeit  geerbt  zu  haben  schien, 
denn  sie  gebar  ihm  nur  eine  einzige  Tochter. 
Welch,  John  (1576 — 1623,  starb  mit  53  Jahren).  Er  war  in  seiner 
Jugend  liederlich  und  schloß  sich  Schmugglern  an,  aber 
er  bereute  und  wurde,  als  er  heranwuchs,  ein  extremer 
Puritaner.  Das  Fleisch  an  seinen  Knien  wurde  „schwielig 
und  hart  wie  Hörn,"  weil  er  so  viel  kniend  betete.  Er 
war  sein  ganzes  Leben  hindurch  „schrecklich  versucht" 
und  betete  und  stöhnte  des  Nachts.  Seine  Konstitution 
war  robust,  und  er  ertrug  große  Anstrengungen.  Er 
heiratete  die  Tochter  von  John  Knox*  (s.  oben)  und  hatte 
drei  Söhne  von  ihr.  Der  älteste  wurde  als  Jüngling  zu- 
fällig erschossen. 
(S.)  Der  zweite  Sohn  erlitt  einen  Schiffbruch  und  schwamm 
zu  einer  wüsten  Insel,  wo  er  verhungerte  und  später  tot 
aufgefunden  wurde.  Die  Leiche  war  auf  den  Knien  in 
einer  betenden  Stellung  erstarrt,  mit  zum  Himmel  er- 
hobenen Händen. 

S.  Josiah  Welch,  der  dritte  Sohn,  war  „ein  Mann,  den  Gott 
hoch  begnadet  hatte  .  .  .  und  den  man  gewöhnlich  den 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vererbung.  '^l 


322  Theologen. 

Hüter  des  Gewissens  nannte,  da  er  ein  außerordentliches 
Talent  besaß,  das  Gewissen  der  Sünder  zu  wecken  und 
aufzuscheuchen."  Er  war  außerordentlich  von  Zweifeln 
über  seine  eigene  Rettung  gequält.    Starb  jung. 

W  h  i  t  a  k  e  r ,  William,  Dr.  der  Theologie,  s.  unter  Nowell.* 
o.    Alexander  Nowell,*  Dr.  der  Theologie. 

W  i  1  k  i  n  s ,  John,  Dr.  der  Theologie,  Bischof  von  Chester,  s. 
unter  Dod.* 
g.    John  Dod.* 

W  i  t  s  i  u  s  ,  Hermann,  Dr.  der  Theologie  (1636—1708,  starb  mit 
72  Jahren).  Kam  in  Friesland  als  Frühgeburt  zur  Welt 
und  war  immer  von  winziger  Gestalt,  hatte  aber  große 
intellektuelle  Fähigkeiten.  War  Professor  der  Theologie 
in  Utrecht.  Sein  Ruhm  war  in  ganz  Europa  verbreitet 
Kurz  bis  zu  seinem  Tode  konnte  er  leicht  ein  griechisches 
Testament  von  kleinstem  Druck  bei  Mondlicht  lesen, 
(g.)  Ein  äußerst  frommer  Geisthcher. 
o.    Der  gelehrte  Peter  Gerhard. 

(2s.  3s.)  Seine  Familie  bestand  aus  zwei  Söhnen,  die  jung  starben, 
und  aus  drei  bemerkenswerten  frommen  und  gebildeten 
Töchtern. 


Die  Seniors  in  klassisclien  Studien  in  Cambridge. 

Die  Stellung  der  Seniors  in  klassischen  Studien  ist,  was  ihre 
Vollendung  in  klassischen  Studien  anlangt,  von  der  gleichen  Rang- 
stufe, wie  die  der  Senior  Wranglers  in  Mathematik;  was  ich  also 
über  die  Strenge  der  Auswahl,  den  letzten  Grad  mit  inbegriffen 
(S.  15  ff.)  gesagt  habe,  ist  hier  genau  anwendbar.  Ich  nehme  in 
diesem  Kapitel  die  Seniors  in  klassischen  Studien  vor  und  zwar 
aus  Gründen,  die  ich  S.  214  auseinandergesetzt  habe. 

Die  Examina  für  klassische  Studien  wurden  1824  eingeführt. 
Von  dieser  Zeit  ab  bis  zum  Jahre  1869  entstanden  also  sechsund- 
vierzig Listen,  das  Anfangs-  und  Endjahr  eingeschlossen.  In  neun 
Fällen  davon  sind  zwei  oder  mehr  Namen  an  die  Spitze  der  Liste 
als  gleich  an  Verdiensten  gestellt;  es  sind  die  sechsunddreißig 
Namen  von  jungen  Leuten,  die  deutlich  die  ersten  in  klassischen 
Studien  ihrer  verschiedenen  Jahrgänge  waren.  Diese  Namen 
sind  die  folgenden:  Malkin,  Isaacson,  Stratton,  Kennedy, 
S  e  1  w  y  n  ,  Soames,  Wordsworth, Kennedy, Lushing- 
ton,  Bunbury,  Kennedy,  Goulburn,  Osborne, 
Humphry,  Freeman,  Cope,  D  e  n  m  a  n  ,  Maine,  Lushington, 
Elwyn,  Perowne,  Lightfoot,  Roby,  Hawkins, Butler,  Brown, 
Clark,  Sidgwick,  Abbott,  Jebb,  Wilson,  Moss,  Whitelaw, 
Smith,  Sandys,  Kennedy. 

Man  wird  bemerken,  daß  in  diesen  kurzen  Reihen  der  Name 
Kennedy  nicht  weniger  als  viermal  vorkommt  und  der  von 
Lushington  zweimal.  Ich  bringe  die  Stammbäume  von  diesen 
und  noch  einigen,  über  die  ich  Einzelheiten  erfahren  habe  und 
deren  Namen  ich  oben  gesperrt  bringe.  Doch  möchte  ich  gleich- 
zeitig bitten,  mich  nicht  dahin  mißzuverstehen,  als  ob  ich  nicht 
wüßte,  daß  auch  viele  der  übrigen  durch  bedeutende  Verwandte 
ausgezeichnet  sein  mögen.  Ich  habe  nicht  Sorge  getragen,  weit- 
läufige und  peinlich  genaue  Untersuchungen  anzustellen,  da  die 
folgende  Liste  für  meine  Zwecke  völUg  genügt.    Es  ist  '<"'^r,  daß 

21* 


324  Die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge. 

im  allgemeinen  Deszendenten  als  Verwandte  fehlen  müssen,  da 
der  älteste  Senior  seinen  Grad  1824  erworben  hat  und  daher  erst 
etwa  siebenundsechzig  Jahre  alt  ist.  Zum  größten  Teil  ist  die 
Stellung,  die  den  Söhnen  zukommt,  noch  nicht  endgültig  fest- 
gelegt, und  die  Enkel  sind  erst  kürzHch  geboren. 

In  meiner  Liste  ist  kein  einziger  Fall  mit  nur  einem  be- 
deutenden Verwandten.  In  vier  Fällen  finden  sich  zwei  oder  drei, 
nämlich  bei  Denman,  Goulburn,  Selwyn  und  Sidgwick,  in  allen 
anderen  Fällen  finden  sich  vier  und  mehr  Verwandte. 

Anhang 
zu  dem  Kapitel  die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge. 

Von  den  36  Seniors  in  klassischen  Studien  (die  einge- 
klammerten sind  ausgeschlossen),  die  seit  der  Einführung  der 
Prüfungen  im  Jahre  1834  diese  Auszeichnung  erhalten  haben, 
finden  14  ihren  Platz  im  nachfolgenden  Verzeichnis.  Die  Familie 
Kennedy  hat  den  neunten  Teil  der  Gesamtzahl  der  Seniors  bei- 
gestellt. 
Bunbury,  Edward  M.;  Senior  1833. 

gV.    Henry,  erster  Lord  Holland,  Kriegssekretär. 

gR.    Der   Right  Honorable  Charles   James   Fox,    berühmter 

PoHtiker. 
gB.    Der  zweite  Lord  Holland;  PoHtiker  und  sozialer  Führer. 
s.  Fox  unter  Pohtikern  wegen  der  anderen  Verwandten, 
zu  denen  auch  die  Familie  Napier  gehört. 
(V.)    General  Sir  H.  E.  Bunbury,  Komthur  des  Bathordens. 
Butler,    Rev.  H.  Montagu,    Dr.  der  Theologie,    Senior  1855; 
erster  Lehrer  in  Harrow. 
V.    Rev,  Dr.  George  Butler,  Dekan  von  Peterborough,  vor- 
her  erster   Lehrer   von  Harrow.     Er  war   1794  senior 
wrangler,  in  einer  Zeit,  wo  es  für  hervorragende  Bedeu- 
tung in  klassischen  Studien  noch  keine  Zeugnisse  gab. 
Jedoch  war  das  Amt,  das  er  bekleidete.  Beweis  genug 
für  sein  Talent  auch  nach  dieser  Richtung. 
(Q.)    Ein    Mann    von    beträchtlichem    Talent    für    klassische 
Studien  und  von  literarischen  Neigungen.  War  Vorsteher 
einer  Schule  in  Chelsea. 
B.    Der  Rev.  George  Butler;  erster  Lehrer  am  Liverpool 
College,  erster  in  klassischen  Studien,  Oxford. 


Die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge.  326 

B.    Spencer  P.  Butler;  barrister;  wrangler   und   erster   in 

klassischen  Studien  in  Cambridge. 
B.    Der  Rev.  Arthur  Butler;  erster  Lehrer  im  Haileybury 
College,  erster  in  klassischen  Studien  in  Oxford. 
Denmann,  Hon.  George,  Q.  C.     Parlamentsmitglied,  Senior 
1842. 
V.    Erster  Lord  Denmann;  Chief  Justice  Queens  Bench  (s. 

unter  Judges). 
G.    Arzt,  berühmter  Accoucheur. 
GN.    Sir  Benj.  Brodie,  Bartonet,  hervorragender  Chirurg  (s. 
Brodie  in  Naturwiss.  und  Mathematiker). 
Q  o  u  1  b  u  r  n  ,  Henry.    Senior  1835.    Er  war  es,  der  die  außer- 
ordentliche Auszeichnung,  die  S.  21  beschrieben  wird,  er- 
halten hat.    Er  starb  jung. 
V.    Right  Hon.  H.  Qoulburn,  Chancellor  of  the  Exchequer. 
(B.)    gleichfalls  ein  befähigter  Gelehrter  in  klassischen  Studien. 
O.    Edward  Qoulburn,  Sergeant  at  Law  (vornehmster  Bar- 
rister des  gemeinen  Rechts).    Ein  Mensch  von  wohlbe- 
kannter hoher  Bildung  und  Talent. 
OS.    Rev.  E.  M.  Qoulburn,  Dr.  der  Theologie,  Dekan  von  Nor- 
wich;  vorher  erster  Lehrer  in  Rugby;  hervorragender 
Prediger. 
Hawkins,  F.  Vaughan;  Senior  1854,  einer  der  jüngsten  zur 
Zeit  seines  Examens,  ist  aber  bekannt  dafür,  daß  er  eine 
der  größten  Anzahl  an  Noteneinheiten  nach  dem  Protokoll 
erhalten  hat. 
V.    Francis  Hawkins,  Dr.  der  Medizin,  Sekretär  des  Col- 
lege der  Ärzte. 
O.    Edward  Hawkins,  Dr.  der  Theologie,  Vorsteher  des  Oriel 

College,  Oxford. 
O.    Caesar     Hawkins,    Leibchirurg     der     Königin.      Diese 
Stellung  (das  blaue  Ordensband)  ist  die  höchste,  die  ein 
Chirurg  erreichen  kann. 
QB.    Charles  Hawkins,  Leibchirurg  Georg  IIL 
0.    Haiford  Vaughan,  Professor  in  Oxford, 
g.    Sir  John  Vaughan,  Judge;  Just  C.  P.  (s.  unter  Judges). 
gB.    Rev.   Edward   Vaughan   von   Leicester;    kalvinistischer 

Theologe. 
gB.    Peter    Vaughan,    Dekan    von    Chester;    Vorsteher    des 
Merton  College  Oxford. 


326  Die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge. 

gB.    Sir  Chas.  Vaughan,  Außerordentlicher  Gesandter  in  den 

Vereinigten  Staaten. 
gB.    Sir  Henry  Vaughan,  nahm  den  Namen  Haiford  an,  erster 

Bart,  der  wohlbekannte  Arzt  Georgs  III. 
gN.  Der  Rev.  Charles  J.  Vaughan,  Dr.  der  Theologie,  gleich- 
zeitig mit  anderen  Senior  von  Cambridge  1838;  hervor- 
ragender Gelehrter;  Erster  Lehrer  von  Harrow;  Erster 
GeistHcher  an  der  Temple  Kirche;  schlug  zwei  Bischofs- 
sitze ab;  die  strenge  Regel,  die  ich  mir  auferlegt  habe, 
nur  diejenigen  aufzuzählen,  die  einzige  Seniors  waren, 
hindert  mich,  Dr.  Vaughan  einen  eigenen  Absatz  zu 
widmen. 
Kennedy,  Rev.  Benjamin.  Senior  1827.  Viele  Jahre  hindurch 
Erster  Lehrer  der  Shrewsbury  Schule;  Professor  für 
Griechisch  in  Cambridge.  In  Shrewsbury  erzogen,  in 
welcher  Schule  er  mit  15  Jahren  Primus  war;  mit  18 
Jahren  errang  er  den  Porson  Preis  in  Cambridge,  ehe  er 
an  die  Universität  kam,  und  mit  19  Jahren  das  Pitt  Uni- 
versitäts  Stipendium. 

B.    Charles  Rann  Kennedy,  barrister,  Senior  1831. 

B.  Rev.  George  Kennedy,  Senior  1834.  Viele  Jahre 
hindurch  einer  der  befähigsten  Privatlehrer  in  Cam- 
bridge. 

B.  Rev.  William  Kennedy,  Schulinspektor.  Errang  1835 
den  Porson-Preis,  konnte  sich  aber  nicht  an  den  Prü- 
fungen über  klassische  Studien  beteiligen,  da  er  nicht 
den  vorhergehenden,  damals  wichtigen,  mathematischen 
Grad  erhalten  hatte. 

N.    W.  R.  K  e  n  n  e  d  y  ,  Sohn  des  Obigen.    Senior  1868. 

N.  J.  Kennedy,  hat  die  Zeit  für  diesen  Grad  jetzt  (1869)  noch 
nicht  erreicht. 

V,  Benjamin  Rann  Kennedy.  Es  wird  behauptet,  daß  er 
ein  vortrefflicher  Gelehrter  geworden  wäre,  wenn  er  die 
Gelegenheit  dazu  gehabt  hätte.  Hatte  ein  beträchtliches 
poetisches  Talent  (sein  Gedicht  auf  den  Tod  der  Prin- 
zessin Charlotte  in  Washington  in  Irvings  Skizzenbuch 
zitiert).  War  Vorsteher  der  König  Eduard  -  Schule  in 
Birmingham. 

G.    Ihr  Mädchenname  war  Maddox,  eine  Dame  von  beträcht- 
lichem intellektuellen  und  poetischen  Talent 
g.    Hall,  Kupferstecher  Georg  III.    Sein  Porträt  findet  sich 


Die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge.  327 

in  der  Vernon   Galerie;    war  ein  nicht  unbedeutender 
Mann  in  seinem  Beruf. 
g.    liir  Mädchenname  war  Giles;  sie  war  die  Tochter  einer 
französischen  Emigrantenfamilie;  sie  hatte  vortreffliche 
Fähigkeiten,    die   noch  von   anderen  Mitgliedern   ihrer 
Familie  geteilt  wurden,  und  zwar: 
o.    Rev.  Dr.  Hall,  Vorsteher  des  Pembroke  College  in  Ox- 
ford;   ein    Mann    von    hohem    Wissen    in    klassischen 
Studien. 
So.     James  Burchell.    Unter  Sheriff  von  Middlesex  fünfund- 
vierzig Jahre  lang  aktiver  Judge  am  Sheriffs  Gericht  Ein 
Mann  von  hervorragendem  geschäftlichen  Talent. 
oS.    William  Burchell,  äußerst   erfolgreicher   Geschäftsmann; 
Begründer  der  wichtigen  Gesellschaften,  wie  der  ersten 
Elektrischen  Telegraphen  -  Gesellschaft  und  der  Metro- 
politan -  Eisenbahn  -  Gesellschaft. 
Lushington,  Edmund.    Senior  1832.    Professor  in  Glasgow. 
GV.    James  Law,  Bischof  von  Carlisle,  Schriftsteller. 
(?B.    Der  erste  Lord  EUenborough  Chief  Justice  of  the  King's 
Bench  (s.  unter  Judges). 
B.    Henry  Lushington,  vierter  seines  Jahrgangs  in  klassischen 

Studien,  Staatssekretär  auf  Malta. 
B.    Franklin  Lushington,  senior  1846. 
B.    Charles  H.  Lushington,  Staatssekretär  in  Indien. 

Die  vier  folgenden  stammen  aus  einer  zweiten  Ehe, 
sie  haben  das  Lushington  Blut,  aber  nicht  das  der  Familie 
Law. 
O.    Stephen  Rumbold  Lushington,  Staatsrat,  Gouverneur  von 

Madras,  Schatzsekretär. 
(O)    General  Sir  James  Lushington,  K.  C.  B. 
(O)    Charles,  im  Zivildienst  auf  Madras,  Mitglied  des  Rats. 
OS.    Charles  Hugh,  Staatssekretär  in  Indien. 

Der  Zweig  der  Lushington  FamiHe,  von  welcher  Sir 
Lushington,  Dr.  des  Civilrechts,  der  hervorragende  ex- 
Judge  der  Admiralitätsbehörde,  abstammt,  spaltet  sich 
von  demjenigen,  den  wir  eben  betrachtet  haben,  von  den 
beiden  Seniors  aus  gerechnet  in  der  fünften  Generation 
nach  oben  ab.  Auch  dieser  Zweig  enthält  eine  beträcht- 
liche Anzahl  von  Männern  mit  gehaltvollen  Fähigkeiten 
und  nur  sehr  wenig  andere.    Innerhalb  dreier  Verwandt- 


328  Die  Seniors  in  klassischen  Studien  in  Cambridge. 

Schaftsgrade  zu  Sir  Stephen  Lushington  finden  sich  elf 
ausgezeichnete  Männer. 
Selwyn,  Rev.  Dr.  WiUiam;  Senior  1828,  Professor  der  Theo- 
logie in  Cambridge. 

B.    Der  Bischof  von  Lichfield,  vorher  Bischof  auf  Neusee- 
land, 1831  zweiter  in  klassischen  Studien. 

B.    Sir  Jasper  Selwyn,  Judge,  Lord  Justice. 

h.    Miss  Selwyn,  hervorragend  wegen  philantropischer  Ar- 
beiten.   (Krimkrieg,  „Heim"  in  Birmingham.) 
S  i  d  g  wi  c  k  ,  H.,  Senior  1859. 

B.    zweiter  in  klassischen  Studien. 

B.  Befähigter  Kenner  des  Altertums.  Senior  der  Privat- 
lehrer im  Merton  College  in  Oxford. 
GnS.  GOES.  und  gfoES.  Dr.  Benson,  erster  Lehrer  am  Wel- 
linton  College  ist,  wenn  auch  entfernt,  mit  den  Mr.  Sidg- 
wick,  sowohl  mütterücherseits  wie  auch  väterhcherseits, 
verwandt,  da  er  der  Cousin  des  ersteren  sowohl  im 
zweiten  als  dritten  Grade  ist  und  Cousin  dritten  Qrades 
des  zweiten. 
Wordsworth,  Rev.  Christopher,  Dr.  der  Theologie,  Bischof 
von  Lincoln,  Senior  1830.  Bezüglich  seiner  Verwandten 
s.  unter  Dichtern. 

O.    Der  Dichter. 

V.    Der  Vorsteher  des  Trinity  College  in  Cambridge. 
2B.    Vortreffliche  Gelehrte,  der  eine  Bischof  von  Dunkeid. 


Ruderer. 

Ich  möchte,  was  ich  über  Qeisteseigenschaften  geschrieben 
habe,  durch  zwei  kurze  Kapitel  über  Muskeleigenschaften  vervoll- 
ständigen. Niemand  zweifelt,  daß  sich  Muskelkraft  bei  Pferden 
und  Hunden  vererbt,  doch  ist  die  Menschheit  so  bhnd  gegen  Tat- 
sachen und  so  von  Vorurteilen  beherrscht,  daß  ich  häufig  die  Be- 
hauptung gehört  habe,  Muskelkraft  sei  bei  Menschen  nicht  erb- 
lich. Ruderer  und  Ringkämpfer  haben  behauptet,  ihre  Helden  ent- 
stünden zufällig,  sodaß  ich  es  ratsam  fand,  über  diese  Materie 
Untersuchungen  anzustellen.  Die  Resultate,  die  ich  gefunden 
habe,  werden  noch  eine  Zufluchtstätte  derjenigen  ins  Wanken 
bringen,  die  darauf  beharren,  jeder  Mensch  sei  nur  eine  unabhän- 
gige Schöpfung  und  nicht  in  physischer,  moralischer  und  intel- 
lektueller Beziehung  eine  reine  Funktion  von  Eigenschaften  der 
Vorfahren  und  äußeren  Einflüssen. 

Was  die  Ruderer  anbelangt,  so  möge  der  Leser  versichert 
sein,  daß  sie  kein  unbedeutender  Bruchteil  der  Gesamtheit  sind, 
keine  bloßen  Vagabunden  und  Verirrten  neben  denjenigen,  die 
zivilisiertere  Wege  gehen.  Eine  wahre  Ruderpassion  erstreckt 
sich  über  zahlreiche  Klassen.  Wenn  in  Newcastle  ein  großes 
Rudern  stattfindet,  stehen  alle  Geschäfte  still,  die  Fabriken 
werden  geschlossen,  die  Läden  sind  gesperrt  und  die  Kontore  leer. 
Die  Anzahl  der  Menschen,  auf  die  dieser  Beruf  eine  gewaltige 
Anziehungskraft  ausübt,  ist  sehr  groß,  und  ohne  Zweifel  befindet 
sich  unter  ihnen  ein  großer  Teil  jener,  die  qualifiziert  sind,  in 
diesem  Fach  brillante  Erfolge  zu  erringen,  und  der  Anziehung 
nachgeben  und  ihr  nachjagen. 

Die  Informationen  zu  diesem  und  dem  folgenden  Kapitel  ver- 
danke ich  völUg  Herrn  Robert  Spence  Watson  in  Newcastle, 
dessen  Lokalkenntnis  sehr  beträchtlich  ist  und  der  starke  Sym- 


330  Ruderer. 

pathien  zu  athletischen  Vergnügungen  hat.  Herr  Watson  steht 
selbst  in  kontinuierlicher  Verbindung  mit  einer  der  ersten,  ich 
glaube  fast  der  ersten  Autorität  in  Bootssachen,  einer  Person,  die 
während  des  letzten  Vierteljahrhunderts  fast  über  jede  Ruderer- 
wettfahrt an  die  Zeitungen  berichtet  hat. 

Die  Liste  im  Anhang  enthält  die  Namen  von  fast  allen  be- 
kannten Ruderern,  die  sich  während  der  letzten  26  Jahre  pro- 
duziert haben.  Sie  enthält  auch  einiges  über  die  Ruderer  auf  der 
Themse,  doch  sind  die  Informationen  über  diese  nicht  so  sicher. 
Die  Namen  sind  nicht  gesichtet  und  ausgesucht,  sondern  es  wurden 
die  besten  unter  denjenigen  gewählt,  über  die  irgend  welche  ge- 
wisse Daten  erhälthch  waren. 

Es  ist  nicht  leicht,  die  Ruderer  zu  klassifizieren,  da  viele  von 
ihnen  selten,  wenn  überhaupt  an  Skiff -Wettfahren*)  teilgenommen 
haben,  sondern  Mannschaften  bei  Ruder-Wettfahrten  zu  zweien, 
zu  vieren  oder  sechsen  gebildet  haben.  Ihre  Leistungen  wurden 
jedoch  von  Herrn  Watson  und  seinem  Beisitzer  geprüft  und 
kritisiert  und  in  vier  Klassen  geteilt. 

Ich  habe  die  Namen  der  schwächsten  in  ( )  gesetzt  und  habe 
ihnen  das  Beiwort  „mittelmäßig"  erteilt.  Es  sind  Männer,  die 
entweder  die  Erwartungen,  die  auf  frühere  Leistungen  gesetzt 
wurden,  enttäuschten,  oder  nicht  oft  genug  gerudert  haben,  um 
zu  zeigen,  welcher  Taten  sie  wirklich  fähig  sind.  Nicht  völliges 
Versagen  ist  eingeschlossen.  Wenig  Dilettanten  können,  unge- 
achtet ihrer  Fähigkeiten  mit  Männern  dieser  Gruppe  wetteifern, 
wenn  sie  von  einem  berufsmäßigen  Mitglied  beurteilt  werden. 

Der  nächste  aufsteigende  Grad  ist  auch  durch  ( )  kenntlich 
gemacht,  doch  ohne  dem  Namen  eine  quahfizierende  Bemerkung 
hinzuzufügen.  Er  besteht  aus  den  regelmäßigen,  zuverlässigen 
Männern,  die  gute  Ruderergruppen  bilden. 

Die  beiden  oberen  Grade  umfassen  die  Namen  der  Männer, 
deren  Namen  ohne  Klammern  gedruckt  sind,  die  ich  also  kurz  ge- 
sagt als  „hervorragend  begabt"  behandle.  Um  einen  Unterschied 
zwischen  diesen  beiden  Graden  zu  machen,  füge  ich  zu  den  Namen 
der  Männer,  die  zu  dem  oberen  Grade  gehören,  die  Wort  „Sehr 
vortrefflicher"  Ruderer  hinzu. 

Es  lassen  sich  nur  rohe  Andeutungen  darüber  machen,  in 
welche  Klasse  meiner  Tafel  der  natürüchen  Gaben  S.  33  die  vier 
Qrade  fallen  würden.    Ich  habe  nur  zwei  Anhaltspunkte.    Einmal 


-*)  Einzel-Ruderpartien.     D.  Üb. 


Ruderer.  331 

weiß  ich,  daß  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1868  der  Tyne 
Amateur  Ruderer  Klub,  der  die  wichtigste  Einrichtung  dieser  Art 
für  den  Norden  Englands  ist,  seit  15  Jahren  existierte  und  im 
ganzen  377  Mitglieder  umfaßte,  daß  drei  von  ihnen,  nach  dem  ver- 
gleichenden Urteil  von  Liebhabern  als  Skiff  Ruderer  das  Ausge- 
zeichnete noch  übertroffen  haben,  und  daß  der  beste  der  drei  als 
ebensogut  oder  vielleicht  noch  etwas  besser  betrachtet  wurde, 
als  der  letzte  der  Brüder  Matfin,  der  offenbar  als  „vortrefflicher 
Ruderer"  rangiert. 

Der  andere  Anhaltspunkt  ist  die  wohlerwogene  Meinung  der 
Autoritäten,  denen  ich  das  Material  für  dieses  Kapitel  verdanke, 
daß  nicht  1  Mann  unter  10  als  Ruderer  selbst  zu  dem  niedrigeren 
der  beiden  Grade,  die  in  meinem  Anhang  in  Klammern  gesetzt, 
gehören  würde,  und  daß  nicht  1  von  100  Ruderern  Vortrefflichkeit 
erlangt.  Unter  1000  besitzt  also  nur  1  Mann  die  Qualifikation  zu 
einem  vortrefflichen  Ruderer. 

Zwischen  diesen  beiden  Anhaltspunkten  besteht  eine  rohe 
Übereinstimmung.  Ein  Rudererklub  besteht  teilweise  aus 
Männern,  die  bereits  einer  natürlichen  Auslese  unterworfen  waren. 
Es  sind  keine  Männer  dabei,  die  in  bezug  auf  ihre  Kräfte  als  Ru- 
derer zufällig  aufgegriffen  wurden.  Ein  großer  Teil  ist  ohne 
Zweifel  einfach  aus  der  Gruppe  derjenigen  ausgehoben,  die  über- 
haupt geneigt  oder  fähig  sind,  einem  Klub  beizutreten,  aber  es 
muß  auch  immer  eine  beträchtliche  Anzahl  von  solchen  darunter 
sein,  die  sich  dem  Klub  nicht  anschließen  würden,  wenn  sie  nicht 
das  Bewußtsein  hätten,  Neigungen  und  Gaben  zu  besitzen,  die  sie 
für  den  Erfolg  beim  Wassersport  qualifizieren.  Der  beste  Ru- 
derer von  377  Männer  zu  sein,  die  einen  Ruderer-Klub  bilden,  ist 
mehr  als  der  beste  von  377  zufällig  zusammengerafften  Männern 
sein.  Es  wäre  der  Wahrheit  entsprechender,  zu  sagen,  daß  damit 
die  besten  von  allen  jenen  gemeint  sind,  die  einem  Klub  beitreten 
können,  d.  h.  die  geneigt  sind,  es  zu  tun  und  wünschenswerte  Mit- 
glieder sind.  Aus  diesen  Gründen  (s.  auch  meine  Bemerkungen 
S.  13)  ist  es  eine  sehr  mäßige  Schätzung,  wenn  wir  den  Satz  auf- 
stellen, daß  von  1000  Männern  nur  einer  die  Qualifikation  eines 
Ruderers  hat. 

Der  „sehr  vortreffliche"  Ruderer  repräsentiert  meiner  An- 
sicht nach  eine  bedeutend  engere  Auslese,  aber  ich  habe  in  der 
Tat  keinerlei  Daten,  auf  welche  sich  eine  Schätzung  stützen 
könnte.  Viele  Männer,  die  finden,  daß  sie  keinen  höheren  Rang 
als  „Vortrefflichkeit"  erreichen  können,  würden  das  unprofitable 


332  Ruderer. 

Betreiben  von  Ruderer-Wettfahrten  unterlassen  und  sich  regel- 
mäßigeren und,  wie  manche  sagen  würden,  ehrenvolleren  Be- 
schäftigungen zuwenden.  Wir  können  uns  nicht  um  mehr  als  einen 
halben  Grad  irren,  wenn  wir  die  „vortrefflichen"  Ruderer  schließ- 
lich noch  in  bezug  auf  ihre  Ruderer-Fähigkeit  als  in  Klasse  F  der 
natürlichen  Gaben  fallend  betrachten,  während  die  „sehr  vortreff- 
lichen" Ruderer  gut  hineinpassen. 

Ich  beabsichtige  nicht  irgend  welche  Bemühungen  zu  machen, 
die  Verwandten  dieser  Gruppe  zu  analysieren,  denn  die  Daten  sind 
unadäquat.  Der  Rudersport  wurde  in  früheren  Zeiten  vergleichs- 
weise wenig  betrieben,  sodaß  wir  nicht  erwarten  können,  unter 
den  Ruderern  mit  Sicherheit  auf  Eigentümlichkeiten  der  Vorfahren 
zu  stoßen.  Andererseits  sind  die  erfolgreichsten  Ruderer  meist 
einzelne  Männer,  und  einige  der  besten  haben  keine  Kinder.  In 
dieser  Hinsicht  ist  es  wichtig,  sich  der  häufigen  Trainings  zu  er- 
innern, die  sie  durchmachen.  Mr.  Watson  nannte  mir  einen  wohl- 
bekannten Mann,  der  sich  für  eine  ungeheure  Anzahl  von  Wett- 
fahrten trainiert  hat  und  der  während  jedes  Training  durchaus  ent- 
haltsam und  von  erstaunlicher  Gesundheit  war  um  dann,  wenn  die 
Prüfung  vorüber  war,  gewöhnlich  zusammenzubrechen  und,  ohne 
große  Exzesse  zu  begehen,  wochenlang  in  einen  trunkenen  Zu- 
stand zu  geraten.  Das  ist  nur  zu  oft  die  Geschichte  dieser 
Männer. 

Im  Anhang  finden  sich  nur  drei  Familien,  von  denen  jede  mehr 
als  einen  vortrefflichen  Ruderer  enthält;  es  sind  die  Familien 
Clasper,  Matfin  und  Taylor,  während  die  Gesamtzahl  der  Ver- 
wandten des  befähigsten  Mitglieds  jeder  Familie  8  B.  und  1  S. 
beträgt. 

Bei  den  FamiHen  der  Ruderer  scheinen  bis  auf  einen  Fall,  der 
erwähnt  ist,  keine  Wechselheiraten  zu  bestehen;  in  der  Tat 
herrscht  viel  Neid  zwischen  den  rivalisierenden  FamiUen. 

Anhang  zu   dem  Kapitel  Ruderer. 

„Ich  habe  nicht  ausgesucht  und  ausgewählt,  sondern  einfach 
alle  besten  Männer  genommen,  über  die  ich  etwas  erfahren 
konnte."    Zitat  aus  dem  Briefe  von  Mr.  Watson. 

18  Männer,  deren  Namen  gesperrt  gedruckt  sind,  werden  als 
Beispiele  vererbter  Begabung  beschrieben.  Bei  den  3  übrigen 
ist  es  nicht  der  Fall. 

C  a  n  d  1  i  s  h  ,      Chambers,      5  Clasper,       Coombes, 


Ruderer. 


333 


Cooper,  Kelly,  Maddison,  2Matfin,Renforth,Sadler, 

5  Taylor,  Winship. 

C  a  H  d  1  i  s  h  ,    James,    ein  Mann    von  der  Tyne,    heiratete   die 
Schwester  von  Henry  Clasper;  hatte  keine  Kinder. 
(B)    Thomas,  ein  guter  aber  kein  großer  Ruderer.    Er  fun- 
gierte stets  in  einer  Mannschaftsgruppe.    Unverheiratet. 
(B)    Robert,  mäßig  gut,  hat  nicht  sehr  oft  gerudert. 

Clasper,  Henry,  sehr  vortrefflicher  Ruderer.  Ist  das  hervor- 
stechendste MitgHed  einer  sehr  großen  und  bemerkens- 
werten FamiHe  von  Ruderern.  Er  war  viele  Jahre  An- 
führer einer  vierköpfigen  Ruderergruppe,  und  häufig  be- 
stand die  ganze  Besatzung,  der  Bootsführer  mitinbe- 
griffen,  aus  Mitgliedern  der  Familie  Clasper.  8  Jahre 
lang  gewann  die  Besatzung  die  Meisterschaft  auf  der 
Tyne.  Sechsmal  ruderte  Henry  Clasper  als  erster  der 
Gruppe  und  gewann  die  Meisterschaft  auf  der  Themse. 
Coombes  erklärte  ihn  als  den  besten  Gruppenführer,  der 
je  gerudert  hat.  Bis  zum  Jahre  1859,  wo  er  47  Jahre  alt 
war,  hatte  er  als  Anführer  bei  Wettfahrten  zu  zwei  oder 
vier  78  mal  gerudert,  und  seine  Mannschaft  hatte  54  mal 
gesiegt.  Er  hatte  sich  auch  32  mal  bei  Skiff  Wettfahrten 
beteiligt  und  hatte  20  davon  gewonnen,  und  war  die 
beiden  einzigen  Male,  wo  er  sich  an  Wettfahrten  in 
Schottland  beteihgt  hatte,  Sieger  gebUeben.  Fast  alle 
diese  Wettfahrten  hatten  eine  Ausdehnung  von  vier  bis 
viereinhalb  Meilen.  Er  erfand  den  Outrigger  (langes 
schmales  Wettruderboot)  und  war  ein  sehr  erfolgreicher 
Wettbootsbauer. 

Die  Familie  Clasper 


(Edward  Hawks) 


=  Clasper  ein  =rr:   .1 
j      K.hlen- 
I    bootsführer 


Henry" 


\  I  \  \  \  I 

(Wm.)        (Edw)        Robert     Richard*      John*     (Thomas) 
I  I  ertrank 


John  Andere 

Hawks*     (Noch  jung) 


Ein  guter      junge 
Ruderer       Kinder 


Die  mit  *  bezeichneten  Namen  bedeuten  sehr  vortreffliche  Ruderer,  die 
in  0  sind  gleichfalls  im  Text  angeführt. 


334  Ruderer. 

S.    John  Hawks  Clasper,  sehr  vortrefflicher  Ruderer.    Hat 
mehr  Skiff  Wettfahrten  mitgemacht  als  irgend  ein  Mensch. 
Als  er  76  solcher  Wettfahrten  hinter  sich  hatte,  hatte  er 
50  davon  gewonnen.    Er  hat  Brüder,  aber  sie  sind  noch 
zu  jung,  um  ihre  Talente  zu  zeigen. 
B.    Richard  Clasper,   sehr   vortreffhcher   Ruderer,  bekannt 
als  „das  kleine  Wunder".   War  im  Alter  von  37  Jahren 
nur  5  Fuß  2  Zoll  hoch  und  wog  8  Stein  6  Pfund.    Trotz- 
dem war    er  vorderster  Mann    in    der  Besatzung  des 
Bruders  und  zwar  ein  selten  guter.    Er  hat  viele  Skiff- 
Wettfahrten  mit  erstklassigen  Männern  gemacht  und  ist 
selten  einmal  geschlagen  worden,  doch  ist  er  zu  leicht, 
um  sich  um  die  Meisterschaft  zu  bewerben. 
B.    John  Clasper,  sehr  vortrefflicher  Ruderer,  ertrank  als  er 
noch  jung  war  (mit  19  Jahren).     Er  hat  verschiedene 
kleine  Wettfahrten  gewonnen  und  einen  wichtigen  gegen 
einen  Mann  namens  Graham  und  seine  feine  Art  und 
Weise  und  die  vortrefflichen  Leistungen  (in  Anbetracht 
seines  Alters)  bewirkten,  daß  er  als  ein  Ruderer  von 
außerordentlichen  Versprechungen  betrachtet  wurde. 
B.    Robert  Clasper,  befähigter  Ruderer. 
(N)    Sohn  des  obigen,  ist  ein  guter  Ruderer. 
(B)    William,  hat  nie  anders  als  in  einer  Besatzung  gerudert, 

er  ist  kürzlich  ertrunken. 
(B)    Edward,  hat  den  Nachteil,  ein  Bein  verloren  zu  haben. 
(B)    (Halbbruder)  Thomas,  mittelmäßig  gut. 
(o)    Edward  Hawks,  ein  guter  Ruderer. 

Der  Vater  der  Brüder  Clasper  war  ein  Kohlenboot- 
führer, 
C  0  0  m  b  e  s ,  Robert;  sehr  vortrefflicher  Ruderer. 
(S.)    David,  ein  guter  Wettruderer. 
(B.)    Themas,  hat  immer  in  einer  Besatzung  gerudert. 
C  0  0  p  e  r  ,  Robert. 

(S.)    Rudert  gut,  ist  aber  noch  nicht  alt  genug,  um  sich  an 
Wettfahrten  zu  beteiligen. 
M  a  d  d  i  s  0  n ,  Antony. 

(B.)    James,  ein  guter  Ruderer. 

M  a  t  f  i  n  ,  Thomas.    Unverheiratet. 
B.    William,  unverheiratet. 


Ruderer  335 

Renforth,    James;    Meisterruderer    von    England.      Unver- 
heiratet. 
(B.)    Stephen;  ein  guter  Ruderer,  unverheiratet. 
S  a  d  1  e  r ,  Joseph.    Unverheiratet. 

(B.)    Wilham.    Unverheiratet. 
Taylor,  James.    Sehr  vorzüglicher  Ruderer,  der  fähigste  aus 
einer  bemerkenswerten  FamiHe.    Er  hat  112  mal  sich  an 
Wettfahrten  beteiligt,  allein  und  in  Gruppen.     13  dieser 
Fahrten  waren  Skiff  -  Wettfahrten ,    und  er  gewann  10 
davon. 
B.    Matthew,  ein  guter  Ruderer.    (Er  hat  einen  Sohn,  der 
ein  gewandter  Ruderer  ist,  aber  noch  zu  jung  für  Wett- 
fahrten.) 
3B.    Thomas,  WiUiam  und  John,  alle  gute  Ruderer;  haben 
nur  in  Gruppen  gerudert.    Alle  unverheiratet. 
Winship,    Edward;    sehr    vortrefflicher    Ruderer.     Ist    kein 
Skiff  -  Ruderer,  sondern   ruderte  stets  zu  zweien  oder 
vieren.     Er  gehörte  zu  der  Besatzung,  die   1854,   1859, 
1861    und    1862   bei    der  Themse  National  Regatta  den 
„Champion  Fours"  gewann  und  den  Champion  Pairs  der 
gleichen  Regatta  1855,  1856,  1860,  1861  und  1862. 
(B.)    Thomas;  ein  guter  Ruderer,  gleichfalls  in  Gruppen. 


Ringkämpfer  aus  dem  Norden. 

Für  die  Informationen  in  diesem  sowie  im  vorhergehenden 
Kapitel  bin  ich  Mr.  Robert  Spence  Watson  völlig  verpflichtet. 
Mit  der  Unterstützung  eines  gutinformierten  Meisterringers  hat 
dieser  Herr  die  Geschichte  jener  von  den  172  Mann  untersucht, 
die  entweder  Erste  oder  Zweite  in  Carlisle  oder  Newcastle  seit 
der  Einrichtung  des  Meisterringens  an  diesen  Orten  waren  und 
über  die  irgend  etwas  zu  erfahren  war.  Das  erste  dieser  Meister- 
ringen fand  1809,  das  zweite  1839  statt. 

Es  ist  außerordentlich  schwer,  die  Leistungen  der  Vorfahren 
der  jetzigen  Generation  zu  schätzen,  da  es  in  früheren  Zeiten 
kaum  Preise  gab.  Die  Wettkämpfe  wurden  einfach  um  der  Ehre 
willen  veranstaltet.  Wir  dürfen  nicht  erwarten,  die  Begabung 
der  Vorfahren  bei  den  Ringkämpfern  besser  beschreiben  zu 
können,  als  bei  den  Ruderern. 

Ich  füge  noch  hinzu,  daß  ich  verschiedene  Versuche  gemacht 
habe,  Nachrichten  über  Ringkämpferfamilien  in  den  Seedistrikten 
von  Westmoreland  und  Cumberland  zu  erlangen,  jedoch  ohne 
jedweden  Erfolg.  Bei  den  jährlichen  Zusammenkünften  in  Kewick 
und  Bowness  scheinen  keinerlei  Protokolle  aufgenommen  worden 
zu  sein,  und  die  Ringkampferfolge  der  früheren  Jahre  sind  aus  der 
Erinnerung  gekommen. 

Mein  Anhang  weist  achtzehn  Familien  auf,  die  zusammen 
sechsundvierzig  Ringkämpfer  umfassen.  Die  Verwandten  des 
befähigsten  Ringkämpfers  der  Famihe  sind  zusammengenommen 
1  V.,  21  P.,  7  S.  und  1  n. 

Anhang 
zu  dem  Kapitel  Ringkämpfer  aus  dem  Norden. 
Blair,    Matthew;    gewann  1859  den  Decies- Preis  von  New- 
castle, 1862  Meister  in  Newcastle  der  Elf  Stein-Männer. 


Ringkämpfer  aus  dem  Norden.  337 

B.    Robert;  gewann  1857  den  Decies- Preis  in  Newcastle. 
B.    Joseph;  gewann  1861  den  Decies -Preis;  1862  zweiter 
Elf  Stein-Mann  in  Newcastle  und  1863  in  Carlisle. 
Daley,  Charles;  Meister  101/2  Stein,  Newcastle  1839. 

B.    John,  2ter  Zehn  Stein-Mann  Newcastle  1840  und  1842. 
(B.)    William;  mäßig  gut. 
Ewbank,  Noble;  1858,  1859,  1860  Meister  in  allen  Gewichten 
in  Newcastle,    1859  Meister    der  Haumänner  in  New- 
castle, 1858  Meister  in  allen  Gewichten  in  CarHsle. 
V.    Joseph;  Meister  in  allen  Gewichten  in  Newcastle  1847. 
(B.)    Joseph;  nur  ein  zweitklassiger  Ringkämpfer. 
Qlaister,  William;   Meister   Newcastle   11   Stein   1850,   1851 
Newcastle  2ter  in  all?n  Gewichten,  1856  Carlisle  2ter  in 
allen  Gewichten. 
B.    George;  sehr  gut. 
Golightly,    Frank;    ein  berühmter  Ringkämpfer  im  letzten 
Jahrhundert. 
B.    Tom;  Meister  von  Melmerby. 
G  o  r  d  o  n  ,  Robert;  1836  und  1846  in  Carlisle  Meister  in  allen  Ge- 
wichten, 1837,  1839,  1840,  1845  und  1848  2ter,  1846  Meister 
in  allen  Gewichten  in  Newcastle. 
B.    William,  ein  guter  Ringkämpfer. 
(B.)    Thomas;  leidlich  gut. 
n.    Robert  Lowthian;  Meister  in  leichten  Gewichten  New- 
castle 1855  und  1860. 
Harrington,  Joseph ;  Meister  in  leichten  Gewichten  in  New- 
castle 1844,  1853  und  1854.    Meister  in  11  Steinen  New- 
castle 1855,  2ter  in  allen  Gewichten  1845  Newcastle. 
B.    Charles;  Meister  in  leichten  Gewichten  Newcastle  1848, 

2ter  1849. 
S.    James  Scott. 
Irving,  George;  Meister  in  allen  Gewichten  Carlisle  1827  und 
1828. 
S.    George;  sehr  guter  Leichtgewicht-Kämpfer. 
Ivison,  Henry;  ein  erstklassiger  Mann,  aber  in  früherer  Zeit, 
als  die  Konkurrenz  weniger  streng  war  als  heute. 
S.    John;  2ter  in  allen  Gewichten  in  Newcastle  1842,  Meister 
in  101/2  Stein  Newcastle  1844;  2ter  91/2  Stein  in  New- 
castle 1850. 
S.    Henry;  2ter  leichte  Gewichte  Newcastle  1852,  dito  2ter 
Elf  Stein-Mann  1856. 

Galton,   Genie  und  Vererbung.  22 


338  Ringkämpfer  aus  dem  Norden. 

(S.)    James. 
Jamieson,  James;  Meister  in  Leichtgewichten  Carhsle  1838. 
Zweimal  Meister  in  allen  Gewichten  im  gleichen  Jahre; 
2ter  llVo  Stein  Newcastle  1843  und  10y2  Stein  1845. 
3B.    Robert,  William  und  George.     Alle  gute  Ringkämpfer. 
Sie  gewannen  alle  Preise  in  Brampton,  so  daß  die  Ring- 
kämpfe hier  aufgegeben  wurden.    Sie  forderten  in  Eng- 
land nur  vier  Mann  mit  ihren  Gewichten  heraus. 
Little,  John;  Meister  in  allen  Gewichten  Carlisle. 
B.    James,  2ter  in  allen  Gewichten,  Carhsle  1834. 
Long,    Rowland;    30    Jahre    hindurch    Ringkämpfer,    gewann 
nahezu  100  Preise. 
B.    John;  der  beste  Ringkämpfer  in  Carhsle. 
Lowthian  s.  Gordon. 

Nichol,  John;  2ter  in  allen  Gewichten  Carhsle  1832  und  1836. 
(B.)    James;  ein  guter,  wenn  auch  kein  erstklassiger  Ring- 
kämpfer. 
Palmer,  John;  Meister  in  allen  Gewichten  in  Carlisle  1851  und 
Meister  in  Leichtgewichten  im  gleichen  Jahre,  ein  sehr 
ungewöhnlicher  Erfolg. 
2B.    Matthew  und  Walter;  Zwillinge,  beide  sehr  gut;  keine 
Meister,  aber  häufig  zweite  bei  großen  Wettspielen. 
Robley,  Joseph;  ein  sehr  guter  Ringer. 
B.    John,  ebenfalls  ein  guter  Ringer. 

S.    William;  2ter  in  allen  Gewichten  1848  Newcastle;  Meister 
Hochsteinwerfen  1852. 
Robson,  Thomas;  Meister  in  aUen  Gewichten  1857  Newcastle; 
Meister  11  Steine  1858. 
B.    William,  gleich  gut. 
Tinian,  John;  Meister  in  Penrith.    Als  Ringer,  Boxer,  Läufer, 
Springer,  Stockfechter  und  Fußballspieler  hatte  er  nicht 
seinesgleichen.     War  der  größte  Held    in    athletischen 
Übungen,  den  England  je  hervorbrachte.     „Wrestliana" 
von  W.  Litt  (der  selbst  ein  vorzüghcher  Ringer  war) 
Whitehaven  1823. 
B.    Job;  kam  fast  seinem  Bruder  gleich;  er  besiegte  WilHam 
Richardson,  der  später  240  Gürtel  gewann  und  Meister 
war. 
S.    John,  ein  bemerkenswert  guter  Ringkämpfer. 
S.    Joseph;  ein  kräftigerer  Mann  als  sein  Vater. 


Ringkämpfer  aus  dem  Norden.  339 

(2  S.)    Die  anderen  Söhne  waren  gute  Ringer,  aber  nicht  so  be- 
merkenswert 
Tweddell,  Joseph;  Meister  10  Steine  Newcastie  1842;  2ter 
dito  1841,  Meister  111/2  Steine  Newcastie  1843. 
B.    Thomas;  Meister  10  Steine  Newcastie  1841. 
B.    Richard,  2ter  111/2  Steine  Newcastie  1841. 
B.    William;  2ter  10^/2  Steine  Newcastie  1846. 
Wearmouth,    Launcelot;    Meister  in  11  Steinen  Newcastie 
1860. 
B.    Isaac;  2ter  91/2  Steine  in  Newcastie  1859. 


22* 


Vergleich  der  Resultate. 

Wir  wollen  jetzt  unsere  zerstreuten  Resultate  nebeneinander 
stellen,  um  sie  zu  vergleichen  und  um  nach  dem  Qrade,  mit  dem 
sie  einander  verstärken,  zu  beurteilen,  wie  weit  sie  die  proviso- 
rischen Berechnungen,  die  in  dem  Kapitel  über  die  Judges  nach 
knapperen  Daten  aufgestellt  wurden,  bestätigen,  und  wo  und 
warum  sie  einen  Gegensatz  zu  diesen  bilden. 

Die  Anzahl  der  Fälle  von  vererbtem  Genie,  die  ich  in  den 
verschiedenen  Kapiteln  meiner  Arbeit  analysiert  habe,  ergeben 
eine  große  Anzahl.  Ich  habe  mich  mit  nicht  weniger  als  300 
Familien  beschäftigt,  die  ungefähr  1000  hervorragende  Männer 
umfaßten,  von  diesen  wieder  waren  415  berühmt,  oder  auf  alle 
Fälle  so  bekannt,  daß  sie  es  verdienten,  an  die  Spitze  eines  Para- 
graphen gestellt  zu  werden.  Wenn  es  so  etwas  gibt,  wie  ein 
entschiedenes  Verteilungsgesetz  der  Begabung  in  Familien,  so 
muß  es  sich  bei  der  statistischen  Bearbeitung  einer  so  großen  An- 
zahl von  Beispielen  manifestieren. 

Wollen  wir  die  Resultate  vergleichen,  die  wir  aus  den  ver- 
schiedenen Gruppen  hervorragender  Männer  gewonnen  haben, 
so  wird  es  am  bequemsten  sein,  die  Kolonnen  B  der  verschiedenen 
Tafeln  zu  vergleichen.  Die  Kolonne  B.  gibt  die  Anzahl  der  be- 
deutenden Verwandten  verschiedener  Grade  an,  wobei  stets  die 
Voraussetzung  gemacht  wird,  daß  die  Anzahl  der  Famihen  in  der 
Gruppe,  auf  welche  sie  sich  bezieht,  100  beträgt.  Alle  Ein- 
tragungen unter  B.  haben  also  den  gleichen  gemeinsamen  Maß- 
stab, sie  sind  alle  prozentual  und  gestatten  einen  direkten 
Vergleich.  Ich  hoffe  mich  klar  ausgedrückt  zu  haben:  damit  aber 
keinerlei  Mißverständnis  möglich  sei,  will  ich  lieber  ein  Beispiel 
bringen.  So  zählen  wir  nur  25  Familien  von  Theologen  und  in 
diesen  25  Familien  7  hervorragende  Väter,  9  Brüder  und  10 
Söhne.    Um  nun  diese  Ziffern  zu  den  Prozentsätzen  7,  9  und  10 


Vergleich  der  Resultate. 


341 


ZU  erheben,  müssen  sie  mit  der  Zahl  multipliziert  werden,  die  bei 
der  Division  von  25  in  100  herauskommt,  nämlich  mit  4.  Sie  ver- 
wandeln sich  dann  in  die  Ziffern  28,  36  und  40  und  finden  sich 
auch  so  in  der  Kolonne  B.  S.  297  eingetragen,  die  ursprünglichen 
Zahlen  7,  9,  10  erscheinen  in  der  gleichen  Tafel  unter  Kolonne  A. 
In  der  folgenden  Tafel  finden  sich  die  Kolonnen  B.  der  ver- 
schiedenen Gruppen  nebeneinander  abgedruckt.    Ich  habe  jedoch 


Getrennte 

Gruppen 

Alle  Gruppen 
zusammen 

Anzahl  der  Familien 

von  denen  jede  mehr 
aiseinen  hervorragen- 

85 

39 

27 

33 

43 

20 

28 

25 

300 

den  Mann  besitzt. 

Totalanzahl  der  her- 

vorragenden Männer 
in  allen  diesen 

262 

130 

89 

119 

148 

57 

97 

75 

977 

Familien 

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c 

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Berühmte  und 

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2    « 

B.52 

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Q 

c 

:3 

hervorragende 

Männer  aller 

Klassen 

B 

B 

B 

B 

B 

B 

B 

B 

B    1  C   1  D 

Vater 

26 

33 

47 

48 

26 

20 

32 

28 

31 

100 

31 

Bruder 

35 

39 

50 

42 

47 

40 

50 

36 

41 

150 

27 

Sohn 

36 

49 

31 

51 

60 

45 

89 

40 

48 

100 

48 

Großvater 

15 

28 

16 

24 

14 

5 

7 

20 

17 

200 

8 

Onkel 

18 

18 

8 

24 

16 

5 

14 

40 

18 

400 

5 

Neffe 

19 

18 

35 

24 

23 

50 

18 

4 

22 

400 

5 

Enkel 

19 

10 

12 

9 

14 

5 

18 

16 

14 

200 

7 

Urgroßvater 

2 

8 

8 

3 

0 

0 

0 

4 

3 

400 

1 

Großonkel 

4 

5 

8 

6 

5 

5 

7 

4 

5 

800 

1 

Cousin 

11 

21 

20 

18 

16 

0 

1 

8 

13 

800 

2 

Großneffe 

17 

5 

8 

6 

16 

10 

0 

0 

10 

800 

1 

Urenkel 

6 

0 

0 

3 

7 

0 

0 

0 

3 

400 

1 

alle   weiter  entfernt 

Verwandten 

14 

37 

44 

15 

23 

5 

18 

16 

31 

? 

342  Vergleicli  der  Resultate. 

Maler  und  Musiker  in  eine  gemeinsame  Künstlergruppe  gebracht, 
da  ihre  Anzahl  zu  klein  ist,  um  die  Mühe  der  einzelnen  Betrach- 
tung zu  verlohnen.  Diesen  Kolonnen  ist  eine  neuerliche  Ko- 
lonne B.  beigefügt,  die  aus  der  Gesamtzahl  aller  Familien  zu- 
sammen gewonnen  ist,  mit  der  Absicht,  einen  allgemeinen  Durch- 
schnitt zu  geben,  und  weiter  habe  ich  dieser  Kolonne,  die  ihr  an- 
gemessenen Kolonnen  C.  und  D.  beigefügt,  weniger  zum  speziellen 
Gebrauch  in  diesem  Kapitel,  als  zur  Bequemlichkeit  des  Lesers, 
der  vielleicht  nach  den  verschiedenen  Gesichtspunkten,  die  D.  er- 
möglicht, Vergleiche  mit  den  anderen  Tafeln  anzustellen  wünscht. 

Die  allgemeine  Gleichförmigkeit  der  Befähigungsverteilung 
unter  den  Verwandten  in  den  verschiedenen  Gruppen  manifestiert 
sich  schlagend.  Die  hervorragenden  Söhne  sind  fast  unveränder- 
lich zahlreicher  als  die  hervorragenden  Brüder,  und  diese  wieder 
ein  wenig  zahlreicher  als  die  hervorragenden  Väter.  Wenn  wir 
die  Tafel  weiter  abwärts  verfolgen,  kommen  wir  zu  einer  plötz- 
lichen Abnahme  der  Zahlen  im  zweiten  Verwandtschaftsgrad, 
nämUch  an  Großvätern,  Onkeln,  Neffen  und  Enkeln;  diese  Ab- 
nahme wird  sichtbar  beim  Übergang  zu  Kolonne  D.,  deren  Be- 
deutung schon  S.  83 — 85  beschrieben  wurde.  Nimmt  man  die  Ver- 
wandten dritten  Grades  vor,  so  trifft  man  wieder  auf  eine  plötz- 
liche Zahlenabnahme,  doch  nehmen  die  direkten  Cousins  eine  ent- 
schieden bessere  Stellung  ein  als  die  anderen  Verwandten  inner- 
halb dieses  Grades. 

Wir  bemerken  ferner,  daß  ebenso  wie  die  proportionale  An- 
zahl der  hervorragenden  Verwandten  verschiedener  Grade  in 
allen  diesen  Gruppen  streng  übereinstimmt,  auch  die  Proportion 
der  Gesamtanzahl  der  berühmten  Männer  (415  an  Zahl)  eine 
spezifisch  allgemeine  Übereinstimmung  mit  jenen  Ziffern  aufweist, 
die  wir  aus  der  großen  Unterabteilung  von  109  Judges  erhalten 
haben.  Es  kann  daher  kein  Zweifel  darüber  bestehen  bleiben, 
daß  ein  Gesetz  der  Verteilung  von  Befähigung  in  Famihen 
existiert,  oder  darüber,  daß  es  ziemlich  genau  durch  die  Zahlen 
in  Kolonne  B.  unter  der  Zusammenfassung  „Hervorragende 
Männer  aus  allen  Klassen"  ausgedrückt  ist.  Ich  halte  es  jedoch 
nicht  der  Mühe  wert,  ein  Diagramm  wie  auf  S.  84  aufzustellen, 
das  aus  der  Kolonne  D.  der  umstehenden  Tabelle  abzuleiten  wäre, 
da  wenig  Zusammenhang  zwischen  den  Eintragungen  in  C.  be- 
steht, mit  deren  Zuhilfenahme  diese  Kolonne  kalkuliert  worden 
ist.  Als  ich  meine  Untersuchungen  begann,  versuchte  ich  in  der 
Tat,  mir  für  C.  reale  und  nicht  geschätzte  Daten  zu  verschaffen, 


Vergleich  der  Resultate.  343 

indem  ich  die  Totalanzahl  von  Verwandten  jedes  Grades  jedes 
berühmten  Mannes  und  ebenso  jener,  die  hervorragende  Be- 
deutung erlangt  haben,  untersuchte.  Ich  quälte  mich  lange  Zeit 
mit  dem  Suchen  nach  Biographien,  fand  aber  die  Resultate  zu  der 
aufgewandten  Mühe  sehr  unproportioniert.  Da  außerdem  an  den 
erhaltenen  Resultaten  immer  Zweifel  mögüch  waren,  gab  ich  die 
Arbeit  auf  und  begnügte  mich  mit  der  rohen,  aber  raschen  Methode 
der  geschätzten  Durchschnitte. 

Es  wäre  ernstlich  zu  wünschen,  daß  Tierzüchter  Tafeln  wie 
die  meinigen  über  die  Verteilung  der  verschiedenen  hervor- 
tretenden physischen  Eigenschaften  in  Familien  aufstellten.  Das 
Resultat  würde  weit  mehr  bieten,  als  die  reine  Befriedigung  einer 
Neugier;  sie  würden  Konstante  für  Formeln  ermöglichen, 
durch  welche,  wie  ich  im  nächsten  Kapitel  kurz  zeigen  werde, 
die  Gesetze  der  Vererbung,  wie  sie  jetzt  verstanden  werden,  aus- 
gedrückt werden  könnten. 

Stellt  man  die  Kolonnen  B.  der  verschiedenen  Gruppen  ein- 
ander gegenüber,  so  fällt  einem  als  erste  bemerkenswerte  Eigen- 
tümlichkeit die  geringe  Anzahl  von  Söhnen  bei  den  Feldherren 
in  die  Augen;  es  sind  nur  31,  während  der  Durchschnitt  aller 
Gruppen  48  beträgt.  Diese  Unregelmäßigkeit  ist  keine  Anomalie. 
Ich  habe  schon,  als  ich  von  den  Feldherren  sprach,  darauf  hin- 
gewiesen, daß  sie  gewöhnUch  ihre  aktive  Karriere  in  der  Jugend 
beginnen  und,  wenn  sie  überhaupt  heiraten,  meistens  von  ihren 
Frauen  getrennt  im  Militärdienst  sind.  Es  verlohnt  auch  der 
Mühe,  einige  spezielle  Fälle  herauszuheben,  wo  den  Feldherren, 
die  eine  schlechte  Nachkommenschaft  hatten,  außerordentliche 
Umstände  im  Wege  standen,  da  die  Totalziffer  von  32,  die  ich 
in  meiner  Liste  anführe,  zu  gering  ist,  um  auf  diese  Weise  Re- 
sultate von  bestimmbarem  Wert  zu  erhalten.  So  war  Alexander 
der  Große  fortwährend  in  entfernte  Kriege  verwickelt  und  starb 
in  frühem  Mannesalter.  Er  hatte  einen  posthumenSohn,  aber  dieser 
wurde  als  Knabe  aus  pohtischen  Gründen  ermordet.  Julius 
Caesar,  ein  außerordentlich  liederlicher  Mann,  hinterließ  einen 
illegitimen  Sohn  von  Cleopatra,  doch  dieser  Sohn  wurde  als 
Knabe  aus  politischen  Gründen  ermordet.  Nelson  heiratete  eine 
Witwe,  die  von  ihrem  ersten  Gatten  keine  Kinder  hatte  und  die 
wahrscheinlich  von  Natur  aus  mehr  oder  weniger  unfruchtbar 
war.  Napoleon  I.  lebte  völlig  von  Marie  Luise  getrennt,  nachdem 
sie  ihm  einen  Sohn  geboren  hatte. 

Obgleich   also   die   großen   Feldherren   wenig   unmittelbare 


344  Vergleich  der  Resultate. 

Nachkommen  haben,  ist  doch  die  Anzahl  ihrer  hervorragenden 
Enkel  ebenso  groß,  als  die  irgend  einer  anderen  Gruppe.  Ich 
schreibe  diesen  Umstand  der  Superiorität  ihres  Schlages  zu,  die 
einer  ungewöhnlichen  großen  Proportion  ihrer  Verwandten  her- 
vorragende Bedeutung  sichert. 

Die  nächste  außerordentliche  Eintragung  in  der  Tafel  ist  die 
Anzahl  der  hervorragenden  Väter  der  großen  Naturwissenschaft- 
ler und  Mathematiker  im  Vergleich  mit  deren  Söhnen,  da  nur  26 
der  ersteren  60  der  letzteren  gegenüberstehen,  während  der 
Durchschnitt  aller  Gruppen  31  und  48  ergibt.  Ich  habe  bereits 
versucht,  diesem  Umstände  Rechnung  zu  tragen,  indem  ich  ein- 
mal zeigte,  daß  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker  viel  der 
Erziehung  und  dem  Blut  ihrer  Mütter  verdanken  und  daß  zweitens 
der  erste  in  der  Familie,  der  wissenschaftliche  Begabung  hat, 
nicht  annähernd  so  leicht  hervorragende  Bedeutung  erlangen 
kann  als  der  Nachkomme,  dem  gelehrt  wird,  Wissenschaft  als 
Beruf  zu  ergreifen  und  nicht  seine  Kräfte  in  unfruchtbaren  Spe- 
kulationen aufzureiben. 

Die  nächste  Eigentümlichkeit  in  der  Tafel  ist  die  geringe  An- 
zahl hervorragender  Väter  in  der  Gruppe  der  Dichter.  Diese 
Gruppe  ist  jedoch  zu  wenig  umfangreich,  um  dieser  Abweichung 
viel  Wichtigkeit  beizulegen;  es  kann  ein  reiner  Zufall  sein. 

Die  Künstler  bilden  keine  größere  Gruppe  als  die  Dichter,  da 
sie  nur  aus  28  FamiUen  bestehen,  doch  ist  die  Anzahl  der  hervor- 
ragenden Söhne  hier  enorm  und  ganz  außerordentHch.  Es  sind 
89,  während  der  Durchschnitt  aller  Gruppen  48  beträgt.  Was  ich 
über  die  Nachkommen  großer  Mathematiker  und  Naturwissen- 
schaftler sagte,  daß  sie  nämlich  in  der  Wissenschaft  mehr  er- 
reichen als  ihre  Vorfahren,  gilt  in  hervorragender  Weise  auch  für 
die  Künstler,  denn  der  gutbegabte  Sohn  eines  großen  Malers  oder 
Musikers  hat  esleichter,  eineBerühmtheitseinesBerufeszuwerden 
als  ein  anderer  Mensch,  der  die  gleiche  natürliche  Begabung  be- 
sitzt, aber  nicht  speziell  für  dieses  Berufsleben  ausgebildet  wurde. 
Die  große  Anzahl  von  Künstlersöhnen,  die  hervorragend  wurden, 
beweist  den  streng  erbÜchen  Charakter  ihrer  speziellen  Be- 
fähigung, während  der  Leser,  wenn  er  etwa  den  Bericht  über  die 
Familie  Herschel  vornimmt,  leicht  begreifen  wird,  daß  viele 
Personen  ausgesprochen  künstlerische  Gaben  haben  und  doch 
irgend  eine  andere  solidere,  regelmäßigere  oder  lukrativere  Be- 
schäftigung ergreifen. 


Vergleich  der  Resultate.  345 

Ich  habe  nun  die  Ausnahmen  erledigt,  man  wird  bemerkt 
haben,  daß  es  bloß  keine  Abweichungen  von  dem  Gesetz  sind, 
das  durch  den  allgemeinen  Durchschnitt  aller  Gruppen  aus- 
gedrückt wird;  denn,  wenn  wir  sagen,  daß  wir  auf  je  zehn  be- 
rühmter Männer,  die  überhaupt  hervorragende  Ver- 
wandte haben,  3  oder  4  hervorragende  Väter,  4 
oder  5  hervorragende  Brüder  und  5  oder  6  hervorragende 
Söhne  finden,  werden  wir  in  17  Fällen  von  24  recht  haben,  wäh- 
rend in  den  7  Fällen,  wo  wir  uns  irren,  der  Irrtum  in  2  Fällen  in 
weniger  als  1  Einheit  (die  Väter  der  Feldherren  und  Literaten), 
in  4  Fällen  in  1  Einheit  (die  Väter  der  Dichter  und  die  Söhne  der 
Judges,  Feldherren  und  Theologen)  und  nur  in  dem  einzigen  Fall 
der  Söhne  der  Künstler  in  mehr  als  1  Einheit  besteht. 

Die  Abweichungen  vom  Durchschnitt  sind  natürlich  im 
zweiten  und  dritten  Verwandtschaftsgrade  größer,  da  die  Anzahl 
der  Beispiele  in  den  verschiedenen  Gruppen  im  allgemeinen  ge- 
ring ist;  da  aber  die  Proportionen  in  der  großen  Unterabteilung 
der  Judges  mit  denjenigen  des  allgemeinen  Durchschnitts  außer- 
ordentlich übereinstimmen,  sind  wir  völlig  gerechtfertigt,  wenn 
wir  diese  großen  Durchschnittszahlen  mit  Vertrauen  akzeptieren. 

Das  letzte  und  wichtigste  Resultat  muß  noch  erst  heraus- 
gearbeitet werden;  es  ist  folgende  Frage:  wenn  wir  nichts  mehr 
über  eine  Person  wissen,  als  daß  sie  der  Vater,  Bruder,  Sohn, 
Enkel  oder  ein  anderer  Verwandter  eines  berühmten  Mannes  ist, 
welche  Chancen  hat  diese  Person  hervorragend  zu  werden? 
Kolonne  E.  auf  S.  61  gibt  uns  die  Antwort  für  die  Judges,  es  bleibt 
uns  noch  übrig  zu  entdecken,  wie  sich  dieses  Verhältnis  bei  den 
berühmten  Männern  überhaupt  gestaltet.  Ich  habe  in  jedem 
Kapitel  jene  Daten,  die  ich  besessen  habe  und  die  zu  einer  Kom- 
bination mit  den  Resultaten  in  Kolonne  D.  geeignet  sind,  gegeben, 
um  diese  nötige  Berechnung  durchführen  zu  können.  Sie  bestehen 
in  der  Proportion  der  Männer,  deren  Verwandte  hervorragende 
Bedeutung  erlangt  haben,  im  Vergleich  mit  der  Totalanzahl  jener, 
deren  Verwandtschaftsverhältnis  ich  untersucht  habe.  Das  all- 
gemeine  Resultat*)   ist,   daß   genau   die   Hälfte   der  berühmten 


*)  Lord  Chancellors,  S.  65  24  von  30;  Politiker  unter  Georg  III.  S.  116 
33  von  53;  Premierminister,  S.  116  wenn  nicht  eingeschlossen  in  Politiker 
8  von  16;  Feldherren  S.  158  32  von  59;  Literaten  S.  184  37  von  56;  Natur- 
wissenschaftler und  Mathematiker  S  210  und  S.  215  65  von  83;  Dichter  S.  248 
40  von  100  ;  Musiker  S.  269  18  von  42;  Theologen  S.  296  und  S.  304  33 
von  196;  Philologen  S.  324  14  von  36. 


346  Vergleich  der  Resultate. 

Männer  einen  oder  mehrere  hervorragende  Verwandte  haben. 
Folglich  erhalten  wir  die  korrespondierende  Kolonne  E.,  wenn 
wir  die  Eintragungen  in  Kolonne  D.  „hervorragende  Männer  aller 
Klassen"  durch  2  dividieren. 

Der  Leser  mag  vielleicht  die  Ehrlichkeit  meiner  Auswahl  be- 
zweifeln. Er  erinnert  sich  vielleicht  der  Schwierigkeiten,  die  ich 
in  vielen  Kapiteln  besprochen  habe  und  die  darin  bestehen, 
passende  Auswahlen  zu  finden,  und  er  verdächtigt  mich  vielleicht 
der  Versuchung  nachgegeben  zu  haben,  mehr  als  den  gebührenden 
Anteil  von  günstigen  Fällen  aufgenommen  zu  haben.  Ich  kann  den 
Angriff  nicht  völlig  in  Abrede  stellen,  denn  ich  kann  mich  einiger 
Namen  entsinnen,  die  mir  wahrscheinlich  aufgestoßen  sind,  eben 
weil  sie  durch  die  kumulierten  Leistungen  von  zwei  oder  drei 
Personen  das  doppelte  oder  dreifache  Gewicht  erhalten  haben. 
Ich  finde  es  daher  im  Interesse  der  Wahrheit  für  nötig,  mich  auf 
einige  völlig  unabhängige  Auswahlen  von  Namen  zu  berufen;  und 
will  zu  diesem  Zwecke  die  Heiligen  oder  welches  immer  die 
richtige  Bezeichnung  für  sie  sein  möge,  des  Comte-Kalender  vor- 
nehmen. Viele  meiner  Leser  werden  wissen,  was  ich  meine; 
August  Comte,  der  „eine  ReHgion  der  Menschheit"  gründen  wollte, 
stellte  eine  Liste  der  Namen  derjenigen  auf,  denen  die  mensch- 
liche Entwicklung  am  meisten  verdankt;  er  wies  den  wichtigsten 
dieser  Individuen  die  Monate  zu,  der  nächsten  Klasse  die  Wochen 
und  der  dritten  die  Tage.  Ich  habe  mich  an  dieser  Stelle  nicht 
mit  Comtes  Doktrinen  zu  beschäftigen:  seine  Anhänger  miß- 
billigen den  Darwinismus,  und  es  ist  daher  nicht  zu  erwarten,  daß 
sie  vielen  Erörterungen  dieser  Arbeit  freundHch  gegenüberstehen, 
die  Unabhängigkeit  des  Zeugnisses,  den  sein  Kalender  für  die 
Wahrheit  meiner  Theorie  bildet,  gewährt  mir  also  eine  umso 
größere  Befriedigung.  Andererseits  kann  niemand  bezweifeln, 
daß  Comtes'  Auswahl  völlig  originell  ist;  denn  er  war  der  letzte 
Mann,  sein  ganzes  Vertrauen  in  die  öffentliche  Meinung  zu  setzen, 
welche  er  zu  leiten  bestrebt  war.  Jeder  Name  in  seinem  Kalender 
wurde  sicherlich  mit  skrupelhafter  Sorgfalt  gewogen,  obgleich, 
wie  ich  zu  wagen  behaupte,  mit  einer  eigentlich  etwas  verrückten 
Bilanz,  ehe  er  an  der  Stelle  eingetragen  wurde,  die  ihm  zuge- 
wiesen war. 

Der  Kalender  besteht  aus  13  Monaten,  von  denen  jeder  4 
Wochen  umfaßt.  Die  folgende  Tafel  bringt  die  Repräsentanten 
der  13  Monate  in  Sperrschrift  und  die  der  52  Wochen  in  gewöhn- 
lichen.     Ich    fand    es    nicht    der    Mühe    wert,    auch    noch    die 


Vergleich  der  Resultate. 


347 


Repräsentanten  der  verschiedenen  Tage  vorzunehmen.  Die  mit 
einem  *  bezeichneten  Namen  sind  in  meinen  Listen  enthalten, 
diejenigen,  die  ein  t  aufweisen,  hätten  darin  figurieren  sollen.  Es 
gibt  im  Kalender  an  10  bis  20  Personen,  über  deren  Verwandt- 
schaftsverhältnisse wir  gar  nichts  oder  nahezu  gar  nichts  wissen 
und  die  daher  aus  den  Listen  ausgestrichen  hätten  werden  müssen, 
so  Numa,  Buddha,  Homer,  Phidias,  Thaies,  Pythagoras,  Archi- 
medes,  ApoUonius,  Hipparchus,  St.  Paul.  Unter  den  übrigen  55 
oder  45  Personen  haben  nicht  weniger  als  27  oder  die  Hälfte  her- 
vorragende Verwandte. 

t  M  o  s  e  s  ,      Numa,       Buddha. 
tConfucius,  Mahomet. 
Homer,    *Aeschylus,    Phidias, 
*Aristophanes,  Virgil. 
Aristoteles,  Thaies,  Pytha- 
goras, Sokrates,  Plato. 
Archimedes,   tHippokrates, 
ApoUonius,  Hipparchus,  *Plinius 
der  Ältere. 

*  C  a  e  s  a  r  ,  Themistokles,  *Ale- 
xander,  *Scipio,  Trajan. 
St.  Paulus,  tSt.  Augustinus, 
Hildebrand,  St.  Bernhard,  Bos- 
suet. 

*Karl  der  Große,  Alfred, 
Gottfried,  Innocenz  III,  St.  Lud- 
wig. 

Dante,  *Ariosto,  Raffael, 
*Tasso,  *Milton. 

Guttenberg,  Columbus, Vau- 
canson,  *Watt,  *Montgolfier. 
Shakespeare,  Calderon, 
*Corneille,  MoUere,  *Mozart 
Descartes,  *St.  Thomas  von 
Aquino,  *Lord  Bacon,  *Leibniz, 
Hume. 

Friedrich  der  Große, 
Ludwig  XI.,  *Wilhelm  der 
Schweigsame,  *Richelieu,*Crom- 
well. 


1.  Ursprüngliche  Theokratie: 

2.  Antike  Dichtung: 

3.  Antike  Philosophie : 

4.  Antike     Naturwissenschaft 
und  Mathematik: 

5.  Militärische   ZiviHsation : 
6.  Katholizismus : 


7.  Feudale  Kultur; 


8. Modernes  Epos: 


P.Moderne  Industrie: 


10.  Modernes  Drama: 


11. Moderne  Philosophie: 


12. Moderne  Politiker: 


348  Vergleich  der  Resultate. 

13. Moderne  Naturwissenschaf-  Bichat,  *Qalilei,  *Newton,  La- 
ten  und  Mathematik:  voisier,  Qall. 

Es  ist  recht  interessant,  zu  beobachten,  wie  genau  die 
Resultate,  die  sich  aus  Comtes  Auslese  ergeben,  meinen  eigenen 
entsprechen.  Ich  bin  daher  sicher,  daß  wir  nicht  übertreiben, 
wenn  wir  Kolonne  D.  der  Tafel  auf  Seite  341  auf  die  hervor- 
ragenden Verwandten,  nicht  der  großen  Gruppe  der  berühmten 
und  hervorragenden  Männer,  sondern  der  aus  einer  strengeren 
Auslese  entstandenen  Gruppe  der  berühmten  Männer  allein  be- 
ziehen und  dann  unsere  Kolonne  E.  berechnen,  indem  wir  die 
Eintragungen  unter  D.  durch  2  dividieren. 

Ich  nehme  z.  B.  die  Chancen  von  Verwandten  berühmter 
Männer,  hervorragende  Bedeutung  zu  erreichen  oder  erreicht  zu 
haben,  mit  ISVo  zu  100  für  die  Väter,  13Mj  zu  100  für  die  Brüder 
und  24  zu  100  für  die  Söhne.  Oder  wir  rechnen,  um  diese  und  die 
übrigen  Proportionen  in  eine  bequemere  Form  zu  bringen,  mit 
folgenden  Resultaten.  Im  ersten  Verwandtschaftsgrade  die  Chance 
des  Vaters  gleich  1  zu  6,  die  jedes  Bruders  1  zu  7,  die  jedes  Sohnes 
1  zu  4.  Im  zweiten  Grade  ist  die  Chance  jedes  Großvaters  1  zu 
25,  jedes  Onkels  1  zu  40,  jedes  Neffen  1  zu  40,  jedes  Enkels  1  zu 
29.  Im  dritten  Verwandtschaftsgrad  verhält  sich  die  Chance  eines 
jeden  Mitglieds  wie  1  zu  200,  mit  Ausnahme  des  direkten  Cousins, 
die  sich  wie  1  zu  100  verhalten. 

Die  große  Anzahl  hervorragender  Nachkommen  berühmter 
Männer,  darf  nicht  als  der  Ausdruck  des  Resultats  ihrer  Ehe  mit 
mittelmäßigen  Frauen  betrachtet  werden,  denn  die  durchschnitt- 
liche Befähigung  der  Ehefrauen  dieser  Männer  ist  über-mittel- 
mäßig.  Ich  bin  nach  der  Lektüre  sehr  vieler  Biographien,  von 
dieser  Tatsache  fest  überzeugt,  obgleich  diese  Überzeugung  in 
Widerspruch  zu  der  gewöhnlich  gehörten  Meinung  steht,  daß 
geistreiche  Männer  einfältige  Frauen  heiraten.  Es  ist  nicht  leicht, 
meine  Behauptung  ohne  eine  beträchtliche  Masse  von  Belegen  zu 
beweisen,  die  die  Achtung  zeigen,  welche  den  Frauen  einer  großen 
Gruppe  berühmter  Männer  von  deren  intimen  Freunden  erwiesen 
wurde;  doch  sind  die  beiden  folgenden  Argumente  nicht  be- 
deutungslos. Zum  ersten  trifft  der  Mann  die  Dame,  die  er  hei- 
raten wird,  gewöhnlich  in  der  Gesellschaft  seiner  eigenen  Freunde 
an,  und  es  ist  daher  nicht  wahrscheinlich,  daß  sie  eine  einfältige 
Person  ist.  Sie  ist  auch  gewöhnlich  mit  einem  von  ihnen  ver- 
wandt und  hat  daher  die  WahrscheinUchkeit  für  sich,  eine  erb- 
liche Begabung  zu  besitzen.    Zum  zweiten  ist  es  eine  bekannte 


Vergleich  der  Resultate.  349 

Tatsache,  daß  eine  große  Anzahl  hervorragender  Männer  hervor- 
ragende Frauen  heiraten.  Wenn  der  Leser  die  vorhergehenden 
Kapitel  durchsieht,  wird  er  viele  derartige  Beispiele  finden. 
Philipp  II.  von  Mazedonien  und  Olympias;  Cäsars  Liaison  mit 
Kleopatra;  Marlborough  und  seine  sehr  befähigte  Gattin;  Hel- 
vetius  heiratete  eine  reizende  Dame,  deren  Hand  auch  von  Frank- 
Hn  und  Turgot  begehrt  wurde;  August  von  Schlegel  widmete  Herz 
und  Seele  Frau  von  Stael;  Neckers  Frau  war  ein  Blaustrumpf 
reinsten  Wassers;  Robert  Stephens,  der  gelehrte  Buchdrucker, 
hatte  Petronella  zur  Frau;  der  Lord  Siegelbewahrer  Sir  Nicholas 
Bacon  und  der  große  Lord  Burleigh  heirateten  zwei  der  höchst 
gebildeten  Töchter  von  Sir  Anthony  Cooke.  Jeder  weiblicher  Name, 
den  ich  in  meinen  Kapiteln  über  die  Feldherren,  Politiker  und 
Literaten  nenne,  gehört  einer  entschieden  hervorragenden  Frau 
an.  Sie  stellen  die  Existenz  einer  Tendenz  von  „gleich  zu  gleich" 
zwischen  intellektuellen  Männern  und  Frauen  fest  und  machen  es 
sehr  wahrscheinlich,  daß  Ehen  berühmter  Männer  mit  Frauen  aus 
den  Klassen  E.  und  D.  sehr  allgemein  sind.  Andererseits  spricht 
keinerlei  Evidenz  für  einen  scharf  ausgeprägten  antagonistischen 
Geschmack,  der  Art,  daß  geistreichen  Männern  wirklich  alberne 
Frauen  gefallen.  Ein  Mann  kann  sich  ernster  Mängel  seines 
Charakter  bewußt  sein  und  eine  Frau  wählen,  die  ersetzt,  was  ihm 
fehlt,  wie  etwa  ein  scheuer  Mann  sich  von  einer  Frau  angezogen 
fühlen  kann,  die  keine  anderen  Verdienste  hat,  als  eine  Plauder- 
tasche und  gute  Hausfrau  zu  sein.  Ebenso  kann  ein  junger  un- 
geschickter Philosoph  dem  ersten  Mädchen,  das  Interesse  für  ihn 
zeigt,  mehr  Intelligenz  zumuten  als  es  wirklich  besitzt.  Aber  dies 
sind  Ausnahmen;  daneben  bleibt  die  große  Tatsache  bestehen, 
daß  befähigte  Männer  Freude  an  der  Gesellschaft  intelligenter 
Frauen  haben  und  lieber  intelligente  Frauen  als  mittelmäßige 
heiraten,  wenn  sie  nur  solche  finden,  die  auch  in  anderer  Hinsicht 
geeignet  sind. 

Ich  denke  daher,  daß  die  Resultate,  die  sich  in  meinen  Tafeln 
unter  der  Rubrik  Söhne  finden,  Ehen  von  Männern  der  Klasse  F 
und  darüber  mit  Frauen  zugeschrieben  werden  können,  deren 
natürliche  Begabung  durchschnittlich  nicht  unter  Klasse  B.  und 
vielleicht  zwischen  B.  und  C.  liegen. 

Ich  will  jetzt  die  Kraft  der  männUchen  und  weiblichen  Ver- 
wandtschaftsünien  in  der  Weitergabe  von  Befähigung  betrachten 
und  werden  zu  diesem  Zwecke  die  tatsächlichen  Ziffern  in  Pro- 
zente umsetzen. 


350 


Vergleich  der  Resultate. 


Als  ein  Beispiel  für  dieses  Vorgehen  können  wir  die  Judges 
nehmen.  Wie  man  schon  in  der  ersten  Tafel  bemerken  kann,  sind 
hier  die  tatsächhchen  Ziffern,  die  den  spezifizierten  Verschieden- 
heiten des  Verwandtschaftsgrades  entsprechen  41,  16,  19,  1,  was 
die  Summe  von  77  ergibt;  ich  bringe  sie  jetzt  auf  diejenigen  Zif- 

Wirkliche  Ziffern 


3 
•—> 

<u 
"o 

c 
<u 

fl3 

c 
2 

3 
V.  C 

(U   (U    i_ 

lii 

i-i 

o 
Q 

n 

:3 

c 

"o 

x: 
H 

c 

O) 

E 

E 
« 

CO 

3 

G  +   O  +etc. 

GV-|-GB4-etc. 

g   -f-   0   -j-^tc. 

gV  -\-  gB  -f  etc. 

41 
16 
19 

1 

19 
4 

10 
3 

12 
5 
6 

2 

18 
7 
9 

0 

20 

12 

9 

4 

12 
3 

1 

0 

13 

4 
3 
0 

4 

2 

16 

0 

139 
53 
73 
10 

Gesamtzüfern 

77 

36 

25 

34 

45 

16 

20 

22 

275 

Prozentsätze 


•o 

3 
•-> 

c 

a 

x: 

c 
Zj 

3 
i_  3 

Ol  2  u 

x:  «  "" 

Q 

(U 

tn 

C 
:3 

c 

o» 

x: 
H 

c 
<u 

E 

E 

w 
tn 
3 
N 

G+O+N+E 
GV-i-GB+OS+NS 
+ES 

53 
21 

53 
11 

48 
20 

53 
21 

44 
27 

75 
19 

65 

20 

18 
9 

51 
19 

Totalsumme  durch 
die  männliche  Linie 

74 

64 

68 

74 

71 

94 

85 

27 

70 

g+o+n-f-e 

25 

1 

28 
8 

24 
8 

26 
0 

20 
9 

6 

0 

15 
0 

73 
0 

26 

4 

Totalsumme    durch 
die  weibliche    Linie 

26 

36 

32 

26 

29 

6 

15 

73 

30 

Männliche  und  weib- 
liche Linie 

lUO 

100 

lUO 

100 

100 

100 

100 

100 

100 

Vergleich  der  Resultate.  351 

fern,  die  sie  ausmachen  würden,  wenn  ihre  Totalsumme  100  er- 
reichte, d.h.  ich  muItipHziere  sie  mit  100  und  dividiere  sie  durch 
77,  wodurch  sie  sich  in  53,  21,  25  und  1  verwandeln.  Diese 
Ziffern  nun  sind  in  der  zweiten  der  beiden  folgenden  Tafeln  ein- 
getragen. 

Man  wird  bemerken,  daß  das  Verhältnis  der  gesamten  Ver- 
wandten durch  die  männlichen  und  weiblichen  Linien  in  den 
ersten  fünf  Kolonnen,  nämlich  bei  den  Judges,  Politikern,  Feld- 
herren, Literaten,  Mathematikern  und  Naturwissenschaftlern  fast 
das  gleiche  ist,  nämUch  70  zu  30  oder  2  zu  1.  Die  Gleichmäßigkeit 
dieses  Verhältnisses  ist  ein  Beweis  für  die  Existenz  eines  Ge- 
setzes, doch  ist  es  schwer  zu  sagen,  wovon  dieses  Gesetz  ab- 
hängt, da  die  Verhältnisse  infolge  verschiedener  Variationen  der 
Verwandtschaft  verschieden  sind.  So  finden  wir,  wenn  wir  uns 
auf  die  Verwandten  zweiten  Grades  beschränken,  die  zahlreich 
genug  sind,  um  Durchschnitte  zu  zeigen,  aus  denen  sich  Abhängig- 
keit ergeben  kann,  daß  die  Summe  der  Verhältnisse  von  G.  O.  N. 
E.  zu  jenen  von  g.  o.  n.  e.  gleichfalls  ein  wenig  mehr  als  2  zu  1 
beträgt.    Die  tatsächlichen  Ziffern  sind: 

21  G.  23  O.  40  N.  26  E.  =  110  im  Ganzen 
21  g.    16  o.    10  n.     6  e.  =    53  im  Ganzen. 

Man  kommt  zuerst  auf  den  Gedanken,  daß  die  relativ  ge- 
ringe Anzahl  in  der  unteren  Linie  nur  bei  den  Verwandten  vor- 
kommt, die  infolge  der  weiblichen  Linie  schwer  zu  erforschen 
sind,  und  daß  diese  scheinbare  Inferiorität  in  exaktem  Verhältnis 
zu  dieser  Schwierigkeit  steht.  So  sind  die  Eltern  der  Mutter 
eines  Menschen  ohne  Ausnahme  in  seiner  Biographie  genannt; 
folglich  ist  ein  hervorragender  g.  nicht  weniger  leicht  zu  über- 
sehen, als  ein  G.,  aber  ein  o.  läßt  sich  leichter  übersehen,  als  ein 
O.,  und  ein  n.  und  e.  viel  leichter  als  ein  N.  und  E.  Die  Lösung 
jedoch,  die  diese  Tatsachen  an  die  Hand  geben,  ist  nicht  vöUig 
zufriedenstellend,  da  die  Verschiedenheiten  in  den  wohlbekannten 
Familien  von  Politikern  und  Feldherren  ebenso  groß  zu  sein 
scheinen,  als  in  den  unbekannten  Familien  von  Literaten,  Natur- 
wissenschaftlern und  Mathematikern.  Hieraus  und  ebenso  aus 
dem,  was  ich  über  die  Theologen  zu  sagen  habe,  scheint  der  Schluß 
zulässig,  daß  ich  die  hervorragenden  Verwandten  in  diesen  Graden 
männlicher-  und  weiblicherseits  mit  ungefähr  der  gleichen  Ge- 
nauigkeit aufgestöbert  habe. 

Die  einzig  vernünftige  Lösung,  die  ich  zulassen  kann,  besteht 
darin,  daß  neben   einer  inhärenten  Unfähigkeit  der  weiblichen 


352  Vergleich  der  Resultate. 

Linie  spezieile  Formen  von  Befäiiigung  weiterzugeben,  aucli  noch 
die  Tatsache  besteht,  daß  die  Tanten,  Schwestern  und  Töchter 
hervorragende  Männer  durchschnittlich  nicht  so  häufig  heiraten 
als  andere  Frauen,  weil  sie  in  ihrem  Familienkreis  an  eine  höhere 
Form  der  Kultur  und  an  einen  intellektuell  und  moralisch  höheren 
Ton  gewöhnt  sind  als  sie  anderswo  leicht  finden,  namentlich  wenn 
sie  infolge  ihrer  geringen  Mittel  auf  die  Gesellschaft  der  Personen 
in  ihrer  unmittelbaren  Nachbarschaft  angewiesen  sind.  Anderer- 
seits wird  ein  Teil  von  ihnen  gewiß  einen  absprechenden,  an- 
maßenden Typus  haben  und  daher  für  die  Männer  wenig  an- 
ziehend sein,  während  wieder  andere  infolge  ihrer  scheuen,  son- 
derbaren Art  und  Weise,  die  sich  oft  bei  jungen  talentierten  Per- 
sonen findet  und  die  für  die  Ehechancen  junger  Frauen  ungünstig 
ist,  gleichfalls  keine  Anziehungskraft  ausüben.  Zur  Bestätigung 
dieser  Theorie  sei  gleichfalls  darauf  hingewiesen,  daß  wir  mit 
ihr  erklären  können,  warum  die  Gruppe  g.  die  gleiche  Anzahl  auf- 
weist wie  Q.,  da  ein  Mensch  ebensoviel  g.  als  G.  haben  muß, 
während  er  nicht  notwendig  die  gleiche  Anzahl  von  o.  n.  e.  und 
O.  N.  E.  hat.  Da  ich  nun  andere  Informationen  suchen  muß,  bin 
ich  gezwungen,  diese  Frage  einigermaßen  unbestimmt  zu  lassen. 
Würde  sich  meine  Kolonne  C.  auf  Tatsachen  statt  auf  Schätzungen 
stützen,  so  würden  mir  diese  Tatsachen  die  Informationen  an  die 
Hand  geben,  die  ich  suche. 

Bei  den  Dichtern  und  Künstlern  ist  der  Einfluß  der  weibUchen 
Linie  ganz  bedeutend  geringer,  als  der  der  männlichen  und  hier 
wird  die  Lösung,  die  ich  angenommen  habe,  wohl  noch  angemes- 
sener sein,  als  bei  den  vorhergehenden  Gruppen. 

Bei  den  Theologen  stoßen  wir  auf  eine  ganz  neue  Ordnung 
der  Dinge.  Hier  ist  das  Verhältnis  einfach  das  umgekehrte,  denn 
der  weibliche  Einfluß  verhält  sich  zu  dem  männlichen  wie  73  zu 
27,  während  die  ersten  fünf  Kolonnen  das  durchschnittliche  Ver- 
hältnis von  30  zu  70  aufweisen.  Ich  habe  in  dem  Kapitel  über  die 
Theologen  schon  ein  so  langes  und  breites  über  die  Macht  des 
weibHchen  Einflusses  in  bczug  auf  die  Erziehung  reügiöser  An- 
lagen gesprochen,  daß  ich  nicht  nötig  habe,  auf  diese  Frage  wieder 
zurückzuk' mmen.  Was  die  vorausgesetzte  Abneigung  der  weib- 
Hchen Verwandten  hervorragender  Männer  gegen  die  Ehe  an- 
langt, so  muß  bei  den  Verwandten  der  Theologen  sicherlich  eine 
Ausnahme  gemacht  werden.  Intellektuelle  Befähigung  und  ein 
gebildeter  Geist  ist  für  sie  im  Vergleich  mit  einem  frommen  Be- 
kenntnis von  geringer  Bedeutung,  und  da  die  religiöse  Gesellschaft 


Vergleich  der  Resultate.  353 

infolge  der  Gewohnheit,  sich  zu  religiösen  Zwecken  zu  versam- 
meln, besonders  groß  ist,  bietet  auch  die  Notwendigkeit,  einen 
frommen  Gatten  zu  wählen,  für  die  nahe  weibliche  Verwandte 
eines  hervorragenden  Theologen  kein  materielles  Ehehindernis. 

Die  allgemeine  Anschauung  geht  dahin,  daß  große  Männer 
bemerkenswerte  Mütter  haben.  Ohne  Zweifel  verdanken  sie  dem 
mütterlichen  Einfluß  viel,  doch  schreibt  ihnen  die  populäre  Mei- 
nung einen  Anteil  zu,  der  ihnen  nicht  gebührt  und  der  nicht  glaub- 
haft ist.  Meiner  Ansicht  nach  hängt  dieser  Glaube  mit  der  Tat- 
sache zusammen,  daß  große  Männer  gewöhnlich  auch  eine  hohe 
Sittlichkeit  besitzen  und  liebevoll  und  ehrerbietig  sind,  da  Gehirn 
allein  ohne  Herz  nicht  genügt,  eine  hervorragende  Bedeutung  zu 
erlangen.  Solche  Männer  neigen  von  Natur  zu  außergewöhn- 
lichen kindlichen  Rücksichten  und  machen  gern  die  guten  Eigen- 
schaften ihrer  Mutter  mit  übertriebenen  Lobsprüchen  bekannt. 

Es  tut  mir  leid,  daß  ich  nicht  imstande  bin,  die  einfache  Frage 
zu  lösen,  ob  und  wie  weit  Männer  und  Frauen,  die  Wunder  an 
Begabung  sind,  unfruchtbar  sind.  Ich  habe  jedoch  gezeigt,  daß 
Männer  von  hervorragender  Bedeutung,  wie  die  Judges,  es  durch- 
aus nicht  sind,  und  es  ist  für  meine  Anschauung  über  die  Zukunft 
der  menschlichen  Rasse,  die  ich  in  einem  folgenden  Kapitel  dar- 
legen werde,  wichtiger,  die  Fruchtbarkeit  der  hervorragenden 
Menschen,  als  die  des  Genies  festzustellen.  Eine  Reihe  von 
Schwierigkeiten  besteht  in  bezug  auf  die  Entdeckung,  ob  Genie 
und  Unfruchtbarkeit  in  Wechselbeziehungen  stehen.  Eine  dieser 
Schwierigkeiten  und  zwar  eine  sehr  ernste  besteht  darin,  daß  die 
Menschen  sich  weder  über  die  hervorragenden  Genies,  noch  über 
eine  Definition  des  Wortes  Genie  einig  sind.  Eine  andere  besteht 
darin,  daß  die  Menschen,  die  als  Beispiele  gewählt  werden,  ge- 
wöhnlich der  Antike  angehören,  oder  doch  vor  so  langer  Zeit  ge- 
lebt haben,  daß  es  oft  unmöglich  und  jedenfalls  sehr  schwierig  ist, 
etu^as  über  ihre  Familie  zu  erfahren.  Eine  weitere  Schwierigkeit 
liegt  in  der  Tatsache,  daß  ein  Mensch,  der  keine  Kinder  hat,  für 
seinen  Beruf  mehr  tun  kann  und  sich  mehr  dem  öffentlichen  Wohl 
widmen  kann,  als  wenn  er  welche  hat.  Ich  glaube,  daß  ein  sehr 
begabter  Mensch  stets  hervorragende  Bedeutung  erlangt;  wenn 
er  aber  im  Kampf  des  Lebens  durch  die  Bürde  von  Frau  und 
Kindern  gehemmt  ist,  so  kann  man  nicht  von  ihm  erwarten,  daß 
er  ebenso  in  der  Front  beharrt,  als  wenn  er  allein  wäre.  Er  kann 
den  Lieblingsgegenstand  seiner  Studien  nicht  mit  der  gleichen 
absorbierenden  Leidenschaft  verfolgen,  wenn  andere  wichtige  An- 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vererbung.  23 


354  Vergleich  der  Resultate. 

Sprüche  an  seine  Aufmerksamkeit  gestellt  werden,  wenn  er  häus- 
lichen Kummer,  Beängstigungen  aller  Art  und  kleinliche 
Sorgen  hat,  wenn  er  jedes  Jahr  ein  Kind  bekommt,  wenn  periodisch 
Kinderepidemien  auftreten,  wenn  er  die  ständige  Berufsplackerei 
hat,  die  zur  Erhaltung  einer  großen  Familie  nötig  ist. 

Noch  andere  Hindernisse  stehen  dem  Hinterlassen  von  Nach- 
kommenschaft in  der  zweiten  Generation  im  Wege.  Die  Töchter 
sind  aus  Gründen,  die  schon  ein  paar  Seiten  vorher  angegeben 
wurden,  nicht  so  leicht  zu  verheiraten,  wie  andere  Mädchen; 
während  die  Gesundheit  der  Söhne  durch  Überarbeitung  gefährdet 
ist.  Die  Söhne  begabter  Menschen  sind  entschieden  frühreifer 
als  ihre  Eltern,  was  aus  meinen  vorhergehenden  Kapiteln  deutlich 
hervorgeht;  ich  nehme  mir  nicht  erst  die  Mühe,  Fälle  zu  zitieren, 
denn  diese  Frühreife  ist  eine  normale  Tatsache,  analog  der  an- 
deren, die  bei  Krankheiten  und  Fortschritten  aller  Art  besteht  und 
die  von  Darwin  nachgewiesen  wurde.  Das  Resultat  ist,  daß  das 
frühreife  Kind  als  ein  Wunder  angestaunt  wird,  das  bedeutend 
befähigter  als  Vater  oder  Mutter  ist,  da  dessen  oder  deren  Fähig- 
keiten im  gleichen  Alter  geringer  waren.  Das  Kind  wird  nun 
durch  häusliche  Einflüsse  auf  jede  mögliche  Weise  vorwärts  ge- 
trieben, bis  seine  Konstitution  ernsten  Schaden  genommen  hat. 

Soviel  über  die  Schwierigkeiten,  die  sich  in  der  Frage,  die 
uns  beschäftigt,  einem  klaren  Urteil  in  den  Weg  stellen.  Es  ist 
sicherlich  wahr,  daß  eine  überraschende  Anzahl  der  befähigsten 
Menschen  keine  Nachkommenschaft  hinterlassen  zu  haben  schei- 
nen; nach  dem,  was  ich  gesagt  habe,  sind  wir  jedoch  gerecht- 
fertigt, wenn  wir  einen  sehr  beträchtlichen  Teil  der  angeführten 
Beispiele  auf  andere  Ursachen  als  eine  inhärente  Tendenz  zur 
Unfruchtbarkeit  bei  genialen  Männern  und  Frauen  zurückführen. 
Ich  glaube  allerdings,  daß  ein  großer  Teil  der  Fälle  diesem  letztern 
Umstand  zuzuschreiben  ist  und  stimme  so  weit  mit  Prosper  Lucas 
überein,  daß  ebenso  wie  Riesen  und  Zwerge  selten  fruchtbar  sind, 
auch  Menschen  von  wunderbar  viel  oder  wenig  intellektueller 
Kraft  als  von  unzureichender  Fruchtbarkeit  angesehen  werden 
können.  Andererseits  stimme  ich  durchaus  nicht  dem  Satz  dieses 
berühmten  Autors  über  Vererbung  ein,  daß  das  wahre  Genie  un- 
veränderlich isohert  ist. 

Es  gibt  noch  eine  andere  vorherrschende  Meinung,  die  mit 
dem  im  vorletzten  Absatz  dargelegten  Gedanken  einigermaßen 
übereinstimmt  und  die  besagt,  daß  geniale  Menschen  ungesunde, 
winzige  Wesen  sind,  ganz  Gehirn  und  keine  Muskeln  —  daß  sie 


Vergleich  der  Resultate.  355 

schwache  Augen  und  eine  armselige  Konstitution  haben.  Ich 
glaube  viele  meiner  Leser  wären  über  die  Größe  und  die  Qestalt 
der  Heroen  der  Geschichte,  von  denen  in  diesem  Buch  die  Rede 
ist,  überrascht,  wenn  man  sie  alle  in  einer  Halle  versammeln 
könnte.  Ich  würde  es  unternehmen,  aus  irgend  einer  Gruppe  von 
ihnen,  selbst  aus  der  der  Theologen  (s.  S.  280)  einen  „Elfer"*)  zu- 
sammenzustellen, der  es  physisch  nach  jeder  Richtung  gegen 
gleiche  Auslesen  aus  zwei  bis  dreimal  so  großen  Gruppen  auf- 
nähme, die  zufällig  und  aus  gleich  wohlgenährten  Klassen  zu- 
sammengestellt wären.  Ehe  ich  anfing  dieses  Buch  zu  schreiben, 
hatte  ich  begonnen,  in  meinen  Notizen  mir  Bemerkungen  über 
die  physische  Begabung  meiner  Helden  zu  sammeln,  und  es  tut 
mir  jetzt  leid,  daß  ich  diesen  Plan  nicht  fortsetzte,  doch  findet  sich 
auch  jetzt  schon  in  den  diesbezüglichen  Kapiteln  genug,  um  meine 
Behauptung  zu  bestätigen.  Ich  leugne  nicht,  daß  viele  Menschen 
von  außerordenthchen  geistigen  Gaben  eine  hinfällige  Konstitution 
hatten,  ich  leugne  nur,  daß  dies  eine  Begleiterscheinung  essen- 
tieller Art,  oder  selbst  der  gewöhnliche  Habitus  außerordentlich  be- 
gabter Menschen  ist.  Tatsachen  aus  dem  Universitätsleben  können 
uns  so  gut  wie  andere  als  Beispiel  dienen,  und  so  will  ich  denn  er- 
wähnen, daß  die  besten  wranglers  und  die  Besten  in  klassischen 
Studien  häufig  die  besten  Ruderer  ihrer  Jahrgänge  gewesen  sind. 
Der  Hon.  George  Denman,  der  1842  Senior  in  klassischen  Studien 
war,  war  der  Vormann  der  Universitäts-Ruderbesatzung.  Sir 
William  Thompson,  der  zweite  wrangler  1845,  siegte  im  ScuU- 
Fahren.*)  Bei  der  allerersten  Ruder-Wettfahrt  zwischen  den 
beiden  Universitäten,  ruderten  in  einem  der  kämpfenden  Boote 
drei  Leute,  die  später  Bischöfe  wurden  und  ein  vierter  in  einem 
anderen.  Es  sind  die  Studenten,  die  in  zweiter  und  dritter  Linie 
kommen,  die  gewöhnlich  schwach  sind.  Eine  Versammlung  leben- 
der Größen  in  den  verschiedenen  Zweigen  intellektueller  Voll- 
endung ist  jedesmal  ein  Fest  für  meine  Augen,  so  große,  kräftige; 
befähigt  aussehende  Wesen  sind  sie. 

Ich  nahm  mir  einige  Mühe,  das  Sterblichkeitsgesetz  in  den 
verschiedenen  Gruppen  zu  erforschen  und  illustrative  Kurven  zu 
formieren,  um  zu  zeigen,  ob  an  der  Konstitution  hervorragender 
Menschen  irgend  etwas  Abnormes  sei;  das  Resultat  ergab 
klar,    daß    die    begabten    Menschen    in    zwei    Kategorien    zer- 


*)  Gruppe  von  elf  Spielern  beim  Criquetspiel. 
*)  Kleines  Boot  für  eine  Person. 

23* 


356  Vergleich  der  Resultate. 

fallen,  in  die  sehr  schwachen  und  die  sehr  starken.  Die  Kurve 
der  Sterblichkeit  macht  nicht  eine  einfache  Biegung,  sondern  sie 
steigt  zu  einem  niedrigeren  Kulminationspunkt  an,  geht  wieder 
hinunter  und  steigt  von  neuem  zu  dem  Hauptbogen  auf.  Es  ist 
kein  Kontinuum  in  der  Regelmäßigkeit  ihrer  Krümmungen.  Ich 
schließe  daraus,  daß  es  unter  den  begabten  Menschen  eine  kleine 
Gruppe  gibt,  die  schwach  ist  und  eine  reizbare  Konstitution  hat, 
die  bestimmt  ist,  früh  zu  sterben,  daß  aber  der  Rest  aus  Menschen 
besteht,  die  ein  kräftiges  hohes  Alter  genießen  können. 

Diese  doppelte  Kulmination  zeigt  sich  scharf  in  der  Gruppe 
der  Künstler  und  deutlich  in  derjenigen  der  Dichter,  aber  sie  zeigt 
sich  mit  einer  überraschenden  Genauigkeit,  wenn  ich  die  92 
Menschen  von  bemerkenswerter  Frühreife,  über  die  ich  Notizen 
gemacht  habe,  herausgreife.  Ihr  erster  Kulminationspunkt  fällt 
in  das  38ste  Lebensjahr,  dann  sinkt  die  Todesrate  bis  zum  42sten 
Jahr;  mit  52  Jahren  hat  sie  wieder  die  Höhe  erreicht,  die  sie  bei 
38  hatte,  und  sie  erreicht  ihr  Maximum  mit  64  Jahren.  Die  Sterb- 
lichkeit der  Menschen,  die  nicht  hervorragend  frühreif  gewesen 
zu  sein  scheinen,  180  Fälle  im  ganzen,  beschreibt  eine  völlig  nor- 
male Kurve,  die  stetig  zu  einem  Maximum  von  68  Jahren  auf- 
steigt und  dann  ebenso  stetig  abfällt.  Die  Naturwissenschaftler 
und  Mathematiker  leben  am  längsten,  und  die  Häufigkeit  früher 
Todesfälle  ist  bei  ihnen  entschieden  geringer  als  in  den  anderen 
Gruppen. 

Die  letzte  allgemeine  Bemerkung,  die  ich  zu  machen  habe,  ist, 
daß  geistige  Fähigkeiten  und  Gesichtszüge  nicht  in  Wechsel- 
beziehung zu  stehen  scheinen.  Der  Sohn  kann  seinem  Vater  ähn- 
lich sein,  indem  er  ein  befähigter  Mensch  ist,  aber  daraus  folgt 
nicht,  daß  er  ihm  auch  in  den  Gesichtszügen  ähnelt.  Ich  weiß  von 
Fam.ilien,  wo  die  Kinder,  die  nicht  die  Gesichtszüge  ihrer  Eltern 
haben,  deren  Gemütsart  und  Fähigkeiten  erbten,  während  die 
übrigen  Kinder  gerade  die  umgekehrten  Gaben  besitzen.  Als  ich 
die  Porträts  in  der  letzten  National-Ausstellung  betrachtete,  war 
ich  außerordentlich  über  das  Fehlen  von  Familienähnhchkeit  be- 
troffen, wo  ich  erwartet  hatte,  sie  zu  finden.  Ich  kann  diesen 
Punkt  nicht  ohne  Illustrationen  beweisen,  der  Leser  muß  mir 
daher  gestatten,  seine  Evidenz  in  einer  eingestandenermaßen  un- 
vollendeten Form  zu  belassen. 

Am  Schluß  dieses  Kapitels  möchte  ich  noch  einige  der  Gruppen 
herauszugreifen,  die  ich  unterlassen  habe  zu  besprechen.  Die  vor- 
nehmsten Ingenieure  sind  eine  Gruppe  von  Menschen  von  be- 


Verjrleich  der  Resultate. 


357 


merkenswerten  natürlichen  Eigenschaften;  sie  sind  nicht  bloß  be- 
fähigte Menschen,  sie  besitzen  auch  ein  merkwürdiges  Talent 
für  phj^sische  Ausdauer  und  Kühnheit,  die  sich  mit  klarer  Einsicht 
darüber  verbindet,  was  ausgeführt  werden  kann  und  was  nicht. 
Ich  habe  Watt  und  Stephenson  unter  den  Naturwissenschaftlern 
aufgezählt,  aber  die  Bruneis  und  die  merkwürdige  FamiUe  Mylne, 
die  auf  neun,  wenn  nicht  zwölf  Generationen  zurückgeht  —  alle 
befähigt  und  viele  in  ihrem  Beruf  hervorragend  —  sowie  ver- 
schiedene andere  verdienen  erwähnt  zu  werden.  Ich  sehe  jedoch 
keinen  Vorteil  darin,  eine  Auslese  hervorragend  begabter  Inge- 
nieure zusammenzustellen,  denn  ihr  Erfolg  hängt  in  einem  sehr 
starken  Qrade  von  vorhergehenden  günstigen  Gelegenheiten  ab. 
Ist  ein  großes  Ingenieur-Unternehmen  einmal  etabliert  mit  gut- 
ausgewählten Männern  an  der  Spitze  jedes  Departements,  so  ist 
es  leicht,  den  Namen  und  Kredit  des  begabten  Begründers  mehr 
als  eine  Generation  nach  seinem  Tode  noch  aufrecht  zu  erhalten. 
Die  Schauspieler  sind  eng  untereinander  verbunden,  so  daß 
sie  fast  eine  Kaste  bilden,  aber  wie  bei  den  Ingenieuren  ist  es 
sehr  schwer,  die  hervorragend  Begabten  unter  ihnen  von  denen 
zu  trennen,  deren  Erfolg  stark  auf  den  Zufall  der  Ausbildung 
zurückzuführen  ist.  Ich  möchte  jedoch  nicht  weiter  gehen,  ohne 
eine  Notiz  über  die  Familie  Kemble  einzuschalten,  die  vor  zwei 
Generationen  einen  so  großen  Raum  in  den  Augen  der  britischen 
Welt  eingenommen.  Ihr  Stammbaum  zeigt  die  folgenden  Per- 
sonen : 


Robert  Kemble 
Direktor  einer  Theater- Gesell- 
schaft, tüchtig  und  geschickt, 
war    ein    ausgezeichneter 
Fallstaff. 


I  I 

Sarah  John 

(Mrs.  Slddons)  Philip 

Eine  grosse  Tragöde 
Schauspielerin 


Sarah  Ward;  Tochter  des 
Direktors  einer  Wander-Truppe. 
Sie  war  streng  und  stattlich; 
ihre  Stimme  hatte  viel  von  der 
Emphase,  diedieStimmen  ihrer 
Töchter  hatten.  Tüchtig  und 
hübsch. 


Stephen         Frances         Elisabeth  Charles 

Komiker  (Mrs.  Twiss)  (Mrs.Whitelock)  Schauspieler 
Schauspielerin 


Horace  Twiss 


X 

Mary  Frances  Siddons 

Vielversprechende 

Schauspielerin 


John    Fanny 
Unterstaatssekretär   englo-     (Mrs. 
im  Departement      säch-     Butler) 
des  Innern         sischer  Schau- 
Philo-  Spielerin 
löge       und 
Autorin 


Adelaide 

(Mrs. 
Sartoris ) 


358  Vergleich  der  Resultate. 

Es  wäre  wünschenswert  gewesen,  Tatsachen  über  Vererbung 
aus  China  zu  erfahren,  wo  das  Prüfungssystem  bekannt  streng  und 
weitreichend  ist,  und  hoffnungsvolle  Knaben  sicher  sind,  von  Stufe 
zu  Stufe  zu  kommen,  bis  sie  die  höchste  Höhe  erreicht  haben,  deren 
sie  fähig  sind.  Die  erste  Würde  des  Jahres  erhält  der  „Chuan- 
Yuan";  er  ist  der  Senior  -  wrangler  und  gleichzeitig  Senior  in 
klassischen  Studien  und  geht  aus  einer  Bevölkerung  von  400 
Millionen  hervor.  Sind  nun  die  Chuan-Yuans  je  miteinander  ver- 
wandt? Das  ist  die  Frage,  die  ich  stellte  und  auf  die  mir  ein 
Freund,  der  eine  hohe  Stellung  in  China  einnimmt,  Antwort  ver- 
sprach, die  mich  aber  bis  zu  dieser  Stunde,  wo  ich  diese  Zeilen 
schreibe,  nicht  erreicht  hat.  Ich  rückte  jedoch  eine  Frage  über 
diesen  Gegenstand  in  der  Hongkonger  Zeitung  „Notizen  und 
Fragen"  (August  1868)  und  fand  wenigstens  einen  Fall,  wo  eine 
Frau,  nachdem  sie  ein  Kind  geboren  hatte,  das  ein  Chuan-Yuan 
geworden  war,  von  ihrem  Mann  geschieden  wurde  und  wieder 
heiratete.  Sie  gebar  ihrem  zweiten  Mann  wieder  einen  Sohn, 
der  gleichfalls  ein  Chuan-Yuan  wurde. 

Ich  hege  das  größte  Vertrauen,  daß  wenn  eine  kompetente 
Person  die  Frage  nach  der  Vererbung  von  Anlagen  sorgfältig  in 
China  untersuchte,  dieses  Land  Schätze  von  Tatsachen  zutage 
fördern  würde.  Doch  stehen  diesen  Untersuchungen  beträcht- 
liche Schwierigkeiten  im  Wege,  einmal  die  geringe  Anzahl  von 
Qeschlechtsnamen  in  China  und  weiter  die  Notwendigkeit,  auf 
Perioden  zurückzugreifen  (und  es  gibt  ihrer  viele),  wo  die  Kor- 
ruption in  China  viel  weniger  verbreitet  war,  als  dies  heute  der 
Fall  ist. 

Die  Aufzeichnungen  über  die  Olympischen  Spiele  in  der 
Blütezeit  Griechenlands,  die  die  Hellenen  sorgsam  führten,  er- 
gäben sicherlich  ausgezeichnetes  Material  über  Vererbung;  aber 
sie  sind  leider  nicht  vorhanden.  Doch  finde  ich  in  ihrer  Ge- 
schichte einen  gelegentlichen  Umstand,  der  wert  ist,  in  Erinne- 
rung gebracht  zu  werden.  Es  scheint,  daß  ein  einziges  Beispiel 
einer  verheirateten  Frau  bekannt  ist,  die  es  gewagt  hat,  wäh- 
rend der  Spiele  zugegen  zu  sein,  obgleich  Todesstrafe  darauf  ge- 
setzt war.  Sie  wurde  aber  entschuldigt,  denn  ihr  Vater,  ihre 
Brüder  und  ihr  Sohn  waren  alle  Sieger. 


Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen. 

Ich  bin  jetzt  mit  dem,  was  ich  über  die  Verwandtschaft  des 
Individuums  zu  sagen  hatte,  zu  Ende  und  gehe  in  diesem  Kapitel 
zu  dem  Versuch  über,  mein  Thema  zu  erweitern  und  noch 
Nationen  und  Rassen  einer  Betrachtung  zu  unterwerfen. 

Jede  langbestehende  Rasse  hat  notwendig  ihre  spezielle 
Tauglichkeit  für  die  Bedingungen,  unter  welchen  sie  gelebt  hat, 
entsprechend  der  sicheren  Wirksamkeit  von  Darwins  Gesetz 
der  natürUchen  Auslese.  Jedoch  interessiert  mich  gegenwärtig 
nicht  der  größere  Teil  jener  Tauglichkeiten,  sondern  lediglich 
diejenigen,  die  in  der  einen  oder  anderen  Form  für  eine  hohe 
Zivilisation  vorteilhaft  sind.  Wir  können  mit  dem  Eintritt  einer 
Zeit  rechnen,  wo  die  Kultur,  die  heute  spärlich  und  schwach  und 
noch  weit  oberflächlicher  ist,  als  man  ihr  nachsagt,  den  Erd- 
ball überziehen  wird.  Und  dieser  Fall  wird  sicherlich  eintreten, 
denn  Kultur  ist  die  notwendige  Frucht  einer  hohen  Intelligenz, 
wenn  sie  sich  bei  einem  sozialen  Tier  findet,  und  es  gibt  keine 
deutlichere  Lehre,  die  man  der  Natur  vom  Gesicht  ablesen  kann, 
als  die,  daß  das  Resultat  der  Wirksamkeit  ihrer  Gesetze  dahin 
geht,  Intelligenz  in  Verbindung  mit  Soziabilität  hervorzurufen. 
Intelligenz  ist  für  ein  Tier  ein  ebensolcher  Vorteil  als  physische 
Kraft  oder  irgend  eine  andere  natürliche  Gabe,  und  daher  wird 
von  zw:ei  Spielarten  irgend  einer  Tiergattung,  die  in  anderer 
Beziehung  völlig  gleich  sind,  die  intelligentere  Spielart  im 
Kampf  ums  Dasein  sicherlich  den  Sieg  davontragen.  In  gleicher 
Weise  wird  unter  intelligenten  Tieren  die  sozialste  Rasse  sicher- 
lich den  Sieg  davongetragen,  wenn  die  anderen  Eigenschaften 
die  gleichen  sind. 

Selbst  unter  einer  sehr  mäßigen  Form  materieller  Kultur  ist 
eine  große  Anzahl  von  Fähigkeiten,  die  „durch  das  Überleben 
der  TaugHchsten"  und  die  reichliche  Zerstörung  der  Untauglich- 


3G0  Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen. 

keit  im  Verlaufe  von  hunderten  von  Generationen  erworbea 
wurden,  ebenso  obsolet  geworden  als  seit  der  Einrichtung  der 
Eisenbahnen  alte  Postwagen-Gewohnheiten  und  Sitten;  der  ge- 
ringste Versuch,  sie  zu  erhalten,  ist  nutzlos;  sie  sind  Hinder- 
nisse und  kein  Gewinn  für  die  Kultur.  Ich  werde  etwas  weiter 
unten  von  diesen  Fähigkeiten  sprechen,  jetzt  will  ich  mich  erst 
den  Eigenschaften  zuwenden,  die  in  einer  kulturellen  Gesell- 
schaft nötig  sind.  Allgemein  gesprochen  sind  es  diejenigen,  die 
eine  Rasse  instand  setzen,  ein  großes  Kontingent  zu  den  ver- 
schiedenen Gruppen  hervorragender  Menschen,  von  denen  ich 
in  meinen  verschiedenen  Kapiteln  gesprochen  habe,  zu  stellen. 
Ohne  so  weit  zu  gehen,  zu  sagen,  daß  dieser  sehr  passende  Prüf- 
stein völlig  einwandfrei  ist,  sind  wir  doch  auf  alle  Fälle  gerecht- 
fertigt, wenn  wir  einen  beträchtlichen  Gebrauch  davon  machen; 
ich  werde  mich  also  bei  den  Schätzungen,  die  ich  im  Begriffe  bin 
zu  geben,  danach  richten. 

Bei  einer  Vergleichung  des  W^ertes  der  verschiedenen  Rassen 
werde  ich  einen  häufigen  Gebrauch  des  Gesetzes  der  Abweichung 
von  einem  Durchschnitt  machen,  dem  ich  für  vieles  dankbar  sein 
muß.  Um  nun  die  Zeit  und  die  Geduld  des  Lesers  nicht  allzusehr 
in  Anspruch  zu  nehmen,  schlage  ich  eine  Voraussetzung  vor,  die 
die  Abgrenzung  eines  guten  Teils  der  Erörterung  fordern  wird 
und  bei  der  der  Leser  erst  verweilen  soll,  die  aber  in  einer  rohen 
provisorischen  Untersuchung  zu  keinerlei  bedeutenden  Fehlern 
führen  kann.  Ich  werde  voraussetzen,  daß  die  Intervalle 
zwischen  den  Fähigkeitsgraden  bei  allen  Rassen  die  gleichen 
sind,  d.  h.,  daß  wenn  die  Fähigkeit  der  Klasse  A.  einer  Rasse  der 
Fähigkeit  der  Klasse  C.  einer  anderen  Rasse  gleich  ist,  auch  die 
Fähigkeit  der  Klasse  B.  der  ersteren  derjenigen  der  Klasse  D.  der 
letzteren  gleich  ist  und  so  weiter.  Ich  weiß,  daß  dies  nicht  ganz 
richtig  sein  kann,  denn  es  wäre  der  Analogie  zum  Trotz,  wenn  die 
Variabilität  aller  Rassen  genau  die  gleiche  wäre,  andererseits  ha- 
ben wir  aber  guten  Grund  zu  erwarten,  daß  der  durch  diese  Vor- 
aussetzung eingeführte  Irrtum  die  Resultate  aus  freier  Hand,  für 
die  ich  ihn  allein  verwenden  will,  nicht  empfindlich  berühren  wird, 
überdies  werden  die  rohen  Daten;  die  ich  anführe,  sogar  die  Be- 
rechtigung dieser  Methode  zeigen. 

Vergleichen  wir  denn  die  Negerrasse  mit  der  Anglo- 
sächsischen  in  Bezug  auf  jene  Eigenschaften,  die  fähig  sind  Jud- 
ges,  Politiker,  Feldherren,  Literaten,  Mathematiker,  Naturwissen- 
schaftler,   Dichter,    Künstler    und   Theologen    hervorzubringen. 


Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen.  361 

Wenn  die  amerikanische  Negerrasse  nicht  von  sozialen  Un- 
fähigkeiten beeinflußt  wäre,  würde  ein  Vergleich  ihrer  Werke 
mit  denen  der  Weißen  in  ihren  verschiedenen  Zweigen  intellek- 
tueller Bestrebungen,  unter  Bezugnahme  auf  die  Gesamtzahl 
ihrer  respektiven  Bevölkerungen  die  notwendige  Information 
gewährleisten.  Wie  die  Dinge  liegen,  müssen  wir  uns  mit 
roheren  Daten  begnügen 

In  erster  Reihe  müssen  wir  uns  erinnern,  daß  die  Negerrasse 
gelegentlich,  aber  sehr  selten,  Männer  hervorgebracht  hat,  wie 
Toussaint  l'Ouverture,  die  unserer  Klasse  F.  entsprechen;  damit 
ist  gesagt,  daß  X.  oder  ihre  Qesamtklassen  über  Q.  hinaus  unserer 
Klasse  F.  zu  korrespondieren  scheinen,  wobei  sich  eine  Differenz 
von  nicht  weniger  als  zwei  Qraden  und  vielleicht  sogar  mehr 
zwischen  den  weißen  und  schwarzen  Rassen  zeigt. 

Weiter  müssen  wir  in  Betracht  ziehen,  daß  die  Negerrassen 
durchaus  nicht  völUg  Menschen  entbehren,  die  imstande  sind 
gute  Geschäftsführer,  gedeihliche  Kaufleute  und  anderes  zu 
werden,  also  Leute,  die  beträchtlich  über  dem  Durchschnitt  der 
Weißen  stehen,  d.h.  diese  Rasse  ist  imstande  nicht  selten  Menschen 
zu  stellen,  die  unserer  Klasse  C.  oder  selbst  D.  entsprechen.  Man 
möge  sich  erinnern,  daß  C  eine  Auslese  von  1  aus  16  darstellt, 
oder  etwas  mehr  als  die  natürUchen  Fähigkeiten,  die  ein  durch- 
schnittlicher Obmann  eines  Geschworenengerichts  besitzt  und 
daß  D.  gleich  1  zu  64  ist,  also  ein  Grad  von  Fähigkeit,  der  einen 
Menschen  sicherhch  dazu  bringt,  im  Leben  erfolgreich  zu  sein. 
Kurz  gesagt,  die  Klasse  E.  und  F.  der  Neger  können  im  großen 
ganzen  als  das  Äquivalent  unserer  Klassen  C.  und  D.  betrachtet 
werden,  ein  Resultat,  das  zu  dem  weiteren  Schluß  führt,  daß  der 
durchschnitthche  intellektuelle  Zustand  der  Neger  etwa  um  zwei 
Grade  tiefer  ist,  als  der  unsere. 

Drittens  können  wir,  wenn  auch  mit  großer  Vorsicht,  die 
relative  Stellung  der  Neger  in  ihrem  Heimatland  mit  derjenigen 
der  Reisenden  vergleichen,  die  sie  besuchen.  Die  letzteren  brin- 
gen ohne  Zweifel  das  Wissen  mit,  das  in  einem  zivilisierten  Lande 
üblich  ist,  aber  dies  ist  ein  weniger  wichtiger  Vorteil,  als  wir 
geneigt  sind  anzunehmen.  Ein  eingeborener  HäuptUng  hat  eine 
so  gute  Ausbildung  in  der  Regierungskunst  erhalten,  als  nur 
irrmier  wünschenswert  sein  kann;  er  übt  sich  konstant  in  per- 
sönlichem Herrschen  und  erhält  sich  in  seiner  Würde  gewöhnlich 
durch  die  Überlegenheit  seines  Charakters,  die  er  täglich  seinen 
Untertanen    und  Rivalen    gegenüber  zeigt.     Ein  Reisender  be- 


362  Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen. 

kleidet  in  wilden  Gegenden  gleichfalls  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  die  Stelle  eines  Feldherrn  und  hat  den  Häuptlingen  jedes 
bewohnten  Ortes  gegenüberzutreten.  Das  Resultat  ist  bekannt 
genug,  der  weiße  Reisende  behauptet  sich  ohne  Ausnahme  in 
ihrer  Gegenwart.  Wir  hören  selten  von  dem  Zusammentreffen 
eines  weißen  Reisenden  mit  einem  schwarzen  Häuptling,  wobei 
der  letztere  sich  als  der  bessere  Mann  erweist.  Ich  habe  über 
diesen  Gegenstand  oft  mit  kompetenten  Personen  gesprochen 
und  kann  mich  nur  auf  wenige  Fälle  besinnen,  wo  sich  der  Weiße 
inferior  zeigte,  sicherlich  nicht  mehr  als  einem  Durchschnitt  tat- 
sächlicher Differenzen  von  drei  Graden  zugeschrieben  werden 
kann,  wovon  der  eine  auf  die  relativen  Fehler  der  einheimischen 
Erziehung  und  zwei  auf  eine  Differenz  der  natürlichen  Begabung 
zurückzuführen  wären. 

Viertens  ist  die  Anzahl  der  Menschen,  die  wir  dumm  nennen, 
unter  den  Negern  sehr  groß.  Jedes  Buch,  das  von  Negerdienst- 
boten in  Amerika  spricht,  wimmelt  von  Beispielen.  Auf  mich 
selbst  machten  diese  Tatsachen  während  meiner  Reisen  durch 
Afrika  einen  großen  Eindruck.  Die  Irrtümer,  die  Neger  in  ihren 
eigenen  Angelegenheiten  begingen,  waren  so  kindisch  und  blöde, 
daß  ich  mich  oft  meiner  eigenen  Art  schämte.  Ich  glaube  nicht  zu 
übertreiben,  wenn  ich  sage,  daß  ihr  c  so  niedrig  ist  als  unser  e, 
was  eine  Differenz  von  zwei  Graden  ergeben  würde,  wie  vorhin. 
Ich  habe  keinerlei  Kenntnis  über  die  wirkliche  Idiotie  bei  Negern, 
ich  meine  natürlich  jene  Klasse  von  Idioten,  die  nicht  auf  Krank- 
heit zurückzuführen  ist. 

Der  australische  Typus  endlich,  ist  noch  um  einen  Grad 
tiefer,  als  der  afrikanische  Neger.  Ich  besitze  ein  paar  brauch- 
bare Daten  über  die  natürliche  Befähigung  der  AustraHer,  aber 
sie  genügen  nicht,  um  den  Leser  zu  ihrer  Betrachtung  auf- 
zufordern. 

Der  Durchschnitt  der  Flachlandschotten  und  der  Bevölkerung 
aus  dem  nördlichen  England  ist  entschieden  eine  Gruppe  höheren 
Grades  als  die  gewöhnlichen  Engländer,  denn  die  Zahl  von  In- 
dividuen aus  diesen  beiden  ersten  Gruppen,  die  hervorragende 
Bedeutung  erlangt  haben,  ist  weit  größer,  als  wir  nach  der  ver- 
hältnismäßigen Zahl  der  Gesamtbevölkerung  dieser  Gegenden 
hätten  erwarten  können.  Die  gleiche  Superiorität  zeigt  sich  deut- 
lich bei  einem  Vergleich  der  Wohlhabenden  aus  der  Masse  der 
Bevölkerung.  Der  schottische  Arbeiter  ist  viel  weniger  ein 
stumpfes  Lasttier  als  der  Engländer  der  mittleren  Gegenden,  er 


Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen.  363 

macht  seine  Arbeit  besser  und  „lebt  sein  Leben"  überdies.  Die 
Bäuerin  von  Northumberland  verrichtet  alle  Tage  Feldarbeit, 
ohne  daß  die  Arbeit  sie  ruiniert,  im  Gegenteil,  sie  ist  als  Mäd- 
chen auf  ihre  geleistete  Arbeit  stolz,  und  wenn  sie  heiratet,  sorgt 
sie  gut  für  den  Wohlstand  ihres  Heims.  Es  ist  für  mich  überaus 
peinlich,  die  schmutzigen  armseligen  Gesichter  der  Mehrzahl 
der  Individuen,  namentlich  der  Frauen  zu  sehen,  denen  man  in 
London  und  anderen  rein  englischen  Städten  begegnet.  Ihre 
Lebensbedingungen  scheinen  für  ihre  Konstitutionen  zu  hart  und 
scheinen  sie  in  Degeneration  hinunterzustoßen. 

Die  befähigste  Rasse,  von  der  die  Geschichte  weiß,  sind  un- 
zweifelhaft die  alten  Griechen,  teils  weil  ihre  Meisterwerke  in 
den  verschiedenen  Richtungen  intellektueller  Tätigkeit  noch  un- 
übertroffen sind,  teils  weil  die  Bevölkerung,  die  die  Schöpfer 
dieser  Meisterwerke  hervorbrachte,  an  Zahl  sehr  gering  war. 
Von  den  verschiedenen  griechischen  Unterrassen  war  die  Be- 
völkerung von  Attika  die  befähigste,  und  sie  verdankt  ihre 
Superiorität  ohne  Zweifel  in  hohem  Maße  dem  folgenden  Um- 
stände. Athen  stand  Einwanderern  zwar  offen,  aber  nicht  unter- 
schiedslos, denn  sein  soziales  Leben  war  derart,  daß  nur  sehr 
befähigte  Menschen  daran  irgend  welches  Vergnügen  haben 
konnten,  andererseits  hatte  es  für  Menschen  der  höchsten  Be- 
fähigung und  Kultur  Vorzüge,  wie  keine  andere  Stadt.  So  schuf 
es  durch  ein  System  einer  teilweise  unbewußten  Auslese  einen 
prachtvollen  Schlag  menschlicher  Tiere,  der  im  Verlaufe  eines 
Jahrhunderts  —  nämlich  zwischen  530  und  430  v.  Chr.  —  die 
folgenden  14  berühmten  Menschen  hervorbrachte. 

Politikern  und  Feldherren  :ThemistokIes  (die  Mutter  war  eine 
Politiker  und  Feldherren:  Themistokles  (die  Mutter  war  eine 
Fremde),  Miltiades,  Aristides,  Cimon  (S'ohn  des  Miltiades),  Pe- 
rikles  (Sohn  des  Xanthippus,  des  Siegers  von  Mycale).  Literaten 
und  Wissenschaftler:  Thukydides,  Sokrates,  Xenophon,  Plato. 
Dichter:  Aesch3dus,  Sophokles,  Euripides,  Aristophanes.  Bild- 
hauer: Phidias. 

Wir  sind  imstande,  eine  ziemlich  genaue  approximative 
Schätzung  der  Bevölkerung  vorzunehmen,  die  diese  Männer 
hervorgebracht  hat,  da  die  Anzahl  der  Bewohner  Attikas  bereits 
häufig  untersucht  wurde  und  die  Kritiker  sich  endlich  über  die 
allgemeinen  Resultate  so  ziemlich  geeinigt  zu  haben  scheinen. 
Es  scheint,  daß  das  kleine  Gebiet  von  Attika  zur  Zeit  seiner 
höchsten  Blüte  (Smith:  Klass.  Geograph.  Lexikon)  weniger  als 
90  000  eingeborene  freie  Personen,  40  000  einwohnende  Fremde 


364  Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen. 

und  eine  Ackerbau  und  Handwerk  treibende  Sklavenbevölkerung 
von  400  000  Mann  zählte.  Die  erste  Ziffer  ist  die  einzige,  die  uns 
hier  interessiert,  nämlich  die  90  000  freien  Einheimischen.  An- 
dererseits nähert  sich  die  allgemeine  Anschauung,  daß  eine  Be- 
völkerung sich  im  Laufe  eines  Jahrhunderts  dreimal  erneuert, 
stark  der  Wahrheit  und  kann  im  gegenwärtigen  Falle  von  uns 
angenommen  werden.  Folglich  haben  wir  mit  einer  Totalbevöl- 
kerung von  270  000  freigeborenen  Personen  zu  rechnen  oder  mit 
135  000  Männern,  die  in  dem  genannten  Jahrhundert  geboren 
wurden.  Von  diesen  wieder  wird  etwa  die  Hälfte,  oder  67  500, 
das  Alter  von  26  Jahren  überleben  und  ein  Drittel  oder  45  000 
das  von  50.  Da  14  Athener  berühmt  wurden,  ist  die  Auslese  nur 
1  zu  4  822  in  bezug  auf  die  erstere  Abgrenzung  und  1  zu  3214  in 
bezug  auf  die  letztere.  Gehen  wir  auf  die  Tafel  auf  Seite  33 
zurück,  so  finden  wir,  daß  dieser  Auslesegrad  sehr  gut  der  Klasse 

F.  (1  von  4300)  und  darüber  des  athenischen  Volkes  entspricht. 
Andererseits  hat  man,  da  Q.  ein  Sechzehntel  oder  ein  Sieb- 
zehntel von  F.  beträgt,  Grund  anzunehmen,  unter  den  vierzehn 
einen  aus  der  Klasse  C.  zu  finden,  wir  begegnen  unter  den  ge- 
nannten 14  zufällig  drei  oder  sogar  vier  aus  dieser  Klasse,  Pe- 
rikles,  Sokrates,  Plato  und  Phidias. 

Versuchen  wir  jetzt,  die  Norm  der  Fähigkeit  in  Athen  mit  der 
unserer  Rasse  und  unserer  Zeit  zu  vergleichen.  V/ir  haben  keine 
Männer,  die  wir  Sokrates  oder  Phidias  an  die  Seite  stellen 
können,  denn  die  Bevölkerungsmillionen  von  ganz  Europa  haben 
unter  ihrer  ganzen  Zucht  der  nächsten  2000  Jahre  nicht  ihres- 
gleichen hervorgebracht.  Sie  sind  also  zwei  oder  drei  Grade 
höher  als  unser  Q.,  man  könnte  sie  als  I.  oder  J.  einreihen.  Aber 
setzen  wir  einmal  voraus,  daß  wir  sie  gar  nicht  einbeziehen, 
sagen  wir,  irgend  eine  Laune  der  Natur  sei  damals  gerade  wirk- 
sam gewesen  und  habe  sie  hervorgebracht,  was  sollen  wir  zu 
dem  Rest  sagen?  Perikles  und  Plato  müßten  wir  meiner  Ansicht 
nach  so  einreihen,  daß  der  eine  unter  den  größten  philosophischen 
Politikern  stünde,  der  andere  wenigstens  neben  Lord  Bacon.  Sie 
würden  daher  etwa  zwischen  unseren  unklassifizierten  X.  stehen, 
ein  oder  zwei  Grade  über  G.,  sagen  wir  zwischen  H.  und  I.  Alle 
übrigen,  die   F.   des   athenischen   Volkes,  würden   über   unserm 

G.  stehen,  gleich  unserm  H.  oder  höher.  Es  folgt  aus  all  dem, 
daß  die  Durchschnittsfähigkeit  der  Athener  bei  einer  möglichst 
niedrigen  Schätzung,  doch  noch  um  zwei  Grade  höher  ist,  als 
unsere  eigene,  d.  h.  die  Athener  stehen  um  so  viel  höher  als  wir, 


Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen.  365 

als  die  afrikanischen  Neger  unter  uns.  Diese  Schätzung,  die 
manchen  sonderbar  erscheinen  wird,  ist  durch  die  lebhafte  Intel- 
ligenz und  die  hohe  Kultur  der  Gesamtheit  des  athenischen  Volkes 
bestätigt,  vor  der  literarische  Werke  von  einem  weit  strengeren 
Charakter,  als  der  Durchschnitt  unseres  Volkes  schätzen  könnte, 
rezitiert  und  Kunstwerke  ausgestellt  wurden.  Wogegen  das  Maß 
an  InteUigenz  unserer  Durchschnittsbevölkerung  leicht  mit  einem 
flüchtigen  BUck  auf  das  Schaufenster  einer  Bahnhofs-Buchhand- 
lung gemessen  werden  kann. 

Wir  wissen  und  mutmaßen  vielleicht  noch  mehr,  warum 
dieses  wunderbar  begabte  Volk  zu  Grunde  ging.  Die  soziale  Mo- 
ral wurde  eine  außerordentlich  laxe;  die  Ehe  wurde  unmodern, 
und  man  vermied  sie;  viele  der  ehrgeizigen  und  gebildeten  Frauen 
wurden  ausgesprochene  Kurtisanen  und  folglich  unfruchtbar, 
während  die  Mütter  der  heranwachsenden  Bevölkerung  aus  einer 
heterogenen  Klasse  stammten.  In  einem  kleinen  Küstenlande, 
wo  Ein-  und  Auswanderung  ständig  vor  sich  gehen  und  wo  die 
Sitten  so  ausschweifend  sind,  wie  in  der  Zeit  Griechenlands,  von 
der  ich  jetzt  spreche,  muß  die  Reinheit  der  Rasse  notwendig 
schwinden.  Es  kann  uns  daher  nicht  verwundern,  wenn  es  auch 
ein  schweres  Unglück  für  die  Menschheit  ist,  daß  die  hohe  athe- 
nische Zucht  abnahm  und  zuletzt  verschwand,  denn  hätte  sich 
dieses  Volk  auf  seiner  ausgezeichneten  Höhe  gehalten,  hätte  es 
sich  vermehrt  und  über  große  Gegenden  verbreitet,  also  inferiore 
Völker  verdrängt  (was  es  leicht  hätte  tun  können,  da  es  von  Natur 
aus  sehr  fruchtbar  war),  so  hätte  es  auch  sicherlich  für  die 
menschhche  Kultur  vorteilhafte  Resultate  erreicht  und  zwar  in 
einem  Grade,  der  heute  selbst  die  Kraft  unserer  Einbildungs- 
kraft übersteigt. 

Wenn  wir  die  Durchschnittsnorm  unserer  Rasse  nur  um  einen 
Grad  erhöhen  könnten,  welche  gewaltige  Veränderungen  würden 
wir  damit  erreichen!  Die  Anzahl  der  Menschen  von  natürlicher 
Begabung,  ebenso  die  hervorragenden  Menschen  unserer  Zeit 
würde  notwendig  mehr  als  zehnfach  steigen,  wie  man  aus  der 
vierten  Kolonne  der  Tafel  auf  Seite  33  ersehen  kann;  denn  wir 
hätten  2423  solcher  Menschen  auf  je  eine  Million,  statt  nur  233 
wie  heute;  aber  noch  viel  wichtiger  für  den  Fortschritt  der  Kul- 
tur wäre  der  Zuwachs  an  Intelligenzen  noch  höherer  Ordnung. 
Wir  wissen,  wie  eng  der  Gang  der  Ereignisse  von  den  Ideen 
einiger  berühmter  Menschen  abhängt.  Wenn  die  erstklassigen 
Menschen    in    den  verschiedenen  Gruppen    nie  geboren  wären. 


366  Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen. 

selbst  wenn  nur  jene  unter  ihnen,  die  ich  infolge  ihrer  vererbten 
Begabung  in  diesem  Buch  behandelt  habe,  nicht  existiert  hätten, 
wäre  auch  die  Welt  etwas  ganz  anderes  als  sie  ist.  Nun  zeigt 
uns  unsere  Tafel,  daß  die  Anzahl  dieser  Menschen,  die  den 
höchsten  Grad  an  Intelligenz  repräsentieren,  dann  in  einem  noch 
viel  grösseren  Verhältnis  anwüchsen,  als  diejenigen,  von  denen 
ich  gesprochen  habe;  so  würden  die  Menschen,  die  jetzt  in  der 
Klasse  Q.  stehen,  siebzehnmal  an  Zahl  gewinnen,  wenn  die 
Durchschnittsfähigkeit  des  ganzen  Volkes  um  einen  einzelnen 
Grad  stiege.  Wir  ersehen  aus  der  Tafel,  daß  ganz  England 
(natürlich  im  Durchschnitt  der  verschiedenen  Jahre)  nur  sechs 
Menschen  im  Alter  zwischen  dreißig  und  achtzig  zählt,  deren 
natürliche  Begabung  die  Klasse  G.  übersteigt;  aber  in  einem 
Lande  mit  der  gleichen  Bevölkerung,  dessen  Durchschnitt  um 
einen  Grad  höher  wäre,  gäbe  es  82  solcher  Männer,  und  in  einem 
andern,  dessen  Durchschnitt  um  zwei  Grade  höher  wäre  (wie  ich 
glaube,  daß  es  bei  den  Athenern  zwischen  530  und  430  vor  Chr. 
der  Fall  war)  nicht  weniger  als  1355.  Es  ist  nicht  unwahr- 
scheinHch,  daß  ein  so  begabter  Schlag  auch  imstande  ist,  sich  zu 
halten,  wie  das  richtig  verstandene  Beispiel  der  Athener  ge- 
nügend bewiesen  hat  und  wie  es  auch  durch  das  bewiesen  wird, 
was  ich  über  die  Judges  dargelegt  habe,  deren  Fruchtbarkeit 
nicht  zu  bezweifeln  ist,  obgleich  der  Durchschnitt  ihrer  natürlichen 
Begabung  F.  ist  oder  51/2  Grad  über  unserem  eigenen  Durch- 
schnitt und  31/2  Grad  über  dem  allgemeinen  Durchschnitt  der 
Athener. 

Es  scheint  mir  von  höchster  Wichtigkeit  für  die  Wohlfahrt 
der  künftigen  Generationen,  daß  die  durchschnittliche  Fähigkeits- 
form der  Gegenwart  steigt.  Die  Zivilisation  ist  eine  neue  Be- 
dingung, die  durch  den  Lauf  der  Ereignisse  den  Menschen  aufer- 
legt wurde,  genau  so,  wie  in  der  Geschichte  der  geologischen 
Veränderungen  kontinuierUch  neue  Bedingungen  den  verschiede- 
nen Tierrassen  auferlegt  wurden.  Sie  bewirkten  entweder  eine 
Modifizierung  der  Natur  dieser  Rassen  durch  den  Prozess  der  na- 
türlichen Auslese,  wenn  nämlich  die  Veränderungen  genügend 
langsam  und  die  Rasse  genügend  geschmeidig  war,  oder  die  Zer- 
störung der  Rasse,  wenn  die  Veränderungen  zu  plötzlich  oder 
die  Rasse  zu  unnachgiebig  war.  Die  Anzahl  der  menschlichen 
Rassen,  die  unter  dem  Druck  der  Anforderungen  einer  eindringen- 
den Zivilisation  zu  Grunde  gegangen  sind,  gibt  uns  eine  furchtbare 
Lehre.    Wahrscheinlich  hat  sich  in  keiner  früheren  Periode  der 


Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen.  367 

Welt  die  Zerstörung  irgend  welcher  Tierrassen  über  so  weite 
Gebiet  erstreckt  und  erfolgt  nie  mit  so  überraschender  Schnellig- 
keit, als  in  unserer  Zeit  die  Vernichtung  der  wilden  Völker.  Auf 
dem  nordamerikanischen  Kontinent,  auf  den  westindischen  Inseln, 
auf  dem  Kap  der  guten  Hoffnung,  in  Australien,  in  Neu-Seeland, 
in  Van  Diemensland  wurden  die  Bewohner  weiter  Gegenden  in 
der  kurzen  Zeit  von  drei  Jahrhunderten  völlig  hinweggerafft, 
weniger  durch  den  Druck  einer  kräftigeren  Rasse,  als  infolge  des 
Einflusses  einer  Zivilisation,  die  sie  nicht  imstande  waren  zu  er- 
tragen, und  auch  wir,  die  vornehmsten  Arbeiter  am  Werke  dieser 
Zivilisation  beginnen  uns  unfähig  zu  zeigen,  unserm  eigenen  Werk 
die  Stirne  zu  bieten.  Die  Bedürfnisse  der  Zentralisation,  Kom- 
munikation und  Kultur  verlangen  mehr  Gehirn  und  geistige  Kraft, 
als  der  Durchschnitt  unseres  Volkes  besitzt.  Wir  haben  ein 
schreiendes  Bedürfnis  nach  einem  größeren  Fonds  an  Fähigkeit 
in  allen  Lebensberufen;  denn  weder  die  Gruppen  der  Politiker, 
der  Philosophen,  der  Handwerker,  noch  der  Arbeiter  sind  auf  der 
Höhe  der  modernen  Komplexität  ihrer  verschiedenen  Berufe. 
Eine  ausgebreitete  Zivihsation  wie  die  unsrige  umfaßt  rrfehr  In- 
teressen als  die  gewöhnlichen  PoHtiker  oder  Philosophen  unserer 
gegenwärtigen  Rasse  zu  umfassen  imstande  sind,  und  sie  bean- 
sprucht mehr  intelHgente  Arbeit  als  unsere  gewöhnlichen  Hand- 
werker und  Arbeiter  imstande  sind  zu  verrichten.  Unsere  Rasse 
ist  überlastet,  und  sie  scheint  durch  Anforderungen,  die  ihre  Kräfte 
übersteigen,  in  Degeneration  hinuntergestoßen  zu  werden.  Wenn 
ihre  Durchschnittsfähigkeit  um  ein  oder  zwei  Grade  stiege,  wür- 
den unsere  neuen  Klassen  F.  und  G.  alle  Angelegenheiten  des 
Staates  zu  Hause  und  auswärts  erledigen  und  zwar  ebenso  leicht 
als  unsere  jetzigen  F.  und  G.,  wenn  sie  in  der  Stellung  von  großen 
Landedelherren  fähig  sind  die  Geschäfte  ihrer  Einrichtungen  und 
der  Pächterschaft  zu  führen.  Ebenso  wären  in  gleicher  Weise  alle 
anderen  Klassen  zu  der  Leistungshöhe  emporgehoben,  die  das 
neunzehnte  Jahrhundert  verlangt,  wenn  die  Durchschnittsnorm 
der  Rasse  stiege. 

Wenn  die  Härte  des  Kampfes  ums  Dasein  für  die  Kräfte  eines 
Volkes  nicht  zu  groß  ist,  so  ist  seine  Wirksamkeit  gesund  und 
erhaltend,  im  entgegengesetzten  Fall  ist  sie  totbringend;  ein  Bei- 
spiel dafür  ist  die  dürftige,  ärmliche  Vegetation,  die  eine  unsichere 
Existenz  nahe  an  die  Sommerschnee-Grenze  der  Alpen  führt 
und  etwas  höher  hinauf  gänzlich  verschwindet.  Wir  brauchen 
so  viel  Rückgrat,  als  wir  nur  erlangen  können,  um  den  Ansturm 


368  Der  relative  Wert  verschiedener  Rassen. 

ZU  ertragen,  dem  wir  von  nun  ab  ausgesetzt  sind  und  so  gute  Qe- 
hirne  als  nur  möglich,  um  Maschinen  zu  ersinnen,  die  glatter  und 
ungehinderter  arbeiten,  als  dies  heute  der  Fall  ist.  Wir  können 
die  Natur  des  Menschen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  dem 
Niveau  emporheben,  das  neue  Bedingungen  seiner  Existenz 
fordert,  und  wir  können  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die 
Bedingungen  seiner  Natur  anpassen.  Es  ist  klar,  daß  beide 
Mächte  in  Bewegung  gesetzt  werden  müssen,  um  seine  Natur  und 
die  Bedingungen  seiner  Existenz  in  eine  möglichst  enge  Har- 
monie zu  bringen. 

Je  mehr  sich  die  Welt  mit  Menschen  füllt,  umso  verwickelter 
gestalten  sich  auch  die  Verhältnisse  innerhalb  der  Gesellschaft, 
während  die  nomadische  Tendenz,  die  sich  noch  bei  den  meisten 
Barbaren  findet,  diesen  neuen  Bedingungen  unangemessen  sein 
wird.  Über  den  Grund  der  Unfähigkeit  wilder  Völker  der  Zi- 
vilisation gegenüber  herrscht  unter  den  Schriftstellern,  die  sich 
mit  diesen  Jäger-  und  Wandervölkern  beschäftigen,  eine  unge- 
wöhnliche Übereinstimmung.  Sie  erzählen  uns,  daß  diese  Völker 
bei  der  Berührung  mit  einer  vorgeschrittenen  Kolonisation  unbe- 
dingt zu  Grunde  gehen.  Sie  sagen  uns,  daß  die  Arbeit  dieser 
Menschen  weder  konstant  noch  regelmäßig  ist;  daß  die  Liebe  zu 
einem  unabhängigen  Wanderleben  sie  hindert  sich  irgendwo  zu 
einer  Arbeit  niederzulassen,  außer  für  kurze  Zeit,  wenn  die  Not 
sie  zwingt  oder  eine  freundliche  Behandlung  sie  ermutigt. 
Meadows  erzählt,  daß  die  Chinesen  die  barbarischen  Völker  an 
ihren  Grenzen  mit  einer  Phrase  bezeichnen,  die  besagt:  „Hin  und 
her,  nicht  fest."  Und  von  einer  gewissen  Evidenz  des  Beweises 
ist  es  auch,  zu  zeigen,  wie  tief  Bohemiens-Gewohnheiten  der  einen 
oder  andern  Art  in  der  Natur  der  Menschen  Hegen,  die  die  meisten 
Teile  der  Erde  bewohnen,  die  heute  von  der  anglosächsischen 
und  anderen  zivilisierten  Rassen  besetzt  sind.  GlückHcherweise 
ist  noch  Platz  für  Abenteuer  vorhanden,  und  ein  Mann,  der  die 
Begierde  eines  abenteuerlichen  schwärmerischen  Geistes  so  stark 
werden  fühlt,  daß  er  ihr  nicht  widerstehen  kann,  kann  noch  einen 
legitimen  Ausweg  in  den  Kolonien,  in  der  Armee  oder  an  Bord 
eines  Schiffes  finden.  Aber  solch  ein  Geist  ist  im  großen  ganzen 
ein  Erbstück,  das  mehr  ungeduldige  Rastlosigkeit  und  Flügel- 
schlagen gegen  Käfigstangen  mit  sich  bringt,  als  Menschen  von 
zivilisierterem  Charakter  leicht  verstehen  können,  und  er  steht 
eigentlich  im  direkten  Kampf  gegen  den  modernen  Teil  unserer 
moralischen  Natur.  Ist  ein  Mensch  ein  reiner  Nomade,  so  braucht 


Der  vergleichende  Wert  verschiedener  Rassen.  369 

er  nur  nomadisch  zu  leben,  und  sein  Instinkt  ist  befriedigt;  aber 
kein  Engländer  des  neunzehnten  Jahrhunderts  ist  ein  reiner  No- 
made. Die  meisten  dieses  Typus  haben  auch  viele  zivilisierte 
Begierden  geerbt,  die  notwendig  verkümmern,  wenn  sie  ein 
Wanderleben  führen,  genau  so  wie  die  Wanderinstinkte  ver- 
kümmern, wenn  sie  daheim  bleiben.  Folglich  hat  ihre  Natur  Be- 
dürfnisse, die  einander  widersprechen  und  nie  befriedigt  werden 
können,  außer  durch  den  glücklichen  Zufall  einer  ausnahmsweisen 
Verkettung  von  Umständen.  Dieser  Widerspruch  ist  eine  ernst- 
liche Kalamität,  und  wenn  die  Abenteuerlust  in  der  Natur  unserer 
Rasse  bestimmt  ist,  auszusterben,  so  wird  dies  umsomehr  zum 
Glücke  der  Menschheit  beitragen.  Die  sozialen  Anforderungen 
des  englischen  Lebens  zerstören  diese  Lust  ständig.  Kein  Mensch, 
der  nur  stoß-  und  ruckweise  arbeitet,  ist  heutzutage  imstande  sein 
Leben  zu  erhalten;  denn  er  hat  keinerlei  Chance  im  Wettkampf 
mit  einem  ständigen  Arbeiter  auszuhalten.  Wenn  seine  Natur  sich 
gegen  dieMonotonie,  die  tägliche  Arbeit,  empört,  wird  erverführt  ins 
Wirtshaus  zu  gehen,  unmäßig  zu  werden,  vielleicht  auch  zur  Wild- 
dieberei und  anderen  ernsten  Verbrechen;  er  verbannt  sich  selbst 
aus  unseren  Grenzen.  Im  ersteren  Falle  ist  er  unfähig,  ebenso- 
viele  Kinder  aufzuziehen,  als  Menschen  mit  häuslicheren  und  der 
Ehe  geneigteren  Gewohnheiten,  im  zweiten  Falle  geht  sein  Schlag 
lür  England  ganz  verloren.  Durch  diese  ständige  Vernichtung  des 
Abenteurergeistes  in  unserer  Rasse,  wird  der  handwerksmäßige 
Teil  unserer  Bevölkerung  langsam  für  seine  Aufgabe  erzogen,  und 
die  primären  Qualitäten  des  typischen  modernen  englischen  Ar- 
beiters bilden  schon  das  Gegenteil  des  Nomaden.  Was  sie  jetzt 
sind,  beschreibt  Chadwick  gut  als  „eine  große  Körperkraft,  dii^ 
unter  dem  Kommando  eines  ständig  vorausschauenden  Willens, 
einer  geistigen  Selbstgenügsamkeit,  einer  Unempfindlichkeit  ge- 
gen äußere  irrelevante  Eindrücke  steht,  was  ihnen  die  fortwäh- 
rende Wiederholung  einer  ermüdenden  Arbeit,  die  „ständig  ist 
wie  die  Zeit",  ermögUcht. 

Es  ist  seltsam,  wie  unwichtig  für  die  moderne  Zivilisation 
die  einst  berühmten,  wie  Vollblutnormannen  aussehenden  Typen, 
geworden  sind.  Diese  Gesichtsbildung,  die  wahrscheinlich  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  mit  der  spezifisch  normannischen  Form 
emer  Abenteurernatur  verbunden  ist,  ist  für  unsere  Herrscher 
nicht  mehr  charakteristisch  und  findet  sich  nur  noch  selten  unter 

G  a  1 1  o  n  ,  Genie  und  Vererbung.  24 


370  Der  vergleichende  Wert  verschiedener  Rassen. 

den  Berühmtheiten  unserer  Zeit;  man  trifft  diesen  Typus  jetzt  häu- 
figer unter  den  unbedeutenden  Mitgliedern  hochgeborener  Fa- 
milien und  namentHch  unter  den  weniger  bemerkenswerten 
Offizieren  der  Armee.  Die  modernen  Führer  auf  allen  Wegen, 
die  zu  hervorragender  Bedeutung  führen,  sind  von  gröberem  und 
robusterem  Schlag,  eine  Tatsache,  von  der  man  sich  leicht  aus 
einer  Photographiensammlung  überzeugen  kann;  sie  sind  weniger 
ungestüm  und  reizbar,  aber  mit  weit  mehr  Rauheit  und  wirk- 
licher Kraft  ausgestattet.  Das  gleiche  findet  man  bei  der  deut- 
schen Bevölkerung  Österreichs,  diese  Menschen  sind  anscheinend 
von  viel  besserer  Rasse  als  die  Preußen,  die  so  unansehnlich  sind, 
daß  es  unangenehm  ist  von  Wien  nordwärts  zu  reisen  und  den 
Unterschied  zu  beobachten;  doch  scheinen  die  Preußen  größere 
moralische  und  physische  Ausdauer  zu  besitzen. 

Noch  weit  fremder  als  der  nomadische  Habitus  ist  dem 
Qenius  einer  aufgeklärten  Zivilisation  die  impulsive,  unkontrol- 
lierte Natur  des  Wilden.  Ein  zivilisierter  Mensch  muß  tragen 
und  vorbeugen,  seinem  Geist  müssen  die  Ansprüche  des  morgigen 
Tages  so  klar  gegenwärtig  sein,  als  die  des  Augenblicks;  des 
Vergangenen  wie  des  Gegenwärtigen.  Unter  den  neuen  Bedingun- 
gen, die  die  Zivilisation  dem  Menschen  auferlegt,  ist  dies  die 
schwerste,  und  diese  ist  es  auch,  die  es  andern  als  Ausnahmena- 
turen unter  den  Wilden  unmöglich  macht  in  der  Zivilisation  zu  le- 
ben. Die  Instinkte  eines  Wilden  sind  von  bewunderungswürdiger 
Übereinstimmung  mit  den  Bedürfnissen  seines  Lebens,  jeden  Tag 
ist  er  infolge  vorübergehender  Ursachen  in  Gefahr;  er  lebt  von 
der  Hand  in  den  Mund,  in  den  Tag  und  für  den  Tag,  ohne  Sorge 
für  die  Vergangenheit  oder  Fürsorge  für  die  Zukunft;  aber  ein 
solcher  Instinkt  ist  im  ziviHsierten  Leben  durchaus  ein  Mangel.  Der 
halbgezähmte  Wilde,  der  unfähig  ist,  sich  mit  mehr  Gegenständen 
zu  beschäftigen  als  direkt  vor  ihm  sind,  begeht  fortwährend 
aus  bloßer  Ungeschicklichkeit  und  Unfähigkeit  Handlungen,  die 
ihm  später  schweren  Kummer  und  Verdruß  bringen.  Seinem  un- 
disziplinierten Sinn  für  moralische  Perspektive  scheinen  die  nähe- 
ren Beweggründe  stets  unvergleichlich  größer,  als  andere  von  der 
gleichen  Wichtigkeit,  die  aber  entfernter  sind;  wenn  er  also  dem 
Reiz  des  Augenblicks  nachgegeben  hat  und  andererseits  die  bit- 
teren Resultate  ihm  später  bewußt  werden,  ist  der  Mann  ver- 
drießlich, und  seine  frühere  Schwäche  bereitet  ihm  Gewissens- 


Der  vergleichende  Wert  verschiedener  Rassen.  371 

bisse.  Es  scheint  kaum  glaublich,  daß  er  gestern  getan  hat,  was 
heute  so  verrückt,  so  ungerecht,  so  ungültig  aussieht.  Der  neuge- 
zähmte Barbar  mit  der  impulsiven,  unsteten  Natur  des  Wilden  ist 
mehr  als  alle  anderen  Menschen  vom  Bewußtsein  der  Sünde 
niedergedrückt,  selbst  wenn  er  das  Glück  hat  mit  einem  besonders 
edlen  und  liebevollen  Gemüt  ausgestattet  zu  sein. 

Es  ist  nun  eine  richtige  Behauptung  und  ein  häufiges  Thema 
der  MoraHsten  vieler  Glaubenslehren,  daß  der  Mensch,  wie  wir 
ihn  finden,  mit  einer  unvollkommenen  Natur  geboren  ist.  Er  hat 
erhabene  Bestrebungen,  aber  sein  Gemüt  hat  Schwächen,  die  ihn 
unfähig  machen  seine  edleren  Vorsätze  in  Taten  umzusetzen. 
Er  sieht,  daß  eine  gewisse  Art  von  Handlungen  seine  PfUcht  und 
sein  Heil  wären,  aber  seine  Neigungen  sind  niedrig  und  wankel- 
mütig und  stimmen  nicht  mit  seinem  besseren  Urteil  überein. 
Die  ganze  moralische  Natur  des  Menschen  ist  von  Sünde  befleckt, 
und  sie  hindert  ihn  die  Dinge  zu  tun,  von  denen  er  weiß,  daß 
sie  recht  sind. 

Meine  Erklärung  dieser  scheinbaren  Anomalie  ist  von  einem 
wissenschaftlichen  Standpunkt  aus  vollkommen  befriedigend.  Es 
ist  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  die  Entwicklung  unserer 
Natur,  welche  unter  dem  Gesetz  von  Darwins  natürlicher  Aus- 
lese oder  infolge  der  Änderung  der  Sitten  der  Ahnen  mit  der 
Entwicklung  unserer  moralischen  Zivilisation  noch  nicht  Schritt 
gehalten  hat.  Der  Mensch  war  gestern  noch  ein  Bar- 
bar, und  man  kann  nicht  erwarten,  daß  die  natürlichen  Nei- 
gungen seiner  Rasse  sich  schon  seinem  Fortschritt,  der 
neuesten  Datums  ist,  angepaßt  haben.  Wir  Menschen  der  gegen- 
wärtigen Jahrhunderte,  sind  wie  Tiere,  die  plötzhch  unter  neue 
klimatische  und  Nahrungsbedingungen  gesetzt  sind,  unsere  In- 
stinkte lassen  uns  unter  den  veränderten  Verhältnissen  in  Stich. 

Meine  Theorie  wird  durch  die  Tatsache  bestätigt,  daß  bei 
MitgUedern  alter  Kulturen  eine  derartige  Inkonsequenz  zwischen 
ihrer  Natur  und  ihren  moralischen  Bedürfnissen  weniger  fühlbar 
ist  als  bei  Menschen,  die  erst  kürzHch  von  der  Barbarei  bekehrt 
wurden.  Das  Gewissen  eines  Negers  ist  über  seine  eigene  wilde 
impulsive  Natur  entsetzt,  und  so  wird  sie  von  einem  Missionar 
leicht  gerührt,  aber  es  ist  kaum  möglich  das  Selbstbehagen  eines 
soUden  Chinesen  aufzuscheuchen. 

2  t* 


372  Der  vergleichende  Wert  verschiedener  Rassen. 

Nach  meiner  Theorie  besteht  der  Sinn  der  Erbsünde  also 
nicht  darin,  daß  der  Mensch  von  einer  hohen  Stufe  fiel,  sondern 
daß  er  in  moralischer  Kultur  raschere  Fortschritte  gemacht  hat, 
als  die  Natur  seiner  Rasse  folgen  konnte.  Meine  Ansicht  wird 
durch  den  Schluß  bestärkt,  der  sich  aus  jeden  der  vielen  von 
einander  unabhängigen  ethnologischen  Untersuchungen  ergibt, 
daß  die  menschliche  Rasse  anfangs  gänzlich  wild  war  und  daß  sie 
nach  Myriaden  von  Jahren  einer  darauf  folgenden  Barbarei  erst 
ganz  kürzlich  ihren  Weg  auf  den  Bahnen  der  Tugend  und  Zi- 
vilisation gefunden  hat. 


Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen. 

Ehe  wir  von  den  Einflüssen  sprechen,  die  die  natürhche  Be- 
fähigung und  IntelHgenz  der  Nationen  und  Rassen  bewirken,  muß 
ich  den  Leser  bitten,  sich  klar  zu  machen,  welche  Gründe  wir 
haben,  solche  Einflüsse  zu  erwarten.  Wie  weit  stimmt  es  mit 
aller  Analogie  und  Erscheinung  überein  zu  erwarten,  daß  die 
Kontrolle  über  die  Natur  der  zukünftigen  Generationen  ebenso 
stark  in  der  Macht  der  lebenden  ist,  wie  die  Gesundheit  und  das 
Wohlergehen  des  Individuums  in  der  Macht  der  Behüter  seiner 
Jugend  sind. 

Wir  sind  außerordentlich  unwissend  über  die  Gründe,  warum 
wir  existieren,  wir  hegen  bloß  das  Vertrauen,  daß  das  individuelle 
Leben  ein  Teil  eines  größeren  Systems  ist,  das  eifrig  vorwärts 
strebt,  Zielen  entgegen,  die  wir  nur  undeutlich  sehen  oder  die 
uns  auch  völlig  unbekannt  sind.  Verschiedene  Affinitäten  bringen 
dieses  Gesamtsystem  vorwärts;  die  Gefühle,  die  Intelligenzen, 
die  Neigungen  und  die  Begierden  ungezählter  Menschen,  die  ohne 
Aufhören  einander  auf  der  Bühne  des  Lebens  folgen. 

Nichts  scheint  einer  Rasse  einen  heiligeren  oder  außerordent- 
licheren Charakter  zuzuweisen,  als  den  Famihen  oder  Indivi- 
duen, aus  denen  sie  besteht.  Wir  wissen,  wie  wenig  die  Natur 
für  das  Leben  der  Individuen  besorgt  ist,  wir  haben  gesehen, 
wie  achtlos  sie  mit  hervorragenden  Familien  umgeht,  wie  sie  sich 
aufbauen,  blühen  und  absterben,  genau  das  gleiche  kann  man  von 
Rassen  und  der  Welt  selbst  sagen;  ebenso  durch  Analogie,  das 
gleiche  für  andere  Schauplätze  der  Existenz  annehmen,  als 
dieser  bestimmten  Planeten  einer  der  unzähligen  Sonnen.  Un- 
sere Welt  scheint  sich  bisher  nur  unter  dem  Einfluß  gedankenloser 
Affinitäten  entwickelt  zu  haben;  aber  schließHch  ist  der  Mensch, 
der  langsam  zu  einem  intelligenten,  menschhchen,  fähigen  Wesen 
heranwuchs,  auf  der  Bühne  des  Lebens  erschienen  und  hat  die 


374  Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen. 

Bedingungen  tief  verändert.  Er  ist  bereits  fähig  geworden,  für 
seine  eigenen  Interessen  in  einer  unvergleichlich  weitsichtigeren 
Weise  zu  sorgen,  als  in  der  alten  prähistorischen  Zeit  der  Bar- 
barei und  der  Feuersteinmesser,  er  ist  bereits  fähig,  nach  der  Er- 
fahrung der  Vergangenheit  zu  handeln,  sich  eng  mit  entfernten 
Gefährten  zu  verbinden  und  sich  für  zukünftige  Bedürfnisse  ein- 
zurichten, die  ihm  nur  infolge  seiner  Intelligenz  bekannt  sind, 
lange  ehe  er  ihren  Druck  fühlt.  Er  hat  einen  großen  Teil  von 
Zivilisation  und  Hygiene  eingeführt,  die  in  einem  ungeheuren 
Qrade  sein  eignes  Wohlergehen  und  das  seiner  Kinder  beein- 
flussen; es  bleibt  ihm  noch  übrig,  andere  Kräfte  in  Bewegung  zu 
bringen,  die  andere  natürliche  Gaben  seiner  Rasse  zur  Geltung 
bringen  sollen. 

Es  hätte  keinen  praktischen  nützlichen  Zweck,  wenn  ich 
die  Resultate  besprechen  wollte,  die  für  die  Bevölkerung  statt- 
finden könnten,  wenn  wir  uns  wieder  sozialen  Einrichtungen  zu- 
wendeten, wie  sie  in  Sparta  existierten.  Sie  sind  für  das  mo- 
derne Gefühl  so  fremd  und  abstoßend,  daß  es  nutzlos  ist,  irgend 
etwas  über  sie  zu  sagen.  Ich  werde  also  meine  Bemerkungen 
völlig  auf  Wirksamkeiten  beschränken,  die  schon  jetzt  tätig  sind 
und  über  die  man  ohne  Zögern  sprechen  kann. 

Ich  werde  Gelegenheit  haben  zu  zeigen,  daß  gewisse  Ein- 
flüsse das  durchschnittliche  Heiratsalter  verzögern,  während 
andere  es  beschleunigen,  und  der  allgemeine  Charakter  meiner 
Argumentation  wird  beweisen,  daß  auf  die  Durchschnittsfähigkeit 
einer  Rasse  mittels  dieser  Einflüsse  eine  ungeheure  Wirkung  er- 
zielt werden  kann.  Ich  werde  zeigen,  daß  die  weiseste  Staats- 
kunst die  ist,  welche  dahin  arbeitet,  das  durchschnittliche  Heirats- 
alter unter  den  schwächlichen  Klassen  zurückzuhalten  und  es 
unter  den  kräftigen  zu  beschleunigen;  während  zu  unserem  Un- 
glück der  Einfluß  zahlreicher  sozialer  Wirksamkeit  streng  und 
verderblich  nach  der  genau  entgegengesetzten  Seite  wirkt. 

Eine  Schätzung  der  Resultate  des  durchschnittlichen  Heirats- 
alters auf  das  Wachstum  irgend  einer  Abteilung  einer  Nation  ist 
daher  der  erste  Gegenstand,  der  eine  Untersuchung  erheischt. 
Jeder  Mensch  ist  bereit,  einzuräumen,  daß  wir  hier  mit  einem 
Element  zu  tun  haben,  das  sicherlich  irgend  ein  fühlbares  Resultat 
hervorbringt,  aber  nur  wenige  werden  die  wirkliche  Bedeutung 
dieses  Elements  vorwegnehmen  oder  geneigt  sein  zu  glauben, 
daß  seine  Resultate  einen  so  starken  und  unwiderstehlichen  Ein- 


Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen.  375 

fluß  auf  die  natürliche  Befähigung  eines  Volkes  haben,  als  ich  im- 
stande bin  zu  zeigen. 

Das  durchschnittliche  Heiratsalter  beeinflußt  die  Bevölkerung 
in  dreifacher  Beziehung.  Erstens  haben  diejenigen,  die  jung 
heiraten,  größere  FamiUen,  zweitens  produzieren  sie  in  einer  ge- 
gebenen Zeit  mehr  Generationen,  das  Wachstum  einer  frucht- 
baren Rasse,  die  sich  „geometrisch"  vermehrt,  wie  es  tatsäch- 
lich der  Fall  ist,  würde  daher  am  Ende  einer  langen  Periode 
durch  die  Gewohnheit  früher  Heiraten  stark  gefördert  sein,  und 
drittens  leben  unter  jenen  Rassen,  die  früh  heiraten,  mehr  Gene- 
rationen nebeneinander. 

Um  das  Gesamtresultat  dieser  drei  Einflüsse  zu  erklären, 
wird  es  das  beste  sein,  zwei  Beispiele  zu  wählen,  die  stark,  aber 
nicht  außergewöhnlich  auseinanderliegen.  Nehmen  wir  zwei 
Männer  an,  M  und  N,  jeder  etwa  22  Jahre  alt,  von  denen  also 
jeder  Aussichten  hat,  bis  zum  Alter  von  55  Jahren  oder  noch  33 
Jahre  zu  leben;  und  setzen  wir  weiter  voraus,  daß  M  sogleich 
heiratet  und  daß  seine  Nachkommen,  wenn  sie  das  gleiche  Aiter 
erreichen,  das  Gleiche  tun;  daß  aber  N  wartet,  bis  er  Geld  auf- 
gespeichert hat  und  daß  er  erst  mit  ?>?>  Jahren  heiratet,  d.  h.  also 
11  Jahre  später  als  M  und  daß  seine  Nachkommen  seinem  Bei- 
spiele folgen.  Machen  wir  weiter  die  beiden  sehr  gemäßigten 
Voraussetzungen,  daß  die  frühen  Heiraten  des  Geschlechtes  N 
in  der  nächsten  Generation  in  einem  Zuwachs  von  1^/^  zum  Aus- 
druck kommen  und  ebenso  in  der  Produktion  von  3%  Gene- 
rationen in  einem  Jahrhundert,  während  die  späten  Heiraten  des 
Geschlechts  N  in  der  nächsten  Generation  nur  in  einem  Zuwaclis 
von  IV4  zum  Ausdruck  kommen  und  in  2^^  Generationen  in  einem 
Jahrhundert. 

Man  wird  finden,  daß  ein  Zuwachs  von  W2.  in  jeder  Gene- 
ration, der  sich  im  Verlaufe  von  3%  Generationen  nach  dem 
Prinzip  der  Zinseszinsrechnungen  anhäuft,  etwas  mehr  als  ^V^ 
des  Originalbetrags  ausmacht,  während  ein  Zuwachs  von  I14 
im  Verlaufe  von  2V2  Generationen  kaum  so  viel  als  V*  des  ur- 
sprünglichen Betrages  ausmacht.  Folglich  wird  der  Zuwachs 
des  Geschlechts  M  am  Ende  eines  Jahrhunderts  im  Verhältnis 
von  18  zu  7  größer  sein  als  der  des  Geschlechts  N,  d.  h.  es  wird 
mehr  als  2%  so  groß  sein.  In  zwei  Jahrhunderten  wird  die 
Nachkommenschaft  von  M  sechsmal  und  in  drei  Jahrhunderten 
15mal  so  groß  sein  als  die  von  N. 

Die  Proportion,  in  der  die  Nachkommenschaft  von  M  zu  ir- 


376 


Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen. 


gend  einer  Zeit  zu  der  Gesamtzahl  der  lebenden  Bevölkerung 
steht,  ist  noch  viel  größer  als  jene,  da  die  Zahl  der  gleichzeitig 
lebenden  Generationen  von  M  größer  ist  als  die  Nachkommen- 
schaft von  N.  Der  Leser  wird  keinerlei  Schwierigkeiten 
in  der  Schätzung  der  Resultate  dieser  Bedingungen  finden, 
wenn  er  damit  anfängt,  die  Kinder  und  alle  anderen  Per- 
sonen unter  22  Jahren  wegzulassen,  und  wenn  er  auch 
noch  die  weitere  Voraussetzung  macht,  daß  die  Bevölkerung  in 
den  folgenden  Generationen  in  ihrer  Anzahl  stationär  bleibt.  Wir 
sind  in  dem  Falle  von  M  dahin  übereingekommen,  3%  Gene- 
rationen einem  Jahrhundert  zuzurechnen,  was  gegen  27  Jahre 
pro  Generation  ergibt;  denn,  wenn  einer  aus  diesem  Geschlecht 
22  Jahre  alt  ist,  wird  sein  Vater  (im  Durchschnitt  von  vielen 
Fällen)  um  21  Jahre  älter  oder  49  Jahre  alt  sein;  und  wenn  der 
Vater  bis  zu  55  Jahren  lebt,  wird  er  das  Eintreten  des  Sohnes 
in  das  Mannesalter  um  6  Jahre  überleben.  Folglich  werden  sich 
während  der  21  Jahre,  die  zwischen  zwei  Generationen  liegen, 
ein  reifes  Leben  während  der  ganzen  Periode  und  ein  anderes 
reifes  Leben  während  des  Zeitraums  von  6  Jahren  finden,  v/as 
für  die  Totalsumme  an  reifem  Leben  für  das  Geschlecht  M  eine 

()  +  -27        ,         33 


Zahl  ergibt,  die  durch  den  Bruch 


oder 


27 


ausgedrückt 


werden  kann.  Das  Diagramm  stellt  den  Verlauf  dreier  einander 
folgender  Generationen  des  Geschlechts  M  dar;  die  mittlere  Linie 
bezieht  sich  auf  jene  des  Individuums,  von  dem  ich  gerade  sprach, 
die  obere  ist  die  seines  Vaters,  die  untere  die  seines  Sohnes.  Die 
punktierte  Linie  bezeichnet  die  Lebenszeit  vor  dem  22sten  Jahr, 
die  Doppellinie  die  Durchschnittszeit  zwischen  seinem  zweiund- 
zwanzigsten Jahr  und  der  Geburt  seines  Sohnes;  die  dunkle 
Linie  ist  der  übrige  Teil  seines  Lebens. 


22 


5 

22 

Ein  Zeitraum 
von  27  Jahren 
zwischen  zwei 
Generationen 

6 

6 
5 

=■ 

I^^^^^^H 

5           22 

1         22 

22 

28 

^jHBI 

Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen. 


377 


Andererseits  wird  ein  Mann  aus  dem  Geschlecht  N,  das  nicht 
mehr  als  2^/2  Generationen  in  einem  Jahrhundert  aufweist,  wo 
also  40  Jahre  auf  eine  einzelne  Generation  kommen,  nicht  das 
22ste  Lebensjahr  (im  Durchschnitt  vieler  Fälle)  erreichen,  ehe 
sein  Vater  stirbt,  denn  sein  Vater  wird  40  Jahre  alt  sein,  wenn 
sein  Sohn  geboren  wird  und  stirbt  mit  55  Jahren,  wenn  der  Sohn 
also  erst  15  Jahre  alt  sein  wird.  Mit  anderen  Worten:  in  jeder 
Periode  von  18  +  15  +  7  oder  40  Jahren  werden  Männer  reifen 
Alters  aus  dem  Geschlecht  N  nur  18  +  15  oder  33  Jahre  leben, 
so  daß  die  Totalsumme  reifen  Lebens  des  Geschlechtes  N  durch 
den  Bruch  ^Vio  ausgedrückt  werden  kann. 


18 


15 


22 


Ein  Zeitraum  von 
40  Jahren   zwischen 
zwei  Generationen 


18 


15 


ra. 


Daraus  folgt,  daß  die  relative  Bevölkerung,  die  aus  den  Ge- 
schlechtern M  und  N  hervorgeht,  sich  wie  ^V27  zu  ^V4o  oder  wie 
40  zu  27*)  verhält,  was  nahezu  5  zu  3  bedeutet. 

Wir  haben  aus  Bequemlichkeit  unsere  Rechnung  unter  der 
Voraussetzung  gemacht,  daß  die  Bevölkerung  stationär  bleibt, 
aber  die  Resultate  unserer  Berechnungen  werden  in  allen  Fällen 
der  Wahrheit  nahekommen.  Denn  wenn  die  Bevölkerung  wächst, 
wird  die  größere  Anzahl  lebender  Nachkommen  der  verringerten 
Anzahl  lebender  Vorfahren  das  Gegengewicht  halten,  und  das 
Gegenteil  wird  eintreten,  wenn  die  Bevölkerung  abnimmt. 

Kombinieren  wir  das  obige  Verhältnis  von  5  zu  3  mit  dem 
vorhin  erhaltenen,  so  folgt  daraus,  daß  am  Ende  eines  Jahr- 
hunderts von  der  Zeit  ab  gerechnet,  wo  die  Geschlechter  M  und 
N  mit  der  gleichen  Anzahl  anfingen,    die  Proportion  des  Ge- 


*)  Eine  kurze  Betrachtung  des  Diagramms  wird  zeigen,  daß  die  frag- 
liche Proportion  unbedingt  im  umgekehrten  Verhältnis  zu  den  Intervallen 
zwischen  den  Generationen  stehen  wird,  die  im  gegenwärtigen  Falle  27  und 
40  Jahre  betragen. 


378  Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen. 

schlechtes  M  an  reiten  Männern  viermal  so  groß  sein  wird,  als 
jene  des  Geschlechtes  N,  zehnmal  so  groß  nach  Verlauf  von 
zweihundert  und  nicht  weniger  als  sechsundzwanzigmal  so  groß 
am  Ende  von  drei  Jahrhunderten. 

Ich  hoffe,  der  Leser  wird  den  schweren  Urteilsspruch  reali- 
sieren, den  diese  Ziffern  gegen  alle  Gruppen  fruchtbarer  Rassen 
aussprechen,  in  denen  es  Sitte  ist,  die  Ehe  über  das  mittlere  Alter 
hinauszuschieben.  Es  ist  eine  Maxime  von  Malthus,  daß  die 
Periode  der  Ehe  hinausgeschoben  werden  soll,  damit  nicht  die 
Erde  von  einer  Bevölkerung  überschwemmt  wird,  für  die  an  der 
großen  Tafel  der  Natur  kein  Platz  ist.  Wenn  diese  Doktrin  alle 
Klassen  in  gleicher  Weise  beeinflussen  würde,  würde  ich  an  dieser 
Stelle  nichts  darüber  in  der  einen  oder  anderen  Weise  zu  sagen 
haben,  denn  sie  würde  kaum  den  Gegenstand  berühren,  mit  dem 
dieses  Buch  sich  beschäftigt,  aber  da  sie  als  Regel  angeboten 
wird,  nach  welcher  sich  der  verständige  Teil  der  Menschheit 
richten  soll,  während  der  unverständige  notwendig  die  Freiheit 
hat,  diese  Regel  zu  mißachten,  zögere  ich  nicht  zu  sagen,  daß  diese 
Regel  für  die  Rasse  von  großem  Nachteil  ist.  Ihre  Folge  würde 
sein,  daß  die  Gruppe  der  Verständigen  nach  wenigen  Jahr- 
hunderten zu  einer  fast  unglaublich  geringen  Anzahl  gegenüber 
den  Unverständigen  zusammenschmelzen  würde.  Diese  Doktrin 
könnte  also  den  äußersten  Ruin  über  den  Menschenschlag  einer 
Gegend  bringen,  wo  sie  vorherrschen  würde.  Ich  protestiere  da- 
gegen, daß  man  die  befähigten  Geschlechter  in  dieser  Weise  er- 
mutigt, sich  vom  Kampf  ums  Dasein  abzuwenden.  Es  mag  furcht- 
bar erscheinen,  daß  die  Schwachen  von  den  Starken  zermalmt 
werden  sollen,  aber  es  ist  noch  viel  furchtbarer,  daß  die  Ge- 
schlechter, die  am  tauglichsten  sind,  ihre  Rolle  auf  der  Bühne 
des  Lebens  zu  spielen  von  den  Untauglichen,  Kränklichen  und 
Verzweifelten  majorisiert  werden  sollen. 

In  vielen  fernen  Jahren  wird  vielleicht  einmal  die  Zeit 
kommen,  wo  die  Bevölkerung  der  Erde  innerhalb  der  Grenzen 
der  Anzahl  und  Angemessenheit  der  Rassen  so  streng  gehalten 
sein  wird,  wie  die  Schafe  auf  einem  wohlgeordneten  Heideland 
oder  die  Pflanzen  in  einem  Treibhaus;  bis  dahin  wollen  wir  tun, 
was  in  unserer  Macht  steht,  um  die  Multiplikation  der  Rassen 
zu  fördern,  die  am  tauglichsten  sind,  eine  hohe  und  edle  ZiviU- 
sation  zu  erfinden  und  mit  ihr  übereinzustimmen;  statt  aus  einem 
irrigen  Instinkt  den  Schwachen  eine  Stütze  zu  reichen,  das  Auf- 
kommen kräftiger  und  frischer  Individuen  zu  hindern. 


Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen.  379 

Die  lange  Zeit  des  Mittelalters,  die  auf  Europa  gelastet  hat, 
ist,  glaube  ich,  in  einem  sehr  beträchtlichen  Grade  auf  das  Zölibat 
zurückzuführen,  das  die  reUgiösen  Orden  ihren  Jüngern  auf- 
erlegten. Die  sozialen  Bedingungen  der  Zeit  waren  derartig, 
daß,  wenn  immer  ein  Mann  oder  eine  Frau  eine  vornehme  Natur 
besaß,  die  sie  zu  Werken  der  Barmherzigkeit,  zur  Meditation,  zu 
Literatur  oder  Kunst  tauglich  machte,  sie  keine  andere  Zuflucht  als 
den  Schoß  der  Kirche  hatten.  Aber  die  Kirche  entschloß  sich, 
das  Zölibat  zu  predigen  und  streng  zu  verlangen.  Die  Folge 
war,  daß  diese  vornehmen  Naturen  keine  Nachkommenschaft 
hatten,  und  so  brutalisierte  die  Kirche  durch  eine  so  merkwürdig 
unweise  und  selbstmörderische  Politik,  daß  ich  kaum  ohne  Un- 
geduld von  ihr  sprechen  kann,  den  Schlag  unserer  Vorväter. 
Die  Kirche  handelte  genau  so,  als  wenn  es  ihr  beliebt  hätte,  den 
rohesten  Teil  der  Gemeinschaft  allein  zu  Eltern  der  kommenden 
Generationen  auszuwählen.  Sie  handhabte  die  Künste,  die 
Züchter  anwenden  würden,  die  es  heben  grausame,  bösartige  und 
stumpfe  Naturen  zu  züchten.  Kein  Wunder,  daß  das  Faustrecht 
jahrhundertelang  über  Europa  herrschte,  es  ist  eher  ein  Wunder, 
daß  noch  genug  Gutes  in  den  Adern  der  Europäer  verblieb,  um 
sie  fähig  zu  machen,  die  jetzige  noch  recht  mäßige  Höhe  natür- 
licher Moral  zu  erreichen. 

Ein  Rest  dieses  mönchischen  Geistes  haftet  noch  an  unseren 
Universitäten,  die  zu  jedem  Menschen,  der  derartige  intellektuelle 
Talente  zeigt,  daß  es  ein  Vergnügen  für  sie  sein  müßte,  ihn  zu 
ehren,  sagen:  „Wir  stellen  dir  ein  Einkommen  von  hundert  bis 
zweihundert  Pfund  jährlich  zur  Verfügung  mit  freier  Wohnung  und 
verschiedenen  Vorteilen  in  Bezug  auf  Kost  und  Gesellschaft,  wir 
geben  dir  das  alles  auf  Grund  deiner  Befähigung.  Nimm  es  und 
genieße  es  dein  Lebelang,  wenn  du  willst;  wir  legen  dir  keine 
anderen  Bedingungen  bezüglich  der  Fortdauer  auf,  als  die  eine, 
nämlich,  daß  du  nicht  heiratest." 

Die  Politik  der  religiösen  Welt  in  Europa  äußerte  sich  auch 
noch  nach  einer  anderen  Richtung  und  war  hier  von  nicht  weniger 
grausamen  Folgen  für  die  Natur  der  künftigen  Geschlechter. 
Tausende  von  erstklassigen  Denkern  und  Männern  von  politischen 
Fähigkeiten  wurden  auf  das  Schaffot  gebracht  oder  lange 
Jahre  ihres  Mannesalters  ins  Gefängnis  geworfen,  oder  sie 
mußten  als  Emigranten  in  andere  Länder  flüchten.  In  jedem 
dieser  Fälle  war  der  plötzliche  Schlag  für  ihre  übrigbleibende 
Nachkommenschaft    sehr    beträchtlich.     So   machte   die   Kirche, 


380  Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen. 

nachdem  sie  erst  die  vornehmen  Naturen  gefangen  genommen 
und  zum  Zölibat  verurteilt  hatte,  eine  andere  Bewegung  mit 
ihrem  ungeheuren  Netz:  diesesmal  fischte  sie  im  Trüben  und  fing 
jene,  die  die  furchtlosesten  Wahrheitssucher  und  in  ihrer  Art  zu 
denken  die  Intelligentesten  waren  und  daher  die  entsprechendsten 
Eltern  einer  hohen  Zivilisation  gewesen  wären.  Der  Schlag, 
wenn  es  nicht  eine  direkte  Unterbrechung  war,  den  die  Kirche 
der  Nachkommenschaft  dieser  Leute  versetzte,  war  hart,  die- 
jenigen aber,  die  sie  bei  solchen  Gelegenheiten  bewahrte,  um 
die  Generationen  der  Zukunft  aufzuziehen,  waren  die  Servilen, 
die  Gleichgültigen  und  schließlich  die  Stumpfen.  Ebenso  wie 
sie,  um  meinen  Ausdruck  von  vorhin  zu  widerholen,  die  mensch- 
liche Natur  durch  das  System  des  Zölibats,  dem  sie  die  Vor- 
nehmen unterwarf,  brutalisierte,  demoralisierte  sie  sie  durch  ihr 
Verfolgungssystem  der  Intelligenten,  Aufrichtigen  und  Freien.  Es 
kann  einem  das  Blut  zum  Wallen  bringen,  wenn  man  an  den 
blinden  Wahn  denkt,  der  die  ersten  Nationen  der  kämpfenden 
Menschheit  zu  den  Erben  so  haßerfüllter  Ahnen  gemacht  hat  und 
der  unsere  Instinkte  so  erzogen  hat,  daß  sie  sich  noch  jetzt  in 
einem  unnötig  langandauernden  Antagonismus  zu  den  wich- 
tigsten Forderungen  einer  stetig  fortschreitenden  Kultur  befinden. 
Infolge  dieser  angeborenen  Unvollkommenheit  unserer  Natur,  in 
Bezug  auf  die  Bedingungen,  unter  denen  wir  zu  leben  haben, 
sind  wir  selbst  heute  noch  fast  ebenso  durch  das  Bewußtsein 
moralischer  Unfähigkeit  und  Sünde  gepeinigt,  als  es  die  ersten 
bekehrten  Barbaren  waren,  und  tauchen  uns  in  einen  halbunbe- 
wußten Selbstbetrug  und  Heuchelei  als  partiellen  Zufluchtsort 
vor  den  Anforderungen  dieser  Zivilisation.  Unsere  anerkannten 
Leitsätze  bleiben  im  Widerspruch  mit  unseren  wirklichen  Regeln, 
nach  denen  wir  handeln,  und  wir  führen  ein  Doppelleben  von 
unfruchtbarer  religiöser  Sentimentalität  und  groben  materia- 
listischen Gewohnheiten. 

Bis  zu  welcher  Ausdehnung  die  europäischen  Völker  von 
Verfolgungen  getroffen  wurden,  läßt  sich  leicht  durch  einige  wohl- 
bekannte statistische  Tatsachen  ermessen.  So  wurde  das 
spanische  Volk  im  Verlaufe  der  drei  Jahrhunderte  zwischen  1471 
und  1781  jährlich  um  die  Zahl  von  1000  Personen  an  Freidenkern 
entblößt;  da  durchschnittlich  pro  Jahr  100  Personen  hingerichtet 
und  900  während  dieser  Zeit  eingesperrt  wurden.  Die  tatsäch- 
lichen Daten  aus  diesen  drei  Jahrhunderten  sprechen  von  32  000 
auf  Scheiterhaufen  verbrannten  Personen,  von  17  000  en  effigie 


Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen.  381 

verbrannten  (ich  nehme  an,  daß  die  meisten  von  ihnen  im  Ge- 
fängnis starben  oder  aus  Spanien  entflohen),  und  von  291000,  die 
zu  Gefängnisstrafen  von  verschiedener  Länge  und  anderen  Bußen 
verurteilt  wurden.  Es  ist  unmöglich,  daß  irgend  ein  Volk  einer 
solchen  Politik  Stand  halten  kann,  ohne  eine  gewaltige  Strafe  in 
der  Verschlechterung  seiner  Nachkommenschaft  zu  zahlen,  wie 
es  sich  tatsächlich  in  dem  Aufkommen  des  heutigen  aber- 
gläubischen unintelligenten  spanischen  Volkes  zeigt. 

Auch  Italien  wurde  in  früheren  Zeiten  von  furchtbaren  Ver- 
folgungen heimgesucht.  In  der  Diözese  Como  allein  wurden  viele 
Jahre  hindurch  jährlich  1000  von  den  Inquisitoren  verhört,  und 
300  wurden  allein  im  Jahre  1416  verbrannt. 

Die  französischen  Verfolgungen,  bei  denen  die  Engländer 
einen  großen  Gewinn  davontrugen,  da  die  FlüchtHnge  Industrielle 
waren,  waren  von  annähernd  gleichem  Umfange.  Im  sieb- 
zehnten Jahrhundert  gingen  drei  bis  viertausend  Protestanten 
im  Gefängnis,  auf  den  Galeeren,  bei  ihren  Fluchtversuchen  und 
auf  dem  Schafott  zu  Grunde.  Die  gleiche  Anzahl  wanderte  aus. 
In  seinem  bewunderungswürdigem  Buch  über  die  Hugenotten 
beschreibt  Smiles  den  Einfluß,  den  diese  und  die  flämischen  Emi- 
granten auf  England  hatten,  und  zeigt  klar,  daß  England  ihnen  fast 
seine  ganze  industrielle  Kunst  und  sehr  viele  der  v/ertvollsten 
wichtigsten  Züge  seiner  modernen  Bevölkerung  verdankt.  Frank- 
reich hat  noch  eine  andere  Emigration  von  annähernder  Wichtig- 
keit, aber  ganz  verschiedener  Wirkung  durchgemacht,  nämlich 
die  Emigration  der  Revolution  von  1789.  Es  ist  sehr  lehrreich, 
die  Resultate  dieser  beiden  Auswanderungen  miteinander  zu  ver- 
gleichen. Die  protestantischen  Emigranten  waren  befähigte 
Menschen  und  haben  zur  guten  Hälfte  einen  tiefen  Einfluß  auf 
unsere  Nachkommenschaft  und  unsere  Geschichte  gehabt.  An- 
dererseits waren  die  politischen  Flüchtlinge  durchschnitthch  von 
geringerer  Kraft  und  haben  kaum  einige  Spuren  hinterlassen. 

Es  ist  sehr  bemerkenswert,  ein  wie  großer  Teil  hervor- 
ragender Männer  aus  allen  Gegenden  fremde  Namen  tragen  und 
Kinder  von  politischen  Flüchtlingen  sind,  von  Männern,  die  wohl 
qualifiziert  waren,  wertvolle  Eigentümlichkeiten  des  Blutes  ein- 
zuführen. Wir  können  nicht  umhin  über  das  ruhmvolle  Schick- 
sal eines  Landes  nachzudenken,  das  viele  Generationen  hindurch 
die  Politik  aufrecht  hielt,  hervorragend  wünschenswerte  Flücht- 
linge, aber  keine  andern,  anzuziehen,  und  ihre  Siedelung  und  die 
Naturalisation  ihrer  Kinder  zu  befürworten. 


382  Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen. 

Kein  Land  hat  mehr  Emigranten  ziehen  lassen  als  England, 
aber  ich  bin  mir  nicht  im  Klaren,  ob  es  bisher  im  ganzen  bei 
diesem  Verfahren  gewonnen  oder  verloren  hat.  Ohne  Zweifel  hat 
es  eine  große  Anzahl  Familien  von  vollgiltigem  Wert,  nament- 
lich Arbeiter  und  Handwerker  verloren;  aber  als  Regel  gilt,  daß 
die  fähigsten  Menschen  nicht  zur  Auswanderung  neigen,  sie  fühlen 
daß  ihr  Schicksal  zu  Hause  gesichert  ist,  und  obgleich  ihr  Aben- 
teurergeist überwältigend  stark  ist,  ziehen  sie  es  doch  vor,  in 
der  hochintellektuellen  und  moralischen  Atmosphäre  der  intelli- 
genteren Kreise  der  englischen  Gesellschaft  zu  leben,  als  sich  in 
die  Selbstverbannung  unter  Menschen  von  insgesamt  niedrigerem 
Niveau  des  Geistes  und  der  Interessen  zu  begeben.  England  hat 
sich  sicherlich  durch  Emigration  einen  guten  Teil  des  Auswurfs 
seiner  Bevölkerung  vom  Halse  geschaffen.  Es  hat  einen  Ausweg 
für  Abenteuer  und  Bohemiens-Naturen  gefunden,  die  sich  ausge- 
zeichnet zur  Kolonisierungeines  neuen  Lebens  eignen,  die  man 
aber  in  alten  Zivilisationen  nicht  braucht,  und  ebenso  wurde  es 
von  einer  großen  Anzahl  ungestümer  Radikaler  und  dergleichen 
befreit,  Menschen,  die  entschieden  befähigt,  aber  durchaus  nicht 
hervorragend  sind  und  deren  Eifer,  Selbstvertrauen  und  ünehr- 
erbietigkeit  ihre  anderen  Eigenschaften  bei  weitem  überwiegen. 

Der  starke  Aufstieg  neuer  Kolonien  und  der  Verfall  alter  Zi- 
vihsationen  ist,  glaube  ich,  hauptsächlich  auf  ihre  respektiven 
sozialen  Faktoren  zurückzuführen,  die  in  dem  einen  Falle  die  Ehen 
innerhalb  des  tauglichsten  Menschenschlags  fördern  und  sie  in 
anderen  Falle  hindern.  In  einer  jungen  Kolonie  ist  ein  starker 
Arm  und  ein  unternehmender  Kopf  das  bestangemessene  Glück 
für  einen  verheirateten  Mann,  und  da  andererseits  wenig  Frauen 
vorhanden  sind,  haben  die  inferioren  Männer  auch  wenig  Wahr- 
scheinlichkeit zu  heiraten.  In  einer  alten  Zivihsation  sind  die 
Faktoren  komplizierter.  Unter  den  aktiven  ehrgeizigen  Klassen 
haben  nur  die  Erben  von  Vermögen  die  WahrscheinUchkeit  früh 
zu  heiraten.  Auf  Widerstand  stoßen  namentUch  die  Männer  der 
Klassen  C.  D.  und  E.  —  ich  meine  jene,  deren  zukünftiges  Schicksal 
durch  nichts,  als  ein  gut  Teil  Selbstverleugnung  und  Mühe  ge- 
sichert ist.  Es  ist  fast  unmöglich,  für  sie  guten  Erfolg  zu  haben 
und  in  der  Gesellschaft  hoch  emporzusteigen,  wenn  sie  sich  schon 
in  frühem  Mannesalter  an  eine  Frau  fesseln.  Die  Männer  der 
Klassen  F.  und  G.  sind  unabhängiger,  aber  sie  sind  nicht  an- 
nähernd so  zahlreich,  ihre  Nachkommenschaft  hat  also,  obgleich 
sie  wesentlich  wertvoller  ist  als  die  von  E.  oder  D.,  viel  weniger 


Einflüsse  der  natürlichen  Befähigung  der  Nationen.  383 

Einfluß  als  jene  auf  die  Norm  der  Nation  im  allgemeinen.  Aber 
selbst  wenn  die  Männer  aus  den  Klassen  F.  und  Q.  jung  heiraten 
und  schließlich  ihr  Glück  machen  und  Würden  oder  hohe  soziale 
Stellungen  erlangen,  werden  sie  von  dem  Ehrgeiz  infiziert,  der  in 
allen  alten  Zivilisationen  im  Schwange  ist,  Famihen  zu  gründen. 
Die  Resultate  dieses  Übels  habe  ich  bereits  beschrieben,  als  ich  von 
den  Ehen  der  ältesten  Söhne  mit  Erbinnen  und  der  Unterdrückung 
der  Ehen  der  jüngeren  Söhne  sprach.  Überdies  herrscht  gerade 
unter  den  besten  Männern  des  Landes  die  Tendenz,  sich  in  der 
Hauptstadt  festzusetzen,  wo  die  Ehen  weniger  fruchtbar  sind 
und  die  Kinder  weniger  Wahrscheinlichkeit  haben  am  Leben  zu 
bleiben.  Infolge  dieser  verschiedenen  Ursachen  ist  in  einer  alten 
Zivilisation  die  Fruchtbarkeit  der  befähigteren  Klassen  bestän- 
digen Hemmungen  ausgesetzt,  während  die  Unbedachtsamen  und 
Nichtehrgeizigen  am  meisten  Nachkommenschaft  aufziehen.  So 
verschlechtert  sich  die  Rasse  allmähHch,  wird  in  jeder  folgenden 
Generation  für  eine  hohe  Zivilisation  weniger  tauglich,  obgleich 
sie  deren  äußeren  Anschein  behält,  bis  die  Zeit  kommt,  wo  der 
ganze  soziale  und  politische  Bau  einstürzt,  und  ein  größerer  oder 
geringerer  Rückfall  in  die  Barbarei  stattfindet,  während  welcher 
Zeit  die  Rasse  vielleicht  fähig  ist  ihre  Spannkraft  wieder- 
zugewinnen. 

Die  beste  Form  der  Zivilsisation  in  bezug  auf  den  Fortschritt 
der  Rasse,  wäre  eine  solche,  in  der  das  Leben  nicht  kost- 
spielig wäre;  wo  das  Einkommen  hauptsächhch  aus  Berufs- 
quellen und  nicht  aus  Erbschaften  herkäme,  wo  jeder  Knabe  eine 
günstige  Gelegenheit  hätte  seine  Fähigkeiten  zu  zeigen  und  wenn 
er  eine  hohe  Begabung  hätte,  durch  die  liberale  Hilfe  von  Stipen- 
dien und  Stiftungen,  die  er  in  früher  Jugend  erlangt  hätte,  in  den 
Stand  gebracht  wäre,  eine  erstklassige  Ausbildung  und  Eintritt 
in  das  Berufsleben  zu  erlangen,  wo  die  Ehe  so  hoch  in  Ehren  ge- 
halten wäre,  wie  es  bei  den  alten  Juden  der  Fall  war  und  wo  der 
Stolz  auf  die  Rasse  ermutigt  würde  (ich  meine  natürhch  nicht  das 
unsinnige  Gefühl,  das  heute  unter  diesem  Namen  geht),  wo  der 
Schwache  freundliche  Aufnahme  und  Zuflucht  in  Zölibaten  Klöstern 
oder  Schwesternschaften  fände  und  wo  schließlich  die  bessere 
Sorte  von  Emigranten  und  Flüchtlingen  aus  anderen  Ländern  ein- 
geladen und  bewillkommet  und  ihre  Kinder  naturaUsiert  würden. 


Allgemeine  Betrachtungen 

Alle  modernen  Physiologen  legen  überzeugend  dar,  daß  das 
Leben  jeder  Pflanze  und  jedes  Tieres  aus  einer  ungeheuren  An- 
zahl subordinierter  Leben  aufgebaut  ist,  daß  jeder  Organismus 
aus  einer  Anzahl  elementarer  Teile  besteht,  die  bis  zu  einem 
großen  Ausmaße  von  einander  unabhängig  sind,  daß  jedes  Or- 
gan sein  eigenes  Leben  oder  seine  Autonomie  hat  und  sich  von 
anderen  Geweben  unabhängig  entwickeln  und  reproduzieren  kann 
(s.  Darwin,  Domestikation  von  Pflanzen  und  Tieren,  S.  368/69). 
So  wird  das  Wort  „Mensch",  wenn  es  richtig  verstanden  ist,  ein 
Eigenname  für  eine  Menge,  denn  er  setzt  sich  aus  Millionen,  viel- 
leicht aus  Billionen  von  Zellen  zusammen,  von  denen  jede  ein 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  unabhängiges  Leben  besitzt  und  der 
Schöpfer  anderer  Zellen  ist.  Er  ist  ein  bewußtes  Ganzes,  das 
aus  den  zusammengesetzten  Faktoren  eines  Schwarms  gebildet 
ist,  welcher  sich  aus,  wie  uns  scheint,  unbewußten  oder  kaum 
bewußten  Elementen  bildet. 

In  seiner  bemerkenswerten  Theorie  der  Pangenesis  kommt 
Darwin  von  diesem  Ausgangspunkt  zu  zwei  gewaltigen  Schlüssen. 
Er  setzt  erstens  voraus,  daß  jede  Zelle,  die  selbstverständlich  ihre 
individuellen  Eigentümlichkeiten  hat,  ihrer  Art  eng  entsprechend 
zeugt,  indem  sie  unzählige  Keime  oder  „gemmules",  wie  er  sagt, 
verstreut,  die  im  Blut  zirkuheren  und  sich  hier  vermehren;  in 
diesem  Anfangsstadium  verbleiben  sie,  bis  sie  fähig  sind  sich  zu 
mehr  oder  weniger  vollkommenen  Geweben  zu  fixieren,  worauf 
sie  sich  zu  regulären  Zellen  entwickeln.  Zweitens  macht  er  die 
Voraussetzung,  daß  die  Keime  bei  der  Wahl  ihrer  Anhaltspunkte 
einzig  von  ihren  respektiven  Affinitäten  gelenkt  werden  und  daß 
folglich  die  wunderbare  Struktur  der  lebenden  Form  sich  unter 
dem  Einfluß  zahlloser  blinder  Affinitäten  und  nicht  unter  dem  einer 
zentralen  kontrollierenden  Macht  aufbaut. 


Allgemeine  Betrachtungen.  385 

Diese  Theorie,  die  von  Darwin  als  eine  „provisorische"  vor- 
geschlagen wird,  und  die  sich  eingestandenermaßen  bis  zu  einem 
gewissen  Qrade  auf  bloße  Hypothesen  und  sehr  stark  auf  Ana- 
logien stützt,  ist  —  ob  sie  nun  richtig  oder  falsch  ist  —  von  un- 
geheurem Vorteil  für  jene,  welche  die  Gesetze  der  Vererbung 
suchen.  Sie  gibt  einen  Schlüssel  zu  allen  bisher  verschlossenen 
Schranken  für  unser  Verständnis  der  Natur  der  Vererbung,  sie 
vereinigt  die  mannigfaltigen  Formen  der  Reproduktion,  die  man  in 
den  weiten  Reihen  des  organischen  Lebens  trifft,  in  den  Kreis 
eines  besonders  einfachen  Gesetzes,  und  sie  bringt  alle  diese  For- 
men der  Reproduktion  unter  die  gleichen  Gesetze,  die  das  ge- 
wöhnUche  Wachstum  jedes  Individuums  beherrschen.  Es  ist 
daher  sehr  ratsam,  die  Tatsachen  der  vererbten  Anlagen  von  dem 
Gesichtspunkt  aus  zu  betrachten,  den  die  Pangenesis  uns  gibt, 
und  ich  will  trachten  den  Leser  dahin  zu  bringen,  indem  ich  der 
Reihe  nach  von  Typen,  von  Naturspielen,  von  Stabilität,  Variation 
und  Individualität  sprechen  werde. 


G  al  t  o  n  ,  Genie  und  Vererbung.  25 


Typen. 

Jeder  Typus  in  einem  lebenden  Wesen  läßt  sich  mit  den 
typischen  Erscheinungen  vergleichen,  die  man  in  verschiedenen 
Beschreibungen  von  Ansammlungen  findet.  Es  ist  richtig,  daß 
das  Leben  eines  Tieres  bewußt  ist  und  die  Elemente,  aus  denen 
es  zusammengesetzt  ist,  scheinbar  unbewußt  sind,  während  im 
Falle  des  korporativen  Daseins  einer  Gruppe  von  Menschen 
das  Gegenteil  stattfindet.  Nichtsdestoweniger  wird  uns  diese 
Analogie  von  beträchtlicher  Hilfe  zum  klaren  Verständnis  der 
Gesetze  der  Vererbung  sein,  ohne  uns  bei  der  Art,  in  welcher 
ich  sie  vorschlage,  irre  zu  führen.  Die  Ansammlungen,  die  ich 
im  Auge  habe,  sind  solche,  die  von  keiner  zentralen  Autorität 
geleitet  werden  und  die  ihre  typischen  Erscheinungen  durch 
die  freien  Handlungen  der  Individuen,  aus  denen  sie  sich  zu- 
sammensetzen, angenommen  haben,  wobei  also  jedermann  von 
seinem  unmittelbaren  Interesse  geleitet  wurde  und  seinen  Platz 
einzig  unter  dem  Einfluß  einer  wählenden  Affinität  zu  seinen 
Nachbarn  gefunden  hat.  Ein  kleiner  aufblühender  Badeort  ist 
für  unsern  Zweck  eine  ebenso  gute  Illustration  als  irgend  ein  an- 
deres Ding.  Es  ist  oft  kaum  möglich,  seinem  Ursprung  nachzu- 
gehen. Zwei  oder  drei  Häuser  werden  vielleicht  zu  Privat- 
zwecken gebaut,  sie  werden  zufällig  leer;  Ausflügler  sehen  und 
mieten  sie,  sie  rühmen  die  Lage  und  beleben  die  Nachfrage  nach 
weiteren  Wohnungen.  Andere  Häuser  werden  gebaut,  um  dem 
Bedürfnis  entgegenzukommen;  die  Folge  ist  ein  Wirtshaus, 
Bäcker-  und  Schlachterwagen  erscheinen  täglich,  der  Postbote 
und  so  weiter.  Dann  ist  das  Dorf  im  Aufschwung,  und  Kaufläden 
beginnen  sich  zu  etabüeren,  junge  Handwerker  und  andere  wan- 
dernde „gemmules"  der  engUschen  Bevölkerung,  die  auf  der  Suche 


Typen.  387 

nach  einem  Ort  sind,  wo  sie  sich  vorteilhaft  niederlassen  können, 
kommen  dazu,  und  so  wird  jede  neue  günstige  Gelegenheit  er- 
griffen und  jede  Öffnung  gefüllt,  sobald  sie  oder  sehr  bald  nachdem 
sie  existiert.  Das  allgemeine  Resultat  dieser  rein  selbsttätigen 
Affinitäten  ist,  daß  die  Badeorte  einander  merkwürdig  ähnlich 
sind,  selbst  ehe  noch  ein  spekulativer  Baumeister  sie  betreten  hat. 
Wir  können  voraussagen,  welcher  Art  Kaufläden  sich  finden 
werden  und  an  welcher  Stelle,  wir  können  selbst  die  Plakate  und 
Waren  prophezeien,  die  in  den  Fenstern  liegen  werden.  Und  so 
sehen  wir,  daß  sie  trotz  zahlreicher  individueller  Eigentümlich- 
keiten von  einer  streng  gegnerischen  Identität  sind. 

Der  Typus  dieser  Badeorte  ist  sicherlich  ein  dauerhafter, 
das  menschliche  Material,  aus  dem  sie  sich  zusammensetzen, 
bleibt  sich  ähnlich  und  ebenso  die  Bedingungen,  unter  welchen 
sie  existierten  und  die  darin  bestehen,  die  Bedürfnisse  der  durch- 
schnittlichen englischen  Ausflügler  zu  stillen.  Daher  wird  der 
Badeort  immer  seiner  Art  entsprechend  weiterhecken.  Er  wird 
das  in  der  Weise  tun,  daß  er  nach  dem  Prinzip  der  Vermehrung 
durch  Teilung  einen  Ausläufer  ausscheiden  wird  oder  er  wird  es 
wie  die  Polypen  machen,  von  denen  man  auch  ein  Stück  ab- 
schneiden kann,  das  von  da  ab  ein  unabhängiges  Leben  führt 
und  sich  zu  einem  vollständigen  Tier  auswächst.  Oder,  um  sie 
mit  Wesen  einer  höheren  Lebensstufe  zu  vergleichen,  zwei  Bade- 
orte, die  durch  einige  Entfernung  von  einander  getrennt  sind, 
gewähren  einander  Material  und  Aushilfe  zu  einer  dazwischen 
hegenden  LokaHtät. 

Genau  die  gleichen  Beobachtungen  lassen  sich  über  Fischer- 
dörfer anstellen  oder  Fabrikstädte  oder  neue  Niederlassungen 
in  der  Wildnis  oder  ein  Lager  von  Goldgräbern;  jedes  von  ihnen 
wird  seiner  Art  entsprechend  weiterhecken.  Wenn  wir  uns  mehr 
stationären  Gesellschaftsordnungen  zuwenden,  als  unsere  eigene 
ist,  werden  wir  zahlreiche  Beispiele  der  reinsten  Zucht  finden, 
so  unterscheidet  sich  ein  Hottentottenkraal  oder  Dorf  von  heute 
durch  gar  nichts  von  denen,  welche  die  ersten  Reisenden  be- 
schrieben oder  um  einen  unendlich  größeren  Sprung  zu  machen, 
die  Kenntnisse,  die  wir  den  ältesten  Malereien  Ägyptens  ent- 
nehmen, stimmen  mit  den  Beobachtungen  überein,  die  wir  heute 
an  den  Nachkommen  jener  Völker  machen,  die  die  Malereien  dar- 
stellen. 

Betrachten  wir  jetzt  die  Natur  der  Hybriden.  Setzen  wir  eine 
Stadt  voraus,  die  unter  dem  Einfluß  zweier  anderer  untereinander 

25* 


388  Typen. 

verschiedener  entsteht,  etwa  unter  dem  Einfluß  eines  Badeortes 
und  einer  Fischerstadt.  Was  wird  das  Resultat  sein?  Diese 
spezielle  Kombination  ist  gewöhnlich  günstig,  da  die  verschie- 
denen Elemente  in  diesem  Falle  nicht  interferieren,  sondern  ein- 
ander eher  unterstützen.  Die  Fischereiinteressen  geben  dem 
Platz  mehr  Festigkeit  als  es  die  mehr  ephemere  Gegenwart  von 
Touristen  allein  vermag;  das  pittoreske  Küstenleben  ist  gleich- 
falls eine  Anziehung  für  Fremde,  und  die  Fischer  sorgen  für  ihre 
Nahrung.  Andererseits  gibt  der  Badeort  den  Fischern  mehr  ver- 
schiedenartige Lebensbedingungen;  die  Fremden  werden  direkt 
oder  indirekt  recht  eigenthch  mit  Geldstrafen  belegt  für  wohl- 
tätige Zwecke,  Straßen  und  dergleichen,  und  sie  sind  ihren  Mit- 
bürgern nicht  unwillkommene  Kunden. 

Nehmen  wir  ein  anderes  Beispiel  einer  Hybride,  das  zu  an- 
deren Resultaten  führt.  Stellen  wir  uns  einen  unternehmenden 
Fabrikanten  in  einer  Stadt  vor,  die  nicht  weit  entfernt  von  einem 
beginnenden  Badeorte  hegt.  Der  Mann  entdeckt  die  Vorteile  der 
dortigen  Mineralien,  Wasserkräfte  oder  Zugangsmöglichkeiten 
und  beschließt  seine  Fabrik  -JOa  \l^uuo^  ii/W  -uaSaiJ^A  nz  uiq;jop 
aussagen,  was  mit  großer  Sicherheit  eintreten  wird:  entweder  der 
Ort  wird  als  Badeort  verlassen  werden  oder  der  Fabrikant  wird 
in  der  einen  oder  anderen  Weise  entfernt  werden.  Die  beiden 
Elemente  widersprechen  einander.  Der  Schmutz,  der  Lärm  und 
die  rohen  Arbeiter  einer  Fabrik  sind  der  Bevölkerung  eines  Bade- 
ortes nicht  kongenial. 

Die  Moral,  die  ich  im  Auge  habe,  wird  dem  Leser  klar 
werden.  Ich  wünsche  zu  zeigen,  daß,  wenn  ein  wohlgebildeter 
Mann  in  gutem  Zustande  eine  ebensolche  Frau  heiratet  und  jeder 
von  ihnen  in  bezug  auf  seine  natürlichen  Gaben  von  reinem  Blute 
ist,  daraus  nicht  schließlich  folgen  muß,  daß  eine  hybride 
Nachkommenschaft  aus  dieser  Ehe  entstehen  wird. 


Naturspiele. 

Ich  will  die  gleiche  Metapher  noch  fortsetzen,  um  zu  er- 
klären, wie  augenscheinUche  Naturspiele,  wie  das  plötzHche 
Auftauchen  eines  Menschen  von  großen  Fähigkeiten  in  einer  ge- 
wöhnlichen Familie,  ensteht.  Darwin  stellt  in  seiner  Pangenesis- 
Theorie  dar,  daß  „gemmules"  von  unzähliger  Beschaffenheit, 
die  sich  von  den  Vorfahren  ableiten,  im  Blut  zirkulieren  und  sich 
Generation  um  Generation  im  Zustand  von  „gemmules"  ver- 
mehren, ohne  sich  zu  Zellen  zu  entwickeln,  da  andere  antago- 
nistische „gemmules"  übermächtig  sind  und  sie  in  dem  Kampf  um 
die  Stützpunkte  überwältigen.  Jedes  lebende  Wesen  hat  also  eine 
große  Anzahl  von  Fähigkeiten,  die  niemals  Ausdruck  finden,  und 
jedem  sichtbar  gewordenen  Element  stehen  zahllose  latente 
gegenüber.  Der  Charakter  eines  Menschen  ist  vöUig  aus  jenen 
„gemmules"  gebildet,  denen  es  gelungen  ist,  sich  einen  Stützpunkt 
zu  erringen;  die  anderen  sind  durch  ihre  Antagonisten  über- 
wältigt worden  und  gelten  nicht;  genau  so  wie  die  PoHtik  einer 
Demokratie  von  der  Majorität  ihrer  Bürger  gemacht  wird  oder 
wie  die  parlamentarische  Wahl  irgend  einer  Ortschaft  von  den 
dominierenden  politischen  Ansichten  der  Wähler  bestimmt  wird: 
in  beiden  Fällen  ist  die  abweichende  Minorität  machtlos.  Stellen 
wir  uns  jedoch  vor,  daß  infolge  der  sehr  starken  Vermehrung 
einer  Wählerklasse,  sagen  wir  der  irischen  Bevölkerung,  die 
numerische  Stärke  der  schwächeren  Partei  allmählich  zunimmt, 
bis  die  Minorität  die  Majorität  wird,  so  wird  auch  das  politische 
Gleichgewicht  einen  plötzHchen  Umschlag  oder  eine  Revolution 
erfahren,  und  der  Charakter  des  Wahlorts  oder  der  Nation,  wie 
er  in  den  gemeinschaftlichen  Handlungen  zum  Ausdruck  kommt, 
wird  sich  völlig  ändern.  Diese  Tatsache  entspricht  dem  soge- 
nannten    Naturspiel.      Um     nun     das     Gleichnis     noch      mehr 


390  Naturspiele. 

unseren  Bedürfnissen  anzupassen,  machen  wir  nocii  die  weitere 
Voraussetzung,  daß  zwei  Wahlflecken,  von  denen  jeder  eine 
starke  Minorität  irischen  Elementes  enthält,  von  denen  der  eine 
stets  einen  Whig  und  der  andere  einen  Konservativen  gewählt 
hat,  durch  irgend  eine  Veränderung  des  Wahlsystems  zu  einem 
einzigen  Wahlort  verschmolzen  werden.  Es  ist  klar,  daß  der 
Whig  und  der  Konservative  teilweise  einander  lähmen  werden 
und  daß  die  Vereinigung  der  beiden  irischen  Minoritäten  eine 
starke  Majorität  zur  Folge  haben  wird,  so  daß  sicherlich 
ein  Vertreter  der  irischen  Interessen  gewählt  wird.  Dieser 
Fall  entspricht  genau  jenem,  wo  ein  Sohn  ausgesprochene  Eigen- 
tümlichkeiten hat,  die  weder  sein  Vater  noch  seine  Mutter  in 
einer  freigewordenen  Form  besitzt. 

Der  dominierende  Einfluß  des  reinen  Blutes  über  Mischver- 
bindungen wird  ebenfalls  durch  das  Gleichnis  der  beiden  Wahl- 
flecken verständUch;  denn  wenn  jeder  fertige  und  jeder  an- 
gehende Wähler  in  einem  von  ihnen,  d.  h.  jedes  Individuum  männ- 
lichen Geschlechts,  Männer  und  Kinder,  eingefleischte  Radikale 
sind,  so  wird  der  Eintritt  einer  solchen  kompakten  Masse  die 
getrennten  politischen  Gruppen  des  andern  Wahlfleckens,  mit  den 
sie  zusammengewürfelt  wird,  überwältigen. 

Es  ist  nicht  wertlos,  diesen  Gleichnissen  nachzugehen,  die 
nach  der  Theorie  der  Pangenesis  völlig  statthaft  sind.  Denn  sie 
geben  unseren  Anschauungen  über  Vererbung  eine  beträchtliche 
Genauigkeit  und  bringen  Tatsachen,  die  auf  d^n  ersten  BHck 
anormal  erscheinen,  in  eine  verständliche   Anordnung. 


Stabilität 

Ich  gehe  jetzt  dazu  über,  zu  erklären,  was  ich  unter  Stabilität 
der  Typen  verstehe  und  welcher  Art  die  Veränderungen  sind, 
durch  welche  ein  Typus  einen  andern  ermöglicht.  Stabilität  ist 
ein  Wort,  das  wir  der  Sprache  der  Mechanik  entnommen 
haben.  Es  scheint  ein  taugUches  Wort  zu  sein.  Sehen  wir  ein- 
mal zu,  wie  wir  uns  den  Typus  vorstellen  müssen,  wenn  wir  ihn 
auf  mechanische  Vorgänge  anwenden.  Darwin  zeigt  in  seinem 
großen  Werk  „Die  Entstehung  der  Arten",  daß  alle  Formen  des 
organischen  Lebens  in  einem  gewissen  Sinne  ineinander  um- 
wandelbar sind,  denn  alle  stammen  seiner  Ansicht  nach  von  ge- 
meinsamen Vorfahren  ab;  wenn  daher  A  und  B  von  C  ab- 
stammen, lassen  sich  die  Abstammungslinien  auch  wieder  von 
A  zu  C  hinauf  und  von  C  zu  B  hinunterführen.  Aber  die  Ver- 
änderungen sind  keine  unmerklichen  Qrade;  es  gibt  viele,  aber 
keine  unendliche  Anzahl  von  Zwischengliedern,  welches  ist  nun  das 
Qesetz  der  Kontinuität,  das  durch  eine  Serie  sprunghafter  Ver- 
änderungen befriedigt  wird?  Die  mechanische  Auffassung  wäre 
die  eines  rauhen  Steines,  der  infolge  seiner  Rauhigkeit  eine  große 
Anzahl  natürlicher  Flächen  hat,  so  daß  er  auf  jeder  von  ihnen  in 
„stabilem"  Gleichgewicht  verharren  kann.  Damit  ist  gesagt,  daß 
der  Stein,  wenn  er  gestoßen  wird,  ein  wenig  nachgeben  wird, 
aber  wieder  in  einem  geringeren  Qrade  nachgeben  wird,  wenn  er 
stärker  gestoßen  wird;  in  beiden  Fällen  wird  er,  wenn  der  Druck 
zurückgezogen  wird,  in  seine  frühere  Stellung  zurückfallen.  Wenn 
aber  der  Stein  durch  eine  kräftige  Anstrengung  gezwungen  wird, 
die  Grenzen  der  Fläche  zu  überschreiten,  auf  der  er  bisher  geruht 
hat,  wird  er  in  eine  neue  Qleichgewichtsstellung  stürzen,  so  daß 
wieder  das  gleiche  Verfahren  wie  vorher  eingeschlagen  werden 
muß,  ehe  er  von  der  Stelle  gerückt  und  eine  kurze  Strecke  vor- 


392  Stabilität. 

wärts  gerollt  werden  kann.  Die  verschiedenen  Stellungen 
stabilen  Gleichgewichts  können  als  ebenso  viele  typische  Hal- 
tungen des  Steines  betrachtet  werden,  wobei  die  Typen  halt- 
barer werden,  entsprechend  der  größeren  Ausdehnung  der 
Grenzen  seiner  Stabilität.  Wir  sehen  also  klar,  daß  die  Bewe- 
gungen des  Steines  keine  Verletzung  des  Gesetzes  der  Konti- 
nuität bedeuten,  obgleich  er  nur  in  gewissen,  weit  voneinander 
getrennten  Stellungen  beharren  kann. 

Gehen  wir  zu  einem  andern  Gleichnis  über,  das  einem  kom- 
plizierteren Kräftesystem  entnommen  ist.  Wir  wissen  alle,  wie 
es  ist,  wenn  man  in  die  Mitte  eines  großen  Haufens  gedrängt 
wird.  Der  Haufen  kämpft,  stößt  und  bewegt  sich  hin  und  her  in 
seinem  Bestreben,  sich  einen  Weg  durch  irgend  einen  schmalen 
Durchgang  zu  bahnen.  Eine  Stauung  entsteht,  jeder  Mensch  in 
dem  Gedränge  stößt,  die  Masse  ist  bewegt,  aber  es  findet  kein 
Fortschritt  statt.  Wenn  ein  Mensch  durch  eine  große  An- 
strengung diejenigen,  die  vor  ihm  stehen,  um  einige  Zoll  vorwärts 
bringt,  erfolgt  sicherlich  wieder  ein  Rückschlag,  und  der  end- 
liche Fortschritt  fehlt.  Schließlich  läßt  die  Stauung  durch  irgend 
eine  zufällige  Kräfteverbindung  nach,  es  findet  eine  Vorwärts- 
bewegung statt,  die  Elemente  des  Haufens  zerfallen  in  Kombina- 
tionen von  geringen  Variationen,  in  wenigen  Sekunden  aber  ent- 
steht wieder  eine  andere  Stauung,  die  nach  einer  Weile  durch  den 
gleichen  Prozeß  behoben  wird.  Jede  Bildung  des  Haufens,  bei 
der  eine  Stauung  entstanden  ist,  ist  eine  Stellung  von  stabilem 
Gleichgewicht  und  repräsentiert  eine  typische  Haltung. 

Man  kann  sich  leicht  eine  allgemeine  Idee  von  den  Be- 
dingungen des  stabilen  Gleichgewichts  in  der  organischen  Welt 
machen,  wo  ein  Element  so  mit  einem  andern  verbunden  ist,  daß 
eine  ungeheure  Anzahl  unstabiler  Kombinationen  für  jedes 
existieren  muß,  das  imstande  ist,  sich  selbst  Generationen  um 
Generationen  unveränderlich  zu  erhalten. 


Variationen. 

Ich  gehe  nunmehr  zu  einigen  wenigen  Bemerkungen,  die  in- 
dividuelle Variation  betreffend,  über.  Die  pangenetische  Theorie 
setzt  voraus,  daß  die  „gemmules",  aus  denen  sich  jede  Zelle  eines 
jeden  Organismus  entwickelt,  sich  aus  zwei  Ursachen  ableiten 
lassen:  einmal  aus  unveränderter  und  zweitens  aus  veränderter 
Vererbung.  In  seinem  Werk  „Variation  der  Tiere  und  Pflanzen 
unter  dem  Einfluß  der  Domestikation"  zeigt  Darwin  klar,  daß 
die  individuelle  Variation  ein  etwas  wichtigerer  Zug  ist,  als  wir 
erwartet  haben  mögen.  Es  wäre  eine  interessante  Untersuchung 
zu  bestimmen,  wie  stark  die  Konstitution  eines  Menschen  durch- 
schnittlich auf  die  unveränderten  Gaben  entfernter  Ahnen  zurück- 
zuführen ist  und  wie  stark  auf  die  Akkumulation  individueller 
Variationen.  Die  pangenetische  Theorie  gibt  ausgezeichnetes 
Material  für  mathematische  Formeln  an  die  Hand,  deren  Kon- 
stanten aus  Durchschnitten  von  Tatsachen  hergestellt  werden 
könnten,  gleich  jenen  in  meinen  Tafeln.  Die  Tatsachen  müßten  zu 
diesem  Zwecke  zusammengestellt  werden,  meine  eigenen  Daten 
sind  hierzu  zu  unbestimmt.  Die  Durchschnitte  müßten  sich  auf 
irgend  ein  einfaches  physisches  Charakteristikum  beziehen,  das 
in  seiner  Eigenschaft  unmöghch  zu  Irrtümern  führen  kann  und 
nicht  den  Zweifeln  unterworfen  ist,  welche  die  Abschätzung  von 
Fähigkeit  mit  sich  bringen  kann.  Ich  füge  noch  hinzu,  daß  wir 
nicht  zu  zögern  brauchen,  ob  wir  für  diesen  Zweck  Durchschnitte 
gelten  lassen  sollen;  denn  die  Bedeutung  und  der  Wert  eines 
Durchschnittes  sind  vollkommen  klar.  Er  würde  die  Resultate 
unter  der  Voraussetzung  repräsentieren,  daß  die  wetteifernden 
„gemmules"  von  gleicher  Fruchtbarkeit  sind  und  ebenso  daß  das 
Verhältnis  der  durch  individuelle  Variation  affizierten  „gem- 
mules" in  allen  Fällen  konstant  ist 


394  Variationen. 

Die  unmittelbare  Konsequenz  der  pangenetischen  Theorie  ist 
einigermaßen  überraschend.  Sie  scheint  zu  zeigen,  daß  ein 
Mensch  völHg  aus  seinen  eigenen  und  den  Eigentümlich- 
keiten seiner  Ahnen  aufgebaut  ist  und  nur  in  einem  unend- 
lich geringen  Grade  aus  charakteristischen  Merkmalen  be- 
steht, die  seit  außerordentlich  langen  Zeiten  in  unveränderter 
Form  weitergegeben  werden.  Daraus  würde  folgen,  daß  bei 
einem  längeren  Zeitabschnitt  konstanter  Bedingungen  wenig  oder 
nichts  daran  gelegen  wäre,  welches  die  charakteristischen  Merk- 
male der  ersten  Vorfahren  einer  Rasse  waren,  da,  der  Typus 
immer  konstant  vorausgesetzt,  die  Nachkommenschaft  unfehlbar 
von  den  Vorfahren  neueren  Datums  gestaltet  würde. 

Der  Grund,  den  ich  eben  dargelegt  habe,  ist  leicht  zu  verstehen, 
wenn  einfache,  obgleich  unwahrscheinliche  Ziffern  zur  Illustration 
dienen.  Stellen  wir  uns  vor,  um  ein  sehr  einfaches  zahlenmäßiges 
Beispiel  zu  nehmen,  daß  ein  Kind  ein  Zehntel  seiner  Natur  infolge 
individueller  Variation  erworben  hat  und  die  übrigen  neun  Zehntel 
von  seinen  Eltern  geerbt  hat.  Daraus  folgt,  daß  seine  beiden 
Eltern  nur  neun  Zehntel  von  neun  Zehnteln  oder  rww  von  den 
Großeltern  des  Kindes,  tV(T¥ von  den  Urgroßeltern  des  Kindes  usw. 
als  Erbe  weitergegeben  haben.  Der  Zähler  des  Bruchs  wächst  mit 
jeder  folgenden  Stufe  weniger  rasch  als  der  Nenner,  bis  wir  zu 
einem  verschwindenden  Wert  des  Bruches  gelangen.*) 


1)  Die  Formel  ist  wie  folgt: 

G  =  der  Totalanzahl  der  »gemmules" ;  die  durch  die  Reihe  der  Vorfahren 
unveränderten  weitergegebenen  =  Gr,  die  übrigen  =  G  (1  —  r)  würden 
sich  durch  individuelle  Variation  ändern. 

Von  den  Eltern  Modifiziert  durch  individ«e«e 

unverändert  Variation 

abgeleitet 

Dann  bestehen  die  .gemmules* 

eines  jeden  Individuums  aus    Gr      -j-         G  (1  —  r) 

Der  Teil  Gr,  der  sich  von  den 
Eltern  herleitet.besteht  gleich- 
falls aus  zwei  Teilen;  nämlich    Gr^     -|-        Gr  (1  —  r)  =  G  (r  —  r*) 

Der  Teil  Gr^,  der  sich  von  den 
Großeltern  herleitet,  ist  zu- 
sammengesetzt aus  Gr'     -f        Gr^  (1  —  r)  =  G  (r^  —  r') 

Dieser  von  der  n-ten  aufsteigen- 
den Generationen  hergeleitete  _ 
Teil  setzt  sich  zusammen  aus    Gr""**  *  +          ^^  ('"         ~  •'") 

=  G(r°-r"-^  0 


Variationen.  395 

Der  Teil,  den  das  Kind  in  unveränderter  Form  von  all  seinen 
Ahnen  über  den  fünfzigsten  Grad  hinaus  erben  würde,  würde  nur 
ein  Fünftausendstel  seiner  ganzen  Natur  ausmachen. 

Ich  sehe  keine  ernste  Schwierigkeit,  die  einem  Mathematiker 
im  Wege  stünden,  eine  kurze  Formel  aufzustellen,  die  nach  der 
Pangenesis-Theorie  die  Zusammensetzung  organischer  Wesen 
nach  ihren  ererbten  und  individuellen  Eigentümlichkeiten  aus- 
drücken würde,  und  die  uns,  wenn  einmal  gewisse  Konstanten 
festgesetzt  würden,  Mittel  an  die  Hand  gäben,  die  durchschnitt- 
liche Verteilung  charakteristischer  Merkmale  einer  großen  Menge 
von  Nachkommenschaft  vorauszusagen,  deren  Vorfahren  uns  be- 
kannt sind.  Das  Problem  müßte  nach  dem  folgenden  Prinzip 
angepackt  werden. 


G  besteht  also  aus  Gr"  +  ^  unveränderten  .gemmules",  hergeleitet  von 
jenen  Generationen,  die  weiter  zurückliegen  als  die  nte, -(- G  multipliziert  mit 
der  Summe  der  folgenden  Serien,  in  der  jedes  Glied  .gemmules'  darstellt,  die 
durch  individuelle  Variation  modifziert  sind. 

1  —  r  +  (r  —  f'i)  +  (r2  —  r^)  +  und  +  (rn  —  r"  +^)=  i  —  r°  +  ^• 
Da  r  ein  Bruch  ist,  der  kleiner  als  1  ist,  (in  dem  angenommenen  Fall 
9 
oben  im  Text  betrug  er  TT^  und  würde  im  allgemeinen  sehr  gering  sein,  aber 

999 
ich  habe  keine  Idee  wie  gering)  vielleicht  so  gering  als  tk^  oder  eine  Zahl,  die 

der  Einheit  noch  näher  kommt,  so  würde  der  Wert  von  r"  +'  verschwinden, 
wenn  n  groß  genug  gewählt  würde;  in  welchem  Falle  das  Individuum  als  ganz 
von  .gemmules"  abgeleitet  betrachtet  werden  kann,  die  durch  individuelle 
Variationen  nach  der  n'en  Generation  modifiziert  wurden. 

Man  muß  in  Betracht  ziehen,  daß  ich  von  Variationen  innerhalb  der 
Stabilitätsgrenzen  der  Rasse  spreche  und  nicht  von  den  Fällen,  wo  die 
Individuen  Generation  um  Generation,  wegen  irgend  einer  Eigentümlichkeit 
ausgewählt  werden.  In  diesem  Falle  müßte  ein  neues  Element  eingesetzt 
werden,  insofern  als  der  durchschnittliche  Wert  von  r  nicht  konstant  sein 
kann.  Im  Verhältnis  als  die  Abweichung  von  der  mittleren  Stabilitäts- 
position wächst,  muß  man  vernünftigerweise  annehmen,  daß  die  Tendenz  der 
individuellen  Variation  stärker  zur  angenommenen  Position  als  von  ihr  weg- 
führt. Die  Behandlung  all  dieser  Dinge  scheint  der  Beherrschung  durch 
die  Analysis  zugänglich,  aber  wir  brauchen  eine  Tatsachensammlung  wie 
Tierzüchter  sie  uns  liefern  könnten,  um  einige  Schritte  über  die  Region  der 
reinen  Hypothese  hinaus  zu  gelangen. 

Die  Formel  zeigt  auch  wie  viel  durchschnittlich  in  der  Natur  eines 
Menschen  von  einem  gegebenen  Ahnherrn  ist,  denn  wenn  wir  den  Vater 
erste  Generation  nennen,  den  Großvater  die  zweite  und  so  weiter,  so  würde 
daraus  folgen,  da  ein  Mensch  2 "  Vorfahren  in  der  nte"  Generation  hat  und  da 
die  Formel  zeigt,  daß  er  nur  Gr^  unveränderte  „gemmules"  von  ihnen  allen 
zusammen  geerbt  hat,  daß  der  Teil,  der  in  dieser  Generation  von  jeder  Person 

hergeleitet  ist,  soviel  ausmacht  als 


(i)°- 


396  Variationen 

Das  durchschnittliche  Verhältnis  von  „gemmules",  die  durch 
individuelle  Variation  unter  verschiedenen  der  Geburt  voraus- 
gehenden Bedingungen  modifiziert  sind,  läßt  sich  durch  Beobach- 
tung genau  festlegen,  während  die  Abweichungen  von  diesem 
Durchschnitt  nach  der  Theorie  des  Wahrscheinlichkeitsgesetzes 
festgelegt  werden  können,  auf  das  ich  mich  schon  so  häufig  be- 
zogen habe.  In  der  gleichen  Weise  wäre  die  Proportion  der  an- 
deren „gemmules"  zu  behandeln,  die  in  einer  unmodifizierten 
Form  weitergegeben  werden;  denn  die  Kinder  würden  durch- 
schnittlich die  „gemmules"  in  der  gleichen  Proportion  erben, 
wie  bei  ihren  Eltern  existierten;  in  jedem  Kinde  aber  würde 
eine  Abweichung  von  dem  Durchschnitt  stattfinden.  Die  Tafel 
auf  S.  33  ist  identisch  mit  dem  speziellen  Falle,  wo  zwei  Formen 
von  „gemmules"  zu  betrachten  wären  und  wo  sie  in  beiden  Eltern 
in  gleicher  Anzahl  existieren  würden. 

Wenn  die  Pangenesis-Theorie  richtig  ist,  so  könnte  man  nicht 
nur  die  durchschnittlichen  Eigenschaften  der  Nachkommen  der 
Gruppen  A  und  B,  A  und  C,  A  und  D  und  jede  andere  Kombination 
voraussagen,  sondern  auch  die  Anzahl  jener,  die  in  verschiedenen 
Proportionen  von  diesen  Durchschnitten  abweichen  würden.  So 
müßte  die  Nachkommenschaft  von  F  und  A  durchschnittlich  so 
und  so  werden  und  solche  Zahlen  per  MiUion  aufweisen  von 
Klasse  A,  B,  C,  D,  E,  F,  G  usw.  Die  latenten  „gemmules"  ließen 
sich  in  der  gleichen  Weise  nach  den  freigewordenen  charak- 
teristischen Merkmalen  vieler  vorhergehender  Generationen  fest- 
legen, und  ebenso  müßte  sich  die  Tendenz  zu  Rückfällen  in  eine 
frühere  Form  gleichfalls  berechnen  lassen.  Mit  anderen  Worten: 
die  pangenetische  Theorie  bringt  alle  Einflüsse,  die  auf  Ver- 
erbung Bezug  haben,  in  eine  Form,  die  geeignet  ist,  Gegenstand 
mathematischer  Analvse  zu  werden. 


Individualität 

Ich  füge  zum  Schluß  noch  einige  Worte  darüber  hinzu,  was 
ich  unter  dem  Ausdruck  „Individualität"  verstanden  haben  möchte. 
Die  künstUche  Fischzucht  ist  so  häufig  in  Büchern,  Vorführungen 
und  Vorträgen  behandelt  worden,  daß  jedermann  mit  dem  Vor- 
gang mehr  oder  weniger  vertraut  ist  Die  dem  Männchen  ent- 
nommene „Milch"  wird  den  Eiern,  die  das  Weibchen  deponiert 
hat  beigefügt,  worauf  diese  ihr  Ansehen  rasch  ändern  und  ohne  ir- 
gend ein  anderes  Agens  innerhalb  eines  jeden  Eies  die  Entwick- 
lung eines  Fischembryos  sich  beobachten  läßt.  Die  Eier  können 
seit  vielen  Tagen  von  dem  Weibchen  getrennt  sein  und  ebenso 
die  Milch  seit  vielen  Stunden  von  dem  Männchen.  Beide  sind 
daher  völlig  abgelöste  Teile  organischer  Materie,  die  ihre 
eigenen  organischen  Existenzen  führen;  aus  den  Verbindungen 
dieser  Teile  aber  entsteht  gleich  oder  sehr  bald  nach  ihrer  gegen- 
seitigen Berührung  individuelles  Leben.  Wo  aber  war  dieses 
Leben  während  des  langen  Zeitraums,  wo  Milch  und  Roggen  von 
den  Fischeltern  getrennt  wurden?  Wenn  diese  Substanzen  in  der 
Zwischenzeit  im  Besitze  bewußter  Leben  gewesen  sind,  so 
wurden  die  beiden  Leben  durch  den  Prozeß  in  eine  „Individuali- 
tät" verschmolzen,  was  eine  contradictio  in  adjecto  wäre.  Wenn 
keines  bewußtes  Leben  hatte,  so  wurde  das  Bewußtsein  durch 
eine  Operation  hervorgebracht  die  unter  menschlichem  Einfluß 
stand,  wie  er  nicht  größer  sein  kann  Man  kann  auch  nicht 
sagen,  daß  das  Ei  schon  immer  lebendig  war  und  die  Milch  nur 
einen  akzessorischen  Einfluß  hatte,  denn  die  jungen  Fische  erben 
ihre  charakteristischen  Merkmale  in  gleicher  Weise  von  beiden 
Eltern,  und  ebenso  beweist  eine  große  Anzahl  anderer  physio- 
logischer Daten  die  Unhaltbarkeit  dieser  Hypothese.     Daher  ist 


398  Individualität. 

die  Schöpfung  neuen  Lebens,  so  weit  es  sich  um  Fische  handelt, 
so  uneingeschränkt  im  Bereich  der  menschlichen  Kraft  als  die 
Schöpfung  irgend  eines  materiellen  Produkts  aus  der  Kombination 
gegebener  Elemente. 

Setzen  wir  weiter  voraus,  der  Fischzüchter  habe  in  zwei 
verschiedenen  Gefäßen  zwei  Milcharten,  die  zwei  verschiedenen 
Lachsarten  A  und  B  angehören,  und  ebenso  in  zwei  verschiedenen 
Gefäßen  zwei  Arten  von  Eiern  C  und  D.  Dann  kann  er  nach 
seinem  Belieben  die  beiden  Fischsorten  AC  und  BD  oder  die 
beiden  Fischsorten  AD  und  BC  entstehen  lassen.  Also  nicht  nur 
die  Schöpfung  von  Fischleben  in  einem  allgemeinen  Sinne,  son- 
dern auch  die  spezifischen  Charaktere  individuellen  Lebens  sind 
uneingeschränkt  in  weiten  Grenzen  unter  menschlicher  Kontrolle. 
Die  Macht  des  Direktors  eines  Unternehmens  für  Fischzucht  ist 
von  genau  der  gleichen  Art  als  die  einer  Köchin  in  ihrer  Küche. 
Der  Direktor  und  die  Köchin  brauchen  beide  gewisse  Elemente 
zur  Bearbeitung;  wenn  sie  sie  aber  einmal  erhalten  haben, 
können  sie  je  nach  dem  einen  Fisch  oder  eine  Mahlzeit  nach 
einem  vorausbestimmten  Modell  anfertigen. 

Physiologisch  aber  ist  jede  Zeugung  der  gleiche  Prozeß,*) 
daher  sind  also  die  Betrachtungen,  die  darauf  aufgebaut  werden, 
was  an  den  Fischen  vorgenommen  wurde,  auch  in  gleicher  Weise 
auf  den  Menschen  anwendbar.  Die  gesamte  menschliche  Rasse 
oder  eine  ihrer  Varietäten  kann  ihre  Anzahl  durch  ein  System 
früher  Ehen  unendlich  erhöhen,  oder  sie  kann  sich  durch  Zölibat 
gänzlich  vernichten;  sie  kann  mittels  Wechselheiraten  ver- 
schiedener Varietäten  und  Veränderungen  in  den  Lebensbedin- 
gungen neue  menschliche  Formen  einführen.  Daraus  folgt,  daß 
die  menschliche  Rasse  einen  starken  Einfluß  auf  ihre  eigenen 
zukünftigen  Formen  der  Aktivität  ausüben  kann,  und  zwar  einen 
weit  stärkeren  Einfluß  als  irgend  ein  Individuum  über  seine 
eigenen  je  haben  kann,  denn  die  Freiheit  der  Individuen  ist  eng 
durch  den  Energieaufwand  begrenzt,  den  sie  zur  Ausübung  ihres 
Willens  benötigen.  Sie  können  mit  einer  Viehherde  auf  einer  of- 
fenen Wiese  vergHchen  werden,  wenn  jedes  Tier  mit  einem 
elastischen  Strick  eng  an  einen  Pflock  gebunden  ist.  Sie  können 
nach  jeder  Richtung  auf  eine  kurze  Entfernung  mit  geringer  An- 
strengung grasen,  denn  die  Schnur  gibt  anfangs  leicht  nach;  aber 
je  weiter  sie  kommen,  desto  stärker  ist  auch  die  Kraft,  die  sie 


*)  s.  die  Ansprache   des  Präsidenten   der  Royal  Society  1867  bei  der 
Überreichung  der  Copley-Medaillis  an  Van  i^aer. 


Individualität.  399 

zurückzieht.  Die  äußerste  Grenze  ihrer  verschiedenen  Ent- 
fernungen muß  in  der  Distanz  vom  Pflock  liegen,  wo  die  Maximal- 
leistung an  Nervenkraft,  die  die  chemische  Maschinerie  ihres  Kör- 
pers aufbringen  kann,  gerade  dem  Ausfluß  an  Energie  gleich  ist, 
der  nötig  ist,  um  der  Kraft  des  Strickes  zu  widerstehen.  Nun 
ist  die  Freiheit  der  Menschheit,  als  Ganzes  betrachtet,  bei  weitem 
größer,  als  die  des  einzelnen  Tieres  in  unserm  Bilde;  sie  kann 
allmählich  ihre  eigene  Struktur  ändern,  oder  sie  kann,  um  bei 
dem  Bilde  zu  bleiben,  die  Pflöcke  selbst  immer  wieder  bewegen. 
So  kann  sie  sie  Schritt  für  Schritt  nach  vorwärts  bewegen  zu 
neueren  und  besseren  Weideplätzen  über  weite  Gebiete,  deren 
Grenzen  bisher  noch  unbekannt  sind. 

Die  Natur  ist  schwanger  von  latentem  Leben,  und  es  steht 
in  der  Macht  des  Menschen,  dieses  Leben  hervorzurufen,  in 
welcher  Form  immer  er  will  und  in  dem  Ausmaße,  das  er  will. 
Wir  dürfen  uns  nicht  gestatten,  jede  menschliche  oder  irgend- 
welche Persönlichkeit  als  etwas  Übernatürliches  zu  betrachten, 
das  dem  Stamm  der  Natur  hinzugefügt  ist,  sondern  wir  haben  sie 
eher  als  eine  Absonderung  in  neuer  Gestalt  von  etwas,  das 
bereits  existiert,  aufzufassen,  und  als  eine  regelmäßige  Konse- 
quenz früherer  „Bedingungen".  Ebensowenig  dürfen  wir  uns  von 
dem  Wort  „Individualität"  irreleiten  lassen,  da  aus  vielen  Tat- 
sachen und  Argumenten  dieses  Buches  hervorgeht,  daß  unsere 
Persönlichkeit  nicht  so  unabhängig  ist,  als  unser  Selbstbewußtsein 
uns  veranlaßt  zu  glauben.  Wir  können  jedes  Individuum  als  ein 
Etwas  betrachten,  das  von  seiner  Ursprungsquelle  nicht  völlig 
k^sgelöst  ist,  als  eine  Welle,  die  unter  gesetzmäßigen  Bedingungen 
geformt,  in  einem  unbekannten,  unbegrenzten  Ozean  emporgehoben 
wird.  In  allem  menschlichen  und  wahrscheinlich  in  allem  Leben 
überhaupt  ist  ebenso  ausgesprochener  Zusammenhang,  als  Tren- 
nung. Diese  Betrachtung  geht  meiner  Ansicht  nach  noch  weiter 
und  befestigt  die  Meinung,  daß  die  Konstitution  des  lebendigen 
Universums  ein  reiner  Theismus  ist,  und  daß  seine  Aktivitätsform 
als  eine  kooperative  bezeichnet  werden  kann.  Diese  Betrachtung 
führt  zu  dem  Schluß,  daß  alles  Leben  in  seinem  Wesen  eines 
ist,  aber  verschieden,  immer  wieder  variierend  und  auf  einander 
wirkend  in  seinen  Manifestationen   und  daß  die  Menschen  allen  an- 


400  Individualität. 

deren  lebenden  Tieren  gleich  aktive  Arbeiter  und  Anteilnehmer  an 
einem  ausgedehnteren  System  kosmischer  Aktivität  sind,  das  die 
Menschen  nicht,  geschweige  denn  die  Tiere,  fassen  können.  Diese 
Betrachtung  regt  noch  weiter  den  Gedanken  an,  daß  vielleicht  alle 
Lebewesen  mehr  oder  weniger  unbewußt,  zu  der  Manifestation 
eines  Lebens  beitragen,  das  höher  als  unseres  ist,  in  der  Art 
etwa  —  ich  beabsichtige  nicht  das  Bild  zu  weit  zu  treiben  —  wie 
die  individuellen  Zellen  eines  komplizierten  Tieres  zu  der  Mani- 
festation von  dessen  Persönlichkeit  beitragen,  einer  höheren 
Ordnung  angehörig. 


Anhang. 

Die  Abweichungen  von  einem  Durchschnitt  sind  in  der  fol- 
genden Tafel  Quetelets  mit  80  Graden  angegeben;  sie  sollen  nach 
jeder  Seite  des  Durchschnittes  gelten  und  erreichen  daher  eine 
Totalsumme  von  160  Graden.  Die  achtzigste  Abweichung  ist  so 
außerordenthch  groß,  daß  die  Chancen,  sie  noch  zu  übertreffen, 
(ob  wir  nun  hinauf-  oder  hinuntergehen,  je  nachdem,  welchen 

„     ,                 5  000000  —  4999992  8 

Fall  wir  wählen  wollen),  nur      1^^^^^^ =  10000 

oder  weniger  als  ein  MilHontel  beträgt.  Das  heißt,  wenn  gegen 
eine  Scheibe  geschossen  wird  (s.  Diagramm  S.  27),  wird  aus  einer 
Million  Schüsse,  wenn  wir  den  Durchschnitt  vieler  Millionen 
nehmen,  weniger  als  einer  in  einer  größerer  Höhe  treffen  als  80 
Oueteletsche  Grade  über  dem  Mittel  aller  Schüsse,  und  eine  gleich 
geringe  Anzahl  wird  tiefer  treffen,  als  der  80.  Grad  unter  dem 
gleichen  Mittel  beträgt. 

Kolonne  M.  gibt  die  Chancen  eines  Schusses,  der  in  irgend 
einen  der  gegebenen  (80X2  oder)  160  Grade  im  ganzen  fällt. 
Kolonne  N.  repräsentiert  die  Chancen  von  einem  andern  Gesichts- 
punkte aus.  Diese  Kolonne  ist  direkt  von  M.  abgeleitet  und  zeigt 
die  Wahrscheinlichkeit  eines  Schusses  zwischen  einen  spezifi- 
zierten Grad  und  das  Mittel  zu  kommen;  jede  Ziffer  in  N.  besteht 
aus  der  Summe  aller  Ziffern  in  M.  bis  zu  dem  fraglichen  Grade 
inclusive.  So  sehen  wir  in  Kolonne  M..  daß  die  Chance  gegen  einen 
Schuß  in  den  ersten  Grad  zu  fallen  (nach  oben  oder  unten,  je  nach- 
dem wir  wollen)  0,025  225  zu  1  ist  0,025  124  zu  1  für  den  zweiten 
0,0244  924  zu  1  für  den  dritten  Grad,  daraus  folgt,  daß  die  Chance 
zwischen  das  Mittel  und  dem  dritten  Grade  inkl.  gegen  einen  Schuß 
offenbar  der  Summe  dieser  drei  Ziffern  gleich  ist  oder  0,075  237, 
eine  Zahl,  die  in  Kolonne  N.  bei  Grad  drei  eingetragen  ist. 

G  a  1 1 0  n  ,  Genie  und  Vererbung.  3^ 


402 


Anhang. 

Tafel  nach  Quetelet. 


Grad  oder 
Rang  der 
Gruppe 


M 


Wahrscheinlich- 
keit die  Gruppe 
zu  treffen 


N 


Summe  der 
Wahrschein- 
lichkeit an- 
gefangen 
mit  der 
wahrschein- 
lichsten 
Gruppe 


Grad- 
nummern 


M 


Wahrscheinlich- 
keit die  Gruppe 
zu  treffen 


Summe  der 
Wahrscheinlich- 
keit angefangen 
mit  der  wahr- 
scheinlichsten 
Gruppe 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24 

25 

26 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

33 

34 

35 

36 

37 

38 

39 

40 


0.025225 
0.025124 
0.024924 
0.024627 
0.024236 
0.023756 
0.023193 
0.022552 
0.C21842 
0.021069 
0.020243 
0.019372 
0.018464 
0.017528 
0.016573 
0.015608 
0.014640 
0.013677 
0.012726 
0.011794 
0.010887 
0.010008 
0.009166 
0.008360 
0.008594 
0.006871 
0.006191 
0.005557 
0.004968 
0.004423 
0.003922 
0.003464 
0.U03047 
0.002670 
0.002330 
0.002025 
0.001753 
0.001512 
0.001298 
0.001 110 


0.025225 
0.059349 
0.075273 
0.099900 
0.124136 
0.147892 
0.171085 
0.193637 
0.215479 
0.236548 
0.286791 
0.276163 
0.294627 
0.312155 
0.338728 
0.344335 
0.358975 
0.372625 
0.385378 
0.397172 
0.408060 
0.418070 
0.4272.36 
0.435595 
0.443189 
0.450060 
0.456251 
0.461809 
0.466776 
0.471199 
0.475122 
0.478456 
0.481633 
0.484304 
0.486634 
0.488659 
0.490412 
0.491924 
0,493222 
0.494332 


41 
42 

43 
44 
45 
46 
47 
48 
49 
50 
51 
52 
53 
54 
55 
56 
57 
58 
59 
60 
61 
62 
63 
64 
65 
66 
67 
68 
69 
70 
71 
72 
73 
74 
75 
76 
77 
78 
79 
80 


0.0009658 

0.0008024 

0.0006781 

0.0005707 

0.0004784 

0.0003994 

0.0003321 

0.0002750 

0.0002268 

0.0001863 

0.0001525 

0.0001242 

0.0001008 

0.0000815 

O.00O0656 

0.0000526 

0.0000421 

0.0000334 

0.0000265 

0.0000299 

0.0000164 

0.0000128 

0.0000100 

O.Ö000077 

0.0000060 

0.0000046 

0  0000035 

0.0000027 

0.0000021 

0.0000016 

0.0000012 

0.0000009 

0.0000007 

0.0000005 

0.0000004 

0.0000003 

0.0000002 

0.00000014 

0.00000011 

0.00000004 


0.495278 

0.496081 

0.496769 

0.497329 

0.497808 

0.498207 

0  498539 

0.498814 

0.499041 

0.499227 

0.499380 

0.499504 

0.499605 

0.499686 

0.499752 

0.499804 

0.499847 

0.499880 

0.499906 

0.499927 

0.499944 

0  499957 

0.499967 

0.499974 

0.499980 

0.499985 

0.499988 

0.4999912 

0.4999933 

0.4999948 

0.4999960 

0.4999969 

0  4999976 

0.4999981 

0.4999984 

0.4999987 

0.4999989 

0.4999990 

0.4999991 

0  4999992 


Anhang.  403 

Diese  Kolonnen  können  zu  zweierlei  Zwecken  benützt  werden. 

Der  eine  wäre  eine  Tafel  auszurechnen,  wie  meine  auf  S.  33, 
wo  ich  einfach  11  Queteletsche  Grade  in  1  zusammengezogen 
habe,  so  daß  meine  Klassen  A.  und  a.  11  Grade  in  Kolonne 
N.  entsprechen,  meine  Klassen  B.  und  b.  der  Differenz  zwischen 
seinem  22.  und  11.  Grade,  meine  Klasse  C.  und  c.  der  zwischen 
seinem  33.  und  22.  Grade  entspricht  und  so  weiter. 

Der  andere  Zweck  ist,  die  Probe  zu  ermöglichen,  ob  eine 
Gruppe  von  Ereignissen  die  gleichen  allgemeinen  Ursachen 
hat  oder  nicht,  denn  ihre  Klassifikation  wird  Zahlen  hervor- 
bringen, die  denen  in  der  Tafel  entsprechen  werden,  wenn  es 
der  Fall  ist;  im  entgegengestzten  Falle  wird  diese  Übereinstim- 
mung nicht  stattfinden.  Der  Beweis  wurde  SS'.  29,  30  und  32  an- 
gewendet. Die  Methode,  die  bei  diesem  Vergleich  angewendet 
wird,  ist  leicht  durch  das  folgende  Beispiel  zu  verstehen,  dessen 
Ziffern  ich  Quetelet  entnehme.  Ich  glaube,  daß  zwischen  1836 
und  1839  in  Greenwich  487  Beobachtungen  der  Rektaszension  des 
Polarstern  gemacht  und  in  den  Publikationen  des  Observatoriums 
eingetragen  wurden,  nachdem  sie  auf  Präzession  und  Nutation 
korrigiert  wurden  und  nur  noch  den  Irrtümern  der  Beobachtung 
unterlagen.  Werden  sie  nun  in  Klassen  getrennt,  in  Abständen 
von  0,5  Sek.,  so  müßten  die  Ziffern  jeder  dieser  Klassen  sich  wie 
in  Kolonne  III  S.  404  verhalten.  Wir  erhöhen  sie  in  dem  Ver- 
hältnis von  1000  zu  487,  um  Dezimalen  zu  erhalten  und  sie  so 
mit  den  Ziffern  in  Quetelets  Tafel  vergleichen  zu  können  und 
tragen  sie  dann  in  Kolonne  IV  ein.  Das  zeigt  uns,  was  schon 
durch  eine  recht  lange  Erfahrung  bekannt  war,  daß  nämlich  die 
Chance  für  eine  Beobachtung  in  die  Klasse  —  0,5  Sek.  vom 
Mittel  zu  fallen  150  zu  1000  beträgt,  126  zu  1000  beträgt  in  die 
Klasse  —  1,0  zu  fallen  usw.  für  den  Rest.  Diese  Information  ist 
analog  jener,  die  in  Kolonne  M.  von  Quetelets  Tafel  gegeben  ist, 
und  wir  gehen  jetzt  dazu  über,  Kolonne  V,  die  Quetelets  N  analog 
ist,  aus  Kolonne  IV  zu  berechnen.  Die  Methode  ist  jedoch  anders. 
N  war  dadurch  gebildet,  daß  die  Eintragungen  vom  Durchschnitt 
aus  nach  außen  hin  addiert  wurden.  Wir  müssen  auf  dem 
entgegengesetzten  Wege  arbeiten  und  von  außen  nach  innen 
gehen,  da  der  exakte  Durchschnitt  nicht  als  genau  bekannt 
vorausgesetzt  ist  und  weil  auch  diese  Methode  für  uns  bequemer 
wäre,  selbst  wenn  das  Mittel  genau  festgestellt  wäre.  Wo  immer 
das  Mittel  nun  liegen  mag,  ist  die  Chance  500  zu  1000  dagegen 
daß  eine  Beobachtung  auf  einer  spezifizierten  Seite  der  Serien, 

36* 


404 


Anhang. 


IV 
Ergeb- 
nisse 

X. 

Ergeb- 
lisseper 

I 

II 

III 

per  lOOO 
nach  der 

Er- 
fahrung 

V 

VI 

VII 

VIII 

IX 

1000 
nach  der 
Kalku- 
lation 

Zahl 
derBe- 

Die- 
selben 

Wahr- 

schein- 

lich- 

Die  zu 
Nkor- 

Aus   der 
Kalkula- 

Differen- 
zen ge- 

Klassen 

Umfang  jeder  Klasse 

obach- 
tungen 

in 
jeder 
Klasse 

unge- 
rechnet 
im  Ver- 
hältnis 
487  zu 

1000 

keiten 
abge- 
leitet 
aus    der 
Erfahr- 
ung 

re- 
spon- 

d  leren- 
den 

Grade 

Differ- 
enzen 

Korri- 
gierte 
Grade 

tion   ab- 
geleitete 
Wahr- 
schein- 
lich- 
keiten 

genüber 

den 
vorher- 
gehen- 
den Ko- 
lonnen 

sec. 

Alle 

unter 

0 

0 

0.500 

0.500  \ 
0.496/ 

4 

—  3.5 

—  3.25  bis  - 

-3.75 

1 

2 

0.498 

45.5 

41.5 

—  3.0 

—  2.75    „    - 

-3.25 

6 

12 

0.486 

35.0 

10.5 

35.0 

0.486 

10 

—  2.5 

—  2.25    .    - 

-  2.75 

12 

25 

0.461 

28.0 

7.0 

28.5 

0.464 

22 

—  2.0 

-1.75    .    - 

-  2.25 

21 

43 

0.418 

22.0 

6.0 

22.0 

0.418 

64 

—  1.5 

—  1.25    ,    - 

-  1.75 

36 

74 

0.344 

16.6 

5.4 

15.5 

0.341 

81 

—  1.0 

-0.75    „    - 

-  1.25 

61 

126 

0.218 

9.3 

7.3 

9.0 

0.215 

126 

—  0.5 

—  0.25    ,    - 

-0.75 

73 

150 

0.68 

2.6i 

6.7 

2.5 

0.063 

152 

Mittel 

0.0 

-t-0.25    ,   - 

-0.25 

82 

168 

6.6 

163 

-0.5 

+  0.25    ,   - 

-0.75 

72 

148 

0.100 

4.0' 

6.5 

4.0 

0.100^ 

174 

_ 

-1.0 

+  0.75    „    H 

h  1.25 

63 

129 

0.248 

10.5 

8.0 

10.5 

0.247 

112 

_ 

-1.5 

+  1.25    ,   - 

-  1.75 

38 

78 

0.377 

18.5 

8.5 

17.0 

0.359 

72 

-h2.0 

+  1.75    ,   - 

-2.25 

16 

33 

0.456 

27.0 

8.5 

23.5 

0.431 

40 

+  2.5 

+  2.25    ,    - 

-2.75 

5 

10 

0.488 

35.5 

30.0 

0.471 

19 

Alle 

1 

2 

0.500 

0.500 

10 

über 

487 

1000 

1000 

sagen  wir  auf  der  minus-  Seite  liegen  wird.  Datier  bestätigt 
Kolonne  IV,  indem  sie  zeigt,  daß  keine  Beobachtung  außerhalb  der 
Klasse  -3,5  Sek.  liegt,  daß  es  500  zu  1000  (oder  0,500  zu  1,00)  da- 
gegen ist,  daß  irgend  eine  Beobachtung  zwischen  -3,5  Sek.  und  dem 
Mittel  liegt,  0,500  ist  daher  in  Kolonne  V  gegenüber  -3,5  Sek.  einge- 
tragen. Andererseits  sind  entsprechend  IV  nur  zwei  Fälle  in  der 
Klasse  -3,5  Sek.  und  zwar  (500—2  =)  498  zu  1000,  daß  irgend  eine 
Beobachtung  zwischen  der  Klasse  -3,0  Sek.  und  dem  Durchschnitt 
liegt,  in  Kolonne  V  gegenüber  3,0  Sek.  wird  daher  0,498  einge- 
tragen. In  gleicher  Weise  (498—12=)  wird  0,486  bei  -2,5  Sek.  einge- 
tragen. Wir  schreiten  auf  diesem  Wege  weiter,bis  wir  auf  die  Beob- 
achtungen stoßen,  die  einen  Teil  der  Durchschnittsgruppe  bilden, 
es  sind  168.    Unser  Rest  ist  68;  genau  genommen  sollte  er  gleich 


Anhang.  405 

der  Hälfte  von  168  oder  84  betragen;  wir  können  also  schließen, 
daß  das  Mittel  etwas  zu  hoch  gewählt  wurde. 

Eine  Berechnung,  die  in  genau  der  gleichen  Weise  von  +3.5 
Sek.  ab,  nach  dem  Mittel  zu  gemacht  wird,  führt  auf  der  andern 
Seite  zu  der  Mittelgruppe,  nämlich  bei  100.  Vergleichen 
wir  jetzt  unsere  Resultate  mit  Quetelets  Kolonne  N  und  sehen 
wir,  welchen  seiner  Qrade  die  einzelnen  Ziffern  in  unserer 
Kolonne  V  entsprechen.  Die  fraglichen  Grade  sind  in  Kolonne  VI 
eingetragen.  Im  Verhältnis,  als  diese  Beobachtungen  völlig  mit 
dem  Gesetz  der  Abweichungen  von  einem  Durchschnitt  überein- 
stimmen, werden  sich  die  Intervalle  zwischen  den  Graden  in 
Kolonne  VI  der  Gleichheit  annähern.  Wie  sie  wirklich  sind,  zeigt 
uns  Kolonne  VII.  Wir  können  nicht  erwarten,  daß  die  beiden 
extremen  Grenzen  Resultate  von  großer  Sicherheit  geben,  da  die 
Anzahl  der  Beobachtungen  zu  gering  ist,  doch  wenn  wir  nur  den 
Rest  in  Betracht  ziehen,  finden  wir,  daß  das  durchschnittliche 
Intervall  von  6.5  sehr  allgemein  zutrifft.  Sehen  wir  jetzt  zu, 
welche  Ziffern  in  den  Klassen  der  Theorie  nach  gewesen  wären, 
wenn  sie  entweder  von  2.5  (etwas  weniger  als  2.6,  wie  wir 
übereingekommen  sind)  über  dem  Durchschnitt  oder  von  4  unter 
dem  Durchschnitt  ausgehen,  und  wir  Serien  und  Klassen  kon- 
struieren, die  entsprechend  Quetelets  Graden  ein  gemeinsames 
Intervall  von  6.5  haben.  Kolonne  VIII  zeigt,  wie  diese  Klassen 
wären;  Kolonne  IX  zeigt  die  korrespondierenden  Ziffern,  die  di- 
rekt Quetelets  Gruppe  N  entnommen  sind,  und  Kolonne  X  gibt 
die  Differenz  zwischen  diesen  Ziffern,  die  so  eng  mit  den  Ein- 
tragungen in  Kolonne  IV  übereinstimmen,  daß  kein  Zweifel 
darüber  bestehen  kann,  daß  die  Irrtümer  in  den  Beobachtungen 
sich  streng  an  das  Gesetz  der  Abweichungen  von  einem  Durch- 
schnitt halten. 

Es  erübrigt  mir,  noch  ein  paar  Worte  über  das  Gesetz  der 
Abweichungen  von  einem  Durchschnitt,  oder  über  das  La  Place- 
sche  Fehlergesetz  bei  Beobachtungen,  wie  es  gewöhnlich  genannt 
wird,  zu  sagen.  Jedes  variable  Vorkommnis  hängt  von  einer 
Anzahl  variabler  Ursachen  ab,  von  denen  wieder  jede  gerade  ver- 
möge der  Tatsache  ihrer  eigenen  Variabilität,  von  anderen  Va- 
riablen abhängig  ist.  Man  kann  diesen  Prozeß  Schritt  um  Schritt 
verfolgen,  bis  man  nicht  mehr  weiß,  wo  man  stehen  bleiben  soll. 
Da  nun  der  wirkHche  Grund  jeder  dieser  Ursachen  ein  variables 
Vorkommnis  ist,  hat  es  einen  Durchschnittswert,  und  daher  be- 
steht (ich  verändere  den  Satz  nur)  in  jedem  Falle  eine  gleiche 


406  Anhang. 

Chance  dafür,  daß  das  Vorkommnis  größer  oder  geringer  als  der 
Durchschnitt  ist.  Nun  wird  versichert,  daß  es  von  untergeordneter 
Wichtigkeit  für  uns  ist,  uns  mit  diesen  geringfügigen  Ursachen 
mehr  zu  beschäftigen,  als  bis  zur  Festellung  der  Wahrscheinlich- 
keit ihres  Überschreitens  oder  Zurückbleibens  hinter  ihren  ver- 
schiedenen Durchschnittswerten,  da  die  Chance  daß  eine  größere 
oder  geringere  Anzahl  unter  ihnen  sich  so  verhält,  in  jedem  gege- 
gebenen Falle  der  den  Rechnern  wohlbekannten  Chance  ähnelt, 
wenn  man  aus  einer  Urne,  die  eine  ungeheure  aber  gleiche  An- 
zahl schwarzer  und  weißer  Kugeln  enthält,  diese  herauszieht. 
Jede  Kugel,  die  gezogen  wird,  hat  die  gleiche  Chance  schwarz 
oder  weiß  zu  sein,  genau  so  wie  jedes  untergeordnete  Vorkonnn- 
nis  die  gleiche  Chance  hat,  seinen  Durchschnittswert  zu  unter- 
oder  zu  überschreiten  Ich  kann  hier  nicht  auf  die  philosophische 
Seite  dieser  Ansicht  eingehen;  sie  wurde  von  vielen  Autoren  be- 
handelt und  der  Gegenstand  ist  noch  nicht  erschöpft. 

Cournot  hat  eine  Tafel  zur  obigen  Hypothese  konstruiert, 
die  in  Quetelets  „Briefen  über  WahrscheinUchkeitsrechnung"  ab- 
gedruckt ist,  aber  Cournot  dehnt  sie  nicht  annähernd  so  weit  aus 
als  Quetelet.  Die  Tafel  von  Quetelet  ist  nach  einem  sehr  ein- 
fachen Prinzip  gerechnet,  dem  Resultat  von  999  Kugeln,  die  aus 
einer  Urne  gezogen  werden,  die  wieder  weiße  und  schwarze 
Kugeln  in  gleicher  Quantität  und  ungeheurer  Anzahl  enthielt.  Sein 
erster  Grad  entspricht  dem  Fall,  wo  499  weiße  und  500  schwarze 
Kugeln  gezogen  werden,  sein  zweiter  498  weißen  und  501 
schwarzen  und  so  v/eiter,  der  achtzigste  Grad  entspricht  dem 
Fall,  wo  420  weiße  und  579  schwarze  Kugeln  gezogen  werden. 
Bei  dieser  allgemeinen  Form  der  Resultate  macht  es  bei  so  großen 
Zahlen  keinen  erheblichen  Unterschied  aus,  welches  ihre  wirk- 
liche Anzahl  ist.  Der  Wert  der  Grade  ist  selbstverständlich  sehr 
verschieden,  aber  man  wird  fast  die  gleiche  Qualität  der 
Kurven  erhalten,  ob  die  Zahlen  nun  nach  Quetelets  oder  Cournots 
Tafeln  genommen  werden.  Quetelet  zeigt  dies  alles  in  seinem 
Vergleich  der  beiden  Tafeln. 


Ende. 


Namens-  und  Sachregister. 


Seite 

Abbot 304 

Abingdon 145 

Abinger 90 

Abney 90 

Abweichung  von   einem  Mittel 
(Deviation  from  an  average)  21,  401 

Adams 131 

Addington 111,  144 

Addison 184 

Aschylos 249 

Afrika XXV 

Aikin 185 

Aldborough 145 

Alderson 21,  90 

Alexander 159 

Alibone 90 

Alison 185,  234 

Allegri 261,  272 

Amati 261 

Ameinas 249 

Amerika 39 

Ampere 21,  215 

Anderson 234 

Anlagen  (ability) XI 

Annesley 145 

Antonius,  Marcus 165 

Arago 21,  216 

Araros 250 

Argental 227 

Argyll 129 


Seite 

Ariosto 250 

Aristokratie 88 

Einfluß    der   Verleihung    der 
Pairswürde  auf  die  Rasse  1 38,  383 

Aristophanes 250 

Aristoteles 216 

Arnold 185 

Arran 145 

Arteveldt 132 

Ashburnham 145 

Athener 363 

Atkyns 69,  90 

Augustus 165 

August  II 174 

Austen  geb.  Sarah  Taylor.     .     206 

Australneger 362 

Aylesford 146 

Bach 261 

Bache 230 

Bacon    ....     57,  217,  218,  364 

Badile 270 

Badius 204 

Badeorte 386 

Baillie 236 

Barbauld 185 

Barrington 146 

Barry 22 

Bassano 272 

Bathurst 91 


408 


Namens-  und  Sachregister. 


Seite 

Batty 91 

Beaufort 146 

Beauvale 123 

Bedford 117,  146 

Bedingfield 91 

Beer  (Meyerbeer) 267 

Beethoven 264 

Bellini 272 

Benda 264 

Benson 328 

Bentham 185 

Bentinck 117 

Beobachtungsfehler  (errorsof  Ob- 
servation) Gesetz  der  XIII  25, 406 

Beranger 246 

Bevölkerung,  Beschränkung  der  378 
Bezeichnungssystem     für    Ver- 
wandte   49 

Bernoulli 219 

Berühmt,  (lUustrious)  Definition 

von 10 

Berwick 162 

Best 91 

Bickersteth 91 

Bion 249 

Birch 91 

Bischöfe,  die 281 

Blackburn 91 

Blackstone 91 

Blair 336 

Bohemetum 368 

Boileau 186 

Bolingbroke 117 

Bonaparte 162 

Bonheur 269 

Bononcini 265 

Bootsfahrten  Oxford  und  Cam- 
bridge 11,  Ruderer  (Oarsmen)  329 

Bossuet 186 

Bouillon,  Duc  de  .     .     .      171,  177 

Boyle 220 

Bradshaw 101 

Bramston 92 


Brodie 94,  222,  325 

Bromley 314 

Bronte 182,  186 

Brougham 37,  92 

Brown-Sequard XVI 

Browne 92 

Brunei 357 

Buckingham 121 

Buckland 223 

Buffon 223 

Buller 92 

Bulwer 180 

Bunbury 324 

Burchell .327 

Burleigh 132 

Burke's  „Pairswürden"  .     .     .     147 

Burnet 92 

Bums 246 

Bushey-Park 10 

Bute 118,  144 

Butler 22,  324 

Byron 260 

Caesar 150,  164 

Cagliari 272 

Calderon 246 

Cambridge,  Prüfungen  .     .     12,  15 
Seniors  in  klassischen  Studien  327 

Regatten 11 

Camden     .     .     .     92,   118,  142,  146 

Campbell,  Lord 92 

Campbell,  Thomas     ....       92 

Candiish 333 

Canning 118,  144 

Caracci 269,  273 

Casaubon 204 

Cassini 224 

Castillo 275 

Castlereagh 118,  144 

Cavendish 224 

Cecil 132,  217 

Celsius 225 

Chadderton 310 


Namens-  und  Sachregister. 


40» 


Seite 

Chadwick .... 

369 

Chamberlain      .     . 

127 

Champernoun    .     . 

174 

Champollion     .     . 

187 

Chancellors,  Lords 

55 

Chateaubriand  .     . 

187 

Chatara     .... 

125 

Chaucer    .... 

251 

Chelmsford   .     .     . 

92 

Chenier     .... 

251 

Chinesen  .    .     XVI, 

XX, 

358 

371 

Christen,  Sündengefühl 

302 

Christine  .... 

168 

Chuan-yuan  .     .     . 

358 

Churchill  .... 

q9 

Clarendon 

92 

Clarke  Matthew     . 

305 

Clarke  Sir  C     .     . 

92 

Clasper 

333 

Clive 

.  92, 

Ififi 

Cockburn .... 

9^ 

Colbert     .... 

133 

Coleridge  .... 

.  92, 

251 

Coligny     .... 

166 

Colonius    .... 

306 

ColpeDPer 

140 

Como 

381 

Comte 

346 

Condorcet     .     .    . 

225 

Cooke  

132, 

217 

Coombes  .... 

334 

Cooper,  (Earl  Shaftesbury)  93, 

140 

Cooper  R.      .     .     . 

334 

CoDlev 

93 

Corday 

253 

Cork 

221 

Corneille  .... 

252 

Correeeio .... 

274 

Cottenham    .     .     . 

93 

Cotton 

317 

Coumot    .    •    .     . 

406 

Cowley      .... 

130, 

177 

Cowper     ...    93, 

140, 

143, 

253 

Seite 

Cramond 92 

Cranmer 282 

Cranworth 93 

Cromwell 133,  166 

Curchod 202 

Culverel 310 

Cuvier 225 

Cynaegeirus 249 

D'Alembert  ....     22,  42,  225 

Daley 337 

Dampier 93 

Dante 347 

Dartmouth 95 

Darwin  XVI,  1,227,  354,  384,  389,  391 

Davy 228 

De  Candolle 228 

De  Grey,  Earl 126 

De  Grey  (Lord  Walsingham)       93 

Demagogen 46 

Denison 69 

Denman 69,  325,  355 

Dibdin 263 

Dichter 246 

Anhang  zu 249 

Dieu,  de 305 

Disraeli 113,  118 

Dod 306 

Dolben 69 

Donne 306 

Doria 167 

Dowdeswell 103 

Downe 307 

Draper 91 

Dryden 254 

Dudevant 175 

Dudley 201 

Dufferin 128 

Dundas 113,  118 

Dussek 265 

Einfluß    der    natürlichen    Be- 
fähigung der  Nationen    .     .    387 
Edgeworth 187 


410 


Namens-  und  Sachregister. 


Seite 

Egmont 137 

Eichhorn 266 

Eldon 94,  119 

Ellenborough 94,  119 

Ellis 19 

Emigranten 381 

Engländer,  aus  dem  Norden, 

ihre  Anlagen 362 

Erbinnen 139 

Erle 94 

Erskine,  Lord 94,  119 

Erskine,  E  und  R      ....     307 

Erstgeburt 87 

Etienne 187 

Eugen 167 

Euler 229 

Euphorion 250 

Evans 307 

Ewbank 337 

Eyck 274 

Eyre 94,  95 

Pabrikant 87 

Faustrecht 379 

Feldherren 149 

Anhang  zu 149 

Eigenschaften  von     ....  46 

haben  wenig  Söhne    .     .     .  343 

Fenelon 188 

Fenton 220 

Feriol 225 

Fielding 188 

Finch 95,  140 

Ficherdörfer 387 

Fischzucht 397,  XVI 

Fitz  Roy 128 

Flüchtlinge 381 

Floyd 124 

Fontenelle 225,  252 

Forbes 229 

Forster 95 

Fox 119 

Francis 120 


Seite 

Franklin 230 

Frauen,      von      bedeutenden 

Männern 348 

Lücken  bei  Namen     ...        8 
Mütter     von    bedeutenden 

Männern 353 

Einfluß  von  Müttern  .      212,  298 
Übermittlung     von    Fähig- 
keiten       G3,  352 

Franzosen,  Körperhöhe  der    .      29 

Emigranten 382 

Freeman XXIII 

Fronsac 137 

Fruchtbarkeit XXI 

der  Judges 83,  139 

der  Wunder  an  Begabung .     353 
Frühreife,  der  Söhne  von  be- 
gabten Menschen    ....     354 
früher  Tod 355 

Gabrieli 266 

Galilei 280 

Gallio 198 

Gelee 274 

Gemmules 389,  393 

Genie,  (genius) X 

Generationen  in  einem  Jahr- 
hundert   375 

GeofEroy 281 

Gerhard 322 

Gesichtszüge,  nicht  mit  Ver- 
erbung von  Fähigkeiten  ver- 
bunden   356,  369 

Gibbon 105,  108 

Gilbert 207 

Gillies 91 

Gilpin    .......      308,  809 

Glaister 887 

Gmelin •    .     .    281 

Goderich 120 

Goethe 254 

Goldoni 246 

Goldsmith 181 


Namens-  und  Sachregister. 


411 


Golightly 337 

Gordon,  Lady  Duff   ....     206 

Gordon,  R 337 

Gouge 308 

Goulburn 22,  825 

Gould 96,  188 

Gracchus 176 

Grafton 144 

Gramont 188 

Grant 158 

Grantharn 125 

Grattan 120 

Gregory 232 

Grenville 120,  121,  144 

Griechen 363 

Grey 121 

Grotius 181,  189 

Grynaeus 278,  279,  310 

Guilford 96 

Guise 167 

Gurney 96 

Gustav  Adolph     .     .     .      151,  168 
Guyse 312 

Haiford 1C6,  326 

Hall,  Bischof 286 

Hall 326 

Hallam 189 

Haller 232 

Hamilkav 169 

Hampden 105,  166 

Hannibal 157,  169 

Harcourt 96,  141 

Hardinge 103 

Hardwicke 96,  108 

Harrington 337 

Harvey 95,  232 

Hasdrubal 169 

Hatherley 107 

Hatton 201 

Haydn 266 

Hawkins 325 

Hawks 833 


Seite 

Heath 96 

Heine 255 

Heiratsalter 375,  382 

Helvetius 191 

Henley 96,  141 

Henry 193,  312,  313 

Herbert 96,  313 

Herschel 233,  344 

Herrscher,  Eigenschaften  von  .      44 
Hervorragend  (eminent)  Defini- 
tion            5 

Hewitt 96 

Hiddersham 314 

Hiller 266 

Holland 119,  121,  144 

Homel 283 

Hook 256 

Hooker 235 

Hooper 315 

Hornby 128 

Homer 113,  121 

Hospinian 315 

Hotham 96 

Hottentottenkraal  ....     387 
Hugenotten  ....      XXKI,  382 

Humboldt 235 

Hühner XVII 

Hunter 236 

Hutton 242 

Huygens 236 

Hyde 96,  97,  141 

Hyder  Ali 170 

Idioten 24,  34,  362 

Illegitime    Nachkommen    der 

Judges 139 

Indischer  Aufstand    ....  47 

Individualitcät 397 

Individuelle  Variation    .     .     .  393 

Ingenieure 357 

Inquisition 380 

Intelligenz,  natürl.  Auslese  der  359 

der  Tiere 35 


412 


Namens-  und  Saehiegister. 


Seit« 

Irländer XXIV 

Wähler 390 

Irving  G 337 

Irving  W 191 

Italiener 4 

Ivison 337 

Jaraieson 338 

Jeffrej's,  Lord 97,  141 

Jeffrej's,  Sir  John      ....      98 

Jenkinson 113,  123 

Jervis 98,  123 

Jevrell 315 

Jonson 246 

Juden 4 

Judges 54 

Anhang  zu 89 

Junius 316 

Juseieu 237,  238 

Kalender,  von  Comte  .     .     .  346 

Karl  der  Große     .     .     .      157,  165 

Karl  Martell 166 

Karl  XII 166 

Kaye 22 

Keating 98 

Keats 246 

Keisor 267 

Kemble 357 

Kennedy 326 

Kenyon 141 

Kimbolton 82 

King 98,  123 

Klassifikation,  nach  natürlicher 

Begabung 13 

nach  Berühmtheit      ...  5 

Knox 316 

Kleopatra 160 

Königsmark 175 

Krabben XIII 

Kultur 39 

Künstler 344 

s.  Maler 270 


S«it« 

Musiker 269 

Schauspieler 357 

Lamb 192 

Lamb,  (Visc.  Melbourne)    .     .  123 

Landseer 269 

Langdale 91,  98 

Lansdowne 123 

Lasco  a 317 

Law 98,  327 

Lawrence 98,  170 

Lechmere 98 

Lee 99 

Lefevre 214 

Legge 99 

Leibniz 21,  239 

Leicester 200 

Leighton 317 

Lessing 192 

Lewis 104 

Lifford 99 

Lindsay 82 

Linley 126 

Linnaeus 239 

Literaten 179 

Anhang  zu      • 184 

Little 338 

Liverpool 123 

Locke 98 

Lombroso XI 

Londonderry 123 

Long 338 

L'Ouverture 361 

Lovelace 251 

Lovell 99 

Lowthian 838 

Lucan 198 

Lucas  Prosper 354 

Lunar  Society 209 

Lushington 57,  327 

Lyndhurst 21 

Lyttleton 67,  101 

Lytton 18ü 


Namens-  und  Sachregister. 


413 


Seite 

Macaulay 22,  192 

Macclesfield 101 

Mackenzie 129 

Maddison 334 

Maddox 326 

Mago 170 

Maler 269 

Anhang  zu 271 

Malthus XXI,  378 

Manchester 100,  201 

Mancini 167 

Manners 101 

Mansfleld 101 

Marius 165 

Marlborough      ...    92,  150,  171 

Marley 120 

Martineau 206 

Martyn 207 

Matfin 334 

Mathematische  Prüfungen     .       15 

Mathematiker 214 

Mather 317 

Matthew    . 318 

„Männer  der  Zeit"    ....    7,  9 
Moritz  von  Nassau    ....     170 

Mazarin 167 

Mazzuoli 274 

Meadows 206,  368 

Mede 291 

Medici 41 

Melbourne 123 

Melville 118 

Mendelssohn 267 

Mensch 373,  384 

Metastasio 246 

Middleton's  „Biographia  Evan- 

gelica« 281 

Mieris 275 

Mill 193 

Million,  eine 10 

Milman 256 

Milton 256 


Mittelalter 379 

Mirabeau 134 

Mischverbindungen     ....     390 
Mischlinge,  menschliche     .     .      64 

Monsey 104 

Montagu     .......      100,  101 

Montmorency     ....      166,  171 

Moore 172,  247 

More 135,  307 

Mornington 131,  177 

Mothe 188 

Mozart 267 

Muirhead 244 

Murillo 275 

Musiker 259 

Anhang  zu 261 

Mütter,  Einfluß  von  .     .      212,  298 

hervorragender  Männer  .     .     357 

s.  Frauen 
Mylne 357 

Napier 120,  172,  239 

Napoleon 150,  162 

Nahrung,  menschliche    .     .      XVII 

Nares 102 

Nationale  Portraits    ....      356 
Naturwissenschaftler  und  Ma- 
thematiker       208 

Anhang  zu 215 

Väter  von 344 

Mütter  von 344 

Naturspiele 389 

Necker 202 

Neger  .  .  XXIV,  XXV,  360,  371 
Nelson  .  .  104,  123,  130,  153,  173 
Nepotismus 41 


Newton      .     .     . 

.      240 

Nichol  .... 

.     338 

Nicomachus  .     . 

.      217 

Nicostratus    .     . 

.     250 

Niebuhr    .    .     . 

.      193 

Nomaden  .     .    . 

.     368 

Normannen   .    . 

.    .     X 

XIII,  369 

414 


Namens-  und  Sachregister. 


Seite 

North    .     .      72,  lOX  102,  123,  141 

Northington 96,  141 

Norton 128 

„Notizen  und  Fragen"  Hong 

Kong 358 

Nottingham  ..,..,.       76 

s.  Finch. 
Nowell 318 

Oersted 242 

0  esterreicher 370 

Olympias 159 

Olympische  Spiele     ....  358 

Opie 90 

Uranien,  Prinzen  von    .     .     .  170 
8.  Moritz. 

Oxford 130,  145 

Orrery 222 

Ostade 275 

Overbury 98 

Ovid 247 

Pairswürde,  ihr  Einfluß  auf  die 

Rasse 130 

s.  Aristokratie. 

Palestrina 268 

Palgrave 106,  194 

Palmer. 338 

Palmerston 123,  129 

Pangenesis     .     XVI,  384,  389,  393 

Parker,  Hyde 158 

Parker  (Macclelsfield)  98,  102,  141 

Parmegiano 274 

Patteson 103 

Päpste,  die 41 

Peel 123 

Perabroke 200 

Pengelly 103 

Penzance 107 

Pipin 166 

Pepys  („sein  Tagebuch")  .     .     102 

Pepys,  Sir  C 103 

Perceval 124 

Perikles 364 


Seite 

Persönlichkeit 399 

Petronella 204 

Petty 124 

Pitt 111,  125 

Phidias 364 

Philipp  von  Mazedonien      159,  173 

Philippus 250 

Phillimore 57 

Philoclees 249 

Plato 364 

Plessis 136 

Plinius 242 

Polarstern,  Beobachtungen     .     403 

Politiker 109 

Anhang  zu      IIG,  s.  45,  131,  367 

Pollock 103 

Ponte 276 

Pope 247 

Porson 22,  194 

Porta 242 

Portland 125 

Potter 276 

Powis 103 

Praed 257 

Pratt 86,  10:5,  142 

Premierminister 117 

Prestley 309 

Protestantische  Flüchtlinge 

XXIII,  381 

Preußen 370 

Ptolomäer IGD,  173 

Puritanische  Gesichtszüge      .    302 
Pyrrhus 162,  173 

Quetelet XIII,  25,  401 

Racine 257 

Raffael 276 

Raleigh 157,  173 

Rabutin 199 

Rastall 307 

Raymond lOi,  142 

Redesdale 124 

Reeve 206 


Namens-  und  Sachregister. 


415 


Reid      . 

Renforth 

Ruf,  als  Beweis  füi 

Reynolds  .     . 

Richelieu  .     . 

Richmond 

Ringkämpfer 
Anhang  zu 

Ripon   . 

Riqueti 

Rivet    . 

Roberts 

Robertson 

Robinson 

Robley . 

Robson 

Robusti 

Rolfe    . 

Roroanes 

Romilly 

Roper   . 

Roscoe . 

Rossi    . 

Rousseau 

Royal  Instituti 

Ruderer    .     . 
Anhang    zu 
bei  Universitäts- 
fahrten .     . 

Runjeet  Singh 

Rüssel .     .    . 

Ruysdael  .     . 

Sadler .     .     . 
Sage,  Le   .     . 
St.  Beuve 
St.  John,  Sir  0. 
St.  Leonards 
St.  Vincent 
Salisbury  . 
Sandhurst 
Sanzio  .     . 
Säur  in  .     . 


Begabung 


Wett. 


Seite 

234 
334 

36 
104 
136 
119 
336 
336 
108,  125 
134 
291 
190 

92 
125 
338 
338 
276 
104 
XX 
104,  126 
136 
195 
257 
181 

20 
329 
332 
Ruder- 

11 
174 
126 
276 

335 
195 

48 
118 

56 

98 
132 

31 
277 
320 


Seit« 

Saussure 202,  243 

Sachsen 174 

Scaliger 43,  196 

Scarlett 104 

Schiller 247 

Schlegel 196 

Schmetterlinge XVIII 

Schmuck 239 

Scipio 150,  175 

Schotten,  Brustumfang  von  29,  362 

Schauspieler 35 

Schriftsteller,    Charakteristiken 

der 180 

Scott 104,  126,  142 

Seeleute 447 

Sequin 24 

Selwyn 57,  328 

Seneca 22,  197 

Seniors  in  klassischen  Studien 

in  Cambridge 322 

Anhang  zu 324 

Sevigne 198 

Sewell 104 

Seymour 128 

Shaftesbury 93,  104 

Shakespeare 247 

Shannon 222 

Shelburne 126 

Sheridan 128 

Siddors 357 

Sidgwick 328 

Sidmouth 144 

Sidney 72,  199 

Singh  Runjeet 174 

Skeptiker  . 300 

Small 209 

Smiles 381 

Smith,  Archibald 214 

Soziabilität 359 

Sokrates 364 

Somers       104,  108 

Sophokles 247 

Soult 153 


416 


Namens-  und  Sachregister. 


Seite 

Spanier 380 

Sparta 374 

Speimann 105 

Sport 12,  44 

„Sport«  der  Natur    .     .     .     XVIII 
Stabilität  der  Typen     ...    391 

Stael 202 

Stanhope 125 

Stanihurst 321 

Stanley 128 

Stephen 203 

Stephens 203 

Stephenson 243 

Sterblichkeit 354 

der  Theologen 286 

Stewart 128 

Stowell 55,  66,  145 

Strategie 64 

Stratford  de  Redcliffe   ...     118 

Stuart 128 

Stuart  of  Rothesay  ....     129 

Sutton 105 

Suckling 173 

Sünde 302,  370,  380 

Swift 205,254 

Sydney,  s.  Sidney. 

Tabellen : 
Brustumfang  von  Schotten       29 
Einteilung  der  Menschen  nach 
ihrer  natürlichen  Begabung    33 
Grösse  von  Franzosen    .     .      30 
Sandhurst,  Prüfungen    .     .      32 
Mathematiker,  Cambridge        18 
Summe  der  Verwandtschaften 
(nämlich  der  Tabellen  I  u.  II) 

Judges 58,  61 

Politiker 113,  114 

Feldherren      ....      154,  156 

Literaten 182,  183 

Naturwissenschaftlern.  Mathe- 
matiker   210,  211 

Dichter 247,  248 


Seite 

Musiker 260 

Maler 270,  271 

Theologen 296,  297 

Vergleich  aller  Klassen  .     .    341 

Talbot 105,  142 

Talleyrand 46 

Tasso 267 

Taylor  I 336 

Taylor  von  Norwich  ....    206 

Taylor  von  Ongar 206 

Temple 122,  129 

Ten^in 226 

Teniers 277 

Theologen 280 

Anhang  zu 304 

Thesiger 105 

Thompson 214,  355 

Thurlow 105,  130 

Tierische  Intelligenz  ....      35 

Tickel 127 

Timur 158 

Tinian 338 

Tippoo  Saib 170 

Tizian 277 

Titus 176 

Tonstall 308 

Torrington 96,  314 

Tracy 90 

Treby 105 

Trevelyan 193 

Töchter,  nicht  heiratende  .    .    354 

Trevor 105,  181,  142 

Trimnell 92 

Trollope 207 

Tromp 176 

Trosse 294 

Truro 56,  106 

Turenne     ....       151,  171,  176 

Turner 106 

TweddeU .339 

Twisden 95,  106 

Tyne  Ruder  Klub 281 


Namens-  und  Sachregister. 


417 


Seite 


Typen XIX,  391 

Stabilität  von 392 


Usher  . 
Utopien 


.    320 

XXVI 


Van  Dyck 277 

Variation XVII,  393 

Vaughan 106,  326 

Vecellio 277 

Vega 257 

Velde 278 

Vergleich  der  beiden  Klassi- 
fikationen   36 

Vergleich  der  Resu]tate     .     .     340 

Verney 106 

Veronese 279 

Verwandte,  Bezeichnungssystem 

für 49 

Vespasian      .......     176 

Veyle,  Port  de 227 

Vincent,  St 130 

Volta 243 

Vossius 316 

Wallace,  A XX 

Waller 96,  133,  167 

Walpole    ....       124,  130,  145 

Walsingham 106 

Walter 101 

Warwick 201 

Wasa 169 

Watson 329,  336 

Watt '  ...     244 

Watts 290 

Wearmouth 339 

Wedderburn 142 

Weißmann     .......  XVI 

Welch 317,  321 


Seite 

Weldon XIII 

Wellesley 112,  130 

Wellington     ...       112,  154,  177 
Westminster  Abtei     ....      40 

Whewell 209 

Whitaker 310,  322 

Wigram 106 

Wilberforce 131 

Wilde 106 

Wilkins 306,  322 

Willes 106 

Wilhelm  der  Schweigsame    150,  170 

Wilhelm  III 150,  157 

Williams 94 

Vvilmot 107 

Winship 335 

Witsius 322 

Witt,  de 137 

WoUaston 245 

Wolphius 315 

Wood 107 

Wordsworth 258,  328 

Wranglera 15 

senior 17 

8.  Mathematiker 

Wyndham 107,  122 

Wynford 108 

Unbeständigkeit  des  Charakters  303 

York 97 

Yorke 108,  142 

Young 257 

Zellen,  des  Organismus     .     .    384 

Zivilisation     .     .     .       358,  371,  374 

Ursachen  des  Verfalls     .     .     380 

beste  Form  für  die  Rasse  .     384 

Zölibat 377 


Druekfehlerberiehtigung. 

Es  soll  heißen: 
Seite  325:  Denman  statt  Denmann. 
„      128:  Hornby  statt  Hornbey. 
„     364:  Thompson  statt  Thomson. 


Band  VI.  Dr.  Budolf  Eisler,  Grundlagen  der  Philosophie  des 
Geisteslebens.    Preis  geh.  M.  7.50,  geb.  M.  9.—. 

Band  VII.  Louis  Couturat,  Die  philosophischen  Prinzipien  der 
Mathematik.  Deutsch  von  Privatdozent  Dr.  Carl  Siegel,  Wien. 
Preis  geh.  M.  8.50,  geb.  M.  10.—. 

Band  XI.  Jules  Ladielier,  Psydiologie  und  Metaphysik.  Die  Grund- 
lagen der  Induktion.  Deutsch  von  Dr.  Rudolf  Eisler,  Wien. 
Preis  geh.  lA.  3.—,  geb.  M.  4.—. 

Band  XII.  Abel  Reg,  Die  Theorie  der  Phgsik.  Deutsch  von  Dr. 
Rudolf  Eisler,  Wien.    Preis  geh.  M.  8.50,  geb.  M.  10.—. 

Band  XIII.  J.  M.  Gugau,  SittUdikeit  ohne  „Pflidit''.  Mit  Randbemer- 
kungen Friedrich  Nietzsches.  Deutsch  von  E.  Schwarz,  Groß- 
Lichterfelde.    Preis  geh.  AV.  5.—,  geb.  M.  6.—. 

Band  XIV.  E.  D.  Starbudic,  Seligionspsgchologie.  Deutsch  von  Fr. 
Beta,  Burg.    Band  I.    Preis  geh.  M.  4.— ,  geb.  M.  5.— . 

Band  XV.    E.  D.  Starbuck,  Religionspsgdiologie.    Deutsch  von  Fr. 
Beta,  Burg.    Band  II.    Preis  geh.  M.  4.50,  geb.  M.  5.50. 
Band  XIV  und  XV  in  einen  Halbfranzband  gebunden  M.  11. — . 

Band  XVI.  Wilhelm  Ostwald,  Energetische  Grundlagen  der  Kultur- 
wissenschaft.   Geh.  M.  5.—,  geb.  M.  6.—. 

Band  XVII.  Henry  Sidgwicii,  Die  Methoden  der  Ethik.  Deutsch  von 
Dr.  C.  Bauer.    Band  I.    Geh.  M.  4.50,  geb.  M.  5.30. 

Band  XVIII.  Henry  Sidgwick,  Die  Methoden  der  Ethik.  Deutsch  von 
Dr.  C.  Bauer.    Band  II.    Geh.  AI.  6.30,  geb.  M.  7.10. 
Band  XVII  und  XVIII  in  einen  Halbfranzband  gebunden  M.  13.50. 

Band  XIX.  Francis  Galton,  Genie  und  Vererbung.  Deutsch  von  Dr. 
0.  Neurath  und  Fr.  Dr.  Schapire-Neurath,  Wien.  Geh.  M.  8.50, 
geb.  M.  10.-,   Halbfranz  M.  11.-. 

Daran  schließen  sich  zunädist: 

Band  VIII  u.  IX.  Budolf  Goldsciieid,  Höherentwicklung  und  Menschen- 
Ökonomie.  Naturwissenschaftliche  und  werttheoretiscfae  Grundlegung 
der  Soziologie. 

Band  X.  Guyau,  Die  Kunst  als  soziologisches  Phänomen.  Deutsch 
von  Paul  Prina. 

Als  weitere  Bände  werden  u.  a.  erscheinen: 
Übersetzungen: 

Giddings,  Principles  of  Sociology; 
Guyau,  L'irreligion  de  l'avenir; 

„      £ducation  et  h^r^dit^; 

„      Les  problömes  de  l'esth^tique  contemporaine; 
Lacombe,  De  l'histoire  consid^r^e  comme  science; 
Liard,  La  science  positive  et  la  m^taphysique; 
Midiailowski,  Soziologische  Essays; 
Schiller,  Humanism; 
Squillace,  Le  dottrine  sociölogiche. 

8        Der  Verlag:        s  Die  Redaktion: 

Dr.  Werner  Klinkhardt  Dr.  Rudolf  Eisler 

Leipzig.  Wien. 


Verlag  von  Dr.  Werner  Klinkhardt  in  Leipzig 
RUDOLF  GOLDSCHEID 


XXXVI,  218  Seiten.  S\  Geh.  5  M.,  geb.  6  M. 

WILHELM  OSTWALD  urteilt  in  den  „Ännalcn  der  Natur- 
philosophie" über  das  Werk  des  Wiener  Soziologen: 

„Den  Lesern  der  Annalen  ist  Rudolf  Goldsdieid  längst  kein  Fremder 
mehr,  denn  sie  kennen  seine  Arbeiten,  von  denen  eine  jede  durdi 
die  Ausgrabung  und  Freilegung  eines  neuen  erheblichen  Gedanken- 
blockes gekennzeichnet  ist.  In  der  vorliegenden  Sdirift  glaubt 
der  Beriditerstatter  das  Bedeutendste  zu  erkennen,  was 
er  bisher  geleistet  hat  und  vielleidit  audi  leisten  wird.  Denn 
das,  um  was  es  sich  hier  handelt,  nimmt  die  Denkarbeit  eines  ganzen 
Lebens  reichlich  in  Anspruch  und  ist  gleichzeitig  vielverzweigt  und 
mannigfaltig,  daß  es  mehr  als  ein  Leben  ausfüllen  kann.* 


FERD.  REINHOLD 

Machs  Erkenntnistheorie 

Darstellung  und  Kritik 

=  215  Seiten.    Geh.  3  M.  = 


Wenn  schon  Mach  nach  seinen  eigenen  Aussagen  kein  philoso- 
phisches System  geben  wollte,  so  ist  es  dodi  angebracht,  die  AVach'sche 
Philosophie  einmal  losgelöst  von  allem  Beiwerk  nach  seinen  Schriften 
klar  zur  Anschauung  zu  bringen.  Das  war  umsomehr  nötig,  als  die 
verschiedensten  Auffassungen  über  die  Philosophie  Machs  laut  geworden 
sind.  Daher  ist  in  diesem  Buch  der  Versuch  gemacht  worden,  möglichst 
dokumentarisch  das  herauszuschälen,  was  man  —  in  Begrenzung  auf 
die  erkenntnis-theoretischen  Grundlagen  —  als  Machsche  Philosophie 
bezeichnen  kann.